Vulkanausbrüche…

 

… fallen im Allgemeinen umso heftiger aus, je länger die ihnen vorausgehende Ruhephase dauerte. Daraus, dass mein letzter Beitrag schon einige Zeit zurückliegt, dürft Ihr getrost schließen, dass der nächste lang, wichtig und brisant sein wird.

Ich habe diesmal die medinensischen Suren des Korans einer Themenanalyse analog zu der der mekkanischen unterzogen. Ist der mekkanische Koran schon hochproblematisch, so ist der medinensische ein Monstrum. Wer immer sich gefragt hat, warum ich in einem meiner neueren Kommentare Allah einen blutsaufenden Aztekengötzen genannt habe, findet dort die Antwort.

Ich bitte jetzt schon die Bissigen Liberalen, die die Länge meiner Artikel kritisiert haben, ausnahmsweise Gnade walten zu lassen 😀 . Luther konnte noch fordern, einfach den Koran zu verbreiten, damit jeder selber lesen könne, was für ein schändliches Machwerk das sei.

Damals gab es aber noch keine Political Correctness, die heute die Gesellschaft beherrscht, und die lehrt, dass der, der einfach seinen Augen traut und einfache Wahrheiten einfach beim Namen nennt, bestenfalls ungebildet und schlimmstenfalls Faschist sei. Die Menschenmenge aus Andersens bekanntem Märchen, die einen nackten Kaiser vorüberfahren sieht und seine schönen Kleider bewundert, ist die perfekte Metapher für eine Gesellschaft, die grundsätzlich davon ausgeht, dass die Dinge in „Wahrheit“ ganz anders seien, als sie zu sein scheinen; die das Offensichtliche für bloßen Schein hält, auf den allenfalls der vielgeschmähte Stammtisch hereinfallen könne; die deshalb buchstäblich eine Wissenschaft daraus gemacht hat, hochkomplizierte Theorien zu entwickeln, aus denen hervorgeht, dass und warum der Normalbürger seinen fünf Sinnen nicht trauen und sich lieber von angeblich aufgeklärten Eliten bevormunden lassen soll.

Würde man einer solchen Gesellschaft einfach im Sinne Luthers den Koran zur Lektüre vorlegen, so würden neun von zehn Lesern einfach nicht glauben, was sie dort mit eigenen Augen lesen, nämlich, dass eine menschenverachtende totalitäre Gewaltideologie sich den Mantel von „Heiligkeit“ überstreift. Sie würden eher an ihrem eigenen Verstand zweifeln als daran, dass der Islam eine Religion des Friedens sei.

Unsere Gesellschaft ist sogar insofern noch bornierter als besagte Menschenmenge, als sie einem Kind nicht mehr glauben würde. Man muss vielmehr die hochkomplizierten Theorien, die beweisen sollen, dass der Kaiser nur scheinbar nackt ist, dadurch widerlegen, dass man das Offenkundige wissenschaftlich analysiert. Daher die Länge meiner Artikel.

Deutsche und Nazis

 

Meine beiden letzten Artikel sind auf heftigen Widerspruch gestoßen. In dem einen („Der mekkanische Koran: Eine Themenanalyse“) habe ich die These vertreten, dass muslimische Gesellschaften auch heute noch von den Wertentscheidungen des Korans geprägt sind, die als vorbewusste Selbstverständlichkeiten die Weltauffassung und damit auch das politische Verhalten von Muslimen prägen.

In dem anderen („Opa war kein Nazi“) habe ich den Nationalsozialismus als Gemeinschaftsprojekt der deutschen Nation interpretiert, was unter anderem bedeutet, dass das NS-Regime sich auf die Loyalität einer breiten Massenbasis stützen konnte.

In beiden Artikeln geht es um die Beschreibung von Großkollektiven, und beide wurden aus einer individualisierenden Perspektive angefochten: Flowerkraut warf mir vor, zu wenig zu berücksichtigen, wie Muslime heute den Koran subjektiv interpretieren; nicht alle seien Islamisten, die den Koran als leitende Ideologie akzeptierten, und und LePenseur bestand darauf, nicht alle Deutschen der NS-Zeit, höchstens eine Minderheit, seien Nazis gewesen

in jener Bedeutung, wie heute “Nazi” verstanden wird — hart, zackig, unbarmherzig, Knobelbecher, mordlüstern, fanatisch vernagelt“ (LePenseur zu „Opa war kein Nazi“).

Beide Kritiken sind aus ihrer jeweiligen Perspektive richtig, nur ist diese Perspektive nicht die, die meiner Argumentation zugrundeliegt. Mir geht es nicht darum, ob dieser oder jener Opa persönlich ein Nazi war, und auch nicht darum, wie viele Muslime potenzielle Terroristen sind. Die wenigsten, vermute ich.

Ich will erklären, warum Großkollektive sich verhalten, wie sie es tun. Und das kann ich nur, wenn ich mich von der Erziehung freimache, die wir fast alle durchlaufen haben, und die jede generalisierende Aussage über Personengruppen als ein Vorurteil abstempelt. An diesem Prinzip ist natürlich richtig, dass Menschen individuell verschieden sind, auch wenn sie derselben Gruppe angehören.

Was ich aber beschreibe, wenn ich von einem Kollektiv spreche, ist nicht die Gesamtheit seiner Mitglieder, also etwa alle Deutschen oder alle Muslime, sondern das System der zwischen diesen Mitgliedern bestehenden Erwartungen, insbesondere ihrer Vermutungen darüber, was innerhalb dieses Kollektivs als anerkannter Wert und als geltende Norm unterstellt werden. Dass Menschen soziale Wesen sind, ist eine Binsenweisheit. Diese Binsenweisheit hat aber Implikationen, die nicht Allgemeingut sind: Gewiss sind Menschen verschieden, und daran kann auch das totalitärste System gottlob nichts ändern. Das heißt aber nicht, dass jeder sich ohne weiteres so verhalten würde, wie es seinem persönlichen Charakter entspricht; was die Gesellschaft von ihm erwartet, spielt eine mindestens ebenso große Rolle, und es gibt nur wenige radikale Individualisten, die sich jederzeit benehmen wie sie wollen, notfalls auch wie die Axt im Walde, ohne Rücksicht auf das, was „man“ tut.

Was für die Normen und Werte gilt, gilt in mindestens ebenso hohem Maße für das Verständnis von „Wahrheit“. Ein einzelner Mensch könnte unmöglich unbeeinflusst von der ihn umgebenden Gesellschaft, allein auf sich und seinen Verstand gestellt, definieren, was für ihn „wahr“ ist. Bereits die Begriffe, in denen er denkt, sind soziale Konstrukte, erst recht die Werte, die in sein Denken einfließen.

Weil das so ist, kann man das Verhalten eines Kollektivs nicht als Aggregat von individuellem Verhalten auffassen; der Einzelne findet die handlungsleitenden Parameter als Gegebenheiten bereits vor, und muss sich dann in irgendeiner Weise dazu verhalten. Deshalb kann ein Sozialwissenschaftler, der einen gesellschaftlichen Vorgang erklären will, nicht vorgehen wie ein Kriminalist, der einen „Schuldigen“ sucht, und er kann auch nicht die Gesellschaft einteilen in gute und böse Menschen, um dann den Bösen die Schuld an allen unerwünschten Entwicklungen zuzuschieben.

Zumal die „Bösen“ oft persönlich gar nicht so böse sind. Ein Ziad Jarrah, der am 11.September 2001 das Flugzeug entführte, das dann über Pennsylvania abstürzte, wäre mir, nach allem, was ich weiß, persönlich vermutlich sympathisch gewesen, wenn ich ihn gekannt hätte. Ebenso wie die Veteranen der 1.Gebirgsdivision, die ich während meines Wehrdienstes als Ordonnanz zu bedienen hatte. Das waren wirklich ganz reizende alte Herren, die sich bestimmt nicht als Nazis fühlten, die aber überhaupt keinen Zweifel daran hegten, dass ihr Kriegseinsatz notwendig und sinnvoll gewesen war – wobei wir heute wissen, dass die Geschichte gerade der Ersten Gebirgsdivision vor Blut nur so trieft; und damit meine ich keineswegs das Blut feindlicher Soldaten.

Damit ein Kollektiv sich „böse“ verhält, muss es keineswegs aus bösen Menschen bestehen. Im Gegenteil: Gerade das, was wir schnöde „Konformismus“ nennen, also die Bereitschaft, den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen, ihre Normen zu erfüllen und zu ihrem Gedeihen beizutragen, ist das, was wir normalerweise das „Gute“ nennen; und wir müssen auch so nennen, weil es die Voraussetzung dafür ist, dass so etwas wie menschliche Gesellschaft überhaupt existieren kann.

Wenn also ein Großkollektiv gigantische Verbrechen begeht, dann habe ich zur Erklärung dieses Vorgangs zwei Möglichkeiten:

Ich kann, wie vermutlich der geschätzte LePenseur, davon ausgehen, dass zwanzig Prozent des Volkes die restlichen achtzig Prozent gezwungen haben, höchst engagiert etwas zu tun, was sie nicht wollten. Das würde bedeuten, dass achtzig Prozent des deutschen Volkes innerlich Nonkonformisten waren, die bloß aus Angst mitgemacht haben. Dabei stoße ich aber auf das Problem der kognitiven Dissonanz: Menschen empfinden es als unangenehm, wenn Denken und Handeln auseinanderklaffen. Normalerweise versuchen sie diese Lücke zu schließen, indem sie entweder ihr Handeln, oder aber, wenn das nicht möglich ist, ihr Denken anpassen. Die katholische Kirche wusste das schon immer zu nutzen: „Erst mal beten, dann stellt sich der Glaube von selbst ein.“ Jeder Einzelne kann natürlich ein Doppelleben führen, also sich im Dauerspagat zwischen Denken und Handeln einrichten. Dass aber ein ganzes Volk das schafft, halte ich für hochgradig unwahrscheinlich.

Wahrscheinlicher scheint mir, dass Sebastian Haffner Recht hatte, als er das Umschwenken großer Teile der Gesellschaft nach März 1933 sinngemäß so beschrieb: Man machte mit, zunächst aus Angst. Nachdem man aber schon einmal mitmachte, wollte man es nicht nur aus Angst tun – das wäre ja verächtlich gewesen -, und so lieferte man die zugehörige Gesinnung nach. Also Aufhebung der kognitiven Dissonanz durch Anpassung des Denkens.

(Es gibt noch eine zweite Strategie dieser Aufhebung; man konnte sie in der DDR beobachten: Man lieferte dem Regime augenzwinkernd die geforderten Lippenbekenntnisse auf Parteichinesisch, vor allem bei Gelegenheiten, wo solche erwartet wurden, und redete sonst anders. Ein kollektives Doppelleben ist also möglich, machte sich aber dadurch als solches bemerkbar, dass dem Regime nicht nur verbal, sondern überhaupt nur das Nötigste gegeben wurde, also durch massive Leistungsverweigerung. Davon kann aber 1933-1945 nicht wirklich die Rede sein.)

Wenn also die Doppelleben-Hypothese, soweit man sie auf die Mehrheit des deutschen Volkes anwenden will, als unwahrscheinlich zu gelten hat (für eine Minderheit kann sie durchaus zutreffen), dann bleibt nur die Vermutung, dass die meisten Deutschen das Regime aus Überzeugung gestützt haben. Wobei die einen früher, die anderen später (und einige wenige überhaupt nicht) zu dieser Überzeugung gekommen (bzw. gegen Kriegsende davon abgekommen) sind.

Das heißt ja nicht, dass Alle den Nationalsozialismus in jeder Hinsicht großartig fanden; irgendetwas hatte wahrscheinlich Jeder auszusetzen, die Korruption von Parteibonzen zum Beispiel, auch die Verfolgung der Juden fanden Viele abstoßend (auch nach damaligen Zeugnissen), und die riskante Außenpolitik war vielen Menschen unheimlich (wurde aber, wenn es wieder einmal gutgegangen war, umso frenetischer bejubelt; irgendwann so um 1940 glaubte wahrscheinlich jeder Deutsche, der Führer habe den direkten Draht zu Gott). Es heißt aber, dass sie das Regime im Großen und Ganzen guthießen, wenn auch sicherlich mit wechselnden Konjunkturen: 1938 waren es bestimmt mehr als 1933 oder nach Stalingrad; die geheimen Lageberichte des SD geben einigen Aufschluss darüber.

Erklärungsbedürftig ist nicht so sehr, warum viele Menschen nach März 1933 zu den Nazis überschwenkten, und zwar durchaus auch im ideologischen Sinne; Konformismus – wie gesagt, nicht nur äußerer, sondern auch innerer – dürfte ein ausreichender Grund gewesen sein, wenn auch vielleicht nicht der einzige. Ich kann ihn auch nicht per se verwerflich finden, denn, wie gesagt: Er ist menschlich. (Verwerflich finde ich höchstens, dass es im Nachhinein keiner gewesen sein will, und äußerst gefährlich finde ich ein optimistisches Menschenbild, das die menschliche Verführbarkeit ebenso unterschätzt wie die Kraft totalitärer Heilslehren, und auf dessen Basis man sich ein Regime wie den Nationalsozialismus daher nicht anders erklären kann als durch die Machenschaften einer bösartigen Minderheit, die die Mehrheit der Guten unterjocht.)

Erklärungsbedürftig ist, dass Hitler durch Wahlen an die Macht kam – ein buchstäblich beispielloser Vorgang! Weder Mussolini noch Franco, auch nicht Lenin oder Mao oder Khomeini verdankten ihre Macht einer Wahl. Man hat viel Tinte vergossen, um zu beweisen, dass Hitler nie eine Mehrheit in freier Wahl errungen hätte, aber das stimmt einfach nicht. Im März 1933 wusste Jeder, der die Deutschnationalen wählte, dass seine Stimme eine für Hitler war; und so muss man nicht nur die NSDAP-Stimmen (mit knapp 44 Prozent ein nie dagewesenes Ergebnis – ein Erdrutsch), sondern auch die DNVP-Stimmen als Hitlerstimmen werten. Hitler hatte rund 51 Prozent – eine klare Mehrheit!

Es stimmt schon, dass der Wahlkampf 1933 von einer Welle an politischem Terror der Nazis begleitet war, der selbst für die krisengeschüttelte Weimarer Republik ungewöhnlich war: Da wurden sozialistische Zeitungen verboten, Versammlungen gesprengt (sofern sie überhaupt stattfinden durften), Funktionäre verhaftet und gefoltert. Das ist alles richtig, beweist aber das Gegenteil von dem, was es beweisen soll. Wenn die Deutschen nämlich ein besonders freiheitsliebendes Volk gewesen wären, so wäre ihnen allerspätestens jetzt klargeworden, was eine Naziherrschaft bedeuten musste. Und sie hatten noch die winzige Chance, in der Einsamkeit der Wahlkabine den Nazis einen Strich durch die Rechnung zu machen. Sie taten das Gegenteil davon.

Warum?

Man kann natürlich auch rein situationsbezogen argumentieren: Deutschland steckte mitten in der Weltwirtschaftskrise, und diese Krise war – nach Weltkrieg, Revolution und Inflation – die vierte existenzielle Gesellschaftskrise innerhalb von zwanzig Jahren. Da mussten die Nerven ja blank liegen, und die Neigung, Jeden zu wählen, der sich wenigstens selber zutraute, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, ist durchaus nachvollziehbar; das waren außer den Kommunisten (die ebenfalls von der Krise profitierten) eben nur die Nazis.

Wenn man will, kann man sich damit zufrieden geben und die Ursachenforschung einstellen: Bis 1933 war es Verzweiflung, danach Konformismus (und eine durch Hitlers durchschlagende Erfolge, speziell auf wirtschaftlichem Gebiet, genährte abergläubische Führerverehrung).

Die Frage ist nur, warum der Aufstieg der NSDAP in den Reichstagswahlen schon 1930 anfing, als erste Wirkungen der Krise zwar schon spürbar waren, aber von einer Katastrophe bei weitem nicht die Rede sein konnte. Und die erste demokratische Institution, in der es reichsweit eine braune Mehrheit gab, und zwar schon 1929 (!), waren – die ASten der deutschen Universitäten!

Ausgerechnet die Institution also, in der der Geist zu Hause sein sollte, ergab sich dem Ansturm als erstes, vor der Wirtschaftskrise und bevor Hitler irgendwelche Erfolge vorweisen konnte (und die Professorenschaft war weit davon entfernt, ihren Studenten Paroli zu bieten). Der Nationalsozialismus eroberte zuerst die Eliten, dann die Massen.

Womit ein Teil seines späteren Erfolges zu erklären ist: Welcher Normalbürger, der selbst vielleicht nur Volksschulbildung hat, widerspricht schon einer Ideologie, die von den geistigen Eliten seines Landes formuliert und unterstützt wird? Die Bereitschaft der Deutschen der dreißiger Jahre, Nazi-Ideologie zu akzeptieren, wirkt viel weniger merkwürdig, wenn wir unsere heutige Gesellschaft betrachten und uns bewusst machen, wie tief seit 1968, also beginnend mit der Studentenbewegung, linke Ideologeme – vom „gender mainstreaming“ bis zur „kulturellen Bereicherung“ – in die Gesellschaft eingedrungen sind: so sehr, dass kaum noch einer merkt, dass an ihnen irgendetwas „links“ sein könnte.

Wenn aber nun ausgerechnet geistige Eliten den Nationalsozialismus attraktiv fanden, so ist dies ein Indiz dafür, dass er konsequent etwas auf den Punkt brachte, das in der Geistesverfassung der Gesellschaft schon angelegt war und nach ideologischer Ausformulierung schrie. Sechs Punkte scheinen mir hier maßgeblich zu sein:

Erstens: Mit Ausnahme der beiden liberalen Parteien hatten alle Parteien der Weimarer Republik ein religiöses Politikverständnis, das heißt, sie fassten Politik nicht als ein Dienstleistungsunternehmen auf, das den Bürgern größtmöglichen Nutzen bringen sollte, sondern fußten auf Prinzipien, von deren Verwirklichung sie sich die schlechthin „gute“ Gesellschaft erwarteten. Sie waren säkularisierte Kirchen. Dieser Ansatz konnte relativ pragmatisch daherkommen, wie beim Zentrum und den Sozialdemokraten, wo die Utopie mehr einen geistigen Horizont markierte als ein konkret zu verwirklichendes Ziel, oder als revolutionärer Utopismus wie bei den Kommunisten.

Diese Auffassung von Politik als der Verwirklichung eines überzeitlichen Ideals versteht sich nicht von selbst, und zu liberalen Verfassungsstaaten passt er schon vom Ansatz her nicht: Deren unausgesprochenes Politikverständnis ist, dass jeder Einzelne seinen Interessen folgt, dass das „Volk“ nur das Aggregat dieser Einzelnen darstellt, und dass es die Regierung auswechselt, wenn sie die Interessen des gedachten Kollektivindividuums „Volk“ nicht verwirklicht. Das Verhältnis der meisten Deutschen zur Politik hatte mit diesem trockenen Pragmatismus wenig zu tun; es war religiöser Natur. Konservative etwa, die der vermeintlichen Herrlichkeit des Kaiserreichs nachtrauerten, warfen der Republik geradezu vor, kein erhebender Anblick, kein mächtiger Bau zu sein, sondern bloß eine Firma. Damit fassten sie das Wesen einer demokratischen Republik in der Tat zutreffend zusammen. (Man sollte diese Kritik auch nicht leichtfertig als reaktionär oder faschistisch abtun; ob religiös aufgeladene Gemeinwesen auf die Dauer den demokratischen Verfassungsstaaten nicht doch überlegen sind, ist eine immer noch offene Frage.)

Am zum Schluss geradezu sturzartigen Niedergang der liberalen Parteien, deren Politikverständnis dem „Firmen“-Ideal am nächsten kam, lässt sich ablesen, wie weitgehend die religiöse Politikauffassung in Deutschland Fuß gefasst hatte.

Zweitens: Eng verwandt mit diesem religiösen ist das militante Politikverständnis, ablesbar bereits an der Selbstdarstellung der Parteien. Es kam in der damaligen Politik in einem heute kaum noch vorstellbaren Ausmaß darauf an, „die Straße“ zu beherrschen; Demonstrationen waren keine Betroffenheitslatschdemos wie heute, sondern militärische Aufmärsche mit Fahnen, Uniformen, Marschmusik, und das sozialdemokratische Reichsbanner unterschied sich in dieser Hinsicht nicht vom Stahlhelm, dem Roten Frontkämpferbund oder der SA; selbst das Zentrum bemühte sich um ein martialisches Gepräge, eine wirkliche Ausnahme stellten – auch hier – allenfalls die liberalen Parteien dar. Die Symbolik entsprach dem Selbstverständnis der Parteien, die sich als Armeen ihrer Sache auffassten, die einen Feind zu vernichten hatten. Mit einem demokratischen Politikverständnis, zu dem notwendig auch der Kompromiss, meinetwegen auch die Kungelei gehört, hatte dies – auch bei den Sozialdemokraten – nichts zu tun.

Es spricht Bände, welche Rolle das Wort „Führer“ schon in den zwanziger Jahren spielte; es kam selbst beim Zentrum niemandem merkwürdig vor, wenn der Prälat Kaas auf Parteitagen nicht etwa als „unser Vorsitzender“, sondern als „unser Führer“ angekündigt wurde. Wenn man sich als Quasi-Armee versteht, ist das konsequent: Eine Armee braucht einen, der zumindest symbolisch vorangeht – ein „Vorsitzender“ kann das nicht leisten, weil er, nun ja, ein Sitzender ist.

Drittens: Schon im Kaiserreich, erst recht nach der Erfahrung des Weltkriegs, war das Ordnungsideal der Deutschen das Militär gewesen: eine straff zentralisierte, hierarchisch gegliederte, auf Befehl und Gehorsam basierende Großorganisation – ein Ideal, das in der Wirtschaft so selbstverständlich galt wie in den Parteien und Gewerkschaften. Es ist nicht einmal besonders boshaft zu behaupten, dass die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften zur Militarisierung der Arbeiterschaft mindestens ebenso viel beigetragen haben wie die preußische Armee. Was wir uns heute unter „Zivilgesellschaft“ vorstellen und als Voraussetzung von Demokratie betrachten, wäre damals kaum verstanden worden – wiederum mit Ausnahme der Liberalen -; allein das Wort „zivil“ klang schon schlapp. Das „Führerprinzip“ war für große Teile der deutschen Gesellschaft der Sache nach schon ein Ideal gewesen, lange bevor die Nazis es so nannten.

Viertens: Im Verlauf des Ersten Weltkriegs waren die Kriegsziele (nicht etwa nur der Obersten Heeresleitung, sondern wiederum großer Teile der Gesellschaft) immer weiter ausgeufert; am Ende konnte niemandem verborgen bleiben, dass Deutschland um die Errichtung eines europäischen Imperiums kämpfte. Was ich übrigens nicht kritisiere; ich glaube, dass Europa bis heute besser dran wäre, wenn Deutschland den Ersten Weltkrieg gewonnen hätte – aber das ist ein anderes Thema. Das Erbe dieser Zeit war eine Auffassung von Außenpolitik als eines Machtkampfes der Nationen, das heißt eines Kampfes um Herrschaft. Selbst die Sozialisten machten da keine Ausnahme: Sie kritisierten zwar leidenschaftlich den „Imperialismus“, aber indem sie ihn als unvermeidliche Folge des Kapitalismus deuteten, also als etwas, was im Grunde nur durch eine Weltrevolution (sprich: überhaupt nicht) zu überwinden war, bestätigten sie letztlich nur die sozialdarwinistischen Auffassungen ihrer Gegner.

