Ein Brief nach Rungholt

Lila („Letters from Rungholt“) war vor einigen Tagen mit einer Gruppe israelischer Studenten in Berlin und schreibt in ihrem Blog über ihre Erlebnisse unter anderem dies:

Es war wunderbar, und Berlin ist eine Stadt, die selbst auf den widerstrebendsten Besucher sehr stark wirkt. Ich habe vieles neu entdeckt, auch durch die Augen der Studenten, die sehr beeindruckt waren von der Vielfalt der Erinnerungskultur. Das war ja unser Thema.

Ich weiß, daß Broder meint, mit dem Mahnmal an der Ebertstraße kauft das offizielle Deutschland sich frei, und kann jetzt nach Löschung der Sündenkartei getrost weiter sündigen. Das klingt zwar schön zynisch und einleuchtend, erklärt aber nicht, warum weiterhin viele kleine, eindringliche und punktgenaue Gedenkstätten entstehen. Und es erklärt auch nicht, warum junge und ältere Besucher auf eigene Faust (also ohne Gruppe oder Klasse) ins Dokumentationszentrum kommen, sich dort ernsthaft in das Material versenken und sehr, sehr nachdenkliche Gesichter haben. Mein geschätzter Kollege, dessen Familie von der Shoah schwer gezeichnet ist, war jedenfalls von den Gesichtern der jungen Deutschen an diversen Gedenkstätten positiv berührt und meinte, das hätte er nicht erwartet.

Ich kann nicht anders: Auf mich wirkt inzwischen diese Art von Lob, gerade weil es so aufrichtig ist, deprimierender als die schärfste Kritik: nicht nur, weil wir heutzutage andere Probleme haben als die Frage, ob wir den Nationalsozialismus auch ja richtig „aufgearbeitet“ und „bewältigt“ haben, sondern weil gerade die inflationäre „Aufarbeitung“ und „Bewältigung“ ganz erheblich zu unseren Problemen beiträgt.

Von außen ist das wahrscheinlich nicht ohne Weiteres erkennbar, und Lilas Blick, obwohl sie Deutsche ist, ist nach über zwanzig Jahren in Israel eben doch einer von außen. Ich habe ihr deshalb mit einem langen Kommentar geantwortet, den ich seiner grundsätzlichen Bedeutung wegen auch hier in meinem eigenen Blog einstelle:

„Liebe Lila, ich hoffe, ich schockiere Dich nicht zu sehr, wenn ich sage, dass ich Deine Begeisterung über die „Vielfalt der Erinnerungskultur“, darüber, dass „weiterhin viele kleine, eindringliche und punktgenaue Gedenkstätten entstehen“ und über die „sehr, sehr nachdenkliche(n) Gesichter“ der Besucher des Holocaust-Dokumentationszentrums nicht nur nicht zu teilen vermag, sondern die beiden entsprechenden Absätze auch mit einiger Beklemmung gelesen habe.

Das hat nicht nur damit zu tun, dass ich mit dieser „Erinnerungskultur“ täglich konfrontiert und von ihr entsprechend genervt bin. Du gehst zum KaDeWe und wirst mit den Namen von einem Dutzend Konzentrationslager erschlagen („Orte des Schreckens, die wir nie vergessen dürfen“); du gehst in Spandau am Lindenufer spazieren und erfährst, dass hier bis 1938 eine Synagoge stand; du gehst irgendwo und siehst Messingklötze ins Pflaster eingelassen, auf denen steht, dass hier der und der deportiert worden ist; Gedenktafeln, Mahnmale, Denkmäler an allen Ecken und Enden; du schaltest den Fernseher ein, und wenn du keine Daily Soap sehen willst, landest du auf Phoenix und damit nicht selten bei Guido Knopp und seiner Endlosschleife von Geschichtsklischees.

Wäre das alles nur nervig, man könnte es ertragen. Es ist aber weitaus mehr als das.

Es ist schon etwas dran an dem Spruch, wer sich der Geschichte nicht erinnern wolle, sei gezwungen, sie zu wiederholen. Nähme man ihn ernst, so würde man sich bemühen, blinde Flecken im eigenen Geschichtsbild nicht zuzulassen. Was bei uns aber als „Erinnerung“ zelebriert wird, ist im höchsten Maße selektiv:

Nicht nur, dass „Geschichte“ auf zwölf Jahre Nazizeit und alles andere zur bloßen Vorgeschichte schrumpft; selbst diese Geschichte und Vorgeschichte beschränkt sich auf den Krieg und den Holocaust, und für diese beiden werden rein ideologische Faktoren verantwortlich gemacht, speziell ein angeblich spezifisch deutscher Hang zu Militarismus, Nationalismus und Rassismus.

