Das Carepaket-Syndrom

Martin Lichtmesz seziert in sezession.de Kewils PI-Attacke auf die Junge Freiheit, die es gewagt hatte, die offizielle Darstellung des 11. September zu bezweifeln und sich damit der Unbotmäßigkeit gegenüber unseren amerikanischen Freunden schuldig zu machen (wenigstens ein Thema, bei dem Kewil Hand in Hand mit Angela Merkel wandelt):

„Kewil“ ist aber auch ein bezeichnendes Beispiel für ein leider tief sitzendes Übel mancher deutscher „Islamkritiker“ und „Konservativer“.  Das Schwenken von US- und Israelfahnen kaschiert die Unfähigkeit, auf eigenen Beinen zu stehen und zu denken. Eine Art Ersatz- und Kompensationspatriotismus, den man sich in Bezug auf die eigene Nation nicht oder nur verschämt oder eben nur  hinter Onkel Sams Rücken gestattet, wohl aus Angst vor den zu erwartenden Prügeln (can you spell „re-education“?). Die ganze pi-Szene krankt bis zur Idiotie an dieser Verblendung. Die einseitige Fixierung auf das Feindbild Islam ist die direkte Folge dieser Kurzsichtigkeit.

Das ist ein klassischer Fall von „Psychologie der Niederlage“, in derem Bann die geistig Kolonialisierten schon gar nicht mehr wissen, daß ihr Kopf nicht mehr ihnen gehört, in der sie ihr gebrochenes Rückgrat stolz als Zeichen der Genesung zur Schau stellen und ihr Kriechen für einen aufrechten Gang halten. In dieser Lage können sie die introjizierten Fremdbilder gar nicht mehr als solche erkennen. Eine Abart des „Stockholm-Syndroms“, die man „Carepaket-Syndrom“ nennen könnte.

[Es versteht sich von selbst, dass ich die Lektüre des gesamten Artikels empfehle. Hier klicken.]

 

11. September

Eigentlich hatte ich nicht vor, mich noch länger mit der Frage zu beschäftigen, wer der Urheber der Anschläge vom 11.September 2001 war, und ob die amerikanische Regierung bzw. ihre Geheimdienste ihre Finger im Spiel hatten. Ich hatte lediglich das Buch von Oliver Janich rezensiert und im Zuge dieser Rezension, in der es hauptsächlich um ganz andere Dinge ging, unter anderem geschrieben, dass und warum die Argumente des Autors mich in diesem Punkt überzeugen – ohne dass das Thema mich an sich mehr interessieren würde als die Frage, ob Nero Rom oder Hitler den Reichstag angezündet hat.

Ich habe daher auch nicht vor, dem Thema in Zukunft große Aufmerksamkeit zu widmen. Da aber nun unter anderen zwei Kommentatoren, die hier vorher nie geschrieben haben, ein so ungewöhnliches Interesse an den Tag legen, die offizielle Version zu stützen, und einer sich sogar dazu verstiegen hat, an meinem Verstand zu zweifeln, werde ich mich nun doch ein wenig genauer damit beschäftigen – und dann werden wir sehen, wer hier nicht bei Verstand ist.

Das Problem, das Viele mit den sogenannten „Truthern“ haben, ist, dass die meisten von ihnen passionierte Verschwörungstheoretiker sind, auf die Wilhelm Buschs Vers zutrifft „Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut“. Sie suchen und finden einfach viel zu viele „Indizien“, von denen sich etliche bei näherem Hinsehen als irrelevant erweisen; das stimmt schon.

Es ist bloß kein Einwand gegen diejenigen Indizien, die relevant sind. Und ich muss mich ernsthaft wundern, dass Leute, die für sich in Anspruch nehmen, rational zu argumentieren (und gerade deshalb die „Truther“ ablehnen), nun ihrerseits zu einem völlig irrationalen Argument greifen, dessen Logik darauf hinausläuft, die Erde müsse eckig sein, wenn ein „Truther“ behaupte, sie sei rund.