Sebastian Haffner hat eindrucksvoll beschrieben, wie dieses Denken sich während des Krieges gerade in den Köpfen der 1900 bis 1910 Geborenen festsetzte, die zu jung waren, um am Krieg teilzunehmen, aber alt genug, um den täglichen Heeresbericht zu lesen. Sie waren, schreibt er sinngemäß, auch später außerstande, in Nationen etwas anderes zu sehen als gigantische Sportvereine, die um den „Endsieg“ kämpfen. Es war diese Generation, aus der die Nazis ihre ersten, meisten und leidenschaftlichsten Anhänger rekrutierten.

Fünftens: Franz Janka hat in seiner zu Unrecht wenig beachteten, brillanten Studie „Die braune Gesellschaft. Ein Volk wird formatiert… “ die Idee der „Volksgemeinschaft“ als die zentrale Idee des Nationalsozialismus herausgearbeitet: zentral auch im Hinblick auf seine Fähigkeit, Massenunterstützung zu mobilisieren. Die Idee der „Gemeinschaft“ war schon vor 1914 als Gegenbild zur schnöden „Gesellschaft“ entwickelt worden, in der jeder egoistisch seinen Interessen folgt. Was ursprünglich eine Kategorie soziologischer Analyse gewesen war, wurde sehr schnell politisch aufgeladen und als Utopie gegen die liberale Gesellschaft in Stellung gebracht. Das Erlebnis des Ersten Weltkriegs, speziell des zum nationalen Mythos erhobenen August 1914 illustrierte diese Utopie einer verschworenen (Krieger-)Gemeinschaft auf eine für Viele so eindrucksvolle Weise, dass das bloße Wort „Volksgemeinschaft“ genügte, bei jedem Einzelnen eine Kaskade von meist positiven Bildern und Assoziationen in Gang zu setzen, die alle etwas mit nationaler Solidarität, mit Heldentum und der Überwindung von Klassen- und Konfessionsschranken zu tun hatten. Einer genauen Begriffsbestimmung schien es bei einem emotional so hochgradig aufgeladenen Wort gar nicht zu bedürfen, und selbst sozialistisch geprägten Arbeitern, die den nationalen Mythen noch am skeptischsten gegenüberstanden, schien eine „Volksgemeinschaft“ wenn schon keine materielle Gleichheit, so doch wenigstens gleichen Anspruch auf soziale Anerkennung zu verheißen. Hinzu kam, dass auch die massenwirksamen Gegenideale des Christentums und des Sozialismus letztlich Gemeinschafts-Ideale waren. Kurz und gut: Die Sehnsucht nach „Gemeinschaft“ war die Basisutopie der Deutschen, und nachdem die Nationalsozialisten ihre „Volksgemeinschaft“ erst einmal etabliert hatten, war es auch für viele Christen und Sozialisten nur noch ein kleiner Schritt, ihre alten Gemeinschaftsideale über Bord zu werfen und sich in die „Volksgemeinschaft“ einzufügen.

Sechstens: Wenn ich den Antisemitismus als sechsten Faktor anführe, so muss ich zunächst einem denkbaren Missverständnis vorbeugen: Ich vertrete nicht die Goldhagen-These, wonach die Ermordung der Juden ein deutsches Nationalprojekt gewesen sei, das die Billigung einer Mehrheit gefunden hätte (was nichts daran ändert, dass in einem rein objektiven Sinne praktisch Alle in irgendeiner Form darin verstrickt waren – auch ein Vernichtungslager stand ja nur so lange, wie die Front hielt). Ich halte die Goldhagen-These für überzogen, weil es keine empirischen Anhaltspunkte dafür gibt, dass auch nur der Boykott vom April 1933 oder die Nürnberger Gesetze breite Billigung gefunden hätten – von der Ermordung der Juden ganz zu schweigen, die dementsprechend so geheim wie möglich vollzogen wurde. Auch an den Verbrechen der Reichskristallnacht beteiligten sich meines Wissens nur diejenigen, die dazu abkommandiert waren (weswegen ich auch nicht den politisch korrekten Ausdruck „Reichspogromnacht“ verwende – für mich ein klassisches Beispiel für die unvermeidliche Dummheit von Political Correctness: Das Wort „Pogrom“ enthält ein Moment spontaner Massengewalt, und wer es in Bezug auf den 9.November 1938 verwendet, übernimmt praktisch die Goebbelssche Lesart, wonach es sich um einen spontanen Ausbruch des Volkszorns gehandelt habe). Auf sehr viele Deutsche, vielleicht eine Mehrheit, wirkten sie ausgesprochen abstoßend.

Andererseits war die wüste antisemitische Propaganda der NSDAP für die Mehrheit der Deutschen kein Grund, Hitler nicht zu wählen, und taten der Judenboykott, die Arierparagraphen, die Nürnberger Gesetze der Popularität Hitlers keinen merklichen Abbruch, auf die Dauer auch nicht die Kristallnacht. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die deutsche Gesellschaft sehr wohl bereit war, der Ermordung der Geisteskranken Einhalt zu gebieten, nicht aber der der Juden. Und es gibt aus der Zeit vor Hitler ungezählte Zeugnisse dafür, dass Antisemitismus im Sinne einer allgemeinen (nicht unbedingt gegen Einzelpersonen gerichteten) Abneigung gegen Juden, sehr weit verbreitet, ja fast schon selbstverständlich war. Ich vermute, dass es sich um die Einstellung einer Mehrheit handelte.

Ganz sicher die Einstellung einer Mehrheit war aber, dass die Juden nicht zu „uns“, also zur Wir-Gruppe der Deutschen gehörten, und wenn sie zehnmal mit dem Eisernen Kreuz dekoriert waren. Unter dieser Voraussetzung musste es spontan einleuchten, wenn die starke Position von Juden in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst von den Nationalsozialisten als eine Art „Fremdherrschaft“ gebrandmarkt wurde, von der es das deutsche Volk zu „befreien“ gelte. Die Bereitschaft, antisemitische Ideologie zu akzeptieren, war also durchaus vorhanden. Sie ist nicht einfach dasselbe, wie die Bereitschaft einen Massenmord zu begehen oder auch nur zu billigen, wohl aber die Voraussetzung dafür, ein antisemitisches Regime, das solches tut, zu dulden und ungeachtet seines Antisemitismus zu unterstützen.

Fassen wir zusammen: Die überwältigende Mehrheit der Deutschen, einschließlich der Sozialisten und engagierten Christen, hielt Politik für die Verwirklichung religiöser oder quasi-religiöser Ideale, fand es selbstverständlich, dass man zu diesem Zeck politische Gegner physisch bekämpfte, betrachtete das Führerprinzip als Ordnungsideal, hielt internationale Politik essenziell für einen Machtkampf von Nationen, betrachtete Juden als fremde Eindringlinge und sehnte sich der Volksgemeinschaft.

Und nun frage ich: Welche Ideologie und welches politische System passte zu einem solchen Volk?

Die Frage stellen heißt sie beantworten.

 

Harald Welzer: „Opa war kein Nazi“

(Rezension) 

[Sämtliche Bücher von Harald Welzer gibt es HIER]

2002 erschienen, ist „Opa war kein Nazi“ bereits heute ein Klassiker, an dem niemand vorbeikommt, der wissen möchte, wie die Deutschen sich zu ihrer braunen Vergangenheit stellen. Tatsächlich stellen. Denn offiziell gibt es ja keinerlei Unklarheiten: Die „nationalsozialistische Gewaltherrschaft“, wie der politisch korrekte Terminus immer noch lautet, war ein durch und durch verbrecherisches und unmenschliches System. Der einzig zulässige Umgang damit ist eine Politik des „Nie wieder!“, die Lehre, die aus der Geschichte zu ziehen ist, lautet, konsequent für Demokratie, Frieden und Menschenrechte einzutreten. So weit das offizielle Geschichtsbild.

Wer in Deutschland lebt, weiß, dass dies nur die Vorderseite der Medaille ist, und dass auf der Rückseite vielleicht kein genau gegenteiliger, aber doch ein anderer Text steht. Als Eva Herman 2007 meinte, die vermeintlich „guten Seiten“ des Nationalsozialismus thematisieren zu müssen, wurde sie vom wissenschaftlichen, politischen und Medien-Establishment geprügelt, von vielen Normalbürgern aber vehement in Schutz genommen. Von Normalbürgern, deren Geschichtsbild ziemlich genau dem von Eva Herman entsprach, und die dieses Bild nicht (mehr) aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt sehen wollten.

Wie derart unterschiedliche Versionen ein und derselben Geschichte zustande kommen – eine Elitengeschichte, eine Volksgeschichte -, darüber hat Harald Welzer eine grundlegende Hypothese entwickelt, die durch die Ergebnisse der Studie „Opa war kein Nazi“ erhärtet wurde: Er vermutet

einen Unterschied im Bewusstsein über die Geschichte, der allzu oft übersehen wird, einen Unterschied zwischen kognitivem Geschichtswissen und emotionalen Vorstellungen über die Vergangenheit. Auf der Ebene emotionaler Erinnerungen scheinen sich Bindungskräfte und Faszinosa gegenüber der nationalsozialistischen Vergangenheit entfalten und erhalten zu können, die merkwürdig unverbunden mit dem Wissen über diese Zeit sind, und zwar über die Generationen hinweg. Metaphorisch gesprochen, existiert neben einem wissensbasierten ‚Lexikon’ der nationalsozialistischen Vergangenheit ein weiteres, emotional bedeutenderes Referenzsystem für die Interpretation dieser Vergangenheit: eines, zu dem konkrete Personen – Eltern, Großeltern, Verwandte – ebenso gehören wie Briefe, Fotos und persönliche Dokumente aus der Familiengeschichte. Dieses ‚Album’ vom ‚Dritten Reich’ ist mit Krieg und Heldentum, Leiden, Verzicht und Opferschaft, Faszination und Größenphantasien bebildert, und nicht, wie das ‚Lexikon’, mit Verbrechen, Ausgrenzung und Vernichtung.

(…)

Die Annahme, dass Geschichtsbewusstsein eine kognitive und eine emotionale Dimension hat, wird auch dadurch gestützt, dass das menschliche Gedächtnis mit unterschiedlichen Systemen für kognitive und emotionale Erinnerungen operiert, und nichts macht das greifbarer, als wenn man Angehörige der Zeitzeugengeneration, die ihre Vergangenheit ‚aufgearbeitet’ haben und der nationalsozialistischen Geschichte höchst kritisch gegenüberstehen, mit leuchtenden Augen über ‚ihre Zeit’ und ihre Erfahrungen bei der HJ oder bei der Luftwaffe berichten hört.“ (S.9f.)

Welzers Buch, und allein das würde es schon lesenswert machen, gibt dem Leser eine Erklärung für dessen eigene manchmal verwirrende Erfahrungen mit Zeitzeugen an die Hand. Ich erinnere mich an eine Deutschlehrerin, die uns bei jeder Gelegenheit versicherte, wie furchtbar die NS-Zeit war, und wie froh wir sein sollten, in einem demokratischen Staat zu leben. Sie war geradezu besessen von dem Thema: Egal, ob es um Schiller ging oder um Walther von der Vogelweide oder um deutsche Grammatik, irgendwie kriegte sie immer die Kurve zu ihrem Lieblingsthema. Ging es aber um ihre eigenen Erfahrungen mit dieser Zeit, dann sah man die von Welzer erwähnten leuchtenden (blauen) Augen, mit denen unsere blonde Lehrerin („Ich entsprach ja dem Ideal“) uns vom BDM erzählte und von den „feschen schwarzen Uniformen“ (der SS) vorschwärmte – nur um uns eine halbe Minute später zu versichern, „wie furchtbar das alles war“. Da tat sich eine gewisse Glaubwürdigkeitslücke auf, zumal die Dame zu Freudschen Fehlleistungen tendierte (von einer Kollegin namens „Goebel“ sprach sie immer als von „Frau Doktor Goebbels“). Es gibt nichts Garstigeres als den Humor von Gymnasiasten, und die ansonsten hervorragende Lehrerin wurde, ohne es zu ahnen, zur Zielscheibe ungezählter Witze.

Da, wie Raul Hilberg einmal formuliert hat, der Holocaust in Deutschland Familiengeschichte ist, stehen ‚Lexikon’ und ‚Album’ gleichsam nebeneinander im Wohnzimmerregal, und die Familienmitglieder haben die Aufgabe, die sich widersprechenden Inhalte beider Bücher zur Deckung zu bringen.“ (S.10)

Die Frage, auf welche Weise dies geschieht, ist Gegenstand der Studie. Welzers Forschungsteam befragte dazu zwischen 1997 und 2000 Angehörige von vierzig Familien, insgesamt 142 Personen, und zwar sowohl in Familiengesprächen als auch in Einzelinterviews. In jeder Familie war jeweils mindestens ein Angehöriger der Zeitzeugengeneration (Jg. 1906 bis 1933) sowie der Generation ihrer Kinder und Enkel vertreten.

Es ist faszinierend, zum Teil auch höchst belustigend, zu erleben, wie die Erzählungen der Zeitzeugen von ihren Kindern und vor allem Enkeln nach Art des Spiels „Stille Post“ in den Einzelgesprächen völlig anders wiedergegeben werden als sie ursprünglich erzählt worden waren. Dabei folgen die Veränderungen durchgehend demselben Schema:

Versuchen schon die Zeitzeugen selbst, sich nach Möglichkeit als Nichtnazis oder Regimegegner zu präsentieren, die gegen ihre wahre Überzeugung mitgemacht hätten, so enthalten ihre Erzählungen doch Anhaltspunkte genug, die einen kritischen Zuhörer veranlassen müssten, diese Selbstdarstellung in Frage zu stellen. Das reicht von deutlichen antisemitischen Vorurteilen über die Mitgliedschaft in SA und NSDAP bis hin zu eigenen Kriegsverbrechen (die aber als solche weder von den Erzählern selbst noch von ihren Zuhörern wahrgenommen werden, und sogar die wissenschaftlich geschulten Interviewer scheinen in der Gesprächssituation so gefangen zu sein, dass sie den Erzählern deren Selbstdarstellung abnehmen).

In den Einzelgesprächen mit Kindern und Enkeln filtern diese aus den Erzählungen der Zeitzeugen alles heraus, was auf eine damals pronazistische Einstellung ihrer Angehörigen (erst recht auf die Beteiligung an Verbrechen) hindeuten könnte; zugleich erfährt jeder Teilaspekt, der sich auch nur irgendwie dazu eignet, eine Umdeutung, die die eigenen (Groß-)Eltern, wenn schon nicht als Widerstandskämpfer, so doch als (vom heutigen Standpunkt) integre Persönlichkeiten dastehen lässt. Welzer nennt dieses Phänomen „kumulative Heroisierung“.

In diesen Gesprächen werden insgesamt 2535 Geschichten erzählt. Nicht wenige davon verändern sich auf ihrem Weg von Generation zu Generation so, dass aus Antisemiten Widerstandskämpfer und aus Gestapo-Beamten Judenschützer werden.“ (S.11)

Da das „Mitmachen“ als solches aber nicht aus den Erzählungen eliminiert werden kann, unterbreiten meist die Zeitzeugen selbst ein Deutungsangebot, das von den Nachkommen aufgegriffen und verinnerlicht wird:

wenn etwa unsere Zeitzeugen oder die Verwandten, über die sie berichten, in die Partei ‚eintreten mussten’, in den Krieg ‚gehen mussten’ oder der Verfolgung … der jüdischen Bevölkerung ‚zusehen mussten’. Das alles haben sie im Gegensatz zu den ‚Nazis’ nicht aus Überzeugung und gern getan, sondern, weil ‚man’ das damals machte oder weil man damit Schlimmeres verhüten konnte …“ (S.205)

oder weil man sonst ins KZ gekommen wäre, wie in etlichen Gesprächen wie selbstverständlich als Regelfolge jedes auch nur irgendwie nonkonformen Verhaltens unterstellt wird.

„… im Übrigen haben sie im Rahmen ihrer Funktionen stets versucht, sich wie gute Menschen zu verhalten – anders wiederum als die ‚150-prozentigen Nazis’, die in ihren Erzählungen als chronische Widersacher auftreten.“ (S.205f.)

Die Nazis sind immer die anderen.

Für das Geschichtsbild vom Nationalsozialismus und vom Holocaust bedeutet das Phänomen der kumulativen Heroisierung … eine Restauration der tradierten, aber eigentlich längst abgelösten Alltagstheorie, dass ‚die Nazis’ und ‚die Deutschen’ zwei verschiedene Personengruppen gewesen seien, dass ‚die Deutschen’ als Verführte, Missbrauchte, ihrer Jugend beraubte Gruppe zu betrachten seien, die selbst Opfer des Nationalsozialismus war.

(…)

Zwischen dem Bild eines sich zunehmend enthistorisierenden Menschheitsverbrechens auf der einen und einem sich zunehmend enthisorisierenden Nationalsozialismus auf der anderen Seite entsteht im Geschichtsbewusstsein … eine Lücke, in der der Vorgang der sozialen Erstellung des genozidalen Prozesses zu verschwinden droht – und dies bei allem faktischen Geschichtswissen, das der Geschichtsunterricht, die politische Bildung und die Gedenkstättenarbeit in den vergangenen Jahrzehnten so erfolgreich etablieren konnten.“ (S.79f.)

In besagter Lücke verschwindet aber noch einiges andere, unter anderem die mentalen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung einer demokratischen Gesellschaft.

Die deutsche Marotte, jeden politischen Sachverhalt, der in irgendeiner Form mit Diktatur, Menschenrechtsverletzungen oder Krieg zu tun hat, mit den Verhältnissen und Praktiken des Dritten Reiches zu vergleichen, liefert einen deutlichen Hinweis darauf, dass den meisten Deutschen bis heute nicht klar ist, was den spezifischen Charakter des Nationalsozialismus ausmachte, wie er funktionierte, und wo seine Wurzeln lagen. Es ist ja bemerkenswert, dass zwar ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die moralische Verurteilung der NS-Herrschaft besteht, nicht aber über die Frage, wie „es“ überhaupt möglich war; und das hat nicht nur mit der Komplexität des Themas zu tun. Es hat meines Erachtens – und Welzers Studie bestärkt mich in dieser Auffassung – vor allem damit zu tun, dass man das Dritte Reich nur verstehen kann, wenn man es als ein gemeinsames nationales Projekt der damaligen Deutschen auffasst; und genau vor dieser Erkenntnis wollen Viele sich drücken.

Das bedeutet nicht, dass damals alle Deutschen glühende Verfechter des Nationalsozialismus gewesen wären, (Die Bereitschaft, sich einer politischen Ideologie mit Haut und Haaren zu verschreiben, ist zu allen Zeiten die Marotte einer Minderheit gewesen), sondern dass sie die ideologischen Voraussetzungen des Nationalsozialismus als geltenden moralischen Bezugsrahmen akzeptiert (im Sinne von: nicht hinterfragt) haben – also das Projekt der Weltherrschaft, die Ideologie der Volksgemeinschaft, den Ausschluss der Juden aus dieser Gemeinschaft, die Selbstbeschreibung als Herrenvolk, um nur die markantesten Punkte zu nennen, natürlich auch die Legitimität der NS-Herrschaft selber.

Eine solche Interpretation des Nationalsozialismus muss mit den Legenden kollidieren, die in der familiären Überlieferung gesponnen werden. Wenn „Opa kein Nazi“ war (obwohl er vielleicht in der SA oder SS war), dann war eigentlich niemand einer, und die regimeloyale Haltung der Deutschen wäre kaum anders zu erklären als mit der Gewaltandrohung von Seiten „der Nazis“. Was auch die Zählebigkeit der Floskel „nationalsozialistische Gewaltherrschaft“ erklärt, über die ich mich schon an anderer Stelle mokiert habe.

Der spezifisch totalitäre Charakter der NS-Herrschaft fällt damit unter den Tisch. Natürlich haben die Nazis politische Gegner eingesperrt und getötet, wie andere Diktaturen auch, z.B. Militärregimes. Die Gewaltandrohung, Kennzeichen jeder Diktatur, kann Menschen aber nur dazu bringen, zu unterlassen, was sie an sich tun wollen. Sie kann sie unmöglich veranlassen zu wollen, was sie sollen! Genau darin liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen einer ordinären Diktatur und einem totalitären Regime. Ein solches ist darauf angewiesen, die Menschen für sich und seine Projekte zu begeistern, und genau daraus resultieren die Charakteristika totalitärer Ideologien:

Totalitäre Herrschaft setzt die vollständige, und zwar nicht zähneknirschende, sondern gewollte und bejahte, Unterordnung des Einzelnen unter das Kollektiv voraus („Du bist nichts, dein Volk ist alles!“). Normalerweise sind Menschen dazu nur unter zwei Voraussetzungen bereit:

Einmal, wenn sich dieses Kollektiv im Konflikt mit einem anderen befindet. Dieser Konflikt kann sich gegen einen inneren oder äußeren Feind richten, er kann im Prinzip auch fiktiver Natur sein, aber wirklich überzeugend ist er nur als erfahrbare Wirklichkeit, also als bewaffneter Konflikt. Totalitäre Regime sind daher strukturell friedensunfähig. (Der Niedergang der totalitären Herrschaft in der Sowjetunion wie auch in China setzte in dem Moment ein, wo die Regime aufhörten, Innenpolitik als permanenten Bürgerkrieg zu inszenieren.)

Zum Zweiten muss das Kollektiv in sich eine religiöse Dimension aufweisen, die der Existenz seiner Mitglieder einen Bezug zum Transzendenten, zum Ewigen und Göttlichen – mit einem Wort: einen Sinn – verschafft. Totalitäre Ideologie und Herrschaft wird daher regelmäßig utopistischen Charakter haben: Ziel kann die Welterlösung durch den Kommunismus (oder auch den Islam) sein, oder die Errichtung des tausendjährigen Reiches einer heroischen Kriegergemeinschaft, oder was auch immer. Nur eines muss es auf jeden Fall sein: gigantisch.

Beide Aspekte des Totalitarismus erfordern, wenn sie in ein und derselben Ideologie vereint sein sollen, nicht irgendeinen, sondern den totalen Feind, dessen Vernichtung gleichbedeutend mit der Verwirklichung der Utopie ist. Totalitäre Ideologien – man erkennt sie geradezu daran – sind als Endkampf zwischen Gut und Böse konzipiert, weisen mithin eine apokalyptische Struktur auf.

Das Dritte Reich versteht man am besten, wenn man es als eine apokalyptische Massensekte auffasst: mit „Deutschland“ als Gottheit, dem „Führer“ als Messias, der „Volksgemeinschaft“ als Gemeinschaft der Gläubigen. Wie das in Religionsgemeinschaften so ist, gibt es ein Zentrum von Priestern und Theologen, und um dieses Zentrum in konzentrischen Kreisen die engagierten Laien, die frommen Kirchgänger und die im Alltag nicht ganz so Gläubigen, die aber die Theologie ihrer Kirche im Prinzip akzeptieren, jedenfalls nicht dagegen aufbegehren. Ganz am Rande die wenigen, die wirklich nur Zwangsmitglieder sind. Und außerhalb der Sekte: der Feind.

Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass die einfachen Gläubigen, die Kirchgänger und die nur ein bisschen Gläubigen genauso zur Religionsgemeinschaft gehören wie die Priester und Theologen, ja dass der Klerus ohne die Laien gar nicht existieren kann. Die „150-prozentigen Nazis“, von denen sich Welzers Gesprächspartner naserümpfend distanzieren, hätten ohne die „guten Deutschen“, die „nur ihre Pflicht taten“, keinen Moment an der Macht bleiben können, und da genügte nicht der passive Gehorsam, es bedurfte schon einer grundsätzlichen Bejahung des Nationalsozialismus.

Auf das Verhältnis beider Gruppen trifft das zu, was ich in anderem Zusammenhang über das Verhältnis von Gemäßigten und Extremisten geschrieben habe:

Man macht sich überhaupt zu wenig klar, wie sehr jeder Extremismus von den ‚Gemäßigten’ lebt: Eine Gruppe wie die RAF hätte niemals entstehen können ohne eine gemäßigte Linke, die ihr die ideologischen Versatzstücke lieferte und aus der sich der Terrornachwuchs rekrutierte. Ein Drittes Reich hätte nie existieren können ohne den ganz normalen Antisemitismus des Durchschnittsdeutschen. Eine ETA, eine IRA, eine Hamas, eine Hisbollah schwimmen in ihrem ‚gemäßigten’ Umfeld wie der Fisch im Wasser.
Alleine das Wort ‚gemäßigt’ ist bezeichnend: Gemäßigt sein kann man ja nur in Bezug auf einen Extremismus, der damit gleichsam zum Normalzustand erklärt wird, und die ‚Mäßigung’ besteht eben darin, von dessen Zielen ein paar Abstriche zu machen, eventuell auch die Methoden abzulehnen (…wobei man aber doch verstehen müsse, dass…). Ein Gemäßigter ist jemand, der die Prämissen der Extremisten teilt und nur vor den Konsequenzen zurückschreckt.“

Die Opa-war-kein-Nazi-Legende führt nicht nur zu einem schiefen Geschichtsbild. Sie führt dazu, dass man totalitäre Ideologien nicht als solche durchschauen kann. Normalerweise erkennt man sie an ihrem religiösen Charakter: an ihrer Selbstimmunisierung gegen Kritik durch Bezugnahme auf nicht hinterfragbare Prämissen, auch auf Zirkelschlüsse, an utopischen Heilslehren, an der Fingierung eines absoluten Feindes (des „Bösen“) – mit einem Wort: an ihrer Struktur, nicht an konkreten Inhalten. Was Sebastian Haffner über Hitler schrieb, nämlich dass die Prämissen seiner Weltanschauung unoriginell waren, trifft auf alle totalitären Ideologien zu. Totalitär werden diese Prämissen erst durch die immanente Logik, nach der sie verknüpft werden.

Indem die politische Linke den Begriff des Totalitären auf den Index gesetzt und stattdessen den des „Faschismus“ favorisiert hat, hat sie das Ihre dazu beigetragen, solche Zusammenhänge zu verunklaren. „Antifaschismus“ bedeutet nämlich, gerade nicht die Strukturen einer Ideologie zu kritisieren, sondern einzelne inhaltliche Versatzstücke, etwa Rassismus, Nationalismus oder Militarismus (was immer das im Einzelfall sein mag) aus dem Zusammenhang zu reißen und für per se „faschistisch“ (und das heißt: „böse“) zu erklären.

Eine solche ideologische Disposition enthält bereits in sich ein totalitäres Element, insofern politische Diskurse nicht mehr durch die Unterscheidung „Wahr/Unwahr“ strukturiert werden, sondern durch „Gut/Böse“. Wahrheiten können dann als „böse“ stigmatisiert, Unwahrheiten als „gut“ (oder auch „politisch korrekt“) für sakrosankt erklärt werden. „Antifaschistisch“ mag ein solcher Diskurs sein, antitotalitär ist er – wegen seiner religiösen Struktur – gerade nicht, und mit einem liberalen Begriff von öffentlichem Diskurs ist er schlechterdings unvereinbar.

Dabei verstärken der Gut/Böse-Diskurs und die Opa-war-kein-Nazi-Legende sich gegenseitig: Wenn der Nationalsozialismus schlicht und einfach „das Böse“ war, dann kann der gute Opa kein Nazi gewesen sein, und wenn Opa kein Nazi war, dann braucht man nach den Ursachen und der Funktionsweise des Dritten Reiches nicht mehr zu fragen, sondern kann sich darauf beschränken, „das Böse“ zu bekämpfen, indem man bestimmte Meinungen bekämpft, die man für faschistisch hält.

Wozu ein derart unredlicher Umgang mit der Vergangenheit führen kann, zeigt sich im Zusammenhang mit dem Thema „Antisemitismus“. In Welzers Studie haben die Angehörigen der Enkelgeneration den offensichtlichen und selbstverständlichen Antisemitismus ihrer Großeltern nicht nur nicht wahrgenommen (zumal letztere selbstredend betonen, dass sie ja persönlich nichts gegen Juden hätten), sie haben sie teilweise auch noch zu Judenrettern befördert.

Den Enkeln scheint dies plausibel, weil die Großeltern ja angeblich keine persönlichen Vorurteile gegen Juden hatten. Auf diese Weise wird Antisemitismus bagatellisiert als x-beliebiges soziales Vorurteil von der Sorte, wie man sie auch gegen Obdachlose oder Homosexuelle hegen kann. (Auf wissenschaftlicher Ebene findet sich diese Einstellung in Wilhelm Heitmeyers Studien zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, die als Syndrom jede nur erdenkliche Art von sozialem Vorurteil umfasst, unter „ferner liefen“ auch den Antisemitismus). Vorurteile dieser Art gibt es aber, seit es Menschen gibt. Wenn man Antisemitismus nur deshalb bekämpft, weil er unter anderem auch gruppenbezogene Vorurteile enthält, und weil man Vorurteile schlechthin für faschistisch hält, dann verlegt man die Ursachen für gesellschaftliche Fehlentwicklungen (wie z.B. die Entstehung des Dritten Reiches) in die Köpfe der Menschen, denen es mithin das „alte Denken“ und das „falsche Bewusstsein“ auszutreiben gilt. Die politische Konsequenz aus einer solchen Ideologie ist die Forderung nach Gehirnwäsche.

Natürlich haben sich die Nationalsozialisten bestehende soziale Vorurteile gegen Juden zunutze gemacht. Charakteristisch für den nationalsozialistischen Antisemitismus war aber nicht bloße Abneigung aufgrund von Vorurteilen, sondern die Konstruktion „des Juden“ als des totalen Feindes, der nicht nur aus der Gesellschaft, sondern geradezu aus Menschheit hinausdefiniert wurde. „Der Jude“ war für die Nazis die säkularisierte Version des Antichristen. Eine solche ideologische Feindkonstruktion ist aber nicht die bloß graduelle Steigerung eines Vorurteils, sondern etwas qualitativ anderes. Und es war derjenige Punkt ihrer Ideologie, an dem deren totalitärer Charakter so greifbar war wie nirgendwo sonst.

Die Deutschen, die „persönlich“ nichts gegen Juden hatten, haben die Ausgrenzung und Vernichtung der Juden, wenn nicht im Einzelfall gewollt, so doch billigend in Kauf genommen, weil die Denkfigur, wonach „der Jude“ der Feind sei, schon seit dem frühen Mittelalter eine kulturelle Selbstverständlichkeit darstellte, die die Nazis bloß noch zu aktualisieren und politisch aufzuladen brauchten.

Wer natürlich glaubt, Antisemitismus sei bloß ein Vorurteil, und wer keine Vorurteile gegen Juden habe, sei auch kein Antisemit, braucht sich weder mit Opas Antisemitismus auseinanderzusetzen noch mit dem eigenen. Da kann man durchaus der Meinung sein, die Vernichtung des Staates Israel sei der Schlüssel zum Weltfrieden, und sich einbilden, mit Antisemitismus habe das nichts zu tun – schließlich habe man persönlich ja nichts gegen Juden.

Der Fairness halber muss man natürlich eines zugestehen: Den Nationalsozialismus als deutsches Nationalprojekt zu interpretieren heißt erklären zu müssen, warum die meisten Deutschen sich damals für dieses Projekt begeisterten. Erklären heißt in einem solchen Zusammenhang aber auch: verstehen. Und vom Verstehen zum Rechtfertigen ist es nur ein kleiner Schritt.

Ich vermute, dass die Unredlichkeit, mit der in unserem Land über die damalige Zeit gesprochen wird, auch mit einem psychologisch nachvollziehbaren Abwehrbedürfnis zusammenhängt: Man will auf keinen Fall irgendeinen Gedanken hegen oder gar äußern, der sich auch nur irgendwie als Rechtfertigung des NS-Regimes lesen ließe, und nimmt lieber ein schiefes und in seinen politisch-ideologischen Implikationen hochproblematisches Geschichtsbild in Kauf.

Das ist nicht unsympathisch. Wer aber solche Anstrengungen unternehmen muss, um sich nicht selbst der Sympathie mit dem Nationalsozialismus verdächtigen zu müssen, erweckt den Verdacht, dass er etwas verdrängt. Es könnte sein, dass viele von uns Deutschen sich mit dem Deutschland Hitlers emotional viel stärker identifizieren, als sie selber wahrhaben wollen.

Geschützt: Der mekkanische Koran: Eine Themenanalyse

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James Sheehan: „Kontinent der Gewalt. Europas langer Weg zum Frieden“

(Kurzrezension)

James Sheehan beschreibt „Europas langen Weg zum Frieden“ als einen Umweg: Der Zustand eines nach innen und außen weitgehend befriedeten Europa, den wir heute genießen, war nämlich vor 1914 schon einmal erreicht gewesen. Man ist sich heute dessen gar nicht mehr so bewusst, weil man ja weiß, was danach kam. Stefan Zweig hat in seinen Lebenserinnerungen („Die Welt von Gestern“) die Zeit vor 1914 „das Zeitalter der Sicherheit“ genannt.

 

Ich fasse Sheehans Argumentation zusammen:

 

Das Jahrhundert vom Wiener Kongress 1815 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war das friedlichste in der Geschichte Europas gewesen; seit 1871 hatte es überhaupt keinen Krieg der Großmächte mehr gegeben, und die Abschaffung des Krieges überhaupt schien erstmals eine reale Möglichkeit zu sein.

 

Freilich war sie auch eine Notwendigkeit: Die hochtechnisierten Massenheere der europäischen Großmächte, das sahen hellsichtige Analytiker schon im 19. Jahrhundert, konnten den Krieg gegeneinander nur als totalen Krieg führen, der eine entsprechend umfassende Zerstörung hinterlassen würde.

 

Genau so kam es. Der Erste Weltkrieg vernichtete nicht nur Menschenleben, Staaten und Kapital. Er zerstörte die friedfertige Zivilität, die bis dahin die Völker Europas ausgezeichnet hatte. Die Gewaltideologien des Faschismus und des Kommunismus verhinderten die Rückkehr Europas zu einer rationalen und friedlichen Politik, die zumindest in den westlichen Staaten angestrebt wurde.

 

Dort erwuchs aus der apokalyptischen Erfahrung des Weltkriegs ein leidenschaftlicher Pazifismus, der die speziell vom Nationalsozialismus ausgehende Gefahr bagatellisieren zu können glaubte. Die daraus resultierende Appeasement-Politik ermöglichte Hitler erst die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und die Zerstörung Europas.

 

Paradoxerweise war es gerade der Kalte Krieg, der zur Entmilitarisierung der europäischen Politik führte. Unter dem eisernen Panzer der Supermächte verloren die europäischen Staaten de facto die Fähigkeit zur autonomen Kriegführung und zugleich jedes Interesse daran.

 

Die westeuropäischen Staaten der Nachkriegszeit waren und sind zivile Staaten in dem Sinne, dass sie das Ziel maximalen Wohlstands für ihre Völker verfolgen und in Institutionen wie der EU in einem Maße zusammenarbeiten, das vor 1914 unvorstellbar gewesen wäre.

 

Sogar im Ostblock war das Maß an Repression in der Ära nach Stalin bei weitem nicht vergleichbar mit den Gewaltexzessen der Revolution und des Stalinismus, und so erscheint es wie der folgerichtige Abschluss dieser Entwicklung, dass Gorbatschow den sowjetischen Imperialismus kassierte, Osteuropa freigab und auf friedliche innere Reform setzte.

 

Wer freilich die zivile, ja pazifistische Disposition des heutigen Europa zum Modell machen und als solches dem amerikanischen „Militarismus“ polemisch entgegensetzen will, verkennt, dass Europa nach wie vor in einer hochgradig gefährlichen Welt existiert und auf eigene Gewaltanwendung nur deshalb verzichten kann, weil die USA nach wie vor zur Kriegführung fähig und gegebenenfalls auch bereit sind.

 

Europa, das hat sich spätestens beim Zerfall Jugoslawiens gezeigt, ist ein amerikanisches Protektorat, das unfähig ist, seine eigenen vitalen Interessen zu wahren, zumindest dann, wenn dazu die Anwendung militärischer Gewalt erforderlich ist.

 

Dies wird auch so bleiben, sofern Europa sich nicht zu einem Bundesstaat mit eigenem Militär und eigener Außenpolitik mausert. Ein solcher Staat wäre eine Supermacht; aber er wird nicht entstehen, weil es für die Europäer wesentlich bequemer ist, den Schutz Amerikas in Anspruch zu nehmen, an dem festzuhalten, was von der nationalen Souveränität noch übrig ist, und die Abhängigkeit von den USA als notwendiges Übel in Kauf zu nehmen.

 

Soweit Sheehan. Ich kann nicht behaupten, dass mir seine Schlussfolgerung gefällt, aber wenn ich einen größeren Betrag wetten müsste, würde ich seiner Prognose realistischerweise eine größere Chance auf Verwirklichung einräumen als meiner eigenen Hoffnung, dass Europa wieder lernt, seine eigenen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen und seine eigenen Interessen selbst zu vertreten.

 

Es ist nun einmal einfacher, auch bequemer, auch billiger, die eigene Sicherheit einem Anderen anzuvertrauen, und den Preis in Gestalt von Abhängigkeit zu bezahlen. Solange dieser Andere ein freundlicher Hegemon ist wie Amerika, der Europa seine Abhängigkeit nur gelegentlich und nur mäßig spüren lässt, mag das alles angehen.

 

Was aber, wenn Amerika sich zurückzieht? Was, wenn es zum unfreundlichen Hegemon wird? Was, wenn es den Preis erhöht? Was, wenn es nicht mehr stark genug ist, seine Protektorenrolle zu spielen?

Die Obama-Lotterie

Ich lege mich fest: Der vierundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird Barack Hussein Obama heißen. Obama hat drei Schwächen, auf die die Republikaner sich einschießen werden: Seine Unerfahrenheit, sein Gutmenschentum und seine Hautfarbe.

Letztere ist zwar nicht an sich eine Schwäche – wenn die Republikaner Colin Powell oder Condoleezza Rice nominiert hätten, hätten wohl nur eingefleischte Rassisten ein Problem damit gehabt -, sie wird aber zur Schwäche durch seine Herkunft aus einem politischen Milieu, in dem Rassismus gegen Weiße und Hass gegen das eigene Land zum guten Ton gehören. Die Predigten seines väterlichen Freundes Jeremiah Wright sprachen Bände, zumal Obama solchen Reden Jahre um Jahre zugehört haben muss, ohne zu protestieren oder sich abzuwenden. Allein Wrights letzter Auftritt in Washington hätte Obama das Genick brechen müssen. Hat er aber nicht. Ähnlich wie Ronald Reagan scheint Obama teflonbeschichtet zu sein – alles gleitet an ihm ab.

Das Gutmenschentum – also die Neigung zu Dialog, Diplomatie, Multilateralismus: Kann so jemand ein Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte sein? Ich fürchte, nach acht Jahren Bush lässt sich aus solchen Überlegungen kein Wahlkampfknüller mehr gewinnen.

Seine Unerfahrenheit: Die hat schon Hillary Clinton auszuschlachten versucht („Nachts um drei im Weißen Haus klingelt das Telefon. Irgendwo auf der Welt braut sich eine bedrohliche Krise zusammen. Wer, meinen Sie, sollte jetzt im Weißen Haus den Hörer abnehmen?“), mit einem gewissen Erfolg, der aber nicht durchschlagend war.

Schwächen also hat er, aber sie scheinen seine Stärken nicht aufzuwiegen: Obama ist ein phantastischer Redner, einer, dem durchaus so etwas wie eine Gettysburg address zuzutrauen ist; er hat das Charisma eines Messias; und seine Botschaften – change! Yes, we can! – sind so uramerikanisch, dass sie auf eine Nation wie die amerikanische mit ihrer unerschöpflichen Bereitschaft, Neues zu wagen und sich selbst neu zu erfinden, einfach unwiderstehlich wirken müssen. McCain sieht dagegen buchstäblich alt aus.

Der vierundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten wird also Barack Obama heißen. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Zunächst wird dem Antiamerikanismus eine Weile das Maul gestopft werden: Ein Amerika, das von einem Schwarzen regiert wird, genießt allein deshalb schon den Schutz der Political Correctness, wenigstens eine Zeitlang. Und wahrscheinlich haben auch die Kommentatoren Recht, die glauben, dass Amerika unter den Bewohnern der Dritten Welt ebenso an Sympathien gewinnen wird wie in Europa. In der Dritten Welt, weil der US-Präsident dann aussieht „wie wir“ und vielleicht weniger „imperialistisch“ sein könnte. In Europa, weil man dort genau das erwähnte Gutmenschentum schätzt.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder enttäuscht er diese Erwartungen, dann wird die Sympathie schnell dahin sein. Oder er erfüllt sie. Dann wäre das die schlechte Nachricht.

Den meisten Europäern ist nicht bewusst, dass sie sich ihren eigenen Pazifismus nur deshalb leisten können, weil Amerika eben nicht pazifistisch ist. Obama will mit Allen reden: mit dem Iran, mit Syrien, wahrscheinlich auch mit der Hamas und der Hisbollah. Ist er sich wirklich bewusst, dass diese Leute Feinde seines Landes sind? Ist er sich darüber im Klaren, dass Israel die Zwölf auf deren Zielscheibe ist? Dass es die exponierte weiche Kinnspitze des Westens ist, ungefähr das, was im Kalten Krieg West-Berlin war? Weiß er, dass der, der eine Politik des „Wandels durch Annäherung“ versucht – etwa gegenüber dem Iran -, an einem Abgrund namens „Appeasement“ balanciert, und dass es großer Staatskunst bedarf, da nicht abzustürzen? Und verfügt er über diese Staatskunst – Stichwort „Unerfahrenheit“? Eine Annäherung an den Iran liegt im Bereich des Möglichen, aber nicht in dem des Erfreulichen. (Siehe auch meinen Artikel „Wie vertrauenswürdig ist Amerika?“)

Barack Obama ist bisher nicht mehr als eine Projektionsfläche. Wir wissen nicht, was er tun wird, wir wissen nur, was er symbolisiert: Antirassismus, Multilateralismus, Multikulturalismus, multireligiösen Hintergrund. Ich gebe zu, dass mir nicht wirklich wohl bei dem Gedanken ist, dass der mächtigste Mann der Welt ausgerechnet Hussein heißt und in seiner Kindheit in Indonesien eine islamische Schule besucht hat. In der islamischen Welt wird ihm das Sympathien einbringen – wahrscheinlich wird in Kürze irgendwo eine Fatwa auftauchen, die ihn zum Muslim erklärt, wie Goethe und Wilhelm II. -; hoffen wir, dass er nichts tut, sich diese Sympathien zu verdienen.

Antirassismus ist auch so ein Punkt, bei dem ich nachdenklich werde: Der „Kampf gegen den Rassismus“ wird mittlerweile zur Parole, unter der in Wirklichkeit ein Kampf gegen die westliche Demokratie geführt wird. (Und wieder verweise ich auf einen meiner Artikel: „Ist das schon rassistisch?“). Was, wenn nicht mehr die Ohnmacht der UNO, sondern die Macht der USA hinter Kampagnen steht, mit denen europäische Staaten eingeschüchtert werden sollen?

Obama ist ein ungewöhnlich sympathischer Politiker, und er ist Idealist. Ein Mann, der das gute Amerika verkörpert. Wie Woodrow Wilson. Wie Jimmy Carter. Es könnte sein, dass ein weniger sympathischer US-Präsident besser für die Welt wäre.

Natürlich kann es sein, dass ich Gespenster sehe. Vielleicht hält Obama wirklich die Balance zwischen Idealismus und Realismus. Vielleicht schwächt er wirklich die antiwestliche Feindschaft weltweit, und damit auch die Feinde des Westens. Vielleicht verändert er wirklich die Welt zum Guten.

Ich meine das gar nicht so hypothetisch, wie es vielleicht klingt. Er ist ein Politiker von außergewöhnlichem Format. Er hat die Chance, der beste Präsident zu werden, den die USA jemals hatten.

Oder der schlechteste.

Seyran Ateş: „Der Multikulti-Irrtum“

(Rezension)

  

Die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ateş ist bekannt als engagierte Kritikerin der Zustände in türkischen und kurdischen Parallelgesellschaften in Deutschland; als Kritikerin von Ehrenmorden, Zwangsverheiratungen, ehelichen Vergewaltigungen, Verschleppungen von Frauen und Kindern und der schier allgegenwärtigen körperlichen Gewalt innerhalb muslimischer Zuwanderungsfamilien. Sie hat vor Gericht unzählige Opfer solcher Praktiken, meist Frauen, vertreten.

Entsprechend oft bekommt sie Morddrohungen aus dem Milieu, hat körperliche Angriffe, darunter einen Mordanschlag, überlebt, sah sich massiven Hetzkampagnen der türkischen Presse (speziell „Hürriyet“) ausgesetzt und wird von sogenannten Migrationsforschern verleumdet, die die Ursachen für migrationsbedingte Probleme überall suchen, nur nicht bei den Migranten selbst.

In ihrem Buch „Der Multikulti-Irrtum“ setzt sie sich mit den genannten Missständen auseinander, wobei die Situation muslimischer Frauen im Mittelpunkt steht. Sie führt die Probleme zurück auf

– patriarchalisch-autoritäre Familienstrukturen die vom Herrschaftsanspruch des Patriarchen ausgehen, den dieser auch mit Gewalt durchsetzen darf, ja beinahe muss,

– den sozialen Druck, der von der Großfamilie, aber auch vom türkischen Milieu insgesamt ausgeht und die Einhaltung traditioneller Normen erzwingt,

– einen ihrer Meinung nach falsch verstandenen, in jedem Falle aber unzeitgemäßen Islam,

– den geringen Bildungsstand der meisten Türken in Deutschland,

– einen mittelalterlich anmutenden Jungfräulichkeitskult, der muslimische Männer geradezu verpflichtet, ihre Frauen, Töchter und Schwestern wegzusperren, zu kontrollieren oder ihnen zumindest das Kopftuch aufzuzwingen und

– eine auf die Spitze getriebene „Mannesehre“, die von der Unterdrückung der Frau abhängt und sich in ihr äußert.

Sie behauptet natürlich nicht, dass es in allen Familien so zugeht; genaue Zahlen sind schwer zu bekommen, nicht zuletzt wegen der segensreichen Tätigkeit besagter „Migrationsforscher“; immerhin lassen die vorhandenen Daten den Schluss zu, dass die obige Beschreibung auf mindestens ein Drittel des Milieus zutrifft, und das ist noch optimistisch geschätzt.

