Wolfgang Wippermann: „Autobahn zum Mutterkreuz: Historikerstreit der schweigenden Mehrheit“

(Rezension)

Manchmal bin ich etwas schwer von Kapee. Ich habe ein halbes Jahr gebraucht zu begreifen, dass der Fall Eva Herman mehr und etwas anderes war als nur eine kuriose Episode, bei der alle Beteiligten sich nach Kräften blamiert haben. Es war ein Ereignis, das schlaglichtartig den geistigen Zustand unserer Gesellschaft erhellt hat. In dieser Einsicht stimme ich überein mit dem Berliner Historiker Wolfgang Wippermann, dem ich sie verdanke. Allerdings ist dies auch fast der einzige Punkt, in dem ich seine Meinung teile.

Zur Erinnerung: Eva Herman war in den letzten Jahren mit betont feminismuskritischen Büchern an die Öffentlichkeit getreten („Das Eva-Prinzip“), in denen sie vehement die klassischen konservativen Familienwerte verteidigte, insbesondere die „natürliche Bestimmung“ der Frau zur Mutterschaft. Wahrscheinlich eher schlicht im Gedankengang – ich weiß es nicht, ich habe ihre Bücher nicht gelesen – traf sie doch bei vielen Lesern einen Nerv; ihre Bücher jedenfalls verkauften sich sehr gut.

Und so hätte alles laufen können, wie es immer läuft, wenn Journalisten ihr Rezept zur Rettung der Gesellschaft präsentieren: Einige empören sich (in diesem Falle also die Feministinnen), andere sind begeistert (in diesem Falle die katholische Kirche), die Leser freuen sich, endlich schwarz auf weiß zu lesen, was sie ohnehin immer schon zu wissen glaubten, und bei Verlag wie Autorin klingeln die Kassen. Und alle lebten glücklich bis an ihr seliges…

Halt!

Nun tat Eva Herman etwas, was man in Deutschland nicht tut: Sie lobte das Dritte Reich.

Bei der Vorstellung ihres Buches „Das Arche Noah Prinzip“ pries sie – wie gehabt – Ehe, Familie und Mutterschaft, fügte diesmal aber sinngemäß hinzu, diese Werte seien unter Hitler hochgehalten worden (was ja an dessen negativen Seiten nichts ändere), später aber hätten die Achtundsechziger das alles mit Füßen getreten und zerstört.

Jetzt schlug die Stunde der Öffentlichkeit: Der NDR feuerte, die NPD feierte sie, die Presse gab sich staatstragend empört und der Zentralrat der Juden wehrte den Anfängen.

Das übliche Programm also, das immer dann abläuft, wenn jemand den Teppich hebt, unter dem wir Deutschen alles entsorgt haben, was unserem Selbstbild als geläuterte Demokraten zu widersprechen scheint, die aus der Geschichte gelernt haben, und wenn jemand öffentlich ausspricht, was nicht die meisten, aber auch nicht ganz wenige Deutsche denken, und was mit dem offiziösen Geschichtsbild wenig zu tun hat.

In dieser Situation hielt es der Talkshow-Moderator Johannes B. Kerner für angemessen, mit Herman das abzuziehen, was die Bloggerkollegin Eisvogel später „die Galileonummer“ nennen sollte: „Widerrufe!“

Eva Herman widerrief nicht, obwohl Wippermann, der bei dieser Gelegenheit auf der Bildfläche erschien, ihr mit der ganzen Autorität des anerkannten NS-Experten klarzumachen versuchte, dass Hitlers Familienpolitik Bestandteil seines Projekts zur Rassenzüchtung und Kehrseite seiner Vernichtungspolitik gegen „Fremdrassige“ gewesen sei.

Sie bestand in der zunehmend hitziger werdenden Diskussion darauf, nur das auszusprechen, was die meisten Menschen dächten, was aber von der „gleichgeschalteten Presse“ in die rechte Ecke gestellt werde. Als ihr vorgehalten wurde, das Wort „Gleichschaltung“ sei ein NS-belasteter Begriff, replizierte sie, der Begriff sei zwar damals verwendet worden,

„…aber es sind auch Autobahnen damals gebaut worden, und wir fahren heute drauf.“ (S.30)

Dieses zugegebenermaßen ziemlich blöde Argument für die Verwendung des Wortes „Gleichschaltung“ (mit derselben Logik könnte man auch Ausdrücke wie „Untermensch“ rechtfertigen) wurde von den übrigen Gesprächsteilnehmern als ein erneutes „Alles war ja auch nicht schlecht“ aufgefasst und mit Empörung quittiert. Der Moderator warf sie aus dem Studio mit dem ihn selbst blamierenden Satz:

„Autobahn – das geht halt nicht.“ (ebd.)

Und Eva Herman:

„Ich muss halt lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten.“ (ebd.)

Sprach’s und ging.

Während sich viele Leserbriefschreiber und große Teile der Blogosphäre mit Eva Herman und ihren Thesen solidarisierten, bekam Wippermann, der sie kritisiert hatte, Tausende von Zuschriften, in denen er nicht nur kritisiert, sondern auch beschimpft, beleidigt und bedroht wurde: „Volksschädling“, „Ratte“, „Judenknecht“, „widerliche Kreatur“.

Das Buch, das er jetzt über die Herman-Kontroverse vorgelegt hat, dürfte also im Zorn geschrieben worden sein – das sei dem Autor zugutegehalten. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist dieses Buch selbst mindestens so aufschlussreich wie die Ereignisse, die es beschreibt. Man bekommt jedenfalls nur selten die Gelegenheit, die Funktionsweise der Political Correctness an einem solchen Prachtexemplar zu demonstrieren; und ich wäre nicht ich selbst, wenn ich mir diese Gelegenheit entgehen ließe.

Wippermanns Kritik gilt vor allem demjenigen Teil der deutschen Bevölkerung, den er selbst bereits im Untertitel und dann mehrere Dutzend Mal im Text „die schweigende Mehrheit“ nennt. Dabei lässt er offen, ob er damit ironisch auf das Selbstverständnis des genannten Personenkreises anspielen will, oder ob er buchstäblich eine Mehrheit meint. Solch unklare Begrifflichkeit – wir werden noch in anderen Zusammenhängen darauf stoßen – ist bei einem Wissenschaftler auch dann ein schwerwiegender Lapsus, wenn er für die breite Öffentlichkeit schreibt und nicht für das Fachpublikum.

„‚Ich muss lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten‘, erklärte Eva Herman kurz vor ihrem Abgang in der Kerner-Show am 9.Oktober 2007: Eine unfassbare und völlig unbegründete Behauptung.“ (S.81)

Unfassbar? Völlig unbegründet?

Eva Herman hatte wegen ihrer Äußerungen bereits ihren Arbeitsplatz verloren. Solche Sanktionen kann man für gut oder schlecht halten. Wer aber behauptet, es gebe sie nicht, lügt.

Es geht aber noch weiter:

Denn wer soll sie und andere in Gefahr bringen …? Hitler ist tot, und wir leben nicht in einer Diktatur ,sondern in einer Demokratie. In ihr herrscht die in der Verfassung geschützte … Meinungsfreiheit. Wer etwas anderes behauptet, hat ein Problem mit dieser Verfassung oder weiß einfach nicht, wovon er spricht.“ (ebd.)

Das ist wahrscheinlich die Ganz Hohe Schule der Political Correctness: Bestimmte Meinungen nicht nur zu ächten („Autobahn – das geht halt nicht.“), sondern gleichzeitig zu leugnen („unfassbar!“, „Völlig unbegründet!“), dass man sie ächtet. Nicht nur zu leugnen, dass man sie ächtet, sondern jeden, der wahrheitsgemäß behauptet, sie würden geächtet, als Narren oder Verfassungsfeind abzustempeln!

(Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum, ob diese oder jene Ansichten, etwa die von Eva Herman, richtig oder falsch sind. Auch nicht darum, ob ihre Ächtung gut oder schlecht ist. Es geht um das Faktum der Ächtung an sich.)

Diese Ächtung nimmt dabei nur selten so handfeste Formen an wie den Verlust des Arbeitsplatzes. Die „schweigende Mehrheit“, um mit Wippermann zu sprechen, hat vielmehr das zutreffende Gefühl, bestimmte Auffassungen würden „in die rechte Ecke gestellt“, also als unseriös und unmoralisch aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt. „Öffentlich“ ist dabei derjenige Diskurs, der von Meinungseliten geführt wird. Damit meine ich den Kreis derjenigen Personen, die von der Mediensoziologie „virtuelle Meinungsführer“ genannt werden, das heißt Personen, die den informellen Status von Repräsentanten der Gesellschaft bzw. einzelner Gesellschaftssegmente genießen; die als solche regelmäßig Zugang zu den Medien und somit die Chance auf öffentliche Artikulation haben; und die in den Medien das vollführen, was man den „öffentlichen Diskurs“ nennt. Gesellschaftliche Strömungen, die in den Meinungseliten nicht repräsentiert sind bzw. deren Repräsentanten ausgeschlossen werden, müssen als ausgegrenzt gelten. Es ist also nicht etwa so, dass der Normalbürger nicht sagen könnte, was er denkt – insofern ist das Wort „Meinungsdiktatur“ zu Kennzeichnung der Political Correctness tatsächlich irreführend -, er ist „nur“ mit bestimmten Ansichten vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen.

Wer zur Meinungselite gehören will, tut also gut daran, geächtete Meinungen für sich zu behalten. Wer das nicht tut, bekommt bestenfalls die Chance, den Galileo zu machen – so wie Günther Oettinger. Wer diese letzte Chance verpasst, wie Martin Hohmann oder eben Eva Herman, der ist draußen. Die physische Verbannung von Eva Herman aus dem Fernsehstudio – und damit aus dem Kreise der legitimerweise Diskutierenden – hat diesen Vorgang ungewöhnlich anschaulich gemacht und ist von den Zuschauern instinktiv als symbolträchtig empfunden worden.

Der darauf folgende Aufstand der Blogosphäre hat aber eines sichtbar gemacht: dass den bisherigen Meinungseliten das Definitionsmonopol darüber entgleitet, welche Themen und Meinungen gesellschaftsfähig sind und welche nicht. War auch bisher schon die „Öffentliche Meinung“ identisch mit der veröffentlichten, so hat das Internet die Lage insofern verändert, als nun Jeder veröffentlichen kann.

Volkes Stimme gab es schon immer; an jedem Stammtisch war sie zu hören. Der kleine Kreis des Stammtisches (des Familiengesprächs, des Klönens in der Kaffeepause) stellte aber keine Öffentlichkeit dar. Erst das Internet macht aus Volkes Stimme eine öffentliche Stimme. Die „schweigende Mehrheit“ schweigt nicht mehr, und das Volk hat nicht nur eine Stimme, es weiß vor allem, dass es eine hat.

Wippermann hat diesen Sachverhalt völlig richtig erkannt und in gewissem Sinne Pionierarbeit geleistet, indem er die Reaktion der Blogosphäre auf die Herman-Affäre systematisch ausgewertet und damit ihrem wachsenden Einfluss auf die öffentliche Meinung Rechnung getragen hat.

Freilich bewertet er diesen Einfluss vom Standpunkt einer um ihre Deutungshoheit bangenden Meinungselite ausschließlich negativ. Zu fragen ist, ob er damit Recht hat.

Es stimmt ja, dass sich Fehlinformationen im Internet rasend schnell verbreiten, ohne dass es einen wirksamen Filter gäbe, und dass gerade Verschwörungstheoretiker jeder Couleur das Internet als Baukasten benutzen, aus dem sie die Klötzchen für ihre jeweiligen Wahngebäude beziehen. Wahrscheinlich gibt es keine noch so verrückte Idee, für die man im Netz nicht eine Fangemeinde zusammentrommeln könnte. Soweit Wippermann dies feststellt, liegt er durchaus richtig.

Nur richtet seine Kritik sich nicht gegen irgendwelche UFO-Sekten, sondern dagegen, dass gesellschaftlich weitverbreitete Ideen öffentlich artikuliert werden. Liberal wird man einen solchen Standpunkt nicht nennen können. Demokratisch schon gar nicht.

Deswegen allein muss er aber noch nicht falsch sein: Es ist Konsens, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden sollte, wo ihr hemmungsloser Gebrauch zur Gefährdung eben jener demokratischen Ordnung führen würde, die die Meinungsfreiheit garantiert. Unsere Verfassung kennt dieses Prinzip als das der „wehrhaften Demokratie“. Unter diesem Gesichtspunkt – aber auch nur unter diesem! – lässt es sich rechtfertigen, bestimmte Meinungen als demokratiefeindlich vom seriösen Diskurs auszuschließen.

Welche Auffassungen möchte Wippermann gerne ausgeschlossen sehen? Zunächst die, die die „guten Seiten“ des Nationalsozialismus thematisieren:

„Alles war ja auch nicht schlecht damals: Jeder hatte Arbeit, man konnte sich nachts auf die Straße trauen, für Familien wurde noch etwas getan, Mütter waren noch geachtet, es herrschte Ordnung, und außerdem hat Hitler die Autobahn gebaut.“

(Das ist kein wörtliches Zitat, sondern die Zusammenfassung von Äußerungen Eva Hermans und ihrer Sympathisanten, die Wippermann für gefährlich hält.)

Da stelle mer uns janz dumm und fragen: Stimmt denn dat überhaupt?

Sicher gibt es Einiges zu differenzieren, aber im Großen und Ganzen stimmt das durchaus. Um mit den Autobahnen zu beginnen, weil sie in der Debatte eine besondere Rolle gespielt haben („Autobahn – das geht halt nicht!“), und weil Wippermann hier mit Gegenargumenten aufwartet:

Es habe bereits in Amerika und Italien Highways und Autostradas gegeben; womit nur eine Behauptung widerlegt ist, die niemand aufgestellt hat, nämlich dass die Nazis die Autobahnen erfunden hätten. Außerdem habe es in Deutschland bereits die Berliner AVUS gegeben (rund zehn Kilometer lang) und die Autobahn Köln-Bonn (noch so eine gigantische Fernstrecke). Die Nazis hingegen seien hinter ihren Planungen zurückgeblieben, indem sie in den sechs Jahren bis Kriegsbeginn lediglich 3000 Autobahnkilometer fertiggestellt hätten (während des Krieges kamen dann noch einmal 800 Kilometer hinzu), während die alte Bundesrepublik

„…bereits 1980…“ (S.71)

(also 31 Jahre nach ihrer Gründung) 8000 Autobahnkilometer hatte – wobei offenbleibt, wieviel davon aus der Zeit vor 1945 stammte. Dem Autor scheint gar nicht aufzufallen, dass seine eigenen Zahlen dem Dritten Reich ein mindestens doppelt so hohes Bautempo bescheinigen wie der Bundesrepublik (3000 Kilometer in sechs Jahren versus 8000 Kilometer – minus X – in 31 Jahren) und damit genau das Gegenteil von dem beweisen, was sie beweisen sollen. Das ist durchaus kein Grund, Hitler zu feiern, wohl aber einer, dem Autor eine schlampige und willkürliche Argumentation anzukreiden.

Was den Schutz vor Kriminalität angeht: Da fehlen mir die statistischen Daten. Gut möglich, dass die drakonische Justizpolitik des Regimes, verbunden mit seiner Propaganda, dem Durchschnittsdeutschen mehr Sicherheit vorgaukelte als nach der Kriminalstatistik gerechtfertigt war; dass also das Sicherheitsgefühl größer war als die tatsächliche Sicherheit. (Was aber nichts daran ändert, dass bereits die Illusion – falls es denn eine war – von Sicherheit als wohltuend empfunden wurde).

Darüberhinaus ist es eine schlichte Tatsache, dass unter Hitler die Arbeitslosigkeit innerhalb von nur drei Jahren von sechs Millionen auf Null reduziert wurde, und zwar mithilfe einer Politik massiver kreditfinanzierter Staatsnachfrage. Diese Art Konjunkturpolitik avancierte nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Titel „Keynesianismus“ zur Hauptströmung wirtschaftspolitischer Theorie.

Und zutreffend ist auch, dass die Nazis vom Ehestandsdarlehen bis zum Mutterkreuz alle Register zogen, die Menschen zum Kinderkriegen zu animieren und dabei das Sozialprestige der Mütter zu heben.

Wippermann bestreitet das alles auch nicht direkt. Er weist nur – und zu Recht – darauf hin, dass Alles, was die Nazis taten, also auch die Autobahn, das Mutterkreuz, die Konjunkturpolitik (Aufrüstung!) im Dienste ihres monströsen Gesamtprojekts stand, eine „arische Herrenrasse“ zu züchten und gestützt auf einen totalitären Staat die Weltherrschaft zu erringen, und dass es deshalb bestenfalls naiv wäre, einzelne Aspekte als vermeintlich „gute Seiten“ des Dritten Reiches isoliert zu betrachten. Ein durchschlagendes Argument – freilich nur gegen Neonazis, die auf eine Neuauflage des Nationalsozialismus hinarbeiten.

Dagegen kann ich nicht erkennen, dass wirtschaftspolitische, bevölkerungspolitische oder verkehrspolitische Instrumente, die von den Nationalsozialisten in einem rassistischen und totalitären Zusammenhang eingesetzt wurden, diesen Kontext naturgemäß in sich trügen, deshalb niemals im Rahmen einer demokratischen und friedlichen Politik einsetzbar wären und daher für alle Zeiten tabu bleiben müssten:

Warum finanzielle oder ideelle Anreize – es muss ja nicht gerade das Mutterkreuz sein – zum Kinderkriegen etwas Schlechtes sein sollen, erschließt sich mir nicht. Zumal die Überalterung unserer Gesellschaft ein ernstes Problem darstellt, und das nicht nur für die Rentenkassen.

Oder nehmen wir die Wirtschaftspolitik: Angesichts einer seit dreißig Jahren andauernden Massenarbeitslosigkeit ist es legitim zu fragen, was von einer Politik zu lernen wäre, die eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit in nur drei Jahren beseitigt hat. Ich persönlich glaube zwar nicht, dass eine auf extremen Staatskonsum setzende Wirtschaftspolitik, noch dazu verbunden mit einer nicht minder extremen Verschuldung, heutzutage eine sinnvolle Option wäre. Nur ist das eine ökonomische, keine moralische Frage. (Bemerkenswert übrigens, dass die politische Linke, die ein solches Konzept verfolgt, nicht darauf hinweist, dass damit schon einmal Vollbeschäftigung erzielt wurde; offenbar verzichtet sie lieber auf ein erstklassiges Argument, als etwas Positives über Hitler zu sagen. Man könnte es beinahe edel finden, wenn es nicht so dämlich wäre.)

Und der Normalbürger, der die Autobahn lobt: Will der denn eine Neuauflage des NS-Regimes? Oder, allgemeiner gefragt: Warum spricht er über die seiner Meinung nach „guten Seiten“ der Nazizeit?

Dieses „Warum“ hat zwei Aspekte: Den objektiven – Wie kommt es, dass so viele Menschen so denken? – und den subjektiven – Was veranlasst sie, sich gerade so zu äußern?

Der Soziologe Harald Welzer hat in seiner Studie „Opa war kein Nazi“ empirisch untersucht, wie Geschichtsbilder über die NS-Zeit entstehen, und zwar an der Basis der Gesellschaft, speziell im familiären Diskurs.  

Er hat nachgezeichnet, wie dabei zwei Weltbilder aufeinandertreffen, die es aus der Sicht des Einzelnen in Einklang zu bringen gilt: Einmal das gleichsam offizielle Geschichtsbild, das auf den Ergebnissen der historischen Forschung aufbaut, die Repressivität und Grausamkeit nationalsozialistischer Ideologie und Praxis herausarbeitet und deren Totalverurteilung nahelegt. Zum anderen das Geschichtsbild der damaligen Durchschnittsdeutschen, das auf deren subjektiver Erfahrung beruht und innerfamiliär durch die Erzählungen der älteren Generation weitergegeben wird.  

Diese „Geschichte“ kann mit der der Historiker nicht übereinstimmen, weil sie aus einer ganz anderen Perspektive erzählt wird: aus der Perspektive dessen, der die Dinge nicht von oben analysiert, sondern von unten erlebte, und der dabei kein Jude, nicht schwul, kein Sozialist und kein avantgardistischer Künstler war – des Durchschnittsdeutschen eben. Und der fühlte sich, zumindest vor Kriegsausbruch, unter der Naziherrschaft alles in allem ziemlich wohl. Wäre es anders gewesen, hätten die Nazis niemals die loyale, teilweise begeisterte Unterstützung einer großen Mehrheit der Deutschen bekommen können. Warum aber fühlten die sich wohl? Nun, unter anderem wegen der Vollbeschäftigung, des Sicherheitsgefühls, der Familienförderung, der optimistischen Zukunftserwartungen (Autobahn!) usw., also aus genau den Gründen, die heute noch als „gute Seiten“ des NS-Regimes angeführt werden.  

Natürlich wusste auch der Normalbürger, dass Juden verfolgt wurden, und dass es Konzentrationslager und eine Gestapo gab – es interessierte ihn bloß nicht. Es interessierte ihn nicht, weil seinen Bedürfnissen nach Sicherheit, Ordnung und bescheidenem Wohlstand Rechnung getragen wurde. Man kann das unmoralisch finden, aber es ist genau das Verhalten, das im Normalfall von normalen Menschen zu erwarten ist. Auch wenn es einem nicht gefällt und man es nicht wahrhaben möchte: Menschen sind so.  

Problematisch wird diese Disposition in dem Moment, wo ein totalitäres regime sie ausnutzt. Sie ist aber nicht per se etwas Schlechtes: Der konformistische Bürger, der seine Steuern bezahlt, seine Familie mit eigener Arbeit ernährt, seine Kinder großzieht, der sich um seinen eigenen Kram kümmert und sich an die Gebote der konventionellen Moral hält – der ist bestimmt weniger interessant, oft auch weniger sympathisch als der Individualist, Nonkonformist, Utopist, Abenteurer, Philanthrop, Bonvivant, Künstler oder Bohemien. Aber er ist Derjenige, der die Gesellschaft funktionsfähig hält. Anders gesagt: Der Konformismus des Konformisten ist die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie der Nonkonformist überhaupt existieren kann.  

Genau diesen Personenkreis meint Wippermann, wenn er von der „schweigenden Mehrheit“ spricht, die am Dritten Reich „gute Seiten“ findet, und der er deshalb eine faschistische Disposition unterstellt, statt nach ihren Motiven zu fragen.  

Was beinhaltet denn die Aussage, alles sei ja auch nicht schlecht gewesen, verbunden mit den einschlägigen Beispielen?  

Erstens kommt darin ein Bedürfnis nach Sicherheit, Ordnung und Wohlstand zum Ausdruck,  

zweitens die Kritik, dass diese Bedürfnisse heutzutage nicht berücksichtigt würden,  

drittens die Meinung, unter Hitler sei ihnen stärker Rechnung getragen worden.  

Beginnen wir beim dritten Punkt: Die Nazis haben dem tatsächlich Rechnung getragen, freilich nur, um die Voraussetzungen für ein Projekt zu schaffen, das mit Ordnung, Sicherheit und Wohlstand nicht das Geringste zu tun hatte, vielmehr chaotisch, riskant und ruinös war. Sie haben die braven Bürger ganz einfach hinters Licht geführt; und die wissen das auch sehr genau. Um Eva Herman zu zitieren:  

„… es war ’ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat…“ (S.19)  

Wippermann scheint solche Distanzierungen (man kennt sie auch in anderen Varianten, etwa: Wenn das mit den Juden und mit dem Krieg nicht gewesen wäre…) für bloße Lippenbekenntnisse zu halten, dabei bringen sie zum Ausdruck, dass das NS-Regime in genau denjenigen Punkten abgelehnt wird, die spezifisch nationalsozialistisch waren; damit wird gerade keine ideologische Sympathie formuliert.  

Was damit aber formuliert wird, ist das Unbehagen des Normalbürgers an unserer Gesellschaft, und da Wippermann es vorzieht, dieses Unbehagen als faschistisch zu verdächtigen, statt nach seinen Ursachen zu fragen, frage jetzt ich danach:  

Es ist nämlich eine gut gesicherte soziologische Erkenntnis, ja geradezu ein Gemeinplatz, dass es in allen westlichen Gesellschaften einen Trend weg von den sogenannten „Pflicht- und Akzeptanzwerten“, hin zu den „Selbstentfaltungswerten“ gibt.  

In Deutschland begann der zunächst schleichend Anfang des 20. Jahrhunderts, erfuhr einen ersten Schub in den zwanziger und erlitt Rückschläge in den dreißiger bis fünfziger Jahren, um sich dann ab den sechziger Jahren vollends durchzusetzen.  

Dieser Trend bedeutet, dass die Menschen weniger danach fragen, was „man“ tut, sondern was sie selbst tun wollen; die persönliche Freiheit ist im Zweifel wichtiger als die soziale Pflicht. Es heißt keineswegs den damit verbundenen Gewinn an individueller Autonomie geringzuachten, wenn man auf die Kehrseite dieses Prozesses hinweist:  

Ich habe es oben schon angedeutet: Der Zusammenhalt der Gesellschaft und ihr Fortbestand hängen wesentlich nicht von der „Selbstentfaltung“ des Einzelnen ab, zumal die auch mit Egoismus und Hedonismus einhergehen kann. Sie hängen genau von den erodierenden Pflicht- und Akzeptanzwerten ab.  

