Gelesen: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen

Wer die Werke des konservativen deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt anders als mit spitzen Fingern anfasst; wer womöglich vergisst, die Floskeln „geistiger Wegbereiter Hitlers“ und „Kronjurist des Dritten Reiches“ zu erwähnen; wer ihn gar zustimmend zitiert, gerät in unserem Land nahezu unvermeidlich unter Faschismusverdacht.

Für diese reflexhafte Abwehr gibt es gute und schlechte Gründe. Zu den schlechten komme ich später. Die guten beziehen sich eher auf seine Person und Biographie als auf sein Werk. Ich selbst hatte mich bisher nur einmal mit Schmitt auseinandergesetzt, vor fast zwanzig Jahren, als ich während meines Studiums seinen „Leviathan“ zu analysieren hatte, geschrieben 1938, in dem es von antisemitischen Gehässigkeiten nur so wimmelte.

Dabei war die darin entwickelte Theorie in sich durchaus nicht antisemitisch; der Autor hätte seine Invektiven ebensogut weglassen können, ohne die Integrität seiner Argumentation zu beeinträchtigen; er schien mir kein Antisemit im ideologischen Sinne zu sein, und seine judenfeindlichen Ausfälle waren offenbar Lippendienste, die er dem Regime leistete. Das machte ihn mir aber nicht sympathischer, eher im Gegenteil: Schmitt war seinem ganzen geistigen Habitus nach, den er selbst im „Leviathan“ nicht verleugnen konnte, ein Aufklärer gewesen, dem man nicht einmal die schwache Entschuldigung ideologischer Verblendung zugutehalten konnte. Das ungewöhnlich Widerliche war noch nicht einmal, dass er dem Naziregime gegenüber loyal gewesen war; darin unterschied er sich nicht von den meisten seiner damaligen Landsleute, und den Standpunkt „Right or wrong – my country“ halte ich zwar für falsch, wenn er zur Unterstützung eines solchen Regimes führt – aber selbst dann finde ich ihn noch zumindest menschlich respektabel. Gar nicht respektabel, sondern im höchsten Maße ekelhaft ist es aber, sich ohne Not, wider besseres Wissen und auf Kosten Dritter bei den Machthabern dadurch anzubiedern, dass man auf einer Minderheit herumtrampelt, die schon am Boden liegt.

Nein, sympathisch war und ist er mir nicht, dieser Carl Schmitt. Wenn ich aber Ideen beurteile, dann kommt es nicht auf den Charakter dessen an, von dem sie stammen, sondern darauf, ob ich aus ihnen lernen kann.

Bekanntermaßen beschäftige ich mich in diesem Blog unter anderem mit linker Ideologie, und hier speziell mit der Political Correctness, die nach dem Niedergang des Marxismus die letzte Klammer zu sein scheint, die eine ideologisch entkernte Linke noch zusammenhält. Zu den Wesensmerkmalen dieser Ideologie gehört es, dass sie prinzipiell nicht zwischen Eigen und Fremd, Wir und Sie, Freund und Feind unterscheidet, zumindest nicht, soweit das eigene Gemeinwesen betroffen ist – es sei denn, um sich auf die Seite des Fremden, der Sie-Gruppe und des Feindes zu stellen.

Grund genug also, sich mit demjenigen Werk zu befassen, das die Unterscheidung von Freund und Feind zum Dreh- und Angelpunkt des politischen Denkens und Handelns erklärt, nämlich mit Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ (als Aufsatz erschienen erstmals 1927, als Buch mit Erweiterungen 1932; zitiert wird nach der 7. Auflage 2002; Hervorhebungen im Original).

Ich werde zeigen, dass Schmitts Ansatz tatsächlich grundlegende Gesetzmäßigkeiten der Politik enthüllt; dass er deswegen dazu beiträgt, den Begriffsnebel der Political Correctness zu lichten, der politische Debatten in Deutschland und im Westen überhaupt zu einer oft so konfusen und fruchtlosen Angelegenheit macht; und dass wir im Lichte dieser Erkenntnisse über das Wesen und die politische Funktion der Political Correctness klarer sehen und dabei Einiges über das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Islam lernen werden. (Letzteres Thema werde ich aber erst im nächsten Beitrag am Sonntag oder Montag behandeln, damit dieser Artikel nicht uferlos lang wird.)