Dabei zeigt sich eine deutliche Tendenz zur Verfestigung dieser Parallelgesellschaften. Ateş kritisiert vehement die Bereitschaft der deutschen Gesellschaft, insbesondere der Behörden und Gerichte, solche Missstände hinzunehmen oder aus falsch verstandener kulturrelativistischer Toleranz zu verharmlosen. (Multikulti-Ideologen sind ihre Lieblingsfeinde, daher der Titel des Buches).

Sie behauptet allerdings auch, der Rückzug in die Parallelgesellschaft sei nicht nur der Gleichgültigkeit der deutschen Gesellschaft anzulasten, sondern auch ihrem Mangel an Bereitschaft, Menschen ausländischer Herkunft, speziell Moslems, überhaupt als Teil der deutschen Gesellschaft zu akzeptieren („Wann kehren Sie in ihre Heimat zurück?“).

Sie plädiert dafür, dass Migranten sich an dem orientieren, was sie die „europäische Leitkultur“ nennt – sprich an Menschenrechten, Demokratie, Toleranz, Gleichberechtigung der Geschlechter, Trennung von Politik und Religion. Und dafür, dass der deutsche Staat alle Register zieht, um sowohl mit gesetzlichem Zwang (einschließlich des Kopftuchverbotes) als auch mit umfassenden Hilfsangeboten von Lehrern, Sozialarbeitern, Beratungsstellen usw. die Respektierung dieser Normen zu erzwingen.

Von muslimischen Migranten sei zu verlangen, ihren Islam zu reformieren, ihn zeitgemäß in einem rein spirituellen Sinne zu leben und speziell diejenigen islamischen Normen über Bord zu werfen, die mit der Demokratie unvereinbar seien. Es komme für sie darauf an, eine „transkulturelle Identität“ zu entwickeln – also gleichermaßen Europäer wie türkische Muslime zu sein, wobei von der islamischen Identität eben die illiberalen und gewalttätigen Züge abzuziehen seien, wohingegen es gelte, die türkische bzw. kurdische Muttersprache zu pflegen.

Der aufmerksame Leser, der meine sonstigen Texte kennt, wird schon an diesem lustlosen Referat gemerkt haben, dass ich von Ateşs Thesen nicht gerade erbaut bin.

Natürlich hat sie mit vielem Recht: mit ihrer Polemik gegen Multikulti-Ideologen, ihrer Kritik an der Unterdrückung muslimischer Frauen, ihrem Plädoyer für die Auflösung der Parallelgesellschaften, ihrem Insistieren darauf, dass ein demokratischer Staat die Menschenrechte zu verteidigen hat, auch die von muslimischen Frauen, und dass er nicht die Einführung der Scharia durch die Hintertür dulden darf. Auch die Vielzahl der von ihr angeführten Beispiele macht das Buch allemal lesenswert, und manch einer fragt sich vielleicht, was ausgerechnet ich gegen eine so profilierte Islamkritikerin einzuwenden habe.

Im Unrecht ist sie nicht mit ihrer Kritik, sondern mit dem, was ihr positiv vorschwebt. Das beginnt mit ihrem Selbstverständnis:

„‚Deutschländer‘, so werden … die in Deutschland lebenden Türken in der Türkei genannt. Der Begriff war in erster Linie negativ gemeint, ich finde ihn allerdings sehr zutreffend für Menschen, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, ohne auf eine lange Familiengeschichte in Deutschland zurückzublicken. Man könnte ja anfangen, ihn positiv zu besetzen. ‚Deutschländer‘ gefällt mit jedenfalls um einiges besser als alle anderen Varianten. Ich persönlich kann mich recht gut mit ihm identifizieren – auch wenn es eine Würstchensorte gibt, die so heißt. In dem Begriff ‚Deutschländer‘ ist Deutschland enthalten, das Land, in dem wir leben, und er betont die Zugehörigkeit zu diesem Land, zu seiner Gesellschaft.“ (S.26 f.)

Zum Land ja. Zur Gesellschaft ja. Zur Nation – nein!

Deutschland, das sagt sie oft genug, ist ihre Heimat, aber die Deutschen, das sagt sie, indem sie es nicht sagt, sind nicht ihre Nation. Sie wird lieber mit einem Würstchen verwechselt als für eine Deutsche gehalten. (Meinetwegen auch für eine türkischstämmige Deutsche – in Zusammenhängen, in denen es darauf ankommt.)

Seyran Ateş leistet rühmenswerte Arbeit, und das seit Jahrzehnten. Sie kämpft für die Menschenrechte und für die Werte „unseres Grundgesetzes“ (Ja, sie sagt „unser Grundgesetz“). Sie riskiert sogar ihr Leben dafür. Ohne Zweifel gereicht sie unserer Gesellschaft zur Zierde. Wenn so eine partout keine Deutsche sein will – wer eigentlich dann?

(Komplementär dazu verwendet sie den Begriff „Urdeutsche“ für

„die Deutschen, die vor der Gastarbeiteranwerbung in den 60er Jahren bereits seit mehreren Generationen in Deutschland lebten“ (Anm. 2, S.277)

Ungeachtet der präzisen Definition finde ich dies sprachlich reichlich verunglückt. Unter einem „Urdeutschen“ stelle ich mir eine pittoreske, knorrig-romantische Figur vor, mit der man Grimms Märchen verfilmen könnte, und fühle mich leicht veralbert, wenn man mich so tituliert.)

Ähnliche Bauchschmerzen bereitet mir der Begriff der „europäischen Leitkultur“. So etwas gibt es zwar, aber die kulturelle Sprache Europas kennt mindestens ebenso viele Dialekte, wie es europäische Nationen gibt, und sie existiert auch nur in Gestalt dieser Dialekte, nicht etwa als Hochsprache. Mehr noch: Zur europäischen Leitkultur gehört unabweisbar der Gedanke der Nation! Unsere Staaten sind Nationalstaaten und nicht bessere Verwaltungseinheiten, deren Grenzen man ebensogut auch anders hätte ziehen können.

Eine Nation aber ist nicht etwa die Summe ihrer Staatsbürger, sondern die zwischen ihnen bestehende Solidarität, die – zumindest als Idee und als Norm – der Demokratie im europäischen Sinne zugrundeliegt. Die Nation ist ein politischer Solidarverband. Sie ist ein Wir.

Da hilft es auch nicht, sich nach „Europa“ zu flüchten: Selbst ein europäischer Bundesstaat, wenn er denn von den Völkern gewollt würde, könnte nur die Solidarität zwischen den europäischen Nationen organisieren und institutionalisieren, nicht aber die innerhalb der Nation ersetzen. (Und die Europäische Union wird keine Zukunft haben, wenn sie die Nationen weiterhin als lästiges Relikt aus der Vergangenheit behandelt; Nationalismuskritik war nach den Exzessen des zwanzigsten Jahrhunderts weiß Gott angebracht, aber sie darf einen nicht dazu verleiten, das Kind mit dem Bade auszuschütten.)

Mit „Kultur“ hat die Zugehörigkeit zu einer Nation zunächst nicht viel zu tun: Die Alemannen dies- und jenseits des Bodensees unterscheiden sich kulturell so gut wie gar nicht, gehören aber verschiedenen Nationen an. Umgekehrt gibt es allein schon aufgrund der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Lebensstile große kulturelle Unterschiede innerhalb einer Nation, ohne dass deren Charakter als Wir-Gruppe dadurch in Frage gestellt würde.

So gesehen wäre auch gegen Ateşs Konzept der „transkulturellen Identität“ – also gegen das Zuhausesein in verschiedenen Kulturen – nichts einzuwenden, wenn sie nicht ihren türkischen Identitätsanteil gegen die Zugehörigkeit zur deutschen Nation ins Feld führte, und dies nicht als private Einstellung, sondern als gesellschaftliches Leitbild. Und wenn – ja, wenn die ihrer Meinung nach zu pflegende Herkunftskultur nicht ausgerechnet eine islamische wäre:

Seyran Ateş beschreibt ebenso anschaulich wie eindrucksvoll, dass viele Muslime unter dem Diktat der öffentlichen Meinung ihrer Gesellschaft bzw. Parallelgesellschaft leben; da muss schon mal die Frau weggesperrt werden, weil der Clan oder der Nachbar sonst denken könnte, man sei kein „richtiger Mann“. Und tragikomisch ist, wenn sie schreibt, wie auf Seiten ihrer Mandanten wie auch der Prozessgegner ganze Großfamilien, Freunde, Nachbarn in den jeweiligen Fall hineinreden.

Was sie nicht wahrzunehmen scheint, ist die Verankerung solchen Verhaltens in der islamischen Ethik, die – juristisch formuliert – ein objektivrechtliches Normensystem ist: Verwerflich ist nicht, was einem Anderen schadet – so würden wir das sehen -, sondern was gegen objektive Normen, letztlich gegen den Willen Allahs, verstößt.

Ein solcher Verstoß geht dann in der Tat Jeden etwas an, und Jeder muss sich auch zuvörderst Gedanken darüber machen, „was die Leute sagen“. Ateş argumentiert wortreich, dass man den Koran in vieler Hinsicht – etwa bei der Verschleierung oder beim Alkoholverbot – auch liberaler auslegen könnte, als es traditionell geschieht. Das ist richtig, ist aber nicht der springende Punkt. Kulturell entscheidend ist, dass nicht die ethische Einsicht des Einzelnen, sondern die gesellschaftlich vorherrschende Interpretation des Islam – und sei sie noch so liberal – den Maßstab dafür abgibt, was verwerflich ist und was nicht.

Daran wird m.E. auch ihre Forderung scheitern, den Islam auf seine rein spirituellen Dimensionen zurückzustutzen. Jeder Einzelne für sich kann das natürlich tun – sofern er eine starke Persönlichkeit wie Seyran Ateş ist. Kann man sich aber ernsthaft vorstellen, dass eine solche Interpretation, die den Koran als Richtschnur des Handelns zur Disposition stellt und deshalb von neunzig Prozent aller Muslime weltweit als Kufr abgelehnt werden dürfte, von der Mehrheit der hiesigen Muslime als Leitbild akzeptiert wird?

Wenn es dafür überhaupt eine Chance geben soll, dann ist die Identifikation mit der deutschen Nation und das Ende der Identifikation mit der Herkunftskultur geradezu die Voraussetzung dafür: Wer sich – und sei es nur „unter anderem“ – als Angehöriger der türkischen Kultur fühlt, schaut immer mit einem Auge in den Rückspiegel. Einem muslimischen Deutschen kann es völlig egal sein, ob man ihn in Anatolien für einen „Ungläubigen“ hält, einem „Deutschländer“ aber nicht.

Die meisten Menschen haben ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einem Großkollektiv. Und wer seine Identität nicht in der Zugehörigkeit zur Nation sucht und findet, der sucht und findet sie eben anderswo, notfalls in der Umma.

Dabei ist kaum zu erkennen, was von der türkisch-islamischen Kultur eigentlich übrigbleibt, wenn man alles abzieht, was Ateş gerne abgezogen sehen möchte, nämlich die Dominanz der Familie über den Einzelnen, den türkischen Nationalismus, die Verbindlichkeit islamischer Normen, den Machismo, die Bereitschaft zur privaten Gewaltanwendung.

Was bleibt da übrig?

Orientalische Musik, Lammhaxe statt Schweinshaxe, Interesse an türkischer Literatur und Geschichte, ein wenig Folklore. Nichts, was nicht auch einem aufgeschlossenen Deutschen einfallen könnte. Nichts, was man nicht als Privatsache behandeln könnte. Und vor allem nichts, was die Verrenkungen rechtfertigen würde, die Ateş aufführt, um nur ja keine Deutsche zu sein.

Selbstverständlich erwartet kein Mensch von eingebürgerten Ausländern, vom Moment der Einbürgerung an deutsch zu tümeln, oder rund um die Uhr „dessen eingedenk zu sein, dass sie Deutsche sind“ – das tun wir doch Alle nicht. Dass sie sich aber als Teil der Nation verstehen, sprich als Deutsche, und nicht als Gruppe mit Sonderstatus in der Nation, sprich als „Deutschländer“: Das ist – zumindest als Norm – eine Selbstverständlichkeit. Es ist so selbstverständlich, dass es einem kaum noch bewusst ist. Ateş aber, die sonst den gesamten Katalog westlicher Werte akzeptiert, lässt ausgerechnet das Konzept „Nation“ unter den Tisch fallen.

Das gibt zu denken. Möglicherweise haben die Islamisten wieder einmal auf ihre Art Recht, wenn sie den säkularen Nationalismus als unislamisches Importgut ablehnen. Zwar hat der Nationalismus auch in der islamischen Welt Fuß gefasst – wir kennen ihn etwa als türkischen, persischen, pakistanischen und (pan-)arabischen Nationalismus.

Dies alles sind aber Völker mit überwältigender muslimischer Mehrheit. Dagegen ist mir kein einziger Fall bekannt, wo Muslime als Minderheit sich mit der Nation als primärer politischer Gemeinschaft identifizieren. Ich vermute, dass die Prägung durch islamische Wertvorstellungen, insbesondere durch das Gebot der innermuslimischen Solidarität, so dominant ist, dass es selbst für säkulare und liberale Muslime wie Ateş buchstäblich undenkbar ist, einer nichtmuslimischen politischen Wir-Gruppe anzugehören und diese Zugehörigkeit als Teil der eigenen Identität aufzufassen.

Bezeichnend ist auch, dass sie es nicht für erforderlich hält, uns „Urdeutsche“ mit Argumenten davon zu überzeugen, dass wir ein Interesse haben sollen, den „Deutschländern“ die politische Gleichberechtigung zuzuerkennen, wenn deren Loyalität unserer Nation gegenüber bestenfalls zweifelhaft ist, sie einer Religion angehören, die man nur unter erheblicher Geistesakrobatik halbwegs verfassungskonform zurechtbiegen kann, aus deren Mitte daher immer wieder Extremisten und Verfassungsfeinde hervorgehen werden, und von denen zu erwarten ist, dass sie vor allem untereinander solidarisch sind – gegebenenfalls in Form einer Solidarität der „Transkulturellen“ – gegen die Mehrheitsgesellschaft.

Dies auch dann, wenn der von Ateş favorisierte Euro-Islam tatsächlich die dominierende Option unter hiesigen Muslimen wäre.

Ohne uns „Urdeutsche“ also davon zu überzeugen, dass wir daran ein Interesse haben, fordert sie, Deutschland solle sich nicht nur als „Zuwanderungsgesellschaft“, sondern als „Einwanderungsgesellschaft“ definieren, so wie die USA und Kanada, damit auch Muslime sich willkommen fühlen und nicht die Hürde nehmen müssen, sich als Deutsche zu verstehen.

Wenn sie die nordamerikanischen Länder als Vorbild heranzieht, dann übersieht sie einen wesentlichen Punkt: Deren Selbstverständnis als Einwanderungsgesellschaft ist Teil ihrer nationalen Identität (weil diese Nationen ohne Einwanderung gar nicht existieren würden). Wer aber von den Deutschen (oder irgendeiner anderen europäischen Nation) fordert, ihr nationales Selbstverständnis zu korrigieren und sich als „Einwanderungsgesellschaft“ zu verstehen, sollte sich darüber im Klaren sein (und so ehrlich sein zuzugeben), dass die Änderung einer Kollektividentität kaum anders zu bewerkstelligen ist als durch die ideologisch motivierte und politisch oktroyierte Vergewaltigung der Mehrheitsgesellschaft.

Das Ergebnis dieser Vergewaltigung – das hat gerade Ateşs Argumentation deutlich genug gezeigt – wäre nicht eine neue nationale Identität, sondern eine nichtnationale Identität der Nation, also ein Widerspruch in sich. Die deutsche Nation, darauf läuft es hinaus, soll als solche aufhören zu existieren.

 

Glückwunsch, FC Bayern!

Ich glaube schon einmal irgendwo erwähnt zu haben, dass ich zwar seit zwanzig Jahren Wahlberliner bin, aber aus München stamme. Viel verbindet mich mit meiner alten Heimatstadt nicht mehr, nicht einmal der Akzent verrät noch, wo ich herkomme; bei Bedarf berlinere ick wie’n altjedienter Weddinger.

 

Nur in einem Punkt bin ich Münchner geblieben: beim Fußball. Ich kann mich beim besten Willen nicht für die Hertha erwärmen; mein Verein ist und bleibt – na welcher wohl? Richtig!

 

1860.

 

Ich bin also nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, die Bayern zu hassen. Und mich damit in das große Heer der FC-Bayern-Hasser einzureihen, der Feinde des unbeliebtesten Vereins der Republik.

 

Nun gerate ich aber in einen Gewissenskonflikt: Gegen die Bayern zu sein gilt als politisch korrekt. Man ist für St. Pauli, Freiburg, Nürnberg, Kaiserslautern oder eben Sechzig – aber doch nicht für Bayern! Warum? Weil die Bayern ihre Erfolge mit Geld erkaufen, dadurch alle anderen Vereine in die zweite Reihe drängen, nicht in der Heimaterde verwurzelt sind, sondern Fans weltweit haben, weil sie arrogant sind und auf dem Feld nur das Nötigste tun. Außerdem haben sie Uli Hoeneß.

 

Nur kann man das alles auch ganz anders lesen: Es stimmt schon, dass der Erfolg im Fußball Geld bringt und das Geld den Erfolg begünstigt. Das wissen auch Alle, und Alle verhalten sich danach. Die Vereine, die die Chance hatten, zu den Bayern aufzuschließen, Dortmund zum Beispiel, Bremen, Leverkusen – die haben es alle nicht geschafft. Sie haben nicht die höhere Moral, sie haben nur weniger Erfolg. Wer weltweit Fans hat, muss wohl ziemlich guten Fußball spielen; und Uli Hoeneß mag schlecht erzogen sein – wenn auch schwerlich schlechter als Rudi Assauer – aber er versteht sein Handwerk, was man nicht von allen Bundesliga-Managern behaupten kann. (Und was die Verwurzelung in der Heimaterde angeht, so hat die durchaus ihre problematischen Seiten, wie sich 1933 zeigte, als – peinlich, peinlich – 1860 sich gar nicht genug SA-Leute in den Vorstand holen konnte, während die Bayern so lange wie irgend möglich an ihrem jüdischen Präsidenten festhielten.)

 

Was also wirft man den Bayern vor? Den Erfolg, und dass sie guten Fußball spielen. Der Deutsche Gutmensch zieht es nämlich vor, in zugigen alten Stadien eine schlechte Mannschaft null zu fünf untergehen zu sehen, und hält dies für den Beweis seiner überlegenen Sportmoral. Der Masochismus eines mittelalterlichen Flagellanten: Lieber einen schlechten Fußball als einen – Pfui! – kapitalistischen. Das ist nichts anderes als Political Correctness, kombiniert mit linker Sozialromantik.

 

Nachdem ich alles über Bord geworfen habe, was irgendwie links ist, täglich einen Gutmenschen frühstücke und gegen die PC wettere: Wäre es da nicht konsequent, auch als Fußballfan Nägel mit Köpfen zu machen und zu den Bayern zu konvertieren?

 

Ja, das wäre konsequent. Aber beim besten Willen: Das bringe ich nicht!

 

Es ist eine Sache zuzugeben, dass die Bayern sich ihre Erfolge redlich verdient haben. Auch ein Fußballfan darf gelegentlich sportlich fair sein. Eine ganz andere Sache wäre es, in einer Fankurve zu stehen und „Bayern, Bayern!“ zu rufen.

 

Ein Fußballfan wird schon als Kind auf seinen Verein geprägt wie ein Entenküken auf seine Mama. Dieses Herzklopfen und Bauchkribbeln, wenn die eigene Mannschaft aufläuft – das kann man nicht willkürlich manipulieren und auf eine andere übertragen. Fan sein heißt nicht, eine Religion zu haben (von der man abfallen kann), sondern ein Schicksal zu erleiden, mit dem man leben muss.

 

Nur ist das ja kein Grund, die zu hassen, deren Schicksal leichter ist.

 

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, FC Bayern, zu Pokal und Meisterschaft, und viel Erfolg in der kommenden Champions-League-Saison!

Tote Hosen

Campino, der Sänger der Toten Hosen, hat sich meine bleibende Antipathie dadurch gesichert, dass er sich während der Fußball-WM 2006 als England-Fan offenbart hat.

England! Nur Oranje wäre noch perverser gewesen.

Halten wir ihm zugute, dass er einer Gesellschaft entstammt, in der man sich eher mit bedrohten Fledermäusen als mit bedrohten Mitmenschen solidarisiert. In einer Gesellschaft, in der die Kleine Hufeisennase ein Bauprojekt zu Fall bringen kann, der dafür zuständige Bürgermeister aber nicht und die UNESCO schon gar nicht, ist die Solidarisierung mit der englischen Nationalmannschaft eine Verschrobenheit der harmloseren Art. Immerhin beweist Campino damit, dass er ein Herz für Verlierer hat, deren einziger Titel älter ist als ihre ältesten aktiven Nationalspieler und zudem durch die Blindheit respektive Deutschfeindlichkeit eines sowjetischen Linienrichters zustandegekommen ist.

Zumindest diese Eigenschaften haben die Toten Hosen mit besagtem Linienrichter gemein. Ihr neuester Hit hat den Refrain:

„Es gibt 1000 gute Gründe,
auf dieses Land stolz zu sein.
Warum fällt uns jetzt auf einmal
kein einziger mehr ein?“

Tja. Wenn ich es mir recht überlege, habe auch ich erhebliche Zweifel, ob man auf Deutschland wirklich stolz sein kann. Ob man wirklich stolz darauf sein sollte, einer Gesellschaft anzugehören, zu deren prominentesten Künstlern Leute wie die Hosen gehören, die gegen das eigene Land Stimmung machen, oder wie Herbert Grönemeyer, der uns vorschnulzt, es gebe keinen Feind (und schon gar keinen Sieg), und der sich „Kinder an die Macht“ wünscht. Oder wie die Prinzen, die im Gegensatz zu Grölemeyer zwar singen können, dieses Talent aber zu Liedern wie diesem missbrauchen:

…Wir sind besonders gut im auf die Fresse hauen/Auch im Feuer legen kann man uns vertrauen./Wir stehen auf Ordnung und Sauberkeit./Wir sind jederzeit für ’nen Krieg bereit./Schönen Gruß an die Welt — seht es endlich ein:/Wir können stolz auf Deutschland sein./Schwein, Schwein, Schwein …/Das alles ist Deutschland…

Merken diese Leute eigentlich noch, was für einen Stuss sie von sich geben? „Jederzeit für ’nen Krieg bereit“? Ach, wenn es doch nur so wäre! Die afghanischen Zivilisten, deren Zukunft davon abhängt, dass die Taliban geschlagen werden, würden es uns sicherlich danken, und auch um das eigene Land müsste man sich weniger Sorgen machen als jetzt, wo es sich in der eigenen Wehrlosigkeit suhlt.

Interessant – und für den Zustand unserer Gesellschaft aufschlussreich – ist, dass solch mutwillig und gehässig gegen das eigene Land gerichtete Lieder anstandslos im Radio gespielt werden, ohne dass irgendeiner meckert (was allein schon die Texte ad absurdum führt), während vermutlich Zigtausende auf die Straße gingen, wenn es einem Radiosender einfiele, die Böhsen Onkelz oder sonst eine rechte Rockgruppe zu spielen.