Die Gesellschaft existiert als solche nur so lange, wie Steuern bezahlt, Normen respektiert, Gesetze eingehalten und Kinder großgezogen werden. Die U-Bahn lebt nicht vom Schwarzfahrer, sondern von dem, der sein Ticket bezahlt. Der Sozialstaat lebt von denen, die ihn finanzieren, nicht von denen, die ihn in Anspruch nehmen. Selbst die Toleranz – gewiss eine hohe Tugend – lebt von denen, die sie selbst üben, nicht von denen, die sie einfordern und mutwillig strapazieren. Die Demokratie lebt von Wählern, die auch unangenehme, aber notwendige Entscheidungen akzeptieren, die Wirtschaft von Arbeitnehmern, die nicht beim ersten Husten den Krankenschein nehmen.  

Die Dominanz von „Selbstentfaltungswerten“ dagegen führt dazu, dass eine wachsende Zahl von Menschen es für ihr natürliches Recht hält, Steuern zu hinterziehen, Graffiti zu sprühen, schwarzzufahren, ihre Mitmenschen anzupöbeln, die schwangere Partnerin zur Abtreibung zu nötigen, bei der ersten Ehekrise auseinander zu rennen und obendrein stolz darauf zu sein, nicht über „Sekundärtugenden“ zu verfügen, weil man mit denen „auch ein KZ leiten“ könne. Wäre Kennedys Aufforderung „Fragt nicht was Euer Land für Euch tun kann, sondern was Ihr für Euer Land tun könnt“ von einem deutschen Politiker ausgesprochen worden – wir können sicher sein, dass die als Antifaschismus getarnte Asozialität sie mit einem „Wehret den Anfängen!“ quittiert hätte.  

Die von Wippermann so genannte „schweigende Mehrheit“ – ob sie tatsächlich eine Mehrheit ist, lasse ich dahingestellt – jener rückständigen Menschen, die nicht nur ihre „Selbstentfaltung“ im Kopf haben, hat das vollkommen zutreffende Gefühl, dass sie die Zeche für die Selbstentfaltung Anderer zahlt. Dieser schweigenden Mehrheit geht es um stärkere Verbindlichkeit sozialer Normen und um größere soziale Anerkennung für diejenigen, die für diese Gesellschaft etwas leisten, und damit formuliert sie ein völlig legitimes Interesse. Ein solcher Standpunkt ist konservativ. Ihn faschistisch zu nennen ist eine bösartige Verleumdung.  

Ich spreche bewusst von Verleumdung, nicht etwa von einem Irrtum. Es geht Wippermann nämlich nachweisbar nicht um die Bekämpfung faschistischer, sondern konservativer Positionen, und zwar mit dem klassischen Mittel linker Demagogie, nämlich durch das Schwingen der Faschismus-Keule.  

(Es sei angemerkt, dass es sich für einen seriösen Wissenschaftler von selbst verstehen sollte zu tun, was Wippermann wohlweislich unterlässt: nämlich einen so schillernden Begriff wie „Faschismus“ nur zu gebrauchen, wenn man zugleich offenlegt, auf welche der vielen Faschismusdefinitionen man sich bezieht. Dann freilich wäre das Wort nicht mehr so leicht als politische Waffe verwendbar.)  

Beweise?  

Er beklagt, dass  

„…es heute mehr um konservative und faschistische ‚Werte’ geht als um ihre Kritik…“ (S.10)  

– man beachte die Gleichsetzung und, als besonderes Bonbon, die Anführungszeichen im Text. Oder wie er sich mit Artikeln von Eva Herman auseinandersetzt:  

„Noch nicht Faschismus, aber in eine bedenkliche Nähe zu ihm gerät die Argumentation im ‚biologischen Kontext’. So, wenn von der ‚Entweiblichung der Frau’ und der ‚Entmännlichung der Herrenwelt’ gesprochen … wird.“ (S.16)  

Wer auf Nummer Sicher gehen will, nicht als Faschist entlarvt zu werden, meide diese „bedenkliche Nähe“.  

„Völlig sozialdarwinistisch ist die folgende Dekadenzthese: ‚So zieht eine hochzivilisierte Kultur wie die unsere sich selbst den Boden unter den Füßen weg, die Basis, die uns Halt im täglichen Überlebenskampf geben kann: die intakte Familie.’“ (S.17)  

„Sozialdarwinistisch“ ist bereits, wenn das Wort „Überlebenskampf“ erwähnt wird. So müssen wir uns wohl das vorstellen, was Wippermann seine  

„ideologiekritische … Methode“ (S.9)  

nennt. Da werden  

„extrem rechte Politiker wie Peter Gauweiler und Otto von Habsburg“ (S.24)  

und damit auch ihre Partei, die CSU, dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet.  

Wippermann beschreibt zutreffen die Einstellung der Achtundsechziger zu konservativen Werten – Stichwort: Sekundärtugenden – und fährt fort:  

„Auch wenn man dabei zu weit gegangen ist und in jedem Konservativen einen zumindest potenziellen Faschisten gesehen und all diese Tugenden und Werte als faschistisch oder, um ein weiteres Modewort zu gebrauchen, als faschistoid bezeichnet und verworfen hatte, im Kern trifft es dennoch zu. Konservativismus und Faschismus waren politische Bundesgenossen und hatten gleiche oder zumindest vergleichbare ideologische Ziele.“ (S.6) [Hervorhebungen von mir, M.] 

Also zuerst eine scheinbare Distanzierung von diesem unsäglichen Quatsch – natürlich, er will sich ja nicht total blamieren -, um am Ende doch zuzustimmen. Nicht die einzige Stelle übrigens, wo er diesen schmierigen Kunstgriff anwendet. Fragt sich nur, wie redlich ein Autor sein kann, der sich von seinen eigenen Thesen distanziert, um nicht auf sie festgenagelt zu werden, sie dann aber trotzdem unter die Leute bringt.

Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen konservativen Werten und nationalsozialistischer Ideologie. Der besteht aber nicht darin, dass sie „gleiche oder zumindest vergleichbare ideologische Ziele“ gehabt hätten, sondern dass die Nazis sich auf konservative Werte beriefen, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Oder, wie ich an anderer Stelle geschrieben habe:  

„Unter den totalitären politischen Ideologien halte ich im Zweifel die rechten für gefährlicher als die linken. Die extremen Linken machen sich selber das Leben schwer, indem sie Dinge versprechen, vor denen sich Jeder mit Grausen wendet, der etwas zu verlieren hat: Weltrevolution, Tabula Rasa, der Neue Mensch – und der Normalbürger denkt: Alles, nur das nicht! 

Die extremen Rechten sind gefährlicher, weil sie es auf genau diesen Normalbürger abgesehen haben. Die muten niemandem zu, ein “Neuer Mensch” zu werden, sie greifen einfach das auf, was sie an Ressentiments, Vorurteilen, Werten, Wunschträumen, Mythen und Ideologiefetzen in der Gesellschaft vorfinden, erklären es zu den “wahren Werten” des jeweiligen Gemeinwesens, erfinden einen Feind, der diese Werte angeblich angreift, stilisieren sich zu den besseren Konservativen, weil sie konsequent diesen “Feind” bekämpfen, und propagieren eine Ideologie, in die das alles hineinpasst. (…)Verführerisch sind solche Ideologien, weil ihre einzelnen Bestandteile populär sind, und weil der Normalbürger nicht unbedingt durchschaut, wohin es führt, wenn sie zu einem ideologischen System zusammengebunden werden.“  

Es gibt also tatsächlich die Gefahr, dass konservative Ideen von totalitären Ideologen scheinbar aufgegriffen, in Wahrheit aber zur Basis eines utopisch-revolutionären Projekts gemacht und damit in ihr Gegenteil verkehrt werden. Da es sich um die Pervertierung konservativer Werte handelt, spricht man in solchen Fällen von „Rechtsextremismus“, während die analoge Pervertierung emanzipatorischer Werte „Linksextremismus“ genannt wird. Wer deswegen eine Identität von Konservatismus und Faschismus behauptet, könnte ebensogut sozialdemokratisches und sogar liberales mit stalinistischem Denken in einen Topf werfen. Wer der Gefahr einer solchen Pervertierung  begegnen will, wird zwischen Konservatismus und Faschismus sorgfältig unterscheiden und dabei ideologiekritisch argumentieren müssen. Dabei bieten sich meines Erachtens mindestens drei Unterscheidungskriterien an:

Auf der Ebene der poltischen Ziele: Handelt es sich tatsächlich um ein Projekt der Bewahrung sozialer Werte und Strukturen, oder geht es um die Verwirklichung einer Sozialutopie, zum Beispiel die Züchtung einer Herrenrasse?  

Auf der Ebene der eingesetzten Mittel: Ist die gewaltsame Zerstörung des Bestehenden Voraussetzung für die Verwirklichung der Utopie, gibt es also ein apokalyptisches Moment?  

Auf der Ebene der Ideologie: Handelt es sich um ein totalitäres Gedankensystem, das heißt um eines, das den Anspruch auf umfassende Gesellschaftsdeutung und –gestaltung erhebt und sich gegen rationale Kritik durch seine Struktur immunisiert – etwa durch Bezugnahme auf religiöse Prämissen oder durch Zulassung von Zirkelschlüssen?  

Selbstverständlich ist es legitim, auch ganz andere Kriterien zu entwickeln, allerdings nur, sofern man dies begrifflich sauber, logisch widerspruchsfrei und intellektuell diszipliniert tut. Die von Wippermann betriebene plumpe Diffamierung missliebiger Meinungen jedenfalls gehört gottlob noch nicht zu den anerkannten Methoden wissenschaftlicher Ideologiekritik.  

Wir sehen also, dass es bei der Political Correctness, die Wippermann uns geradezu in Reinkultur vorführt, nicht darum geht, die Demokratie zu schützen (was allein die Ausgrenzung bestimmter Meinungen von einem liberalen Standpunkt aus rechtfertigen könnte), sondern darum, die ideologische Vorherrschaft der Linken dadurch abzusichern, dass man den von ihr missachteten Interessen des konservativen Normalbürgers die Legitimität abspricht und den politischen Ideen, in denen diese Interessen zum Ausdruck kommen, den Zugang zum Elitendiskurs verwehrt.

Problematisch daran ist nicht, dass überhaupt bestimmte Themen und Positionen aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden. Die gesellschaftliche Funktion sowohl der Medien als auch der Wissenschaft besteht vielmehr gerade darin, die Flut der anfallenden Informationen zu filtern und zu verarbeiten, und zwar nach jeweils systemeigenen Kriterien.

Dabei sortiert die Wissenschaft nach dem Kriterium „wahr/unwahr“ (wobei die Unterscheidung nach wissenschaftsspezifischen Regeln erfolgt), die Medien nach dem des öffentlichen Interesses: Was Keinen interessiert, wird nicht gesendet.

Normalerweise.

Die Kriterien aber, nach denen die etablierten Meinungseliten den Zugang gewähren bzw. verweigern, zeichnen sich gerade durch ihre Systemwidrigkeit aus: Es geht nämlich gar nicht darum, ob eine Meinung wahr oder unwahr bzw. von öffentlichem Interesse ist oder nicht.

Es handelt sich vielmehr um politische oder auch moralische, in jedem Fall aber systemfremde Kriterien, deren Anwendung zwangsläufig dazu führt, dass die Medien ihre gesellschaftliche Funktion, nämlich die der Selbstverständigung der Gesellschaft, nur noch eingeschränkt erfüllen.

Wir haben es hier, um es deutlich zu sagen, mit mutwilliger, politisch motivierter Sabotage eines zentralen gesellschaftlichen Funktionsbereiches zu tun: Die Meinungseliten missbrauchen ihre Monopolstellung und ihre Fähigkeit zur Selbstrekrutierung zum Zwecke politisch-ideologischer Herrschaft.

Es ist nur folgerichtig, dass diejenigen Teile der Gesellschaft, die auf diese Weise vom öffentlichen Diskurs ausgegrenzt werden, auf alternative Strukturen ausweichen, speziell auf das Internet, und dort einen Gegendiskurs führen. Und folgerichtig ist auch, dass dieser Gegendiskurs normalerweise weder wissenschaftlichen Wahrheitskriterien genügt noch in derselben Weise fundiert ist, wie es bei Positionen der Fall ist, die sich im Feuer der öffentlichen Kritik bewähren müssen.

Wie auch? Das Netz ist anarchisch, wie es übrigens auch der frühe Buchdruck war, und die leistungsfähigeren, weil differenzierteren Systeme Wissenschaft und Medien, die eine höhere Qualität hervorbringen könnten – die stehen ja nicht zur Verfügung!

Genau diesen Sachverhalt aber macht Wippermann der „schweigenden Mehrheit“ zum Vorwurf (als ob sie daran schuld wäre und nicht die ihre Macht missbrauchenden Meinungseliten, also Leute wie er!), wenn er wortreich beklagt, dass die Ausgrenzung von Eva Herman mit Vokabeln wie „Meinungsdiktatur“, „Gleichschaltung“ und – dies vor allem – „Verschwörung“ gegeißelt wird. Er sieht darin den Ausdruck einer massenhaft verbreiteten – na was wohl? – faschistischen Gesinnung.

Es scheint ihm durchaus nicht einzufallen, dass die Ursache der Kritik in den kritisierten Verhältnissen liegen könnte und nicht im schlechten Charakter der Kritiker – für einen Linken ein bemerkenswerter Standpunkt!

Dabei haben die genannten Ausdrücke mit Ideologie normalerweise wenig bis nichts zu tun; sie sind schlicht der Versuch, die beobachtete ideologische Konformität der Meinungseliten auf den Begriff zu bringen und zu erklären. Der konservative Normalbürger sieht sich der kafkaesken Situation gegenüber, dass Wahrheiten für unwahr und Unwahrheiten für wahr erklärt werden, dass Konservatismus als Faschismus denunziert wird, dass Zweifel daran als verwerflich zurückgewiesen werden, und dass seine Auffassungen im öffentlichen Diskurs nicht vorkommen – kurz und gut: dass die Selbstbeschreibung unserer Gesellschaft als „pluralistisch“ offensichtlich nur eingeschränkt der Wahrheit entspricht, dies aber von den Meinungseliten geleugnet wird.

Und nun steht er vor dem Problem, sich auf diesen mysteriösen Sachverhalt einen Reim zu machen, wobei ihm, auch wenn er gebildet ist, normalerweise nicht die analytischen Instrumente des Soziologen zur Verfügung stehen. Was tut er? Er greift zu den sich aufdrängenden Erklärungsmustern, und die sind naturgemäß verschwörungstheoretischer Natur. 

In einer solchen Situation, in der Verschwörungstheorien die scheinbar einzig adäquaten Erklärungsmodelle darstellen, kann es nicht ausbleiben, dass auch der Klassiker aller Verschwörungstheorien, nämlich die „jüdische Weltverschwörung“ bemüht wird – gerade in einer Gesellschaft, in der antisemitische Weltdeutungen über Jahrhunderte hinweg in immer neuen Varianten verinnerlicht worden sind, und in der solche Interpretationsmuster daher tief im kollektiven Unbewussten verankert sind.

Wippermann zitiert denn auch ausführlich aus antisemitischen Ergüssen, die im Zusammenhang mit der Herman-Affäre geschrieben worden sind. Er hat schon Recht: Sowohl die Akzeptanz von Verschwörungstheorien überhaupt, als auch deren besonders giftige antisemitische Version sind ernsthafte Gefahren für ein demokratisches Gemeinwesen, und ich selbst habe viele Seiten geschrieben, um zu zeigen, dass verschwörungstheoretisches Denken dem Totalitarismus Tür und Tor öffnet.

Was Wippermann aber nicht sieht, ist, dass Verschwörungstheorien nur dort benötigt und akzeptiert werden, wo die Welt undurchschaubar wird. Eine „Elite“, die die Menschen belügt statt sie aufzuklären, die zum Zwecke ideologischer Dominanz ihre Deutungsmacht missbraucht, die nicht mit Argumenten überzeugen, sondern mithilfe inquisitorischer Verdammungsurteile herrschen will, führt die Undurchschaubarkeit der Welt mutwillig herbei und darf sich nicht wundern, wenn sie die giftigen Früchte ihres Wirkens in Gestalt von Verschwörungstheorien und Antisemitismus erntet. Wippermanns Buch ist die larmoyante Bankrotterklärung einer Elite, die ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat und sich nun beklagt, dass ihr niemand mehr glaubt.

„Demokratischer Sozialismus“

In der Diskussion über „Kurt Beck und die Schmuddelkinder“ habe ich gegenüber Emett Grogan die Auffassung vertreten, die Linkspartei sei keinen Deut schlimmer als die SPD selbst, weil ihre Ideologie auch von bedeutenden Teilen der SPD vertreten werde.

Als wollte sie meine Einschätzung illustrieren, hat die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel (zweifellos die zarteste Versuchung, seit es den Sozialismus gibt)

Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel fordert utopischen Sozialismus

dem „Tagesspiegel“ ein denkwürdiges Interview gegeben, das ich hier nur auszugsweise wiedergebe, das aber in Gänze zu lesen ich empfehle:

„Frau Drohsel, seit über 140 Jahren träumt die SPD vom „demokratischen Sozialismus“. Glauben Sie, dass dieser Idealzustand noch zu Ihren Lebzeiten eintritt?

Ob ich ihn wirklich erleben werde, ist nicht die Frage. Für uns Jusos und für die SPD hat der demokratische Sozialismus eine elementare Bedeutung. Er ist das, wofür wir kämpfen. Er ist unsere Vision.

Wodurch würde sich eine Gesellschaft des „demokratischen Sozialismus“ von der heutigen unterscheiden?

Dem SPD-Grundsatzprogramm zufolge leben die Menschen im demokratischen Sozialismus in Freiheit, Gleichheit und Solidarität zusammen.

Und weiter? Für uns Jusos ist im demokratischen Sozialismus das kapitalistische System nicht mehr das vorherrschende.

Die Marktwirtschaft in ihrer jetzigen Form würde abgeschafft?

Grundsätzlich würde das natürlich schon bedeuten, dass man das Marktprinzip als gesellschaftsstrukturierendes Element aufhebt.

Und dann?

Es wäre dann so, dass auch die Wirtschaft nach demokratischen Prinzipien geführt würde, also aufgrund von Mehrheitsentscheidungen. Das heißt ja nicht, dass es keine Konkurrenz um die besten Ideen geben kann.

Sie meinen das ganz ernst, oder?

Natürlich. Wir brauchen eine andere Ordnung. Und ich glaube, dass Gesellschaft anders organisiert werden kann. Dieses System ist von Menschen gemacht und kann auch von Menschen wieder geändert werden. Es ist nicht zwangsläufig so, dass man im Kapitalismus lebt. Dieser Kapitalismus produziert massive Ungerechtigkeit, er schafft Armut und Verelendung in Deutschland und weltweit. Deshalb brauchen wir eine Alternative.

Von der Sie aber nicht so genau sagen können, wie sie aussieht und welchen Preis die Menschen dafür zahlen müssten.

Das Schöne am demokratischen Sozialismus ist doch, dass er kein fester Zustand ist, den irgendeine Organisation definiert, sondern ein Prozess, an dem alle beteiligt sind, eine Vision, für die man kämpfen kann.“

Wir brauchen also eine Alternative zum Kapitalismus, nämlich den Sozialismus, und den haben wir uns als eine Art Wirtschaftsdemokratie vorzustellen.

Ich bekenne freimütig, dass es Zeiten gegeben hat, wo ich auch solches Zeug dahergeredet habe. Aber da war ich siebzehn! Nicht siebenundzwanzig! (Und ich war auch nicht Vorsitzender einer Organisation mit mehreren zehntausend Mitgliedern.) Vielleicht ist es mehr als nur eine Äußerlichkeit, dass Franziska Drohsel mindestens zehn Jahre jünger aussieht, als sie ist.

Mit siebenundzwanzig verstand ich mich zwar auch noch als links, hatte mich aber längst von allen utopischen Sozialismusentwürfen verabschiedet. Ich kam nämlich nicht umhin, aus dem Zusammenbruch des realen Sozialismus die theoretische Konsequenz zu ziehen, dass es so etwas wie einen demokratischen Sozialismus nicht geben kann. Dass eine demokratische Gesellschaft von sich aus nicht den Sozialismus einführt, sollte als empirisch erwiesen gelten. Eine sozialistische Gesellschaft aber, die sich demokratisiert, das wissen wir seit 1989, hört in dem Moment, wo sie das tut, auf, sozialistisch zu sein. Und das kann auch nicht anders sein, weil eine demokratisch verfasste Gesellschaft niemals auf die Schnapsidee verfallen kann, sich einem System zu unterwerfen , in dem man zehn Jahre auf seinen Trabi warten muss. (Dass ich nicht schon vor 1989 auf diesen Gedanken gekommen bin, ist mir hochgradig peinlich, aber ich will meinen Lesern gegenüber ja ehrlich sein.)

Sozialismus, verstanden als „Wirtschaftsdemokratie“, heißt ja nicht etwa „Konsumentendemokratie“ – eine solche gibt es bereits, wenn auch mit nach Kaufkraft gestaffeltem Wahlrecht; man nennt so etwas auch „Marktwirtschaft“. Sondern sie bedeutet, dass man die Gebote von Effizienz und Rentabilität durch die einer wie auch immer gearteten „Demokratie“ der Produzenten ersetzt. Selbst wenn diese „Demokratie“ nicht zur Diktatur einer Planbehörde entarten würde – was sie zwangsläufig müsste, um überhaupt irgendwie zu funktionieren -, wären wir spätestens dann an dem Punkt, wo wir die Trabi-Warteliste einführen müssten.

Wirklich erschütternd ist die Ignoranz, mit der die Linke so tut, als befänden wir uns immer noch im Jahre 1975; als hätte es also den Sozialismus und seinen Zusammenbruch nie gegeben, und als könnte eine Juso-Vorsitzende im Jahre 2008 immer noch mit derselben Naivität zu Werke gehen wie ein Schüler-Revoluzzer der siebziger oder achtziger Jahre. Noch erschütternder ist, dass Drohsel nicht etwa vom allgemeinen Hohngelächter aus der Politik gespült, sondern ernstgenommen wird. Und da sie demokratisch gewählt ist, müssen wir annehmen, dass sie die Mehrheitsmeinung der Jungsozialisten, also der übernächsten Führungsriege der SPD wiedergibt.

Ich werde meine Zeit nicht darauf verschwenden, noch einmal einen Sozialismus zu zerpflücken, der historisch so widerlegt ist wie er es theoretisch immer war. Ich möchte nur auf die Denkweise aufmerksam machen, die hinter solchen Vortellungen steht:

Diesem Denken liegt keine auch nur halbwegs plausible Gesellschaftsanalyse zugrunde, auch keine kritische und erst recht keine marxistische. Hier werden einfach verschwommene Gerechtigkeitsideale in Utopien übersetzt, die Wirklichkeit an diesen Utopien gemessen, und wenn die Wirklichkeit mit ihnen nicht übereinstimmt: Umso schlimmer für die Wirklichkeit. Wir haben es mit einer holzschnittartigen, rigiden und apodiktischen Denkweise zu tun, die man normalerweise nur bei pubertierenden Jugendlichen antrifft. Zugleich mit einer für Teenager verzeihlichen asozialen Verantwortungslosigkeit, mit der man den Rest der Menschheit als eine Population von Versuchskaninchen auffasst, an denen man die eigenen Ideen testet.

Und nicht vergessen: Das sind keine autonomen Kreuzberger Kneipenbesatzungen, die nachts um drei die Weltrevolution planen. Das sind Leute, die in absehbarer Zeit unser Land regieren wollen.

Die Daumenschraube wird weitergedreht

Nun schreibe ich schon einen ellenlangen Artikel über Sport, um mir mal eine Islam- und Türkenpause zu gönnen. Leider ist dieses Thema ungefähr so leicht zu ignorieren wie ein knatternder Presslufthammer nachts unter dem Schlafzimmerfenster. (Ein solcher fiele in der Diktion der Political Correctness vermutlich auch unter das Stichwort „Kulturelle Bereicherung“ – sofern er von einem Muslim gehandhabt würde.) Also schön – das Wort hat die Türkische Gemeinde in Deutschland:

NACH DEN BRANDANSCHLÄGEN MUSS ES EINE NEUAUSRICHTUNG DER POLITIK GEBEN Nach einer Reihe von Brandanschlägen, brachte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat, die ernsthaften Sorgen der türkeistämmigen Bewohner/innen Deutschlands zum Ausdruck und verlangte eine Neuausrichtung der Integrationspolitik. Kolat stellte folgende Grundsätze für einen neuen Ansatz in der Integrationspolitik vor: 1) Die Sicherheitskräfte müssen intensiver vorbeugend tätig werden. Die Sicherheitskräfte in der Bundesrepublik müssen ihre vorbeugende Tätigkeit intensivieren. Zur Stärkung des Vertrauens der türkeistämmigen Bevölkerung muss die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit Organisationen der türkischstämmigen Community ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang müssen mehr Menschen mit Migrationshintergrund ausgebildet und eine 10-%- Einstellungsquote umgehend eingeführt werden. 2) Es muss gegenseitiges Vertrauen hergestellt werden. Die Führungspersönlichkeiten der deutschen und der türkischstämmigen Gesellschaft müssen ihre Beziehungen intensivieren und Zeichen für ein friedliches Zusammenleben gemeinsam setzen. Der von Menschen mit Migrationshintergrund für diese Gesellschaft geleistete und zu leistende Beitrag muss hervorgehoben werden. Um diesen Beitrag zu steigern müssen öffentliche Institutionen die notwendige Unterstützung leisten. 3) Anstelle einer sog. Integration müssen gleiche Rechte und Partizipation im Vordergrund stehen. Wo es keine Partizipation gibt, fühlen sich die Menschen ausgegrenzt. Wenn das System die Menschen nicht einbezieht, nehmen diese das System nicht an. Deshalb ist die politische Partizipation von herausragender Bedeutung. In diesem Kontext sind den Menschen mit Migrationshintergrund das kommunale Wahlrecht und die Mehrstaatigkeit unbedingt zu gewähren. Kulturelle Partizipation wird die Menschen in die Lage versetzen, ihre kulturellen Werte in eine positive Richtung weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass die türkische Sprache an den Schulen gelehrt und Türkisch als 2. Fremdsprache bis zum Abitur angeboten wird; es muss auf jegliches Sprachverbot an Schulen verzichtet werden. Auch ist Islam-Unterricht an Schulen Teil der kulturellen Partizipation. Bildungspartizipation ist unverzichtbar. Leider lässt der Bildungserfolg türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher viel zu wünschen übrig. Das hat verschiedene Ursachen. Das Bildungssystem in seiner heutigen Form verhindert den Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund. Auch die Partizipation am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist in den letzten Jahren rückläufig. Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert eine 10-%-Quote am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. 4) Es muss ein politischer Ehrenkodex verabschiedet werden Es muss Schluss sein mit der Instrumentalisierung von Migrant/innen in Wahlkämpfen. Um dies zu gewährleisten sollten alle Parteien und Organisationen sich auf einen „politischen Ehrenkodex“ einigen und diesen abzeichnen. Verstöße dagegen müssen öffentlich gemacht werden. 5) Programme zur Bekämpfung von Rassismus müssen weiterentwickelt werden. Die öffentlich geförderten Programme zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen ausgeweitet, ihre Resultate öffentlich diskutiert werden. Darüberhinaus müssen die Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden werden und an Schulen interkulturelles Leben als Pflichtfach eingeführt sowie internationale Austauschprogramme zum gegenseitigen Kennenlernen entwickelt werden.