Ich selbst bin alles andere als ein passionierter Verschwörungstheoretiker: Meine Passion ist die Ideologiekritik, nicht das Denken in Verschwörungen. Eine Verschwörung nehme ich nur dann an, wenn die Fakten mir praktisch keine andere Wahl lassen. Dies ist bei den Ereignissen des 11. September der Fall.

Ich habe dabei aus dem oben genannten Grund kein Interesse, mich in hunderten von Details zu verzetteln. Ich frage also nicht, welche Art Flugkörper ins Pentagon gekracht ist; ich interessiere mich nicht dafür, was an Bord der in Pennsylvania abgestürzten Maschine geschah bzw. was dort abgestürzt ist. Auch behaupte ich nicht, dass die Qaida nicht verstrickt gewesen sei.

Ich konzentriere mich auf eine einzige Frage:

Warum sind die Zwillingstürme und WTC 7 eingestürzt?

Es ist ganz und gar ungewöhnlich, dass Hochhäuser aufgrund eines Brandes einstürzen, noch dazu so vollständig in sich zusammensinken, wie dies am 11.9.2001 gleich dreimal geschah. Ich kann mich an keinen einzigen derartigen Fall erinnern, und ich bin nun auch schon seit fast vierzig Jahren Nachrichtenkonsument.

Wenn ich davon ausginge, dass jedes zehnte brennende Hochhaus einstürzt, dann wäre dies noch eine weit übertriebene Schätzung. Trotzdem will ich sie der weiteren Argumentation zugrunde legen. Des Weiteren lasse ich das Argument gelten, die Zwillingstürme seien architektonisch identisch, sodass ihr Einsturz nicht als unabhängig voneinander zu gelten habe, mithin statistisch betrachtet ein einziges Ereignis darstelle.

Unter diesen mehr als fairen Prämissen haben am 11. September zwei Ereignisse stattgefunden, deren Wahrscheinlichkeit bei jeweils zehn Prozent liegt. Da man die Wahrscheinlichkeiten miteinander multiplizieren muss, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl die Zwillingtürme als auch WTC 7 aufgrund eines dort stattfindenden Brandes zusammenstürzen, bei 1 Prozent. Anders ausgedrückt: Bei hundert Ereignissen dieser Art bleibt statistisch 99mal mindestens eines der Gebäude stehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Zusammenbruch aller drei Gebäude (zwei Ereignisse) aufgrund eines Brandes Zufall ist, die offizielle Version also zutrifft, liegt – statistische Details beiseitegelassen – im Bereich von 1 Prozent; die, dass die offizielle Version nicht zutrifft, demgemäß im Bereich von 99 Prozent.

Weiter: Alle drei Gebäude sind perfekt, geradezu bilderbuchmäßig vertikal und fast in freier Fallgeschwindigkeit genau so zusammengebrochen, wie es auch bei einer kontrollierten Sprengung der Fall gewesen wäre. Der Kommentator, der darauf hingewiesen hat, dass eine solche Sprengung wochenlanger intensiver Vorbereitungen bedarf, und der damit beweisen wollte, dass dergleichen im WTC schon wegen der Kompliziertheit der Vorarbeiten nicht möglich gewesen sei (darauf komme ich gleich), hat unfreiwillig einen entscheidenden Punkt berührt:

Wir sollen also glauben, dass ein Brand rein zufällig zu einem Ergebnis führt, das normalerweise nur aufgrund ausgeklügelter Berechnungen von Abrissingenieuren und aufgrund wochenlanger Vorbereitungen zustande kommt? Und das dreimal hintereinander? Die Wahrscheinlichkeit, dass dies Zufall ist, verflüchtigt sich, ausgehend von dem 1 Prozent, das wir schon ermittelt haben, in einen Bereich, in dem sonst die Wahrscheinlichkeit von Lottogewinnen angesiedelt ist.