Es geht mir nicht darum, ob man dies oder jenes zulassen oder verbieten sollte. Es geht mir um die Wertematrix, die hinter der Akzeptanz des einen bei gleichzeitiger Ablehnung des anderen steht, also um die kuriose Prioritätensetzung, die offenbar so tief verinnerlicht ist, dass kaum noch einer sie irgendwie merkwürdig findet.

Was gilt denn im politischen Bereich als moralisch gut? Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber folgende Dinge dürften dazugehören:

Entwicklungshilfe, Internationalismus, Gewaltlosigkeit, Respekt vor fremden Kulturen und Religionen, verbunden mit Kritik gegenüber der eigenen.

Und was gilt als böse?

Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Diskriminierung, Imperialismus, Nationalismus, kulturelle Arroganz.

Als „gut“ gilt, was Anderen nützt, als „böse“, was Anderen schadet. Die Verfolgung der Interessen des eigenen Gemeinwesens kommt in diesem Tugendkatalog gar nicht oder mit negativer Wertung vor.

Der ideologische Code unserer Gesellschaft basiert also auf einer ausschließlich altruistischen Wertematrix. Man erkennt darin unschwer die aufs Kollektiv projizierte christliche Individualethik, die vor der Selbstgerechtigkeit warnt („Richtet nicht, auf dass Ihr nicht gerichtet werdet“) und der Liebe zum Feind einen höheren ethischen Rang zuweist als der zum Freund („Und wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben ihre Freunde“ (Lk 6,32))

Es scheint niemandem (mehr) aufzufallen, dass eine solche Bevorzugung der fremden Gruppe gegenüber der eigenen Allem ins Gesicht schlägt, was seit Anbeginn der Menschheit als ethisch wertvolles Verhalten gilt, und zwar auch in den christlichen Gesellschaften der ersten beiden Jahrtausende.

Noch vor einem halben Jahrhundert galten auch in westlichen Gesellschaften sowohl Familiensinn als auch Patriotismus ganz selbstverständlich als hohe Tugenden; allgemein gesprochen galt die Solidarität mit der je eigenen Gruppe – auch und gerade im Konflikt mit Fremdgruppen – von jeher als zentrale Sozialnorm. Zentral deshalb, weil eine Gesellschaft, in der sie nicht gegolten hätte, als nicht überlebensfähig eingeschätzt worden wäre.

Warum das so gesehen wurde? Nun, vielleicht bestanden die zehntausenden von Generationen, die uns vorangingen, aus xenophoben Chauvinisten respektive unaufgeklärten Dummbeuteln, und erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts fand die Menschheit, zumindest aber deren weißer, westlicher und christlicher Teil, zu einer wahrhaft humanen und aufgeklärten Ethik. Plausibel ist das nicht, aber als zumindest hypothetische Möglichkeit sei es in Betracht gezogen.

Welche ethischen Normen müssen eigentlich gelten, damit so etwas wie „Gesellschaft“ möglich wird?

Beginnen wir, de Einfachheit halber, mit der Grundnorm unseres eigenen Kulturkreises, der sogenannten Goldenen Regel:

„Wie Ihr wollt, dass die Leute Euch tun sollen, also tut Ihnen auch.“ (Lk 6,31)

Die säkulare Variante ist als Kategorischer Imperative bekannt und lautet:

„Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“

Diese Normen beinhalten zunächst die Aufforderung, nicht einfach egoistisch seine persönlichen Interessen durchzusetzen, sondern sich an bestimmte Regeln zu halten, geschriebene wie ungeschriebene. Und da wir empirisch keine Gesellschaften beobachten können, die auf die Dauer auf der Basis des schieren Individualegoismus existieren, vielmehr feststellen müssen, dass in allen Gesellschaften (die nicht gerade in Auflösung begriffen sind) bestimmte Regeln gelten und vom Einzelnen verinnerlicht werden (sollen), können wir die oben genannten Prinzipien als universell gültig unterstellen.

Machen wir uns nun an ein paar einfachen Beispielen klar, dass Ethik für den Einzelnen eine Zumutung darstellt: Ein Wahlbürger verzichtet darauf, den Sonntagnachmittag auf dem Sofa zu verbringen und marschiert hunderte von Metern zum Wahllokal, womöglich bei strömendem Regen, obwohl er genau weiß, dass seine Stimme nicht die Wahl entscheidet. Ein U-Bahn-Fahrgast bezahlt sein Ticket, obwohl er weiß, dass die Gefahr, beim Schwarzfahren erwischt zu werden, denkbar gering ist, und dass die U-Bahn auch fährt, wenn er nicht bezahlt. Ein Soldat riskiert sein Leben für sein Land, wohl wissend, dass sich am Kriegsausgang nichts ändern würde, wenn er einfach nach Hause ginge und das Siegen Anderen überließe.

Ethisches Verhalten ist also geprägt durch ein deutliches, im Falle des Soldaten sogar extremes Missverhältnis zwischen den Kosten, die der Einzelne auf sich nimmt, und dem Gewinn, den er individuell überhaupt nicht und als Teil der Gesellschaft auch dann hätte, wenn er die Kosten nicht auf sich nähme. Ökonomisch gesehen bedeutet Ethik also Privatisierung der Kosten und Sozialisierung der Gewinne.

Es ist leicht zu zeigen, dass keine Gesellschaft ohne solche ethischen Normen existieren kann, und doch gibt es keinen Weg, den Einzelnen rational davon zu überzeugen, dass er sich ihnen unterwerfen sollte. Ethisches Verhalten muss, so gesehen, als außerordentlich unwahrscheinlich gelten, trotzdem ist es die Regel, nicht die Ausnahme. Wie ist dieses täglich stattfindende Wunder zu erklären?

Fragen wir kontrafaktisch: Würde der Fahrgast seine Karte auch dann bezahlen, wenn er wüsste, dass die Anderen es nicht tun? Würde der Soldat kämpfen, wenn er wüsste, dass seine Kameraden lieber davonlaufen? Die Fragen stellen heißt sie beantworten: Natürlich nicht! (Beim Wähler liegt der Fall etwas anders, denn dessen Stimme würde ja die Wahl entscheiden, wenn er als einziger zur Abstimmung ginge.)

Niemand will der Dumme sein, der als Einziger die Regeln befolgt. Werden sie befolgt, so ist dies offensichtlich auf die Erwartung des Einzelnen zurückzuführen, dass alle (oder doch die meisten) Anderen sich ebenfalls ethisch verhalten. Diese Gegenseitigkeit der Erwartung also bringt ethisches Verhalten hervor. Ethik – und damit die Existenz von Gesellschaft schlechthin – beruht auf Solidarität.

(Ein denkbarer Einwand lautet, ethisches Verhalten sei vor allem durch die Angst vor Strafe motiviert. Dieser Einwand gilt, wenn wir bei unseren Beispielen bleiben, für den Wähler gar nicht; die Strafdrohung gegen den Schwarzfahrer ist wegen der geringen Sanktionswahrscheinlichkeit wenig zwingend; und den Soldaten kann man mit Drohungen allenfalls vom Desertieren abhalten, aber nicht zur Tapferkeit zwingen. Tatsächlich spielen Sanktionsdrohungen eine wichtige Rolle; sie wirken aber auf zweierlei Weise: einmal direkt durch Abschreckung, aber wir haben gesehen, dass sie in dieser Hinsicht häufig ein stumpfes Schwert sind. Die Hauptwirkung ist indirekter Natur: Das Wissen um die Existenz der Sanktionsdrohung bestärkt jeden Einzelnen in seiner Erwartung, die Anderen würden sich an die Regeln halten, und motiviert ihn damit, es selbst ebenfalls zu tun.)

Solidarität – so viel dürfte klar geworden sein – hat nichts mit Altruismus zu tun (mit dem sie oft verwechselt wird), also mit dem Handeln zugunsten Anderer. Sie ist als Geschäft auf Gegenseitigkeit vielmehr ein erweiterter und reflektierter Egoismus. Wie kommt Solidarität zustande? Durch altruistisches Handeln? Rein theoretisch könnte man sich das vorstellen: Ich verhalte mich altruistisch, rege dadurch einen Zweiten an, es mir gleichzutun, was wiederum einen Dritten und Vierten veranlasst, sich ebenfalls altruistisch zu verhalten und so fort, bis am Ende eine Solidargemeinschaft entstanden ist, in der man realistischerweise solidarisches Handeln Aller unterstellen kann. Ich spare mir an dieser Stelle die Mühe zu beweisen, etwa mithilfe spieltheoretischer Modelle, dass dies blankes Wunschdenken wäre; ich ziehe es vor, mich auf die Lebenserfahrung und den gesunden Menschenverstand zu berufen.

Dabei gehört kaum ein Mensch bloß einer Solidargemeinschaft, bloß einem System gegenseitiger Solidaritätserwartungen an. Diese Systeme bauen vielmehr aufeinander auf, erfüllen je spezifische Funktionen und entlasten einander, wobei die Intensität der Solidaritätserwartungen mit zunehmender Größe des Systems tendenziell abnimmt:

Meiner Familie bin ich stärker verpflichtet als meinem Land, meinem Land stärker als meinem Kulturkreis und diesem wiederum stärker als der Menschheit insgesamt. Salopp gesagt ist mir auf jeder Ebene das Hemd näher als der Rock.

Dabei können diese Systeme einander nicht substituieren: Die Familie kann nicht die Aufgaben der Nation übernehmen und die Nation nicht die der Familie; die Menschheit wiederum kennt zwar auch Solidarität – wir spenden für Flutopfer in Bangladesh – aber die ist nur schwach ausgeprägt – wir spenden vielleicht 20 Millionen, aber eben nicht 20 Milliarden -, weswegen die Menschheit nicht die Nation ersetzen kann.

Es ist wichtig zu sehen, dass die Solidarität innerhalb eines solchen Systems ihre notwendige Kehrseite im Ausschluss aller nicht dazu gehörenden Menschen von der Sorte Solidarität hat, die für das betreffende System konstitutiv ist: Wer seinem Nachbarn beim Tapezieren hilft, weil er davon ausgeht, dass dieser Nachbar sich irgendwann revanchieren wird, ist noch lange nicht bereit, Jedermann beim Tapezieren zu helfen. Oder, ins Politische gewendet: Die Westdeutschen, die – nicht ohne Murren, aber letztlich doch anstandslos – eine Billionensumme aufbrachten, um Ostdeutschland auf die Beine zu helfen, hätten es zu Recht als absurde Zumutung zurückgewiesen, dasselbe für Polen oder Russland zu tun.

Ein altruistisches Verhalten – also: Jedem beim Tapezieren zu helfen oder alle Völker zu subventionieren – wäre für den Einzelnen eine unmenschliche Überforderung und für ein Kollektiv das Ende: Es wäre nicht nur ruiniert, es würde buchstäblich aufhören, als Solidargemeinschaft zu existieren, weil der Einzelne ja wüsste, dass seine solidarisch erbrachte Leistung, in diesem Fall also seine Steuergelder, in keiner Form an ihn zurückfließen, auch nicht langfristig oder in der verwandelten Gestalt von Stabilität oder Sicherheit; sie würden einfach über die Welt verstreut – eine Welt, die eben keine Solidargemeinschaft ist.

Wir können nunmehr die oben gestellte Frage beantworten, ob unsere Vorfahren bis zurück zu Adam und Eva etwa Faschisten oder Hinterwäldler waren, weil sie den Dienst an und die Loyalität gegenüber der je eigenen Solidargemeinschaft unter Indifferenz, notfalls auch Feindseligkeit gegen alle fremden, als höchste Tugend angesehen haben: Nein, das waren sie keineswegs. Sie haben einfach instinktiv erkannt, dass menschliche Gesellschaft auf der Existenz einander ausschließender Solidargemeinschaften basiert und dass die genannten Tugenden daher zwingende Notwendigkeiten darstellen. Bezeichnend für den geistigen Zustand unserer Gesellschaft ist aber, dass ich hier und heute umständlich beweisen muss, was zu allen Zeiten zu Recht als Selbstverständlichkeit galt.

Als ob nicht Jedem, der die Geschichte kennt, klar sein müsste, dass schon unzählige Gesellschaften an ihrem Mangel an innerer Solidarität zerbrochen sind, aber noch keine einzige an so etwas wie „Fremdenfeindlichkeit“.

Wolfgang Wippermann: „Autobahn zum Mutterkreuz: Historikerstreit der schweigenden Mehrheit“

(Rezension)

Manchmal bin ich etwas schwer von Kapee. Ich habe ein halbes Jahr gebraucht zu begreifen, dass der Fall Eva Herman mehr und etwas anderes war als nur eine kuriose Episode, bei der alle Beteiligten sich nach Kräften blamiert haben. Es war ein Ereignis, das schlaglichtartig den geistigen Zustand unserer Gesellschaft erhellt hat. In dieser Einsicht stimme ich überein mit dem Berliner Historiker Wolfgang Wippermann, dem ich sie verdanke. Allerdings ist dies auch fast der einzige Punkt, in dem ich seine Meinung teile.

Zur Erinnerung: Eva Herman war in den letzten Jahren mit betont feminismuskritischen Büchern an die Öffentlichkeit getreten („Das Eva-Prinzip“), in denen sie vehement die klassischen konservativen Familienwerte verteidigte, insbesondere die „natürliche Bestimmung“ der Frau zur Mutterschaft. Wahrscheinlich eher schlicht im Gedankengang – ich weiß es nicht, ich habe ihre Bücher nicht gelesen – traf sie doch bei vielen Lesern einen Nerv; ihre Bücher jedenfalls verkauften sich sehr gut.

Und so hätte alles laufen können, wie es immer läuft, wenn Journalisten ihr Rezept zur Rettung der Gesellschaft präsentieren: Einige empören sich (in diesem Falle also die Feministinnen), andere sind begeistert (in diesem Falle die katholische Kirche), die Leser freuen sich, endlich schwarz auf weiß zu lesen, was sie ohnehin immer schon zu wissen glaubten, und bei Verlag wie Autorin klingeln die Kassen. Und alle lebten glücklich bis an ihr seliges…

Halt!

Nun tat Eva Herman etwas, was man in Deutschland nicht tut: Sie lobte das Dritte Reich.

Bei der Vorstellung ihres Buches „Das Arche Noah Prinzip“ pries sie – wie gehabt – Ehe, Familie und Mutterschaft, fügte diesmal aber sinngemäß hinzu, diese Werte seien unter Hitler hochgehalten worden (was ja an dessen negativen Seiten nichts ändere), später aber hätten die Achtundsechziger das alles mit Füßen getreten und zerstört.

Jetzt schlug die Stunde der Öffentlichkeit: Der NDR feuerte, die NPD feierte sie, die Presse gab sich staatstragend empört und der Zentralrat der Juden wehrte den Anfängen.

Das übliche Programm also, das immer dann abläuft, wenn jemand den Teppich hebt, unter dem wir Deutschen alles entsorgt haben, was unserem Selbstbild als geläuterte Demokraten zu widersprechen scheint, die aus der Geschichte gelernt haben, und wenn jemand öffentlich ausspricht, was nicht die meisten, aber auch nicht ganz wenige Deutsche denken, und was mit dem offiziösen Geschichtsbild wenig zu tun hat.

In dieser Situation hielt es der Talkshow-Moderator Johannes B. Kerner für angemessen, mit Herman das abzuziehen, was die Bloggerkollegin Eisvogel später „die Galileonummer“ nennen sollte: „Widerrufe!“

Eva Herman widerrief nicht, obwohl Wippermann, der bei dieser Gelegenheit auf der Bildfläche erschien, ihr mit der ganzen Autorität des anerkannten NS-Experten klarzumachen versuchte, dass Hitlers Familienpolitik Bestandteil seines Projekts zur Rassenzüchtung und Kehrseite seiner Vernichtungspolitik gegen „Fremdrassige“ gewesen sei.

Sie bestand in der zunehmend hitziger werdenden Diskussion darauf, nur das auszusprechen, was die meisten Menschen dächten, was aber von der „gleichgeschalteten Presse“ in die rechte Ecke gestellt werde. Als ihr vorgehalten wurde, das Wort „Gleichschaltung“ sei ein NS-belasteter Begriff, replizierte sie, der Begriff sei zwar damals verwendet worden,

„…aber es sind auch Autobahnen damals gebaut worden, und wir fahren heute drauf.“ (S.30)

Dieses zugegebenermaßen ziemlich blöde Argument für die Verwendung des Wortes „Gleichschaltung“ (mit derselben Logik könnte man auch Ausdrücke wie „Untermensch“ rechtfertigen) wurde von den übrigen Gesprächsteilnehmern als ein erneutes „Alles war ja auch nicht schlecht“ aufgefasst und mit Empörung quittiert. Der Moderator warf sie aus dem Studio mit dem ihn selbst blamierenden Satz:

„Autobahn – das geht halt nicht.“ (ebd.)

Und Eva Herman:

„Ich muss halt lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten.“ (ebd.)

Sprach’s und ging.

Während sich viele Leserbriefschreiber und große Teile der Blogosphäre mit Eva Herman und ihren Thesen solidarisierten, bekam Wippermann, der sie kritisiert hatte, Tausende von Zuschriften, in denen er nicht nur kritisiert, sondern auch beschimpft, beleidigt und bedroht wurde: „Volksschädling“, „Ratte“, „Judenknecht“, „widerliche Kreatur“.

Das Buch, das er jetzt über die Herman-Kontroverse vorgelegt hat, dürfte also im Zorn geschrieben worden sein – das sei dem Autor zugutegehalten. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist dieses Buch selbst mindestens so aufschlussreich wie die Ereignisse, die es beschreibt. Man bekommt jedenfalls nur selten die Gelegenheit, die Funktionsweise der Political Correctness an einem solchen Prachtexemplar zu demonstrieren; und ich wäre nicht ich selbst, wenn ich mir diese Gelegenheit entgehen ließe.

Wippermanns Kritik gilt vor allem demjenigen Teil der deutschen Bevölkerung, den er selbst bereits im Untertitel und dann mehrere Dutzend Mal im Text „die schweigende Mehrheit“ nennt. Dabei lässt er offen, ob er damit ironisch auf das Selbstverständnis des genannten Personenkreises anspielen will, oder ob er buchstäblich eine Mehrheit meint. Solch unklare Begrifflichkeit – wir werden noch in anderen Zusammenhängen darauf stoßen – ist bei einem Wissenschaftler auch dann ein schwerwiegender Lapsus, wenn er für die breite Öffentlichkeit schreibt und nicht für das Fachpublikum.

„‚Ich muss lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten‘, erklärte Eva Herman kurz vor ihrem Abgang in der Kerner-Show am 9.Oktober 2007: Eine unfassbare und völlig unbegründete Behauptung.“ (S.81)

Unfassbar? Völlig unbegründet?

Eva Herman hatte wegen ihrer Äußerungen bereits ihren Arbeitsplatz verloren. Solche Sanktionen kann man für gut oder schlecht halten. Wer aber behauptet, es gebe sie nicht, lügt.

Es geht aber noch weiter:

Denn wer soll sie und andere in Gefahr bringen …? Hitler ist tot, und wir leben nicht in einer Diktatur ,sondern in einer Demokratie. In ihr herrscht die in der Verfassung geschützte … Meinungsfreiheit. Wer etwas anderes behauptet, hat ein Problem mit dieser Verfassung oder weiß einfach nicht, wovon er spricht.“ (ebd.)

Das ist wahrscheinlich die Ganz Hohe Schule der Political Correctness: Bestimmte Meinungen nicht nur zu ächten („Autobahn – das geht halt nicht.“), sondern gleichzeitig zu leugnen („unfassbar!“, „Völlig unbegründet!“), dass man sie ächtet. Nicht nur zu leugnen, dass man sie ächtet, sondern jeden, der wahrheitsgemäß behauptet, sie würden geächtet, als Narren oder Verfassungsfeind abzustempeln!

(Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum, ob diese oder jene Ansichten, etwa die von Eva Herman, richtig oder falsch sind. Auch nicht darum, ob ihre Ächtung gut oder schlecht ist. Es geht um das Faktum der Ächtung an sich.)

Diese Ächtung nimmt dabei nur selten so handfeste Formen an wie den Verlust des Arbeitsplatzes. Die „schweigende Mehrheit“, um mit Wippermann zu sprechen, hat vielmehr das zutreffende Gefühl, bestimmte Auffassungen würden „in die rechte Ecke gestellt“, also als unseriös und unmoralisch aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt. „Öffentlich“ ist dabei derjenige Diskurs, der von Meinungseliten geführt wird. Damit meine ich den Kreis derjenigen Personen, die von der Mediensoziologie „virtuelle Meinungsführer“ genannt werden, das heißt Personen, die den informellen Status von Repräsentanten der Gesellschaft bzw. einzelner Gesellschaftssegmente genießen; die als solche regelmäßig Zugang zu den Medien und somit die Chance auf öffentliche Artikulation haben; und die in den Medien das vollführen, was man den „öffentlichen Diskurs“ nennt. Gesellschaftliche Strömungen, die in den Meinungseliten nicht repräsentiert sind bzw. deren Repräsentanten ausgeschlossen werden, müssen als ausgegrenzt gelten. Es ist also nicht etwa so, dass der Normalbürger nicht sagen könnte, was er denkt – insofern ist das Wort „Meinungsdiktatur“ zu Kennzeichnung der Political Correctness tatsächlich irreführend -, er ist „nur“ mit bestimmten Ansichten vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen.

Wer zur Meinungselite gehören will, tut also gut daran, geächtete Meinungen für sich zu behalten. Wer das nicht tut, bekommt bestenfalls die Chance, den Galileo zu machen – so wie Günther Oettinger. Wer diese letzte Chance verpasst, wie Martin Hohmann oder eben Eva Herman, der ist draußen. Die physische Verbannung von Eva Herman aus dem Fernsehstudio – und damit aus dem Kreise der legitimerweise Diskutierenden – hat diesen Vorgang ungewöhnlich anschaulich gemacht und ist von den Zuschauern instinktiv als symbolträchtig empfunden worden.

Der darauf folgende Aufstand der Blogosphäre hat aber eines sichtbar gemacht: dass den bisherigen Meinungseliten das Definitionsmonopol darüber entgleitet, welche Themen und Meinungen gesellschaftsfähig sind und welche nicht. War auch bisher schon die „Öffentliche Meinung“ identisch mit der veröffentlichten, so hat das Internet die Lage insofern verändert, als nun Jeder veröffentlichen kann.

Volkes Stimme gab es schon immer; an jedem Stammtisch war sie zu hören. Der kleine Kreis des Stammtisches (des Familiengesprächs, des Klönens in der Kaffeepause) stellte aber keine Öffentlichkeit dar. Erst das Internet macht aus Volkes Stimme eine öffentliche Stimme. Die „schweigende Mehrheit“ schweigt nicht mehr, und das Volk hat nicht nur eine Stimme, es weiß vor allem, dass es eine hat.

Wippermann hat diesen Sachverhalt völlig richtig erkannt und in gewissem Sinne Pionierarbeit geleistet, indem er die Reaktion der Blogosphäre auf die Herman-Affäre systematisch ausgewertet und damit ihrem wachsenden Einfluss auf die öffentliche Meinung Rechnung getragen hat.

Freilich bewertet er diesen Einfluss vom Standpunkt einer um ihre Deutungshoheit bangenden Meinungselite ausschließlich negativ. Zu fragen ist, ob er damit Recht hat.