Das Ganze beginnt bereits mit einer Lüge, nämlich mit der Behauptung, es habe „eine Reihe von Brandanschlägen“ gegeben. In Wahrheit waren es höchstens zwei, von denen einer – der von Ludwigshafen – erwiesenermaßen keiner war. Und der andere, der von Marburg? Sagen wir es so: Wenn jemand es darauf angelegt hätte, einen fremdenfeindlich motivierten Brandanschlag vorzutäuschen, so wäre er genau so vorgegangen wie die Täter von Marburg. Mit dieser Lüge werden fünf Gruppen von Forderungen legitimiert, von denen vier mit dem Schutz vor rechtsextremer Gewalt nichts zu tun haben, und die fünfte, bei Licht besehen, auch nicht. Der Hinweis auf die „Reihe von Brandanschlägen“ dient also nicht etwa als Argument, sondern dazu, sich als „Opfer“ zu stilisieren, dessen Forderungen abzulehnen mithin unmoralisch wäre. Wenn es um Sprache geht, bin ich ein wenig Etepetete: Ich achte nicht nur darauf, was einer sagt, sondern auch, wie er es sagt. Wie einer redet, so denkt er, und wie er denkt, so ist er: Der Forderungsteil besteht aus 30 Hauptsätzen (zuzüglich einigen Nebensätzen), davon 21 Forderungen, aber nur neun Tatsachenbehauptungen; anscheinend hält man es nicht für nötig, sich lange mit Argumenten aufzuhalten. Von diesen 21 Forderungen werden nicht weniger als sechzehn (!) mit dem Wort „müssen“ erhoben, und nur einmal steht der konziliante Konjunktiv „sollte“. Ich glaube nicht, dass es übertrieben sensibel ist, wenn ich feststelle, dass dies nicht die Sprache von Konsens oder Kompromiss ist. Sondern die Sprache des Ultimatums. „Zur Stärkung des Vertrauens der türkeistämmigen Bevölkerung [in die Sicherheitskräfte]…“ In Deutschland ist es nicht üblich sich auszusuchen, ob man zur Polizei „Vertrauen“ hat. Man befolgt ihre Anweisungen. Wer dies nicht will, weil es ihm am Vertrauen gebricht, muss hier nicht leben. Die türkische Polizei, die für ihre skrupulöse Beachtung der Menschenrechte weltberühmt ist, soll ja auch viel vertrauenswürdiger sein. „…muss die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit Organisationen der türkischstämmigen Community ausgebaut werden.“ Heißt: Die Türkische Gemeinde in Deutschland und vergleichbare Verbände sollen in die Arbeit der Polizei hineinreden dürfen. „In diesem Zusammenhang müssen mehr Menschen mit Migrationshintergrund ausgebildet und eine 10-%- Einstellungsquote umgehend eingeführt werden“ Heißt zweierlei: Einmal, dass gegebenenfalls besser qualifizierte deutsche Bewerber abgelehnt werden sollen, damit die Quote erfüllt wird – also eine Vorzugsbehandlung; die davon Profitierenden dürfen sich dann als Quotentürken fühlen und wissen, wem sie ihren Job zu verdanken haben. Zweitens, und in Zusammenhang mit der oben zitierten Forderung nach „Zusammenarbeit“, dass die türkischen Verbände eine Art Patenschaft für „ihre“ Polizisten bekommen. „Die Führungspersönlichkeiten der deutschen und der türkischstämmigen Gesellschaft müssen ihre Beziehungen intensivieren“ Aha! Wir haben also zwei Gesellschaften, eine deutsche und eine türkische, und beide haben „Führungspersönlichkeiten“. Herr Kolat sieht sich auf Augenhöhe mit der Bundeskanzlerin. „Der von Menschen mit Migrationshintergrund für diese Gesellschaft geleistete … Beitrag muss hervorgehoben werden.“ Das kann ich mir so gar nicht vorstellen, dass die Türken wirklich ein Interesse daran haben sollten, den türkischen Beitrag zum PISA-Ergebnis, zur Kriminalstatistik, zur Länge des Verfassungsschutzberichtes und zur Höhe der Sozialausgaben auch noch „hervorgehoben“ zu sehen. Aber bitte, wenn sie meinen… Beinahe stimmt es hoffnungsfroh, dass auch vom „zu leistenden Beitrag“ die Rede ist. Sie sind also der Meinung, sie hätten einen Beitrag zu leisten. Und wie soll das geschehen? „Um diesen Beitrag zu steigern müssen öffentliche Institutionen die notwendige Unterstützung leisten.“ Ach so. Gebt uns Staatsknete, dann seht ihr vielleicht einen Teil davon in Gestalt unseres „Beitrages“ wieder. „Anstelle einer sog. Integration…“ – Im Klartext: Schlagt Euch Euren Integrationsklimbim aus dem Kopf! – „… müssen gleiche Rechte und Partizipation im Vordergrund stehen Wo es keine Partizipation gibt, fühlen sich die Menschen ausgegrenzt.“ Für deutsche Staatsbürger gibt es gleiche Rechte und Partizipation – und es wird ja niemandem schwer gemacht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, eher zu leicht. Dass Nicht-Staatsbürger nicht die gleichen Rechte haben, ist keine „Ausgrenzung“, sondern eine Selbstverständlichkeit. „Wenn das System die Menschen nicht einbezieht, nehmen diese das System nicht an.“ Das muss man sich richtig auf der Zunge zergehen lassen: Sie „nehmen das System nicht an“. Wohlgemerkt: Hier ist von Nicht-Staatsbürgern die Rede, nicht etwa von Deutschen türkischer Herkunft. Wenn die also nicht die gleichen Rechte wie Staatsbürger bekommen, dann… „Deshalb ist die politische Partizipation von herausragender Bedeutung. In diesem Kontext sind den Menschen mit Migrationshintergrund das kommunale Wahlrecht und die Mehrstaatigkeit unbedingt zu gewähren.“ Rechte wie die Deutschen, aber Pflichten gegenüber der Türkei, der türkischen Community, der Umma, dem Djihad. „Kulturelle Partizipation wird die Menschen in die Lage versetzen, ihre kulturellen Werte in eine positive Richtung weiterzuentwickeln.“ Ihre kulturellen Werte. Davon bin ich allerdings überzeugt. Man versucht nicht einmal, uns davon zu überzeugen, dass wir daran ein Interesse haben könnten. „In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass die türkische Sprache an den Schulen gelehrt und Türkisch als 2. Fremdsprache bis zum Abitur angeboten wird“ Notwendig? Wieso? „…es muss auf jegliches Sprachverbot an Schulen verzichtet werden.“ Die deutsche Sprache darf nicht die verbindliche Umgangssprache sein. „Auch ist Islam-Unterricht an Schulen Teil der kulturellen Partizipation.“ Das genau ist er nicht. Partizipation heißt „Teilhabe“ und „kulturelle Partizipation daher „Teilhabe an der deutschen Kultur“. Der Islam gehört dazu nicht. „Leider lässt der Bildungserfolg türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher viel zu wünschen übrig. Das hat verschiedene Ursachen.“ Nanu: „Verschiedene Ursachen“ – ein Ansatz zur Selbstkritik? I wo: „Das Bildungssystem in seiner heutigen Form verhindert den Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund.“ Ob das wirklich keine Satire ist? Das deutsche Bildungssystem steht allen offen, und zwar kostenlos. Ich möchte irgendwann einmal ein einziges Argument hören, warum das deutsche Bildungssystem daran schuld sein soll, dass Dummheit, Frechheit, Faulheit und Gewalttätigkeit unter türkischen Schülern so viel verbreiteter sind als unter anderen. „Auch die Partizipation am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist in den letzten Jahren rückläufig. Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert eine 10-%-Quote am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.“ … damit man ohne solche deutschen Kleinkariertheiten wie einen Schulabschluss oder gar gute Noten auskommt und obendrein einen Arbeitgeber verklagen kann, der sich weigert, unqualifiziertes Personal einzustellen. Aber das Filetstück kommt erst jetzt: „Es muss Schluss sein mit der Instrumentalisierung von Migrant/innen in Wahlkämpfen. Um dies zu gewährleisten sollten alle Parteien und Organisationen sich auf einen „politischen Ehrenkodex“ einigen und diesen abzeichnen. Verstöße dagegen müssen öffentlich gemacht werden.“ Migranten, gemeint sind: Muslime, speziell Türken, dürfen nicht kritisiert werden. Wer es doch tut, kommt an den Pranger. Die deutschen Parteien haben auf die Meinungsfreiheit zu verzichten. Sarkastisch könnte man sagen, dass das bereits der Fall ist. Ungewöhnlich nur, selbst für islamische Verhältnisse, die Dreistigkeit und Offenheit, mit der dies gefordert wird. Aber nicht wirklich erstaunlich: Wir haben es mit den ersten Auswirkungen der Hessenwahl zu tun. Eine Gesellschaft, die ihre Bereitschaft zur Unterwerfung so deutlich kundtut wie die deutsche, darf sich nicht wundern, wenn diese Unterwerfung schließlich auch als Recht gefordert wird. „Die öffentlich geförderten Programme zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen ausgeweitet, ihre Resultate öffentlich diskutiert werden. Darüberhinaus müssen die Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden werden…“ …damit nicht solche lästigen ungläubigen Dinge wie religiöse Toleranz oder der Kampf gegen Antisemitismus gelehrt werden, „…sowie internationale Austauschprogramme zum gegenseitigen Kennenlernen entwickelt werden.“ Endlich eine gute Idee! Ich schlage vor, umgehend auch türkische und arabische Schüler in den Jugendaustausch mit dem Staat Israel einzubinden und sie in Kibbuzim in Reichweite von Katjuschas und Kassam-Raketen arbeiten zu lassen. Aber das scheitert wahrscheinlich daran, dass „Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden“ werden. Was fordert die TGD? Erstens Geld. Zweitens Nicht-Integration. Drittens eine Vorzugsbehandlung von Türken. Viertens die Gleichberechtigung türkischer Organisationen mit dem deutschen Staat. Fünftens Zugriff auf die deutsche Polizei. Was bietet sie? Nichts. Nur die Selbstverständlichkeit, dass ihre Mitglieder „das System annehmen“ – zu deutsch: Sich nicht der Qaida anschließen und nicht unsere Städte anzünden. Im islamischen Recht nennt man das: „Dhimma“ – ein Schutzvertrag, bei dem die „Ungläubigen“ dafür bezahlen, dass die Muslime keinen Djihad gegen sie führen. Wir dürfen Dhimmis werden.

Kurt Beck und die Schmuddelkinder

Scheinbar war es eine Überraschung, dass ausgerechnet Kurt Beck vor ein paar Tagen durchblicken ließ, die hessische SPD-Vorsitzende Y werde sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Ausgerechnet Beck, dem schon die Grünen zu weit links waren, um in Rheinland-Pfalz mit ihnen zu koalieren! Dieses Urgestein der konservativen SPD vergisst alle heiligen Eide, man werde niemals mit den Linken zusammengehen, und kündigt an, den Schmuddelkinderstatus der Linkspartei aufzuheben.

Die Empörung des politischen Gegners, aber auch der neutralen Kommentatoren ließ nicht auf sich warten: Wahlbetrug! Wortbruch! Ja, das ist es. Und zugleich ist es die einzig richtige Entscheidung.

Damit man mich richtig versteht: Ich bin gegen alle linken Parteien, auch gegen die SPD. Von deren Vorsitzenden kann ich aber nicht fairerweise erwarten, dass er meinen Standpunkt teilt.

Rein sachlich drängt sich eine Zusammenarbeit der beiden sozialistischen Parteien geradezu auf: Die SPD hat mit den Linken größere programmatische Schnittmengen als sie mit den Grünen jemals hatte, zumal die Linken bei der SPD abschreiben und die SPD sich ihnen beim letzten Parteitag deutlich angenähert hatte. Zudem besteht die Linkspartei im Westen überwiegend nicht aus linksradikalen Sektierern, sondern aus Gewerkschaftern und Ex-Sozialdemokraten – das ist Fleisch vom Fleische der SPD.

Und machtpolitisch hat Beck nicht die kleinste praktikable Alternative: Die Linke hat sich etabliert, daran wird sich nichts mehr ändern, und deswegen wird es für Rot-Grün nur noch in Ausnahmefällen reichen. Die Sozialdemokraten können also entweder mit den Linken zusammenarbeiten, oder ihre einzige Regierungsperspektive ist die Große Koalition, und das heißt: der Selbstverschleiß und der Verlust von noch mehr Wählern an die Linkspartei.

Vor einer solchen Situation stand die SPD schon einmal, als in den achtziger Jahren die Grünen aufkamen. Auch da wurden regelmäßig heilige Eide geschworen, niemals mit denen…

Und regelmäßig wurden sie gebrochen: In den achtziger Jahren in Hessen(!), 1989 in Berlin, 1995 in Nordrhein-Westfalen. Auch zugunsten der Linkspartei bzw. PDS ist die SPD schon einmal umgefallen: 1994 in Sachsen-Anhalt. In solchen Dingen ist die SPD also die Umfallerpartei par excellence. Es mag sein, dass es in Hessen Menschen gegeben hat, die die SPD wegen ihres Versprechens gewählt haben, nicht mit den Linken zusammenzugehen, und die wirklich geglaubt haben, diesmal würde die SPD aber nicht umfallen – pardon, aber solche Einfaltspinsel gehören betrogen!

Die SPD hat keine Wahl. Und der kaltschnäuzige Macchiavellismus, mit dem Beck aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen zieht, sichert ihm meinen Respekt. Mehr noch: Er macht sich damit um die Republik verdient.

Was wäre denn, wenn die SPD sich dauerhaft in der Großen Koalition einrichten würde? Wenn die Erfahrungen der letzten beiden Jahre irgendetwas beweisen, dann doch dies: dass in einer Großen Koalition beide Partner an Profil und Mobilisierungsfähigkeit verlieren, dass beide sich auf die politische Mitte konzentrieren und in ihr präsent sein müssen; dass die CDU nicht rechts sein kann, wenn die SPD nicht links ist. Und dass dem Wähler dauerhaft die reale Chance verwehrt wird, die gerade amtierende Regierung abzulösen.

Orientiert sich die SPD dagegen auf ein Linksbündnis, dann lösen sich die verkrampften Blockaden, die gegenwärtig die Regierungsbildung in Hessen erschweren (und die deutschlandweit zum Dauerzustand würden, wenn die Linken weiterhin als Schmuddelkinder ausgegrenzt würden), und der Wähler bekommt wieder die Wahl zwischen Links und Rechts.

Bleibt nur ein Problem: Das Aufkommen der Linkspartei hat die politische Linke nicht etwa geschwächt, sondern gestärkt. Zum einen erreicht diese Partei Wähler, die sonst wahrscheinlich zuhause geblieben wären oder irgendwelche Protest-Splitterparteien gewählt hätten, zum anderen werden durch sie spezifisch linke Positionen in einer Klarheit und Prägnanz öffentlich artikuliert, die die SPD selbst sich gar nicht leisten könnte, von der sie aber profitiert, weil die öffentliche Meinung auch in der Mitte dadurch beeinflusst wird.

Statt sich darüber aufzuregen, täte die konservative Rechte gut daran, sich zu fragen, ob man von Lafontaines Erfolgsrezept nicht etwas lernen kann. Auf der politischen Rechten, etwa im christlich-konservativen oder nationalkonservativen Spektrum gibt es viele Wähler, die sich von der CDU so wenig vertreten fühlen wie linke Sozialdemokraten von der SPD, und mit Roland Koch haben sie eine ihrer letzten Identifikationsfiguren verloren. Wenn das bürgerliche Lager mit dem linken wieder gleichziehen und nebenbei verhindern will, dass rechte Protestwähler sich bei der NPD sammeln, dann sollte es das rechtskonservative Spektrum mit einer eigenen Partei bedienen. Entweder durch bundesweite Ausdehnung der CSU, oder, wenn die sich das nicht traut, durch Gründung einer neuen Partei. Die Preisfrage lautet: Wer macht den rechten Lafontaine?

Jetzt erst recht!

Die dänische Polizei hat drei Islamisten festgenommen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Mordanschlag auf den Karikaturisten Kurt Westergaard planten. Viele dänische Zeitungen haben dies zum Anlass genommen, Westergaards Karikatur noch einmal abzudrucken, aus Solidarität mit dem Künstler und als Demonstration für die Presse- und Meinungsfreiheit.

Ich schließe mich dem an und bitte alle Blogger, denen an der Meinungsfreiheit liegt, dasselbe zu tun:

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Erdogan und die Integration

Man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu den Lesern der „Korrektheiten“ gehört, aber wenn es ihm darum gegangen wäre, meine Einschätzung der türkischen Politik zu bestätigen, dann hätte er dies kaum eindrucksvoller tun können als mit seinen Auftritten am Freitag im Bundeskanzleramt und am Sonntag in der Köln-Arena.

Wenn wir Deutschen von „Integration“ sprechen, dann meinen wir damit, dass Einwanderer, z.B. aus der Türkei, und ihre Kinder in die deutsche Nation  aufgenommen werden. Das heißt im Klartext: Wenn sie unseren Pass annehmen, wechseln sie ihre Nationalität und werden Deutsche.

Dazu gehört nicht, dass man Schweinshaxen essen oder samstags den Rasen mähen oder vor seinem Haus Gartenzwerge aufstellen muss. Wohl aber gehört dazu, dass man die deutsche Nation als seine eigene annimmt, dass man die deutsche Sprache spricht, dass man die demokratische Rechtsordnung und die ihr zugrundeliegenden Wertentscheidungen akzeptiert, und zwar einschließlich der religiösen Toleranz, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, des Verzichts auf private Gewaltanwendung. (Und, da das zum nationalen Grundkonsens gehört: dass man nicht am Existenzrecht Israels herumsägt.)

Wenn dagegen Erdogan von Integration spricht, tut er es mit den Worten:

„Ja zur Integration – nein zur Assimilation!“

Und macht unmissverständlich klar, dass mit „Nein zur Assimilation“ nicht etwa die Ablehnung besagter Schweinshaxen und Gartenzwerge gemeint ist, sondern die Ablehnung der Zugehörigkeit zur deutschen Nation: Wenn er sagt, die Deutsch-Türken sollten ihre türkische Identität bewahren und sich

„mit ihren Werten integrieren“,

(FAZ, 09.02.08, „Unser gemeinsames Land“, online nicht kostenlos verfügbar)

dann sagt er damit zugleich, welche Identität sie nicht annehmen – eine deutsche nämlich – und welche Werte sie nicht akzeptieren sollen – die der deutschen Gesellschaft. Sogar dort, wo er seine Landsleute aufruft, die deutsche Sprache zu erlernen, verknüpft er diesen Appell mit der Forderung nach türkischen Schulen und Universitäten in Deutschland, denn ein Deutsch-Türke müsse

„zuerst die eigene Sprache beherrschen, bevor er die zweite, also Deutsch, erlernen kann.“ (FAZ, a.a.O.)

Deutsch als Zweitsprache! Es geht also mitnichten um Traditionspflege etwa nach Art der Hugenotten, die bis heute ihr französisches Erbe hochhalten, ansonsten aber stets preußische, später deutsche Patrioten waren, sondern es geht um die bewusste, sogar institutionalisierte Ablehnung des Deutschen als Muttersprache, und zwar in alle Zukunft.

Und damit wir Deutschen nicht auf dumme Gedanken kommen, fügt er an seine Forderung nach türkischen Bildungseinrichtungen in Deutschland den denkwürdigen Satz:

„Wenn Sie versuchen, das zu verhindern, dann machen Sie einen Fehler.“

Der Manfreds-politische-Korrektheiten-Sonderpreis für politische Phantasie geht an Denjenigen, der mir plausibel macht, dass dieser Satz nicht als Drohung zu verstehen ist.

Dabei belässt er es nicht einfach dabei, „Assimilation“ abzulehnen, nein, er verteufelt sie als

„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Was denkt er sich eigentlich dabei, die Aufnahme von Türken in die deutsche Nation mit einem Begriff zu belegen, der zur juristischen Kennzeichnung der nationalsozialistischen Massenmorde entwickelt wurde?

Vielleicht denkt er sich gar nichts, das wäre die freundliche Interpretation. Im Zusammenhang mit der Serie unterschwelliger Drohungen, die er während seines Besuchs ausgesprochen hat, halte ich aber für plausibel, dass die unverschlüsselte Botschaft lautet: Versucht nicht, uns zu assimilieren, sonst verpetzen wir Euch vor aller Welt als Nazis, die einen „Völkermord“ begehen!

(Ein primitives Kalkül, das aber seine Wirkung vor allem auf denjenigen Teil der deutschen Öffentlichkeit nicht verfehlen dürfte, dem die Sorge um „das Ansehen Deutschlands in der Welt“ regelmäßig den Schlaf raubt, und der schon vorsorglich auf die Knie fällt, wenn man uns mit der bloßen Drohung konfrontiert, uns mit unserer braunen Vergangenheit in Verbindung zu bringen. Diese Marotte mutiert spätestens in dem Moment zum handfesten politischen Problem, wo wir es mit einem Spieler zu tun bekommen, der wie Erdogan zynisch genug ist, diese Schwäche auszubeuten. Dabei ist sie völlig unnötig: Für uns kann es doch lediglich darauf ankommen, keine Nazis zu sein, nicht aber darauf, ob Andere denken, wir könnten das sein. Im Übrigen kann es der präventiven Abschreckung potenzieller Feinde unseres Landes bloß dienlich sein, wenn sie uns zumindest zutrauen, wir könnten mit ihnen nach Nazimanier verfahren; mit demonstrativem Pazifismus erzielt man diesen Effekt jedenfalls nicht.)

Was Erdogan uns also als „Integration“ verkaufen will, ist die Stabilisierung der deutsch-türkischen Minderheit als Gesellschaft in der Gesellschaft, als Nation in der Nation, als Staat im Staate. (Und die Integration besteht lediglich darin, dass es sich um einen Staat eben im Staate handeln soll.)

Eine Unverschämtheit wäre diese Forderung in jedem Fall. Aus dem Munde speziell eines türkischen Regierungschefs ist sie jedoch weitaus mehr als das:

Stellen wir uns, um Erdogans Verhalten angemessen zu interpretieren, einen Moment lang vor, der armenische Ministerpräsident würde auf Staatsbesuch in die Türkei reisen, in Istanbul eine Massenversammlung mit zwanzigtausend türkischen Armeniern abhalten und diese auffordern, sich auf keinen Fall an die türkische Gesellschaft zu assimilieren, weil das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei. Der sofortige Abbruch der diplomatischen Beziehungen wäre noch die geringste Folge.

Das türkische Verständnis von Nation und Nationalstaatlichkeit basiert nämlich auf der Vorstellung der vollständigen ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Homogenität der Nation! Von der Toleranz der Türken gegenüber Minderheiten können etwa Kurden und Armenier ein Lied singen. (Die kleinasiatischen Griechen können es nicht mehr, weil ihre dreitausendjährige Kultur nach sechshundert Jahren Türkenherrschaft restlos verschwunden ist – mitsamt den Griechen selbst.) Die Forderung nach Minderheitenrechten stellt nach türkischem Verständnis einen Anschlag auf die Einheit der Nation dar und gilt als staatsfeindlicher Akt. (Dass Erdogans Islamisten mit Rücksicht auf die EU, d.h. aus taktischen Gründen, das Prinzip etwas flexibler handhaben als ihre kemalistischen Vorgänger, bedeutet keineswegs, dass sie es zur Disposition stellen würden.)

Wenn der Regierungschef eines solchen Landes an Deutschland eine Forderung stellt, die er, wäre sie an ihn selbst gerichtet, als Kriegserklärung auffassen würde, so ist dies – zumindest der Absicht nach – ein feindseliger Akt, da sie darauf abzielt, Deutschland politisch zu schwächen, und zwar im Interesse sowohl des Islam im Allgemeinen als auch der Türkei im Besonderen:

Kurzfristig geht es ihm darum, die Deutsch-Türken als Fünfte Kolonne aufzubauen, die als Pressure-Group den EU-Beitritt der Türkei unterstützt:

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands gehört die strukturelle Mehrheit des „bürgerlichen Lagers“ der Vergangenheit an – Links und Rechts sind jetzt ungefähr gleich stark. In einer solchen Situation wächst einer Wählergruppe, die sich jenseits des Links-Rechts-Gegensatzes über ethnische Gruppenidentität definiert, die Rolle eines Züngleins an der Waage zu, sofern sie es schafft, sich als nahezu geschlossener Stimmblock zu etablieren; eine solche Gruppe verfügt kraft ihrer strategischen Position über einen Einfluss, der ihr zahlenmäßiges Gewicht bei weitem übertrifft. Orientiert sie sich an den politischen Vorgaben eines fremden Staates, so ist eine verstärkte Abhängigkeit Deutschlands von dessen Interessen die zwangsläufige Folge.

