Sensation: Kritische Analyse über Bilderberger im DLF

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass ich den Massenmedien, speziell jenen, die wir mit unseren Gebühren zwangsfinanzieren, etwas reserviert gegenüberstehe. Zu deutlich die Ideologieproduktion, zu angestrengt das Bemühen, von allem abzulenken, was für die Zukunft unseres Landes relevant ist, zu verachtenswert der Herdentrieb, zu penetrant der Geruch des Angstschweißes (nur ja nichts schreiben, was ideologisch verdächtig sein könnte), zu servil der Kotau vor den Herrschenden und ihrer Ideologie.

Der Deutschlandfunk ist traditionell eine Ausnahmeerscheinung unter den Massenmedien, wenn auch meist nur in dem Sinne, wie auch ein Einäugiger eine Ausnahmeerscheinung unter Blinden ist. Heute aber hat er mich begeistert.

Unter dem Titel „Re-Feudalisierung und Privatisierung der Macht? Zur Bilderberg-Konferenz 2010“ hat Detlef Grumbach einen kritischen Blick auf jene informellen Zirkel geworfen, in denen die globalen Top-Eliten sich abstimmen.

Der Autor distanziert sich von Verschwörungstheorien der Marke „Die Bilderberger sind die geheime Weltregierung“, aber nicht, um die Anhänger solcher Theorien als Idioten hinzustellen, sondern um aufzuzeigen, dass ein wahrer, ein beunruhigend wahrer Kern auch und gerade in diesen Theorien steckt.

Da schadet es auch nicht, dass er nahezu ausschließlich Stimmen aus dem linken Spektrum zitiert; wer informelle Machtstrukturen analysieren will, kann ziemlich weit kommen, wenn er eine linke, das heißt herrschaftskritische Brille aufsetzt.

Grumbach zeigt die personellen Verflechtungen auf, die tatsächlich zwischen den bekannten üblichen Verdächtigen (z.B. Bilderberger, Council on Foreign Relations, Trilaterale Kommission) bestehen, und dass es sich um Zirkel handelt, die alles andere als private Freundeskreise sind:

Auch das Weltwirtschaftsforum in Davos ist ein privat organisiertes Treffen, genau so wie die Atlantikbrücke, die Münchner Sicherheitskonferenz oder auch die Treffen der Trilateralen Kommission. Sie wurde von David Rockefeller gegründet und wird von ihm finanziert, sie widmet sich dem Verhältnis USA-Europa-Japan. Oder auch Henry Kissingers Council on Foreign Relations oder Joschka Fischers European Council on Foreign Relations, als dessen Hauptsponsor George Soros auftritt. Auch hier bestimmen private Veranstalter, wer eingeladen wird, welche Journalisten akkreditiert werden.

(…)

Wer in diesen elitären Kreis eingeladen wird, darf von sich glauben, dazuzugehören. Er wird alles dafür tun, dass das so bleibt, wird sich korrumpieren lassen. Rudolf Stumberger zumindest behauptet:

„Dass praktisch zwischen die Welt der Wirtschaft und die Welt der Politik kein Blatt mehr passt. Also diese beiden Bereiche gehen zunehmend nahtlos ineinander über, wenn wir das an den Personen festmachen.“

Und so kommt der Mediensoziologe zu diesem Ergebnis: Wir erleben derzeit, so sein Eindruck,

„Tendenzen der Re-Feudalisierung. Das heißt, dass neben den offiziellen Strukturen, neben den demokratischen Strukturen, dass die inoffiziellen Strukturen zunehmend wieder an Gewicht gewinnen. Und diese Eliten, diese selbst ernannten Eliten, die oben sitzen, die schotten sich zunehmend ab.“

(…)

Hans Jürgen Krysmanski: „Bilderberg, Davos, das sind so die Höhepunkte einer ständig ablaufenden Absprache, Verständigung, eines ständigen Arbeitens von Lobbyisten, von Seilschaften, usw., usw.“

Hans-Jürgen Krysmanski ist Autor der Studien „Wem gehört die EU“ und darüber, „wie Geld- und Machteliten sich die Welt aneignen“. Titel: „Hirten & Wölfe“. Der Soziologe ordnet die Bilderberger in die übrigen Begegnungen der Reichen und Mächtigen ein:

„Und dieses ganze Netz ist natürlich sehr viel komplizierter als es manche Verschwörungstheoretiker meinen, die dann sagen: Bilderberg, das ist die Weltregierung, oder in Davos, da wird alles entschieden. Das ist völliger Unsinn. Das Wichtige und Interessante ist eben nur, dass diese informellen Netzwerke aus zwei Richtungen gesehen werden können. Sie können einerseits gesehen werden als etwas, was notwendig ist, was man aber transparent machen muss. Oder sie können gesehen werden als etwas, das nicht transparent gemacht werden muss, sondern das als eine Tür dient, hinter der dann auch heikle Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt werden.“

Krysmanski gehört zu den Anhängern der „Power Structure Research“, einer sozialwissenschaftlichen Forschung, die den Blick von unten nach oben richtet. Über Hartz-IV-Empfänger, so sagt er, weiß man so ziemlich alles, dafür sorgen schon die Kontrolle der Ämter und eine begleitende Sozialforschung.

Über die Reichen und Mächtigen dagegen wisse man nahezu gar nichts. Dabei seiend diese es, so Krysmanski, die wirklich die Macht in den Händen halten.

(…)

Liegt die Problematik der Bilderberg und anderer privater Konferenzen gar nicht darin, was dort womöglich beschlossen wird? Liegt sie darin, dass nicht transparent ist, wer die Regie führt? Dass Teilnehmer und Inhalte sich nicht einer öffentlichen Debatte stellen müssen? Dass sie auf diese Weise im Hintergrund und ohne Widerspruch einen Mainstream erzeugen, der dann als „alternativlos“ gilt? Eines geben diese Konferenzen wohl mit Sicherheit vor: die Blickrichtung eines wesentlichen Teils der Politik – von oben nach unten.

Das ist genau der springende Punkt: Wer dazugehören will zu den globalen Eliten, muss sich ihre Denkweise und Perspektive aneignen. Und damit auch klar ist, welche Denkweise und Perspektive das ist, sind stets auch hochkarätige Journalisten eingeladen – freilich nicht als Berichterstatter, denn alle Teilnehmer sind zu strengem Stillschweigen verpflichtet, sondern als Mitwirkende, die dann als Taktgeber für die öffentliche Meinung fungieren. Das ein solches Verhalten mit journalistischem Ethos unvereinbar ist, liegt auf der Hand. Wichtig ist nun, wer dort eingeladen ist: Die „Zeit“ ist prominent vertreten, mit dem stellvertretenden Chefredakteur Matthias Nass, der sogar dem Lenkungsausschuss angehört, also jenem Gremium, das entscheidet, wer überhaupt eingeladen wird; außerdem war schon Herausgeber Josef Joffe dort. (Vielleicht erklärt dies, warum der langjährige „Zeit“-Journalist Bernd Greiner der einzige unter den von Grumbach befragten Experten ist, die die Bedeutung der Bilderberg-Konferenzen herunterspielen.)

Nicht einmal 2005, als die Konferenz im bayrischen Rottach-Egern stattfand, war dies dem publizistischen Platzhirschen, der Süddeutschen Zeitung, eine Zeile wert. Neben Hubert Burda nehmen Springer-Vorstand Matthias Döpfner, Vertreter der Financial Times und anderer Zeitungs-Mogule an den Bilderberger Konferenzen teil.

„Re-Feudalisierung und Privatisierung der Macht“. Fürwahr eine treffende Umschreibung für einen Vorgang, bei dem die offizielle Selbstbeschreibung moderner Gesellschaften mehr und mehr zur Makulatur wird: Was die Chefredakteure vorgeben, das werden die von ihnen abhängigen Schreiber mehr oder weniger nahtlos umsetzen, sei es aus Opportunismus, sei es aus der Feigheit dessen, der sich keine eigene Meinung zutraut, wenn sie dem widerspricht, was unter „Eliten“ offenkundig Konsens ist.

Was auf der offenen Bühne stattfindet und als „Demokratie“, „Pluralismus“, „freie Presse“ etc. firmiert, hat immer weniger mit den tatsächlichen Herrschaftsverhältnissen und Entscheidungsstrukturen zu tun. Die Begriffe, in denen man die eigene Gesellschaft zutreffend zu beschreiben glaubt, mutieren – selbst wenn sie irgendwann einmal wahr gewesen sein sollten – durch Veränderungen der Wirklichkeit, die als solche nicht beschrieben werden (sollen), zu bloßen Schlagwörtern, die nicht einmal in einem ideologischen Sinne (sprich: unter bestimmten ideologischen Prämissen) wahr sind. Sie werden zu bloßer Propaganda.

Wir brauchen uns also nicht zu wundern, dass sich in der Politik Entscheidungen häufen, die den Interessen des jeweils eigenen Staates, erst recht jenen des Volkes, hohnsprechen; dass die Medien von Berichten strotzen, deren Verfasser das eigene (offizielle) Berufsethos mit Füßen treten; dass die Lebensfragen westlicher Gesellschaften entweder überhaupt nicht oder nur mit dem Tenor unkritischer Affirmation herrschender Ideologie thematisiert werden.

Da wird bewusst eine Dunkelheit erzeugt, in der die Wirklichkeit verschwindet; eine Dunkelheit, in die nur selten ein Lichtstrahl dringt. Einen solchen Lichtstrahl hat heute der Deutschlandfunk gesendet.

Stefan Scheil: „Revisionismus und Demokratie“

Rezension
Der Historiker Stefan Scheil gilt unter seinen Kollegen als „Revisionist“, und dass diese Bezeichnung für einen Wissenschaftler keine Beleidigung, sondern ein Ehrentitel ist, darauf habe ich an anderer Stelle schon hingewiesen. Scheil zieht seit langem gegen eine etablierte Lehrmeinung zu Felde, die man in jeder Hinsicht die „herrschende“ nennen muss, nämlich eine Geschichtsschreibung, wonach das Deutsche Reich beide Weltkriege verschuldet habe, während die Westmächte (und zum Teil auch Russland bzw. die Sowjetunion) sich bloß gegen ihnen aufgezwungene Kriege verteidigt hätten. Jede andere, jede revisionistische Auffassung sieht sich schnell rechtsextremer Neigungen verdächtigt.

In dem vorliegenden nur 76 Seiten starken Essayband „Revisionismus und Demokratie“ erläutert er den geschichtspolitischen Hintergrund derartiger wenig wissenschaftlich anmutender Zuschreibungen:

Er zeigt auf, dass das etablierte Geschichtsbild auf einer deterministischen und teleologischen Geschichtsauffassung beruht, wonach die Geschichte mit der weltweiten Verbreitung des westlichen Gesellschaftssystems ein Ziel und eine Richtung kenne, und er weist zutreffend darauf hin, dass ein solches Verständnis von Geschichte bereits in sich eine Tendenz zu einer Ideologie totalitärer Herrschaft trägt. Warum sollte eine Regierung sich den Wünschen eines Volkes beugen, das offenkundig „rückständig“, da den Zielen des historischen Prozesses nicht aufgeschlossen ist?

Erst vor dem Hintergrund dieser Ideologie wird verständlich, warum in analoger Weise Konflikte zwischen westlichen und nichtwestlichen Staaten (zu denen auch das Deutsche Reich gehörte) von der etablierten Geschichtsschreibung nicht anders denn als dem Westen aufgezwungen interpretiert werden können: Dass die Gegner des Westens im Unrecht sind, braucht sich notfalls nicht aus den historischen Quellen zu ergeben, weil es in den ideologischen Prämissen bereits enthalten ist. Erst die „große Erzählung“ von der weltweiten Entfaltung der menschheitsbeglückenden westlichen Zivilisation stempelt die Gegner dieses Prozesses zu Verbrechern. Wenn sie zufällig tatsächlich Verbrecher waren – um so besser, aber für die Kohärenz des etablierten Geschichtsbildes ist es nicht erforderlich.

Dass die Eliten des besiegten Deutschland mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung nach 1945 dieses Geschichtsbild übernahmen, das das eigene Land zum Schurkenstaat stempelte (und dies nicht erst ab 1933, sondern ab spätestens 1871), ja, dass sie es im eigenen Land propagierten, war, soviel steht bei Scheil zumindest zwischen den Zeilen, der Preis dafür, dass sie zum Club der globalen Eliten gehören durften. Darüberhinaus aber zeigt Scheil, wie die ständigen Reuebekenntnisse die Bundesrepublik in die Lage versetzen, als Schulmeister der nicht ganz so selbstkritischen übrigen westlichen Welt aufzutreten. Gleichsam als Musterschüler des westlichen Selbsthasses und der globalistischen Ideologie wird die Bundesrepublik dabei auf eine perverse Weise wieder tonangebend. Mit den Interessen des deutschen Volkes hat dies selbstverständlich nichts zu tun, mit der historischen Wahrheit erst recht nicht, aber den Interessen dieser Eliten kommt dieses Geschichtsbild sehr wohl zupass, und entsprechend aggressiv wird es verteidigt.

Scheil hat eine geraffte und pointierte Analyse deutscher und westlicher Geschichtspolitik vorgelegt, und ihr unter dem Titel „Von Überfällen und Präventivkriegen“ einen zweiten Text hinzugefügt, der ebenfalls Lust auf mehr macht: Darin weist er die gegen ihn gerichteten Verdächtigungen des Rechtsextremismus zurück, die im Zusammenhang mit seiner Analyse der Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Krieges von 1941 erhoben wurden. Er zeigt nicht nur erneut auf, wie sehr die politische Verdächtigung inzwischen das wissenschaftliche Argument als Mittel der Auseinandersetzung verdrängt hat, sondern benennt auch einige Fakten, die Neugier wecken, ob die Präventivkriegsthese womöglich doch auf stärkeren Füßen steht, als man für gewöhnlich glaubt. Darin steckt sicherlich auch Eigenwerbung des Autors. Die aber sei ihm gegönnt.

Der Niedergang des Westens

von John Robb

[Erstveröffentlichung: 8. Mai 2010 unter dem Titel „The Decline of the West“ in Global Guerillas; Übersetzung von Manfred]

Die meisten Analytiker (zumindest die, die zu lesen sich lohnt) vertreten die Auffassung, bei der Staatsschuldenkrise (Griechenland, Portugal, Spanien etc.) in der EU gehe es um den Zusammenbruch eines Systems, das eine Währungsunion ohne eine politische Union schuf. Darum geht es aber nicht. Das ist nur eine enge, beschränkte Sicht.

Stattdessen geht es bei der gegenwärtigen Staatsschuldenkrise um etwas weitaus Interessanteres: Es handelt sich um eine weitere Schlacht in dem Krieg um die Vorherrschaft zwischen „unserem“ integrierten, unpersönlichen weltweiten Wirtschaftssystem und den traditionellen Nationalstaaten. Die Frage ist, ob ein Nationalstaat den Interessen der Regierten oder denen des globalen Wirtschaftssystems dient.

Wer gewinnt? Das Weltwirtschaftssystem selbstverständlich. Die Finanzkrise von 2008, die erste wirkliche Schlacht dieses Krieges (im Unterschied zu den frühen Niederlagen in Scharmützeln in Russland, Argentinien, dem Balkan etc.) führte zu einem entscheidenden Ergebnis: einer krachenden Niederlage der Nationalstaaten. Die gegenwärtige Krise in der EU wird fast sicher mit demselben Ergebnis enden.

Wenn dieser Krieg endet, und lang wird er nicht dauern, wird das weltweite Wirtschafts- und Finanzsystem der Sieger sein. Ist dies erst geschehen, dann werden die Nationalstaaten dem Weg der Drittweltstaaten folgen und zu bloßen Staatshülsen werden: zu ausgehöhlten Fassadenstaaten, die nur dazu dienen, die Interessen des Weltwirtschaftssystems durchzusetzen. Diese neuen Staaten, mehr Markt- als Nationalstaaten, werden ihren Bürgern nur noch Bruchstücke der öffentlichen Güter bieten, die sie in der Geschichte geboten haben. Die Einkommen werden auf Drittweltniveau fallen (was durch hochgradig mobile Produktivität erleichtert wird), und die Wohlstandsschere wird sich öffnen. Schutzregeln werden schwach sein, die Pensionen des öffentlichen Dienstes werden verfallen und die Korruption regieren. Die einst dominierenden Militärapparate des Westens werden auf einen Bruchteil ihrer gegenwärtigen Größe reduziert, und sie werden sich eher auf die Aufrechterhaltung der innernen Kontrolle als auf die Abwehr äußerer Bedrohungen konzentrieren. Die klare und unzweideutige Botschaft an jeden Bürger des Westens wird lauten:

Du bist auf dich selbst gestellt. Du stehst in direktem Wettbewerb mit jedem anderen Menschen auf der Welt, und dein Erfolg oder Scheitern hängt allein von dir ab.