„Eine Begriffsbestimmung des Politischen kann nur durch Aufdeckung und Feststellung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden. Das Politische hat nämlich seine eigenen Kriterien, die gegenüber den verschiedenen, relativ selbständigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen, Ökonomischen in eigenartiger Weise wirksam werden. Das Politische muss deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. Nehmen wir an,  dass auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Häßlich, im Ökonomischen … Rentabel und Unrentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen anderen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabhängige, selbständige und als solche ohne weiteres einleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht.“ (S.26)

Das klingt nicht nur einleuchtend, es gehört sogar zu den zentralen Theoremen eines der Hauptstränge der modernen Soziologie, nämlich der Theorie funktinaler Differenzierung bzw. der Systemtheorie (für die hier stellvertretend der Name Niklas Luhmanns stehen soll), dass gesellschaftliches menschliches Denken und Handeln sich nach Sachgebieten gliedern lässt (in der Soziologie: gesellschaftlichen Teilsystemen, die als Kommunikationssysteme aufgefasst werden), die jeweils einer binären Leitunterscheidung folgen; zu den von Schmitt genannten Unterscheidungen wären also unter anderem hinzuzufügen: Legal/Illegal im Recht, Wahr/Unwahr in der Wissenschaft, Sieg/Niederlage im Sport, Öffentlich/Nichtöffentlich in der Publizistik usw. Die hohe Leistungsfähigkeit moderner Gesellschaften erklärt sich nach Luhmann daraus, dass jedes ihrer Teilsysteme auf eine einzige gesellschaftliche Funktion reduziert und daher in der Lage ist, die aus der Umwelt stammenden Informationen nach bloß einem grundlegenden Kriterium zu verarbeiten.

„Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“ (S.26)

Die zentrale These.

Hier scheinen sich die Wege zu trennen: Der Soziologe betrachtet als Leitunterscheidung des Systems „Politik“ die von Regierung und Opposition, nicht die von Freund und Feind. Freilich ist der Gegensatz eher einer des leitenden Erkenntnisinteresses als ein solcher des Inhalts. Die Thesen widersprechen einander in Wahrheit nicht, und zwar deshalb, weil sie unterschiedliche Fragen beantworten:

Luhmann interessiert sich dafür, wie die moderne Gesellschaft funktioniert, und setzt deshalb den liberalen, demokratischen Rechtsstaat als Gegebenheit voraus, analysiert das politische System im Rahmen dieser Vorgabe und abstrahiert weitgehend von der Außenpolitik.

Schmitt dagegen fragt nach den Gesetzmäßigkeiten von Politik überhaupt. Die Voraussetzungen, die Luhmann umstandslos als gegeben ansieht – und im Rahmen seines Erkenntnisinteresses auch als gegeben ansehen darf -, stellen sich ja keineswegs von alleine ein, sondern sind ihrerseits von einer Voraussetzung abhängig: davon nämlich, dass die politischen Akteure die ihnen zugedachten Rollen tatsächlich spielen, d.h. mit verfassungskonformen Mitteln arbeiten, insbesondere keine Gewalt anwenden; dass keiner von ihnen versucht, den Staat und seine Ordnung durch Revolution von innen oder Krieg von außen zu eliminieren – dass also ein Feind entweder nicht vorhanden ist oder ausgeschaltet wird.

Der Staat, der seine Bürger vor Unrecht und Gewalt schützen soll, muss also zunächst seine eigene Existenz und innere Ordnung verteidigen. Da diese politisch nicht anders als durch einen Feind angefochten werden kann, ist es keineswegs eine willkürliche Setzung, sondern liegt in der Natur der Sache, dass Schmitt die Unterscheidung von Freund und Feind als primäre, die von Regierung und Opposition als bloß sekundäre politische Unterscheidung behandelt.