Dabei können wir uns noch nicht einmal darauf verlassen, dass die demokratischen Spielregeln wenigstens formal eingehalten werden: Mit ihrem Spiel, den Zorn der Deutsch-Türken auf den deutschen Staat und „die“ Deutschen zuerst anzuheizen, um ihn dann mit staatsmännischem Gestus wieder zu dämpfen (siehe meinen Beitrag „Brandstiftung“), hat die türkische Regierung klargemacht, auf welcher Klaviatur sie in Zukunft zu spielen gedenkt.

Normalerweise könnte man es als das dumme Gerede unreifer Hitzköpfe abtun, wenn junge Türken in die Reportermikrofone rufen: „Wenn das so weitergeht, gibt es Bürgerkrieg: Türken gegen Deutsche!“ (Nicht etwa: „Deutsche gegen Türken“ – offenbar ist man sich in diesen Kreisen wohlbewusst, von wem die Aggression ausgeht.) Wenn aber die türkische Regierung offen ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur Schau stellt, solche Stimmungen nach Bedarf zu manipulieren, und die Deutsch-Türken sich darauf einlassen, so ist dies die unzweideutige Ansage, dass die türkische Seite bereit ist, zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen Gewalt anzudrohen und – sonst hinge die Drohung ja in der Luft – auch anzuwenden.

Und diese Interessen enden nicht mit dem EU-Beitritt der Türkei – da beginnen sie erst. Haben sich die Türken erst einmal als zweite Nation auf deutschem Boden etabliert, so wird der nächste völlig logische Schritt die Forderung nach „Gleichberechtigung“ sein, gestützt immer auch auf latente Drohungen.

Falls hier einer jener linken Pawlowschen Dackel mitliest, die bei dem Wort „Gleichberechtigung“ reflexartig mit dem Schwanz zu wedeln beginnen: Es ist ein grundlegender Unterschied, ob ich Individuen als gleichberechtigt behandle oder ein Kollektiv! Die Gleichbehandlung eines Kollektivs bedeutet, dass dessen Wertvorstellungen, Sozialnormen, Geschichtsbilder und Vorurteile denselben Anspruch auf gesellschaftliche Legitimität haben wie die der Mehrheitsgesellschaft. Im Falle eines islamischen Kollektivs also Frauenfeindlichkeit, autoritäre Erziehung, Antisemitismus, Christenhass, Intoleranz, Gruppennarzissmus und Gewaltkult. Und nicht zuletzt die Geltung der Scharia. (Wer immer noch nicht glauben will, dass es darauf irgendwann hinauslaufen wird, werfe einen Blick nach Großbritannien und lasse sich vom Erzbischof von Canterbury belehren.) Wohin schließlich die „Gleichberechtigung“ zweier Kollektive führt, von denen das eine zur Gewaltanwendung bereit ist, das andere aber nicht, mag sich Jeder selbst ausmalen.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Erdogan ist mindestens ebensosehr Islamist, wie er Nationalist ist. Wenn er das Aufgehen der türkischen Gemeinde in der deutschen Nation um jeden Preis verhindern will, dann geht es nicht einfach um die Durchsetzung türkischer Staatsinteressen. Es geht um die Durchsetzung des islamischen Gesellschaftsmodells, um zunächst die Verdrängung, dann Zerstörung der säkularen europäischen Zivilisation.

Eines muss man Erdogan lassen: Taqqiyya – Täuschung der Ungläubigen – ist das nicht. Er ist ehrlich. Er hat seine Karten auf den Tisch gelegt.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Türkei“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Die Bücher von Hans-Peter Raddatz, von Oriana Fallaci, von Udo Ulfkotte, von Henryk M. Broder

Amerika, Du hast es besser!

Die Amerikaner gehören zu den faulsten Wahlbürgern der westlichen Welt. Selten übersteigt die Wahlbeteiligung die Sechzig-Prozent-Marke; oft wählt nicht einmal jeder Zweite. Woran auch immer das liegen mag – vielleicht daran, dass die Amerikaner schon immer wählen durften und es deshalb nicht wirklich zu schätzen wissen? – an der Inszenierung liegt es jedenfalls nicht.

Nirgendwo sonst wird Politik, speziell Wahlkampf, so fesselnd, so unterhaltsam, so sehr als sportlicher Wettkampf dargeboten wie gerade in Amerika. Das Duell Clinton-Obama, der Ausscheidungswettkampf McCain-Romney-Huckabee wären selbst dann spannend, wenn sie jedes politischen Inhaltes bar wären, eben wie ein Sportwettkampf, dessen Sieger ja auch kein „Programm“ zu haben braucht.

Und dann die skurrilen Abstimmungsmodi! Man denke nur an diese archaischen Caucuses in Iowa: kein neumodischer Klimbim, keine Wahlmaschinen, nicht einmal Stimmzettel; stattdessen muss man stundenlang anwesend sein, und die Wähler jedes Kandidaten stellen sich gruppenweise auf, werden zum Teil wieder abgeworben, gruppieren sich neu; wählen nicht schriftlich, nicht mündlich, erst recht nicht elektronisch, sondern physisch. So richtig demokratisch ist das alles nicht, wohl aber von einer gewissen erdigen Sinnlichkeit.

Schließlich der eigentliche Wahlabend: Nicht wie bei uns, wo man um fünf nach sechs schon weiß, wer gewonnen hat – wenn denn einer gewonnen hat -, sondern eine richtige Wahlnacht, in deren Verlauf Bundesstaat für Bundesstaat sein Votum abgibt und das Rennen sich über Stunden hinzieht und spannend bleibt. Auch das ist – wegen des rückständigen Wahlmännersystems – nicht so richtig demokratisch, aber prickelnd ist es allemal!

Natürlich muss ein politisches System nicht in erster Linie unterhaltsam sein, ich behaupte aber, dass das amerikanische System das Angenehme, weil Spannende, mit dem Nützlichen verbindet:

Demokratie ist, kurz gesagt, wenn freie Wahlen stattfinden; wenn man sich also zwischen Alternativen entscheiden kann. Das ist bei uns wie in Amerika der Fall. Was die Amerikaner uns aber voraushaben, ist das Recht zu entscheiden, zwischen was sie sich entscheiden dürfen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie um Barack Obama oder um Mike Huckabee beneiden soll; ich beneide sie aber um die effektive Chance, Kandidaten wie eben Obama oder Huckabee auch gegen deren jeweiliges Partei-Establishment durchzusetzen.

Bei uns dagegen entscheidet genau dieses Establishment, wer sich zur Wahl stellen darf; und dieses Establishment existiert auf jeder Ebene: Bereits im Ortsverband sind die einfachen Mitglieder das mehr oder minder bereitwillig akklamierende Publikum für eine Gruppe von Insidern, bei denen die Fäden zusammenlaufen. Diese Insider finden sich auf der nächsthöheren Ebene ihrerseits in der Publikumsrolle gegenüber den dortigen Insidern, die wiederum das Publikum für die nächsthöhere Ebene stellen. Wer in einem solchen System aufsteigen will, kann gar nicht mit Aussicht auf Erfolg an die „Basis“ appellieren; das geht vielleicht einmal gut, aber sicher nicht zweimal.

Nein, wer aufsteigen will, ist darauf angewiesen, von der je nächsthöheren Insidergruppe kooptiert zu werden, und zwar auf jeder Ebene von Neuem. Was juristisch als innerparteiliche Demokratie daherkommt, ist politsoziologisch ein System der Selbstrekrutierung von Parteieliten: Wer aufsteigt, bestimmen die, die schon oben sind. Da liegt es auf der Hand, dass im Zweifel Derjenige Karriere macht, der den oben bestehenden Erwartungen entgegenkommt, der die dortigen Dogmen respektiert, der kalkulierbar ist.

Der berühmte „Stallgeruch“, den ein Parteipolitiker tunlichst haben sollte, ist nichts anderes als die Übereinstimmung mit einem bestimmten in der Partei vorherrschenden Habitus, der sich durch Selbstrekrutierung auch selbst verewigt. Dieses System begünstigt den fleißigen, aber unkreativen Konformisten (der freilich nicht mit der Gesellschaft konform geht, der er dienen soll, sondern mit einem Paralleluniversum namens „Partei“).

Auf die Eigenschaften, die ein Politiker haben muss, um Wähler an sich zu ziehen, womöglich gar zur nationalen Führungsfigur zu taugen, kommt es dabei bestenfalls sekundär an, weil die politische Karriere bei uns über die Parlamente führt. Da die nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden, da man also Parteien und nicht Personen wählt, benötigen die Parteien keine starken Individualisten. Im Gegenteil: Gerade solche Persönlichkeiten sind schwer zu dirigieren und stellen, wenn sie erst einmal im Parlament sitzen, für ihre Fraktionsspitze eine unkalkulierbare Gefahr dar.

Unsere Parlamente bestehen nämlich nicht aus Abgeordneten, sondern aus Fraktionen, und wenn es in Amerika gang und gäbe ist, die Wähler darüber zu informieren, wofür und wogegen der einzelne Angeordnete gestimmt hat, so wäre das bei uns hochgradig sinnlos: Man weiß ja, dass er mit der Fraktion votiert hat.

Er selbst übernimmt dabei nur formal die Verantwortung für Entscheidungen, die Andere für ihn getroffen haben. In der Logik unseres politischen Systems kann das auch nicht anders sein, weil der Mandatsträger, der gegen die Fraktion stimmte, die Regierungsfähigkeit seiner eigenen Partei aufs Spiel setzen würde – ein Problem, das der amerikanische Abgeordnete so nicht kennt, weil dort das Volk, nicht das Parlament den Regierungschef wählt. Natürlich tut sich auch ein amerikanischer Präsident oder Gouverneur leichter, wenn die Abgeordneten mehrheitlich aus seiner eigenen Partei kommen, aber angewiesen ist er darauf nicht.

Es ist dort sogar eher die Regel als die Ausnahme, dass Regierungschef und Parlamentsmehrheit aus unterschiedlichen Parteien kommen. Na und? Ein – sagen wir – republikanischer Präsident braucht nicht die Demokraten zu überzeugen, um seine Vorlagen durchzubringen, es genügt ihm, Einige zu sich herüberzuziehen; und die können sich das leisten, weil ihr Abstimmungsverhalten ihren Wählern gefallen muss, nicht ihrer Partei.

Was das amerikanische System so überlegen macht, ist die Tatsache, dass der Wähler jedes Amt und Mandat vom Präsidenten bis hinunter – in einigen Bundesstaaten – zum städtischen Hundefänger einzeln und direkt statt indirekt und nach Liste besetzt. Wer mit dem Gouverneur unzufrieden ist, kann ihn abwählen und muss sich keine Gedanken um die „Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat“ machen – den gibt es nämlich nicht. Wer von seinem Senator die Nase voll hat, stimmt für dessen Gegenkandidaten und muss sich nicht wirklich darum scheren, wie der Präsident damit zurechtkommt usw. – alles Rücksichten, die ein deutscher Wähler nehmen muss. Die Amerikaner können den Besten für die jeweilige Aufgabe wählen. Wir nicht.

Deswegen können sie auch jeden Einzelnen für sein eigenes Versagen und seine Misserfolge verantwortlich machen, während in Deutschland die Ausreden und Sündenböcke institutionalisiert sind: die Partei (hat dort bei weitem nicht den Einfluss wie hier), der Koalitionspartner (gibt es dort nicht), der Bundesrat (dito), die EU (dito).

Der direkte Einfluss des amerikanischen Wählers reicht bis in die Programmatik hinein: keine langwierige und fruchtlose Arbeit an Programmdebatten, deren Ergebnisse in der Praxis dann doch ignoriert werden, wie bei uns: Jenseits des Ozeans entscheidet der Wähler über Programme, indem er bereits in den Vorwahlen über Personen entscheidet.

Ich will das amerikanische System nicht idealisieren – es hat durchaus seine Schattenseiten, etwa die enorme Spendenabhängigkeit jedes Kandidaten und damit verbunden der Einfluss von Großspendern.

Mir geht es darum zu zeigen, warum so viele Menschen bei uns das Gefühl haben, „die da oben machen ja doch, was sie wollen“. Dieses Gefühl haben sie, weil es sich genau so tatsächlich verhält! Man kann sich wohl zwischen verschiedenen Parteien entscheiden, aber was einem die Parteien anbieten – personell und programmatisch – entscheiden deren Spitzen allein. Unsere Demokratie krankt daran, dass sie eine Parteiendemokratie ist, in der alle wesentlichen Entscheidungen von winzigen Eliten getroffen, werden, die ihren „Elite“-Status obendrein weniger ihrer Kompetenz als ihrer Fähigkeit zur Kungelei verdanken.

Wer hier Abhilfe schaffen will, tut gut daran, den üblichen Vorschlägen – mehr Volksabstimmungen, Direktwahl des Bundespräsidenten etc. – zu misstrauen, zumal wenn solche Vorschläge aus der politischen Klasse selbst stammen.

Die Schweizer haben dieses System bis an seine Grenzen ausgereizt: Dort gibt es eine geschlossene politische Klasse, die intern kungelt, aber vom Volk regelmäßig per Abstimmung in die Schranken gewiesen wird. Zwei Dinge missfallen mir daran:

Erstens, dass über die Frage, wer regieren soll, noch stärker als bei uns die Parteieliten entscheiden. Die Macht des Establishments ist dort eher noch größer als bei uns; das Volk übt eine Kontrollfunktion aus, nicht unähnlich der einer parlamentarischen Opposition bei uns. Was aber ist das für eine Demokratie, in der das Volk Opposition ist?

Zweitens glaube ich nicht, dass politische Entscheidungen sich dadurch qualitativ verbessern, dass sie vom Volk getroffen werden. (Hier in Berlin zum Beispiel wird wohl demnächst ein Volksentscheid – eigentlich eher eine Volksbefragung, aber gut – zum Schicksal des alten Flughafens Tempelhof stattfinden. Ich neige dazu, für Tempelhof zu stimmen, schon aus Nostalgie, aber wenn man mich fragen würde, mit welchen Argumenten ich den Standpunkt des Senats erschüttern wollte, wonach Tempelhof geschlossen werden müsse, weil sich der neue Großflughafen sonst nicht rechne, der aber seinerseits eine wirtschaftliche Notwendigkeit sei, dann könnten diese Argumente aus meinem Munde nur lauten: „Äh…“
Also besonders kompetent im Detail bin ich nicht, genauso wie die Mehrheit meiner Mitbürger. Viel leichter ist es, Personen zu beurteilen.)

Wer mehr Demokratie will, darf sich also nicht mit Placebos wie „Volksentscheiden“ abspeisen lassen, sondern muss darauf bestehen, dass das Volk über die Frage entscheidet, auf die es einzig und allein ankommt, nämlich: Wer soll regieren?

Das läuft auf die radikale Entmachtung der Parteien hinaus: auf die Abschaffung des Verhältniswahlrechts, die Direktwahl des Regierungschefs durch das Volk und die Kandidatennominierung durch Vorwahlen (an denen nicht nur Parteimitglieder beteiligt sein dürfen). Das zu erwartende Ergebnis wäre nicht nur eine demokratischere Politik, sondern auch eine bessere, und sogar eine unterhaltsamere. Wie in Amerika.

Nachschlag

Anlässlich des Beitrags „Wer hat die Hessenwahl gewonnen?“ hat Beer7 mich auf einen Kommentar von Jost Kaiser aufmerksam gemacht, der ganz anderer Meinung ist als ich. Kaiser kritisiert zunächst die FAZ dafür, dass sie Roland Koch unterstützt, sich gar mit ihm gemein gemacht habe, mokiert sich über die Vorstellung einer linken Dominanz in den deutschen Medien und zeigt sich überzeugt, dass Koch einen ausländerfeindlichen Wahlkampf geführt und seine Niederlage daher verdient habe.

Dass ich an Kochs persönlicher Glaubwürdigkeit meine Zweifel habe, habe ich schon an anderer Stelle erwähnt. Nur ist die völlig irrelevant, verglichen mit den zu erwartenden politischen Folgen seiner Niederlage. Ich habe an Jost Kaiser eine Antwort als Kommentar in seinem Blog geschrieben. Dieser Kommentar ist zunächst in der Mitte abgeschnitten worden, vermutlich weil er für einen Blog-Kommentar zu lang war. Deswegen, und als Ergänzung zu den vorherigen Beiträgen zum Thema, veröffentliche ich ihn hier. Ich steige ein mit einem Zitat aus Kaisers Artikel:

„Von Hans-Joachim Friedrichs wird nur ein Satz überliefert, der aber ist ganz gut:
‚Ein Journalist darf sich mit keiner Sache gemein machen. Auch nicht mit einer guten.‘

Angenommen, die gute Sache sei Roland Koch. Dann sieht man das bei der „F.A.Z.“ mit dem gemein machen wohl fundamental anders.“

Stimmt. genau wie die entgegengesetzte Feststellung stimmt: „Angenommen, die gute Sache sei die Gegnerschaft zu Roland Koch. Dann sieht man das mit dem gemein machen bei sämtlichen deutschen Massenmedien mit Ausnahme von FAZ und ‚Bild‘ wohl fundamental anders.“

Ob man dies eine Kampagne nennen oder annehmen will, der deutsche Journalismus sei von einem seiner periodisch auftretenden Anfälle von Herdentrieb heimgesucht worden, lasse ich dahingestellt. Wenn sich aber sämtliche Schreiber der Republik über ein Wahlplakat empören, weil Ypsilanti darauf „Ypsilanti“ und Al-Wazir „Al-Wazir“ genannt wird und keiner auf die Idee kommt, dass daran etwas lächerlich sein könnte, dann ist das wohl ein starkes Indiz mindestens für Konformismus.

(Zumal diese Sensibilität in einem merkwürdigen Missverhältnis steht zu der Selbstverständlichkeit, mit der dieselbe Presse hinnimmt, dass auf demselben Plakat Mitglieder der Linkspartei kurzerhand als „Kommunisten“ abgestempelt, sprich mit Stalin, Mao und dem Gulag in Verbindung gebracht werden. Und ganz nebenbei: Dieselben Medien, die Helmut Kohl jahrelang den „Pfälzer“ genannt und offen darauf spekuliert haben, dass „der Pfälzer“ beim Publikum ungefähr so ankommen würde wie „der Dorfdepp“, täten gut daran, die feinen Anspielungen auf CDU-Plakaten nicht mit einer Elle zu messen, gemessen an der sie selbst jahrelang blanke Demagogie getrieben haben.)

Ja, aber die CDU hat doch auf fremdenfeindliche Ressentiments spekuliert! Na, und wenn?

Wenn es legitim ist, dass viele Wähler einen Kanzlerkandidaten der CSU schon deshalb a priori ablehnen, weil sie auf keinen Fall von einem Bayern regiert werden wollen, dann kann es nicht illegitim sein, dass es Menschen gibt, die nicht von einem Muslim regiert werden wollen. (Und man stelle sich vor, was in diesem Land los wäre, wenn über Herrn Al-Wazir so geschrieben würde wie einst über Franz Josef Strauß: „Der ist gemacht aus Barbarei und Blutwurst, aus Bier und Frömmelei!“). Es ist weder neu, noch ist es auf das Thema „Migrantenkriminalität“ beschränkt, noch eine Spezialität der CDU, noch auch nur vermeidbar, dass politische Positionen in Wahlkämpfen holzschnittartig vergröbert werden. Wer damit ein Problem hat, hat ein Problem mit der Demokratie.

Wenn in ein- und derselben Bevölkerungsgruppe – nämlich unter Migranten muslimischen Glaubens – Bildungsverweigerung, Machismo, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus, religiöse Intoleranz, politischer Extremismus und eben Gewaltkriminalität gleichzeitig und in deutlich höherem Maße als in der Gesamtbevölkerung auftreten, dann ist ein Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen naheliegend; ich würde sogar sagen: Er ist offensichtlich. Und dann kann man nicht einen Aspekt herausgreifen – hier also die Kriminalität -, ohne den (sub-)kulturellen Hintergrund mitzuthematisieren. Tut man dies aber, noch dazu in der mit einem Wahlkampf notwendig verbundenen plakativen Form, dann folgt darauf der Vorwurf der „Ausländerfeindlichkeit“ so sicher wie der Donner auf den Blitz.

Dass dieser Vorwurf, wenn er praktisch von sämtlichen Medien erhoben wird (und dann auch noch mit zählbarem Erfolg), ausreichen wird, das ganze Thema auf Jahre hinaus totzutrampeln, mag Sie befriedigen, und selbstverständlich ist es Ihr gutes Recht, sich für das Thema „Migrantenkriminalität“ nicht zu interessieren. Ich bin aber sicher, es würde Sie interessieren und Ihr Kommentar wäre ganz und gar anders ausgefallen, wenn man Ihrem Sohn, wie meinem, mal eben eine Pistole an die Schläfe gehalten hätte; wenn Ihre Tochter, wie meine, sich auf der Straße, da unverschleiert, mit „Üsch fück düsch, du deutsche Schlampe“, anpöbeln lassen müsste; wenn Ihr Nachbar Ihnen, wie mir, anlässlich einer nichtigen Meinungsverschiedenheit gedroht hätte, Ihre Frau zu vergewaltigen. (Besagter Nachbar musste übrigens untertauchen, weil er als Drogenhändler von der Polizei gesucht wurde.)

In der Regel bleibt es in solchen Fällen bei der bloßen Drohung (die aber als solche bereits barbarisch ist!); dass man sich darauf aber nicht verlassen kann, zeigt die Kriminalstatistik der wenigen Bundesländer, in denen die statistische Erfassung des Migrationshintergrundes von Verdächtigen nicht aus Gründen der Political Correctness untersagt ist.

Noch sind wir nicht an dem Punkt, wo man sich in deutschen Großstädten wie im New York der siebziger und achtziger Jahre seines Lebens nicht mehr sicher sein kann. Es bedürfte aber jetzt energischer politischer Intervention zu verhindern, dass es dahin kommt. Man kann auch ohne Prophetengabe vorhersagen, dass diese Intervention unterbleiben wird, und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Medien dem Thema das Etikett „ausländerfeindlich“ aufgepappt und damit Erfolg gehabt haben.

Dass die Publizistik sich im „Würgegriff“ der Linken befinde, dass Linke das Land zersetzten und Leute zum Schweigen brächten, die die Wahrheit sagen, das nennen Sie eine – und man sieht geradezu das Naserümpfen – „kleinbürgerliche“ Paranoia. Unter den gegebenen Umständen hielte ich das für dreist, wenn ich nicht Ihnen und Ihren politisch korrekten Kollegen die Naivität sogar abkaufen würde, mit der Sie und sie bestimmte normative Prämissen linker Ideologie so sehr als Selbstverständlichkeiten verinnerlicht haben, dass ihnen schon deshalb der Gedanke fremd sein muss, hier könne etwas „links“ sein.

Axiom linker Ideologie ist,

– dass jedes gesellschaftliche Machtungleichgewicht von vornherein verwerflich sei: also nicht nur das zwischen Reichen und Armen, sondern auch (die Liste ist äußerst unvollständig) zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, Christen und Muslimen, Israelis und Palästinensern, Weißen und Schwarzen, Männern und Frauen, Arbeitenden und Arbeitslosen, Inländern und Ausländern,

– dass solche Ungleichgewichte auf einem Unrecht beruhten, dass die jeweils stärkere Seite der Schwächeren antue,

– und dass es dieses „Unrecht“ durch die systematische Bevorzugung der schwächeren Seite auszugleichen gelte.

Und so kommt es, dass unsere Medien es keiner Begründung für wert erachten, wenn sie prinzipiell und ohne Rücksicht auf den jeweils konkreten Sachverhalt die Partei der Entwicklungsländer, Muslime, Palästinenser, Schwarzen, Frauen, Arbeitslosen und Ausländer ergreifen. So kommt es, dass die demagogische Verunglimpfung etwa von Bayern, Pfälzern, Linksparteimitgliedern und Kleinbürgern, kurz: von Inländern, als völlig unproblematisch, womöglich gar als journalistische Tugend gilt, während Kritik an Ausländern, und sei sie noch so wahrheitsgemäß, als „rassistisch“ gebrandmarkt wird. So kommt es, dass Journalisten massenhafte Gewaltkriminalität als

„sogenannte ‚Missstände'“

verharmlosen, ja veralbern, weil sie

„sehr genau spüren, wo das ‚Ansprechen‘ sogenannter ‚Missstände‘ hinführen kann, zum Glück aber diesmal – anders als 1999 („Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben“) – nicht hingeführt hat. „

Im Klartext: Sie haben ein Problem mit Deutschen, die den Kugelschreiber zücken, aber keines mit Arabern, die das Messer ziehen.

Genau das, Herr Kaiser, ist linke Ideologie.“

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Die Bücher von  Henryk M. Broder

Wer hat die Hessenwahl gewonnen?