Würde man der breiten Öffentlichkeit ein etwas komplexeres Bild der Zusammenhänge vermitteln, dann würde eine Rolle spielen, dass die Demokratie von Weimar an der Unfähigkeit einer politischen Klasse scheiterte, Probleme zu sehen und in Angriff zu nehmen, die in der jeweiligen Parteiideologie nicht vorgesehen waren und deshalb nicht existieren durften. (Die Millionen, die NSDAP wählten, taten es nicht zuletzt deshalb, weil die Inkompetenz aller anderen Kräfte bereits offen zutage lag.) Man könnte sonst Parallelen zur heutigen politischen Klasse ziehen, wo der einzige Unterschied zu Weimar darin besteht, dass sie alle dieselbe realitätsblinde Ideologie vertreten.

Es würde eine Rolle spielen, dass mit den permanenten Umwälzungen und Katastrophen von 1914 an Millionen von Menschen der Boden, auf dem sie gestanden hatten, unter den Füßen weggezogen und eine politische, ökonomische, aber auch sittliche und kulturelle Orientierungslosigkeit erzeugt wurde, die eine Umwertung aller Werte, wie sie von den Nationalsozialisten propagiert wurde (und die im Kaiserreich undenkbar gewesen wäre) erst möglich machte. Würde man sich daran erinnern, so wäre man womöglich zurückhaltender mit Sozialexperimenten wie der Zersetzung der Familie, der Banalisierung des Christentums und der multikulturellen Entdeutschung des eigenen Landes.

Man würde sich daran erinnern, dass diese Katastrophen allesamt in dem seit der Jahrhundertwende betriebenen Politik der Westmächte wurzelten, Deutschland kleinzukriegen. (Selbst wenn man diese These, die ich selbst für richtig halte, nicht teilt – entscheidend ist, dass sie von den damaligen Deutschen aus guten Gründen geglaubt wurde.) Und eine Öffentlichkeit, die sich dessen bewusst wäre, würde wohl kaum hinnehmen, dass eine – pardon – völlig verblödete Kanzlertrutsche nach Paris fährt, um dort den Waffenstillstand von 1918 zu feiern.

Es würde eine Rolle spielen, dass die Unterstützung für Hitlers Aufrüstungsprogramm nicht etwa aus irgendeinem „Militarismus“ resultierte, sondern aus der Erfahrung, dass Wehrlosigkeit ausgenutzt wird, und womöglich würde sich an eine solche Erkenntnis die Frage knüpfen, ob es eine gute Idee ist, die eigenen Streitkräfte so umzubauen, dass sie noch als internationale Polizeitruppe, aber kaum mehr zur Verteidigung des eigenen Landes taugen. Man würde sich auch fragen, welcher Teufel eine politische Klasse reitet, die die Souveränität und Verteidigungsfähigkeit des eigenen Landes zur Disposition eines Westens stellt, dessen Deutschfeindlichkeit schon vor 1933 evident war.

Und wenn man die Dinge in einem größeren europäischen Zusammenhang sieht, würde einem auffallen, dass die Demokratie zwar nicht in Deutschland, wohl aber in etlichen anderen europäischen Ländern an der Unmöglichkeit gescheitert ist, ethnisch heterogene „Bevölkerungen“ zu staatstragenden Nationen zu formen – was zu der Frage führen würde, ob Demokratie mit solcher Heterogenität überhaupt vereinbar ist.

Vor allem aber würde eine solche Sichtweise dazu führen, dass man begänne zu verstehen, worauf der Erfolg der Nationalsozialisten beruhte, und dass dies nicht einfach die Dummheit oder Bösartigkeit unserer Großeltern war, und speziell nicht einfach eine angeborene, mindestens aber kulturell verinnerlichte ideologische Verblendung. Dann wäre auch der neurotischen Selbstverdächtigung der Deutschen der Boden entzogen, auf dem jetzt der Kampf gegen Rechts geführt wird, dessen psychologische Grundlage eben diese Selbstverdächtigung ist. Wer sich nämlich selbst verdächtigt, qua Nationalität vom „Ungeist“ des Nationalismus und verwandter Ideologien infiziert zu sein, wird alles tun zu beweisen, dass er zu den nichtinfizierten „Guten“ gehört. Und genau dies ist auch der Sinn der Sache.