Für die, die da glauben, dies werde eine Woge friedlicher wirtschaftlicher Kraftentfaltung mit sich bringen: Ihr liegt falsch. Es wird die Gesellschaft in Stücke reißen und zu endloser Stagnation/Depression, endemischer Gewalt/Korruption und Elend führen.

Ohne jede moralische Basis (einen Gesellschaftspakt), ohne Stabilität oder weithin geteilten Wohlstand werden neue Quellen der Ordnung entstehen, um die Lücke zu füllen, die die Aushöhlung des Nationalstaates hinterlässt. Diese neuen Ordnungsquellen werden wir zunächst in Gestalt des Aufstiegs von Verbrechens-Unternehmern sehen, seien es der Nadelstreifengangster oder der tätowierte Straßenbandenschläger; denn in der Welt der Staatshülsen (ohne moralische Grenzen des Verhaltens) und unbegrenzter Vernetzung mit dem System der Globalwirtschaft werden diese Verbrechens-Unternehmer schnell die Oberhand gewinnen und mit Gewalt Jeden zwingen oder korrumpieren, dem sie auf dem Weg zu ihrer Bereicherung begegnen.

Wenn dies geschieht, habt ihr die Wahl.

Ihr könnt allein bleiben und nichts tun. Dann werdet ihr der neuen Verbrecherklasse zum Opfer fallen.

Ihr könnt euch ihnen anschließen, eure früheren Landsleute berauben und selbst dabei reich werden.

Oder ihr baut etwas Neues auf. Stabile Gemeinschaften und unabhängige Witschaftsnetze auf der Basis von Freiheit, Wohlstand und einem neuen Gesellschaftsvertrag.

Der Neue Adel

Zu den großen Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters gehörten die miteinander zusammenhängenden Ideen, dass Herrschaft sich als eine zu legitimieren hat, die dem Gemeinwohl dient, und dass dies nicht nur ein ideologischer Anspruch sein darf, sondern institutionell gewährleistet sein muss.

Dabei war von Anfang an klar, dass die Allgemeinheit, um deren Wohl es dabei geht, nicht etwa „die Menschheit“ ist, sondern jeweils ein konkretes Volk. Sofern das Gemeinwohl durch demokratische Verfahren gesichert wird, kann es bereits begriffslogisch, erst recht praktisch, nicht anders sein: Die Zumutung, die es für politische Minderheiten darstellen muss, sich den Entscheidungen der Mehrheit zu beugen, wäre gar nicht anders zu rechtfertigen als durch die Erwartung der Solidarität innerhalb eines Volkes; dass also zwischen Mehrheit und Minderheit Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, was jeweils konkret im Sinne des Gemeinwohls ist, dass aber kein Dissens darüber besteht, dass die Mehrheit mit dem Gemeinwohl zugleich das Wohl der unterlegenen Minderheit im Auge hat.

Demokratie setzt also voraus, dass es so etwas wie ein Volk gibt. Dies gilt nicht nur horizontal – dass also innerhalb eines demokratischen Gemeinswesens der Idee nach nicht mehrere Völker existieren können; es gilt auch und gerade vertikal und bedeutet, dass die herrschenden Eliten dem Gemeinwohl, also dem Wohl des Volkes, ihres Volkes, verpflichtet sind.

Die miteinander untrennbar verbundenen Gedanken von Demokratie und Nation konnten nur deshalb zur Kampfparole gegen die überkommene Adelsherrschaft werden, weil der Adel sich, zumindest aus der Sicht der bürgerlichen Revolutionäre, dem Dienst am Gemeinwohl in doppelter Weise verweigerte: zum einen, indem er keinen Gedanken daran verschwendete, ob seine Herrschaft im Interesse der unteren Stände lag; zum anderen, indem er unter seiner „Nation“ seinen Stand verstand. Einer Marie Antoinette kam es nicht in den Sinn, dass es in irgendeinem vernünftigen Sinne des Wortes „Verrat“ sein könnte, die Aufmarschpläne der eigenen französischen Truppen den zu ihren Gunsten intervenierenden Feinden preiszugeben; sie konnte nach ihrer Lesart das französische Volk nicht verraten: Dieses Volk war ihr Eigentum. Der Adel war eine internationale Kaste, Völker existierten für ihn nicht, sie waren bloße Masse: eine Masse von Untertanen.

Genau dies ist auch das Selbstverständnis der heute herrschenden Klasse, des Neuen Adels.

Will man dessen Ideologie in wenigen Sätzen zusammenfassen, so lautet sie, dass die Globalisierung „unvermeidlich“, und dass sie etwas Gutes ist: im globalen Maßstab also Kapitalverflechtung, freier Markt, freie Migration, Deregulierung von Märkten. Die politischen Konsequenzen liegen auf der Hand: Transferierung von Kompetenzen von den Nationalstaaten (der Idee nach also den Völkern) auf supranationale Organisationen (also auf unkontrollierbare Technokraten), Aushöhlung demokratischer Strukturen, Verschmelzung von Völkern und Kulturen.

Damit Märkte frei sind – frei von politischen Interventionen -, müssen die Nationalstaaten Entscheidungsbefugnisse abgeben. Das heißt selbstverständlich nicht, dass es keine Regeln gibt – irgendwelche Regeln muss es ja geben, sondern, dass sie von Institutionen wie der EU, dem IWF, der WTO gesetzt werden.

Warum aber sollten nationale Regierungen ihrer damit verbundenen Selbstentmachtung zustimmen? Nun, weil es sich eben nicht um eine Selbstentmachtung handelt, sondern ganz im Gegenteil um eine Selbstermächtigung: Die Regierungen herrschen ja weiter, aber eben nicht jede einzelne über ein Land, sondern alle zusammen über alle Länder. Es handelt sich um eine Kollektivherrschaft, um die Herrschaft einer Klasse. Eine Herrschaft, die aus der Sicht der Herrschenden den eminenten Vorteil hat, ohne so lästige Dinge wie parlamentarische Kontrolle oder öffentliche Kritik auszukommen. Kritik an einzelnen Regierungen wird zahnlos, wenn letztere darauf verweisen können, bloß Sachzwängen zu folgen. Dass diese Sachzwänge aus selbstgeschaffenen Strukturen resultieren, braucht man ja nicht zu erwähnen.

Der natürliche Widerstand der Völker gegen die Auflösung und Zerstörung ihrer Identität, ihrer Unabhängigkeit, ihrer Kultur, ihrer Sitten und Traditionen wird auf diese Weise nicht nur ausmanövriert, er erscheint sogar als etwas Rückständiges, Plebejisches, ja Böses.

Zum Gesamtbild gehört selbstredend auch, dass national geprägte Wirtschaftsstrukturen aufgelöst werden müssen. Freiheit von parlamentarischer Kontrolle genügt nicht; die Politik darf auch nicht auf dem Umweg über zum Beispiel eine „Deutschland AG“ gezwungen werden, sich an nationalen Interessen zu orientieren. Es ist wenig beachtet und bezeichnenderweise auch kaum zum Thema gemacht worden, dass eben diese Deutschland AG, das Netz wechselseitiger Verflechtungen innerhalb der deutschen Wirtschaft, in den neunziger Jahren zugunsten der Einbindung in etwas aufgelöst wurde, das man „Welt AG“ nennen könnte. Spätestens die von der rotgrünen Koalition beschlossene Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne stellte eine handgreifliche Aufforderung an die deutsche Wirtschaft dar, sich zu internationalisieren, und sie führte auch zum Ausverkauf der deutschen Wirtschaft. Zusammen mit der Einführung des Euro bedeutete dies den gelungenen Versuch, die drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt politisch zu neutralisieren. Die Internationalisierung der politisch herrschenden Klasse ging mit der der wirtschaftlich herrschenden Hand in Hand.

An einem solchen Prozess ist eine derartige Vielzahl von Akteuren beteiligt, dass es ohne einen Konsens über die Ziele dieser Politik nicht geht. Die Ideologie, die all dies legitimiert, muss nicht nur vorherrschend sein – was ja Raum für Dissidenz und für die Formulierung alternativer Konzepte ließe – sie muss zumindest innerhalb der herrschenden Klasse alternativlos und damit als Ideologie überhaupt nicht mehr erkennbar sein. Die gesellschaftliche Ideologieproduktion, namentlich die Wissenschaft und die Medien, müssen außerstand gesetzt werden, alternative Wirklichkeitsdeutungen vorzulegen.

Auf der Basis bloß eines platten neoliberalen Ökonomismus ist dergleichen nicht möglich: Zu weit verbreitet und zu tief verankert ist die sozialistische Kritik daran. Da trifft es sich, dass die marxistische Linke als Trägerin dieser Kritik mit dem Ende des auf dem Marxismus beruhenden sozialistischen Gesellschaftsmodells seit 1990 politisch bankrott ist und keine Alternative zum Kapitalismus mehr aufzuzeígen vermag. Das zerstörerische Potenzial des Marxismus ist aber nach wie vor vorhanden und wie geschaffen dafür, die Strukturen zu beseitigen, die der ungehemmten Entfaltung des Globalismus noch im Wege stehen. Der herrschaftskritische und egalitaristische Elan des Marxismus braucht lediglich von der Kapitalismuskritik ab- und auf Religions-, Nationalismus- und Traditionalismuskritik hingelenkt werden: Es entsteht eine Ideologie, die die bloße Wahrnehmung von Unterschieden, etwa zwischen Völkern, Religionen, Kulturen und Geschlechtern, erst recht aber ihre Affirmation als „rassistisch“, „ethnozentrisch“, „xenophob“, „sexistisch“, oder schlicht als „menschenfeindlich“ brandmarkt und damit die Auflösung überkommener Strukturen – Völkern, Familien, Religionen – vorantreibt. Sogar ein bisschen „Sozialismus“ dürfen die Linken noch spielen, weil der Sozialstaat als Immigrationsmagnet wirkt und damit die Existenz der Völker, also der potenziell mächtigsten Gegenspieler des Globalismus, untergräbt.

Wer darin einen Widerspruch zu den Idealen des Neoliberalismus sieht, verkennt, dass diese Art von Liberalismus kein zu befolgendes ordnungspolitsches Prinzip, sondern eine zu verwirklichende Utopie darstellt: Den Sozialstaat kann man unter solchen Vorgaben schon eine Weile in Kauf nehmen; es genügt, dass er eines Tages aufgrund seiner chronischen und stets zunehmenden Überforderung zusammenbrechen wird. Bis dahin wird er aber seinen Dienst getan haben, politische Solidargemeinschaften in bloße Massen von Einzelnen verwandelt zu haben. In der Zwischenzeit bindet seine Existenz die einheimische Unter- und untere Mittelschicht an die Linksparteien und hält sie davon ab, sich gegen die systematische Überfremdung und Zerstörung der eigenen Lebenswelt zur Wehr zu setzen. Indem sie an den Sozialstaat gefesselt werden, werden sie (und noch dazu umso mehr, je mehr sich ihre Lebensverhältnisse verschlechtern), an eine Struktur gefesselt, die die weitere Verschlechterung der Lebensverhältnisse bis zum Zusammenbruch garantiert.

Überhaupt ist ein gewisses Maß an finanzieller Selbstüberforderung der Nationalstaaten durchaus gewollt: Nur wer pleite ist – das lehrt auch die neueste Krise -, ist gezwungen, sich der Überwachung und Gängelung durch supranationale Organisationen zu unterwerfen und verliert seine Unabhängigkeit, ohne dass deswegen ein einziger Schuss abgefeuert werden müsste. Wer Neoliberalismus und Sozialismus immer noch als Gegensätze auffasst, hat – pardon – das Ende des Kalten Kriegs verschlafen.

Weil dies so ist, ist die Gleichheit in Gestalt einer Gleichmacherei, die nicht einmal zwischen Wir und Sie unterscheiden darf, verbunden mit dem Dogma von der angeblich unausweichlichen Globalisierung (auch sie ein vulgärmarxistisches Relikt), die ideologische Basis, auf der die Herrschaft der globalistischen Eliten aufbaut. Der Fortschritt kennt nur eine Richtung: Liberalisierung, Egalisierung, Entstrukturierung, Globalisierung. Dieser Glaube, der implizit jeden Widerspruch als reaktionär, fundamentalistisch oder rechtsradikal verketzert, darf nicht angefochten werden. Er kann auch gar nicht angefochten werden, jedenfalls nicht mit Aussicht auf gesellschaftliche Wirksamkeit, weil die Institutionen und Funktionssysteme, die die gesellschaftliche Wirklichkeitsbeschreibung hervorbringen, von den Globalisten monopolisiert werden.

Dabei kommt der Monopolisierung der „Wissenschaft“ die Schlüsselrolle zu, weil von hier aus die maßgebliche Ideologie aller anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme gesteuert wird: Schule, Medien, Wirtschaft, Recht, Politik.Da die Universität die notwendige Durchgangsstation für Jeden ist, der den Eliten gehören will, ist deren ideologische Konformität sichergestellt. Über die Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse entscheidet die Bejahung einer Ideologie.

An dieser Stelle wird deutlich, dass der Begriff des „Neuen Adels“ in zweierlei Hinsicht der Konkretisierung bedarf:

Zum einen beruht der Neue Adel nicht auf Dynastien; natürlich wird es auch weiterhin karrierefördernd sein, wenn schon die Eltern der Elite angehörten, aber dynastisches Denken, überhaupt Familiensinn, widerspricht dem radikalen Individualismus der Ideologie. Die Bejahung dieser Ideologie, nicht die Abstammung, ist das Entree zum Neuen Adel; wer dagegen loyal zum eigenen Volk ist, die eigene Kultur bewahrt oder an die Wahrheit der eigenen Religion glaubt, hat sich bereits dadurch disqualifiziert.

Zum anderen endete die Macht des alten Adels dort, wo die der Kirche begann und umgekehrt. Eine Klasse, in deren Hand sich nicht nur die wirtschaftliche und politische, sondern auch die ideologische und religiöse Macht vereint, die also zugleich definiert, was wahr und unwahr, was gut und böse ist, ist nicht einfach ein Adel, sondern ein Priesteradel, der korporativ totalitäre Macht ausübt.

Auf diese Weise ist es ihm auch möglich, Heerscharen von Mitläufern zu rekrutieren, ohne sie zu bezahlen. Der Wissenschaftsproletarier auf seiner befristeten Drittelstelle; der „freie“, weil zeilenweise bezahlte Journalist; der Lehrer, der sich bis zum körperlichen Zusammenbruch an einer Schule an „sozialen Brennpunkten“ aufreibt und sich selbst gratuliert, dass er trotzdem nicht zum „Ausländerfeind“ geworden ist; sie dürften sich bloß der Entlohnung nach kaum als Teil einer Elite fühlen, jedenfalls nicht nach bürgerlichen Maßstäben.

Nach den Maßstäben des Neuen Adels dürfen sie dies sehr wohl, weil sie durch die Bejahung seiner Ideologie zwar nicht an seiner Macht und seinem Reichtum teilhaben, wohl aber an seiner Selbstabgrenzung gegenüber der Plebs, dem Stammtisch, den bildungsfernen Schichten, oder wie auch immer die Menschen genannt werden, die die Ideologie der Eliten aufgrund ihrer täglichen Erfahrung als Lüge durchschauen. Aus der Sicht des Neuen Adels ist die Fadenscheinigkeit seiner ideologischen Konstrukte – etwa der „Diskriminierung“, des „Gender Mainstreaming“ oder der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ – durchaus funktional, gerade weil jeder Plattkopf sie durchschaut.

Wer sie dagegen bejaht, bekundet dadurch seine Bereitschaft zu glauben, was er glauben soll, also zur ideologischen Unterwerfung. Nicht trotz, sondern wegen ihrer haarsträubenden Dummheit und surrealistischen Wirklichkeitsferne eignen sie sich perfekt als das moderne Äquivalent zum Gesslerhut.

Mit dem Gemeinwohl hat der Neue Adel, den man deswegen auch so nennen darf, selbstredend nichts im Sinn, jedenfalls nicht, insofern das „Gemeinwohl“ von den Betroffenen zu definieren wäre, wie es dem demokratischen Gedanken entspräche. Die global herrschende Klasse hat ja kein globales Volk als Gegenpart, dessen Urteil sie sich in einer Art „Menschheitsdemokratie“ unterwerfen würde. Die wirkliche Menschheit wird immer den Erhalt der eigenen Gemeinschaften, Kulturen und Lebenswelten fordern; eine Menschheitsdemokratie ist daher ein Widerspruch in sich. Als Utopie, mit deren Hilfe die Zerstörung der Völker gerechtfertigt wird, taugt sie aber allemal – ganz ähnlich wie der Kommunismus, der ja auch nie hätte verwirklicht werden können, aber der totalitären Machtusurpation einer durch Ideologie zusammengehaltenen Klasse als moralisches Feigenblatt diente.

Euro-Rettung: Der große Betrug

Wir erinnern uns: Als der Euro eingeführt wurde, versprach man uns, er werde so stabil sein wie die D-Mark. Und nein, auf keinen Fall würden die reicheren Länder für die Schuldenkönige im Süden in die Tasche greifen müssen.