Es konnte nicht ausbleiben, dass die Journaille uns die Niederlage von Roland Koch, sprich den Erfolg ihrer eigenen Kampagnenschreiberei als „Sieg der politischen Kultur“ verkaufen würde. Bevor ich danach frage, wer hier tatsächlich gesiegt hat, nutze ich die Gelegenheit festzuhalten, was man in diesen Kreisen unter „politischer Kultur“ versteht:

Erstens, dass es nicht darauf ankommt, ob etwas wahr, sondern ob es politisch korrekt ist,

zweitens, dass man Ausländer grundsätzlich nicht kritisieren darf [siehe meinen gestrigen Beitrag],

drittens, dass unhaltbare gesellschaftliche Zustände nicht kritisiert werden dürfen, wohl aber der, der sie anprangert,

viertens, dass der Staat nicht primär dafür da ist, seine Bürger zu schützen, sondern Gewaltverbrecher zu hätscheln,

fünftens, dass Medien, die sich viel auf ihre „Seriosität“ zugute halten, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen oder auch die ZEIT, blanken Kampgnenjournalismus treiben,

sechstens, dass sie damit Erfolg haben.

Gewonnen hat nicht die politische Kultur. Gewonnen hat diese Wahl eine linke Sozialdemokratin, deren Namen ich nicht nennen darf, weil das sonst fremdenfeindlich wäre, die ich deshalb mit Gerhard Schröder als „diese Frau XY“ tituliere, und die ihren Sachverstand durch ihren unermüdlichen Kampf gegen die Agenda 2010 unter Beweis gestellt hat; hätte sie damit Erfolg gehabt, so hätten wir jetzt anderthalb Millionen Arbeitslose mehr, aber was macht das schon?

Gewonnen haben ferner einige tausend Gewohnheitsverbrecher mit und ohne deutschen Pass, die sich bisher schon darauf verlassen konnten, dass sie keine ernsthaften Strafen zu befürchten haben, schon gar keine Ausweisung, und denen der hessische Wähler heute die Gewissheit beschert hat, dass das auch weiterhin so bleiben wird, weil sich in absehbarer Zeit kein Politiker mehr trauen wird, daran etwas zu ändern.

Gewonnen haben darüberhinaus einige hunderttausend arabische und türkische Jung-Machos, die ganz selbstverständlich und gewohnheitsmäßig und aus nichtigsten Anlässen ihren Mitmenschen, am liebsten natürlich den „Scheißdeutschen“, Prügel und Schlimmeres androhen. Wenn man ihnen Contra gibt, stellt man meist fest, dass man es mit Hunden zu tun hat, die bellen, aber nicht beißen. Nur: Weiß man’s?

Und welche Frau, welcher alte Mensch traut sich denn, ihnen Contra zu geben? (Ich als Hundertkilo-Mann habe da leicht reden.) Glaubwürdig, und für die Betroffenen einschüchternd, sind diese Drohungen durchaus, und zwar allein schon deshalb, weil alle Beteiligten wissen, dass jugendliche Gewalttäter nicht viel zu befürchten haben; der Staat wird ihnen schon noch die zweite, dritte und hundertzehnte Chance geben.

Nein, diese Hessenwahl war kein Sieg der politischen Kultur. Sie war ein Sieg der islamischen Gewaltkultur über die europäische Zivilisation.

Eine Katastrophe.

 

 

Genossen, der Schwank geht weiter!

Erinnert sich noch jemand an dieses Plakat?

An den Aufschrei, der durch das gesammelte Gutmenschentum der nördlichen Hemisphäre fuhr? Daran, dass die Vereinten Nationen ihren Antirassismusbeauftragten in Marsch setzten, um die Schweizer Mores zu lehren? [Zu meinem damaligen Beitrag] Man sollte meinen, dass diese Orgie der Political Correctness an Absurdität nicht zu übertreffen war.

Wie man sich täuschen kann. Wir Deutschen sind notorisch gründlich, und das heißt unter anderem: Es gibt keinen Irrsinn, den WIR nicht noch auf die Spitze zu treiben verstünden! Und sei es um den Preis der unfreiwilligen Satire.

In der dieswöchigen Ausgabe von „Hart, aber fair“ (Ich muss wohl eine falsche Vorstellung davon haben, was unter „fair“ zu verstehen ist.) wurde die hessische CDU endgültig moralisch vernichtet, und zwar mit diesem Plakat:

hessen.jpg

Nanu, dachte ich, als ich den strafenden Blick des Moderators sah, wo ist denn jetzt das Problem? Nun gut, die Partei „Die Linke“ umstandslos als „die Kommunisten“ zu titulieren entspricht vielleicht nicht dem neuesten Stand der Politischen Wissenschaft, aber eine Partei mit deren Vergangenheit wird sich das gefallen lassen müssen, erst recht im Wahlkampf.

Ich bin bekanntlich politisch etwas unbedarft, und so entging mir, was der Adlerblick des Gutmenschen sofort erfasste: nämlich, dass es nicht etwa unfair war, die Linken Kommunisten zu nennen, wohl aber fremdenfeindlich, Ypsilanti „Ypsilanti“ und Al-Wazir „Al-Wazir“ zu nennen. Durch die Nennung der ausländischen Namen werde nämlich unterschwellig an fremdenfeindliche Emotionen appelliert.

Man wundert sich ja schon nicht mehr, dass bestimmte Wahrheiten nicht ausgesprochen werden dürfen, wenn sie von der Political Correctness als „böse“ markiert worden sind. Dass man aber Menschen nicht einmal bei dem Namen nennen darf, der in ihrem Personalausweis steht, weil das sonst fremdenfeindlich ist, das kann doch nur Satire sein, oder?

Wie wäre denn eigentlich das folgende Plakat zu bewerten?

[Das ursprünglich hier verlinkte Bild zeigte Philipp Rösler]

Da muss in der niedersächsischen FDP wohl ein ganz besonders durchtriebener Intrigant am Werk sein, der den Wahlkampf des eigenen Spitzenkandidaten dadurch sabotiert, das er dessen Gesicht vorzeigt, noch dazu vor einem gelben (!) Hintergrund, um unterschwellig die Angst der Wähler vor der „gelben Gefahr“ auszubeuten! Man sollte die Vereinten Nationen alarmieren!

Oder darf man ausländische Namen bloß in einem kritischen Zusammenhang nicht nennen? Das wäre interessant: Man darf Menschen mit ausländischem Namen also entweder gar nicht kritisieren, oder nur, wenn man dabei ihre Namen verschweigt. Also entweder nicht kritisieren oder nicht sagen, wen man kritisiert.

(Für alle, die sich nie zu fragen trauten, was das Wort „kafkaesk“ bedeutet: Das ist kafkaesk!)

Anders gesagt: Jede Kritik an Ausländern, unabhängig von ihrem Inhalt, ist automatisch fremdenfeindlich! Wir hatten zwar schon immer vermutet, dass gewisse Leute so denken. Das sie aber die Chuzpe haben würden, ihr eigenes gestörtes Verhältnis zur Wahrheit, zur Meinungsfreiheit und zur Demokratie derart ungeschminkt zum gleichsam offiziellen Standpunkt eines öffentlich-rechtlichen Senders zu erheben, gehört zu der Sorte Überraschungen, auf die man gut hätte verzichten können.

Es ist, glaube ich, an der Zeit, wieder einmal ein paar Binsenweisheiten zum Besten zu geben:

Demokratie heißt Volkssouveränität!

Damit haben verschiedene Leute schon deshalb Schwierigkeiten, weil darin das Wort „Volk“ steckt, das ja, spätestens wenn es konkret wird, immer ein ganz bestimmtes Volk meint, im Zweifel das eigene. Dass in Deutschland das deutsche Volk souverän ist, ist zwar eine Selbstverständlichkeit, widerspricht aber der Political Correctness derart, dass ihre Verfechter ihr Möglichstes tun, diesem misslichen Zustand abzuhelfen.

Und erst „Souveränität“! Souverän ist derjenige, der sich für seine Entscheidungen nicht zu rechtfertigen braucht. Zum Beispiel der Wähler in seiner Kabine. Der darf nach jedem Kriterium entscheiden, das ihm passt. Ob er einen Politiker wählt – oder auch nicht wählt -, weil er sein Programm gut (oder schlecht) findet, oder weil er so gut aussieht, oder weil seine Ehefrau sich sozial engagiert, oder weil er (der Wähler) vor der Wahl eine Münze geworfen hat, spielt überhaupt keine Rolle – erlaubt ist alles.

Es gibt in Deutschland viele Menschen, die einen Kanzlerkandidaten der CSU schon deshalb ablehnen, weil sie auf keinen Fall von einem Bayern regiert werden wollen. (Man erinnere sich zum Beispiel, was Wolf Biermann, damals noch links, über den Kandidaten Strauß dichtete: „Der ist gemacht aus Barbarei und Blutwurst, aus Bier und Frömmelei!“ Über Bayern darf man offenbar in diesem Stil schreiben. Den grünen Spitzenkandidaten Al-Wazir darf man nicht einmal beim Namen nennen, geschweige denn mit araberfeindlichen Klischees in Verbindung bringen!)

Auch wenn es einem im Einzelfall nicht passen mag: Der Wähler darf einen Bayern wegen dessen Herkunft ablehnen. Ebenso wie er einen Muslim arabischer Herkunft ablehnen darf! Zu sagen „Ich will nicht von einem Muslim regiert werden“ ist nicht Diskriminierung, sondern: Souveränität!

Man könnte die Aufregung um das Plakat als schlechten Witz verbuchen, wenn es nicht so bezeichnend für das geistige Klima in unserem Land wäre, dass man solche Possen treiben kann, ohne Angst vor der Lächerlichkeit haben zu müssen. Bei der Wahl in Hessen geht es aber um mehr als um einen bühnenreifen Schwank:

Man muss Roland Koch nicht sympathisch finden; sogar die hartgesottenen Kollegen von der „Acht der Schwerter“ können ihn nicht ausstehen. Man muss seine Law-and-Order-Sprüche auch nicht für glaubwürdig halten; dazu hat er bei Polizei und Justiz zu oft den Rotstift angesetzt. Man muss aber sehen, dass die hessische CDU einen Versuchsballon startet: Kann man mit dem Versprechen, kriminelle Migranten auszuweisen, eine Wahl gewinnen, ja oder nein?

Lautet die Antwort „Nein“, dann verschwindet das Thema mindestens für die nächsten zehn Jahre von der Tagesordnung. Die Zeche dafür werden diejenigen Bürger zu zahlen haben, die es sich nicht leisten können, in Gegenden mit einem niedrigen Migrantenanteil zu ziehen – im Gegensatz zu all den liberalen Leitartiklern, Richtern und Politikern, die auf Kosten ihrer weniger begüterten Mitbürger ihre politisch korrekten Illusionen pflegen. Diejenigen also, die es beim besten Willen nicht als „Bereicherung unserer Kultur“ empfinden können, nahezu täglich von türkischen oder arabischen Halbstarken beleidigt, angepöbelt und bedroht zu werden – wenn sie Glück haben (Der Rentner in München hatte dieses Glück nicht.). Diejenigen Frauen, denen mit Vergewaltigung gedroht wird, wenn sie sich unverschleiert in gewissen Vierteln zeigen. Diejenigen Schüler, die sich angewöhnen mussten, ihre eigene Muttersprache mit türkischem Akzent zu sprechen, um nicht gemobbt zu werden. Diejenigen Polizisten, die in gewissen Vierteln keine Festnahme mehr durchführen können, ohne sich einer Horde von gewaltbereiten Landsleuten der Betroffenen gegenüberzusehen; wer das nicht glauben mag, lese die einschlägigen Artikel zum Beispiel im „Tagesspiegel“ nach, weiß Gott keinem Zentralorgan der Fremdenfeindlichkeit.

Morgen fällt in Hessen eine Vorentscheidung: darüber, ob deutsche Städte auch in zehn Jahren noch zur zivilisierten Welt zu rechnen sein werden.

Gelesen: Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht

Gunnar Heinsohn ist der Meistignorierte unter den bedeutenden Köpfen unseres Landes, und wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass er gesellschaftswissenschaftliche Fragen aus allen Disziplinen (Geschichte, Soziologie, Politische Wissenschaft, Volkswirtschaft) aus einer ganz ungewohnten Perspektive – der des Demographen – analysiert und dabei obendrein zu wichtigen Erkenntnissen gelangt.

Leuten wie mir, denen eine Idee gar nicht originell genug sein kann, ist er damit sympathisch, den Wissenschaftlern, in deren Fachgebieten er wildert, eher weniger.

Vor über zwanzig Jahren etwa veröffentlichte er seine These (Heinsohn/Steiger, Die Vernichtung der Weisen Frauen, München 1985), die europäische Bevölkerungsexplosion seit Ende des 15.Jahrhunderts sei die geplante und beabsichtigte Folge der zur gleichen Zeit massiv und europaweit einsetzenden Hexenverfolgung gewesen. Mit deren Hilfe habe man das Wissen um die traditionellen Methoden der Geburtenkontrolle ausrotten wollen, um Europa nach den Bevölkerungsverlusten speziell des 14. Jahrhunderts im Sinne des Frühmerkantilismus zu „repeuplieren“.

Der besondere Charme dieser These lag darin, dass sie gleich zweibis dahin ungelöste Fragen der europäischen Geschichte beantwortete: die nach den Ursachen der Bevölkerungsexplosion und die nach den Ursachen der Hexenverfolgung. Als ich das Buch damals las, dachte ich: „Was für eine interessante These; mal sehen, was die Historiker dazu sagen“.

Nun, die Historiker sagten – nichts. Heinsohns Theorie gilt bis heute als Außenseiterhypothese, die weder aufgegriffen noch überzeugend widerlegt, sondern ignoriert wird.

Einfachheit und Originalität sind die Stärken von Heinsohns Denken. Leider sind sie nicht die Stärken des deutschen Wissenschaftsbetriebes. Und so hat auch „Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen“ (Zürich 2003) nicht die gebotenen Aufmerksamkeit erfahren. Was ein Unglück ist, weil es darin um nicht weniger geht als um die weltpolitischen Gefahren mindestens der nächsten zwnzig Jahre und darum, wie man mit ihnen fertig wird.

Wieder vertritt er eine einfache These, nämlich dass Gesellschaften umso gewalttätiger werden, je größer der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung ist. Die Faustregel lautet, dass mit erheblichen Konflikten zu rechnen ist, sobald der Anteil der 15-24jährigen über 20 Prozent bzw. der 0-15jährigen über 30 Prozent liegt. Bei einem solchen „youth bulge“, wie er im Fachjargon heißt, wächst nämlich die Bevölkerung schneller als die Anzahl der Positionen, die mit Macht und Prestige verbunden sind. Ist aber die Anzahl junger Männer deutlich größer als die Anzahl der Väter, deren Positionen übernommen werden können, dann ist der Kampf um solche Positionen die natürliche Folge.

Dieser Kampf kann in verschiedenen Formen stattfinden, die einander keineswegs ausschließen, sondern oft gleichzeitig und in Verbindung miteinander auftreten: Auswanderung, Eroberungskrieg, Völkermord, politischer Extremismus (Terrorismus, Bürgerkrieg, Revolution), massenhafte Gewaltkriminalität.

Der Autor führt dafür zahlreiche historische Beispiele an. Am Eindrucksvollsten dabei die oben schon erwähnte europäische Bevölkerungsexplosion, in deren Folge Europa die Welt eroberte und sich zugleich unzählige Kriege, Bürgerkriege, Revolutionen und Massenmorde auf dem eigenen Kontinent leistete. Er untermauert seine These, indem er aufzeigt, dass von den aktuell (2003) siebenundsechzig Nationen, die einen „youth bulge“ aufweisen, nicht weniger als sechzig (!) von Massengewalt in wenigstens einer der genannten Formen betroffen sind. Heinsohn geht davon aus, dass dieses Problem bis etwa 2025 die Weltpolitik prägen und auch den Westen mit erheblichen Gefahren konfrontieren wird. Der Höhepunkt des Jugendanteils weltweit ist, so Heinsohn, zur Zeit erreicht. Aufgrund sinkender Geburtenraten ist ab etwa 2025 mit einer zunehmenden Entspannung zu rechnen, und spätestens ab 2050 dürften „youth-bulge“-induzierte Konflikte der Vergangenheit angehören.

Heinsohn wendet sich explizit gegen klassische Überbevölkerungstheorien, die Hunger und Not als Hauptursache von Konflikten benennen, und betont, dass in keinem anderen Punkt Friedens- und Kriegsforscher weiter auseinanderliegen: Hungernde Menschen geben schlechte Krieger ab. Um Brot wird gebettelt, gekämpft wird um Macht und Reichtum!

Die brutale Konsequenz aus dieser Diagnose – die allein schon zur Ablehnung seiner Theorie führen dürfte -, lautet, dass der Kampf gegen Hunger und Armut, wenn er denn erfolgrich sein sollte, in Ländern mit einem Jugendüberschuss nicht zu einem besseren Leben führen wird, sondern dazu, dass Hunger gegen Instabilität getauscht wird. Drastisch ausgedrückt: Dass die Menschen nicht mehr verhungern, sondern gefoltert, vergewaltigt, vertrieben und ermordet werden. (Über den jüngsten Gewaltausbruch in Kenia jedenfalls wäre man im Westen weniger überrascht, wenn Heinsohns Thesen allgemein bekannt gewesen wären und man deshalb der Tatsache Beachtung geschenkt hätte, dass Kenia einen Anteil allein von Kindern (0-15 J.) an der Gesamtbevölkerung von 42% aufweist.)

Dabei können wir im Westen, zynisch aber realistisch gesprochen, noch von Glück reden, wenn die überschüssigen jungen Männer sich gegenseitig umbringen, statt den Westen ins Visier zu nehmen. Heinsohn weist zwar zu Recht darauf hin, dass deren Gewalttätigkeit, sofern sie sich ein spezifisch politisches Ventil sucht, von jeder beliebigen Ideologie oder Religion befeuert werden kann. Er unterliegt aber einer fatalen Fehleinschätzung, wenn er glaubt, deswegen die konkreten ideologischen Inhalte ausblenden, speziell den Faktor „Islam“ ignorieren zu können. Im Hinblick auf die Konsequenzen für uns ist es nämlich ein erheblicher Unterschied, ob Hutu über Tutsi herfallen, oder ob frustrierte junge Ägypter glauben, gegen die „Ungläubigen“ zu Felde ziehen und in westlichen Metropolen Bomben legen zu müssen. Hier gerät Heinsohns rein demographischer Ansatz, der stets Gefahr läuft, Sozialwissenschaft auf Bevölkerungsarithmetik zu reduzieren, an die Grenzen seiner Erklärungs- und Prognosekraft.

Westliche Staaten, die in Ländern mit einem Jugendüberschuss militärisch intervenieren, tun gut daran, sich über ihre Chancen keine Illusionen zu machen:

„Youth-bulge“-befeuerte Völker sind ungemein konfliktbereit und -fähig, weil sie über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Kriegern verfügen, die als zweite, dritte und vierte Söhne ihrer Familien entbehrlich sind, während stagnierende oder schrumpfende Nationen (also nahezu alle westlichen) mit dem Leben ihrer Soldaten so schonend wie möglich umgehen müssen. Im direkten Konflikt drohen kriegführende westliche Staaten die Unterstützung der eigenen Bevölkerung zu verlieren, weil sie vor dem Dilemma stehen, entweder zu viele eigene Soldaten opfern oder, um dem zu entgehen, zu viele Zivilisten der Gegenseite töten zu müssen.

Die Israelis zum Beispiel haben 2006 den Libanonkrieg verloren, weil sie nicht bereit waren, gegen die in Ortschaften gut verschanzten, fanatisch entschlossenen Kämpfer der Hisbollah die einzige Strategie anzuwenden, die in solchen Fällen dem Angreifer einen Erfolg ohne untragbare Eigenverluste verspricht, nämlich diese Ortschaften mit überwältigender Feuerkraft dem Erdboden gleichzumachen und dabei den Tod von möglicherweise einigen Zehntausend Zivilisten in Kauf zu nehmen.

Aus ähnlichen Gründen kann der Westen die Taliban nicht besiegen: Auch die Paschtunenstämme beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze haben einen der größten Youth-bulges der Welt. Zieht man die jungen Männer ab, die bei Polizei und Armee beider Staaten unterkommen oder sich sonst eine wirtschaftliche Existenz aufbauen können, so bleibt immer noch ein Reservoir von rund dreihunderttausend Mann jährlich(!!!), die den Taliban als potenzielle Rekruten zur Verfügung stehen, und die gegen die bloß 38.000 Mann starken westlichen Truppen ins Feld gestellt werden können. Der Westen hat keine Chance, diesen Krieg zu gewinnen, weil er nicht bereit ist, seine überlegene Technologie in die Waagschale zu werfen; denn das hieße: die Taliban aus der Luft in ihrem pakistanischen Hinterland anzugreifen. Sie und die Zivilisten, zwischen denen sie sich bewegen. Welcher westliche Staatsmann wollte wohl dafür die Verantwortung übernehmen – und würde es politisch überleben, wenn er es täte?

Eine realistische westliche Strategie besteht nach Heinsohn unter diesen Umständen darin, sich erstens auf Konflikte mit „Youth-bulge“-Nationen dann – aber nur dann! dann aber unbedingt! – einzulassen, wenn es zwingend (!) erforderlich ist; zweitens darauf zu setzen, gegebenenfalls auch dafür zu sorgen, dass die überzähligen Krieger dieser Länder sich in internen Konflikten gegenseitig töten, statt die westliche Welt zu bedrohen. Das klassische Instrument sind dabei diktatorische Regime, in deren Sicherheitskräften ein kleinerer Teil des Jugendüberschusses unterkommt, während der große Rest bei der mehr oder minder revolutionären Opposition landet, die von ersterer Fraktion unterdrückt wird, notfalls blutig.

Solche Konflikte durch Errichtung demokratischer Strukturen zu entschärfen, ist eine Möglichkeit, die Heinsohn nicht erörtert. Er verweist darauf, dass etwa in Lateinamerika die meisten Dktaturen just zu der Zeit errichtet wurden, als der dortige Youth-bulge seinen Höhepunkt erreichte, und vermutet wahrscheinlich, dass eine Demokratie unter den Bedingungen eines Jugendüberschusses Kräfte entfesselt, die nur siegreich sein oder unterdrückt werden können, in beiden Fällen aber in eine Diktatur münden. So richtig es ist, dass Demokratie ein Regelwerk für die Austragung von Konflikten bereitstellt (und daher zu deren Entschärfung beitragen kann), so zahlreich sind doch die Beispiele von Demokratien, die bloß die Bühne für die Machtkämpfe waren, nach deren Entscheidung die Bühne selbst abgebaut wurde. Demokratie in Ländern wie Saudi-Arabien oder Ägypten würde nach dem dann unvermeidlichen Wahlsieg von Islamisten wahrscheinlich flugs wieder abgeschafft. Für ein solches Demokratie-Experiment die Sicherheit der bereits bestehenden (westlichen) Demokratien aufs Spiel zu setzen, schiene mir abenteuerlich; da ist mir das Hemd doch näher als der Rock. Ich respektiere jeden, der es aus demokratischem Idealismus trotzdem befürwortet, gebe aber zu bedenken, dass es vom Idealismus zu Illusionismus oft nur ein Schritt ist. (Zumal man in diesem Zusammenhang bedenken muss, dass gerade islamistische Politik darauf abzielt, den Jugendüberschuss durch Versklavung von Frauen auf Dauer zu stellen. In diesem Fall könnte man sich nicht einmal mit Heinsohns optimistischer Prognose für die Zeit nach 2025 trösten; die stimmt dann nämlich nicht mehr.)

Am Beispiel Israels, also desjenigen westlichen Staates, der überhaupt keine Chance hat, dem Konflikt zu entgehen, lassen sich die Probleme und Dilemmata besonders deutlich aufzeigen, in die westliche Politik in solchen Konflikten zu geraten droht. (Überhaupt scheint der Nahostkonflikt wie kein zweiter dazu zu taugen, die Brauchbarkeit von Heinsohns Ansatz zu illustrieren.)

Israel steht bekanntlich einem Feind gegenüber, dessen Jugendüberschuss gewaltig ist (im Gazastreifen ist er sogar der höchste weltweit), und das von Heinsohn zitierte Wort Arafats, wonach die Gebärmütter der Frauen den Krieg entscheiden würden, ist nur eines von unzähligen Zeugnissen dafür, dass die palästinensischen Führer sich vollkommen darüber im Klaren sind, dass die Kampfbereitschaft eines Volkes von der Anzahl an überschüssigen Söhnen abhängt – und vermutlich wissen sie umgekehrt auch, dass solche überschüssigen Söhne, wenn sie einmal da sind, zu kaum etwas anderem taugen als dazu, sich zu prügeln. Die Prognose, zu der man gelangt, wenn man Heinsohns Theorie anwendet, ist umso überzeugender, als sie sich in nichts von der unterscheidet, zu der man auch aufgrund einer im engeren Sinne politischen Analyse gelangen würde (sofern diese nicht auf Illusionen aufbaut), nämlich, dass es einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern in absehbarer Zeit nicht geben wird – wohl kann es ein Abkommen geben, das wird aber dann nicht eingehalten werden -, und zwar weil der Youth-bulge fortbesteht, die bisher sein Zustandekommen letztlich verhindert hat. Es gibt grundsätzlich vier mögliche Szenarien, wie dieser Konflikt enden kann:

1. Er schleppt sich mit der gegenwärtigen geringen Intensität noch Jahrzehnte hin, bis die palästinensischen Geburtenraten – wodurch auch immer – so weit zurückgehen, dass der Jugendüberschuss verschwindet.

2. Wie 1, nur verschwindet der Jugendüberschuss durch innerpalästinensischen Bürgerkrieg, wirtschaftlichen Zusammenbruch, Hungersnot und Flucht großer Bevölkerungsteile ins Ausland.