Innerhalb des Staates als einer organisierten politischen Einheit, die als Ganzes für sich die Freund-Feindentscheidung trifft, außerdem neben den primär politischen Entscheidungen und im Schutz der getroffenen Entscheidung ergeben sich zahlreiche sekundäre Begriffe von ‚politisch‘. (…) Doch bleibt auch hier stets ein – durch die Existenz der alle Gegensätze umfassenden politischen Einheit des Staates allerdings relativierter – Gegensatz und Antagonismus innerhalb des Staates für den Begriff des Politischen konstitutiv.“ (S.30)

Von daher ist auch klar, dass „Feindschaft“ etwas anderes meint als bloß irgendeine Form von Gegnerschaft:

„Denn zum Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen liegende Möglichkeit eines Kampfes. (…) Ebenso wie das Wort Feind, ist hier das Wort Kampf im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit zu verstehen. Es bedeutet nicht Konkurrenz, nicht den ‚rein geistigen‘ Kampf der Diskussion … Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten.“ (S.33)

Das bedeutet aber keineswegs, dass Politik nur, oder auch nur überwiegend, aus Krieg und dessen Vorbereitung bestünde; Schmitts Theorie ist weder militaristisch noch sozialdarwinistisch:

„Der Krieg ist durchaus nicht Ziel und Zweck oder gar Inhalt der Politik, wohl aber ist er als reale Möglichkeit immer vorhandene Voraussetzung, die das menschliche Handeln und Denken in eigenartiger Weise bestimmt und dadurch ein spezifisch politisches Verhalten bewirkt.

Darum bedeutet das Kriterium der Freund- und Feindunterscheidung auch keineswegs, dass ein bestimmtes Volk ewig der Freund oder Feind eines bestimmten anderen sein müsste, oder dass eine Neutralität nicht möglich oder nicht politisch sinnvoll sein könnte. Nur steht der Begriff der Neutralität, wie jeder politische Begriff, ebenfalls unter dieser letzten Voraussetzung einer realen Möglichkeit der Freund- und Feindgruppierung, und wenn es auf der Erde nur noch Neutralität gäbe, so wäre damit nicht nur der Krieg, sondern auch die Neutralität selbst zu Ende, ebenso wie es mit jeder Politik, auch einer Politik der Vermeidung des Kampfes, zu Ende ist, wenn die reale Möglichkeit von Kämpfen überhaupt entfällt. Maßgebend ist immer nur die Möglichkeit dieses entscheidenden Falles, des wirklichen Kampfes, und die Entscheidung darüber, ob dieser Fall gegeben ist oder nicht.“ (S.34f.)

Feindschaft ist also durchaus nicht etwas Wünschenswertes oder auch nur Unvermeidliches – im Gegenteil, sie ist sogar äußerst gefährlich, und es ist in aller Regel kluge Politik, sie zu vermeiden, sie also gar nicht erst entstehen zu lassen – was aber voraussetzt, dass man sie als Möglichkeit einkalkuliert. Ist die Feindschaft entstanden, so bleiben immer noch mannigfache Optionen, sich zum Feind zu verhalten: Man kann unter Umständen durchaus versuchen, ihn zu versöhnen – ebenso wie man versuchen kann, ihn auszumanövrieren, einzudämmen oder eben zu vernichten. Nur Eines kann man nicht: ihn ignorieren. Die Unterscheidung von Freund und Feind macht nicht deswegen das Wesen des Politischen aus, weil Feindschaft erstrebenswert wäre, sondern weil eine politische Einheit, die nicht in der Lage ist, einen tatsächlich vorhandenen Feind als solchen zu identifizieren und gegebenenfalls auch zu bekämpfen, ihm zu Opfer fällt und aufhört zu existieren.

Der aktuelle (1927) Hintergrund, auf den Schmitt sich bezieht, ist die Weimarer Republik, der er abspricht, eine politische Einheit zu sein, eben weil sie strukturell nicht in der Lage sei, die Freund-Feind-Unterscheidung zu treffen. In seinem „Corollarium I: Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffes der innerpolitischen Neutralität des Staates (1931)“, das dem „Begriff des Politischen“ als Anhang beigefügt ist, setzt er sich mit dem Verfahren zur Änderung der Weimarer Reichsverfassung gemäß deren Artikel 76 auseinander:

„Solche Vorstellungen von einer Neutralität der gleichen Chance bei der staatlichen Willensbildung liegen auch … der [von Schmitt abgelehnten, der Verf.] herrschenden Auffassung des Art. 76 RV zugrunde. Nach ihr enthält Art. 76 nicht nur eine Bestimmung über Verfassungsänderungen …, sondern er begründet auch eine schranken- und grenzenlose, absolute Allmacht und eine verfassunggebende Gewalt. (…) Diese herrschende Auffassung des Art. 76 nimmt der Weimarer Verfassung ihre Substanz und ihren ‚Boden‘ und macht sie zu einem gegenüber jedem Inhalt indifferenten, neutralen Abänderungsverfahren, das namentlich auch der bestehenden Staatsform gegenüber neutral ist. Allen Parteien muss dann gerechterweise die unbedingt gleiche Chance gegeben werden, sich die Mehrheiten zu verschaffen, die notwendig sind, um mit Hilfe des für Verfassungsänderungen geltenden Verfahrens ihr angestrebtes Ziel – Sowjet-Republik, nationalsozialistisches Reich, wirtschaftsdemokratischer Gewerkschaftsstaat, berufsständischer Korporationsstaat, Monarchie alten Stils, Aristokratie irgendwelcher Art – und eine andere Verfassung herbeizuführen.“ (S.98f.)

Genau diesem Konstruktionsfehler ist die Weimarer Republik, soweit es die staatsrechtliche Seite angeht, auch zum Opfer gefallen: Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, mit dem die gesamte gesetzgebende Gewalt auf die Reichsregierung – sprich auf Hitler – übertragen wurde und dieser praktisch uneingeschränkte Vollmacht gab, von der Verfassung abzuweichen, war verfassungsmäßig legal.

(Zumindest inhaltlich, und nur darauf kommt es hier an. Ob sein Zustandekommen verfassungskonform war, das Dritte Reich also tatsächlich legal errichtet wurde, steht auf einem anderen Blatt: Die Regierung Hitler hat vor der Wahl vom 5. März 1933 die KPD verboten, sie dann trotzdem an der Wahl teilnehmen lassen, um hinterher unter Berufung auf das Verbot ihre Mandate zu annullieren. Ein solches Vorgehen spottet jeder staatsrechtlichen Würdigung und lässt zumindest erhebliche Zweifel zu, ob der Reichstag in seiner so manipulierten Zusammensetzung überhaupt befugt war, auch nur irgendetwas zu beschließen, geschweige denn die Außerkraftsetzung der Verfassung.)

Eine solche Verfassung mit der eingebauten Möglichkeit zur Selbstabschaffung ist äußerst ungewöhnlich:

„Die Leistung eines normalen Staates besteht aber vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, ‚Ruhe, Sicherheit und Ordnung‘ herzustellen und dadurch eine normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Rechtsnromen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine Norm für eine ihr gegenüber völlig abnorme Situation Geltung haben kann.

Diese Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung führt in kritischen Situationen dazu, dass der Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den ‚inneren Feind‘ bestimmt. In allen Staaten gibt es deshalb in irgendeiner Form das, was das Staatsrecht der griechischen Republiken als polemos-Erklärung, das römische Staatsrecht als hostis-Erklärung kannte, schärfere oder mildere, ipso facto eintretende oder auf Grund von Sondergesetzen justizförmig wirksame, offene oder in generellen Umschreibungen versteckte Arten der Ächtung, des Bannes, der Proskription, Friedloslegung, hors-la-loi-Setzung, mit einem Wort, der innerstaatlichen Feinderklärung. (…) Für einen konstitutionellen bürgerlichen Rechtsstaat gilt das, trotz aller verfassungsgesetzlichen Bindungen des Staates, nicht weniger, sondern eher noch selbstverständlicher als für jeden anderen Staat. Denn im ‚Verfassungsstaat‘ ist, wie Lorenz von Stein sagt, die Verfassung ‚der Ausdruck der gesellschaftlichen Ordnung, die Existenz der staatsbürgerlichen Gesellschaft selber. So wie sie angegriffen wird, muss sich daher der Kampf außerhalb der Verfassung und des Rechts, also mit der Gewalt der Waffen entscheiden.‘

(…) Die abgeschwächten Formen der hostis-Erklärungen sind zahlreich und verschiedenartig: Konfiskationen, Expatriierungen, Organisations- und Versammlungsverbote, Ausschluss von öffentlichen Ämtern usw.“ (S.46ff.)