Dieses Versprechen wirkte schon damals fadenscheinig. Selbst wer nur das wusste, was der normale irregeführte Zeitungsleser eben so weiß, konnte nicht übersehen, wie sehr die EU bereits ohne den Euro eine Umverteilungsmaschinerie zu Lasten Deutschlands gewesen war, und wie wenig fiskalpolitische Solidität schon damals in den Olivenölstaaten herrschte – nicht nur in Griechenland. Wenn aber die Stabilität des Euro letztlich von der Haushaltsdisziplin genau dieser Staaten abhängig war, so konnte dieses Stabilitätsversprechen nur eine Mogelpackung sein.

Wer sich mit der Architektur des Euro kritisch auseinandersetzte – wobei ich gestehen muss: Ich selbst habe es versäumt -, konnte vorhersagen, dass man über kurz oder lang vor der Alternative stehen würde, entweder den Euro aufzugeben oder die Eurozone in eine Haftungsgemeinschaft zu verwandeln. Wobei es wiederum in der Natur der Sache liegt, dass es sich mitnichten um eine gegenseitige Haftung handelt, sondern dass Deutschland und einige andere reiche EU-Staaten für die südliche Peripherie haften. Der umgekehrte Fall ist nicht einmal theoretisch vorstellbar.

Genau dieser Weg, und nicht etwa der umgekehrte, den Euro abzuschaffen oder wenigstens die Eurozone schrumpfen zu lassen, wird jetzt beschritten. Warum eigentlich? Nur weil die Politik nicht gerne einen Fehler zugibt, was sie ja tun müsste, wenn sie aufhören würde, krampfhaft am Euro und an der jetzigen Ausdehnung der Eurozone festzuhalten?

Nein, weil es sich aus ihrer Sicht keineswegs um einen Fehler handelt. Wenn die Mitgliedsstaaten der EU verpflichtet werden, für die Schulden der Südschiene aufzukommen, wie es jetzt geschehen ist; wenn außerdem theoretisch jeder Staat alle anderen in die Haftung nehmen kann, dann liegt es in der Natur der Sache, dass die EU, die die diversen Rettungsfonds verwaltet, ein Mitspracherecht bei der nationalen Haushaltsgestaltung bekommen muss, und genau dies wird auch von der EU-Kommission zur Zeit geplant. Wiederum in der Natur der Sache liegt dann die „Notwendigkeit“ einer „europäischen Wirtschaftsregierung“, ebenfalls ein Projekt, das sich in Planung befindet. Die Aushöhlung der Substanz des demokratischen Nationalstaates ist also in vollem Gange. Wir nähern uns dem Punkt, wo die nationalen Parlamente über kaum mehr zu entscheiden haben werden als über ihre eigene Geschäftsordnung, und dies war auch von Anfang an der Sinn der Sache.

Was wir hier live erleben, ist die Funktionsweise jenes Konzepts, das dem gesamten europäischen Projekt von Anfang an zugrundegelegen hat: Tatsachen zu schaffen, die Sachzwänge erzeugen, aufgrund deren weitere Tatsachen geschaffen werden, die ihrerseits Sachzwänge erzeugen und so fort. Es wird also ganz bewusst eine Situation herbeigeführt, in der der Souveränitätsverlust der Nationalstaaten als ein Sachzwang, als Gebot der „Vernunft“ erscheint – einer Vernunft, die nicht viel mehr ist als ein anderes Wort für das Akzeptieren ideologisch motivierter Vorentscheidungen , über die es einen demokratischen Konsens niemals gegeben hat und auch niemals geben wird. Es ist dies der Weg, auf dem sich die politischen „Eliten“ Europas von demokratischer Kontrolle emanzipieren.

Eine „europäische Einheit“ wird es am Ende dieses Prozesses tatsächlich geben, aber es wird die Einheit von aneinander gefesselten Menschen und Völkern sein, von denen sich wegen dieser Fesseln keines mehr rühren kann. Eine „Nation Europa“ kann, wird und vor allem: soll auf diesem Wege nicht entstehen. Es wird keine Vereinigten Staaten von Europa geben in dem Sinne, wie es Vereinigte Staaten von Amerika gibt. Was es geben wird, ist die Herrschaft einer Kaste von Technokraten, die den Selbstlauf des Kapitalismus verwaltet und ihre eigene Herrschaft über eine barbarisierte Gesellschaft für das Endziel der Geschichte hält.

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: „Gott und die Welt. Ein Gespräch mit Peter Seewald“

Wenn ich an den Papst denke, fällt mir mitunter die Figur der Kindlichen Kaiserin aus Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ ein, die noch in ihrem strahlenden Palast sitzt, während sie zusehen muss, wie das Reich um sie herum Stück für Stück vom Nichts gefressen wird.

Martin Mosebach hat das Christentum einmal zutreffend „die unbekannteste Religion der Welt genannt. In der Tat scheint das Wissen, was „Christentum“ eigentlich ist, in zunehmendem Maße sogar den Bischöfen abhanden zu kommen, die eigentlich dazu berufen sind, Hüter und Verkünder christlicher Glaubenswahrheiten zu sein. Gerade in Deutschland scheint deren Ehrgeiz sich darin zu erschöpfen, sich mit der Atheistenpresse gutzustellen und zu diesem Zweck die eigene Kirche so weit zu verweltlichen, dass sie noch in irgendeiner Nische einer gottlosen Gesellschaft ein geduldetes Dasein fristen kann. Nur ja keinen Anstoß erregen, sonst könnte ja jemand aus der Kirche austreten!

Nun, das Christentum ist eine anstößige Religion, sonst wäre deren Stifter nicht gekreuzigt worden. Das Christentum kann zwar nicht das Paradies auf Erden errichten, weil zu seinen Grundlagen das Wissen gehört, dass dergleichen nicht möglich ist; genau dadurch unterscheidet es sich von totalitären Heilslehren. Das Christentum verkörpert die Präsenz des Heiligen in einer unheilen Welt – mehr kann es nicht, weniger darf es nicht. Das setzt freilich voraus, dass es seine eigene Integrität wahrt und nicht jede pseudoreligiöse Gefühlsduselei, nicht jede blauäugige Weltumarmung, nicht jedes „Seid nett zueinander“ als „christlich“ durchgehen lässt.

Was das Christentum aber ist, warum Glaube und Vernunft zusammengehören, warum es ein Weg nicht nur zum Heil, sondern auch zur Erkenntnis ist, das zu definieren dürfte kaum einer berufener sein als der gegenwärtige Papst, und dies nicht kraft seines Amtes, sondern kraft seines Geistes.
Der Journalist Peter Seewald hat schon 2002 mit dem damaligen Kardinal Ratzinger das Gesprch geführt, das unter dem Titel „Gott und die Welt“ seitdem mehrfach aufgelegt worden ist. Anders als Ratzingers ebenfalls lesenswerte „Einführung in das Christentum“ ist „Gott und die Welt“ nicht als systematisch durchgearbeitetes Gedankengebäude konzipiert; vielmehr entsteht durch die dialogische Form gleichsam ein Mosaik des Christlichen. Seewalds Fragen behandeln praktisch alle Aspekte, die für die christliche, speziell die katholische Lehre von Bedeutung sind. Ratzingers Antworten sind dabei in gewissem Sinne nicht abschließend, sie laden zum Weiter- und Tieferdenken ein: ein Buch für intelligente Leute, aber kein theologisches Fachtraktat.

Um dies zu konkretisieren, aber auch weil einige Aspekte unserer Debatte um meinen Artikel „Die Wurzel des Totalitarismus“ darin thematisiert werden, zitiere ich abschließend einige Passagen (nach der Taschenbuchausgabe des Knaur Verlages von 2005; darauf beziehen sich auch die angegebenen Seitenzahlen):

[Seewald:] Andererseits gibt es Bibliotheken von Büchern und gewaltige Theorien, die versuchen, diesen Glauben zu widerlegen. Auch der Glaube gegen den Glauben scheint also prinzipiell vorhanden zu sein, ja sogar etwas Missionarisches zu haben. Die größten Menschheitsexperimente der bisherigen Geschichte, Nationalsozialismus und Kommunismus, waren darauf angelegt, den Glauben an Gott ad absurdum zu führen und aus den Herzen der Menschen herauszureißen. Und das wird nicht der letzte Versuch gewesen sein.

 

[Ratzinger:] Deswegen ist ja der Glaube an Gott nicht ein Wissen, so wie ich Chemie oder Mathematik erlernen kann, sondern bleibt Glaube. Das heißt er hat durchaus eine rationale Struktur … . Er ist nicht einfach irgendeine dunkle Sache, auf die ich mich einlasse. Er gibt mir Einsicht. Und es gibt einsichtige Gründe genug, ihm anzuhängen. Aber er wird nie zu reinem Wissen.  (…) [S. 36f.]

 

[Seewald:] Gerade Naturwissenschaftler haben Gott und Glauben immer wieder zum Thema gemacht. (…) Isaac Newton zum Beispiel, der Begründer der theoretischen Physik, sagte: „Die wunderbare Einrichtung und Harmonie des Weltalls kann nur nach dem Plane eines allmächtigen und allwissenden Wesens zustandegekommen sein. Dies ist und bleibt meine letzte und höchste Erkenntnis. (…)  Und der Italiener Guglielmo Marconi … sagte es so: „Ich erkläre mit Stolz, dass ich gläubig bin. Ich glaube an die Macht des Gebetes. Ich glaube nicht nur als gläubiger Katholik daran, sondern auch als Wissenschaftler.“

 

[Ratzinger:] Sicher, wir stürzen uns nicht in ein abergläubiges Abenteuer, wenn wir Christen werden. Nur würde ich zwei Vorbehalte anbringen: Der Glaube ist nicht in dem Sinne verstehbar, dass er wie eine mathematische Formel vollständig für mich durchschaubar wäre, sondern greift in immer tiefere Schichten, in das Unendliche Gottes hinein, in das Mysterium der Liebe. In diesem Bereich gibt es dann eine Grenze dessen, was man bloß denkend verstehen kann. Vor allem, was man als begrenzter Mensch verstehen und verständlich vollkommen aufarbeiten kann.

 

Wir können schon einer den anderen Menschen nicht ganz verstehen, weil das in tiefere Gründe hinabgeht, als wir sie verständlich nachrechnen können. Wir können letztlich auch die Struktur der Materie nicht verstehen, sondern immer nur bis zu einem bestimmten Punkt kommen. Umso mehr ist einsichtig, dass wir das, was uns in Gott und im Wort Gottes entgegentritt, letztlich nicht dem Verstand unterwerfen können, weil es weit darüber hinausgeht.

 

In diesem Sinne lässt sich Glauben eigentlich auch nicht beweisen. Ich kann nicht sagen, wer das nicht annimmt, der ist eben blöd. Zum Glauben gehört ein Lebensweg, in dem sich das Geglaubte allmählich durch Experiment bewährt und in seiner Ganzheit als sinnvoll erweist. Es gibt also vom Verstand her Annäherungen, die mir das Recht geben, mich darauf einzulassen. Sie geben mir die Gewissheit, dass ich mich nicht irgendeinem Aberglauben überantworte. Aber eine erschöpfende Beweisbarkeit, wie ich sie für die Naturgesetze haben kann, die gibt es nicht. [S. 53f.]

 

[Seewald:] Aber dieser jüdisch-christliche Gott zeigt sich doch auch zornig.

 

[Ratzinger:] Der Zorn Gottes ist Ausdruck dafür, dass ich der Liebe, die Gott ist, entgegengelebt habe. Wer von Gott weg lebt, wer vom Guten weg lebt, lebt damit in den Zorn hinein. Wer aus der Liebe herausfällt, begibt sich ins Negative. Es ist also nicht etwas, was irgendein herrschsüchtiger Diktator einem draufschlägt, sondern es ist lediglich der Ausdruck für die innere Logik eines Handelns. Wenn ich aus dem, was meiner Schöpfungsidee gemäß ist, wenn ich aus der Liebe, die mich trägt, herausgehe, na ja, dann falle ich halt ins Leere, ins Dunkle hinein. Dann bin ich sozusagen nicht mehr im Raum der Liebe, sondern in einem Raum, den man als den Raum des Zornes ansehen kann.

 

(…) „Strafe Gottes“ ist in Wirklichkeit ein Ausdruck dafür, den richtigen Weg zu verfehlen und damit dann die Konsequenzen zu spüren zu bekommen, die sich ergeben, wenn ich auf die falsche Spur trete und damit aus dem richtigen Leben herauslebe. [S. 113]

 

[Seewald:] Sind diese „Urevidenzen des Alls“, diese „Grundgesetze des Lebens“, die wir offensichtlich immer wieder ignorieren oder vergessen, in den uralten Mythen von Sintflut, Turmbau zu Babel oder Sodom und Gomorrha enthalten? Ist die Botschaft dieser Geschichten in Wahrheit eine Art Überlebenswissen für die ganze Menschheit?

 

[Ratzinger:] (…) In diesen Erzählungen werden uns sehr spezifische Botschaften entschlüsselt. Denken wir zum Beispiel an den babylonischen Turmbau, mit dem sich der Mensch durch die Technik eine Einheitszivilisation verschaffen will. Er will den an sich ja richtigen Traum der einen Welt, der einen Menschheit, durch die Macht des eigenen Könnens und Bauens herbeiführen und versucht über den Turm, der zum Himmel reicht, selber die Macht zu ergreifen und zum Göttlichen vorzustoßen. Im Grunde ist es das Gleiche, was auch der Traum der modernen Technik ist: göttliche Macht zu haben, an die Schaltstellen der Welt zu kommen. Insofern liegen in diesen Bildern wirklich Warnungen aus einem Urwissen heraus, die uns anreden.

 

[Seewald:] Bleiben wir beim Turm von Babylon. Die Bibel gibt hier eine merkwürdige Auskunft: „Der Herr sprach, siehe, sie sind ein Volk, und nur eine Sprache haben sie alle. Das ist aber erst der Anfang ihres Tuns. Nichts von dem, was sie vorhaben, wird ihnen unmöglich sein. Wohlan, lasst uns hinabsteigen! Wir wollen dort ihre Sprache verwirren, dass keiner mehr die Rede des anderen versteht.“ Hört sich eigentlich nach Willkür an.

 

[Ratzinger:] Ja, fast nach dem Neid Gottes, der den Menschen nicht hochkommen lassen will. Natürlich finden wir hier eine Bildsprache, die aus dem Material schöpft, das Israel damals verfügbar gewesen ist. Gewisse heidnische Elemente sind darin nicht vollkommen ausgetrieben, sie konnten erst im Lauf der Auslegungsgeschichte ganz überwunden werden. Worauf es freilich ankommt, ist nicht, dass Gott Angst hat, der Mensch könnte zu groß werden und ihm seinen Thron streitig machen, sondern dass er sieht, wie der Mensch, indem er sich eine falsche Höhe zulegt, sich selber zerstört.

 

Wir können dieses Bild vielleicht so entschlüsseln: In Babel ist die Einheit der Menschheit und der Versuch, selber Gott zu werden und dessen Höhe zu erreichen, ausschließlich an das technische Können gebunden. Eine Einheit auf dieser Basis aber, wird uns nun gesagt, die trägt nicht, die wird zur Verwirrung.

 

Wir können diese Lehre in der heutigen Welt gut nachvollziehen. Einerseits gibt es diese Einheit. Die Stadtkerne sehen in Südafrika so aus wie in Südamerika, wie in Japan, wie in Nordamerika und in Europa. Es werden überall die gleichen Jeans getragen, die gleichen Schlager gesungen, die gleichen Fernsehbilder angesehen und die gleichen Stars bewundert. Insofern gibt es so etwas wie eine Einheitszivilisation bis hin zu McDonalds als dem Einheitsfutter der Menschheit.

Während nun diese Uniformierung im ersten Augenblick wie eine Art Versöhnungskraft richtig und gut zu sein scheint – genau wie die Einheitssprche im babylonischen Turmbau -, wächst gleichzeitig die Entfremdung der Menschen voneinander. Sie kommen sich nicht wirklich näher. Wir erleben stattdessen eine Zunahme der Regionalismen, den Aufstand der verschiedenen Zivilisationen, die jede nur noch sie selber sein wollen, oder sich von den anderen unterdrückt fühlen.

[Seewald:] Ist das ein Plädoyer gegen die Einheitszivilisation?

[Ratzinger:] Ja, weil man in ihr das Eigentliche und Eigene verliert. Hier geht die tiefere Kommunikation der Menschen untereinander verloren, die nicht durch diese oberflächlichen, äußeren Verhaltensformen und durch die Beherrschung der gleichen technischen Apparaturen geschaffen werden kann. Der Mensch reicht eben viel tiefer. Wenn er sich nur in dieser Oberfläche vereinigt, rebelliert zugleich das Tiefe in ihm gegen die Uniformierung, in der er sich dann doch selber als versklavt erkennt.