3. Israel massakriert bzw. vertreibt eine sechs- oder siebenstellige Anzahl palästinensischer Zivilisten. (Diese Lösung entspräche in etwa Heinsohns Analyse des Konflikts zwischen Serben und Kosovaren; ihr zufolge hätten die Serben aufgrund der Befürchtung, den Kosovaren in absehbarer Zeit aufgrund von deren Jugendüberschuss nicht mehr gewachsen zu sein, gleichsam präventiv den Völkermord versucht. Es spricht offensichtlich für die Israelis, dass sie eine solche Lösung nicht einmal in Erwägung ziehen, obwohl sie stärker bedroht sind, als die Serben es jemals waren.)

4. Der Staat Israel verliert den Konflikt und hört auf zu existieren.

In meinem Beitrag „Christlicher Fundamentalismus“ hatte ich noch argumentiert, größter Hemmschuh für die militärische Konfliktfähigkeit des Westens sei die Tatsache, dass sein Gesellschaftsmodell religiös zu wenig aufgeladen sei, als dass allzu viele Menschen bereit wären, ihr Leben dafür zu riskieren. Ich halte das weiterhin für richtig, aber zwei von Heinsohn beleuchtete Aspekte dürften mindestens ebenso wichtig sein:

Erstens, dass wir schlicht zu wenig junge Männer haben, als dass wir uns verlustreiche Kriege leisten könnten.

Zweitens, dass wir diesen Mangel nicht einfach durch Technologie ausgleichen können, weil dabei zu viele Zivilisten der Gegenseite getötet würden. Anders ausgedrückt: Was dem Westen das Genick brechen könnte, ist womöglich weniger unsere mangelnde Bereitschaft zu sterben als unsere mangelnde Bereitschaft zu töten!

Militärgeschichtlich ist dies ein Novum: Noch im Zweiten Weltkrieg wäre es allen Kriegführenden, einschließlich der Westmächte, absurd erschienen, eine Niederlage bloß deshalb in Kauf zu nehmen, weil man für einen Sieg zu viele feindliche Zivilisten hätte töten müssen. Heute dagegen gehört es zum guten Ton, beispielsweise den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki für ein Kriegsverbrechen zu halten.

Macht sich eigentlich jemand klar, dass der Westen in seiner heutigen moralischen Verfassung nicht mehr in der Lage wäre, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen? Dass ein US-Präsident, der (wie Truman im August 1945) vor der Wahl stünde, mehrere hunderttausend eigene Soldaten zu opfern oder per Atombombe mehrere hunderttausend feindliche Zivilisten zu töten, heute weder das eine noch das andere tun, sondern nur noch den Krieg abbrechen könnte? (Was 1945 bedeutet hätte, die riesigen japanisch besetzten Gebiete Asiens unter der Peitsche Japans zu belassen.)

Dies ist kein Plädoyer für brutalstmögliche Kriegführung. Selbstverständlich kann im Einzelfall die Option gegeben sein, den Krieg überhaupt zu vermeiden – bei den meisten politischen Konflikten ist dies gottlob so, weil sie nicht existenzieller Natur sind -; oder ihn, wenn man ihn schon nicht vermeiden kann, als Stellvetrteterkrieg zu führen, sprich eine dritte Partei gegen den Feind in Stellung zu bringen; oder, wenn auch das nicht geht, den dann unvermeidlichen Konflikt bei niedriger Hitze vor sich hin köcheln zu lassen (wie es die Israelis in ihrem Konflikt mit den Palästinensern tun und wie wie es wohl auch der westlichen Afghanistanstrategie entsprechen wird).

Wofür ich aber plädiere, ist Illusionslosigkeit: Es gibt Fälle, in denen eine Politik der Konfliktvermeidung, – ablenkung oder -begrenzung nicht möglich ist, wo aber zugleich die Akzeptanz einer Niederlage der Selbstaufgabe, ja dem Selbstmord gleichkäme. Was wäre denn, um nur dieses Beispiel zu nennen, wenn tatsächlich Terroristen in den Besitz von Atomwaffen gelangen würden? Hätte irgendein westlicher Staatsmann in einer solchen Situation das Recht zu spekulieren, es werde schon alles nicht so heiß gegessen wie gekocht? Würden wir akzeptieren, dass er in einer solchen Situation unser Leben seinen moralischen Skrupeln opfern würde? Zumal gegenüber einem Gegner, der solche Skrupel gar nicht kennt?

Eigentlich ist das eine Binsenweisheit, dass in existenziellen Konflikten im Zweifel Sieg vor Humanität geht. Eine Binsenweisheit, die aber in unserer Gesellschaft nicht mehr akzeptiert wird. Für deren Dekadenz ist vielmehr kennzeichnend, dass zwar ein kleiner Blogger wie ich dergleichen noch schreiben kann, ein Politiker aber, der es ausspräche, noch am selben Tag seinen Hut nehmen müsste.

Heinsohn ist ein Aufklärer; ein Mann, der Illusionen zerstört und sich wie Anderen jegliches Wunschdenken verbietet. Damit hat er wenig Aussicht auf Gehör in einer Gesellschaft, die zwar ironischerweise jede Form von individueller Sucht bekämpft (Nikotinsucht, Alkoholsucht, Tabletten-, Rauschgift-, Mager-, Fress-, Sex-, Spielsucht) aber kollektiv von ihrem eigenen Wunschdenken abhängig ist wie nur irgendein Heroinsüchtiger von seiner Spritze, und die dadurch an der kollektiven Selbstzerstörung kaum weniger konsequent arbeitet als der Fixer an der individuellen.

Wenn ich sage, Heinsohn sei ein Aufklärer, dann ist damit natürlich nicht gesagt, dass seine Thesen die Wahrheit schlechthin seien. Er entwickelt eine These von weitreichender Erklärungskraft auf erfrischenderweise weniger als 160 Textseiten und verschafft seinem Leser eine Fülle von Aha-Erlebnissen gerade dadurch, dass er sich konsequent auf eine einzige Erklärungsvariable – die Altersstruktur von Bevölkerungen – konzentriert.

Zu warnen ist aber vor der Verführungskraft solch monokausaler Theorien: Wer durch die Brille des Demographen blickt, erkennt zweifellos vieles, was ihm sonst entgangen wäre; er sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, alles andere sei deswegen irrelevant. Wo alles Demographie ist – und das ist bei Heinsohn der Fall, ungefähr so, wie bei Marx alles Klassenkampf war – schrumpft Soziologie schnell zur bloßen Rechenaufgabe. Welche geistigen Stolperdrähte hier gespannt sind, merkt man spätestens dort, wo der Autor empfiehlt, der Westen solle einen Teil des Jugendüberschusses afrikanischer und arabischer (!) Länder aufnehmen, also die Einwanderung von dort noch forcieren. Das Rezept für den kulturellen Selbstmord.

Wenn man seine Theorie aber nicht monokausal als „Erlärung für Alles“ und auch nicht deterministisch-fatalistisch missversteht, als seien Gewalt und Chaos immer, überall und zwangsläufig die Folge eines Jugendüberschusses, dann kommt man an seiner Theorie nicht vorbei. Heinsohn benennt ein Risikopotenzial, das von den gängigen politikwissenschaftlichen und soziologischen Theorien vernachlässigt wird, das man aber unbedingt berücksichtigen muss, wenn man aktuelle und historische Konflikte verstehen und erklären will, und erst recht, wenn es künftige Krisen zu meistern gilt.

Christlicher Fundamentalismus

Die Weihnachts- und Neujahrspause ist vorüber, sogar der Schreibtisch ist wieder geordnet, das Arbeitsjahr hat begonnen. Zeit, mich wieder meinem Blog zu widmen. Ach ja: Frohes Neues Jahr allerseits!

Wieder ist es einer meiner Kommentatoren, diesmal Flash, der mich zu einigen grundsätzlichen Überlegungen herausfordert, und zwar durch seine Kommentare zu meinen Beiträgen über die christlichen Wurzeln der Demokratie und über den Untergang des Römischen Reiches.

Flash ist ein fundamentalistischer Christ, und, soweit ich das beurteilen kann, einer der sympathischen, in jedem Fall aber der geistreichen Sorte. Er vertritt eine Reihe von Thesen, die ich unmöglich unkommentiert stehen lassen kann; da aber die Replik jeden Kommentarstrang sprengen würde, mache ich gleich einen Beitrag daraus.

Es gibt einfach keine Höherentwicklung von Lebensstandard und Zivilisation ohne damit einhergehende Degenerationserscheinungen, die am Ende zu heftigen Umwälzungen führen. Wir erleben m.E. zur Zeit wieder genau das: ein Anschwellen des Wohlstandes mit einhergehendem Verlust von ethischen Prinzipien.

(…)

Ein kulturell-religiöses Vakuum, das der Islam mit wachsendem Erfolg ausfüllt, wo er mit Verve hineindrängt. Es wäre schön, wenn es wenigstens christlichen Fundamentalismus gäbe, der diesem Prozeß Widerstand entgegensetzen würde – den gibt es aber nicht. Mir wäre es echt lieber, wenn im Biologieunterricht die Schöpfungsgeschichte behandelt würde und dafür der Islam chancenlos ist…“

Und an anderer Stelle:

Hier liegt eine der Ursachen für den Niedergang des Christentums in Europa: Selbstdemontage der jahrhundertelang unveränderten Schriftgrundlage durch bibelkritische Theologie.

Insofern ist das eine extrem fundamentalistische Position, die aber nicht “schädlich” oder aggresiv ist, aus dem einfachen Grund, weil eben das zugrundeliegende schriftliche Fundament nicht schädlich und aggressiv ist! Das sollte jeder Fundamentalismus-Kritiker dreimal lesen und auch begreifen. Biblischer Fundamentalismus ist ja eben gerade *pazifistisch, *geschlechterneutral, *gewaltablehnend, *legalistisch, *wissenschaftsfreundlich, *tolerant, *demokratieermöglichend, *bildungs- und leistungsfördernd etc. pp.“

Einige Zeilen zuvor:

Es wäre sicherlich lohnend, einmal von dir erklärt zu bekommen, worin das Schädliche und sogar Denkfeindliche der Schöpfungsgeschichte für die moderne Gesellschaft besteht, lieber Manfred. Das dürfte ein lohnendes, weil brandaktuelles Thema sein.“

Das ist es in der Tat, und ich bin der Meinung, dass eine Gesellschaft, die die biblische Schöpfungsgeschichte als gleichrangige und gleichartige Alternative zur Evolutionstheorie behandelt, über kurz oder lang aufhören wird, eine demokratische Gesellschaft zu sein.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich liebe das Buch Genesis. Nur betrachte ich es nicht als naturwissenschaftliches Werk, sondern als Allegorie, die das Verhältnis Gottes zur Welt und zum Menschen in literarischer Verfremdung und Verdichtung beschreibt. Die Wahrheit, die in ihr liegt, hat mit empirischer Wirklichkeit nichts zu tun. Es handelt sich um eine Glaubenswahrheit.

Solche Glaubenswahrheiten, genauer: religiöse Aussagen, unterscheiden sich fundamental von empirischen Aussagen, d.h. solchen über die äußere Wirklichkeit. Letztere können unter Berufung auf Tatsachen in Verbindung mit der formalen Logik angefochten oder bestätigt werden – das Prinzip wissenschaftlicher und überhaupt rationaler Argumentation. Entscheidend ist, dass über die Wahrheit oder Unwahrheit solcher Aussagen nach objektiven, sprich von der Willkür des Einzelnen unabhängigen Kriterien entschieden werden kann.

Es gibt allerdings Dimensionen der menschlichen Existenz – Seele, Ewigkeit, Schöpfung -, über die sich nichts aussagen lässt, was mit empirischen Argumenten gestützt werden könnte, zu denen man sich aber ungeachtet dessen verhalten muss, und denen man sich daher gar nicht anders als durch den Glauben nähern kann – worin auch immer dieser Glaube besteht: Die Grundaussage des Atheismus, Gott existiere nicht, ist ihrem Wesen nach nicht weniger religiös als die, er sei der Schöpfer des Himmels und der Erde. Beweisen oder widerlegen lässt sich weder das eine noch das andere.

Wahrheiten dieser Art haben notwendig einen anarchistischen Zug: Sie sind nicht von objektiven Gegebenheiten abhängig, und für jeden Gläubigen gilt: Was Wahrheit ist, bestimme ich!

Daran ändert sich auch prinzipiell nichts, wenn dieser Glaube von Anderen, und wären es Millionen, geteilt wird. Was sich aber dadurch ändert, ist, dass der Glaube in Gestalt der Religion sozial institutionalisiert wird, und dass das Recht, „Wahrheit“ zu dekretieren, auf ein soziales System übergeht. Dagegen ist so lange nichts einzuwenden, wie das System bereit ist, die sprichwörtliche Kirche im Dorf zu lassen, seinen Wahrheitsanspruch also auf den Bereich zu beschränken, wo Wahrheiten naturgemäß Glaubenswahrheiten sein müssen.

Welche Folgen es aber haben muss, wenn empirische Aussagen auf diesem Wege getroffen, also par ordre du Mufti dekretiert werden, und eben nicht im Wege tatsachenbezogenen rationalen Argumentierens, und welche Implikationen es hat, wenn die Gesellschaft das akzeptiert, wird klar, wenn man nach der Bedeutung des rationalen Diskursmodus für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft fragt. Das, was ich den „rationalen Diskursmodus“ nenne, ist ein einfaches System von Spielregeln, mit deren Hilfe Konsens darüber erreicht wird, ob ein System von Aussagen wahr sein kann:

1. Es muss mit bekannten Tatsachen übereinstimmen.

2. Es muss in sich logisch sein.

3. Es muss prinzipiell durch Tatsachen widerlegbar sein.

Man kommt auf diesem Wege nicht etwa zu der Wahrheit schlechthin; mit den bekannten Fakten können durchaus mehrere konkurrierende Aussagesysteme kompatibel sein, die jeweils in sich schlüssig und prinzipiell falsifizierbar sind. Es kann auch sein, dass kein einziges der „auf dem Markt“ befindlichen Aussagesysteme wahr ist (weil noch keiner auf die Wahrheit gekommen ist). Und es ist theoretisch sogar möglich, dass prinzipiell nichtfalsifizierbare Aussagen, die man auf rein spekulativem Wege gewonnen hat (Etwa: Der liebe Gott hat einen langen weißen Bart), trotzdem wahr sind. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber möglich ist es. In einem solchen Fall könnten sie, ungeachtet ihrer inhaltlichen Richtigkeit, wegen ihres Verstoßes gegen Kriterium 3 niemals als potenzielle Wahrheiten sozial anerkannt werden.

Wozu also taugt der rationale Diskursmodus, wenn nicht dazu, zu garantiert wahren Aussagen zu gelangen? Gewiss zur Eliminierung von garantierten Irrtümern – aber dazu würden schon die Kriterien 1 und 2 genügen. Wozu also Kriterium 3? Und zwar nicht im wissenschaftlichen, sondern im allgemeingesellschaftlichen, speziall politischen Kontext, d.h. dort, wo es darum geht, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen, die die Freiheit des Einzelnen beschränken? Es dient dazu, zu verhindern, dass solche Entscheidungen auf der Basis von Wahrheitsansprüchen getroffen werden, die einer Überprüfung nicht zugänglich sind, sondern von partikularen Gruppen aus eigener Machtvollkommenheit erhoben werden!

Aussagesysteme, die dem Kriterium 3 nicht entsprechen, sind ihrer Struktur nach, d.h. unabhängig von ihrem Inhalt, Glaubenssysteme; ihre Nichtüberprüfbarkeit ist gleichbedeutend mit Nichtkritisierbarkeit, mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit, und ist damit die ideologische Grundlage totalitärer Herrschaft.

Beispiele gefällig?

Der Islamismus beruht auf der Annahme, der Koran sei unmittelbar Gottes Wort; weswegen es geboten sei, jeglichen Widerstand gegen seine sozialen und politischen Forderungen mit Gewalt zu brechen.

Der Marxismus beruht auf der Annahme, das Proletariat habe die historische Mission, den Kommunismus zu errichten, und habe deshalb alle anderen Klassen zu vernichten.

Der Nationalsozialismus beruht auf einer antisemitischen Verschwörungstheorie. (Eine Verschwörungstheorie ist niemals falsifizierbar, weil sie alle ihr widersprechenden Tatsachen als Blendwerk eben der behaupteten Verschwörung abtut, also zirkulär argumentiert.)

(Und wenn man die Political Correctness als totalitäre Ideologie bezeichnet, so liegt dies im Kern daran, dass sie Tatsachenbehauptungen nicht nach dem Kriterium von „wahr“ und „unwahr“, sondern nach dem von „gut“ und „böse“ beurteilt, sich also der tatsachengestützten Kritik durch apriorische willkürliche Setzung entzieht.)

Solche Ideologien kann man nicht dadurch bekämpfen, dass man sie mit ihnen widersprechenden Tatsachen konfrontiert; gegen Tatsachen haben sie sich ja gerade immunisiert. Ich kann die Nichtexistenz der  Verschwörung der Weisen von Zion genausowenig beweisen wie die Nichtinspiration des Korans durch Gott oder die Unrichtigkeit marxistischer Axiome.

Was ich aber beweisen kann, ist die Selbstimmunisierung solcher Ideologien gegen Tatsachen durch systematisch herbeigeführte prinzipielle Nichtfalsifizierbarkeit, also durch Verletzung der Regeln des rationalen Diskurses. Diese an sich schärfste Waffe antitotalitärer Ideologiekritik muss stumpf werden, wenn diese Regeln nicht mehr als allgemein geläufig vorausgesetzt werden können. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sie jedermann explizit bekannt sind: Die Regeln der Grammatik sind es ja auch nicht, trotzdem wenden wir sie richtig an. Diese Fähigkeit ist die Voraussetzung dafür, Glaubenssysteme als solche zu erkennen und von rational begründeten empirischen Aussagesystemen zu unterscheiden. Sie ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, totalitäre von nichttotalitären Ideologien zu unterscheiden, und eine Gesellschaft, die diese Fähigkeit verliert, hat beste Aussichten, irgendeinem Totalitarismus zum Opfer zu fallen.

Womit die Frage beantwortet sein dürfte, warum ich überhaupt nichts davon hielte, wenn der demokratische Staat selbst, noch dazu in seinen Bildungseinrichtungen (!) sich über diesen Unterschied hinwegsetzte und ihn verwischte, indem er den „Kreationismus“ in seine Lehrpläne aufnähme.

Zwei Punkte muss ich allerdings klarstellen:

Erstens: Ich habe nur von empirischen, nicht aber von normativen Aussagen gesagt, dass sie nicht religiös begründet sein dürfen; für moralische Wertentscheidungen gilt dies selbstverständlich nicht; die können als höchst individuelle Entscheidungen sehr wohl religiös begründet sein – wahrscheinlich müssen sie es sogar. Wertvorstellungen, die z.B. direkt aus der Bibel abgeleitet sind, können zwar im Einzelfall mit demokratischen Normen unvereinbar sein (Wer etwa die Todesstrafe für Homosexualität fordert, kollidiert natürlich mit dem Grundgesetz.), aber eben nur aufgrund ihres konkreten Inhalts, nicht etwa schon deshalb, weil sie religiös begründet sind.

Zweitens: Wenn ich sage, dass jede totalitäre Ideologie notwendig ein Glaubenssystem ist, so lässt das bereits aus Gründen der Formallogik nicht den Umkehrschluss zu, jedes Glaubenssystem sei totalitär.

Flash (s.o.) argumentiert so: Da sich aus der Bibel keine politischen Herrschaftsansprüche ableiten ließen, vielmehr Friedfertigkeit, Humanität und Toleranz gepredigt würden, sei gegen ein fundamentalistisches Bibelverständnis nichts einzuwenden, im Gegenteil. Motto: Das schlechthin Gute kann man gar nicht fundamentalistisch genug vertreten!

Tja, wenn es denn so einfach wäre. In mindestens zwei Punkten führt ein wörtliches Schriftverständnis bzw. der Glaube an die Verbalinspiration der Bibel und der Verzicht auf die historisch-kritische Lesart zu äußerst problematischen Konsequenzen:

Da ist zum einen die antijüdische Tendenz des Neuen Testaments. Historisch erklärbar ist sie aus der Notwendigkeit der Profilierung des frühen Christentums und seiner Abgrenzung gegen die jüdische Mutterreligion. Fasse ich die Bibel aber einfach ohne Einschränkung als Gottes Wort auf, so habe ich es mit einer angeblich göttlichen Legitimation des Antisemitismus zu tun. Der Satz „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ ist dann kaum anders zu verstehen denn als Aufruf zum Pogrom  – und genau so wurde er ja auch oft genug verstanden.

Zum anderen enthält das Neue Testament nicht nur die Bergpredigt, sondern auch die Johannesapokalypse (das neutestamentliche Gegenstück zum Buch Daniel), die Vision des Endkampfs zwischen Gut und Böse, nach der das Reich Gottes durch Vernichtung des Bösen, das bis dahin die Welt beherrscht, errichtet wird. Nicht zufällig konnte gerade dieser Text nur gegen härteste innerkirchliche Opposition durchgesetzt werden, wurde er von der Ostkirche jahrhundertelang abgelehnt, und meinte noch Martin Luther, er hätte niemals kanonisiert werden dürfen. Dieses von Anfang an weitverbreitete Unbehagen hat seinen Grund darin, dass die Apokalypse direkt an dunkle Zerstörungs- und Vernichtungstriebe appelliert, das fünfte Gebot zur Disposition stellt und dazu einlädt, Feinde nicht zu lieben, sondern mit dem „Antichristen“ zu identifizieren.

Kein Zufall ist auch, dass gerade totalitäre Ideologien eine apokalyptische Struktur aufweisen: Die Welt wird vom Bösen (den Juden/dem Kapitalismus/den Ungläubigen) beherrscht, dessen Vernichtung, gern auch im Wege des Massenmords, zur Herrschaft des Guten (der Arier/des Kommunismus/des Islam) führt. Ich will damit nicht behaupten, dass das Christentum für den Totalitarismus verantwortlich sei, wohl aber, dass in vielen Menschen eine psychische Disposition schlummert, ihr Leiden und ihre Verzweiflung an der Welt auf einen Feind zu projizieren, dessen Vernichtung die Erlösung herbeiführen soll – und da der Feind weltbeherrschend gedacht wird, vernichtet man diese Welt, das eigentliche Objekt der Furcht und des Hasses, möglichst gleich mit.

Dieser Zusammenhang zwischen Apokalyptik und Totalitarismus ist der Grund dafür, warum ich stets sehr hellhörig werde, wenn ich auf Verschwörungstheorien nach Art der Eurabia-These stoße (die ja nicht weniger behauptet als die Herrschaft des Bösen, also des Islam und der ihm angeblich konspirativ in die Hände arbeitenden europäischen Eliten), und warum ich diese Theorien mit allen Mitteln rationalen Argumentierens bekämpfe – freilich ohne nennenswerten Erfolg: Es handelt sich um ein Glaubenssystem, und wer ihm anhängt, ist, so fürchte ich, nicht nur für die Demokratie verloren, sondern für die säkulare Vernunft überhaupt.

Wenn ich nun sehe, dass sich gerade in fundamentalistischen (evangelikalen, pfingstlerischen, freikirchlichen) Kreisen die johanneische Tradition, und hier wiederum ganz besonders die Apokalypse, größter Beliebtheit erfreut, dann kann ich kaum anders, als dem christlichen Fundamentalismus mit tiefstem Misstrauen gegenüberzustehen, und dies ganz unabhängig davon, dass manche seiner Vertreter mir menschlich sympathisch sind.

Mit alldem ist allerdings nicht die Frage vom Tisch, ob eine glaubenslose Gesellschaft auf die Dauer überlebensfähig ist, und wenn Flash behauptet, dass mit der Höherentwicklung einer Gesellschaft zwangsläufig Degenerationserscheinungen verbunden seien – er verweist unter anderem auf den Zerfall der Familie -, die letztlich zum Niedergang führen müssten, dann hat er starke Argumente auf seiner Seite. Ziemlich starke sogar.

Höherentwicklung, das sagt die historische Erfahrung wie die soziologische Überlegung, geht einher mit Aufklärung und Rationalität – was für mich Grund genug ist, für Aufklärung und Rationalität einzutreten. Sie bedeuten freilich zugleich, dass Alles, auch ethische Normen, unter Begründungszwang gerät, weil sie dem primären Fundament der Ethik, der Religion, seine unhinterfragte Selbstverständlichkeit und soziale Verbindlichkeit nehmen, und Religion zu einer Frage der mehr oder minder willkürlichen individuellen Entscheidung machen – ich selbst habe ja oben gezeigt, dass jede andere Auffassung von Religion mit den Grundlagen einer offenen Gesellschaft unvereinbar ist.

Gesellschaft funktioniert, wenn die Goldene Regel beachtet wird: „Wie Ihr wollt, dass die Leute Euch tun sollen, also tut ihnen auch.“(Lk 6,31). Eine rationale Reformulierung dieser Forderung hat Kant mit seinem kategorischen Imperativ geliefert. Dass diese Regel gelten und wenigstens im Großen und Ganzen befolgt werden muss, weil die Gesellschaft sonst nicht existieren kann, lässt sich rational begründen – nicht aber, dass der Einzelne sie befolgen soll. Der kategorische Imperativ impliziert, dass man unter Umständen erhebliche individuelle Opfer in Kauf nehmen soll, um einen winzigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten; diese Opfer reichen von der Steuerehrlichkeit bis zum Heldentod fürs Vaterland. Aus der Sicht des Einzelnen ein schlechtes Geschäft: Rationaler ist es für ihn, das von Anderen getragene Gemeinwohl in Anspruch zu nehmen, selbst aber nichts dazu beizutragen. Die Mentalität des Schwarzfahrers.

