Das Ergebnis der Bundestagswahl

Früher war alles besser: Es gab mehr Jobs und weniger Graffiti, die Tomaten kamen noch nicht aus Holland und hatten richtig erotische Geschmacksnoten, das Fernsehen bemühte sich, Seriosität wenigstens glaubwürdig vorzutäuschen. Und die Bundestagswahlen, die waren noch richtig spannend.

Dabei rede ich noch nicht einmal von solchen Wahlkrimis wie 1969 oder 2002, als es richtig knapp wurde. Ich meine ganz einfach, dass man bis vor einigen Jahren das zutreffende Gefühl hatte, vom Ausgang der Wahl hinge die zumindest nähere Zukunft des Landes ab; im Jahre 2009 ein bizarrer Gedanke. Auf die entscheidende Frage, nämlich die, ob die abendländische Zivilisation in fünfzig Jahren noch existieren wird – nebst allem, was damit verbunden ist, zum Beispiel Demokratie, Redefreiheit, Gleichberechtigung der Frau, gewaltfreie Alltagskultur, Herrschaft des Gesetzes und vieles mehr -, geben alle im Bundestag vertretenen Parteien dieselbe, nämlich keine, Antwort.

Sie müssten sich sonst mit den katastrophalen Folgen von Entwicklungen auseinandersetzen, die sie selbst in Gang gesetzt haben und fanatisch propagieren – und wer tut das schon gerne, noch dazu als Politiker, und öffentlich, und vor der Wahl?

Dass die ehemalige KBW-Aktivistin Ulla Schmidt und die Schlampenschützerin und Deutschlandhasserin Brigitte Zypries ihre Ämter verlieren werden, dürfte noch das erfreulichste Ergebnis dieser Wahl sein. Die Genugtuung darüber relativiert sich aber, wenn man daran denkt, dass Zensursula und Mullah ben Schäuble uns erhalten bleiben, und sie zerfließt zu nichts bei dem Gedanken, dass die Wahl uns voraussichtlich eine Regierungspartei bescheren wird, deren bisher tiefster Denker ausgerechnet „Flach“ hieß, deren Programm sich seit Jahrzehnten nicht geändert hat, und die uns demgemäß mit ihrem Vorsitzenden um einen Außenminister bereichern wird, der in fünfundzwanzig Jahren keinerlei Anzeichen von Persönlichkeitsreifung hat erkennen lassen.

Allenfalls, wenn ernsthaft eine rot-rot-grüne Koalition drohen würde, könnte und müsste man die Wahl spannend finden. Dass dies – glücklicherweise – nicht der Fall ist, verdanken wir weniger Frank-Walter Steinmeiers persönlichem Hang zur Langeweile als der Tatsache, dass die Generalprobe in Hessen ein solches Desaster war, dass niemand in der SPD es jetzt schon wird wiederholen wollen.

Eine linke Mehrheit, knapp wie sie nach Lage der Dinge sein müsste, würde jedem SPD-Abweichler einen Dolch in die Hand drücken, und Mordwerkzeuge dieser Art werden bei der SPD bekanntlich (Hessen, Schleswig-Holstein) nicht offen getragen, sondern im Gewande geführt. Diejenigen, die es trotzdem wagen würden, Wowereit zum Beispiel oder Nahles, laufen sich für 2013 warm und profitieren davon, dass Steinmeier der geborene Übergangskandidat ist:

Bestenfalls (aus SPD-Sicht) wird er weiterhin als Vizekanzler eine achtbare Figur abgeben, aber selbst dann ist er ein Kandidat, den man leicht zur Seite wird schieben können, weil er 2013 nicht nur in acht Jahren Großer Koalition verbraucht sein wird, sondern auch von Anfang an ohne Hausmacht in der Partei dastand.

Dann – aber eben erst dann, nicht etwa schon heute – schlägt die Stunde der harten Linken, und meine Vermutung lautet, dass Nahles diejenige sein wird, die sich dann durchsetzt, weil sie, die den Idealtypus der strippenziehenden Juso-Intrigantin verkörpert, ihre Bataillone zweifellos schon jetzt in Stellung bringt.