Man kann sagen, dass im Bild des babylonischen Turmbaus eine Form von Vereinigung von Welt- und Lbensverfügung des Menschen kritisch betrachtet wird, die nur scheinbar Einheit stiftet und nur scheinbar den Menschen erhöht. In Wirklichkeit beraubt sie ihn seiner Tiefe und seiner Höhe. Sie macht ihn zudem auch gefährlich, weil er einerseits sehr viel kann, andererseits aber sein moralisches Vermögen seinem technischen Vermögen nicht standhält. Die moralische Kraft ist nicht mitgewachsen mit den Fähigkeiten des Machens und des Zerstörens, die der Mensch entwickelt hat. Das ist der Grund, warum Gott gegen diese Art von Vereinigung einschreitet … [S. 152 ff.]

Die Wurzel des Totalitarismus

Und ich sah, daß das Lamm der Siegel eines auftat; und hörte der vier Tiere eines sagen wie mit einer Donnerstimme: Komm!

Und ich sah, und siehe, ein weißes Pferd. Und der daraufsaß, hatte einen Bogen; und ihm ward gegeben eine Krone, und er zog aus sieghaft, und daß er siegte.

Und da es das andere Siegel auftat, hörte ich das andere Tier sagen: Komm!

Und es ging heraus ein anderes Pferd, das war rot. Und dem, der daraufsaß, ward gegeben, den Frieden zu nehmen von der Erde und daß sie sich untereinander erwürgten; und ward ihm ein großes Schwert gegeben.

Und da es das dritte Siegel auftat, hörte ich das dritte Tier sagen: Komm! Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Pferd. Und der daraufsaß, hatte eine Waage in seiner Hand.

Und ich hörte eine Stimme unter den vier Tieren sagen: Ein Maß Weizen um einen Groschen und drei Maß Gerste um einen Groschen; und dem Öl und Wein tu kein Leid!

Und da es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme des vierten Tiers sagen: Komm!

Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der daraufsaß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen ward Macht gegeben, zu töten das vierte Teil auf der Erde mit dem Schwert und Hunger und mit dem Tod und durch die Tiere auf Erden.

(Apokalypse, Kap. 6, V.1-8)

Ist es eigentlich sinnvoll, in politischen Zusammenhängen die Begriffe „Gut“ und „Böse“ zu gebrauchen? Unwillkürlich wird man die Frage verneinen wollen: Das Böse kann man im politischen Bereich ja schwerlich anders denn als Attribut konkreter Akteure benennen, die folgerichtig als „die Bösen“ zum Abschuss freigegeben sind, und denen gegenüber man sich über moralische und rechtliche Normen getrost hinwegsetzen darf. Auf den ersten Blick sieht es also so aus, als wäre der Begriff des Bösen kaum mehr als ein demagogischer Kniff, ein manichäisches Schwarz-Weiß-Denken zu propagieren, das in einer demokratischen Gesellschaft nichts zu suchen hat.

Stutzig machen sollte allerdings, dass Viele, die theoretisch so argumentieren, in der Praxis sehr wohl eine Vorstellung vom „Bösen“ haben, und dass man dies eben daran erkennt, dass sie bestimmten Feinden gegenüber von Recht und Moral nichts wissen wollen. Wie sehr etwa die Figur des „Neonazis“ als Feindbild taugt, das jeden Rechtsbruch legitimiert, konnten wir zum wiederholten Male jüngst am 1.Mai besichtigen.

Vermutlich werden die Betreffenden argumentieren, dass sie sich ja nicht aus bloßem Hass so verhalten, sondern um einem bestimmten Gesellschaftsideal zu dienen: der offenen, demokratischen, toleranten, von einem liberalen Standpunkt aus also der schlechthin guten Gesellschaft.

Es scheint also, als sei es die Vorstellung vom „Guten“, das – in Gestalt seiner Negation – automatisch das Feindbild des „Bösen“ erzeugt. Ist das aber immer und unvermeidlich so, und muss man deswegen nicht als aufgeklärter Mensch jeden Begriff von Gut und Böse aus der politischen Sprache verbannen? Ich sage: Nein. Und ich füge hinzu, dass bereits der bloße Versuch geradewegs in totalitäres Denken führt.

Wie auch immer man es verkleidet, und in welchem Vokabular auch immer man es ausdrückt: Der Mensch, sofern er nicht einfach ein politisches Neutrum ist, kommt nicht daran vorbei, die Werte und Ziele, die er selbst für richtig, für wünschenswert, für human, für befreiend etc. hält, als „gut“ zu beschreiben. Und wenn er nicht alle anderen Ziele und Werte als „böse“ abstempeln möchte, dann liegt die klassische liberale Lösung darin, ein System zu etablieren, innerhalb dessen niemand „böse“ ist, sondern legitimerweise Alle miteinander konkurrieren: In der Innenpolitik durch die liberale Verfassung, in der internationalen Politik durch Etablierung eines allgemeinverbindlichen Regelwerks, aber auch in den interreligiösen Beziehungen durch Propagierung wechselseitiger Toleranz und Negierung exklusiver Wahrheitsansprüche der einzelnen Religionen.

Wer ein solches System für etwas Gutes hält, erklärt implizit alles für böse, was ihm feindlich gesinnt ist:

  • in der Innenpolitik also sogenannte Verfassungsfeinde: Da eine liberale Verfassung deren Bekämpfung freilich Grenzen setzt, liegt eine gewisse Folgerichtigkeit darin, dass sogenannte Demokraten die verfassungsrechtliche Ordnung durch den Appell an den Mob umgehen.
  • in der internationalen Politik alle Staaten, die das vorgegebene Regelwerk ablehnen und verletzen (selbst wenn denen womöglich gar nichts anderes übrigbleibt): Deren Bekämpfung verletzt dann nicht selten ihrerseits das Völkerrecht.
  • in den interreligiösen Beziehungen alle Religionen, die auf einem exklusiven Wahrheitsanspruch beruhen; womit freilich der Charakter von Religion schlechthin in Frage gestellt wird: Religionen werden toleriert, solange ihre Anhänger nicht wirklich an sie glauben; tun sie es doch, sind sie „Fundamentalisten“, die die Religion „missbrauchen“ und die entsprechend zu bekämpfen sind. Die wachsende Aggressivität, mit der religionsfeindliche Positionen vertreten werden, hat hier ihre Wurzeln.

Die Dichotomie von Gut und Böse verschwindet also nicht und wird durch ein liberales System keineswegs neutralisiert. Die Front wird an die Systemgrenzen verlagert, aber sie bleibt als solche bestehen.

Wenn aber die Unterscheidung von Gut und Böse als solche nicht aus der Welt zu schaffen ist, wie unterscheidet man dann das Gute vom Bösen? Gilt es bloß, eine mehr oder minder willkürliche Entscheidung zu treffem, dass Dieses gut und folgerichtig Jenes böse sei? Und wie verhindert man, dass man bei der Bekämpfung des so definierten Bösen sich seinerseits böse verhält? Kann man das überhaupt?

Manch einer wird mir bis hierher mit einer gewissen Ungeduld gefolgt sein. Was, so könnte man fragen, soll es denn bringen, politische Fragen in moralischen, letztlich religiösen Kategorien zu beschreiben? Und welcher Teufel reitet denn mich, einen Sozialwissenschaftler, religiöse Begriffe in die Gesellschaftsanalyse einzuführen? Der Grund ist Folgender:

Je tiefer ich mich mit den Grundlagen menschlicher Gesellschaft und ihrer Gefährdung auseinandersetze, desto klarer gelange ich (und zwar durchaus zu meiner Verblüffung) zu Erkenntnissen, die vom Christentum, teilweise auch bereits vom Judentum, schon immer als Wahrheiten behauptet worden sind.

Selbstverständlich kann der Glaube nicht die empirische Analyse ersetzen, allein schon deshalb, weil ich ja auch die Nichtglaubenden überzeugen will. Es bedeutet aber einen fundamentalen Unterschied, ob die Gesellschaft als Ganze die Wahrheit des Christentums als erkenntnisleitende Vermutung behandelt, oder ob für sie der methodische Atheismus der Wissenschaft die Vermutung auf seiner Seite hat, Wahrheit hervorzubringen.

Letzteres ist momentan offenkundig der Fall: Von der Religion erwartet man sich bestenfalls ein wenig Seelentrost, aber gewiss keine Erkenntnisse, die einem helfen können, mehr als das eigene individuelle Leben zu ordnen. Zutreffende Aussagen über die Gesellschaft aus der Bibel abzuleiten – das kann doch nur schiefgehen. Oder?

Wie schon gesagt: Glaube ersetzt keine Analyse, aber kann bei der Synthese helfen. Wissenschaft funktioniert ja nach einem bestimmten Modus: Erst wird die Hypothese entworfen, dann wird sie getestet. Eine Wahrheit, die gar nicht erst als Hypothese formuliert wird, kann es nicht zu wissenschaftlichen Weihen bringen.

Nun zeichnen sich alle mit der Gesellschaft befassten Wissenschaften bereits fachbedingt durch einen begrenzten Horizont aus, wie man besonders schön an der hypothetischen Hilfskonstruktion der Wirtschaftswissenschaftler, dem homo oeconomicus, ablesen kann; es gilt aber in ähnlicher Weise für die je fachspezifischen Perspektiven von Soziologen, Historikern, Psychologen etc., die jede für sich einen Teilaspekt des Menschlichen behandeln.

Der Rückgriff auf eine umfassende Anthropologie, die Frage, was den Menschen zum Menschen macht und wie sich das auf seine sozialen Beziehungen auswirken muss, wird allenfalls philosophisch gestellt, findet aber kaum Eingang in die Hypothesenbildung der empirischen Sozialwissenschaften, es sei denn in der entstellten Form jener Utopien, die nicht selten die unausgesprochene Voraussetzung gesellschaftswissenschaftlicher Forschung darstellen – sei es in der liberalen Variante, die eine Gesellschaft aus nutzenmaximierenden homines oeconomici als Idealzustand zunächst im Gedankenexperiment postuliert, um gleich anschließend ihre (wirtschafts-)politische Verwirklichung zu fordern, sei es in einer mehr oder minder marxistischen Form, der die Utopie einer Gesellschaft der Gleichen zugrundeliegt, und die die vorhandenen Strukturen in erster Linie zu dem Zweck erforscht, ihre Zerstörung zu legitimieren.

In jedem Fall bleibt das christliche Menschenbild und der ihm zugrundeliegende Glaube bereits aus der Hypothesenbildung ausgeschlossen, und genau hier liegt der Grund dafür, dass solche Wissenschaft immer häufiger Ergebnisse hervorbringt, von denen jede Putzfrau weiß, dass sie falsch sein müssen. Nichtsdestoweniger monopolisiert diese Art Wissenschaft für sich die grundlegende Art, wie die Gesellschaft sich selbst beschreibt.

Es ist also keineswegs der Versuch, krampfhaft durch eine christliche, meinetwegen auch „fundamentalistische“ Brille zu sehen, wenn ich sage, dass die Synthese vieler einzelner Teilerkenntnisse mich dorthin geführt hat, wo die Kirche schon immer war. Konkretisieren möchte ich das nun anhand der Frage, woran man das Böse in der Politik erkennt:

Die jüdisch-christliche Apokalyptik hat vor dem historischen Hintergrund der antiken Großreiche eine sehr konkrete Vorstellung vom geschichtstheologisch Bösen entwickelt. Da ich mich damit unlängst (in „Israel und der Globalismus“) bereits auseinandergesetzt habe, zitiere ich hier einige Passagen:

Die Gestalt des Antichristen als Verkörperung des Bösen wird normalerweise mit dem „Tier“ aus der Apokalypse (der Offenbarung des Johannes, des letzten Buches des Neuen Testaments) identifiziert. Die Apokalypse lehnt sich dabei inhaltlich und stilistisch an die jüdische apokalyptische Tradition an, insbesondere an das Buch Daniel (Kap. 7-11).

(…) Die Endzeitvisionen des Buches Daniel gehören in den Kontext des Makkabäeraufstandes gegen das Seleukidenreich, in einem erweiterten Sinne also gegen die Hellenisierung des jüdischen Volkes und seiner Religion. Der Kampf gegen sein Auflösung in seiner heidnischen hellenistischen Umgebung und der Kampf gegen seine religiöse „Hellenisierung“ gehören zusammen. Im Seleukidenreich hatten die Juden einen Feind, der beides angriff, das jüdische Volk und seinen Gott.

In diesem Text taucht erstmals das Motiv vom Reich Gottes auf, das als das Reich des Guten den irdischen Reichen des Bösen gegenübergestellt wird, zunächst also dem Seleukiden-, später dem Römerreich. „Böse“ waren diese Reiche im doppelten Sinne: einmal, indem sie das jüdische Volk unter Druck setzten, in einer größeren Einheit aufzugehen, zum anderen durch ihre kompromisslose Diesseitigkeit. Bleiben wir beim Römischen Reich mit seinen Gladiatorenspielen, seiner Sklaverei, seiner schamlosen Sinnlichkeit, mit einem Wort: seiner offenkundigen Gottlosigkeit. Dieses Reich kannte Religion nur in zweierlei Formen: einmal als Staatskult mit rein politischen Funktionen, zum anderen als privaten fröhlichen Aberglauben, der einem durchs Leben half; da wechselte man schon einmal die Götter.

Tolerant war diese Art von „Religiosität“ durchaus: Für antike Großreiche und ihre Herrscher wäre nichts sinnloser gewesen als ein Religionskrieg. Was war denn schon dabei, die Götter unterworfener Völker anzuerkennen, wenn man sich dadurch deren wenigstens passive Loyalität sichern konnte? Und was war, aus der Sicht dieser Völker, schon dabei, dem römischen Staatskult Lippendienste zu leisten, wenn die Obrigkeit dieses Zeichen der Ergebenheit nun einmal haben wollte? Dass die tiefe Gottesfurcht der Juden („Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, 2. Mose 20,3), später auch der Christen mit solcher „Religiosität“ kollidieren musste, versteht sich.

Dabei ist schwer zu erkennen, wie ein Großreich anders hätte funktionieren sollen; kaum vorstellbar, wie ein solches Gebilde nicht auf zuerst die Entschärfung und dann Einebnung und Verschmelzung völkischer, kultureller und religiöser Identitäten hätte hinarbeiten sollen; deren Betonung, erst recht ihre politische Aufladung hätte ja geradezu seinen Bestand gefährdet.

(…)

Der heutige Globalismus mit seiner Tendenz zur Verschmelzung der Völker, zur Entkernung der Religionen, zur Banalisierung des vormals Heiligen zeigt frappierende Parallelen zu dem, was man den „Globalismus“ des antiken Rom nennen könnte, des „Tieres“ der Apokalypse.“

Das Programm des heutigen Globalismus, die Entstrukturierung der Welt, die Atomisierung der Gesellschaft und die Ökonomisierung der sozialen Beziehungen, basiert auf der Zerstörung solidaritätsstiftender Strukturen, insbesondere der Institutionen der Familie, des Volkes und der Religion. Damit fällt ihm auch die friedens- und ordnungserhaltende Funktion dieser Institutionen zum Opfer. Der große Krieg – der Völkerkrieg, auch der Religionskrieg – wird damit zwar unmöglich gemacht (außer in der Gestalt des Dschihad, denn der Islam – soviel ist bereits erkennbar – wird sich nicht vom Globalismus einschmelzen lassen), aber an seine Stelle tritt nicht der Frieden, sondern das, was Enzensberger in einer gelungenen Formulierung den „molekularen Bürgerkrieg“ genannt hat. Sofern der Globalismus sich durchsetzt, werden dessen Eliten es zwar schaffen, den Großgruppenkonflikt zu unterdrücken (und zwar mit einem System totalitärer Gedankenkontrolle), aber nicht die anarchischen Formen der Gewalt: den Krawall, die Plünderung, den Vandalismus, den Straßenraub, die Gruppenvergewaltigung. Die Gesellschaft des globalistischen Systems ist von George Orwell vorgezeichnet worden: An der Spitze eine Elite von Herrschern, die kontrollieren, was die Gesellschaft als „wahr“ zu akzeptieren hat, ein Mittelbau von technisch Ausführenden, und der große Rest der Menschheit, bestehend aus Menschen, die täglich um ihr Leben kämpfen und dabei vor immer weniger zurückschrecken. Das hehre Ziel der Nichtdiskriminierung wird dabei zweifellos verwirklicht werden: Es wird erreicht sein, wenn jeder Mensch unterschiedslos jedes anderen Feind ist. (Es sei denn, der Islam springt als Ordnungsmacht in die Bresche.)

Zu welchem Maß an Brutalität der liberale Globalismus fähig ist, haben bereits viele Völker, darunter unser eigenes, zuletzt die Iraker, am eigenen Leibe erfahren müssen; seine zerstörerische Kraft wird sich in dem Maße nach innen wenden, wie er sich verallgemeinert. Wenn man das Böse in der Politik an der Höhe der Leichenberge messen möchte, die es hinterlässt – zugegebenermaßen ein grobes Maß -, dann liegt der Globalismus hinter dem Kommunismus, dem Nationalsozialismus und dem Islam noch ein wenig zurück, aber er liegt gut im Rennen, und sein destruktives Potenzial ist noch lange nicht ausgereizt.