Es wird keine historische Aufklärung betrieben. Stattdessen konfrontiert man Kinder und Jugendliche mit Bildern von Auschwitz und Bergen-Belsen, die ob ihrer Schock- und Horrorwirkung auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften stünden, wenn sie in irgendeinem andern Zusammenhang entstanden wären. Man erklärt Auschwitz zum „Gründungsmythos der Bundesrepublik“ und kommt nicht auf die Idee, dass bereits an der Formulierung irgendetwas krank sein könnte. Das Monstrum von einem Mahnmal, das man nicht zufällig direkt ans Brandenburger Tor geklotzt hat, enthält just diese Ideologie, buchstäblich in Stein gehauen. Man baut eine ganze Staatsideologie auf einem „Nie wieder“ auf, so als ob es für ein Volk und ein Staatswesen andere Gefahren nicht geben könnte, und verdächtigt als rechtsextrem, wer auf solche Gefahren hinweist.

Wenn man sich die Politik der deutschen – aber weiß Gott nicht nur der deutschen – Eliten ansieht, dann ahnt man auch, warum das geschieht. Da werden die Schleusen für Einwanderer geöffnet, deren Kultur mit unserer unvereinbar ist und die selbst bei engstirnigster ökonomischer Betrachtung alles andere als eine Bereicherung darstellen. Angeblich brauchen wir sie aus demographischen Gründen, sprich weil wir nicht genügend Kinder bekommen. Letzteres trifft zu.

Wenn aber dieselben Eliten, die dies feststellen (und damit die „Notwendigkeit“ von Immigration begründen) eine Politik treiben und eine Ideologie verbreiten (um nur zwei Beispiele zu nennen), wonach Frauen unbedingt Karriere machen müssten, weil sie sonst „benachteiligt“ seien, und wonach Homosexualität eine in jeder Hinsicht gleichberechtigte Lebensform sein müsse (obwohl sie das für ein Volk, das auch in Zukunft existieren möchte, erst recht für eines, das sich in einer demographischen Krise befindet, schlicht und einfach nicht sein kann), dann wird deutlich, dass die demographische Krise nicht gelöst, sondern benutzt werden soll, um die einheimischen Völker Europas in ihren eigenen Ländern in die Minderheit zu drängen.

(Es geht an dieser Stelle nicht um die Selbstverständlichkeit, dass Frauen, die Karriere machen wollen und können, daran nicht durch ihr Geschlecht gehindert werden sollen, sondern dass man mit massivster Propaganda und Quotenregelungen einen Sog erzeugt, der Frauen vom Familienleben fernhält. Im Einzelfall mag Familie und Karriere vereinbar sein, in der Masse ist sie es garantiert nicht. Es geht auch nicht um die Selbstverständlichkeit, dass ein freiheitlicher Staat sich nicht in das Intimleben seiner Bürger einmischt, sondern darum, dass man Jugendliche systematisch zur Homosexualität ermutigt und sie als attraktive Lebensform propagiert.)

Dieselben Eliten arbeiten daran, die Souveränität des Nationalstaats auf supranationale Organisationen zu übertragen, deren Daseinszweck darin besteht, alle Staaten, die ihnen angehören, einem einheitlichen Regelwerk zu unterwerfen, das damit zwangsläufig der demokratischen Kontrolle entzogen ist. Der Anwendungsbereich solcher Regeln, die angeblich auf internationaler Ebene notwendig sind, wird dabei zielstrebig immer mehr erweitert.

Nimmt man das alles zusammen: die systematische Verschärfung der demographischen Krise, die „Lösung“ durch forcierte Masseneinwanderung und die Selbstentmündigung der demokratischen Nationalstaaten, so lautet die Quintessenz, dass Völker als soziale Gegebenheiten wie als politische Einheiten aufhören sollen zu existieren – und das ist keine durchgeknallte rechte Verschwörungstheorie, das ist offizielle Politik: Man muss nur die wohlklingenden Phrasen von der „europäischen Integration“, der „Weltinnenpolitk“, von der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, von der „kulturellen Bereicherung“, den Segnungen der „Diversität“ und von der „Offenheit“ (eines Scheunentors) auf ihren rationalen Kern hin befragen und sich die Implikationen und Konsequenzen vor Augen halten, die es haben muss, wenn die westlichen Staaten einer solchen Ideologie folgen, dann liegt auf der Hand, dass hier die Utopie eines Weltsystems verfolgt wird, in dem Völker so wenig existieren werden wie Demokratie.