Wer dies für einen antidemokratischen oder gar totalitären Ansatz hält, sollte sich bewusst machen, dass das Grundgesetz einen ganzen Katalog von Sanktionen gegen Verfassungsfeinde bereithält: vom Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen (Art. 9 Abs.2) und Parteien (Art. 21 Abs. 2) über die Verwirkung von Grundrechten (Art. 18), das Widerstandsrecht gegen Putschisten (Art. 20 Abs. 4) bis hin zum Einsatz der Streitkräfte gegen Aufständische (Art. 87a Abs.4). Das darin konkretisierte Konzept der „militanten Demokratie“ bedeutet ein Diskriminierungsgebot zu Lasten von Verfassungsfeinden, also die verfassungsrechtliche Festschreibung der – Unterscheidung von Freund und Feind.

Die bundesdeutsche Linke freilich hat dies sehr wohl erkannt, daraus aber nicht den Schluss gezogen, dass Schmitts Theorie richtig, sondern den, dass die Bundesrepublik ein „faschistoider“ Staat sei. Es schien ihr nicht aufzufallen, wie sehr sie ihre eigenen Absichten demaskierte, wenn sie ein demokratisches Gemeinwesen schon deswegen diffamierte, weil es ein solches zu bleiben gedachte.

Damit kommen wir zu den schon angekündigten schlechten Gründen, aus denen weite Teile der deutschen Öffentlichkeit Schmitts Ideen tabuisieren:

Seine Thesen sind dem Aussagetypus nach empirischer Natur – was noch nicht bedeutet, dass sie richtig sein müssen, sondern dass sie sich auf Tatsachen und nicht auf Normen beziehen. Er beschreibt die Welt, wie sie seiner Meinung nach tatsächlich ist, nicht wie sie sein sollte. Er geht dabei nicht davon aus, dass der Mensch von Natur aus gut sei. Viele Menschen lehnen Theorien dieser Art ab, weil die Konsequenzen, die aus ihnen zu ziehen wären, ihren Wertvorstellungen zuwiderlaufen:

„Theoretiker der Politik wie Macchiavelli, Hobbes, öfters auch Fichte, setzen mit ihrem ‚Pessimismus‘ in Wahrheit nur die reale Wirklichkeit oder Möglichkeit der Unterscheidung von Freund und Feind voraus. Bei Hobbes, einem großen und wahrhaft systematischen politischen Denker, sind daher die ‚pessimistische‘ Auffassung des Menschen, ferner seine richtige Erkenntnis, dass gerade die auf beiden Seiten vorhanden Überzeugung des Wahren, Guten und Gerechten die schlimmsten Feindschaften bewirkt, endlich auch das ‚Bellum‘ Aller gegen Alle nicht als Ausgeburten einer furchtsamen und verstörten Phantasie, … sondern als die elementaren Voraussetzungen eines spezifisch politischen Gedankensystems zu verstehen.

Weil sie immer die konkrete Existenzialität eines möglichen Feindes im Auge haben, bekunden diese politischen Denker oft eine Art Realismus, die geeignet ist, sekuritätsbedürftige Menschen zu erschrecken. Man darf … doch wohl sagen, dass die Menschen im allgemeinen, wenigstens solange es ihnen erträglich oder sogar gut geht, die Illusionen einer ungefährdeten Ruhe lieben und ‚Schwarzseher‘ nicht dulden.

(…)

Dieses Schicksal ist Macchiavelli widerfahren, der, wenn er ein Macchiavellist gewesen wäre, statt des Principe wohl eher ein aus rührenden Sentenzen zusammengesetztes Buch geschrieben hätte.“ (S.64f.)

Die reflexhafte, nicht auf Argumente gestützte Ablehnung von Theorien dieser Art basiert ihrer Aussagenlogik nach auf dem Fehlschluss von der Bejahung einer Norm auf die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung; ein paar Beispiele:

Die normativ-wertende Aussage, dass Krieg niemals wünschenswert sei, lässt logisch nicht den Schluss zu, er sei (empirisch) niemals notwendig.