Die naheliegende Frage lautet nun: Wenn der liberale Globalismus in diesem Sinne böse ist, ist dann etwa einer seiner Gegenspieler automatisch gut? Und finden wir das schlechthin Gute, wenn wir Kommunisten, Nazis oder Moslems werden?

Kommunisten, Nazis und Moslems werden diese Frage zweifellos bejahen. Auch wenn es sich eigentlich erübrigt, diesen Anspruch zu widerlegen, möchte ich doch kurz darauf eingehen, warum er falsch sein muss:

Beginnen wir mit dem Islam. Das Höchste und Heiligste, was ein Moslem tun kann, ist, nach dem Zeugnis des Korans und der Prophetenüberlieferung, sein Leben im Kampf für Allah zu opfern, und das höchste Ziel des Islam ist seine eigene in der Regel gewaltsame Ausbreitung mit dem Ziel der Weltherrschaft. Dass eine solche Religion Bilder wie dieses hervorbringt,

und Anhänger hat, die solche Bilder bejubeln, ist nicht Zufall oder ein „Missbrauch“ des Islam, sondern seine notwendige Konsequenz. Der Islam hat de facto, auch wenn er es nicht so nennt, das Menschenopfer wieder eingeführt, nachdem es bereits abgeschafft gewesen war. Dass eine solche Religion in einem elementaren Sinne böse ist, und dies nicht, weil sie nicht christlich ist, sondern weil sie die Heiligkeit des menschlichen Lebens negiert, liegt auf der Hand.

Der Kommunismus teilt mit seinem feindlichen Zwilling, dem liberalen Globalismus das Ziel, die Werte und Strukturen, auf denen Gesellschaft beruht, zu zerschlagen – ein Ziel, das er mit Massenmorden in bis dato ungekanntem Ausmaß verfolgt hat. Die russische und chinesische Gesellschaft laborieren bis heute an den Folgen.

Der Nationalsozialismus war eine Ideologie, die darauf abzielte, alle Bremsen zu lösen, die die Leistungsfähigkeit der – rassisch definierten – Volksgemeinschaft hemmten. Zu diesen Bremsen gehörten auch Recht, Anstand, Moral, Kultur und Gewissen – alles Dinge, die den Imperativen des Regimes zu weichen hatten. Seine monströsen Verbrechen hatten ihre Wurzel in einem sich immer mehr steigernden Kollektivehrgeiz, der keine Schranken kannte.

Wenn aber die vier maßgeblichen politischen Ideologien unserer Zeit allesamt böse sind – was um alles in der Welt soll dann das Gute sein? Das Christentum ist schließlich keine politische Ideologie und kann es auch nicht sein. Wenn man sich aber doch irgendwie zur politischen Welt verhalten muss, muss man sich nicht doch – zumindest im Grundsatz und mit mehr oder weniger großen Vorbehalten – einer dieser Ideologien anschließen?

Es ist wichtig zu sehen, dass sie nicht einfach nur böse sind. Man muss sich das Gute, dass in allen vieren enthalten ist, bewusst machen, um zu erkennen, worin das spezifisch Böse liegt:

Der liberale Globalismus hat Vieles hervorgebracht, was überhaupt nicht verachtenwert ist: die offene Gesellschaft (die ich selbst umso mehr verteidige, als ich erkenne, dass der Liberalismus, der sie hervorgebracht hat, sie unter sich begraben wird, und zwar in dem Maße, wie er zur totalitären Heilslehre degeneriert), den liberalen Verfassungsstaat, den Abbau unnötiger Handelshemmnisse usw. Dass er einer Dialektik unterliegt, aufgrund deren viele dieser Errungenschaften wieder unter die Räder kommen werden, ändert nichts daran, dass es diese Errungenschaften gibt, und dass der Westen mit diesem System zur führenden Weltzivilisation geworden ist.

Der Kommunismus war nicht nur, aber doch auch der Versuch, unterdrückten und gedemütigten Menschen zu einem menschenwürdigen Dasein zu verhelfen. In seiner gemäßigten sozialdemokratischen Variante hat er viel dazu beigetragen, dass die Selbstzerstörungskräfte des liberal-kapitalistischen Systems im Zaum gehalten wurden. Und dass Marx etliche treffende Erkenntnisse formuliert hat, habe ich schon an anderer Stelle gewürdigt.

Der Islam wiederum besteht ja nicht nur aus dem Dschihad, auch wenn der sein Kern ist, sondern enthält viele Elemente, die jeweils für sich genommen durchaus ehrenwert sind: Ich kann nichts verkehrt daran finden, fünfmal am Tag zu beten, in dem Bewusstsein zu leben, dass man sich für sein Handeln dereinst vor einer höheren jenseitigen Instanz wird rechtfertigen müssen, und dass menschliches Streben immer unter dem Vorbehalt des „Inschallah“ – so Gott will – steht. Nicht zuletzt hat er eine von seinen Anhängern als sinnvoll erfahrene Lebensordnung hervorgebracht, und das ist nicht wenig und nichts, das man gering achten sollte.

Und der Nationalsozialismus? Ja, ich weiß, es ist furchtbar Autobahn zu sagen, alles sei ja auch nicht schlecht gewesen – aber, meine Güte, es war ja wirklich nicht alles schlecht! Die Idee, dass jeder Deutsche seinem Land und seinem Volk dienen sollte, ist in keiner Weise verkehrt, und das Regime, das sie dazu gebracht hat, genau das zu tun, wurde nicht deshalb von siebzig Millionen Deutschen mehr oder weniger begeistert unterstützt, weil das alles Idioten oder Masochisten gewesen wären.

Das Böse ist also nicht einfach die Negation des Guten, es ist, wenn man so will, seine dialektische Negation: Das Gute wird durch das Böse pervertiert, aber es ist in dieser pervertierten Form eben auch darin enthalten. Die Pervertierung aber besteht darin, dass man etwas, was man durchaus zutreffend als etwas Gutes erkannt hat, zum absolut Guten erklärt, in dessen Namen alles, was ihm entgegensteht, zur Vernichtung freigegeben ist.

Es hat seinen Grund, dass alle vier Ideologien von einem leidenschaftlichen Hass gegen das Christentum wie das Judentum erfüllt waren bzw. sind. Beim Kommunismus, dem Nationalsozialismus und dem Islam ist das offenkundig, es gilt aber auch für den Globalismus, dem man das freilich nicht so sehr ansieht, weil er sich gegenwärtig noch in einem Stadium befindet, wo er beide Religionen, speziell aber das Christentum, kaputtzureden versucht. Die Repressalien, denen sich vor allem konservative Christen zunehmend ausgesetzt sehen – Juden werden noch eine Weile den zweifelhaften Schutz der Political Correctness genießen – sind erst der Anfang. Man muss sich nur den Hass vergegenwärtigen, mit dem etwa die Piusbrüder überzogen werden, um zu erkennen, dass der Märtyrertod auch in westlichen Ländern wieder in den Bereich des Möglichen gerückt ist.

Der Grund dafür liegt darin, dass beide Religionen – in ihrer authentischen, nicht degenerierten und korrumpierten Variante – darauf beharren, dass das Wort Gottes nicht zur Disposition steht. Das gilt für die Heiligkeit des menschlichen Lebens, es gilt aber vor allem für das Erste Gebot:

Du sollst keine Götter neben mir haben!

Wenn ich sage, dass alle vier Ideologien das von ihnen erkannte Gute absolut setzen, dann heißt das: Sie setzen es an die Stelle Gottes. Sie erzeugen Götzen, in deren Namen getötet (und gelogen und gestohlen) werden darf. Götzen, die etwas versprechen, was nach christlichem Glauben schlechterdings unmöglich ist, nämlich: das Reich Gottes auf Erden zu errichten!

Der Islam erhebt diesen Anspruch bekanntlich explizit, aber auch die anderen Ideologien peilen mit ihrem expliziten oder impliziten Utopismus einen Endzustand an, der ihnen als Erfüllung der Geschichte gilt. Vom christlichen Standpunkt betrachtet läuft dies auf die diesseitige Erlösung von der Erbsünde hinaus.

Der Begriff der Erbsünde meint die Verstrickung des Menschen in eine Welt, die es ihm unmöglich macht, einfach nur gut zu sein. Am Beispiel des Pazifismus mag man sich klarmachen, in welche Widersprüche man sich verwickelt, wenn man es versucht: Wer auf keinen Fall Gewalt anwenden will, nimmt die Herrschaft der Skrupellosen und Brutalen in Kauf – und dies ist kein Ergebnis, an dem man irgendetwas „Gutes“ finden könnte.

Es ist dieses Nichtakzeptieren menschlicher Unvollkommenheit und Verstrickung; der Versuch, das Gute mit aller Macht zu erzwingen; die Verabsolutierung von Teilwahrheiten auf Kosten der grundlegenden Wahrheiten des Menschseins; letztlich die Verneinung Gottes, die zur Anbetung totalitärer Götzen führt. Es gibt keinen Ausweg: Wer den einen Götzen verabscheut, kann sich einem anderen Götzen zuwenden, der ein ebenso blutsaufendes Monstrum ist – oder er kann in der Bibel nachlesen, warum das ein Fehler wäre.

Was er dabei findet, ist auch ein Weg zum Heil, aber eben nicht im Sinne einer totalitären Utopie. Er findet die Freiheit von den Utopien und Ideologien. Er wird nicht gezwungen sein, ihre Lügen für Wahrheiten zu halten. Es wird ihm, sofern er ein politischer Mensch, nicht erspart bleiben, sich die Hände schmutzig zu machen. Erspart bleiben wird ihm, sich den Geist schmutzig zu machen.

Lesebefehl!

Tom Buhrow tut etwas, was man von einem GEZ-Journalisten niemals erwartet hätte: Er redet Klartext. Lest die Übersetzung von Chripa bei Kewil (hier klicken!).  Hier nur ein Kostpröbchen:

Die meisten europäischen Regierungen wollten auf zwei Hochzeiten tanzen.- Nationalstaaten bleiben während sie wirtschaftliche Solidarität erwarteten. Das ist so, als würde jemand ein eigenes Bankkonto haben wollen und von seinem Nachbarn erwarten, ihn vor einer Überziehung des Kredits zu schützen.

Heute werden die Deutschen des Egoismus und des Nationalismus beschuldigt, weil sie zögern, anderen Ländern aus der Patsche zu helfen. Alte Anschuldigungen machen die Runde. Ist es das, was das europäische Projekt ausmacht, entweder Deutschland zahlt die Rechnung oder unsere Vergangenheit wird gegen uns in Stellung gebracht?

Fact – Fiction » Blog Archive » Buhrow, Buhrow, Buhrow – Übersetzung 2.

Armin Laschet und der Kampf gegen Links

Armin Laschet (CDU), von dem wir bei dieser Gelegenheit erfahren, dass er nicht nur „Integrationsminister“ ist, sondern auch auf anderen Politikfeldern, zum Beispiel als „Jugendminister“ sein Unwesen treibt,

will den Linksextremismus im Land stärker bekämpfen.

Kaum ist die CDU in NRW fünf Jahre an der Macht, schon fällt ihr ein, den Linksextremismus zu bekämpfen. Wir dürfen wohl annehmen, dass Laschet sein antikommunistisches Kämpferherz aus demselben Grund entdeckt hat, aus dem er, der Islamisierungsminister, sich unlängst für Kruzifixe in den Klassenzimmern erwärmt hat: In einer Woche ist Landtagswahl, und Konservative, auf deren Meinung die CDU sonst pfeift, taugen immer noch als Stimmvieh. Es kann nicht schaden, ihnen ein wenig nach dem Mund zu reden, auch wenn bereits die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass die CDU nach der Wahl eine Koalition mit den Grünen anpeilt; die ja bekanntlich ausgewiesene Experten für die Bekämpfung von Linksextremismus sind.

Will Laschet nun wenigstens gegen linksradikale Politkriminelle durchgreifen, die regelmäßig Autos anzünden und bei Demonstrationen randalieren? Nicht doch. Das ist nun gerade nicht gemeint. Die Rheinische Post schreibt weiter:

Laschet schlägt … in einem Fünf-Punkte-Plan beispielsweise neue Unterrichtsmaterialien vor, die über Linksextremismus aufklären. In Vorträgen und im Unterricht sollten „Linksextremismus und linke Ideologien“ besprochen werden. Zudem solle es Argumentations-Trainings speziell für junge Leute geben. Untersucht werden solle auch, ob sich „Erfolgsmodelle“ des Landes aus dem Kampf gegen Rechtsextremismus auf den Kampf gegen Links übertragen ließen. Ein Beispiel seien die „Präventionstage gegen Rechts“ für Schüler, sagte die Leiterin der Landeszentrale, Maria Springenberg-Eich. Laschet schlug außerdem lokale Bündnisse gegen Linksextremismus vor, die von Kommunalpolitikern, Schulleitern, Vereinen und Kirchen zusammengebracht werden könnten.

Beim Kampf gegen Linksextremismus sollen also dieselben Mittel wie beim Kampf gegen „Rechts“ angewendet werden (bei dem immer seltener Neonazis und immer öfter Rechtskonservative gemeint sind): Erstens Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Diskurs („lokale Bündnisse gegen Linksextremismus“), zweitens Indoktrination von Jugendlichen, die sich dagegen nicht wehren können, wenn ihnen ihre Noten lieb sind.

Auch wenn es nicht ernstgemeint ist (siehe oben), ist es doch bezeichnend für Laschets gestörtes Verhältnis zur freiheitlichen Demokratie; und wir können getrost unterstellen, dass er damit repräsentativ für die politische Kaste ist, der er angehört. Ich glaube, es lohnt sich, an bestimmte Dinge zu erinnern, die eigentlich selbstverständlich sind, angesichts des „Kampfes gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ und anderer quasitheokratischer Allüren besagter Kaste in Vergessenheit zu geraten drohen:

In einer Demokratie geht die politische Willensbildung vom Volke aus; dies zumindest ist die ihr zugrundeliegende Idee. Damit ist es unvereinbar, die Bekämpfung bestimmter politischer Meinungen regierungsamtlich zum Staatsziel zu erheben. Das Grundgesetz gibt dem Staat klar definerte rechtliche Mittel an die Hand, Organisationen zu bekämpfen, die seinen Bestand oder seine innere Ordnung bedrohen, Verbote zum Beispiel. Entgegen einer verbreiteten Legende aber fordert und erlaubt das Grundgesetz mitnichten den Ausschluss von Extremisten aus dem politischen Diskurs!

Politiker wissen das auch: Sie erfahren es spätestens dann, wenn ihre regelmäßigen Versuche, Neonazi-Demonstrationen zu verbieten, ebenso regelmäßig von den Gerichten abgeschmettert werden. Wenn sie trotzdem versuchen, bestimmte Meinungen als geradezu unsagbar zu stigmatisieren, so ist dies der zielstrebig unternommene Versuch, das Grundgesetz zu umgehen, seine Freiheitsgarantien zu entwerten und sein Demokratiemodell auszuhöhlen. Sie sind ganz einfach Verfassungsfeinde.

Es hat seinen Grund, dass Extremisten dieselben Freiheitsrechte genießen wie andere Bürger: Extremisten argumentieren von einem systemtranszendierenden Standpunkt und sehen deshalb manche Probleme unter Umständen klarer als Andere, die in systembedingter Betriebsblindheit befangen sind. Aus der Sicht des herrschenden Machtkartells freilich birgt politischer Extremismus vor allem stets eine Gefahr in sich: dass unbequeme Wahrheiten zur Sprache kommen.

Wer als Jugendlicher nicht hinreichend gegen Linksextremismus indoktriniert wurde ( um bei diesem Beispiel zu bleiben) könnte sich vielleicht fragen, ob an Marx‘ Beschreibung der bürgerlichen Demokratie – als eines Systems, in dem das Volk alle vier Jahre wählt, wer es im Parlament ver- und zertreten soll – etwas dran sein könnte? Ganz zu schweigen von Marx‘ Kritik an der kapitalistischen Globalisierung, die für ihn der gerade Weg in die Barbarei war. Dass Marx‘ Therapie, der Sozialismus, nichts taugte, heißt ja nicht, dass die Diagnose falsch war.

Systemtranszendierende Kritik – ob von rechts oder von links – macht die Interessen der globalistischen Eliten als solche sichtbar und hinterfragbar. Deshalb muss der Kritiker geächtet werden. Sich mit ihm auseinanderzusetzen hieße, politische Alternativen wenigstens hypothetisch zuzulassen, „Sonderwege“, die vom alleinseligmachenden Pfad der kapitalistischen Globalisierung wegführen könnten.