Nun steht einer solchen Politik die natürliche Neigung des Menschen entgegen, sich in Völkern zu organisieren (oder, abstrakter gesprochen: in Gruppen, die größer sind als die Familie, aber kleiner als die Menschheit), und deren Erhaltung und Entfaltung als hohen Wert zu empfinden. Da man dieses Empfinden nicht totkriegen kann, muss man es mit einem negativen Vorzeichen versehen. Da die Identifikation mit dem eigenen Volk eine anthropologische Konstante ist, sollen die Menschen wenigstens ein schlechtes Gewissen dabei haben und ihre eigenen, als „böse“ markierten Gefühle umso eifriger auf Andersdenkende projizieren, die ihres Patriotismus wegen als angebliche „Rechtsextremisten“ zur inquisitorischen Hexenjagd freigegeben sind.

Damit sie dieses schlechte Gewissen haben, sollen sie die unauslöschliche Schlechtigkeit und unvergebbare Schuld des eigenen Volkes als Ideologie verinnerlichen. Hier in Deutschland geschieht dies mithilfe der „Erinnerungskultur“, die sich auf den Holocaust bezieht, die Völker der ehemaligen Kolonialmächte sollen glauben, dass es nie etwas Schlimmeres gegeben habe als den Kolonialismus, die Amerikaner sollen sich für Sklaverei und Indianerausrottung schuldig fühlen, die Australier für das Schicksal der Aborigines usw., und das ganze wird zum Gedankenkomplex der „white guilt“ zusammengerührt, nach der sich auch Deutsche für den Kolonialismus, Engländer für den Holocaust, Franzosen für die Sklaverei irgendwie mitverantwortlich fühlen sollen. Das alles soll sich nun ein- für allemal nicht wiederholen, und dieses „Nie wieder“ soll jeden anderen Gesichtspunkt verdrängen.

Wer eine solche Ideologie verinnerlicht, kann die Existenz des eigenen Volkes nicht als etwas ansehen, das zu verteidigen sich lohnte. Er wird, ganz im Gegenteil, mit unausgesprochener Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass das eigene Volk sein Existenzrecht verwirkt habe, dass es also, wie die Nazis das genannt hätten, lebensunwert sei. Der Schuldkult soll die Gegner des liberal-globalistischen Paradigmas nicht nur ideologisch mattsetzen, sondern den Völkern des Westens die für ihre Fortexistenz notwendigen psychologischen Voraussetzungen entziehen. Völker, die nicht existieren wollen, die können und werden auf die Dauer nicht überleben.

Der Schuldkult ist also Teil eines Völkermordes mit anderen Mitteln. Die Nazis mit ihren Einsatzgruppen und Gaskammern waren in jeder Hinsicht blutige Amateure des Genozids, verglichen mit Ideologen, die ganze Völker dazu bringen, den Autogenozid zu wollen.

Versteh mich bitte richtig: Ich werfe weder Dir noch den Angehörigen Deiner Reisegruppe vor, dass Ihr diese Gesichtspunkte nicht gesehen habt. Ich kann nachvollziehen, dass man sich aus einer jüdischen Perspektive, die als solche auch völlig legitim ist, dafür interessiert, wie die Deutschen mit der Holocaust-Vergangenheit umgehen, und sie daran misst, dass sie ihn wenigstens nicht rechtfertigen oder beschönigen. Ich verstehe auch, dass man von diesem Standpunkt nicht auf die Frage kommt, ob die Deutschen mit ihrem masochistischen Übereifer womöglich nicht alle Tassen im Schrank haben?

Ich weise aber doch darauf hin, dass dieser Schuldkult von einem israelischen Standpunkt im höchsten Maße bedenklich sein sollte: Ihr beschwert Euch zu Recht, dass die Deutschen, und erst recht andere europäische Völker, zu wenig Verständnis für Eure Situation aufbringen und Euch mit Ratschlägen traktieren, deren Verwirklichung für Israel auf den nationalen Selbstmrod hinausliefe. Nun frage ich Dich: Wie soll eigentlich ein Volk, das wie besessen an der Selbstauflösung und am eigenen Untergang arbeitet, Verständnis für ein anderes haben, das um seine Existenz kämpft? Wie soll ein Volk, das den deutschen Charakter Deutschlands nicht für erhaltenswert hält (und dies sogar als Ausdruck einer besonders hohen politischen Moral betrachtet), eine Politik unterstützen, die darauf abzielt, den jüdischen Charakter Israels zu bewahren? Und was sollen Völker, die ihre eigenen Länder der muslimischen Masseneinwanderung öffnen, davon halten, dass Ihr den Palästinensern das „Rückkehrrecht“ verweigert, statt sie ans Herz zu drücken, um mit ihnen Multikulti zu spielen?“