Es stimmt ja, dass sich Fehlinformationen im Internet rasend schnell verbreiten, ohne dass es einen wirksamen Filter gäbe, und dass gerade Verschwörungstheoretiker jeder Couleur das Internet als Baukasten benutzen, aus dem sie die Klötzchen für ihre jeweiligen Wahngebäude beziehen. Wahrscheinlich gibt es keine noch so verrückte Idee, für die man im Netz nicht eine Fangemeinde zusammentrommeln könnte. Soweit Wippermann dies feststellt, liegt er durchaus richtig.

Nur richtet seine Kritik sich nicht gegen irgendwelche UFO-Sekten, sondern dagegen, dass gesellschaftlich weitverbreitete Ideen öffentlich artikuliert werden. Liberal wird man einen solchen Standpunkt nicht nennen können. Demokratisch schon gar nicht.

Deswegen allein muss er aber noch nicht falsch sein: Es ist Konsens, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden sollte, wo ihr hemmungsloser Gebrauch zur Gefährdung eben jener demokratischen Ordnung führen würde, die die Meinungsfreiheit garantiert. Unsere Verfassung kennt dieses Prinzip als das der „wehrhaften Demokratie“. Unter diesem Gesichtspunkt – aber auch nur unter diesem! – lässt es sich rechtfertigen, bestimmte Meinungen als demokratiefeindlich vom seriösen Diskurs auszuschließen.

Welche Auffassungen möchte Wippermann gerne ausgeschlossen sehen? Zunächst die, die die „guten Seiten“ des Nationalsozialismus thematisieren:

„Alles war ja auch nicht schlecht damals: Jeder hatte Arbeit, man konnte sich nachts auf die Straße trauen, für Familien wurde noch etwas getan, Mütter waren noch geachtet, es herrschte Ordnung, und außerdem hat Hitler die Autobahn gebaut.“

(Das ist kein wörtliches Zitat, sondern die Zusammenfassung von Äußerungen Eva Hermans und ihrer Sympathisanten, die Wippermann für gefährlich hält.)

Da stelle mer uns janz dumm und fragen: Stimmt denn dat überhaupt?

Sicher gibt es Einiges zu differenzieren, aber im Großen und Ganzen stimmt das durchaus. Um mit den Autobahnen zu beginnen, weil sie in der Debatte eine besondere Rolle gespielt haben („Autobahn – das geht halt nicht!“), und weil Wippermann hier mit Gegenargumenten aufwartet:

Es habe bereits in Amerika und Italien Highways und Autostradas gegeben; womit nur eine Behauptung widerlegt ist, die niemand aufgestellt hat, nämlich dass die Nazis die Autobahnen erfunden hätten. Außerdem habe es in Deutschland bereits die Berliner AVUS gegeben (rund zehn Kilometer lang) und die Autobahn Köln-Bonn (noch so eine gigantische Fernstrecke). Die Nazis hingegen seien hinter ihren Planungen zurückgeblieben, indem sie in den sechs Jahren bis Kriegsbeginn lediglich 3000 Autobahnkilometer fertiggestellt hätten (während des Krieges kamen dann noch einmal 800 Kilometer hinzu), während die alte Bundesrepublik

„…bereits 1980…“ (S.71)

(also 31 Jahre nach ihrer Gründung) 8000 Autobahnkilometer hatte – wobei offenbleibt, wieviel davon aus der Zeit vor 1945 stammte. Dem Autor scheint gar nicht aufzufallen, dass seine eigenen Zahlen dem Dritten Reich ein mindestens doppelt so hohes Bautempo bescheinigen wie der Bundesrepublik (3000 Kilometer in sechs Jahren versus 8000 Kilometer – minus X – in 31 Jahren) und damit genau das Gegenteil von dem beweisen, was sie beweisen sollen. Das ist durchaus kein Grund, Hitler zu feiern, wohl aber einer, dem Autor eine schlampige und willkürliche Argumentation anzukreiden.

Was den Schutz vor Kriminalität angeht: Da fehlen mir die statistischen Daten. Gut möglich, dass die drakonische Justizpolitik des Regimes, verbunden mit seiner Propaganda, dem Durchschnittsdeutschen mehr Sicherheit vorgaukelte als nach der Kriminalstatistik gerechtfertigt war; dass also das Sicherheitsgefühl größer war als die tatsächliche Sicherheit. (Was aber nichts daran ändert, dass bereits die Illusion – falls es denn eine war – von Sicherheit als wohltuend empfunden wurde).

Darüberhinaus ist es eine schlichte Tatsache, dass unter Hitler die Arbeitslosigkeit innerhalb von nur drei Jahren von sechs Millionen auf Null reduziert wurde, und zwar mithilfe einer Politik massiver kreditfinanzierter Staatsnachfrage. Diese Art Konjunkturpolitik avancierte nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Titel „Keynesianismus“ zur Hauptströmung wirtschaftspolitischer Theorie.

Und zutreffend ist auch, dass die Nazis vom Ehestandsdarlehen bis zum Mutterkreuz alle Register zogen, die Menschen zum Kinderkriegen zu animieren und dabei das Sozialprestige der Mütter zu heben.

Wippermann bestreitet das alles auch nicht direkt. Er weist nur – und zu Recht – darauf hin, dass Alles, was die Nazis taten, also auch die Autobahn, das Mutterkreuz, die Konjunkturpolitik (Aufrüstung!) im Dienste ihres monströsen Gesamtprojekts stand, eine „arische Herrenrasse“ zu züchten und gestützt auf einen totalitären Staat die Weltherrschaft zu erringen, und dass es deshalb bestenfalls naiv wäre, einzelne Aspekte als vermeintlich „gute Seiten“ des Dritten Reiches isoliert zu betrachten. Ein durchschlagendes Argument – freilich nur gegen Neonazis, die auf eine Neuauflage des Nationalsozialismus hinarbeiten.

Dagegen kann ich nicht erkennen, dass wirtschaftspolitische, bevölkerungspolitische oder verkehrspolitische Instrumente, die von den Nationalsozialisten in einem rassistischen und totalitären Zusammenhang eingesetzt wurden, diesen Kontext naturgemäß in sich trügen, deshalb niemals im Rahmen einer demokratischen und friedlichen Politik einsetzbar wären und daher für alle Zeiten tabu bleiben müssten:

Warum finanzielle oder ideelle Anreize – es muss ja nicht gerade das Mutterkreuz sein – zum Kinderkriegen etwas Schlechtes sein sollen, erschließt sich mir nicht. Zumal die Überalterung unserer Gesellschaft ein ernstes Problem darstellt, und das nicht nur für die Rentenkassen.

Oder nehmen wir die Wirtschaftspolitik: Angesichts einer seit dreißig Jahren andauernden Massenarbeitslosigkeit ist es legitim zu fragen, was von einer Politik zu lernen wäre, die eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit in nur drei Jahren beseitigt hat. Ich persönlich glaube zwar nicht, dass eine auf extremen Staatskonsum setzende Wirtschaftspolitik, noch dazu verbunden mit einer nicht minder extremen Verschuldung, heutzutage eine sinnvolle Option wäre. Nur ist das eine ökonomische, keine moralische Frage. (Bemerkenswert übrigens, dass die politische Linke, die ein solches Konzept verfolgt, nicht darauf hinweist, dass damit schon einmal Vollbeschäftigung erzielt wurde; offenbar verzichtet sie lieber auf ein erstklassiges Argument, als etwas Positives über Hitler zu sagen. Man könnte es beinahe edel finden, wenn es nicht so dämlich wäre.)

Und der Normalbürger, der die Autobahn lobt: Will der denn eine Neuauflage des NS-Regimes? Oder, allgemeiner gefragt: Warum spricht er über die seiner Meinung nach „guten Seiten“ der Nazizeit?

Dieses „Warum“ hat zwei Aspekte: Den objektiven – Wie kommt es, dass so viele Menschen so denken? – und den subjektiven – Was veranlasst sie, sich gerade so zu äußern?

Der Soziologe Harald Welzer hat in seiner Studie „Opa war kein Nazi“ empirisch untersucht, wie Geschichtsbilder über die NS-Zeit entstehen, und zwar an der Basis der Gesellschaft, speziell im familiären Diskurs.  

Er hat nachgezeichnet, wie dabei zwei Weltbilder aufeinandertreffen, die es aus der Sicht des Einzelnen in Einklang zu bringen gilt: Einmal das gleichsam offizielle Geschichtsbild, das auf den Ergebnissen der historischen Forschung aufbaut, die Repressivität und Grausamkeit nationalsozialistischer Ideologie und Praxis herausarbeitet und deren Totalverurteilung nahelegt. Zum anderen das Geschichtsbild der damaligen Durchschnittsdeutschen, das auf deren subjektiver Erfahrung beruht und innerfamiliär durch die Erzählungen der älteren Generation weitergegeben wird.  

Diese „Geschichte“ kann mit der der Historiker nicht übereinstimmen, weil sie aus einer ganz anderen Perspektive erzählt wird: aus der Perspektive dessen, der die Dinge nicht von oben analysiert, sondern von unten erlebte, und der dabei kein Jude, nicht schwul, kein Sozialist und kein avantgardistischer Künstler war – des Durchschnittsdeutschen eben. Und der fühlte sich, zumindest vor Kriegsausbruch, unter der Naziherrschaft alles in allem ziemlich wohl. Wäre es anders gewesen, hätten die Nazis niemals die loyale, teilweise begeisterte Unterstützung einer großen Mehrheit der Deutschen bekommen können. Warum aber fühlten die sich wohl? Nun, unter anderem wegen der Vollbeschäftigung, des Sicherheitsgefühls, der Familienförderung, der optimistischen Zukunftserwartungen (Autobahn!) usw., also aus genau den Gründen, die heute noch als „gute Seiten“ des NS-Regimes angeführt werden.  

Natürlich wusste auch der Normalbürger, dass Juden verfolgt wurden, und dass es Konzentrationslager und eine Gestapo gab – es interessierte ihn bloß nicht. Es interessierte ihn nicht, weil seinen Bedürfnissen nach Sicherheit, Ordnung und bescheidenem Wohlstand Rechnung getragen wurde. Man kann das unmoralisch finden, aber es ist genau das Verhalten, das im Normalfall von normalen Menschen zu erwarten ist. Auch wenn es einem nicht gefällt und man es nicht wahrhaben möchte: Menschen sind so.  

Problematisch wird diese Disposition in dem Moment, wo ein totalitäres regime sie ausnutzt. Sie ist aber nicht per se etwas Schlechtes: Der konformistische Bürger, der seine Steuern bezahlt, seine Familie mit eigener Arbeit ernährt, seine Kinder großzieht, der sich um seinen eigenen Kram kümmert und sich an die Gebote der konventionellen Moral hält – der ist bestimmt weniger interessant, oft auch weniger sympathisch als der Individualist, Nonkonformist, Utopist, Abenteurer, Philanthrop, Bonvivant, Künstler oder Bohemien. Aber er ist Derjenige, der die Gesellschaft funktionsfähig hält. Anders gesagt: Der Konformismus des Konformisten ist die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie der Nonkonformist überhaupt existieren kann.  

Genau diesen Personenkreis meint Wippermann, wenn er von der „schweigenden Mehrheit“ spricht, die am Dritten Reich „gute Seiten“ findet, und der er deshalb eine faschistische Disposition unterstellt, statt nach ihren Motiven zu fragen.  

Was beinhaltet denn die Aussage, alles sei ja auch nicht schlecht gewesen, verbunden mit den einschlägigen Beispielen?  

Erstens kommt darin ein Bedürfnis nach Sicherheit, Ordnung und Wohlstand zum Ausdruck,  

zweitens die Kritik, dass diese Bedürfnisse heutzutage nicht berücksichtigt würden,  

drittens die Meinung, unter Hitler sei ihnen stärker Rechnung getragen worden.  

Beginnen wir beim dritten Punkt: Die Nazis haben dem tatsächlich Rechnung getragen, freilich nur, um die Voraussetzungen für ein Projekt zu schaffen, das mit Ordnung, Sicherheit und Wohlstand nicht das Geringste zu tun hatte, vielmehr chaotisch, riskant und ruinös war. Sie haben die braven Bürger ganz einfach hinters Licht geführt; und die wissen das auch sehr genau. Um Eva Herman zu zitieren:  

„… es war ’ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat…“ (S.19)  

Wippermann scheint solche Distanzierungen (man kennt sie auch in anderen Varianten, etwa: Wenn das mit den Juden und mit dem Krieg nicht gewesen wäre…) für bloße Lippenbekenntnisse zu halten, dabei bringen sie zum Ausdruck, dass das NS-Regime in genau denjenigen Punkten abgelehnt wird, die spezifisch nationalsozialistisch waren; damit wird gerade keine ideologische Sympathie formuliert.  

Was damit aber formuliert wird, ist das Unbehagen des Normalbürgers an unserer Gesellschaft, und da Wippermann es vorzieht, dieses Unbehagen als faschistisch zu verdächtigen, statt nach seinen Ursachen zu fragen, frage jetzt ich danach:  

Es ist nämlich eine gut gesicherte soziologische Erkenntnis, ja geradezu ein Gemeinplatz, dass es in allen westlichen Gesellschaften einen Trend weg von den sogenannten „Pflicht- und Akzeptanzwerten“, hin zu den „Selbstentfaltungswerten“ gibt.  

In Deutschland begann der zunächst schleichend Anfang des 20. Jahrhunderts, erfuhr einen ersten Schub in den zwanziger und erlitt Rückschläge in den dreißiger bis fünfziger Jahren, um sich dann ab den sechziger Jahren vollends durchzusetzen.  

Dieser Trend bedeutet, dass die Menschen weniger danach fragen, was „man“ tut, sondern was sie selbst tun wollen; die persönliche Freiheit ist im Zweifel wichtiger als die soziale Pflicht. Es heißt keineswegs den damit verbundenen Gewinn an individueller Autonomie geringzuachten, wenn man auf die Kehrseite dieses Prozesses hinweist:  

Ich habe es oben schon angedeutet: Der Zusammenhalt der Gesellschaft und ihr Fortbestand hängen wesentlich nicht von der „Selbstentfaltung“ des Einzelnen ab, zumal die auch mit Egoismus und Hedonismus einhergehen kann. Sie hängen genau von den erodierenden Pflicht- und Akzeptanzwerten ab.  

Die Gesellschaft existiert als solche nur so lange, wie Steuern bezahlt, Normen respektiert, Gesetze eingehalten und Kinder großgezogen werden. Die U-Bahn lebt nicht vom Schwarzfahrer, sondern von dem, der sein Ticket bezahlt. Der Sozialstaat lebt von denen, die ihn finanzieren, nicht von denen, die ihn in Anspruch nehmen. Selbst die Toleranz – gewiss eine hohe Tugend – lebt von denen, die sie selbst üben, nicht von denen, die sie einfordern und mutwillig strapazieren. Die Demokratie lebt von Wählern, die auch unangenehme, aber notwendige Entscheidungen akzeptieren, die Wirtschaft von Arbeitnehmern, die nicht beim ersten Husten den Krankenschein nehmen.  

Die Dominanz von „Selbstentfaltungswerten“ dagegen führt dazu, dass eine wachsende Zahl von Menschen es für ihr natürliches Recht hält, Steuern zu hinterziehen, Graffiti zu sprühen, schwarzzufahren, ihre Mitmenschen anzupöbeln, die schwangere Partnerin zur Abtreibung zu nötigen, bei der ersten Ehekrise auseinander zu rennen und obendrein stolz darauf zu sein, nicht über „Sekundärtugenden“ zu verfügen, weil man mit denen „auch ein KZ leiten“ könne. Wäre Kennedys Aufforderung „Fragt nicht was Euer Land für Euch tun kann, sondern was Ihr für Euer Land tun könnt“ von einem deutschen Politiker ausgesprochen worden – wir können sicher sein, dass die als Antifaschismus getarnte Asozialität sie mit einem „Wehret den Anfängen!“ quittiert hätte.  

Die von Wippermann so genannte „schweigende Mehrheit“ – ob sie tatsächlich eine Mehrheit ist, lasse ich dahingestellt – jener rückständigen Menschen, die nicht nur ihre „Selbstentfaltung“ im Kopf haben, hat das vollkommen zutreffende Gefühl, dass sie die Zeche für die Selbstentfaltung Anderer zahlt. Dieser schweigenden Mehrheit geht es um stärkere Verbindlichkeit sozialer Normen und um größere soziale Anerkennung für diejenigen, die für diese Gesellschaft etwas leisten, und damit formuliert sie ein völlig legitimes Interesse. Ein solcher Standpunkt ist konservativ. Ihn faschistisch zu nennen ist eine bösartige Verleumdung.  

Ich spreche bewusst von Verleumdung, nicht etwa von einem Irrtum. Es geht Wippermann nämlich nachweisbar nicht um die Bekämpfung faschistischer, sondern konservativer Positionen, und zwar mit dem klassischen Mittel linker Demagogie, nämlich durch das Schwingen der Faschismus-Keule.  

(Es sei angemerkt, dass es sich für einen seriösen Wissenschaftler von selbst verstehen sollte zu tun, was Wippermann wohlweislich unterlässt: nämlich einen so schillernden Begriff wie „Faschismus“ nur zu gebrauchen, wenn man zugleich offenlegt, auf welche der vielen Faschismusdefinitionen man sich bezieht. Dann freilich wäre das Wort nicht mehr so leicht als politische Waffe verwendbar.)  

Beweise?  

Er beklagt, dass  

„…es heute mehr um konservative und faschistische ‚Werte’ geht als um ihre Kritik…“ (S.10)  

– man beachte die Gleichsetzung und, als besonderes Bonbon, die Anführungszeichen im Text. Oder wie er sich mit Artikeln von Eva Herman auseinandersetzt:  

„Noch nicht Faschismus, aber in eine bedenkliche Nähe zu ihm gerät die Argumentation im ‚biologischen Kontext’. So, wenn von der ‚Entweiblichung der Frau’ und der ‚Entmännlichung der Herrenwelt’ gesprochen … wird.“ (S.16)  

Wer auf Nummer Sicher gehen will, nicht als Faschist entlarvt zu werden, meide diese „bedenkliche Nähe“.  

„Völlig sozialdarwinistisch ist die folgende Dekadenzthese: ‚So zieht eine hochzivilisierte Kultur wie die unsere sich selbst den Boden unter den Füßen weg, die Basis, die uns Halt im täglichen Überlebenskampf geben kann: die intakte Familie.’“ (S.17)  

„Sozialdarwinistisch“ ist bereits, wenn das Wort „Überlebenskampf“ erwähnt wird. So müssen wir uns wohl das vorstellen, was Wippermann seine  

„ideologiekritische … Methode“ (S.9)  

nennt. Da werden  

„extrem rechte Politiker wie Peter Gauweiler und Otto von Habsburg“ (S.24)  

und damit auch ihre Partei, die CSU, dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet.  

Wippermann beschreibt zutreffen die Einstellung der Achtundsechziger zu konservativen Werten – Stichwort: Sekundärtugenden – und fährt fort:  

„Auch wenn man dabei zu weit gegangen ist und in jedem Konservativen einen zumindest potenziellen Faschisten gesehen und all diese Tugenden und Werte als faschistisch oder, um ein weiteres Modewort zu gebrauchen, als faschistoid bezeichnet und verworfen hatte, im Kern trifft es dennoch zu. Konservativismus und Faschismus waren politische Bundesgenossen und hatten gleiche oder zumindest vergleichbare ideologische Ziele.“ (S.6) [Hervorhebungen von mir, M.] 

Also zuerst eine scheinbare Distanzierung von diesem unsäglichen Quatsch – natürlich, er will sich ja nicht total blamieren -, um am Ende doch zuzustimmen. Nicht die einzige Stelle übrigens, wo er diesen schmierigen Kunstgriff anwendet. Fragt sich nur, wie redlich ein Autor sein kann, der sich von seinen eigenen Thesen distanziert, um nicht auf sie festgenagelt zu werden, sie dann aber trotzdem unter die Leute bringt.

Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen konservativen Werten und nationalsozialistischer Ideologie. Der besteht aber nicht darin, dass sie „gleiche oder zumindest vergleichbare ideologische Ziele“ gehabt hätten, sondern dass die Nazis sich auf konservative Werte beriefen, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Oder, wie ich an anderer Stelle geschrieben habe:  

„Unter den totalitären politischen Ideologien halte ich im Zweifel die rechten für gefährlicher als die linken. Die extremen Linken machen sich selber das Leben schwer, indem sie Dinge versprechen, vor denen sich Jeder mit Grausen wendet, der etwas zu verlieren hat: Weltrevolution, Tabula Rasa, der Neue Mensch – und der Normalbürger denkt: Alles, nur das nicht! 

Die extremen Rechten sind gefährlicher, weil sie es auf genau diesen Normalbürger abgesehen haben. Die muten niemandem zu, ein “Neuer Mensch” zu werden, sie greifen einfach das auf, was sie an Ressentiments, Vorurteilen, Werten, Wunschträumen, Mythen und Ideologiefetzen in der Gesellschaft vorfinden, erklären es zu den “wahren Werten” des jeweiligen Gemeinwesens, erfinden einen Feind, der diese Werte angeblich angreift, stilisieren sich zu den besseren Konservativen, weil sie konsequent diesen “Feind” bekämpfen, und propagieren eine Ideologie, in die das alles hineinpasst. (…)Verführerisch sind solche Ideologien, weil ihre einzelnen Bestandteile populär sind, und weil der Normalbürger nicht unbedingt durchschaut, wohin es führt, wenn sie zu einem ideologischen System zusammengebunden werden.“  

Es gibt also tatsächlich die Gefahr, dass konservative Ideen von totalitären Ideologen scheinbar aufgegriffen, in Wahrheit aber zur Basis eines utopisch-revolutionären Projekts gemacht und damit in ihr Gegenteil verkehrt werden. Da es sich um die Pervertierung konservativer Werte handelt, spricht man in solchen Fällen von „Rechtsextremismus“, während die analoge Pervertierung emanzipatorischer Werte „Linksextremismus“ genannt wird. Wer deswegen eine Identität von Konservatismus und Faschismus behauptet, könnte ebensogut sozialdemokratisches und sogar liberales mit stalinistischem Denken in einen Topf werfen. Wer der Gefahr einer solchen Pervertierung  begegnen will, wird zwischen Konservatismus und Faschismus sorgfältig unterscheiden und dabei ideologiekritisch argumentieren müssen. Dabei bieten sich meines Erachtens mindestens drei Unterscheidungskriterien an:

Auf der Ebene der poltischen Ziele: Handelt es sich tatsächlich um ein Projekt der Bewahrung sozialer Werte und Strukturen, oder geht es um die Verwirklichung einer Sozialutopie, zum Beispiel die Züchtung einer Herrenrasse?  

Auf der Ebene der eingesetzten Mittel: Ist die gewaltsame Zerstörung des Bestehenden Voraussetzung für die Verwirklichung der Utopie, gibt es also ein apokalyptisches Moment?  

Auf der Ebene der Ideologie: Handelt es sich um ein totalitäres Gedankensystem, das heißt um eines, das den Anspruch auf umfassende Gesellschaftsdeutung und –gestaltung erhebt und sich gegen rationale Kritik durch seine Struktur immunisiert – etwa durch Bezugnahme auf religiöse Prämissen oder durch Zulassung von Zirkelschlüssen?  