Warum bin ich aber so sicher, dass die Wahl eine schwarz-gelbe Mehrheit bringt? Nun, da sind zum einen die Umfragen, schön übersichtlich aufbereitet auf der verlinkten Seite wahlrecht.de (übrigens eine vorzügliche Informationsquelle, was Wahlrechtsysteme und ihre Feinheiten und politischen Implikationen angeht), aus denen hervorgeht, dass nicht nur die verschiedenen Institute praktisch dieselben Vorhersagen machen, sondern auch, dass diese Umfragen wochenlang konstant bleiben.

Solche Umfragen können zwar falsch sein, aber, sofern die Geschichte der letzten Jahre irgendetwas aussagt, immer nur auf eine bestimmte Art und Weise.

Es ist ja richtig, dass 2002 und 2006 ein schwarz-gelber Wahlsieg allgemein erwartet wurde, der dann nicht stattfand. Hätte sich die Journaille, die das erwartete, aber stärker mit den vorhergehenden Wahlen beschäftigt, so hätte sie festgestellt, dass ein halbes Jahr vor einer Bundestagswahl sehr häufig die Opposition in Führung liegt, die am Wahltag selbst trotzdem untergeht. Der Grund ist ganz einfach der, dass die Wähler zwischen den Wahlen gerne die Regierung kritisieren und bei Landtags- und Europawahlen die Opposition favorisieren. Unmittelbar vor der Wahl aber, und noch in der Wahlkabine, wenn es um die Frage geht „Will ich wirklich die Pferde wechseln?“, lautet die Antwort oft genug „Nein“. Und so kommt es, dass zwar Regierungsparteien die Chance haben, in letzter Minute die Umfragen zu drehen (Schröder hat das zweimal vorgemacht), Oppositionsparteien aber nicht; weswegen eine Oppositionspartei, die sechs Wochen vor der Wahl nicht haushoch die Umfragen anführt, keine Chance hat.

Dabei macht es keinen Unterschied, dass die SPD am Kabinettstisch sitzt, also selbst Regierungspartei ist. Psychologisch entscheidend ist die Frage „Will ich einen Wechsel?“. Ein Kanzler Steinmeier wäre ein Wechsel; wenn Merkel an der Macht bleibt, egal mit welchem Koalitionspartner, ist es eben keiner. Eher wird die Unsicherheit, ob die SPD nicht vielleicht doch mit den Linken paktiert, also der Üppsi-Faktor, sie Stimmen kosten, die sie an sich durchaus hätte haben können.

Kurt Beck und die Schmuddelkinder

Scheinbar war es eine Überraschung, dass ausgerechnet Kurt Beck vor ein paar Tagen durchblicken ließ, die hessische SPD-Vorsitzende Y werde sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Ausgerechnet Beck, dem schon die Grünen zu weit links waren, um in Rheinland-Pfalz mit ihnen zu koalieren! Dieses Urgestein der konservativen SPD vergisst alle heiligen Eide, man werde niemals mit den Linken zusammengehen, und kündigt an, den Schmuddelkinderstatus der Linkspartei aufzuheben.

Die Empörung des politischen Gegners, aber auch der neutralen Kommentatoren ließ nicht auf sich warten: Wahlbetrug! Wortbruch! Ja, das ist es. Und zugleich ist es die einzig richtige Entscheidung.

Damit man mich richtig versteht: Ich bin gegen alle linken Parteien, auch gegen die SPD. Von deren Vorsitzenden kann ich aber nicht fairerweise erwarten, dass er meinen Standpunkt teilt.

Rein sachlich drängt sich eine Zusammenarbeit der beiden sozialistischen Parteien geradezu auf: Die SPD hat mit den Linken größere programmatische Schnittmengen als sie mit den Grünen jemals hatte, zumal die Linken bei der SPD abschreiben und die SPD sich ihnen beim letzten Parteitag deutlich angenähert hatte. Zudem besteht die Linkspartei im Westen überwiegend nicht aus linksradikalen Sektierern, sondern aus Gewerkschaftern und Ex-Sozialdemokraten – das ist Fleisch vom Fleische der SPD.