Zum Christopher Street Day: der alternative Kommentar

In Spiegel online berichtet unter dem Titel „Bedrohte Engel“ eine gewisse Anne Onken über schwulenfeindliche Übergriffe in Berlin, die anscheinend im Vorfeld des Christopher Street Day zunehmen, und selbstredend strotzt der Artikel nur so von Propaganda:

Das fängt schon damit an, dass von

homophoben Übergriffen

die Rede ist, Schwulenfeindlichkeit also „Homophobie“ genannt wird.

Als sei es ausgemachte Sache, dass Abneigung gegen Schwule ihre Wurzel in einer „Phobie“, also einem psychischen Defekt haben müsse. Da kultur- und epochenübergreifend praktisch alle Männer, sofern sie nicht selbst schwul sind, und darüber hinaus viele Frauen eine Abneigung gegen weibisch sich gebärdende Männer hegen, vor allem wenn dies mit zur Schau getragener Homosexualität einhergeht, liegt diese Abneigung wohl in der Natur des Menschen begründet, und bedeutet die Verwendung des Wortes „Homophobie“, dass man diese Natur als defekt darstellt. Von dieser ideologischen Prämisse zur Forderung nach Massenumerziehung ist es nur ein Schritt.

Tausende von Engeln mit weißen Flügeln wollen am Samstag vom Ku’damm zum Brandenburger Tor ziehen. Und wieder einmal Gleichberechtigung für Lesben und Schwule, Trans- und Intersexuelle fordern.

Schwule Aktivisten als Engel. An die Verhöhnung der christlichen Religion hat man sich schon so gewöhnt, dass man sie als solche kaum mehr wahrnimmt. Zugleich macht die Schreiberin deutlich, was sie mit der Überschrift „Bedrohte Engel“ sagen wollte: dass Schwulsein heilig, ja engelsgleich ist.

Eine Stadt im Rausch – zwischen Euphorie und zerbrechlicher Normalität.

Ich kann bezeugen, dass „die Stadt“ mitnichten „im Rausch“ ist, wenn eine Tuntenparade ansteht, und euphorisch sind höchstens deren Teilnehmer. Die Stadt lässt Veranstaltungen dieser Art schicksalsergeben über sich ergehen.

„Normal ist anders“ lautet das Motto des diesjährigen Christopher Street Days in Berlin.

Es geht also nicht darum, um Toleranz zu werben, also dafür, dass Abweichungen von der Norm akzeptiert werden: Die (bisherige) Abweichung selber soll (neue) Norm werden – und die verdammten heterosexuellen Spießer sich für diesen ihren psychischen Defekt gefälligst schämen. (Freilich sollen sie nicht aufhören, Kinder in die Welt zu setzen, die den Schwulen ihre Rente finanzieren.)

Es ist offenkundig inkonsistent, einen narzisstischen Lustgewinn aus der möglichst schrill demonstrierten Andersartigkeit zu ziehen, zugleich aber das Zugeständnis einzufordern, man sei „normal“. Man kann sich mit Konformität wohlfühlen oder mit Nonkonformität, aber nicht mit beidem zugleich. Es geht den Schwulenlobbyisten auch nicht darum, dass Schwule sich wohler in ihrer Haut fühlen sollen, sondern um etwas ganz anderes: um dasselbe, worum es auch ihren linksliberalgrünfeministischen Genossen geht, nämlich darum, die existierende relativ intakte Zivilisation im Namen utopistischer Wahnideen zu zerstören; daher das ständige Anrennen gegen die traditionellen kulturellen Normen unserer Gesellschaft.

Lesben und Schwule erfahren selbst in der Hauptstadt tagtäglich, dass sich am gesellschaftlichen Konzepten von Normalität schwer rütteln lässt.

Heterosexualität ist also nicht etwa ein natürliches, sondern ein gesellschaftliches „Konzept von Normalität“. Selbst wenn es so wäre: Empirisch spricht wenig dafür, dass Völker, die ein anderes „gesellschaftliches Konzept von Normalität“ praktizieren, diesen Selbstversuch länger als hundert Jahre überleben würden.