Wenn man sagt, Politik solle dem Wohl der Bürger dienen, so rechtfertigt dies keineswegs den Schluss, Macht spiele in der Politik keine Rolle.

Gleiches Einkommen für Jeden kann man wünschenswert finden. Aus diesem Wunsch aber bereits die Schlussfolgerung zu ziehen, dies sei erreichbar, wäre eine Verletzung der Formallogik.

Für die Auffassung, Männer und Frauen seien in ihren psychischen und kognitiven Strukturen wesentlich gleich, lassen sich zweifellos viele gute Argumente finden. Die Norm, dass sie gleichberechtigt sind, ist aber kein solches Argument.

In gewisser Hinsicht basiert das gesamte Denken der politischen Linken auf dieser fehlerhaften Logik: Ich hatte an anderer Stelle gezeigt, dass die politische Identität der Linken auf der Akzeptanz einer normativ wertenden Prämisse basiert, nämlich auf der Ablehnung jeglichen gesellschaftlichen Machtungleichgewichts, und zwar ohne Rücksicht auf dessen etwaige Funktionalität, d.h. unter systematischer Missachtung der empirischen Voraussetzungen für das Funktionieren von Gesellschaft schlechthin. Daher ist die Linke, wenn sie ihre Identität bewahren will, geradezu darauf angewiesen, Wunsch und Wirklichkeit zu vermengen.

Dabei ist oft schwer zu sagen, wo die kindische, als solche aber aufrichtige Naivität aufhört und die zynische Heuchelei anfängt, die bloß anderer Leute Naivität ausbeutet:

„Den politischen Gegnern einer klaren politischen Theorie wird es deshalb nicht schwer, die klare Erkenntnis und Beschreibung politischer Phänomene und Wahrheiten im Namen irgendeines autonomen Sachgebiets als unmoralisch, unökonomisch, unwissenschaftlich und vor allem – denn darauf kommt es politisch an – als bekämpfenswerte Teufelei hors-la-loi zu erklären.“ (S.65)

Genau so funktioniert Political Correctness.

Die empörte Ablehnung der These, dass die Freund-Feind-Unterscheidung den Kern des Politischen ausmache, kann eine mächtige Waffe sein, mit der man – wen wohl? – den Feind bekämpft (und die linke Herrschaftskritik wird bekanntlich schnell leise, wenn es um ihre eigene Herrschaft geht). Normative Wertvorstellungen unterliegen der moralischen Leitunterscheidung „Gut/Böse“, wobei es in der Natur der Sache liegt, dass Jeder seine eigenen Werte für „gut“, entgegenstehende für „böse“ hält. Wenn ich von der Gültigkeit von Werten auf die Wahrheit von Tatsachenbehauptungen schließe, dann stempele ich bestimmte Meinungen als böse, und nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, auch als unwahr ab. So entsteht ein totalitär geschlossenes Denksystem, das sich selbst bestätigt und gegen Überprüfung immunisiert.

Belustigen könnte die Vehemenz, mit der Schmitts Ansatz der Freund-Feind-Unterscheidung ausgerechnet von der Linken abgelehnt wird – einer politischen Richtung, deren Verlautbarungen von Vokabeln wie „Kampf“, „Widerstand“ und „Klassenfeind“ nur so strotzen. Die prominente Rolle, die allein das Wortpartikel „anti-“ spielt (antifaschistisch, antikapitalistisch, antiimperialistisch, antizionistisch, antimilitaristisch etc.), sollte ausreichen, die politisch korrekte Linke der blanken Heuchelei zu überführen. Der „Anti-Schmittianismus“ der Linken hat nicht etwa den Sinn, die Feinderklärung schlechthin aus der Welt zu schaffen, schon gar nicht den, selbst darauf zu verzichten, sondern zu verhindern, dass die eigene politische Einheit, sei es der eigene Staat, sei es der Westen als Ganzes, eine solche Unterscheidung vornehmen kann.

Damit bin ich für heute am Ende. Ich glaube gezeigt zu haben, dass Schmitt ein vernünftiges und allgemeingültiges Kategoriensystem entwickelt hat. Ob es brauchbar ist, muss sich, wie bei jeder Theorie, in der Anwendung erweisen. Beim nächsten Mal werde ich sie also testen. Am Islam.