Einer der Gründe, warum trotzdem immer noch Viele an die offizielle Version glauben, dürfte darin zu suchen sein, dass sie der Meinung sind, die Verminung eines Gebäudes, in dem täglich Tausende von Menschen arbeiten, sei so unglaublich kompliziert und bedürfe einer so hohen Anzahl an Mitwissern, dass schon deshalb jede derartige Verschwörung auffliegen müsse. Und die „Truther“-Szene mit ihrer Neigung, sich in irrelevanten Details zu verzetteln, statt ein plausibles Szenario zu entwickeln, wie es konkret gemacht worden sein könnte, hat wenig dazu beigetragen, dieses Argument – das klassische Kernargument gegen jegliche Verschwörungstheorie – für den vorliegenden Fall zu entkräften.

Spielen wir es also einmal durch: Wir sind ein Geheimdienst und wollen einen Wolkenkratzer verminen, ohne dass es jemand merkt.

Ein guter Geheimdienst verfügt über Firmen, die normalerweise völlig legale Geschäfte machen und über eine unverdächtige zivile Legende verfügen. Etwa Handwerksfirmen: Elektriker, Installateure, Maurer – was man eben so braucht, wenn man ein Gebäude zum Beispiel verwanzen will. Dass ein Geheimdienst hierzu fähig ist, können wir getrost als Selbstverständlichkeit unterstellen – und dabei im Kopf behalten: Wer ein Gebäude verwanzen kann, der kann es auch verminen. Jedenfalls scheitert dies nicht am fehlenden Zutritt.

Über unsere Beziehungen, die wir als Geheimdienst haben, sorgen wir dafür, dass unsere Firmen Reparatur- und Bauaufträge im WTC bekommen. (Und wenn unsere Beziehungen nicht ausreichen, dann kaufen wir eben Firmen, die solche Aufträge regelmäßig bekommen, und lassen dort unsere Agenten arbeiten.)

Unsere Agenten bekommen also ganz offiziell und mit einem Auftrag des WTC-Managements in der Tasche regelmäßig Zutritt zum WTC, passieren jede Kontrolle und jede Sicherheitsüberprüfung (Selbstredend haben wir ihnen eine Identität mit der weißesten Weste besorgt, die man sich nur denken kann.) und führen Werkzeuge, Kabel, Rohre, allerlei technische Geräte mit sich. Wenn wir dann immer dieselben Handwerker schicken, (was wir schon deshalb tun sollten, um die Zahl der Mitwisser gering zu halten), dann lässt sich der Wachmann irgendwann nicht einmal mehr den Ausweis zeigen, sondern sagt bloß noch „Hi Jimmy, how are you?“

Sprengsätze müssen nicht aussehen wie Sprengsätze, und als Geheimdienst werden wir nicht so naiv sein „explosive“ draufzuschreiben. Wir werden auch in der Lage sein, Sprengstoff so zu verpacken, dass er den Bombenspürhunden entgeht.

Unsere Jungs machen sich also ans Werk, stemmen hier eine Wand auf, verlegen dort ein Rohr, tauschen da einen Feuerlöscher aus und so weiter. Selbst wenn sie dabei ab und an mit merkwürdig aussehenden Gegenständen hantieren, schöpft niemand Verdacht.

Jetzt tritt nämlich der Hauptmann-von-Köpenick-Effekt ein: Menschen trauen dem Augenschein. Wer den Overall eines Installationsunternehmens trägt – nun, was soll der schon anderes sein als ein biederer Handwerker, der seiner Arbeit nachgeht? Man achtet nicht auf ihn! Niemand hat auf dem Radarschirm, dass jemand dreist genug sein könnte, womöglich über Monate hinweg am hellichten Tage, unter den Augen der Security und vor den Linsen der Überwachungskameras das Haus mit Sprengladungen zu spicken. Mit einem Anschlag rechnen die Leute an den Monitoren wohl, und sie achten auf Dinge, die darauf hindeuten, aber sie rechnen nicht damit, dass Leute, die auf Geheiß des Managements täglich ein und aus gehen, das Gebäude verminen. Es ist psychologisch praktisch unmöglich, dass irgendjemand etwas davon mitbekommt. (Und für den Fall, dass die Aktion doch vorzeitig auffliegt, bereiten wir als guter Geheimdienst „Spuren“ und „Beweise“ vor, die unwiderleglich darauf hindeuten, dass der Ku-Klux-Klan das Oklahoma-Attentat im größeren Stil wiederholen wollte, oder dass die Mafia ein großangelegtes Erpressungsmanöver im Sinn hatte – irgendetwas in dieser Art.)