„Wer anders aussieht, wird schnell blöd angemacht“, sagt Jan Salloch vom Vorstand des CSD. Offen schwul zu sein, kann unangenehm werden in Berlin.

Auch wenn es den Schwulenlobbyisten nicht passt: Schwule werden nicht wegen ihres „Aussehens“ „blöd angemacht“, sondern wegen ihres Verhaltens, und die mutwillig provozierende Aufmachung ist ein Teil dieses Verhaltens. Niemand ist für seine Hautfarbe verantwortlich, aber Jeder für seine Kleidung. Nehmen wir die Ledermänner: Was sagt uns einer, der so herumläuft?

Eine solche Aufmachung ist eine Persiflage, eine Parodie, eine Verhöhnung des Konzepts „Männlichkeit“. Und da es sich nicht um eine Karnevalsverkleidung handelt, die man aus Gaudi einmal im Jahr anlegt, sondern in der schwulen Szene gängig ist, handelt es sich um die institutionalisierte Beleidigung heterosexueller Männer. Und genau die ist auch gewollt.

Selbstverständlich ist auch den Schwulen klar, dass sich die meisten Mitbürger, wenn sie ehrlich sind, belästigt und angeekelt fühlen, wenn man sie mit zur Schau getragener männlicher Homosexualität konfrontiert (wobei die Betonung auf zur Schau getragen liegt: ich kenne niemanden, der sich etwa von Klaus Wowereit angewidert fühlt, es sei denn aus politischen Gründen. Warum ist das so? Weil er nicht tuntig wirkt.)

Warum aber wird sie dann zur Schau getragen? Nun, genau deswegen. Der Normalbürger soll geärgert werden. Und nicht nur geärgert, sondern auch gedemütigt: Er soll es nicht nur passiv dulden, sondern es auch nicht kritisieren dürfen. Nicht nur nicht kritisieren, sondern möglichst auch noch kundtun, wie sehr er sein Leben durch ubiquitäres Schwulentum bereichert fühlt („Eine Stadt im Rausch“). Der Sinn und Zweck der Sache wäre völlig verfehlt, wenn er es tatsächlich so empfände. Er soll sich vielmehr in seiner eigenen Umwelt so unwohl fühlen wie viele Schwule in ihrer eigenen Haut. Darum geht’s!

(Es handelt sich um dieselbe Art von Ressentiment, die manchen Penner veranlasst, nachts nicht ins Gebüsch zu pinkeln, sondern in den Vorraum einer Bank oder auf die Treppen einer U-Bahn-Station: Wovon man selbst ausgeschlossen ist, soll auch den Anderen vermiest werden.)

Auch weil die Szene in diesen Tagen in der Stadt besonders sichtbar ist – Menschen küssend und Hand in Hand durch die Stadt laufend – kommt es im Vorfeld der CSD-Parade vermehrt zu Übergriffen auf Lesben und Schwule. [Hervorhebung von mir, M.]

Spricht sie und führt eine Reihe von Übergriffen gegen Schwule auf – aber kein einziges Beispiel von Übergriffen gegen Lesben! Wenn sie aber dafür gar keinen Beleg hat, warum besteht sie dann darauf, dass Lesben genauso betroffen seien?

Weil sonst die ganze ideologische Konstruktion ins Wanken geriete:

Erstens könnte ja jemand auf die völlig abwegige Idee kommen, den Grund für Anfeindungen gegen Schwule in deren aufdringlicher Zurschaustellung der sexuellen Orientierung zu suchen, die für Schwule typisch ist, für Lesben aber nicht. Also im Verhalten der Betroffenen, nicht in der „Homophobie“ der Gesellschaft.

Zweitens müsste man sich die Frage stellen, warum männliche Homosexualität so viel anders bewertet wird als weibliche, und, da dies offenbar kulturübergreifend so ist, ob sich dahinter womöglich eine anthropologische Konstante verbirgt, also der Todfeind aller linken Sozialklempner?

Ich vermute, dass genau dies der Fall ist, und zwar aus einem psychologischen Grund, der nicht aus der Welt zu schaffen ist:

Jedes Kleinkind löst sich irgendwann aus der symbiotischen Beziehung zur Mutter und erfährt sich als eigenständige Person. Die identitätsprägende Grunderfahrung aller Menschen lautet also: Ich bin nicht derselbe Mensch wie meine Mutter.