Für Konservative besteht also keinerlei Anlass zur Freude darüber, dass die CDU jetzt auch den Linksextremismus verstärkt aufs Korn nehmen will, schon gar kein Anlass zu schäbiger Schadenfreude nach dem Motto „Jetzt kriegen die Linken endlich auch mal was auf den Deckel“.

Unter Konservativen sollte unstrittig sein, dass ein Unrecht das andere nicht aufwiegt, sondern verdoppelt. Und sie sollten sich bewusst sein, dass der „Kampf gegen Linksextremismus“, wenn er denn geführt wird, von denselben Leuten und aus denselben Gründen geführt wird wie der „Kampf gegen Rechts“.

Hans Küng und die Freimaurer

Hans Küng ist allem Anschein nach nur deshalb noch nicht aus der Kirche ausgetreten, weil ein nichtkatholischer „Kirchenkritiker“ bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit erfährt wie ein katholischer. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, ob Küngs Theologie katholisch, sondern ob sie überhaupt christlich ist.

Sein von ihm vielgelobtes „Projekt Weltethos“ weist jedenfalls eine so deutliche Tendenz zur Entkernung von Religion auf, dass ich mich gestern veranlasst sah, spaßeshalber die Worte „Küng Freimaurer“ zu gugeln. Und siehe da: 2007 erhielt er den Kulturpreis der Freimaurer und hielt bei dieser Gelegenheit eine in jeder Hinsicht denkwürdige Rede:

Sehr herzlich danke ich Ihnen, lieber Fritz Pleitgen…

Schon der Anfang ist interessant, nicht wahr?

…und verehrter Großmeister Oberheide…

– der heißt wirklich so –

…für das hohe Lob, das Sie mir zukommen lassen. Da kommt mir unwillkürlich jener schwäbische Pfarrer in den Sinn, der in einer solchen Feierstunde sagte:

„Verzeih‘ Ihnen, Herr, daß Sie so sehr übertreiben; und verzeihe mir, Herr, daß ich so sehr Wohlgefallen daran finde.“

Aber Sie brauchen sich, meine sehr geehrten Freimaurer, meine Damen und Herren, um meine bleibende Nüchternheit und Bescheidenheit keine Sorge zu machen. Denn Sie können sich denken: Ihr Lob wird von anderer Seite sicher mit entsprechendem Mißverständnis und Tadel beantwortet. Jahrzehntelang mußte ich das Mißverständnis dementieren, daß ich Jesuit sei. Zwar bin ich an der Päpstlichen Universität Gregoriana und im Collegium Germanicum von Jesuiten ausgebildet worden und bin bis heute dankbar dafür. Aber ich bin niemals Jesuit geworden. Ich mußte sogar einen feierlichen Eid ablegen, nicht in die Gesellschaft Jesu einzutreten, sondern in meine Heimatdiözese Basel zurückzukehren. Aber nun werde ich wohl noch Jahre dementieren müssen, ich sei Freimaurer geworden, was nun einmal für manche konservative Katholiken noch immer eine höchst verdächtige Angelegenheit ist und Munition für ihre gelegentlichen Attacken zu sein verspricht.

Warum erinnert mich diese rhetorische Figur („Ich werde dementieren müssen, ich sei Freimaurer geworden“) so sehr an jene Columbo-Krimis, in denen der Mörder kunstvoll Verdachtsmomente gegen sich selbst fingiert, um sie dann effektvoll zu zerstreuen? Am Ende wird er dann freilich doch überführt. Machen wir also den Columbo:

Ob Küng Mitglied einer Freimaurerloge ist, ist in Wahrheit ebenso irrelevant wie die Frage, ob sein „Dialog“-Partner Yussuf al-Qaradawi Mitglied der Muslimbruderschaft ist. Er selbst behauptet, er habe die Bruderschaft verlassen, aber seine Bücher werden sowohl im Dunstkreis der Muslimbrüder selbst als auch anderer strenggläubiger Moslems als wegweisend gepriesen. Ob der Chefideologe selbst Mitglied ist – wen kümmert das?

Küngs „Projekt Weltethos“ jedenfalls geht von dem Dogma aus „Kein Weltfriede ohne Religionsfriede“. Dieser Satz, der sich in den Ohren zu vieler Zeitgenossen so „weise“ anhört, ist vom politikwissenschaftlichen Standpunkt ausgemachter Unfug: Sofern Kriege heutzutage überhaupt noch von der Religion verursacht werden, handelt es sich ausnahmslos um Kriege des Islam gegen Andersgläubige, was auch in der Natur der Sache liegt, weil der Islam die einzige Religion ist, die ihre gewaltsame Verbreitung nicht nur gutheißt, sondern fordert. Diese Eigenschaft des Islam zu einer Eigenschaft von Religion überhaupt zu erklären, ist empirisch unhaltbar, enthält aber ein religionspolitisches Programm:

Wenn Religion schlechthin nämlich den „Weltfrieden“ untergräbt, dann kann die Lösung nur darin liegen, sie, die Religion, erstens jeder gesellschaftlichen Verbindlichkeit zu berauben, und sie zweitens zum Verzicht auf alle Wahrheitsansprüche zu nötigen, die mit denen anderer Religionen konkurrieren. Der „Weltfriede“, also ein politisches Programm, wird dann zum Maßstab für die Gültigkeit theologischer Aussagen. Die „Toleranz“, die aus einer solchen Entkernung von Religion folgt, findet ihre natürliche Grenze dort, wo das traditionelle Religionsverständnis anfängt, das auf der Wahrheit einer bestimmten Religion unter Ausschluss aller anderen beharren muss.

Da die drei großen monotheistischen Religionen aber auf solchen miteinander konkurrierenden Wahrheiten aufbauen, sind Worte wie „Weltethos“ und „Religionsfriede“ nichts anderes als Chiffren für die Zerstörung ihrer theologischen Integrität. Christentum, Judentum und Islam könnten dann ihre hergebrachten Riten und Symbole, also die Form, beibehalten; der Inhalt wäre bei allen dreien derselbe und hätte mit dem, was jahrtausendelang überliefert wurde, kaum noch etwas zu tun. Es handelte sich dann um unterschiedliche Benutzeroberflächen für dasselbe Programm.

Es liegt daher eine gewisse Doppelbödigkeit darin, wenn die Freimaurer auf ihrer Website verkünden: „Der Widerspruch, einen Kulturpreis der Freimaurer ausgerechnet an einen katholischen Theologen zu vergeben, besteht nur vordergründig. Die Freimaurer verhalten sich zu religiösen Einstellungen vollkommen neutral; in Hans Küng ehrten sie einen Mann, der sich in ähnlicher Weise wie die Freimaurer für die Verständigung zwischen den Völkern und Kulturen einsetzt.“

Die Freimaurer, die bekanntlich jede gesellschaftliche Geltung religiöser Wahrheiten ablehnen, verhalten sich „neutral“ nur gegenüber Religionen, die ihrerseits „neutral“ sind. Jeder soll glauben, was er will: Das klingt wunderbar aufgeklärt, modern und neutral, impliziert aber, dass Gott nur noch toleriert wird, sofern er als Eigenfabrikation des Einzelnen erkennbar und es daher um seine moralische Autorität nicht besser bestellt ist als um die eines handgeschnitzten Götzen. Sie ehren Küng, weil er unter Religion genau dasselbe versteht wie sie selbst – ob er nun Mitglied ist oder nicht.

Er kann selbstredend nicht zugeben, dass er eine nichtchristliche Theologie vertritt, und dies bereits auf der Meta-Ebene, also da, wo es um die Frage geht, was Theologie eigentlich sein soll. Umso trefflicher lässt sich dann über jene „konservativen Katholiken“ die Nase rümpfen, die – offenbar aus reiner Böswilligkeit – „Munition“ für ihre „Attacken“ sammeln.

Umgekehrt hatten auch Sie als Freimaurer unter Verschwörungstheorien … zu leiden.

Ja, das ist freilich hochgradig unfair, eine Organisation, die sich seit dreihundert Jahren ihrer konspirativen Praktiken rühmt, der Konspiration zu verdächtigen.

Und Sie haben noch so viel dementieren können, daß Sie keine Religion und keine Antikirche sein wollen:

– was womöglich mit der Glaubwürdigkeit solcher Dementis zu tun hat, wenn sie die Religions- und Krichenfeindlichkeit eines bereits im Ansatz religionsfeindlichen Kultes dementieren sollen –

In bestimmten Kreisen wird man die alten Vorurteile und Legenden wiederholen. Authentische Freimaurer-Veröffentlichungen sind da oft so wenig gefragt wie die authentischen Evangelien, wenn es um Jesus von Nazaret und die Ursprünge des Christentums geht; auch da orientieren sich manche Zeitgenossen lieber an Phantastereien, wie sie jüngst noch der Roman „Da Vinci Code“ populistisch verbreitet hat.

Womit Küng nicht nur die entscheidenden Fragen elegant umgangen, sondern seinen Kritikern auch noch das geistige Niveau von Thrillergläubigen unterstellt hat, mit deren Kritik sich auseinanderzusetzen dann selbstverständlich unter seiner Würde ist.

Doch die noch immer bestehenden Vorurteile, meine Damen und Herren, kommen natürlich nicht von ungefähr, sondern haben einen ernsthaften historischen Hintergrund. Und das ist die lange Konfliktgeschichte zwischen dem Freimaurertum und besonders der römisch-katholischen Kirche. Eine unbestreitbare Tatsache ist erstens: Das moderne Freimaurertum hat, bei allen Symbolen und Riten aus den mittelalterlichen Bauhütten, seinen eigentlichen Ursprung in der Aufklärung des 18. Jh. (Gründung der Großloge von London 1717) und ist den aufklärerischen Idealen der Humanität und Toleranz verpflichtet.

Langsam und zum Mitschreiben: Die „Vorurteile“ haben einen Hintergrund, und der besteht darin, dass die Kirche sich mit der „Humanität und Toleranz“ der Freimaurer nicht anfreunden konnte. Es liegt also an der Inhumanität und Intoleranz der Kirche, dass es „Vorurteile“ gegen Freimaurer gibt.

Und eine unbestreitbare Tatsache ist zweitens: Gerade die römisch-katholische Kirche – wiewohl viele frühmoderne Naturwissenschaftler, Philosophen und auch Aufklärer keineswegs unchristlich waren – steht vom 17. Jh. an in einer systematischen Opposition zur Aufklärung:

Zur modernen Philosophie: die Fälle Giordano Brunos (1600 verbrannt) und René Descartes;

zur modernen Naturwissenschaft: der Fall Galilei (1633 verurteilt) und später der Fall Darwin;

zur modernen Staats- und Gesellschaftstheorie mit den Folgen, die zur Französischen Revolution (1789) führten.

Die Französische Revolution ließ sich an Humanität und Toleranz bekanntlich von niemandem übertreffen.

(…) Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß bereits 21 Jahre nach der Gründung der englischen Großloge, im Jahre 1738, Papst Klemens XII. in der Bulle „In eminenti“ die Freimaurerei verurteilte, was durch mehrere päpstliche Verurteilungen durch die nächsten 200 Jahre bestätigt wird. Die moderne Welt war nun einmal weitgehend ohne und gegen die Kirche Roms entstanden. Und die Freimaurer stehen selbstverständlich überall auf der Seite der Moderne.

Und damit sozusagen automatisch auf der richtigen, der schlechthin guten Seite. Dass keine Religion der Weltgeschichte, nicht einmal der Islam, so blutgierige Götzen hervorgebracht hat wie die hier en passant selbst zum Götzen erhobene Moderne; dass im Namen keiner Gottheit so hemmungslos gemordet wurde wie im Namen des Götzen „Fortschritt“; und dass die Kirche dies von Anfang an klarer gesehen hat als die von ihren eigenen Theorien besoffenen Aufklärer und Revolutionäre (unter denen nicht wenige Freimaurer waren), ist offenkundig nicht weiter erwähnenswert.

Der dramatische Konflikt erreicht seinen politischen Höhepunkt in der Französischen Revolution, deren Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ samt der Menschenrechtserklärung von 1789 von Rom von Anfang an radikal verworfen wird. In der Zeit der Restauration meint man, das mittelalterlich-gegenreformatorische Lehr- und Machtgefüge wieder herstellen zu können. Der 1864 von Pius IX. veröffentlichte „Syllabus (Sammlung)“ der modernen Irrtümer wird allenthalben als eine generelle Kampfansage an die Moderne angesehen. Mit Pantheismus und Rationalismus, Liberalismus und Sozialismus werden als Feinde auch die Geheimbünde genannt, (womit, liebe Kölner, selbstverständlich nicht etwa das hier besonders geförderte Opus Dei gemeint war, ein wirklicher Geheimbund, der ja erst im Dunstkreis des Franco-Faschismus gegründet wurde).

Man könnte auch sagen: im Dunstkreis der radikalsten und blutigsten Welle von Rotem Terror gegen Christen seit der Französischen Revolution.

Nein, da war natürlich in erster Linie das Freimaurertum gemeint, das kein Geheimbund ist, freilich auf Verschwiegenheit Wert legt.

Was ja ein grundlegender Unterschied ist.

Und das war nun im 19. Jh. besonders in Frankreich und Italien verständlicherweise radikal antiklerikal. Der nach einer systematischen „antimodernistischen“ Kampagne 1917 veröffentlichte Codex Iuris Canonici, das Gesetzbuch der katholischen Kirche, belegt denn auch die Mitgliedschaft in einer freimaurerischen Vereinigung mit der Strafe der Exkommunikation.

Verständlicherweise“ waren die Freimaurer „radikal antiklerikal“, aber verwerflicherweise hat die Kirche praktizierten Antiklerikalismus mit Exkommunikation geahndet.

Nun liegt es mir natürlich ferne, durch diese kurz skizzierte Konfliktgeschichte eine einseitige Schuldzuwendung vorzunehmen. Auch die Aufklärung hat ihre Schatten. Die katholische Kirche war Hauptopfer der Französischen Revolution: Verlust nicht nur ihres gesamten Grundbesitzes, sondern auch eines erheblichen Teils ihres Klerus.

Im Klartext: Die Kirche war nur aus Habgier und Rachsucht gegen die Freimaurer.

Und es bilden sich in Frankreich mehr als anderswo zwei gegensätzliche verfeindete Kulturen aus. Auf der einen Seite eine militante republikanisch-laizistische Kultur der liberalen, später auch sozialistischen freidenkerischen Anhänger von Aufklärung und Fortschritt. Auf der anderen Seite eine tief eingewurzelte katholisch-konservative, klerikale Gegen- oder Subkultur. Die Gegensätze dieser beiden Kulturen flackern an politischen Streitpunkten auch heute immer wieder auf: etwa im Schulstreit, oder im Streit um die Erwähnung des Gottesnamens und des Christentums in der Präambel der europäischen Verfassung. Aber im 20. Jh. ist man sich nach den zwei Weltkriegen immer mehr der „Dialektik der Aufklärung“ bewußt geworden, und man hat die fatale Kehrseite moderner Leitbegriffe wie Vernunft, Fortschritt und Nation erkannt. Und insofern hat sich sowohl in der katholischen Kirche als auch in der Freimaurerei ein Wandel vollzogen.

Das ist beides gelogen: Die Kirche hat „die fatale Kehrseite moderner Leitbegriffe wie Vernunft, Fortschritt und Nation“ schon immer erkannt, nicht erst nach zwei Weltkriegen. Und die Freimaurerei hat sie bis heute nicht erkannt. Der „Wandel“ ist höchst einseitig und besteht im Wesentlichen darin, dass weite Teile der Kirche unter dem Einfluss freimaurerisch orientierter Ideologen wie Küng ihre vollkommen zutreffenden früheren Einsichten über Bord geworfen haben und um keinen Preis bei der Peinlichkeit erwischt werden wollen, nicht hinreichend „modern“ zu sein.

Erfreulich ist deshalb: in den 1960er Jahren hat die katholische Kirche unter dem Impuls von Papst Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Joseph Ratzinger und ich haben als die beiden jüngsten Konzilstheologen daran teilgenommen) die beiden Paradigmenwechsel, den der Reformation und den der Aufklärung, weithin nachgeholt – wenn auch nicht konsequent, vielmehr mit zahlreichen Halbheiten und faulen Kompromissen.

Selbstverständlich, denn Küng und andere „Modernisierer“ mussten den Traditionalisten vorgaukeln, es werde lediglich das Vokabular ein wenig modernisiert, nicht aber ein Paradigmenwechsel vorgenommen. Nur um diesen Paradigmenwechsel in Richtung freimaurerischen Gedankenguts hinterher umso lautstärker einzufordern. Ändere die Worte, so könnte man diese Taktik zusammenfassen, dann ändert sich das Paradigma ganz von allein; und wenn nicht, kann man sich immer noch als „Kirchenkritiker“ profilieren.

Doch immerhin bekennt sich nun auch die katholische Kirche gegen alle früheren päpstlichen Lehräußerungen in aller Form zu Religionsfreiheit und Toleranz, zu den Menschenrechten, zur Ökumene der christlichen Kirchen, zu einer neuen Einstellung zum Judentum, zum Islam und den anderen Weltreligionen, ja zur säkularen Welt überhaupt.