Und machtpolitisch hat Beck nicht die kleinste praktikable Alternative: Die Linke hat sich etabliert, daran wird sich nichts mehr ändern, und deswegen wird es für Rot-Grün nur noch in Ausnahmefällen reichen. Die Sozialdemokraten können also entweder mit den Linken zusammenarbeiten, oder ihre einzige Regierungsperspektive ist die Große Koalition, und das heißt: der Selbstverschleiß und der Verlust von noch mehr Wählern an die Linkspartei.

Vor einer solchen Situation stand die SPD schon einmal, als in den achtziger Jahren die Grünen aufkamen. Auch da wurden regelmäßig heilige Eide geschworen, niemals mit denen…

Und regelmäßig wurden sie gebrochen: In den achtziger Jahren in Hessen(!), 1989 in Berlin, 1995 in Nordrhein-Westfalen. Auch zugunsten der Linkspartei bzw. PDS ist die SPD schon einmal umgefallen: 1994 in Sachsen-Anhalt. In solchen Dingen ist die SPD also die Umfallerpartei par excellence. Es mag sein, dass es in Hessen Menschen gegeben hat, die die SPD wegen ihres Versprechens gewählt haben, nicht mit den Linken zusammenzugehen, und die wirklich geglaubt haben, diesmal würde die SPD aber nicht umfallen – pardon, aber solche Einfaltspinsel gehören betrogen!

Die SPD hat keine Wahl. Und der kaltschnäuzige Macchiavellismus, mit dem Beck aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen zieht, sichert ihm meinen Respekt. Mehr noch: Er macht sich damit um die Republik verdient.

Was wäre denn, wenn die SPD sich dauerhaft in der Großen Koalition einrichten würde? Wenn die Erfahrungen der letzten beiden Jahre irgendetwas beweisen, dann doch dies: dass in einer Großen Koalition beide Partner an Profil und Mobilisierungsfähigkeit verlieren, dass beide sich auf die politische Mitte konzentrieren und in ihr präsent sein müssen; dass die CDU nicht rechts sein kann, wenn die SPD nicht links ist. Und dass dem Wähler dauerhaft die reale Chance verwehrt wird, die gerade amtierende Regierung abzulösen.

Orientiert sich die SPD dagegen auf ein Linksbündnis, dann lösen sich die verkrampften Blockaden, die gegenwärtig die Regierungsbildung in Hessen erschweren (und die deutschlandweit zum Dauerzustand würden, wenn die Linken weiterhin als Schmuddelkinder ausgegrenzt würden), und der Wähler bekommt wieder die Wahl zwischen Links und Rechts.

Bleibt nur ein Problem: Das Aufkommen der Linkspartei hat die politische Linke nicht etwa geschwächt, sondern gestärkt. Zum einen erreicht diese Partei Wähler, die sonst wahrscheinlich zuhause geblieben wären oder irgendwelche Protest-Splitterparteien gewählt hätten, zum anderen werden durch sie spezifisch linke Positionen in einer Klarheit und Prägnanz öffentlich artikuliert, die die SPD selbst sich gar nicht leisten könnte, von der sie aber profitiert, weil die öffentliche Meinung auch in der Mitte dadurch beeinflusst wird.

Statt sich darüber aufzuregen, täte die konservative Rechte gut daran, sich zu fragen, ob man von Lafontaines Erfolgsrezept nicht etwas lernen kann. Auf der politischen Rechten, etwa im christlich-konservativen oder nationalkonservativen Spektrum gibt es viele Wähler, die sich von der CDU so wenig vertreten fühlen wie linke Sozialdemokraten von der SPD, und mit Roland Koch haben sie eine ihrer letzten Identifikationsfiguren verloren. Wenn das bürgerliche Lager mit dem linken wieder gleichziehen und nebenbei verhindern will, dass rechte Protestwähler sich bei der NPD sammeln, dann sollte es das rechtskonservative Spektrum mit einer eigenen Partei bedienen. Entweder durch bundesweite Ausdehnung der CSU, oder, wenn die sich das nicht traut, durch Gründung einer neuen Partei. Die Preisfrage lautet: Wer macht den rechten Lafontaine?