Damit verbunden ist für Jungen, aber eben nicht für Mädchen die Erfahrung: Ich bin eine andere Art von Mensch als meine Mutter (nämlich männlich). Weil das so ist, ist männliche Identität deutlich negativ definiert („nicht weiblich“), weibliche Identität aber nicht. Und deshalb gilt eine burschikose Art bei einer Frau (egal ob lesbisch oder nicht) als individuelle Charakterausprägung, jedenfalls nicht als abstoßend, während man einen weibischen Mann instinktiv als nicht normal empfindet. Es mag durchaus sein, dass es angeborene Homosexualität bei Männern auch gibt; aber in vielen Fällen liegt der Homosexualität eine Persönlichkeitsstörung zugrunde, die als solche nicht angeboren ist, sondern auf ein Identitätsproblem verweist. Allein die atemberaubende Promiskuität, die für viele schwule Männer (aber nicht für lesbische Frauen) kennzeichnend ist, und die man bei heterosexuellen Männern ohne weiteres als krankhafte Sexsucht interpretieren würde, sollte genügen, die „Normalität“ von Schwulen in Frage zu stellen.

Das international bekannte Kinsey-Sexualforschungsinstitut in den USA befragte 574 homosexuelle Männer zu ihren Beziehungen: Nur 3 % der befragten Männer hatten bis dahin in ihrem Leben weniger als zehn Partner gehabt, 75 % der Befragten hatten mindestens hundert Partner gehabt, 43 % Prozent mindestens 500 Partner, und 28 % hatten Sexualkontakte zu 1000 und mehr Partnern gehabt.“ (Christa Meves, Verführt. Manipuliert. Pervertiert, Gräfelfing 2003, S. 134, unter Verweis auf: Bell, Weinberg, Hammersmith, Sexual Preverence, its Development in Men and Women, Bloomington 1981)

Wer sich der Krankheit der eigenen Persönlichkeit nicht stellen will, hat praktisch keine andere Wahl, als die Gesellschaft für krank zu erklären: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ lautete folgerichtig der Titel eines Films von Rosa von Praunheim. Die systematisch vorangetriebene Verschwulung der Gesellschaft ist unter anderem auch ein gigantisches Selbsthilfeprogramm einer Minderheit auf Kosten der Gesellschaft.

Eine Persönlichkeitsstörung ist per se nichts Verwerfliches, und sie disqualifiziert niemanden als Menschen, egal, ob sie nun zu Homosexualität oder, sagen wir, zu Impotenz führt. Nur sollte man weder das Eine noch das Andere für „normal“ erklären.

Aber kommen wir auf den Artikel in Spiegel online zurück :

Wenige Tage zuvor waren fünf Künstler aus der Queer-Community in Schöneberg beleidigt und angegriffen worden. Etwa 50 Kinder und Jugendliche hätten die Agentinnen des Ministeriums für Tuntensicherheit (TunSi) bedroht und Wasserbomben geworfen, heißt es auf deren Website. [Wir dürfen davon ausgehen, dass es sich bei den sogenannten „Agentinnen“ um Tunten, also mitnichten um Frauen handelte. M.] Die Agentinnen seien als pervers, krank und hässlich beschimpft und sogar mit Morddrohungen konfrontiert worden.

50 Kinder und Jugendliche? Da klingelt doch was? Kewil würde sagen: stinkt nach Allah.

Und richtig: Was auf der genannten TunSi-Netzseite gesagt, von der Spiegel-Schreiberin aber verschwiegen wird, ist dies:

Lediglich ein einziger (!) Heranwachsender mischte sich in die aufgeheizte Situation ein und bat um Nachsicht und Verständnis für die migrationgeprägten Angreifer, da diese es von ihren Eltern und Vorbildern nicht anders vorgelebt bekämen. [aus der TunSi-Pressemitteilung]

Warum dürfen die Spiegel-online-Leser das nicht erfahren? Weil die Multikulti- und die Queer-Ideologie, die hier so spektakulär miteinander kollidieren, in denselben ideologischen Zusammenhang gehören, und weil die scheinbare Inkonsistenz einer linken Ideologie, die vorgibt, die Interessen auch von Homosexuellen zu vertreten, aber gleichzeitig die militantesten Schwulenhasser des Planeten in Massen nach Deutschland importiert, die Frage aufwürfe, was denn tatsächlich die Funktion dieser Ideologie ist?