Selbstverständlich ist es legitim, auch ganz andere Kriterien zu entwickeln, allerdings nur, sofern man dies begrifflich sauber, logisch widerspruchsfrei und intellektuell diszipliniert tut. Die von Wippermann betriebene plumpe Diffamierung missliebiger Meinungen jedenfalls gehört gottlob noch nicht zu den anerkannten Methoden wissenschaftlicher Ideologiekritik.  

Wir sehen also, dass es bei der Political Correctness, die Wippermann uns geradezu in Reinkultur vorführt, nicht darum geht, die Demokratie zu schützen (was allein die Ausgrenzung bestimmter Meinungen von einem liberalen Standpunkt aus rechtfertigen könnte), sondern darum, die ideologische Vorherrschaft der Linken dadurch abzusichern, dass man den von ihr missachteten Interessen des konservativen Normalbürgers die Legitimität abspricht und den politischen Ideen, in denen diese Interessen zum Ausdruck kommen, den Zugang zum Elitendiskurs verwehrt.

Problematisch daran ist nicht, dass überhaupt bestimmte Themen und Positionen aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden. Die gesellschaftliche Funktion sowohl der Medien als auch der Wissenschaft besteht vielmehr gerade darin, die Flut der anfallenden Informationen zu filtern und zu verarbeiten, und zwar nach jeweils systemeigenen Kriterien.

Dabei sortiert die Wissenschaft nach dem Kriterium „wahr/unwahr“ (wobei die Unterscheidung nach wissenschaftsspezifischen Regeln erfolgt), die Medien nach dem des öffentlichen Interesses: Was Keinen interessiert, wird nicht gesendet.

Normalerweise.

Die Kriterien aber, nach denen die etablierten Meinungseliten den Zugang gewähren bzw. verweigern, zeichnen sich gerade durch ihre Systemwidrigkeit aus: Es geht nämlich gar nicht darum, ob eine Meinung wahr oder unwahr bzw. von öffentlichem Interesse ist oder nicht.

Es handelt sich vielmehr um politische oder auch moralische, in jedem Fall aber systemfremde Kriterien, deren Anwendung zwangsläufig dazu führt, dass die Medien ihre gesellschaftliche Funktion, nämlich die der Selbstverständigung der Gesellschaft, nur noch eingeschränkt erfüllen.

Wir haben es hier, um es deutlich zu sagen, mit mutwilliger, politisch motivierter Sabotage eines zentralen gesellschaftlichen Funktionsbereiches zu tun: Die Meinungseliten missbrauchen ihre Monopolstellung und ihre Fähigkeit zur Selbstrekrutierung zum Zwecke politisch-ideologischer Herrschaft.

Es ist nur folgerichtig, dass diejenigen Teile der Gesellschaft, die auf diese Weise vom öffentlichen Diskurs ausgegrenzt werden, auf alternative Strukturen ausweichen, speziell auf das Internet, und dort einen Gegendiskurs führen. Und folgerichtig ist auch, dass dieser Gegendiskurs normalerweise weder wissenschaftlichen Wahrheitskriterien genügt noch in derselben Weise fundiert ist, wie es bei Positionen der Fall ist, die sich im Feuer der öffentlichen Kritik bewähren müssen.

Wie auch? Das Netz ist anarchisch, wie es übrigens auch der frühe Buchdruck war, und die leistungsfähigeren, weil differenzierteren Systeme Wissenschaft und Medien, die eine höhere Qualität hervorbringen könnten – die stehen ja nicht zur Verfügung!

Genau diesen Sachverhalt aber macht Wippermann der „schweigenden Mehrheit“ zum Vorwurf (als ob sie daran schuld wäre und nicht die ihre Macht missbrauchenden Meinungseliten, also Leute wie er!), wenn er wortreich beklagt, dass die Ausgrenzung von Eva Herman mit Vokabeln wie „Meinungsdiktatur“, „Gleichschaltung“ und – dies vor allem – „Verschwörung“ gegeißelt wird. Er sieht darin den Ausdruck einer massenhaft verbreiteten – na was wohl? – faschistischen Gesinnung.

Es scheint ihm durchaus nicht einzufallen, dass die Ursache der Kritik in den kritisierten Verhältnissen liegen könnte und nicht im schlechten Charakter der Kritiker – für einen Linken ein bemerkenswerter Standpunkt!

Dabei haben die genannten Ausdrücke mit Ideologie normalerweise wenig bis nichts zu tun; sie sind schlicht der Versuch, die beobachtete ideologische Konformität der Meinungseliten auf den Begriff zu bringen und zu erklären. Der konservative Normalbürger sieht sich der kafkaesken Situation gegenüber, dass Wahrheiten für unwahr und Unwahrheiten für wahr erklärt werden, dass Konservatismus als Faschismus denunziert wird, dass Zweifel daran als verwerflich zurückgewiesen werden, und dass seine Auffassungen im öffentlichen Diskurs nicht vorkommen – kurz und gut: dass die Selbstbeschreibung unserer Gesellschaft als „pluralistisch“ offensichtlich nur eingeschränkt der Wahrheit entspricht, dies aber von den Meinungseliten geleugnet wird.

Und nun steht er vor dem Problem, sich auf diesen mysteriösen Sachverhalt einen Reim zu machen, wobei ihm, auch wenn er gebildet ist, normalerweise nicht die analytischen Instrumente des Soziologen zur Verfügung stehen. Was tut er? Er greift zu den sich aufdrängenden Erklärungsmustern, und die sind naturgemäß verschwörungstheoretischer Natur. 

In einer solchen Situation, in der Verschwörungstheorien die scheinbar einzig adäquaten Erklärungsmodelle darstellen, kann es nicht ausbleiben, dass auch der Klassiker aller Verschwörungstheorien, nämlich die „jüdische Weltverschwörung“ bemüht wird – gerade in einer Gesellschaft, in der antisemitische Weltdeutungen über Jahrhunderte hinweg in immer neuen Varianten verinnerlicht worden sind, und in der solche Interpretationsmuster daher tief im kollektiven Unbewussten verankert sind.

Wippermann zitiert denn auch ausführlich aus antisemitischen Ergüssen, die im Zusammenhang mit der Herman-Affäre geschrieben worden sind. Er hat schon Recht: Sowohl die Akzeptanz von Verschwörungstheorien überhaupt, als auch deren besonders giftige antisemitische Version sind ernsthafte Gefahren für ein demokratisches Gemeinwesen, und ich selbst habe viele Seiten geschrieben, um zu zeigen, dass verschwörungstheoretisches Denken dem Totalitarismus Tür und Tor öffnet.

Was Wippermann aber nicht sieht, ist, dass Verschwörungstheorien nur dort benötigt und akzeptiert werden, wo die Welt undurchschaubar wird. Eine „Elite“, die die Menschen belügt statt sie aufzuklären, die zum Zwecke ideologischer Dominanz ihre Deutungsmacht missbraucht, die nicht mit Argumenten überzeugen, sondern mithilfe inquisitorischer Verdammungsurteile herrschen will, führt die Undurchschaubarkeit der Welt mutwillig herbei und darf sich nicht wundern, wenn sie die giftigen Früchte ihres Wirkens in Gestalt von Verschwörungstheorien und Antisemitismus erntet. Wippermanns Buch ist die larmoyante Bankrotterklärung einer Elite, die ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat und sich nun beklagt, dass ihr niemand mehr glaubt.

Kleiner Hinweis

Da ich schon einige Zeit schweige, halte ich es für angebracht darauf hinzuweisen, dass ich nicht etwa im indischen Dschungel verschollen bin. Ich schreibe gerade an einer Rezension zu Wolfgang Wippermanns Buch „Autobahn zum Mutterkreuz: Historikerstreit der schweigenden Mehrheit“.

In diesem Buch setzt sich der Autor mit der Kontroverse um Eva Herman auseinander. Herausgekommen ist dabei ein solches Prachtexemplar an Political Correctness, dass ich gar nicht anders kann als es hingebungsvoll zu zerpflücken, den darin enthaltenen ideologischen Code als Machtcode zu dechiffrieren und mir nebenbei Gedanken darüber zu machen, wie ein kritisches, antitotalitäres Geschichtsbewusstsein aussieht, das nicht über die Stöckchen der Political Correctness springt.

Dementsprechend lang wird der Artikel ausfallen, und da ich ja auch noch andere Dinge zu tun habe als zu bloggen, dauert es eben seine Zeit. Ich hoffe aber, am Dienstag oder Mittwoch das Ergebnis veröffentlichen zu können. Bis dann!

Mutmaßungen über Tibet

Auch wenn einige meiner Stammleser mir jetzt den Kopf abreißen: Ich bin mir nicht sicher, dass China im Unrecht ist, wenn es die Unruhen in Tibet niederschlägt.

Mir kommt die chorale Einstimmigkeit unserer Medien allzu verdächtig, weil allzu vertraut vor.

Es ist erst wenige Wochen her, da behandelte man die Unabhängigkeit des Kosovo als ein quasi selbstverständliches Recht,

– obwohl sie im Völkerrecht nicht die geringste Grundlage findet,

– obwohl die Kosovaren nicht einmal einen ausnahmsweise exkulpierenden Notstand für sich geltend machen können,

– obwohl das Milosevic-Regime schon lange gestürzt ist und

– obwohl Serbien zur Gewährung einer so weitgehenden Autonomie bereit war, dass die serbische Souveränität nur noch symbolischer Natur gewesen wäre.

Wenn unsere Medien das offensichtliche Unrecht der Abspaltung Kosovos als „Recht“ behandeln, so haben wir es mit der kombinierten Auswirkung von gleich zwei Journalisten-Unsitten zu tun:

Zum einen fragen sie nicht nach Recht im juristischen Sinne, sondern nach „Gerechtigkeit“. Was soviel bedeutet wie: Wer „Opfer“ ist, ist im Recht.

Zum anderen bleiben die Täter-Opfer- bzw. Gut-Böse-Rollen, einmal verteilt, bis ans Ende aller Tage erhalten:

Seit dem Krieg gegen Kroatien 1991 sind die Serben uwiderruflich als „Täter“ bzw. als „die Bösen“ gebrandmarkt, was es den Kosovaren bereits in den neunziger Jahren leicht machte, sich als „die Guten“ zu präsentieren, obwohl ihre UCK schon damals keinen Deut sauberer war als etwa die ETA oder die IRA. Eher schlimmer, denn die UCK war – und ist – obendrein in die Organisierte Kriminalität verstrickt. Für die Medien sind die Kosovo-Albaner trotzdem „die Guten“, aber nicht, weil sich dies aus dem Sachverhalt ergäbe, sondern weil es zur unhinterfragten Selbstverständlichkeit geworden ist, dass Interessen und Ansprüche des serbischen Staates illegitim seien.

Einem ähnlichen Medienchor sind wir täglich ausgesetzt, wenn es um den Nahost-Konflikt geht. Da werden die Palästinenser als „Opfer“ präsentiert, weil der israelische Staat seine Pflicht erfüllt, sich und seine Bürger gegen Terroristen zu verteidigen, und kaum einer fragt danach, ob diese Rollenzuweisung, die sich irgendwann in den achtziger oder neunziger Jahren durchgesetzt hat, irgendetwas mit der Realität zu tun hat; vor allem aber: welchen Maßstäben sie folgt.

Und nun also Tibet. Seit Jahren das Lieblingskind der Political Correctness, gegen das niemand etwas sagen will, weil es alle romantischen Klischees bedient – von der östlichen Weisheit bis zum Befreiungskampf des unterdrückten Volkes ist alles vertreten, was das Herz grüner Parteitagsdelegierter höher schlagen lässt.

Ich will mich über die Tibeter bestimmt nicht lustig machen (eher über ihre einheimischen Fans); ich bin mir auch keineswegs sicher, dass die chinesische Regierung im Recht ist. Trotzdem würde ich deren Perspektive gerne kennenlernen, und dies nicht nur aus dem Mund eines steifen Funktionärs, der seine Floskeln herunterbetet. So bekommen wir die chinesische Sicht nämlich präsentiert. Nach und nach sickern aber Informationen durch, die mich nachdenklich stimmen:

Aussagen und Videos von Touristen, die behaupten, die Unruhen seien ohne erkennbaren Anlass losgebrochen; es seien tatsächlich Geschäfte und öffentliche Gebäude angezündet und tatsächlich Chinesen angegriffen worden. Und warum muss der Dalai Lama seinen Rücktritt für den Fall androhen, dass seine Landsleute zu den Waffen greifen? Das kann doch nur bedeuten, dass diese Gefahr real besteht?

Angenommen, die Chinesen sagten die Wahrheit. Angenommen, die Unruhen seien tatsächlich inszeniert worden – wenn auch nicht vom Dalai Lama -, angenommen, sie hätten tatsächlich bereits vor Einschreiten der Staatsmacht bürgerkriegsartige Dimensionen erreicht, und angenommen, dabei seien tatsächlich friedliche chinesische Bürger getötet worden. Ist unter solchen Umständen nicht jeder Staat, Diktatur oder nicht, verpflichtet, solche Unruhen niederzuschlagen, notfalls auch mit eiserner Faust?

Früher war es auch in demokratischen Staaten üblich, dass die Polizei bei bürgerkriegsartigen Unruhen in die Menge schoss, um die Kontrolle zurückzugewinnen. Und üblich waren auch schwere Strafen für Unruhestifter.

Wenn das heute in Europa alles sanfter vonstatten geht, wenn regelmäßig die De-Eskalation versucht wird, so ist dies gewiss kluge Strategie. Ein Anspruch, auf den Gewalttäter sich berufen könnten, ist es aber keineswegs!

Schon gar nicht, wenn Unbeteiligte betroffen sind, wenn ihr Eigentum zerstört oder sie selbst getötet werden. Ein de-eskalierend pazifistischer Staat mag eine gute Presse haben, aber er verletzt seine Schutzpflichten gegenüber dem loyalen Bürger.

Mir scheint, dass man die Unruhen in Gang gesetzt hat, um eine PR-Schlacht gegen China zu entfesseln; mir scheint, dass man von den Kosovaren und den Palästinensern gelernt hat, wie man die Schwächen des westlichen Mediensystems für sich ausbeutet. Und allem Anschein nach haben auch die Chinesen ihre Schlussfolgerungen aus der Tatsache gezogen, dass die freie Berichterstattung (z.B. aus dem Gazastreifen) nicht die differenzierte journalistische Analyse gefördert hat, sondern die Sensations- und Meinungsmache durch spektakuläre Gewaltbilder. Kann man ihnen wirklich übelnehmen, dass sie sich das nicht antun wollen, von der Journaille auf dieselbe unfaire und verleumderische Art und Weise durch den Dreck gezogen zu werden wie Israel?

„Mir scheint“ heißt: Ich weiß es nicht. Die Informationen sind zu spärlich. Wer aber nach einem Olympiaboykott ruft, muss mir schon stärkere Argumente anbieten, als bisher erkennbar sind.

Die besondere Verantwortung

Angela Merkel stattet Israel einen großen Staatsbesuch mit sieben Ministern ab, inclusive einer Rede vor der Knesset und einer gemeinsamen deutsch-israelischen Kabinettssitzung. In Zukunft sollen regelmäßige Regierungskonsultationen stattfinden. Die Beziehungen zu Israel bekommen damit aus der Sicht Berlins den gleichen Rang wie die zu anderen strategisch wichtigen Partnern, etwa zu Frankreich.

Der Deutschlandfunk lässt indessen keine Gelegenheit vorübergehen, uns darauf hinzuweisen, dass diese undankbaren Saujuden das überhaupt nicht zu schätzen wissen.

So wird es natürlich nicht formuliert. Aber so muss es wohl gemeint sein, wenn der Reporter Sebastian Engelbrecht sich als Einstieg lang und breit darüber auslässt, dass sein israelischer Kollege Probleme damit hat, auf israelischem Boden das Deutschlandlied zu hören (als ob das politisch von Bedeutung wäre), und wenn die Moderatorin der „Informationen vor Mitternacht“ pikiert – und wiederum als Aufhänger – vermerkt, dass die israelische Öffentlichkeit sich wohl nicht sehr für den Besuch interessiere.

Wahrscheinlich würden mir solche Spitzen gar nicht weiter auffallen, würden sie nicht in einem Programmumfeld zum Besten gegeben, in dem noch das Attentat auf die Religionsschule in Jerusalem als Anlass zu kaum noch getarnten antisemitischen Gehässigkeiten herhalten muss; wo nach dem Motto, die Juden seien ja selbst schuld, tränendrüsendrückend der Attentäter bemitleidet wird, der „in seinem kurzen Leben“ (Bettina Marx) – über das man zu diesem Zeitpunkt so wenig wusste, dass noch nicht einmal klar war, zu welcher Terrorbande er eigentlich gehörte – so viel Unrecht habe erdulden müssen, unter anderem von „reichen Juden“ (dies.), weil für die in Ostjerusalem eine „Luxussiedlung“ gebaut werde. Die reichen Juden – wieso kommt mir das nur so bekannt vor?

Primär geht es mir allerdings nicht um diesen gebührenfinanzierten Antisemitismus – ich musste das nur einmal loswerden -, sondern um die deutsche Israelpolitik. Ich finde es ausgesprochen begrüßenswert, dass die deutsche Regierung die Beziehungen zu Israel so eng und konstruktiv wie möglich gestalten will. Ich zweifle auch nicht daran, dass es Angela Merkel persönlich sehr ernst damit ist.

Nur kann Israel sich von den persönlichen Gefühlen der Bundeskanzlerin wenig kaufen – auf die Taten kommt es an, und zwar vor allem auf solche Taten, die die Feinde Israels betreffen, und die darauf abzielen, die von ihnen ausgehende Bedrohung zu verringern.

Es ist nicht konsequent, zutreffend das iranische Atomprogramm mit der Aufrüstung Hitlers zu vergleichen und vor einer Appeasementpolitik im Stil der dreißiger Jahre zu warnen, sich dann aber nicht etwa der Boykottpolitik der Amerikaner anzuschließen, sondern sich hinter dem Weltsicherheitsrat zu verstecken, in dem Russland und China zuverlässig alle wirkungsvollen Sanktionen gegen den Iran verhindern – genau im Stil der dreißiger Jahre, als England und Frankreich durchgreifende Sanktionen des Völkerbundes gegen Mussolinis Abessinienkrieg trickreich abzuwenden wussten.

Natürlich würde eine solche Politik Deutschland Geld kosten: ungefähr zwei Promille (nicht Prozent!) des deutschen Bruttosozialprodukts; der Export nach dem Iran verhält sich nämlich zu Deutschlands Sozialprodukt wie ein Zwanzig-Cent-Stück zu einem Hundert-Euro-Schein. Den Iran aber würde der Fortfall der deutschen Lieferungen, vor allem von strategisch bedeutsamen Industrieausrüstungen, vor erhebliche Probleme stellen. Ist es unter solchen Umständen ungerecht zu sagen, dass die Sprüche von der „besonderen Verantwortung Deutschlands für Israel“ keine 20 Cent wert sind?

Die Israelfreundlichkeit der deutschen Politik reicht genau so weit, wie man sie politisch korrekt mit dem Hinweis auf die Shoah und auf die zitierte „besondere Verantwortung“ legitimieren kann. Jenseits davon begäbe man sich in das Sperrfeuer einer öffentlichen Meinung, die von den Medien – und der Deutschlandfunk ist keineswegs das schlimmste Beispiel – systematisch pro-palästinensisch indoktriniert wird.

Natürlich kann es nicht Aufgabe gewählter Politiker sein, Medienschelte zu betreiben; zu schnell wittert die Öffentlichkeit einen Eingriff in die Pressefreiheit, und die Medien selbst sind gegenüber der Kritik von Politikern mindestens so hartleibig wie die Europäische Zentralbank. Solange aber unsere Politiker, und sei es durch Schweigen, den Eindruck erwecken, diese Kritik zu teilen, darf man sich nicht wundern, dass der genasführte Bürger ernsthaft glaubt, Israel sei eine Gefahr für den Weltfrieden, und dass die politisch korrekten geschichtsbewussten Phrasen bei ihm so ankommen, als würde Deutschland Israel nur aus schlechtem Gewissen unterstützen, nicht aber weil Israel eine befreundete Demokratie und obendrein im Recht ist.

Was spräche denn dagegen, sich als offizielle deutsche Position den völkerrechtlich unangreifbaren Standpunkt zu Eigen zu machen, dass Israel etwa bei seinen Militäraktionen im Gazastreifen von seinem Selbstverteidigungsrecht gemäß der UN-Charta Gebrauch macht? Dass es bedauerlich, aber nicht rechtswidrig ist, wenn dabei Zivilisten ums Leben kommen? Dass die Verantwortung dafür bei jenen irregulären Kombattanten (sprich Terroristen) liegt, die aus der Zivilbevölkerung heraus Kampfhandlungen vornehmen? Und dass eine kriegführende Macht nicht an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gebunden ist?

Ich glaube auch, dass es hilfreich wäre, wenn den Palstinensern klargemacht würde, dass sie keinerlei Unterstützung aus europäischen Steuergeldern mehr zu erwarten haben, wenn sie nicht ihre Terrorgruppen zerschlagen. Selbst wenn wir es nicht schaffen würden, diese Haltung – „Stoppt den Terror oder fresst Gras!“ – bei der EU durchzusetzen, würde allein die Tatsache, dass ein wichtiges westliches Land sich genau dafür einsetzt, den Effekt haben, dass die israelische Politik, den Gazastreifen tatsächlich nicht zu blockieren, überhaupt wahrgenommen und dann so human aussehen würde, wie sie tatsächlich ist.

Es könnte auch gewiss nicht schaden, auf eine Ausweitung der Unifil-Mission im Libanon zu drängen, mit der die Waffenlieferungen an die Hisbollah auf dem Landwege unterbunden würden. (Unsere Marine kreuzt vor der libanesischen Küste; das heißt, sie stellt sich bis an die Zähne bewaffnet vor ein fest verrammeltes Fenster, während die Tür – eben der Landweg von Syrien her – sperrangelweit offensteht.) Da die UNO dann aber deutsche Infanteristen anfordern würde, wird das niemals geschehen. Soviel zur b.V.D.f.I.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Iran“

Die Kollaborateure des Djihad

Wenn ich meine Spülmaschine reparieren lasse, einen Anwalt konsultiere, ein Taxi nehme, mit einem Anlageberater spreche, kurzum: wenn ich eine Dienstleistung in Anspruch nehme, die ein gewisses Expertenwissen voraussetzt, dann bin ich darauf angewiesen, dem „Experten“ ein gewisses Vertrauen entgegenzubringen, insbesondere mich auf seine Kompetenz und Integrität zu verlassen. Einen Missbrauch dieses Vertrauens nennt man Täuschung, und, sofern strafrechtlich relevant, Betrug.

Auch die Gesellschaft als Ganze ist auf solche Dienstleistungen angewiesen, insbesondere auf solche der Medien und der Wissenschaft. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, nicht getäuscht oder manipuliert zu werden.

Das heißt ja nicht, dass Wissenschaftler oder Journalisten keinen politischen Standort haben oder den nicht zum Ausdruck bringen dürften. Es gibt aber eine rote Linie, jenseits derer Journalismus und Wissenschaft zu Propaganda und Meinungsmache entarten, und die wird spätestens dort überschritten, wo der geltende professionelle Standard nicht eingehalten, seine Einhaltung aber vorgetäuscht wird.