Die beteiligten Agenten werden schweigen, erstens, weil wir ihnen ein paar Millionen Dollar versprochen haben, zweitens, weil sie sonst womöglich wegen versuchten Massenmordes dran sind, drittens, weil sie keinen fatalen „Unfall“ erleiden wollen. Ist das kompliziert? Nein. Ist es schwierig? Nicht für eine Organisation mit den Mitteln eines Geheimdienstes. Gibt es viele Mitwisser? Auch nicht.

Versteht mich richtig: Ich behaupte nicht, dass es sich genau so abgespielt haben muss. Aber Ihr könnt nicht behaupten, eine solche Operation sei nicht durchführbar.

Kondolenz

„US-Präsident Barack Obama sprach [wegen der vor Gaza getöteten türkischen Islamisten] mittlerweile dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan sein Beileid aus.“

Jetzt begreife ich erst, welchen furchtbaren Fehler George W. Bush machte, als er es versäumte, nach dem 11.September 2001 dem saudischen König sein Beileid auszusprechen.

Die Kollaborateure des Djihad

Wenn ich meine Spülmaschine reparieren lasse, einen Anwalt konsultiere, ein Taxi nehme, mit einem Anlageberater spreche, kurzum: wenn ich eine Dienstleistung in Anspruch nehme, die ein gewisses Expertenwissen voraussetzt, dann bin ich darauf angewiesen, dem „Experten“ ein gewisses Vertrauen entgegenzubringen, insbesondere mich auf seine Kompetenz und Integrität zu verlassen. Einen Missbrauch dieses Vertrauens nennt man Täuschung, und, sofern strafrechtlich relevant, Betrug.

Auch die Gesellschaft als Ganze ist auf solche Dienstleistungen angewiesen, insbesondere auf solche der Medien und der Wissenschaft. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, nicht getäuscht oder manipuliert zu werden.

Das heißt ja nicht, dass Wissenschaftler oder Journalisten keinen politischen Standort haben oder den nicht zum Ausdruck bringen dürften. Es gibt aber eine rote Linie, jenseits derer Journalismus und Wissenschaft zu Propaganda und Meinungsmache entarten, und die wird spätestens dort überschritten, wo der geltende professionelle Standard nicht eingehalten, seine Einhaltung aber vorgetäuscht wird.

Der „Tagesspiegel“ vom vergangenen Samstag berichtete über eine Studie des amerikanischen Islamwissenschaftlers John Esposito von der Georgetown University, die, gestützt auf eine Gallup-Umfrage unter 50.000 Muslimen in 35 Ländern, unter anderem zu dem Schluss kommt, 93 Prozent aller Muslime seien „politisch moderat“, eine Mehrheit befürworte die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Demokratie, und die Abneigung gegen den Westen sei auf dessen mangelnden Respekt gegenüber dem Islam zurückzuführen. Der Verfasser des Artikels, Martin Gehlen, zieht daraus den Schluss, Vorbehalte gegenüber dem Islam seien „offensichtlich“ wenig begründet.

Es gehört zu den selbstverständlichen Standards sauberen Journalismus, bei der Berichterstattung über gesellschaftwissenschaftliche Studien den Leser darauf hinzuweisen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass außerwissenschaftliche Interessen im Spiel sein könnten. So ist es zum Beispiel üblich, bei wirtschaftswissenschaftlichen Veröffentlichungen die Arbeitgeber- bzw. Gewerkschaftsnähe des betreffenden Instituts zu erwähnen.