Zur Aufrechterhaltung allgemeiner sozialer Tugenden wie der Ehrlichkeit, denen man mit relativ geringem persönlichen Aufwand folgen kann, mag der menschliche Hang zum Konformismus noch hinreichen – Nutzenkalkül hin oder her -, zumindest solange der Ehrliche den Eindruck hat, nicht der Dumme zu sein.

Sobald aber dieses Minimum an geforderter sozialer Solidarität überschritten wird, sobald wirkliche Opfer zur Debatte stehen, schrumpft die Bereitschaft dazu dramatisch. Wo Solidarität selbst in der kleinsten denkbaren Gemeinschaft von Menschen, der Ehe, nicht mehr als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden kann und kaum noch ein Problem nichtig genug ist, um nicht einen Scheidungsgrund abzugeben, braucht man nach der Bereitschaft nicht mehr zu fragen, für eine Großgemeinschaft, etwa das eigene Land und dessen Freiheit – oder gar für den „Westen“ – das eigene Leben zu riskieren.

In stabilen Zeiten von Frieden und Prosperität, gleichsam im Normalbetrieb, fällt diese Schwäche kaum auf. Solange von den Bürgern bloß passive Loyalität gefordert wird, ist diese Loyalität in liberalen Demokratien vermutlich größer als anderswo. Wie aber sieht es im Fall einer existenziellen Bedrohung aus, wenn der Staat mit seinen administrativen und militärischen Bordmitteln nicht mehr auskommt und nicht nur den Geldbeutel seiner Bürger strapazieren, sondern sogar deren Leben einsetzen muss, um sich zu verteidigen? Anders gefragt: Wie konfliktfähig sind offene Gesellschaften?

Man sollte meinen, dass diejenige politische Ordnung, die ihren Bürgern das höchste Maß an Freiheit, Sicherheit und Wohlstand beschert, die liberale Demokratie also, auch das größte Maß an Unterstützungs- und Opferbereitschaft zu mobilisieren imstande ist. So ist es aber nicht.

Wenn man beispielsweise die Verlustlisten des Zweiten Weltkriegs anschaut, so fällt auf, dass die totalitären Staaten Deutschland, Sowjetunion und Japan an die zwanzig Millionen eigene Soldaten geopfert haben, die Westmächte dagegen „nur“ einige hunderttausend. Natürlich hängt das auch mit dem Kriegsverlauf zusammen – Frankreich brach früh zusammen, und bis die Westmächte in Europa wieder eingreifen konnten, hatten die Russen die Hauptarbeit bereits erledigt und zogen weiterhin das Gros der deutschen Truppen auf sich. Und selbstverständlich bin ich nicht so zynisch, die Verlustraten einer Armee als Maß ausschließlich für die Opferbereitschaft eines Volkes anzusehen; nicht selten sind sie eher ein Maß für die Brutalität und Inkompetenz ihrer Führer – eigene Soldaten draufgehen zu lassen ist in jedem Fall weder eine politische noch eine militärische Tugend.

Aber selbst wenn man diese Relativierungen berücksichtigt, bleibt der Unterschied doch frappierend, und man sollte nicht nur bedenken, dass am Beginn des Krieges die Frage stand, ob es sich wirklich lohne, für Danzig zu sterben, sondern auch, dass die Verlustquoten, die der Westen in Kauf nahm, im Zweiten Weltkrieg bereits geringer waren als im Ersten, und seitdem kontinuierlich fallen: In Vietnam warfen die USA nach 50.000 Toten das Handtuch, heute im Irak genügen schon 3.000 eigene (amerikanische) Gefallene, um den Krieg zu delegitimieren. Oder nehmen wir Deutschland: Dasselbe Volk, das sich von Hitler noch eine Verlustquote von 25 Prozent bieten ließ, ohne wirklich zu murren, stellt heute bei einer Quote noch unter der Promille(!)-Grenze bereits den Sinn von Militäreinsätzen überhaupt in Frage.

Warum und wie schaffen es totalitäre Systeme, Millionen von Menschen zum Selbstopfer zu bewegen? Durch Terror? Sicher, auch durch Terror. Überschätzen sollte man diesen Faktor aber nicht. In der Praxis des Dritten Reiches zum Beispiel spielte der Terror zwar eine bedeutende Rolle, soweit er sich gegen das Ausland oder gegen vorab ausgegrenzte Minderheiten, speziell Juden, richtete; aber er hatte den Zweck, diese Menschen zu ermorden, nicht ihr Wohlverhalten zu erzwingen. Gegen die eigenen „Volksgenossen“ war das Dritte Reich nicht wesentlich gewalttätiger als irgendeine Militärdiktatur, vermochte aber ein Maß an Begeisterung und Opferbereitschaft zu wecken, von dem etwa ein Pinochet kaum hätte träumen können.

Nein, die Sträke der totalitären Regime lag darin, dass sie in der Lage waren, den Menschen einen das eigene Leben transzendierenden Sinn zu vermitteln – wer am Bau eines „Tausendjährigen Reiches“ oder des welterlösenden Kommunismus mitzubauen glaubt, wird sich der Teilhabe an der Ewigkeit ziemlich nahe fühlen. Ihre Ideologien waren säkulare Religionen, deren gemeinschaftsstiftende und motivierende Kraft den klassischen Religionen mindestens gleichkam. Man versteht das damalige Deutschland, Russland und Japan am besten, wenn man sie als apokalyptische Massensekten auffasst, die eine ungeheure Dynamik und Leistungsfähigkeit zu entfesseln fähig waren.

Was also vom erkenntnistheoretischen oder liberalen politischen Standpunkt eine Kritik an totalitären Ideologien ist – nämlich dass sie Glaubenssysteme sind – und eine Kritik an Glaubenssystemen – nämlich dass sie eine totalitäre Schlagseite haben – ist kein zwingendes Argument gegen die Überlebensfähigkeit der von ihnen geprägten Gesellschaften, schon gar nicht, soweit ihr Überleben von ihrer Konfliktfähigkeit abhängt.

Ich bin nicht überzeugt davon, dass diese Schwäche westlicher Gesellschaften am Ende tödlich sein muss – zu deutlich und gewichtig sind die sie kompensierenden Stärken. Aber eine Schwäche ist es allemal, und insofern geht der Punkt an Flash.

Dessen Argument zielt allerdings tiefer als auf die bloße Konfliktfähigkeit westlicher Gesellschaften. Er behauptet, dass eine säkulare, aufgeklärte, rationale und liberale Gesellschaft auch ganz unabhängig von äußeren Konflikten auf die Dauer nicht existenzfähig sei, weil das von ihr erzeugte Vakuum an Spiritualität und Moral das grundlegende religiöse Bedürfnis der Menschen nach einem transzendenten Sinn vernachlässige, und dass dieses Bedürfnis sich über kurz oder lang Bahn brechen müsse, sodass wir auf die Dauer nur die Wahl zwischen einer Islamisierung und einer Re-Christianisierung hätten. Einem islamischen Fundamentalismus aber sei ein christlicher allemal vorzuziehen.

Dass eine säkulare Gesellschaft auf die Dauer dem Ansturm der Religiosität erliegen müsse, ist eine These, die ich stark anzweifle:

Es ist schon richtig, dass es diese religiösen Bedürfnisse gibt, und dass ein säkularer Rationalismus sie nicht befriedigen kann. Noch in der moralisierenden Ideologie der Political Correctness – deren Verfechter man ja nicht umsonst als „Gutmenschen“ veralbert – drückt sich ein Bedürfnis nach „Heiligkeit“ aus, das bei einem soliden Fundamentalismus zweifellos besser aufgehoben wäre als bei einer linken Ideologie. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, wohin es führt, wenn man religiöse Kategorien – wie verkappt oder pervertiert auch immer – in die Politik einführt.

Ich kann aber überhaupt nicht erkennen, dass eine Rückbesinnung auf den christlichen Glauben – die ich für wünschenswert halte – zwangsläufig dazu führen müsste, dass man in Fundamentalistenmanier mit der Bibel in der Hand in Politik und Wissenschaft herumfuhrwerkt und die Grundlagen der säkularen Demokratie und der rationalen Wissenschaft angreift. Wozu sollte man das tun? Um die Islamisierung zu stoppen? Die beruht nicht darauf, dass der Islam irgendwelche vom Christentum vernachlässigten spirituellen Bedürfnisse erfüllen würde; das tut vielleicht der Buddhismus. Im Hinblich auf Humanität, Spiritualität, erlösende Kraft und theologische Tiefe, d.h. als Religion, ist der Islam selbst einem verwässerten Christentum oder Judentum so hoffnungslos unterlegen, dass er sich ihnen gegenüber nie anders als mit Gewalt durchsetzen konnte und kann. So gefährlich der Islam als politische Ideologie ist, so armselig ist er als Religion.

Das Christentum spielt eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Islamisierung, aber nur, wenn es seine Stärken ausspielt – seine religiöse Tiefe und Kraft -, nicht, wenn es fundamentalistisch versucht, die Bibel zur Basis politischer Programme und wissenschaftlicher Thesen zu machen.

Keine Regel freilich ohne Ausnahme: Wo es darum geht, den Islam frontal anzugreifen, also Muslime zu missionieren, oder, in der Sprache der entsprechenden Kreise: ins 10/40-Fenster einzudringen, können Christen, die sich das vornehmen, gar nicht fundamentalistisch genug sein. Mit ihrem wörtlichen Bibelverständnis, ihrer konservativen Sozial- und Sexualmoral, überhaupt ihrer starken Betonung sozialer Normen und nicht zuletzt ihrem – Pardon! – Fanatismus dürften gerade evangelikale Fundamentalisten unter allen christlichen Glaubensrichtungen am besten für die Mission aufgestellt sein, weil ihre Auffassung von Religion der von Muslimen am nächsten kommt. So gesehen, wäre es doch ein Fortschritt, wenn im Biologieunterricht die biblische Schöpfungsgeschichte behandelt würde.

In Saudi-Arabien.

So viel zum Thema „Islamophobie“:

Salzburger Nachrichten, 5. Dezember 2007:

Der „Rat der Religionsgelehrten“ der Kairoer Al-Azhar-Universität, einer der wichtigsten Bildungsinstitutionen der islamischen Gesellschaft, hat jenen Moslems, die als Wirtschaftsflüchtlinge bei der illegalen Einreise nach Europa ums Leben kommen, den Status von „Märtyrern“ für die Ausbreitung des islamischen Weltreichs verliehen. Da dieses Gremium eine kollegiale Lehrautorität für alle Moslems ist, wiegt diese Lehrmeinung schwer als grundsätzliche und über Ägypten hinaus verbindliche Anerkennung der Unterwanderung des „christlichen Abendlandes“ durch Moslem-Immigranten zum Zweck der Islamisierung Europas. …“

[Zum Rest dieses Artikels der „Salzburger Nachrichten“]

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Carl Schmitt angewandt: Der Westen und der Islam

Es gibt bekanntlich nichts Praktischeres als eine gute Theorie, und wir werden sehen, ob die Theorie Carl Schmitts, die ich im vorherigen Beitrag dargestellt habe, zum Verständnis des westlich-islamischen Verhältnisses beiträgt. (Ich weise darauf hin, dass der vorliegende Beitrag ohne den vorherigen schwer zu verstehen ist.)

Die Freund-Feind-Unterscheidung kann nur von politischen Einheiten vorgenommen werden, die sich eben dadurch als politische Einheiten ausweisen. Ein z.B. wegen innerer Zerrüttung oder Zerstrittenheit als politische Einheit zerstörter Staat kann als Staat durchaus weiterexistieren, wenn auch gleichsam nur auf Abruf. Er kann weiterhin eine Verwaltung, auch eine Polizei oder Müllabfuhr besitzen – das macht ihn aber nicht zur politischen Einheit. Die ist eben definiert durch die Fähigkeit, eine Feinderklärung auszusprechen und gegebenenfalls auch durchzufechten.

Eine revolutionäre Partei kann, wenn sie fähig ist, den Staat zum Feind zu erklären, durchaus eine politische Einheit sein; der Staat, der diese Feindschaft nicht beantworten kann, ist keine. Die Hisbollah ist eine politische Einheit, nicht aber der libanesische Staat. Die RAF war eine politische Einheit, die EKD ist keine. Die NATO, sofern sie als verlängerter Arm der USA fungiert, ist eine, die EU ist es nicht. (Die einzelnen Staaten der EU sind im Verhältnis zueinander keine politischen Einheiten, weil sie faktisch keinen Krieg gegeneinander führen können; bloße Gegnerschaft gibt es zwar, sie ähnelt aber eher der Gegnerschaft politischer Parteien innerhalb eines Staates. Im Verhältnis zu Nicht-EU-Akteuren dagegen sind die Staaten der Union sehr wohl politische Einheiten – und die EU selbst gerade deswegen nicht: Eine Feinderklärung der EU wäre faktisch nichts anderes als eine gleichlautende Erklärung ihrer 27 Mitgliedsstaaten.)

Grundsätzlich kann also jede Assoziation von Menschen eine politische Einheit bilden, unabhängig von ihrer Rechtsform, Ideologie oder Größe. Das einzige Kriterium ist ihre Fähigkeit, einen Konflikt auf Leben und Tod auszutragen. Für die Feinderklärung kommt es übrigens nicht darauf an, ob die solchermaßen zum Feind erklärte Gruppe ihrerseits eine politische Einheit darstellt oder nicht. Die Juden der dreißiger und vierziger Jahre waren es nicht, wurden von den Nazis aber dafür gehalten; in einem solchen Fall beruht die Feinderklärung auf einem Irrtum, ist aber in ihren Konsequenzen genauso fatal und real. Feind ist, wer zum Feind erklärt wird. Man hat dies Schmitts „Dezisionismus“ genannt – eine Feststellung, die, wenn als Vorwurf gemeint, völlig sinnlos ist: Hier wie überall geht es ihm um das Empirisch-faktische, nicht um das, was sein soll.

Freilich zeigt das Schicksal der Nazis auch, dass man sich vor irrtümlichen und mutwilligen Feinderklärungen hüten sollte, da sie am Ende nicht nur für die davon Betroffenen, sondern auch für den Erklärenden selbst fatal sein können.

Ich hätte mich mit alldem gar nicht so intensiv auseinandergesetzt, wenn wir nicht spätestens seit dem 11. September 2001 vor der Frage stünden, ob der Westen den Islam schlechthin als Feind ansehen muss. Dass der Westen zum Feind erklärt worden ist, ist offensichtlich. Die delikate Frage aber lautet, wer die politische Einheit ist, die diese Erklärung vorgenommen hat. Sind die Qaida (und mit ihr Hamas, Hisbollah, die Taliban etc.) selbständige Einheiten, oder sind sie im Sinne Carl Schmitts bloße Teileinheiten einer politischen Einheit „Islam“?

Diese zweite Alternative wird bekanntlich nicht nur von linken Gutmenschen verneint, sondern auch z.B. von der amerikanischen und britischen Regierung, die nicht von übertriebenem Pazifismus angekränkelt zu sein scheinen. Aus ihrer Sicht ist der Feind des Westens „der Terrorismus“. Allenfalls wird zugestanden, dass die Terroristen eine politische Basis in Form des Islamismus hätten – der aber radikal vom „wahren“ Islam zu unterscheiden sei.

Was es mit dieser Trennung – hier der Islamismus, da der „wahre“ Islam – auf sich hat; dass dies bestenfalls die Unterscheidung von politischen Aktivisten und konservativen, aber politisch passiven Muslimen ist; dass diese Unterscheidung aber keine ideologischen Implikationen hat, das ist auch in diesem Blog schon ausführlich dargelegt worden und zumindest im islamkritischen Milieu kein Diskussionspunkt mehr. Macht aber eine solch passive muslimische Massenloyalität gegenüber islamistischen Positionen den Islam schon zu einer politischen Einheit im Schmittschen Sinne?

Bisher habe ich den Begriff der politischen Einheit nur in Bezug auf Staaten, Parteien und Terrororganisationen gebraucht – also sozialen Systemen, die über eine formale Hierarchie und ein identifizierbares Entscheidungszentrum verfügen, das die Feinderklärung aussprechen kann. Eine solche Struktur ist aber für die Einstufung eines sozialen Systems als politische  Einheit nicht an sich erforderlich, sondern nur, soweit die Fähigkeit zur Freund-Feind-Unterscheidung und zum faktischen Konflikt davon abhängt. Diese Funktion aber kann durchaus auch von alternativen Strukturen erfüllt werden, z.B. durch ein verbindliches Regelsystem, das die Freund-Feind-Unterscheidung an abstrakte Kriterien bindet, sie damit von einer expliziten politischen Einzelfallentscheidung unabhängig macht und auch eine nach Millionen zählende Gruppe von Menschen in die Lage versetzt, koordiniert zu handeln.

Ein solches Regelsystem liegt beim Islam vor: Die islamische Religion beruht auf der systematischen Unterscheidung zwischen der islamischen Umma und den „Ungläubigen“, und das islamische Recht hat dies zu einem ausgeklügelten System konkretisiert, das auf der Unterscheidung zwischen dem „Dar al-Islam“ und dem „Dar al-Harb“ basiert (also dem Herrschaftsbereich des Islam und dem der „Ungläubigen“) und statuiert, dass es zwischen beiden keinen Frieden, allenfalls einen Waffenstillstand geben dürfe. Der Islam beruht also – worauf? Auf der Unterscheidung zwischen Freund und Feind!

Die Stärke und Fruchtbarkeit von Schmitts Theorie – die ja nicht mit Blick auf den Islam entwickelt wurde – lässt sich kaum eindrucksvoller demonstrieren als dadurch, dass man mit ihrer Hilfe auf rein deduktivem Wege, d.h. durch bloße Anwendung der Theorie, zu demselben Ergebnis gelangt, das Kohorten von Orientalisten, Sozialwissenschaftlern, Historikern etc. auf empirisch-analytischem Wege gewonnen haben: dass der Islam eine wesentlich politische Religion ist.

Alle nichtislamischen Religionen, alle Kulturen, die nicht nach islamischen Regeln funktionieren, und vor allem alle Staaten, die nicht von Muslimen beherrscht werden, sind eindeutig und für alle Ewigkeit als „Feind“ markiert. Hieraus erklären sich die „blutigen Grenzen des Islam“ (S.Huntington): Der Islam liegt ja nicht nur mit dem Westen in Konflikt, sondern mit allen, auch nichtwestlichen Kulturen, mit denen er in unmittelbaren Kontakt gerät.

Zur Definition der politischen Einheit gehört aber nicht nur die Fähigkeit zur Feinderklärung, sondern auch die, sie tatsächlich als Einheit durchzufechten. Daran scheint es zu hapern:

Die diversen Terrorgruppen agieren doch auf eigene Faust und eigene Rechnung, und ihre Methoden werden von den meisten Muslimen abgelehnt. Sind sie also – trotz der Allgemeingültigkeit der islamischen Feinderklärung – nicht doch selbständige Einheiten, die man nicht einer politischen Einheit „Islam“ zuordnen kann? So könnte es scheinen – wenn nicht jeder Konflikt eines westlichen mit einem islamischen Akteur zu einer reflexartigen Solidarisierung der meisten Muslime führen würde; und zwar auch dann, wenn der Westen sich offensichtlich nur gegen gewaltsame Übergriffe wehrt, und sogar dann, wenn der islamische Akteur an sich verhasst ist. (Ein Beispiel: Saddam Hussein galt bis 1990 überall in der islamischen Welt als Schurke, und ein frommer Muslim war er auch nicht, im Gegenteil. Zum Helden wurde er in dem Moment, wo er selbstverschuldet, und sogar durch Überfall auf ein islamisches Land mit den USA in Konflikt geriet.) Man sieht: Um die Einheit der Muslime zu stiften, bedarf es durchaus keines koordinierenden Generalstabes; sondern jeder islamische Akteur kann diese Einheit herstellen, sofern er in der Lage ist, den Westen herauszufordern. Auch hier wirkt sich die koordinierende Kraft des islamischen Regelsystems aus, das der innerislamischen Solidarität einen so hohen Stellenwert zuweist, dass Jeder, auch ein Terrorist, sie als Selbstverständlichkeit voraussetzen kann.

Die Fähigkeit des Islam, als politische Einheit zu agieren, wird also von seiner dezentralen Struktur nicht nur nicht behindert, sondern sogar gefördert, weil er unabhängig vom Funktionieren irgendeiner „Schaltzentrale“ ist und sogar den Vorteil dessen auf seiner Seite hat, der ein Spiel mit verteilten Rollen spielen kann.

An dieser Stelle ist der Einwand fällig, ich würde den Islam als einen monolithischen Block behandeln. Schließlich gebe es auch Muslime, die die Offene Gesellschaft des Westens aufrichtig befürworteten, persönlich tolerant seien und es ablehnten, sich gegen den Westen für eine islamische Solidarität vereinnahmen zu lassen. Darüberhinaus seien die meisten – auch die frommen und konservativen – Muslime politisch passiv, und ihre Solidarität etwa mit den Palästinensern habe eher den Charakter einer bloß moralischen Unterstützung, sei also politisch irrelevant. Und man könne die doch nicht alle mit den Islamisten über einen Kamm scheren. Kurz: So etwas wie einen Islam gebe es nicht, es gebe nur viele Muslime – analog zu Maragaret Thatchers Diktum, so etwas wie eine Gesellschaft gebe es nicht, es gebe nur Individuen. (Vielleicht ist dieser – gerade auf der Insel populäre – radikale Individualismus dafür verantwortlich, dass die Briten, die so militant gegen den islamischen Terrorismus vorgehen, jede andere Form von Djihad gegen das eigene Land tolerieren und ihm sogar Vorschub leisten – logisch: Wenn es so etwas wie den einen Islam nicht gibt, dann gibt es auch nicht so etwas wie den einen Djihad.)

Dieser Einwand beruht auf einem Missverständnis: Wenn ich den Begriff „soziales System“ verwende, dann ist damit nicht eine nach objektiven Kriterien abgrenzbbare Gruppe von Menschen gemeint (hier also: alle Muslime), sondern ein System gegenseitiger Verhaltenserwartungen, hier also die gegenseitige Erwartung, dass Muslime die islamischen Normen als verbindlich akzeptieren, politisch sich also als Teil einer Wir-Gruppe verstehen, die Solidarität einfordern kann, wenn sie mit einer Sie-Gruppe in Konflikt gerät. Dass es eine Minderheit von Muslimen gibt, die diese Erwartungen ablehnen, weil sie Westler sind, die ihren Glauben als Privatsache ohne politische Implikationen behandeln, bedeutet nicht, dass das soziale System „Islam“ nicht existiert, sondern nur, dass diese Personen nicht dazugehören – es sei denn unfreiwillig (mit der Konsequenz, dass es schwierig sein kann zu unterscheiden, welchen Muslimen man trauen kann und welchen nicht).

Anders sieht es bei den frommen, konservativen, traditionellen, kurz: „gemäßigten“ Muslimen aus: Die gehören durchaus zum System. Man macht sich überhaupt zu wenig klar, wie sehr jeder Extremismus von den „Gemäßigten“ lebt: Eine Gruppe wie die RAF hätte niemals entstehen können ohne eine gemäßigte Linke, die ihr die ideologischen Versatzstücke lieferte und aus der sich der Terrornachwuchs rekrutierte. Ein Drittes Reich hätte nie existieren können ohne den ganz normalen Antisemitismus des Durchschnittsdeutschen. Eine ETA, eine IRA, eine Hamas, eine Hisbollah schwimmen in ihrem „gemäßigten“ Umfeld wie der Fisch im Wasser.
Alleine das Wort „gemäßigt“ ist bezeichnend: Gemäßigt sein kann man ja nur in Bezug auf einen Extremismus, der damit gleichsam zum Normalzustand erklärt wird, und die „Mäßigung“ besteht eben darin, von dessen Zielen ein paar Abstriche zu machen, eventuell auch die Methoden abzulehnen (…wobei man aber doch verstehen müsse, dass…). Ein Gemäßigter ist jemand, der die Prämissen der Extremisten teilt und nur vor den Konsequenzen zurückschreckt. [Zum Thema „Gemäßigte Muslime“ siehe auch Fjordman]
Wie wichtig die Gemäßigten sind, erkennt man daran, dass es faktisch unmöglich ist, die Verantwortung für islamischen Extremismus dem Islam selbst zuzuschreiben, ohne den Einwand zu ernten, die meisten Muslime seien doch gemäßigt…
Zusammengefasst liefern die Gemäßigten den Extremisten die Ideologie, die Rekruten und die politische Abschirmung. Ohne sie könnte der Islam als politische Einheit nicht existieren.
Der Gegensatz zwischen dem Westen und dem Islam ist nicht einer von Völkern – die als solche irgendeinen Kompromissfrieden schließen könnten, auch nicht zwischen Religionen, denn der Westen ist keine, und ungeachtet seiner christlichen Wurzeln hat er auch keine, und der Islam ist nicht das, was wir unter einer Religion verstehen, also ein Glaubenssystem, das man als Privatsache behandeln könnte. Der Gegensatz ist einer von zwei einander ausschließenden Gesellschaftskonzepten, und als solcher eher mit dem Ost-West-Konflikt vergleichbar als etwa mit den nachreformatorischen Religionskriegen. Er ist sogar noch tiefer als der Ost-West-Konflikt: Nicht nur, weil der Kommunismus seine Herkunft aus der westlichen Aufklärung nie völlig verleugnen konnte, sondern auch und vor allem, weil er sich – anders als der Islam – territorial abgrenzen konnte. Aber selbst diese Abgrenzung bewahrte ihn nicht davor, vom Westen als dem kreativeren, produktiveren und effizienteren System vor immer neue Herausforderungen gestellt zu werden, die seine Anpassungsfähigkeit schließlich überforderten.
Die Unvereinbarkeit von westlicher und islamischer Zivilisation birgt ein ungleich größeres Konfliktpotenzial, weil diese beiden Systeme einander durchdringen: Auf der einen Seite sind die islamischen Länder voll und ganz in das westlich dominierte Weltsystem einbezogen und unterliegen dadurch einem Anpassungsdruck, der traditionelle Strukturen und Werte über den Haufen wirft. Auf der anderen Seite ist der Islam in Gestalt muslimischer Einwanderer auch im Westen präsent und unterminiert schleichend dessen säkulare Ordnung. Beide Systeme können gar nicht anders, als einander zu zersetzen! Eine verwestlichte islamische Gesellschaft wäre zwar durchaus noch muslimisch in dem Sinne, dass ihre Angehörigen Muslime wären, aber nicht mehr islamisch im Sinne der gesellschaftlichen Dominanz und Verbindlichkeit islamischer Normen; als politische Einheit würde der Islam aufhören zu existieren. Und dass ein islamisierter Westen keine Offene Gesellschaft mehr wäre, dürfte auf der Hand liegen.
Einer von beiden wird auf der Strecke bleiben, und ich gehe davon aus, dass dies der Islam sein wird. Bleibt zu hoffen, dass er, wie Ronald Reagan von der Sowjetunion sagte, „mit einem leisen Winseln untergeht, nicht mit einem großen Knall“.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Gelesen: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen

Wer die Werke des konservativen deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt anders als mit spitzen Fingern anfasst; wer womöglich vergisst, die Floskeln „geistiger Wegbereiter Hitlers“ und „Kronjurist des Dritten Reiches“ zu erwähnen; wer ihn gar zustimmend zitiert, gerät in unserem Land nahezu unvermeidlich unter Faschismusverdacht.