Der „Tagesspiegel“ vom vergangenen Samstag berichtete über eine Studie des amerikanischen Islamwissenschaftlers John Esposito von der Georgetown University, die, gestützt auf eine Gallup-Umfrage unter 50.000 Muslimen in 35 Ländern, unter anderem zu dem Schluss kommt, 93 Prozent aller Muslime seien „politisch moderat“, eine Mehrheit befürworte die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Demokratie, und die Abneigung gegen den Westen sei auf dessen mangelnden Respekt gegenüber dem Islam zurückzuführen. Der Verfasser des Artikels, Martin Gehlen, zieht daraus den Schluss, Vorbehalte gegenüber dem Islam seien „offensichtlich“ wenig begründet.

Es gehört zu den selbstverständlichen Standards sauberen Journalismus, bei der Berichterstattung über gesellschaftwissenschaftliche Studien den Leser darauf hinzuweisen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass außerwissenschaftliche Interessen im Spiel sein könnten. So ist es zum Beispiel üblich, bei wirtschaftswissenschaftlichen Veröffentlichungen die Arbeitgeber- bzw. Gewerkschaftsnähe des betreffenden Instituts zu erwähnen.

Entsprechend wäre es Gehlens Pflicht gewesen, den Leser (der das nicht wissen kann) darauf aufmerksam zu machen, dass Esposito an der Georgetown University das „Prince Alwaleed bin Talal Center for Muslim Christian Understanding“ leitet; und wenn er besonders gründlich recherchiert hätte, wäre er auch darauf gestoßen, dass dieses Institut seinen Namen sowie Finanzmittel in Höhe von 20 Mio. Dollar einem Mitglied der saudischen Königsfamilie verdankt, dass Esposito und sein Institut seit Jahren eine politische Agenda verfolgen, und dass diese Agenda darin besteht, den Islam möglichst gut aussehen zu lassen. Diesen sachlich relevanten Hintergrund nicht einmal anzudeuten ist eine Irreführung, die kaum weniger schwer wiegt als eine direkte Lüge.

Ein vierspaltiger (!) Artikel auf Seite 2 (!) erweckt den Eindruck, der Autor habe die Studie gelesen und sich mit ihrem Inhalt auseinandergesetzt. Auch dies eine Irreführung, die einer Lüge gleichkommt: Tatsächlich ist die Studie erst am vergangenen Dienstag (drei Tage vor Redaktionsschluss 29.02.08) veröffentlicht worden, im Internet nicht verfügbar und wird erst im März im Buchhandel erhältlich sein; Gehlen kann sie gar nicht gelesen haben. Die verfügbaren Informationen beruhen allem Anschein nach auf der Eigenwerbung Espositos und der Georgetown University und den darauf bezogenen Pressemitteilungen. Nichts hätte dagegen gesprochen, das Erscheinen der Studie abzuwarten und sie dann gründlich zu besprechen; die Vorab-Lobhudelei ist das journalistische Äquivalent des vorzeitigen Samenergusses.

Ungefähr die Hälfte des Artikels ist mit – durchweg zustimmenden – Stellungnahmen von Islamwissenschaftlern gefüllt; hier wird – wiederum irreführend – der Eindruck erweckt, es habe eine breite wissenschaftliche Rezeption der Studie gegeben, die es nicht gegeben haben kann, siehe oben, und es bestehe ein zustimmender Konsens der Wissenschaft. Letzterer Eindruck wird dadurch erzeugt, dass kein einziger Gelehrter mit islamkritischem Profil befragt wird. Auch dies eine Täuschung des Lesers.

Dabei weisen schon die wenigen bekannten, teilweise von Gehlen selbst aufgeführten Ergebnisse Espositos Studie als ein wissenschaftlich zweitklassiges Machwerk aus:

So seien 7 Prozent der Muslime „politisch radikalisiert“, während 93 Prozent „politisch moderat“ seien. Unter den „Extremisten“ liege die Zustimmung zur Demokratie aber bei 50 Prozent. Einem Kind muss auffallen, dass ein „demokratischer Extremist“ ein schreiender Widerspruch in sich ist! (Herrn Gehlen fällt es nicht auf.) Hier stellt sich die Frage, ob die Begriffsdefinitionen überhaupt der gängigen politikwissenschaftlichen Begrifflichkeit von „Demokratie“ bzw. „Extremismus“ entsprechen. Aus anderen Quellen erschließt sich, dass als „extremistisch“ eingestuft wird, wer Terrorismus, insbesondere die Terroranschläge des 11. September gutheißt. Nach einer solchen Definition aber wären nicht einmal Kommunisten als extremistisch einzustufen! Die großen marxistischen Parteien nämlich haben Terrorismus als Mittel der Revolution traditionell immer abgelehnt. Es handelt sich offensichtlich um eine Ad-hoc-Definition, die von ideologischen Inhalten völlig absieht. Gerade auf diese Inhalte kommt es aber bei der Definition von „extremistischen“ im Unterschied und Gegensatz zu demokratischen Positionen entscheidend an.

Mehr noch: Es wird der Eindruck erweckt, als sei von „Extremismus“ in unserem westlichen Verständnis des Wortes die Rede, während der Definition in Wahrheit das islamische Verständnis zugrundeliegt. Nach islamischem Verständnis ist selbstverständlich kein Extremist, wer die Steinigung von Ehebrecherinnen, die Diskriminierung von Christen, die Todesstrafe für Apostaten und die Ermordung islamkritischer Schriftsteller – mit einem Wort: die Geltung der Scharia – befürwortet.

Was würde man eigentlich von einem Antisemitismusforscher halten, der die Verbreitung antisemitischer Einstellungen daran messen wollte, ob die Frage „Sind sie Antisemit?“ mit „Ja“ beantwortet wird, und der aus den Ergebnissen schließen würde, 99 Prozent der Deutschen hätten keine antisemitischen Vorbehalte? Man würde ihn für einen einfältigen Narren halten, der das Abfragen von Lippenbekenntnissen mit Wissenschaft verwechselt. Für den Sozialwissenschaftler kommt es aber gerade darauf an, solche Bekenntnisse kritisch zu hinterfragen. Also nicht, wie offenbar Esposito, zu fragen: „Sind Sie für die Demokratie?“, sondern zu fragen: „Soll der Gesetzgeber an Koran und Scharia gebunden sein?“, „Sollen Andersgläubige ihren Glauben frei praktizieren dürfen?“. Nicht zu fragen: „Sind Sie für die Gleichberechtigung von Mann und Frau?“, sondern „Sind Sie für die Gleichberechtigung auch dann, wenn es dem islamischen Recht widerspricht?“ oder „Wären Sie damit einverstanden, dass Ihre eigene Frau berufstätig ist?“. Nur einmal als Beispiele dafür, wie ein kritischer Sozialwissenschaftler fragen würde.

(Und man sollte auch ins Grübeln kommen, wenn Muslime ihre Abneigung gegen den Westen mit dessen „Mangel an Respekt gegenüber dem Islam“ begründen. Wenn dreitausend Moscheen allein in Deutschland gegen null Kirchen in Saudi-Arabien ein Zeichen von mangelndem Respekt sind: Wie haben wir uns den von Muslimen erwarteten „Respekt“ dann eigentlich vorzustellen? Und welches Verständnis von Meinungsfreiheit und individueller Autonomie offenbart ein Sozialwissenschaftler, der „mangelnden Respekt“, also ein Gefühl, als etwas Böses brandmarkt, das es zu bekämpfen gelte? Und schließlich: Was um alles in der Welt soll ich denn am Islam respektieren?)

Und nicht zuletzt zeigt sich die ideologische Disposition der Befragten, aber auch der sie befragenden Wissenschaftler, am Verhältnis zum Existenzrecht Israels (weil dieses Existenzrecht eben unter Berufung auf islamisches Recht bestritten wird). Wenn man schon die Zustimmung zu Terrorismus zum Lackmustest für Extremismus macht, warum dann nur die Anschläge des 11. September? Warum stellt man nicht die Frage, ob der Befragte Terrorismus gegen Israel befürwortet? Offensichtlich deshalb, weil dann Ergebnisse herauskommen würden, die zum Bild des „moderaten Islam“ nicht passen würden. Die Ermordung von Juden zu befürworten ist in den Augen Espositos und seiner Claqueure offenbar kein hinreichendes Indiz für „politischen Extremismus“.

Im übrigen ist es ein allgemein bekanntes Problem der Umfragesoziologie, dass Befragte dazu neigen werden, diejenigen Antworten zu geben, von denen sie glauben, dass der Interviewer sie hören möchte, und es gehört zur wissenschaftlichen Sorgfalt, diesen Störfaktor so weit wie möglich auszuschalten. Methodenlehre, zweites Semester.  Und nun stelle ich mir vor, ein Interviewer stellt sich als Vetreter eines amerikanischen Meinungsforschungsinstituts vor (eben Gallup), und fragt: „Befürworten Sie die Anschläge des 11. September?“ Da erübrigt sich jeder Kommentar.

Auf dieser Linie etwa wird sich die wissenschaftliche Kritik bewegen. Der deutsche Zeitungsleser wird davon aber nichts mehr erfahren. Was ihm im Gedächtnis haften bleiben wird, ist, dass 93 Prozent aller Muslime politisch moderat und Vorbehalte gegen den Islam offensichtlich unbegründet seien.

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Die Daumenschraube wird weitergedreht

Nun schreibe ich schon einen ellenlangen Artikel über Sport, um mir mal eine Islam- und Türkenpause zu gönnen. Leider ist dieses Thema ungefähr so leicht zu ignorieren wie ein knatternder Presslufthammer nachts unter dem Schlafzimmerfenster. (Ein solcher fiele in der Diktion der Political Correctness vermutlich auch unter das Stichwort „Kulturelle Bereicherung“ – sofern er von einem Muslim gehandhabt würde.) Also schön – das Wort hat die Türkische Gemeinde in Deutschland:

NACH DEN BRANDANSCHLÄGEN MUSS ES EINE NEUAUSRICHTUNG DER POLITIK GEBEN Nach einer Reihe von Brandanschlägen, brachte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat, die ernsthaften Sorgen der türkeistämmigen Bewohner/innen Deutschlands zum Ausdruck und verlangte eine Neuausrichtung der Integrationspolitik. Kolat stellte folgende Grundsätze für einen neuen Ansatz in der Integrationspolitik vor: 1) Die Sicherheitskräfte müssen intensiver vorbeugend tätig werden. Die Sicherheitskräfte in der Bundesrepublik müssen ihre vorbeugende Tätigkeit intensivieren. Zur Stärkung des Vertrauens der türkeistämmigen Bevölkerung muss die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit Organisationen der türkischstämmigen Community ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang müssen mehr Menschen mit Migrationshintergrund ausgebildet und eine 10-%- Einstellungsquote umgehend eingeführt werden. 2) Es muss gegenseitiges Vertrauen hergestellt werden. Die Führungspersönlichkeiten der deutschen und der türkischstämmigen Gesellschaft müssen ihre Beziehungen intensivieren und Zeichen für ein friedliches Zusammenleben gemeinsam setzen. Der von Menschen mit Migrationshintergrund für diese Gesellschaft geleistete und zu leistende Beitrag muss hervorgehoben werden. Um diesen Beitrag zu steigern müssen öffentliche Institutionen die notwendige Unterstützung leisten. 3) Anstelle einer sog. Integration müssen gleiche Rechte und Partizipation im Vordergrund stehen. Wo es keine Partizipation gibt, fühlen sich die Menschen ausgegrenzt. Wenn das System die Menschen nicht einbezieht, nehmen diese das System nicht an. Deshalb ist die politische Partizipation von herausragender Bedeutung. In diesem Kontext sind den Menschen mit Migrationshintergrund das kommunale Wahlrecht und die Mehrstaatigkeit unbedingt zu gewähren. Kulturelle Partizipation wird die Menschen in die Lage versetzen, ihre kulturellen Werte in eine positive Richtung weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass die türkische Sprache an den Schulen gelehrt und Türkisch als 2. Fremdsprache bis zum Abitur angeboten wird; es muss auf jegliches Sprachverbot an Schulen verzichtet werden. Auch ist Islam-Unterricht an Schulen Teil der kulturellen Partizipation. Bildungspartizipation ist unverzichtbar. Leider lässt der Bildungserfolg türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher viel zu wünschen übrig. Das hat verschiedene Ursachen. Das Bildungssystem in seiner heutigen Form verhindert den Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund. Auch die Partizipation am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist in den letzten Jahren rückläufig. Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert eine 10-%-Quote am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. 4) Es muss ein politischer Ehrenkodex verabschiedet werden Es muss Schluss sein mit der Instrumentalisierung von Migrant/innen in Wahlkämpfen. Um dies zu gewährleisten sollten alle Parteien und Organisationen sich auf einen „politischen Ehrenkodex“ einigen und diesen abzeichnen. Verstöße dagegen müssen öffentlich gemacht werden. 5) Programme zur Bekämpfung von Rassismus müssen weiterentwickelt werden. Die öffentlich geförderten Programme zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen ausgeweitet, ihre Resultate öffentlich diskutiert werden. Darüberhinaus müssen die Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden werden und an Schulen interkulturelles Leben als Pflichtfach eingeführt sowie internationale Austauschprogramme zum gegenseitigen Kennenlernen entwickelt werden.

Das Ganze beginnt bereits mit einer Lüge, nämlich mit der Behauptung, es habe „eine Reihe von Brandanschlägen“ gegeben. In Wahrheit waren es höchstens zwei, von denen einer – der von Ludwigshafen – erwiesenermaßen keiner war. Und der andere, der von Marburg? Sagen wir es so: Wenn jemand es darauf angelegt hätte, einen fremdenfeindlich motivierten Brandanschlag vorzutäuschen, so wäre er genau so vorgegangen wie die Täter von Marburg. Mit dieser Lüge werden fünf Gruppen von Forderungen legitimiert, von denen vier mit dem Schutz vor rechtsextremer Gewalt nichts zu tun haben, und die fünfte, bei Licht besehen, auch nicht. Der Hinweis auf die „Reihe von Brandanschlägen“ dient also nicht etwa als Argument, sondern dazu, sich als „Opfer“ zu stilisieren, dessen Forderungen abzulehnen mithin unmoralisch wäre. Wenn es um Sprache geht, bin ich ein wenig Etepetete: Ich achte nicht nur darauf, was einer sagt, sondern auch, wie er es sagt. Wie einer redet, so denkt er, und wie er denkt, so ist er: Der Forderungsteil besteht aus 30 Hauptsätzen (zuzüglich einigen Nebensätzen), davon 21 Forderungen, aber nur neun Tatsachenbehauptungen; anscheinend hält man es nicht für nötig, sich lange mit Argumenten aufzuhalten. Von diesen 21 Forderungen werden nicht weniger als sechzehn (!) mit dem Wort „müssen“ erhoben, und nur einmal steht der konziliante Konjunktiv „sollte“. Ich glaube nicht, dass es übertrieben sensibel ist, wenn ich feststelle, dass dies nicht die Sprache von Konsens oder Kompromiss ist. Sondern die Sprache des Ultimatums. „Zur Stärkung des Vertrauens der türkeistämmigen Bevölkerung [in die Sicherheitskräfte]…“ In Deutschland ist es nicht üblich sich auszusuchen, ob man zur Polizei „Vertrauen“ hat. Man befolgt ihre Anweisungen. Wer dies nicht will, weil es ihm am Vertrauen gebricht, muss hier nicht leben. Die türkische Polizei, die für ihre skrupulöse Beachtung der Menschenrechte weltberühmt ist, soll ja auch viel vertrauenswürdiger sein. „…muss die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit Organisationen der türkischstämmigen Community ausgebaut werden.“ Heißt: Die Türkische Gemeinde in Deutschland und vergleichbare Verbände sollen in die Arbeit der Polizei hineinreden dürfen. „In diesem Zusammenhang müssen mehr Menschen mit Migrationshintergrund ausgebildet und eine 10-%- Einstellungsquote umgehend eingeführt werden“ Heißt zweierlei: Einmal, dass gegebenenfalls besser qualifizierte deutsche Bewerber abgelehnt werden sollen, damit die Quote erfüllt wird – also eine Vorzugsbehandlung; die davon Profitierenden dürfen sich dann als Quotentürken fühlen und wissen, wem sie ihren Job zu verdanken haben. Zweitens, und in Zusammenhang mit der oben zitierten Forderung nach „Zusammenarbeit“, dass die türkischen Verbände eine Art Patenschaft für „ihre“ Polizisten bekommen. „Die Führungspersönlichkeiten der deutschen und der türkischstämmigen Gesellschaft müssen ihre Beziehungen intensivieren“ Aha! Wir haben also zwei Gesellschaften, eine deutsche und eine türkische, und beide haben „Führungspersönlichkeiten“. Herr Kolat sieht sich auf Augenhöhe mit der Bundeskanzlerin. „Der von Menschen mit Migrationshintergrund für diese Gesellschaft geleistete … Beitrag muss hervorgehoben werden.“ Das kann ich mir so gar nicht vorstellen, dass die Türken wirklich ein Interesse daran haben sollten, den türkischen Beitrag zum PISA-Ergebnis, zur Kriminalstatistik, zur Länge des Verfassungsschutzberichtes und zur Höhe der Sozialausgaben auch noch „hervorgehoben“ zu sehen. Aber bitte, wenn sie meinen… Beinahe stimmt es hoffnungsfroh, dass auch vom „zu leistenden Beitrag“ die Rede ist. Sie sind also der Meinung, sie hätten einen Beitrag zu leisten. Und wie soll das geschehen? „Um diesen Beitrag zu steigern müssen öffentliche Institutionen die notwendige Unterstützung leisten.“ Ach so. Gebt uns Staatsknete, dann seht ihr vielleicht einen Teil davon in Gestalt unseres „Beitrages“ wieder. „Anstelle einer sog. Integration…“ – Im Klartext: Schlagt Euch Euren Integrationsklimbim aus dem Kopf! – „… müssen gleiche Rechte und Partizipation im Vordergrund stehen Wo es keine Partizipation gibt, fühlen sich die Menschen ausgegrenzt.“ Für deutsche Staatsbürger gibt es gleiche Rechte und Partizipation – und es wird ja niemandem schwer gemacht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, eher zu leicht. Dass Nicht-Staatsbürger nicht die gleichen Rechte haben, ist keine „Ausgrenzung“, sondern eine Selbstverständlichkeit. „Wenn das System die Menschen nicht einbezieht, nehmen diese das System nicht an.“ Das muss man sich richtig auf der Zunge zergehen lassen: Sie „nehmen das System nicht an“. Wohlgemerkt: Hier ist von Nicht-Staatsbürgern die Rede, nicht etwa von Deutschen türkischer Herkunft. Wenn die also nicht die gleichen Rechte wie Staatsbürger bekommen, dann… „Deshalb ist die politische Partizipation von herausragender Bedeutung. In diesem Kontext sind den Menschen mit Migrationshintergrund das kommunale Wahlrecht und die Mehrstaatigkeit unbedingt zu gewähren.“ Rechte wie die Deutschen, aber Pflichten gegenüber der Türkei, der türkischen Community, der Umma, dem Djihad. „Kulturelle Partizipation wird die Menschen in die Lage versetzen, ihre kulturellen Werte in eine positive Richtung weiterzuentwickeln.“ Ihre kulturellen Werte. Davon bin ich allerdings überzeugt. Man versucht nicht einmal, uns davon zu überzeugen, dass wir daran ein Interesse haben könnten. „In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass die türkische Sprache an den Schulen gelehrt und Türkisch als 2. Fremdsprache bis zum Abitur angeboten wird“ Notwendig? Wieso? „…es muss auf jegliches Sprachverbot an Schulen verzichtet werden.“ Die deutsche Sprache darf nicht die verbindliche Umgangssprache sein. „Auch ist Islam-Unterricht an Schulen Teil der kulturellen Partizipation.“ Das genau ist er nicht. Partizipation heißt „Teilhabe“ und „kulturelle Partizipation daher „Teilhabe an der deutschen Kultur“. Der Islam gehört dazu nicht. „Leider lässt der Bildungserfolg türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher viel zu wünschen übrig. Das hat verschiedene Ursachen.“ Nanu: „Verschiedene Ursachen“ – ein Ansatz zur Selbstkritik? I wo: „Das Bildungssystem in seiner heutigen Form verhindert den Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund.“ Ob das wirklich keine Satire ist? Das deutsche Bildungssystem steht allen offen, und zwar kostenlos. Ich möchte irgendwann einmal ein einziges Argument hören, warum das deutsche Bildungssystem daran schuld sein soll, dass Dummheit, Frechheit, Faulheit und Gewalttätigkeit unter türkischen Schülern so viel verbreiteter sind als unter anderen. „Auch die Partizipation am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist in den letzten Jahren rückläufig. Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert eine 10-%-Quote am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.“ … damit man ohne solche deutschen Kleinkariertheiten wie einen Schulabschluss oder gar gute Noten auskommt und obendrein einen Arbeitgeber verklagen kann, der sich weigert, unqualifiziertes Personal einzustellen. Aber das Filetstück kommt erst jetzt: „Es muss Schluss sein mit der Instrumentalisierung von Migrant/innen in Wahlkämpfen. Um dies zu gewährleisten sollten alle Parteien und Organisationen sich auf einen „politischen Ehrenkodex“ einigen und diesen abzeichnen. Verstöße dagegen müssen öffentlich gemacht werden.“ Migranten, gemeint sind: Muslime, speziell Türken, dürfen nicht kritisiert werden. Wer es doch tut, kommt an den Pranger. Die deutschen Parteien haben auf die Meinungsfreiheit zu verzichten. Sarkastisch könnte man sagen, dass das bereits der Fall ist. Ungewöhnlich nur, selbst für islamische Verhältnisse, die Dreistigkeit und Offenheit, mit der dies gefordert wird. Aber nicht wirklich erstaunlich: Wir haben es mit den ersten Auswirkungen der Hessenwahl zu tun. Eine Gesellschaft, die ihre Bereitschaft zur Unterwerfung so deutlich kundtut wie die deutsche, darf sich nicht wundern, wenn diese Unterwerfung schließlich auch als Recht gefordert wird. „Die öffentlich geförderten Programme zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen ausgeweitet, ihre Resultate öffentlich diskutiert werden. Darüberhinaus müssen die Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden werden…“ …damit nicht solche lästigen ungläubigen Dinge wie religiöse Toleranz oder der Kampf gegen Antisemitismus gelehrt werden, „…sowie internationale Austauschprogramme zum gegenseitigen Kennenlernen entwickelt werden.“ Endlich eine gute Idee! Ich schlage vor, umgehend auch türkische und arabische Schüler in den Jugendaustausch mit dem Staat Israel einzubinden und sie in Kibbuzim in Reichweite von Katjuschas und Kassam-Raketen arbeiten zu lassen. Aber das scheitert wahrscheinlich daran, dass „Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden“ werden. Was fordert die TGD? Erstens Geld. Zweitens Nicht-Integration. Drittens eine Vorzugsbehandlung von Türken. Viertens die Gleichberechtigung türkischer Organisationen mit dem deutschen Staat. Fünftens Zugriff auf die deutsche Polizei. Was bietet sie? Nichts. Nur die Selbstverständlichkeit, dass ihre Mitglieder „das System annehmen“ – zu deutsch: Sich nicht der Qaida anschließen und nicht unsere Städte anzünden. Im islamischen Recht nennt man das: „Dhimma“ – ein Schutzvertrag, bei dem die „Ungläubigen“ dafür bezahlen, dass die Muslime keinen Djihad gegen sie führen. Wir dürfen Dhimmis werden.