Entsprechend wäre es Gehlens Pflicht gewesen, den Leser (der das nicht wissen kann) darauf aufmerksam zu machen, dass Esposito an der Georgetown University das „Prince Alwaleed bin Talal Center for Muslim Christian Understanding“ leitet; und wenn er besonders gründlich recherchiert hätte, wäre er auch darauf gestoßen, dass dieses Institut seinen Namen sowie Finanzmittel in Höhe von 20 Mio. Dollar einem Mitglied der saudischen Königsfamilie verdankt, dass Esposito und sein Institut seit Jahren eine politische Agenda verfolgen, und dass diese Agenda darin besteht, den Islam möglichst gut aussehen zu lassen. Diesen sachlich relevanten Hintergrund nicht einmal anzudeuten ist eine Irreführung, die kaum weniger schwer wiegt als eine direkte Lüge.

Ein vierspaltiger (!) Artikel auf Seite 2 (!) erweckt den Eindruck, der Autor habe die Studie gelesen und sich mit ihrem Inhalt auseinandergesetzt. Auch dies eine Irreführung, die einer Lüge gleichkommt: Tatsächlich ist die Studie erst am vergangenen Dienstag (drei Tage vor Redaktionsschluss 29.02.08) veröffentlicht worden, im Internet nicht verfügbar und wird erst im März im Buchhandel erhältlich sein; Gehlen kann sie gar nicht gelesen haben. Die verfügbaren Informationen beruhen allem Anschein nach auf der Eigenwerbung Espositos und der Georgetown University und den darauf bezogenen Pressemitteilungen. Nichts hätte dagegen gesprochen, das Erscheinen der Studie abzuwarten und sie dann gründlich zu besprechen; die Vorab-Lobhudelei ist das journalistische Äquivalent des vorzeitigen Samenergusses.

Ungefähr die Hälfte des Artikels ist mit – durchweg zustimmenden – Stellungnahmen von Islamwissenschaftlern gefüllt; hier wird – wiederum irreführend – der Eindruck erweckt, es habe eine breite wissenschaftliche Rezeption der Studie gegeben, die es nicht gegeben haben kann, siehe oben, und es bestehe ein zustimmender Konsens der Wissenschaft. Letzterer Eindruck wird dadurch erzeugt, dass kein einziger Gelehrter mit islamkritischem Profil befragt wird. Auch dies eine Täuschung des Lesers.

Dabei weisen schon die wenigen bekannten, teilweise von Gehlen selbst aufgeführten Ergebnisse Espositos Studie als ein wissenschaftlich zweitklassiges Machwerk aus:

So seien 7 Prozent der Muslime „politisch radikalisiert“, während 93 Prozent „politisch moderat“ seien. Unter den „Extremisten“ liege die Zustimmung zur Demokratie aber bei 50 Prozent. Einem Kind muss auffallen, dass ein „demokratischer Extremist“ ein schreiender Widerspruch in sich ist! (Herrn Gehlen fällt es nicht auf.) Hier stellt sich die Frage, ob die Begriffsdefinitionen überhaupt der gängigen politikwissenschaftlichen Begrifflichkeit von „Demokratie“ bzw. „Extremismus“ entsprechen. Aus anderen Quellen erschließt sich, dass als „extremistisch“ eingestuft wird, wer Terrorismus, insbesondere die Terroranschläge des 11. September gutheißt. Nach einer solchen Definition aber wären nicht einmal Kommunisten als extremistisch einzustufen! Die großen marxistischen Parteien nämlich haben Terrorismus als Mittel der Revolution traditionell immer abgelehnt. Es handelt sich offensichtlich um eine Ad-hoc-Definition, die von ideologischen Inhalten völlig absieht. Gerade auf diese Inhalte kommt es aber bei der Definition von „extremistischen“ im Unterschied und Gegensatz zu demokratischen Positionen entscheidend an.

Mehr noch: Es wird der Eindruck erweckt, als sei von „Extremismus“ in unserem westlichen Verständnis des Wortes die Rede, während der Definition in Wahrheit das islamische Verständnis zugrundeliegt. Nach islamischem Verständnis ist selbstverständlich kein Extremist, wer die Steinigung von Ehebrecherinnen, die Diskriminierung von Christen, die Todesstrafe für Apostaten und die Ermordung islamkritischer Schriftsteller – mit einem Wort: die Geltung der Scharia – befürwortet.