Kein Wunder, daß diese positive Entwicklung auch die Einstellung zum Freimaurertum verändert hat. Zwar wurde den Konzilsvätern schon in der Ersten Konzilssession mehr als eine Hetzschrift über die sogenannte „jüdisch-freimaurerische Verschwörung“ in Haus geschickt. Doch konnte dies alles die Verabschiedung der Dekrete über die Religionsfreiheit und über die Juden nicht verhindern. Ja, es gab sogar eine Konzilsintervention zugunsten des Freimaurertums – durch einen mexikanischen Freund von mir, den Bischof von Guernavaca Sergio Méndez Arceo. Sie fand zwar keinen Niederschlag in den Konzilsdokumenten, doch wurde faktisch das Tor geöffnet für erste offizielle Gespräche zwischen dem Freimaurerbund und dem römischen „Sekretariat für die Nichtglaubenden“. Die Ergebnisse sind in der „Lichtenauer Erklärung“ (Schloß Lichtenau in Oberösterreich) vom 5. Juli 1970 festgehalten. Manche Mißverständnisse werden ausgeräumt und es wird klargestellt: der Bund der Freimaurer sei keine neue Religion und keine Antikirche, vielmehr eine dogmenfreie ethische Gemeinschaft, der Glaubens- und Gewissensfreiheit verpflichtet; die päpstlichen Bullen gegen die Freimaurer hätten nur historische Bedeutung, ebenso die Verurteilungen durch das Kirchenrecht.

Zehn Jahre später aber meint die Deutsche Bischofskonferenz so etwas wie eine „Unvereinbarkeitserklärung“ abgeben zu müssen: wegen Relativismus und Subjektivismus im Religionsverständnis der Freimaurer, deistischem Gottesbild, Ritualen mit sakramentsähnlichem Charakter …

Ja, wie kommt sie nur dazu, die Deutsche Bischofskonferenz, dergleichen für unvereinbar mit dem Christentum zu halten? Küng muss sich gefühlt haben wie ein Aufreißer, dem die spröde Schöne in letzter Minute von der Bettkante hüpft.

Doch beachten Sie, meine Herren Freimaurer, das Datum: der 12. Mai 1980: das war ziemlich genau ein Monat nach dem Abschluß der viermonatigen Auseinandersetzungen um die Lehrbefugnis des von Ihnen Ausgezeichneten an der Universität Tübingen, die zwischen der Woche vor Weihnachten 1979 und der Osterwoche 1980 zweifellos ein ungünstiges Klima schufen für die zur selben Zeit tagende Dialoggruppe der Bischofskonferenz und der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD).

Es ist per se unerfindlich, was die Lehrbefugnis von Herrn Küng mit der Abgrenzung zur Freimaurerei zu tun haben soll. Indem Küng diesen Zusammenhang selbst herstellt, sagt er mit eigenem Munde, wie nahe er den Freimaurern und ihrem Religionsverständnis tatsächlich steht.

(…) Drei Jahre später zeichnet sich in der römisch-katholischen Kirche eine veränderte Position ab. Die 1983 veröffentlichte nachkonziliare Neufassung des Codex Iuris Canonici erwähnt die Freimaurerei nicht mehr. Damit ist auch die 1917 angedrohte Exkommunikation aufgehoben. Ein moralisch begründetes Verbot einer Mitgliedschaft im Freimaurerbund freilich bleibt bestehen und wird in der „Declaratio de associationibus massonicis“ (26.11.1983) der römischen Glaubenskongregation unter dem Vorsitz von Kardinal Ratzinger, dem jetzigen Papst Benedikt XVI., für die Weltkirche bekräftigt. Aber, so hatte der Jesuit Richard Sebott schon 1981 in der katholischen Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ geschrieben „Es könnte durchaus sein, daß der Katholik, der in eine Freimaurerloge eintritt, ›bona fide‹ handelt, also der Meinung ist, mit seinem Eintritt in die Loge nichts Böses zu tun.“

Nun, es soll auch Katholiken geben, die „bona fide“ der Meinung sind, mit einer Abtreibung nichts Böses zu tun. Aber vermutlich soll die Kirche sich nach Meinung Küngs auch aus solchen Fragen heraushalten.

Katholische Autoritäten, die das Freimaurertum aburteilen, sollten bedenken, daß katholische Kirche und Freimaurertum ähnliche Probleme der Modernisierung haben: Hier wie dort die Diskussion, ob den hohen Idealen die real existierende Gemeinschaft genügend entspricht;

ob man mehr den mystischen oder mehr den aufklärerischen Aspekt der eigenen Gemeinschaft betonen soll;

ob man in den Riten mehr das Geheimnis oder die Öffentlichkeit pflegen soll,

ob man mehr die gleiche Würde der Mitglieder oder mehr die Hierarchie betonen soll.

Ich bin ganz sicher, dass auch mancher Satanskult mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat; vermutlich soll die Kirche deswegen auch den Satanismus nicht vorschnell „aburteilen“.

Dazu natürlich die Rolle der Frauen, die nicht nur in der Kirche, sondern auch im Freimaurertum ein Problem ist. Doch ob eine als Männerbund gegründete Gemeinschaft Frauen aufnehmen soll oder ein Frauenklub Männer, darüber läßt sich füglich und trefflich diskutieren. Undiskutabel aber erscheint mir, daß eine Kirche, die von Anfang an als eine Glaubensgemeinschaft von Männern und Frauen gegründet war, in der auch Frauen leitende Funktionen wahrnahmen, die Frau in den kirchlichen Diensten immer mehr zurückdrängte und schließlich von allen höheren Ämtern ausschloß.

Je mehr ich mir die jüngeren Entwicklungen in den protestantischen Kirchen vergegenwärtige, die Küngs Fortschrittsideale verwirklicht haben, desto weniger komme ich an der Vermutung vorbei, dass der Ausschluss von Frauen aus den höheren Ämtern eine gute Idee gewesen sein könnte.

In einem Punkt hat das Freimaurertum freilich notorisch weniger Schwierigkeiten: die Zölibatsfrage stellt sich nicht; auch die hohen Grade dürfen verheiratet sein.

Das ist freilich die Hauptsache; insbesondere wenn man bedenkt, dass der Zölibat eine hohe Hürde ist, die nach menschlichem Ermessen nur von Männern genommen wird, die von ihrer religiösen Mission überzeugt sind. Durch den Zölibat ist das Priestertum nicht ein Job wie jeder andere; er verlangt ein schweres Opfer. Eine solche Kirche lässt sich nicht ohne Weiteres unterwandern und verweltlichen.

Mit vielen anderen in allen christlichen Kirchen teile ich die Überzeugung, daß ein Christ Freimaurer sein kann und ein Freimaurer Christ. Besonders in den USA, in Italien und Österreich sind die Zugehörigkeit zu Kirche und Freimaurertum alltägliche Praxis. Hier und da gehören auch herausragende Vertreter der römisch-katholischen Kirche dem Bund an.

Man wüsste doch zu gerne, wer das ist

Und gerade daß der Freimaurerbund als solcher dogmenfrei sein will, ermöglicht die Mitgliedschaft ja sowohl Angehörigen eines religiösen Glaubens als auch Vertretern anderer Weltanschauungen, solange sie tolerant und den Idealen der Menschlichkeit verpflichtet sind.

Aber tunlichst nicht irgendwelchen Glaubenswahrheiten.

Und so freue ich mich denn aufrichtig über diesen Kulturpreis, der noch mehr als meiner Person der Sache gilt, der ich diene. Ich bin mir wohlbewußt, in einer Reihe sehr honoriger Preisträger zu stehen, von denen ich neben Fritz Pleitgen besonders Golo Mann, Siegfried Lenz und Karl-Heinz Böhm, Yehudi Menuhin und Lew Kopelew persönlich kennenlernen und hochschätzen durfte. Menuhin hat sich von Anfang an mehr als jede andere internationale Persönlichkeit für ein Weltethos eingesetzt und Kopelew ebenfalls die Idee tatkräftig unterstützt: Bewußtmachung gemeinsamer ethischer Standards in der einen Menschheit.

Anders ausgedrückt: der Ersetzung alter ethischer Standards durch neue und der alten Religionen durch eine Einheitsreligion mit bloß noch folkloristischen Varianten.

(…) Er bedeutet zugleich eine Bestätigung für die von mir geleitete Stiftung Weltethos, die Sie ja nun auch noch eigens bedacht haben: Wir sind ein kleines, aber hochmotiviertes und hocheffizientes Team, das in verschiedener Weise doch, mit der Unterstützung vieler, zu so etwas wie einem kleinen „global player“ geworden ist.

Klingt beunruhigend.

Vor allem aber macht der Preis deutlich, daß die elementaren Standards eines gemeinsamen Menschheitsethos, eines globalen Ethos, eines Weltethos, nicht nur von den Religionen, sondern auch von Nichtglaubenden und Angehörigen verschiedener Weltanschauungen mitgetragen werden kann und soll.

Schließlich waren es nicht zuletzt die Freimaurer selber, die bereits in den „Alten Pflichten“ von 1723, dem bis heute gültigen, aus den Bauhütten der Werkleute entlehnten Grundsatz der Freimaurer, es als ihre Aufgabe bezeichnen, „Menschen zusammenzuführen, die ansonsten einander immer fremd geblieben wären“.

Zu deutsch: Küngismus und Freimaurerei teilen dieselben Ziele.

(…) Spero unitatem ecclesiarum: Trotz aller römischen Restaurationsversuche und protestantischen Reaktionen hoffe ich nach wie vor auf eine Einheit (in Vielfalt!) der Kirchen.

Da das katholische Kirchenverständnis nur eine Kirche Jesu Christi zulässt, bedeutet diese Forderung, dass die katholische eine protestantische Kirche werden soll.

Spero pacem religionum: Trotz aller von beiden Seiten provozierten Spannungen und Auseinandersetzungen vor allem zwischen Christentum und Islam hoffe ich im Großen und Kleinen auf einen Frieden (nicht eine Einheit!) der Religionen.

Es wird sein Geheimnis bleiben, inwiefern „von beiden Seiten Spannungen provoziert“ worden sind.

Spero communitatem nationum: Trotz allen Rückfalls der verbliebenen Supermacht in das alte Paradigma politischer wie militärischer Konfrontation und kontraproduktiver Raketenpläne für Europa hoffe ich beständig auf eine wahre Gemeinschaft der Nationen (und nicht nur der EU).

Zu deutsch: Die EU, also institutionalisierte Ent-Demokratisierung Europas, ist eine gute Sache, und Küng träumt von einer EU im XXL-Format, die die ganze Welt umfassen soll. Deutlicher kann man die innere Logik des Zusammenhangs zwischen einer Entgrenzung, sprich: Zerstörung, der Religionen, und der Entgrenzung, sprich: Zerstörung, der Völker nicht hervorheben. Der negativen Theologie, wonach nur die Entleerung der Religionen um alles, was sie überhaupt erst zu Religionen macht, ihren Aufeinanderprall verhindern könne, entspricht eine negative Soziologie, wonach der Weg zum „Weltfrieden“ über die Zerstörung der vorhandenen Solidargemeinschaften führt.

Die Hoffnung, sagt man, stirbt zuletzt. Die Hoffnung, sage ich, steht an jedem neuen großen Anfang.

Und deswegen versuchen wir frohgemut immer aufs Neue solche „großen Anfänge“ wie 1789 in Frankreich, 1917 in Russland, 1949 in China, 1976 in Kambodscha …

Zum selben Themenkreis:

NWO – eine Verschwörungstheorie?

Den Islam mit Synkretismus entschärfen?

Tod eines Patrioten

Ich will sie nicht gerade Krokodilstränen nennen, die Tränen, die führende europäische Politiker anlässlich des Todes von Lech Kaczynski vergießen. Aber insgeheim wird mancher von ihnen froh sein, sich mit dem unbequemen polnischen Präsidenten nicht mehr auseinandersetzen zu müssen.

Kaczynskis leidenschaftlicher Patriotismus, sein unbedingtes Beharren auf der Selbstbehauptung seiner Nation in einem Europa, in dem Vaterlandsliebe vielerorts als Vorstufe zum Rechtsextremismus verteufelt wird, erst recht sein katholisch geprägter Konservatismus, der hierzulande ohne weiteres das Verdikt des „Fundamentalismus“ auf sich zöge, machten ihn unter den „Eliten“ Europas zu einem Fremdkörper.

Diesen „Eliten“, in ihrer Geschichtsvergessenheit, ihrer Gottlosigkeit, ihrem größenwahnsinnigen Hang, sich als Gesellschaftsingenieure und Identitätsdesigner zu betätigen, musste ein solcher Mann wie ein Dinosaurier erscheinen, wie ein Relikt aus den dreißiger Jahren, wie ein lästiges Hindernis auf dem Weg in ihre Schöne Neue Welt.

Seinen Kampf gegen die Machtusurpationen der EU kann man nicht verstehen, wenn man vergessen hat, wie sehr die polnische Identität von dem Kampf geprägt ist, den das polnische Volk gegen das Aufgehen in Großimperien führen musste. Im Gegensatz zum deutschen Volk, für das der Weg zur nationalen Unabhängigkeit vor allem in der Überwindung der eigenen Zersplitterung von der kleineren zur größeren Einheit führte, musste das polnische seine Freiheit den größeren Einheiten abringen.

Kaczynskis Feindseligkeit gegen Deutschland (und Russland) braucht man nicht zu beschönigen. Als reaktionäres Vorurteil kann sie aber nur Derjenige abtun, der die Völker Europas als lästiges Relikt aus finsterer Vergangenheit entsorgen zu müssen glaubt und nicht glauben will, wie finster eine Zukunft sein muss, in der diese Völker als politische Realitäten nicht mehr existieren werden.

Wer eine solche Zukunft freilich anstrebt, kommt gar nicht herum um den Versuch, ein europäisches oder gar globales Einheits-Geschichtsbild in die Köpfe zu hämmern. Europas Geschichtsdesigner wissen sehr genau, was nationale Geschichtsbilder zur Aufrechterhaltung von nationalen Identitäten leisten und dass sie sie „dekonstruieren“ müssen, wenn sie die Völker destruieren wollen. Über Fakten kann man sich über nationale Grenzen hinweg einig sein; die Bewertung dieser Fakten aber ist ein Frage nationaler Interessen und Identitäten. Man kann von differierenden Lesarten lernen, aber nur, wenn man sie zulässt, nicht, wenn man sie mutwillig zu verschmelzen versucht.

Kaczynski hat das gewusst, und so kann man selbst bei dem Gezerre um das Vertriebenenzentrum nicht der polnischen Seite vorwerfen, dass sie ihre Sicht der Dinge durchzusetzen versuchte – das war nur ihre Pflicht; vielmehr muss man den beteiligten deutschen Politikern ankreiden, dass sie um jeden Preis, und sei es den der Selbsterniedrigung versuchten, zu einer Gemeinsamkeit der Lesarten zu gelangen, wo es eine solche nicht geben kann. Dass sie es aber versuchten, zeigt an, dass sich hier nicht eine polnische und eine deutsche Geschichtsauffassung gegenüberstanden, sondern eine polnische und eine, die sich gegen Völker überhaupt richtet.

Bismarck sagte einmal zu einem Gesprächspartner, der ihm das damals modernste Projekt – den Kolonialimperialismus – schmackhaft zu machen versuchte, seine Karte von Afrika sei ja sehr schön; er aber, Bismarck, habe eine andere: „Hier ist Frankreich, hier ist Russland, und dazwischen sind wir; das ist meine Karte von Afrika“. Kaczynski hatte seine Karte von Europa: hier Deutschland, dort Russland, dazwischen Polen. Das war nicht Chauvinismus, das war Verantwortungsbewusstsein.

Die Völker Europas haben am heutigen 10. April 2010 einen der profiliertesten Kämpfer gegen das totalitäre Technokratentum ihrer „Eliten“ verloren.

Ein schwarzer Tag.

NRW-CDU will Englisch als Gerichtssprache

Die nordrhein-westfälische CDU, die man am 9. Mai dieses Jahres abwählen kann (und es gibt keine Rechtfertigung, irgendetwas anderes zu tun), verfügt bekanntlich über illustres Personal, zum Beispiel einen Ministerpräsidenten, der sich als „Arbeiterführer“ titulieren lässt und mit den Grünen flirtet; einen ehemaligen Kölner Oberbürgermeister, der vermutlich stolz darauf ist, dass man ihn „Türken-Fritz“ nennt, weil er nach Kräften dazu beigetragen hat, dass Deutsche in seiner Stadt ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nicht ausüben konnten, sofern sie gegen Islamisierung sind; einen „Integrationsminister“, bei dem niemand sich wundern würde, wenn er sogar noch verurteilte Islamisten in der Abschiebehaft besuchen würde, um ihnen auf Knien einen deutschen Pass aufzuschwatzen.