Für diese reflexhafte Abwehr gibt es gute und schlechte Gründe. Zu den schlechten komme ich später. Die guten beziehen sich eher auf seine Person und Biographie als auf sein Werk. Ich selbst hatte mich bisher nur einmal mit Schmitt auseinandergesetzt, vor fast zwanzig Jahren, als ich während meines Studiums seinen „Leviathan“ zu analysieren hatte, geschrieben 1938, in dem es von antisemitischen Gehässigkeiten nur so wimmelte.

Dabei war die darin entwickelte Theorie in sich durchaus nicht antisemitisch; der Autor hätte seine Invektiven ebensogut weglassen können, ohne die Integrität seiner Argumentation zu beeinträchtigen; er schien mir kein Antisemit im ideologischen Sinne zu sein, und seine judenfeindlichen Ausfälle waren offenbar Lippendienste, die er dem Regime leistete. Das machte ihn mir aber nicht sympathischer, eher im Gegenteil: Schmitt war seinem ganzen geistigen Habitus nach, den er selbst im „Leviathan“ nicht verleugnen konnte, ein Aufklärer gewesen, dem man nicht einmal die schwache Entschuldigung ideologischer Verblendung zugutehalten konnte. Das ungewöhnlich Widerliche war noch nicht einmal, dass er dem Naziregime gegenüber loyal gewesen war; darin unterschied er sich nicht von den meisten seiner damaligen Landsleute, und den Standpunkt „Right or wrong – my country“ halte ich zwar für falsch, wenn er zur Unterstützung eines solchen Regimes führt – aber selbst dann finde ich ihn noch zumindest menschlich respektabel. Gar nicht respektabel, sondern im höchsten Maße ekelhaft ist es aber, sich ohne Not, wider besseres Wissen und auf Kosten Dritter bei den Machthabern dadurch anzubiedern, dass man auf einer Minderheit herumtrampelt, die schon am Boden liegt.

Nein, sympathisch war und ist er mir nicht, dieser Carl Schmitt. Wenn ich aber Ideen beurteile, dann kommt es nicht auf den Charakter dessen an, von dem sie stammen, sondern darauf, ob ich aus ihnen lernen kann.

Bekanntermaßen beschäftige ich mich in diesem Blog unter anderem mit linker Ideologie, und hier speziell mit der Political Correctness, die nach dem Niedergang des Marxismus die letzte Klammer zu sein scheint, die eine ideologisch entkernte Linke noch zusammenhält. Zu den Wesensmerkmalen dieser Ideologie gehört es, dass sie prinzipiell nicht zwischen Eigen und Fremd, Wir und Sie, Freund und Feind unterscheidet, zumindest nicht, soweit das eigene Gemeinwesen betroffen ist – es sei denn, um sich auf die Seite des Fremden, der Sie-Gruppe und des Feindes zu stellen.

Grund genug also, sich mit demjenigen Werk zu befassen, das die Unterscheidung von Freund und Feind zum Dreh- und Angelpunkt des politischen Denkens und Handelns erklärt, nämlich mit Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ (als Aufsatz erschienen erstmals 1927, als Buch mit Erweiterungen 1932; zitiert wird nach der 7. Auflage 2002; Hervorhebungen im Original).

Ich werde zeigen, dass Schmitts Ansatz tatsächlich grundlegende Gesetzmäßigkeiten der Politik enthüllt; dass er deswegen dazu beiträgt, den Begriffsnebel der Political Correctness zu lichten, der politische Debatten in Deutschland und im Westen überhaupt zu einer oft so konfusen und fruchtlosen Angelegenheit macht; und dass wir im Lichte dieser Erkenntnisse über das Wesen und die politische Funktion der Political Correctness klarer sehen und dabei Einiges über das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Islam lernen werden. (Letzteres Thema werde ich aber erst im nächsten Beitrag am Sonntag oder Montag behandeln, damit dieser Artikel nicht uferlos lang wird.)

„Eine Begriffsbestimmung des Politischen kann nur durch Aufdeckung und Feststellung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden. Das Politische hat nämlich seine eigenen Kriterien, die gegenüber den verschiedenen, relativ selbständigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen, Ökonomischen in eigenartiger Weise wirksam werden. Das Politische muss deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. Nehmen wir an,  dass auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Häßlich, im Ökonomischen … Rentabel und Unrentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen anderen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabhängige, selbständige und als solche ohne weiteres einleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht.“ (S.26)

Das klingt nicht nur einleuchtend, es gehört sogar zu den zentralen Theoremen eines der Hauptstränge der modernen Soziologie, nämlich der Theorie funktinaler Differenzierung bzw. der Systemtheorie (für die hier stellvertretend der Name Niklas Luhmanns stehen soll), dass gesellschaftliches menschliches Denken und Handeln sich nach Sachgebieten gliedern lässt (in der Soziologie: gesellschaftlichen Teilsystemen, die als Kommunikationssysteme aufgefasst werden), die jeweils einer binären Leitunterscheidung folgen; zu den von Schmitt genannten Unterscheidungen wären also unter anderem hinzuzufügen: Legal/Illegal im Recht, Wahr/Unwahr in der Wissenschaft, Sieg/Niederlage im Sport, Öffentlich/Nichtöffentlich in der Publizistik usw. Die hohe Leistungsfähigkeit moderner Gesellschaften erklärt sich nach Luhmann daraus, dass jedes ihrer Teilsysteme auf eine einzige gesellschaftliche Funktion reduziert und daher in der Lage ist, die aus der Umwelt stammenden Informationen nach bloß einem grundlegenden Kriterium zu verarbeiten.

„Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“ (S.26)

Die zentrale These.

Hier scheinen sich die Wege zu trennen: Der Soziologe betrachtet als Leitunterscheidung des Systems „Politik“ die von Regierung und Opposition, nicht die von Freund und Feind. Freilich ist der Gegensatz eher einer des leitenden Erkenntnisinteresses als ein solcher des Inhalts. Die Thesen widersprechen einander in Wahrheit nicht, und zwar deshalb, weil sie unterschiedliche Fragen beantworten:

Luhmann interessiert sich dafür, wie die moderne Gesellschaft funktioniert, und setzt deshalb den liberalen, demokratischen Rechtsstaat als Gegebenheit voraus, analysiert das politische System im Rahmen dieser Vorgabe und abstrahiert weitgehend von der Außenpolitik.

Schmitt dagegen fragt nach den Gesetzmäßigkeiten von Politik überhaupt. Die Voraussetzungen, die Luhmann umstandslos als gegeben ansieht – und im Rahmen seines Erkenntnisinteresses auch als gegeben ansehen darf -, stellen sich ja keineswegs von alleine ein, sondern sind ihrerseits von einer Voraussetzung abhängig: davon nämlich, dass die politischen Akteure die ihnen zugedachten Rollen tatsächlich spielen, d.h. mit verfassungskonformen Mitteln arbeiten, insbesondere keine Gewalt anwenden; dass keiner von ihnen versucht, den Staat und seine Ordnung durch Revolution von innen oder Krieg von außen zu eliminieren – dass also ein Feind entweder nicht vorhanden ist oder ausgeschaltet wird.

Der Staat, der seine Bürger vor Unrecht und Gewalt schützen soll, muss also zunächst seine eigene Existenz und innere Ordnung verteidigen. Da diese politisch nicht anders als durch einen Feind angefochten werden kann, ist es keineswegs eine willkürliche Setzung, sondern liegt in der Natur der Sache, dass Schmitt die Unterscheidung von Freund und Feind als primäre, die von Regierung und Opposition als bloß sekundäre politische Unterscheidung behandelt.

Innerhalb des Staates als einer organisierten politischen Einheit, die als Ganzes für sich die Freund-Feindentscheidung trifft, außerdem neben den primär politischen Entscheidungen und im Schutz der getroffenen Entscheidung ergeben sich zahlreiche sekundäre Begriffe von ‚politisch‘. (…) Doch bleibt auch hier stets ein – durch die Existenz der alle Gegensätze umfassenden politischen Einheit des Staates allerdings relativierter – Gegensatz und Antagonismus innerhalb des Staates für den Begriff des Politischen konstitutiv.“ (S.30)

Von daher ist auch klar, dass „Feindschaft“ etwas anderes meint als bloß irgendeine Form von Gegnerschaft:

„Denn zum Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen liegende Möglichkeit eines Kampfes. (…) Ebenso wie das Wort Feind, ist hier das Wort Kampf im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit zu verstehen. Es bedeutet nicht Konkurrenz, nicht den ‚rein geistigen‘ Kampf der Diskussion … Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten.“ (S.33)

Das bedeutet aber keineswegs, dass Politik nur, oder auch nur überwiegend, aus Krieg und dessen Vorbereitung bestünde; Schmitts Theorie ist weder militaristisch noch sozialdarwinistisch:

„Der Krieg ist durchaus nicht Ziel und Zweck oder gar Inhalt der Politik, wohl aber ist er als reale Möglichkeit immer vorhandene Voraussetzung, die das menschliche Handeln und Denken in eigenartiger Weise bestimmt und dadurch ein spezifisch politisches Verhalten bewirkt.

Darum bedeutet das Kriterium der Freund- und Feindunterscheidung auch keineswegs, dass ein bestimmtes Volk ewig der Freund oder Feind eines bestimmten anderen sein müsste, oder dass eine Neutralität nicht möglich oder nicht politisch sinnvoll sein könnte. Nur steht der Begriff der Neutralität, wie jeder politische Begriff, ebenfalls unter dieser letzten Voraussetzung einer realen Möglichkeit der Freund- und Feindgruppierung, und wenn es auf der Erde nur noch Neutralität gäbe, so wäre damit nicht nur der Krieg, sondern auch die Neutralität selbst zu Ende, ebenso wie es mit jeder Politik, auch einer Politik der Vermeidung des Kampfes, zu Ende ist, wenn die reale Möglichkeit von Kämpfen überhaupt entfällt. Maßgebend ist immer nur die Möglichkeit dieses entscheidenden Falles, des wirklichen Kampfes, und die Entscheidung darüber, ob dieser Fall gegeben ist oder nicht.“ (S.34f.)

Feindschaft ist also durchaus nicht etwas Wünschenswertes oder auch nur Unvermeidliches – im Gegenteil, sie ist sogar äußerst gefährlich, und es ist in aller Regel kluge Politik, sie zu vermeiden, sie also gar nicht erst entstehen zu lassen – was aber voraussetzt, dass man sie als Möglichkeit einkalkuliert. Ist die Feindschaft entstanden, so bleiben immer noch mannigfache Optionen, sich zum Feind zu verhalten: Man kann unter Umständen durchaus versuchen, ihn zu versöhnen – ebenso wie man versuchen kann, ihn auszumanövrieren, einzudämmen oder eben zu vernichten. Nur Eines kann man nicht: ihn ignorieren. Die Unterscheidung von Freund und Feind macht nicht deswegen das Wesen des Politischen aus, weil Feindschaft erstrebenswert wäre, sondern weil eine politische Einheit, die nicht in der Lage ist, einen tatsächlich vorhandenen Feind als solchen zu identifizieren und gegebenenfalls auch zu bekämpfen, ihm zu Opfer fällt und aufhört zu existieren.

Der aktuelle (1927) Hintergrund, auf den Schmitt sich bezieht, ist die Weimarer Republik, der er abspricht, eine politische Einheit zu sein, eben weil sie strukturell nicht in der Lage sei, die Freund-Feind-Unterscheidung zu treffen. In seinem „Corollarium I: Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffes der innerpolitischen Neutralität des Staates (1931)“, das dem „Begriff des Politischen“ als Anhang beigefügt ist, setzt er sich mit dem Verfahren zur Änderung der Weimarer Reichsverfassung gemäß deren Artikel 76 auseinander:

„Solche Vorstellungen von einer Neutralität der gleichen Chance bei der staatlichen Willensbildung liegen auch … der [von Schmitt abgelehnten, der Verf.] herrschenden Auffassung des Art. 76 RV zugrunde. Nach ihr enthält Art. 76 nicht nur eine Bestimmung über Verfassungsänderungen …, sondern er begründet auch eine schranken- und grenzenlose, absolute Allmacht und eine verfassunggebende Gewalt. (…) Diese herrschende Auffassung des Art. 76 nimmt der Weimarer Verfassung ihre Substanz und ihren ‚Boden‘ und macht sie zu einem gegenüber jedem Inhalt indifferenten, neutralen Abänderungsverfahren, das namentlich auch der bestehenden Staatsform gegenüber neutral ist. Allen Parteien muss dann gerechterweise die unbedingt gleiche Chance gegeben werden, sich die Mehrheiten zu verschaffen, die notwendig sind, um mit Hilfe des für Verfassungsänderungen geltenden Verfahrens ihr angestrebtes Ziel – Sowjet-Republik, nationalsozialistisches Reich, wirtschaftsdemokratischer Gewerkschaftsstaat, berufsständischer Korporationsstaat, Monarchie alten Stils, Aristokratie irgendwelcher Art – und eine andere Verfassung herbeizuführen.“ (S.98f.)

Genau diesem Konstruktionsfehler ist die Weimarer Republik, soweit es die staatsrechtliche Seite angeht, auch zum Opfer gefallen: Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, mit dem die gesamte gesetzgebende Gewalt auf die Reichsregierung – sprich auf Hitler – übertragen wurde und dieser praktisch uneingeschränkte Vollmacht gab, von der Verfassung abzuweichen, war verfassungsmäßig legal.

(Zumindest inhaltlich, und nur darauf kommt es hier an. Ob sein Zustandekommen verfassungskonform war, das Dritte Reich also tatsächlich legal errichtet wurde, steht auf einem anderen Blatt: Die Regierung Hitler hat vor der Wahl vom 5. März 1933 die KPD verboten, sie dann trotzdem an der Wahl teilnehmen lassen, um hinterher unter Berufung auf das Verbot ihre Mandate zu annullieren. Ein solches Vorgehen spottet jeder staatsrechtlichen Würdigung und lässt zumindest erhebliche Zweifel zu, ob der Reichstag in seiner so manipulierten Zusammensetzung überhaupt befugt war, auch nur irgendetwas zu beschließen, geschweige denn die Außerkraftsetzung der Verfassung.)

Eine solche Verfassung mit der eingebauten Möglichkeit zur Selbstabschaffung ist äußerst ungewöhnlich:

„Die Leistung eines normalen Staates besteht aber vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, ‚Ruhe, Sicherheit und Ordnung‘ herzustellen und dadurch eine normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Rechtsnromen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine Norm für eine ihr gegenüber völlig abnorme Situation Geltung haben kann.

Diese Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung führt in kritischen Situationen dazu, dass der Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den ‚inneren Feind‘ bestimmt. In allen Staaten gibt es deshalb in irgendeiner Form das, was das Staatsrecht der griechischen Republiken als polemos-Erklärung, das römische Staatsrecht als hostis-Erklärung kannte, schärfere oder mildere, ipso facto eintretende oder auf Grund von Sondergesetzen justizförmig wirksame, offene oder in generellen Umschreibungen versteckte Arten der Ächtung, des Bannes, der Proskription, Friedloslegung, hors-la-loi-Setzung, mit einem Wort, der innerstaatlichen Feinderklärung. (…) Für einen konstitutionellen bürgerlichen Rechtsstaat gilt das, trotz aller verfassungsgesetzlichen Bindungen des Staates, nicht weniger, sondern eher noch selbstverständlicher als für jeden anderen Staat. Denn im ‚Verfassungsstaat‘ ist, wie Lorenz von Stein sagt, die Verfassung ‚der Ausdruck der gesellschaftlichen Ordnung, die Existenz der staatsbürgerlichen Gesellschaft selber. So wie sie angegriffen wird, muss sich daher der Kampf außerhalb der Verfassung und des Rechts, also mit der Gewalt der Waffen entscheiden.‘

(…) Die abgeschwächten Formen der hostis-Erklärungen sind zahlreich und verschiedenartig: Konfiskationen, Expatriierungen, Organisations- und Versammlungsverbote, Ausschluss von öffentlichen Ämtern usw.“ (S.46ff.)

Wer dies für einen antidemokratischen oder gar totalitären Ansatz hält, sollte sich bewusst machen, dass das Grundgesetz einen ganzen Katalog von Sanktionen gegen Verfassungsfeinde bereithält: vom Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen (Art. 9 Abs.2) und Parteien (Art. 21 Abs. 2) über die Verwirkung von Grundrechten (Art. 18), das Widerstandsrecht gegen Putschisten (Art. 20 Abs. 4) bis hin zum Einsatz der Streitkräfte gegen Aufständische (Art. 87a Abs.4). Das darin konkretisierte Konzept der „militanten Demokratie“ bedeutet ein Diskriminierungsgebot zu Lasten von Verfassungsfeinden, also die verfassungsrechtliche Festschreibung der – Unterscheidung von Freund und Feind.

Die bundesdeutsche Linke freilich hat dies sehr wohl erkannt, daraus aber nicht den Schluss gezogen, dass Schmitts Theorie richtig, sondern den, dass die Bundesrepublik ein „faschistoider“ Staat sei. Es schien ihr nicht aufzufallen, wie sehr sie ihre eigenen Absichten demaskierte, wenn sie ein demokratisches Gemeinwesen schon deswegen diffamierte, weil es ein solches zu bleiben gedachte.

Damit kommen wir zu den schon angekündigten schlechten Gründen, aus denen weite Teile der deutschen Öffentlichkeit Schmitts Ideen tabuisieren:

Seine Thesen sind dem Aussagetypus nach empirischer Natur – was noch nicht bedeutet, dass sie richtig sein müssen, sondern dass sie sich auf Tatsachen und nicht auf Normen beziehen. Er beschreibt die Welt, wie sie seiner Meinung nach tatsächlich ist, nicht wie sie sein sollte. Er geht dabei nicht davon aus, dass der Mensch von Natur aus gut sei. Viele Menschen lehnen Theorien dieser Art ab, weil die Konsequenzen, die aus ihnen zu ziehen wären, ihren Wertvorstellungen zuwiderlaufen:

„Theoretiker der Politik wie Macchiavelli, Hobbes, öfters auch Fichte, setzen mit ihrem ‚Pessimismus‘ in Wahrheit nur die reale Wirklichkeit oder Möglichkeit der Unterscheidung von Freund und Feind voraus. Bei Hobbes, einem großen und wahrhaft systematischen politischen Denker, sind daher die ‚pessimistische‘ Auffassung des Menschen, ferner seine richtige Erkenntnis, dass gerade die auf beiden Seiten vorhanden Überzeugung des Wahren, Guten und Gerechten die schlimmsten Feindschaften bewirkt, endlich auch das ‚Bellum‘ Aller gegen Alle nicht als Ausgeburten einer furchtsamen und verstörten Phantasie, … sondern als die elementaren Voraussetzungen eines spezifisch politischen Gedankensystems zu verstehen.

Weil sie immer die konkrete Existenzialität eines möglichen Feindes im Auge haben, bekunden diese politischen Denker oft eine Art Realismus, die geeignet ist, sekuritätsbedürftige Menschen zu erschrecken. Man darf … doch wohl sagen, dass die Menschen im allgemeinen, wenigstens solange es ihnen erträglich oder sogar gut geht, die Illusionen einer ungefährdeten Ruhe lieben und ‚Schwarzseher‘ nicht dulden.

(…)

Dieses Schicksal ist Macchiavelli widerfahren, der, wenn er ein Macchiavellist gewesen wäre, statt des Principe wohl eher ein aus rührenden Sentenzen zusammengesetztes Buch geschrieben hätte.“ (S.64f.)

Die reflexhafte, nicht auf Argumente gestützte Ablehnung von Theorien dieser Art basiert ihrer Aussagenlogik nach auf dem Fehlschluss von der Bejahung einer Norm auf die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung; ein paar Beispiele:

Die normativ-wertende Aussage, dass Krieg niemals wünschenswert sei, lässt logisch nicht den Schluss zu, er sei (empirisch) niemals notwendig.

Wenn man sagt, Politik solle dem Wohl der Bürger dienen, so rechtfertigt dies keineswegs den Schluss, Macht spiele in der Politik keine Rolle.

Gleiches Einkommen für Jeden kann man wünschenswert finden. Aus diesem Wunsch aber bereits die Schlussfolgerung zu ziehen, dies sei erreichbar, wäre eine Verletzung der Formallogik.

Für die Auffassung, Männer und Frauen seien in ihren psychischen und kognitiven Strukturen wesentlich gleich, lassen sich zweifellos viele gute Argumente finden. Die Norm, dass sie gleichberechtigt sind, ist aber kein solches Argument.

In gewisser Hinsicht basiert das gesamte Denken der politischen Linken auf dieser fehlerhaften Logik: Ich hatte an anderer Stelle gezeigt, dass die politische Identität der Linken auf der Akzeptanz einer normativ wertenden Prämisse basiert, nämlich auf der Ablehnung jeglichen gesellschaftlichen Machtungleichgewichts, und zwar ohne Rücksicht auf dessen etwaige Funktionalität, d.h. unter systematischer Missachtung der empirischen Voraussetzungen für das Funktionieren von Gesellschaft schlechthin. Daher ist die Linke, wenn sie ihre Identität bewahren will, geradezu darauf angewiesen, Wunsch und Wirklichkeit zu vermengen.

Dabei ist oft schwer zu sagen, wo die kindische, als solche aber aufrichtige Naivität aufhört und die zynische Heuchelei anfängt, die bloß anderer Leute Naivität ausbeutet:

„Den politischen Gegnern einer klaren politischen Theorie wird es deshalb nicht schwer, die klare Erkenntnis und Beschreibung politischer Phänomene und Wahrheiten im Namen irgendeines autonomen Sachgebiets als unmoralisch, unökonomisch, unwissenschaftlich und vor allem – denn darauf kommt es politisch an – als bekämpfenswerte Teufelei hors-la-loi zu erklären.“ (S.65)

Genau so funktioniert Political Correctness.

Die empörte Ablehnung der These, dass die Freund-Feind-Unterscheidung den Kern des Politischen ausmache, kann eine mächtige Waffe sein, mit der man – wen wohl? – den Feind bekämpft (und die linke Herrschaftskritik wird bekanntlich schnell leise, wenn es um ihre eigene Herrschaft geht). Normative Wertvorstellungen unterliegen der moralischen Leitunterscheidung „Gut/Böse“, wobei es in der Natur der Sache liegt, dass Jeder seine eigenen Werte für „gut“, entgegenstehende für „böse“ hält. Wenn ich von der Gültigkeit von Werten auf die Wahrheit von Tatsachenbehauptungen schließe, dann stempele ich bestimmte Meinungen als böse, und nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, auch als unwahr ab. So entsteht ein totalitär geschlossenes Denksystem, das sich selbst bestätigt und gegen Überprüfung immunisiert.

Belustigen könnte die Vehemenz, mit der Schmitts Ansatz der Freund-Feind-Unterscheidung ausgerechnet von der Linken abgelehnt wird – einer politischen Richtung, deren Verlautbarungen von Vokabeln wie „Kampf“, „Widerstand“ und „Klassenfeind“ nur so strotzen. Die prominente Rolle, die allein das Wortpartikel „anti-“ spielt (antifaschistisch, antikapitalistisch, antiimperialistisch, antizionistisch, antimilitaristisch etc.), sollte ausreichen, die politisch korrekte Linke der blanken Heuchelei zu überführen. Der „Anti-Schmittianismus“ der Linken hat nicht etwa den Sinn, die Feinderklärung schlechthin aus der Welt zu schaffen, schon gar nicht den, selbst darauf zu verzichten, sondern zu verhindern, dass die eigene politische Einheit, sei es der eigene Staat, sei es der Westen als Ganzes, eine solche Unterscheidung vornehmen kann.

Damit bin ich für heute am Ende. Ich glaube gezeigt zu haben, dass Schmitt ein vernünftiges und allgemeingültiges Kategoriensystem entwickelt hat. Ob es brauchbar ist, muss sich, wie bei jeder Theorie, in der Anwendung erweisen. Beim nächsten Mal werde ich sie also testen. Am Islam.