Was würde man eigentlich von einem Antisemitismusforscher halten, der die Verbreitung antisemitischer Einstellungen daran messen wollte, ob die Frage „Sind sie Antisemit?“ mit „Ja“ beantwortet wird, und der aus den Ergebnissen schließen würde, 99 Prozent der Deutschen hätten keine antisemitischen Vorbehalte? Man würde ihn für einen einfältigen Narren halten, der das Abfragen von Lippenbekenntnissen mit Wissenschaft verwechselt. Für den Sozialwissenschaftler kommt es aber gerade darauf an, solche Bekenntnisse kritisch zu hinterfragen. Also nicht, wie offenbar Esposito, zu fragen: „Sind Sie für die Demokratie?“, sondern zu fragen: „Soll der Gesetzgeber an Koran und Scharia gebunden sein?“, „Sollen Andersgläubige ihren Glauben frei praktizieren dürfen?“. Nicht zu fragen: „Sind Sie für die Gleichberechtigung von Mann und Frau?“, sondern „Sind Sie für die Gleichberechtigung auch dann, wenn es dem islamischen Recht widerspricht?“ oder „Wären Sie damit einverstanden, dass Ihre eigene Frau berufstätig ist?“. Nur einmal als Beispiele dafür, wie ein kritischer Sozialwissenschaftler fragen würde.

(Und man sollte auch ins Grübeln kommen, wenn Muslime ihre Abneigung gegen den Westen mit dessen „Mangel an Respekt gegenüber dem Islam“ begründen. Wenn dreitausend Moscheen allein in Deutschland gegen null Kirchen in Saudi-Arabien ein Zeichen von mangelndem Respekt sind: Wie haben wir uns den von Muslimen erwarteten „Respekt“ dann eigentlich vorzustellen? Und welches Verständnis von Meinungsfreiheit und individueller Autonomie offenbart ein Sozialwissenschaftler, der „mangelnden Respekt“, also ein Gefühl, als etwas Böses brandmarkt, das es zu bekämpfen gelte? Und schließlich: Was um alles in der Welt soll ich denn am Islam respektieren?)

Und nicht zuletzt zeigt sich die ideologische Disposition der Befragten, aber auch der sie befragenden Wissenschaftler, am Verhältnis zum Existenzrecht Israels (weil dieses Existenzrecht eben unter Berufung auf islamisches Recht bestritten wird). Wenn man schon die Zustimmung zu Terrorismus zum Lackmustest für Extremismus macht, warum dann nur die Anschläge des 11. September? Warum stellt man nicht die Frage, ob der Befragte Terrorismus gegen Israel befürwortet? Offensichtlich deshalb, weil dann Ergebnisse herauskommen würden, die zum Bild des „moderaten Islam“ nicht passen würden. Die Ermordung von Juden zu befürworten ist in den Augen Espositos und seiner Claqueure offenbar kein hinreichendes Indiz für „politischen Extremismus“.

Im übrigen ist es ein allgemein bekanntes Problem der Umfragesoziologie, dass Befragte dazu neigen werden, diejenigen Antworten zu geben, von denen sie glauben, dass der Interviewer sie hören möchte, und es gehört zur wissenschaftlichen Sorgfalt, diesen Störfaktor so weit wie möglich auszuschalten. Methodenlehre, zweites Semester.  Und nun stelle ich mir vor, ein Interviewer stellt sich als Vetreter eines amerikanischen Meinungsforschungsinstituts vor (eben Gallup), und fragt: „Befürworten Sie die Anschläge des 11. September?“ Da erübrigt sich jeder Kommentar.

Auf dieser Linie etwa wird sich die wissenschaftliche Kritik bewegen. Der deutsche Zeitungsleser wird davon aber nichts mehr erfahren. Was ihm im Gedächtnis haften bleiben wird, ist, dass 93 Prozent aller Muslime politisch moderat und Vorbehalte gegen den Islam offensichtlich unbegründet seien.