In solcher Umgebung fällt auch eine Justizministerin namens „Müller-Piepenkötter“ nicht auf, die bereits durch diesen Emanzenbindestrich-um-jeden-Preis-und-sei-es-den-der-Lächerlichkeit-Namen demonstriert, dass der Untergang des Abendlandes sie nicht wirklich kratzt. Besagte Müller-Piepenkötter hat sich jetzt mit ihrem Hamburger Kollegen von der GAL zu einem Projekt zusammengerottet, das exakt auf den Punkt bringt, wes Geistes Kind diese beiden Parteien sind. (Ich bin leider erst heute durch die „Sprachnachrichte“n des Vereins deutsche Sprache darauf aufmerksam geworden, aber besser spät als nie.). Aus faz.net vom 08.01.2010:

Wirtschaftsprozesse sollen künftig in englischer Sprache geführt werden können. Das sieht eine Initiative der Justizminister von Nordrhein-Westfalen und Hamburg, Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) und Till Steffen (Grüne), vor. Nach Informationen dieser Zeitung wollen die beiden Minister eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes in die Wege leiten. Auch Richter und Anwälte sind an dem Projekt beteiligt, mit dem Deutschland als Justizstandort gestärkt werden soll. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat bereits den ersten Schritt getan: Soweit das geltende Gesetz dies bereits jetzt zulässt, kann dort seit Jahresbeginn in Zivilprozessen in englischer Sprache verhandelt werden.

Das Problem: Gerade die interessantesten – und für Staatskasse wie Anwälte lukrativsten – Prozesse, an denen deutsche Unternehmen als Kläger oder Beklagte beteiligt sind, werden auf Wunsch ausländischer Geschäftspartner meist vor angelsächsischen Gerichten oder vor privaten Schiedsgerichten geführt. Dies hat zur Folge, dass oft schon in den Verträgen eine andere Rechtsordnung vereinbart wird (und deshalb nichtdeutsche Rechtsanwälte die Aufträge zur Beratung erhalten). Die geringe Verbreitung der deutschen Sprache auf der Welt gilt als wesentlicher Grund dafür. „Der Gerichtsstandort Deutschland leidet darunter, dass das Gerichtsverfassungsgesetz Deutsch als Gerichtssprache vorschreibt“, sagte Müller-Piepenkötter dieser Zeitung. „Ausländische Vertragspartner und Prozessparteien schrecken davor zurück, in einer fremden Sprache vor einem deutschen Gericht zu verhandeln.“ Englisch sei nun einmal die führende Sprache im internationalen Wirtschaftsverkehr.

Die deutsche Sprache ist ein „Standortnachteil“ aus der Sicht von Anwälten, denen dadurch Prozesshonorare entgehen, deshalb prostituiert sich die BRD für deren Partikularinteressen (statt diesem geldgeilen Gesindel die Auswanderung nach Amerika nahezulegen). Die deutsche Sprache wurde schon aus der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Technik weitgehend verdrängt, jetzt ist die Justiz an der Reihe. Am Ende – und das kein Versehen, sondern Absicht – wird das, was von der Sprache Goethes noch übrig ist, nur noch von Hinterwäldlern gesprochen werden, mit denen niemand etwas zu tun haben möchte, der bis drei zählen kann – es sei denn, er benötigt Stimmvieh.

Aus der Sicht sogenannter Eliten, die in ihrem primitiven Vulgärliberalismus keine Ahnung haben, was sie anrichten, ist Deutschland kein Land sondern ein „Standort“; sind die Deutschen kein Volk, sondern eine „Bevölkerung“. Im Grunde sind wir auch keine Menschen, sondern Kunden und Wähler.

Zumindest als solche jedoch haben wir noch einen Rest an Macht.

Der Wind dreht sich

Man merkt es nur an Kleinigkeiten, aber islamkritische Positionen sind auf dem Vormarsch. Die Süddeutsche berichtet unter dem Titel „Besuch von der anti-islamischen Kampftruppe“ über eine Aktion der Münchner PI-Gruppe, und sie traut sich nicht mehr, das zu tun, was sie vor einem Jahr noch mit größter Selbstverständlichkeit getan hätte, nämlich PI als rechtsradikal zu verleumden, „obwohl vor allem im Kommentarbereich der Internetseite täglich fremdenfeindliche Ressentiments veröffentlicht werden“ – dieser Hinweis musste natürlich sein.

Die Medien nehmen das vor, was man im militärischen Jargon „Frontbegradigung“ nennt. Sie sehen, dass die Verleumdung von PI und überhaupt der liberalen Islamkritik als „rechtsradikal“ zunehmend lächerlich wirkt und machen sie deshalb stattdessen zum Außenposten des gerade noch Tolerierbaren – natürlich um den Preis der Abgrenzung „nach Rechts“ – also gegenüber Allen, die nicht nur den Islam problematiseren, sondern Masseneinwanderung schlechthin für einen gigantischen verantwortungslosen Menschenversuch halten, von dem man nicht einmal behaupten kann, sein Ausgang sei ungewiss; und gegenüber Allen, die nicht nur die Demokratie, sondern konsequenterweise auch deren politische und kulturelle Grundlagen bewahren zu wollen, also den National-, Rechts- und Ordnungsstaat, das Christentum, das Volk, die Nation – aber auch die Säkularität (zu der unter anderem gehört, dass nicht politische Ideologien zu Ersatzreligionen umgedeutet werden, in deren Namen man dann Kreuzüge gegen Andersdenkende führt).

„Dennoch dürften die meisten Leser und Aktivisten keine Rechtsradikalen sein. Kiwitt wählt konservativ, mitunter auch die FDP. „Niemals aber würde ich mein Kreuz rechts jenseits der CSU machen – und auch niemals links der SPD, bei der Partei, die ich immer noch SED nenne.“

Mit „konservativ“ sind hier selbstredend die Unionsparteien gemeint. (Was von deren „Konservatismus“ zu halten ist habe ich schon mehrfach thematisiert, z.B. in meinem Artikel „Verrat mit Ansage„.) Also die, für die die Islamisierung Deutschlands allenfalls insofern ein Problem ist, als sie (vorzeitig) den Blick darauf lenkt, wie problematisch eine multikulturelle Gesellschaft schlechthin ist, was dazu führen könnte, dass die Völker Europas sich gegen ihre geplante Abwicklung womöglich doch noch zur Wehr setzen, bevor es dazu zu spät ist, sprich bevor ein Zustand eingetreten ist, der das fürsorgliche Eingreifen und Durchregieren undemokratischer, aber wohlmeinender supranationaler Organisationen rechtfertigt und unvermeidlich macht.

Die Freude darüber, dass die Islamkritik auf dem Vormarsch ist, sollte also nicht dazu verführen, einer politischen Klasse auf den Leim zu gehen, die jetzt das Thema für sich entdecken wird, um von der dahinterstehenden grundlegenderen Frage abzulenken, welche Art von Zivilisation wir eigentlich wollen, und welche Art von Zivilisation überhaupt nachhaltig sein kann. Dass sie nicht islamisch sein soll, ist per se noch keine Antwort.

Israel und der Globalismus

Mega Dux hat neulich in einem Kommentar zu „NWO – Eine Verschwörungstheorie?“ die Frage aufgeworfen, woher es nur komme, dass er bei „NWO“ immer an den Antichristen denken müsse. Aus seiner Sicht eine rhetorische Frage, aber da der Zusammenhang nicht Jedem so klar vor Augen stehen dürfte wie ihm, und weil das Thema einige vielleicht überraschende Bezüge enthält, möchte ich es ein wenig vertiefen:

Die Gestalt des Antichristen als Verkörperung des Bösen wird normalerweise mit dem „Tier“ aus der Apokalypse (der Offenbarung des Johannes, des letzten Buches des Neuen Testaments) identifiziert. Die Apokalypse lehnt sich dabei inhaltlich und stilistisch an die jüdische apokalyptische Tradition an, insbesondere an das Buch Daniel (Kap. 7-11).

Es geht mir hier nicht um die im engeren Sinne theologischen Bezüge, sondern um den historischen Hintergrund: Die Endzeitvisionen des Buches Daniel gehören in den Kontext des Makkabäeraufstandes gegen das Seleukidenreich, in einem erweiterten Sinne also gegen die Hellenisierung des jüdischen Volkes und seiner Religion. Der Kampf gegen sein Auflösung in seiner heidnischen hellenistischen Umgebung und der Kampf gegen seine religiöse „Hellenisierung“ gehören zusammen. Im Seleukidenreich hatten die Juden einen Feind, der beides angriff, das jüdische Volk und seinen Gott.

In diesem Text taucht erstmals das Motiv vom Reich Gottes auf, das als das Reich des Guten den irdischen Reichen des Bösen gegenübergestellt wird, zunächst also dem Seleukiden-, später dem Römerreich. „Böse“ waren diese Reiche im doppelten Sinne: einmal, indem sie das jüdische Volk unter Druck setzten, in einer größeren Einheit aufzugehen, zum anderen durch ihre kompromisslose Diesseitigkeit. Bleiben wir beim Römischen Reich mit seinen Gladiatorenspielen, seiner Sklaverei, seiner schamlosen Sinnlichkeit, mit einem Wort: seiner offenkundigen Gottlosigkeit. Dieses Reich kannte Religion nur in zweierlei Formen: einmal als Staatskult mit rein politischen Funktionen, zum anderen als privaten fröhlichen Aberglauben, der einem durchs Leben half; da wechselte man schon einmal die Götter.

Tolerant war diese Art von „Religiosität“ durchaus: Für antike Großreiche und ihre Herrscher wäre nichts sinnloser gewesen als ein Religionskrieg. Was war denn schon dabei, die Götter unterworfener Völker anzuerkennen, wenn man sich dadurch deren wenigstens passive Loyalität sichern konnte? Und was war, aus der Sicht dieser Völker, schon dabei, dem römischen Staatskult Lippendienste zu leisten, wenn die Obrigkeit dieses Zeichen der Ergebenheit nun einmal haben wollte? Dass die tiefe Gottesfurcht der Juden („Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, 2. Mose 20,3), später auch der Christen mit solcher „Religiosität“ kollidieren musste, versteht sich.

Dabei ist schwer zu erkennen, wie ein Großreich anders hätte funktionieren sollen; kaum vorstellbar, wie ein solches Gebilde nicht auf zuerst die Entschärfung und dann Einebnung und Verschmelzung völkischer, kultureller und religiöser Identitäten hätte hinarbeiten sollen; deren Betonung, erst recht ihre politische Aufladung hätte ja geradezu seinen Bestand gefährdet.

Fatalerweise waren die Juden außerstande, sich den Forderungen dieses Systems zu unterwerfen, so sehr sie auch versuchten, zu einem Modus vivendi mit dem Imperium zu gelangen. Die Anpassung an dessen Erwartungen musste ihren Bestand als Volk in Frage stellen. Das Imperium sog ja viele Völker in sich auf, ebnete die Unterschiede zwischen ihnen ein und machte aus Etruskern, Lydiern, Phöniziern, Griechen etc. – Römer.

Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Völker aus der Geschichte verschwinden, wenn sie von größeren Einheiten geschluckt werden. Unweit von dem Ort, wo ich schreibe, ist das sorbische Volk in Auflösung begriffen, und ist dadurch ein Prozess in seine Endphase getreten, der seit einigen Jahrhunderten andauert, und in dem das sorbische Volk im deutschen aufgeht. Eine solche Selbstauflösung wäre aber für die Juden, deren Religion auf dem Gedanken des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel beruht, gleichbedeutend mit dem Verrat an Gott gewesen – sie war unmöglich und undenkbar.

In dieser Hinsicht, also in der unauflöslichen Verbindung religiöser und völkischer Identität und der damit verbundenen Resistenz ist das Judentum in der Tat einzigartig. Es ist sozusagen die institutionalisierte Partikularität. (Freilich sollte man nicht übersehen, in welchem Maße die jüdische Verbindung von politischer und religiöser Identität, wie sie bereits im Alten Testament vorgezeichnet ist, von den christlichen Völkern als attraktives Rollenmodell aufgefasst wurde: Wenn Amerika sich zum Neuen Jerusalem, Russland zum Dritten Rom, Deutschland zum Heiligen Römischen oder gar Tausendjährigen Reich stilisierte, dann drückte sich darin der Gedanke aus, das eigene Volk stehe mit Gott im Bunde. Der gleichartige, aber konkurrierende und vor allem viel ältere Anspruch der Juden musste als ärgerlich empfunden werden. Antisemitismus ist nicht nur, aber auch nicht zuletzt Eifersüchtelei um die Gunst Gottes.)

Die Juden also widersetzten sich – wie gesagt: Sie konnten nicht anders! – ihrer Auflösung als Volk. Kein Wunder, dass dieses Volk den Vertretern jeder vereinheitlichenden und nivellierenden Ideologie ein Dorn im Auge war: sowohl den beiden universalistischen Religionen Christentum und Islam als auch dem modernen Nationalismus. Letzterer postuliert im Grunde die Einheit von Volk und (Staats-)Nation und tendiert deswegen zur sanften oder unsanften Eliminierung subnationaler Kollektividentitäten; nicht etwa aus Fanatismus, sondern wegen seiner Verschwisterung mit der Demokratie, die nun einmal einen Demos, also ein Kollektivsubjekt voraussetzt, das aus Bürgern besteht, nicht aus Völkern.

Heute, wo der Nationalstaat seinerseits partikular wird und unter den Druck des Globalismus gerät, erinnern wir Rechten uns nicht mehr so gerne daran, aber der Nationalstaat war ein linkes Projekt und verhielt sich bei seiner Entstehung den ihm unterworfenen Partikularitäten gegenüber so feindlich und nivellierend wie heute der Globalismus ihm selbst gegenüber.

Der Zionismus, also der Versuch, das jüdische Volk als Nation unter Nationen zu konstituieren, war nichts anderes als der Versuch des Judentums, sich anzupassen, ohne sich aufzugeben. Seine unverkennbare Herkunft aus dem europäischen Gedanken der Nation und der nationalen Selbstbestimmung verschaffte ihm in Europa für kurze Zeit Popularität, nämlich in der Phase, in der der Staat Israel bereits gegründet, das nationalstaatliche Paradigma in Europa aber noch vorherrschend war, also von Ende der vierziger bis Ende der sechziegr Jahre. Es war zugleich die einzige Phase der europäischen Geschichte, in der Antisemitismus nicht zum guten Ton gehörte.

Heute aber hat die Linke – einschließlich ihres liberalen Flügels – das globalistische Konzept verinnerlicht: Das Beharren auf hergebrachten Kollektividentitäten, auf der Souveränität von Nationalstaaten, auf der theologischen Integrität der traditionellen Religionen – das alles gilt heute als „rechts“. Der linke Antisemitismus (den man deswegen auch so nennen darf) richtet sich gegen Israel aus demselben Grund, aus dem Judenhasser zu allen Zeiten Juden gehasst haben: weil sie sich als Volk und Religion nicht auflösen, einschmelzen und nivellieren lassen.

Heutige Linke halten schon den Begriff „Volk“ für eine „Konstruktion“ (im Sinne von „Illusion“, womit sie beweisen, dass sie den Begriff „Konstruktion“ nicht verstanden haben), die man abwickeln müsse, und zwar mitsamt dem gemeinten Sachverhalt, nämlich der Existenz von Völkern, am besten durch Massenmigration; Religionen wollen aus ihrer Sicht „im Grunde alle dasselbe“ – und soweit dies offensichtlich nicht der Fall ist, handelt es sich um „Fundamentalismen“, die man selbstredend bekämpfen muss; Staaten sind für sie nicht Sicherheitsstrukturen, sondern große Kassen, aus denen man sich bedient, und ihre Armeen sind bestenfalls überflüssig:

Was könnte einer solchen Ideologie mehr missfallen als ein Staat, der sich explizit als jüdisch definiert und damit die Integrität eines Volkes wie auch die von dessen Religion schützt; der sich weigert, sich für ethnische Unterwanderung zu öffnen; der die gegenwärtig vermutlich kampfstärkste Armee der Welt unterhält (gemessen an ihrer Größe); und der nicht bereit ist, für pazifistische Illusionen Selbstmord zu begehen?

Der antike jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus hat in seinen „Jüdischen Altertümern“ eine Szene überliefert, in der ein römischer Besatzungssoldat in Jerusalem einen Volksaufstand auslöste, indem er den Pilgern, die zum Tempel eilten, seinen nackten Hintern zeigte. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich dieselbe Szene im heutigen Nadschaf oder Kerbela vorzustellen – mit Amerikanern in der Rolle der Römer und Schiiten in der Rolle der damaligen Juden. Der heutige Globalismus mit seiner Tendenz zur Verschmelzung der Völker, zur Entkernung der Religionen, zur Banalisierung des vormals Heiligen zeigt frappierende Parallelen zu dem, was man den „Globalismus“ des antiken Rom nennen könnte, des „Tieres“ der Apokalypse.