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Viel Lärm um nichts?

So, nun haben wir es also quasi amtlich von den amerikanischen Geheimdiensten, denselben, die noch 2005 sicher waren, der Iran arbeite an Atomwaffen: Heute sind sie ebenso sicher, dass er das nicht tut – und zwar schon seit 2003.

Ich glaube nicht, dass es unfair ist, die Entwarnungen von Geheimdiensten anzuzweifeln, die heute dies behaupten und morgen das Gegenteil. Die den 11. September nicht vorhergesehen, geschweige denn verhindert haben. Die 1979 von der iranischen Revolution überrascht wurden. Ganz abgesehen von all den Böcken, die sie im Laufe ihrer Geschichte sonst noch geschossen haben.

Als einfacher Bürger steht man ja oft genug vor der Frage, was man glauben soll und was nicht, zumal dann, wenn es um Geheimdienstberichte geht, in deren Natur es liegt, dass sie nicht überprüfbar sind – aber nicht nur dann. Auch sonst werden zu viele Fehlinformationen gestreut, deren Herkunft zweifelhaft ist, und die man pragmatisch akzeptieren muss, wenn man nicht sein Leben mit der Nachprüfung von Details verbringen will.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man ziemlich weit kommt, wenn man nicht die einzelne Information inhaltlich überprüft (was oft genug unmöglich ist), sondern danach fragt, ob sie zusammen mit den bereits bekannten Tatsachen ein stimmiges, widerspruchsfreies Gesamtbild ergeben. Die Frage lautet: Passt das? 

Damit bekommt man zwar keine harten Beweise für oder gegen eine These (aber die bekommt man sowieso nicht), doch immerhin kann man auf diesem Wege ihre Plausibilität einschätzen und so das Irrtumsrisiko verringern.

Bekannt und vom Iran nicht etwa bestritten, sondern zur Schau gestellt ist zum Beispiel, dass er ein ehrgeiziges Programm zur Entwicklung von Raketen mit mehreren tausend Kilometern Reichweite verfolgt. Von Trägerwaffen also, deren einzig sinnvolle Nutzlast Atomsprengköpfe sind. Warum tut er das, wenn er doch keine Sprengköpfe bauen will?

Das Atomwaffenprogramm soll 2003 eingestellt worden sein. Zweitausenddrei!!! Zu genau dem Zeitpunkt also, wo die Regierung Bush den Beweis antrat, dass selbst die Nichtexistenz von Massenvernichtungswaffen (und die Kooperation mit UNO-Inspekteuren) ein Land nicht vor der Invasion bewahrt, wenn es zur „Achse des Bösen“ gehört – während ein noch so kleines Atomwaffenarsenal (Nordkorea) zur Abschreckung ausreicht.

Begründet wird dies damit, dass der Iran eben doch für internationalen Druck empfänglich sei und sich Sorgen um sein Ansehen im Ausland mache. Der Iran??? Bei seiner regelmäßig praktizierten Politik, westliche Ausländer als Staatsgeiseln zu nehmen, scheint die Sorge um das internationale Ansehen nicht so schmerzhaft gebrannt zu haben. Vor allem aber: Ein solches Nachgeben wäre doch nur dann sinnvoll gewesen, wenn die Welt davon erfahren hätte. Stattdessen taten die Perser alles, um die Welt in dem Glauben zu lassen, sie arbeiteten tatsächlich an Atomwaffen. Wozu sonst das Versteckspiel mit der IAEA? Wenn die Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste richtig wäre, müsste man dem Iran unterstellen, einerseits auf die effektivste Abschreckungswaffe zu verzichten, andererseits durch Geheimhaltung dieses Verzichts eine Invasion provozieren zu wollen. Die Strategie eines Selbstmörders.

Und warum betreibt der Iran seit dem Amtsantritt Ahmadinedjads eine Politik der psychologischen Kriegsvorbereitung durch brutale Hetze gegen Israel, verbunden mit der Propaganda, die Wiederkehr des Verborgenen Imam (die schiitische Variante der Apokalypse) stehe unmittelbar bevor? Warum, wenn der Krieg doch angeblich gar nicht stattfinden kann?

Vielleicht blufft der Iran, um den Preis in die Höhe zu treiben, den der Westen für einen Verzicht auf die Urananreicherung zu zahlen hätte? Das wäre eine gerissene Strategie – die der Iran aber offensichtlich nicht verfolgt! Bisher haben ihn die Europäer mit Engelszungen und großzügigen Angeboten nicht dazu verleiten können, seinerseits einen Preis zu nennen – es blieb beim catonischen Beharren auf der Anreicherung. Warum? (Ich begreife schon, dass es für Entwicklungländer eine Frage des Stolzes ist, technologische Kompetenz zu demonstrieren, hier also durch die Anreicherung. Aber dafür braucht man keine 3000 Zentrifugen!) Zumal der Iran doch damit rechnen musste, dass der Bluff, wenn er denn einer ist, als solcher auffliegt. Der Druck auf Teheran mag durch die „Enthüllungen“ der amerikanischen Dienste jetzt abnehmen, der Preis, den er verlangen kann, aber auch.

Die Dienste berufen sich unter anderem auf abgehörte Telefonate iranischer Offiziere; einer von ihnen habe sich über die Einstellung des Atomwaffenprogramms geärgert. Sollen wir wirklich glauben, dass iranische Militärs so naiv sind, solche Dinge am Telefon zu verhandeln? In Europa weiß jedes Kind, dass die NSA praktisch jedes Telefonat auf diesem Planeten abhören kann. Sollte das in der iranischen Armee unbekannt sein? (Wenn es aber nicht unbekannt ist – könnte es nicht sein, dass solche Telefonate genau zu Zweck geführt werden, den Amerikanern Fehlinformationen zuzuspielen?)

Das Ganze fügt sich zu keinem Bild. Das passt nicht. Das stinkt.

Völlig undurchsichtig ist auch, was in Washington gespielt wird. Sind die Dienste wirklich ihrem Präsidenten in den Rücken gefallen, um nicht wieder als Sündenbock für einen verfehlten Krieg herhalten zu müssen? Sind sie ihm überhaupt in den Rücken gefallen? Bush wusste seit mindestens drei Monaten von diesem Bericht; es hat ihn nicht gehindert, vom möglicherweise bevorstehenden Dritten Weltkrieg zu sprechen. Warum hat er nicht wenigstens seine Sprache gemäßigt? Könnte es sein, dass Bush schon längst vorhat, seine Iranpolitik zu ändern, dies aber nicht zugeben will, deshalb öffentlich den strammen Max gibt, der scheinbar nur unter dem Druck von öffentlich gemachten Geheimdienstberichten seine Politik ändert? Schärfere Sanktionen gegen den Iran kann man sich jetzt jedenfalls aus dem Kopf schlagen – Israel aber ist in diesen dubiosen Annapolis-Prozess verstrickt worden.

Spekulationen sind natürlich immer misslich – ich hasse es, spekulieren zu müssen! Aber die amerikanische Politik ist so undurchsichtig, inkonsequent und doppelbödig, dass sie einen zum Spekulieren zwingt. Irgendeiner in Washington spielt ein doppeltes Spiel – man weiß nur nicht, wer und warum. Vielleicht ist das alles ganz harmlos zu erklären, durch Schlamperei und Unprofessionalität zum Beispiel.

Vielleicht aber, vielleicht, geht es darum, einen Frontwechsel einzuleiten – der Iran hat schließlich Einiges zu bieten, von der Stabilität im Irak und Afghanistan bis zur sicheren und preisgünstigen Ölversorgung. Umgekehrt hat auch der Westen dem Iran Einiges zu bieten: Technologie, Integration in die Weltwirtschaft, Anerkennung einer regionalen Großmachtstellung. „Natürliche“ Verbündete eigentlich. Nur Einer stört.

Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber in meinem Kopf kreist die Broder-Frage:

Ab welchem Ölpreis steht das Existenzrecht Israels zur Disposition?