Man muss schon ungewöhnlich verbohrt sein, um zu übersehen, dass Toleranz gegenüber Schwulen nur in einer einzigen Kultur dieser Welt die Chance hat, als Tugend angesehen zu werden, nämlich in unserer eigenen. Auch die Verbannung der Gewalt aus den Alltagsbeziehungen und die Selbstverständlichkeit, mit der das staatliche Gewaltmonopol akzeptiert wird, sind kulturelle Errungenschaften Europas: Wer Schwule nicht mag, verprügelt sie trotzdem nicht – ja käme überhaupt nicht auf eine solche Idee! Wer ernsthaft mehrere Kulturen im selben Land beherbergen will, nimmt deren kulturelle Dispositionen in Kauf, und das heißt im Falle der muslimischen Kultur, dass „Recht“ nicht das ist, was der Gesetzgeber als solches definiert, sondern was von Allah offenbart wurde, und was deshalb jeder Muslim gegebenenfalls auch mit Fäusten zu vollstrecken berufen ist.

Wer mehrere miteinander unvereinbare Kulturen in dasselbe Land pfercht, betreibt Normauflösung: Es ist dann eben nicht mehr selbstverständlich, dass Konflikte verbal, schlimmstenfalls vor Gericht ausgetragen werden. Das Ergebnis ist schlimm für die Schwulen, aber die logische Konsequenz einer Politik der Normzersetzung, die auch und gerade von ihnen selber betrieben wird. Wer sich nämlich partout nicht damit zufriedengeben kann, dass seine Lebensweise als Abweichung von der Norm toleriert wird, wer stattdessen darauf beharrt, Homosexualität und Heterosexualität müssten als gleichberechtigte Lebensformen anerkannt werden, der wird nicht begründen können, warum eine muslimische und eine westlich-säkulare Lebensweise nicht als gleichberechtigt anerkannt werden sollen. Wenn es „normal“ sein soll, dass Schwule Kinder adoptieren, dann ist es auch normal, dass Türken und Araber in Deutschland so leben, wie sie es für richtig halten. Wer die Existenz einer Leitkultur unerträglich findet und selber an ihrer Zersetzung arbeitet, wird damit leben müssen, dass Andere diese Leitkultur ebenfalls nicht respektieren, und wer die kulturellen Normen unserer Gesellschaft so demonstrativ wie möglich mit Füßen tritt, ist nicht in der Position, von Anderen Anpassung zu verlangen. Die TunSi-Leute beklagen sich:

Kein Erwachsener griff ansonsten ein, weder Passanten, noch die Anwesenden im Zeitungsladen, der Eisdiele, dem Lederwarengeschäft oder die an der Bushaltestelle Wartendenden.

Ja, ja, wenn es einem selber an den Kragen geht, dann sind die verhassten Heteros gut genug, einen rauszuhauen. TunSi empört sich weiter:

Einige rechtfertigten die Angriffe sogar mit den Worten: „Wundert euch das bei eurem Aussehen?“, „Was lauft ihr hier auch lang?“, „Gegen so etwas wie euch gibt es in Deutschland nun mal keine Gesetze.“

Man sagt ihnen sogar noch, warum man ihnen nicht hilft: Provozieren bis zum Anschlag, die Toleranz der Gesellschaft täglich mutwillig und demonstrativ strapazieren – und sich dann beschweren, dass niemand sich mit einem solidarisiert! Selbstverständlich hat Jeder in einer solchen Lage Anspruch auf die Hilfe der Polizei; aber dass der verachtete Normalbürger sich für ihn prügelt? Das ist doch wohl etwas viel verlangt.

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass solche Erlebnisse bei den Betroffenen nicht etwa zur Selbstkritik führen. Sie fragen sich also nicht: Was haben wir selber dazu beigetragen, dass man uns nicht leiden kann? Sie fragen sich nicht, ob sie es vielleicht übertrieben haben: sich absichtlich in der Öffentlichkeit in einer Weise zu präsentieren, von der man weiß, dass sie als eklig empfunden wird; verbale sexuelle Belästigungen von Heteros, denen man ansieht, dass sie das sind; tätliche Angriffe auf praktizierende Christen (Christival); Versuche, missliebige Wissenschaftler mundtot zu machen; immer neue unverschämte Forderungen, Regenbogenfahnen an Rathäusern, Verfassungsänderungen, Sondergesetze gegen die Meinungsfreiheit, Schulbücher, in denen Jugendliche aufgefordert werden, Homosexualität auszuprobieren (wahrscheinlich damit der Nachschub an Frischfleisch nicht ausbleibt) – und Rufmord an den Kritikern von all dem!

Keine Selbstkritik also, stattdessen: more of the same! Nochmal TunSi:

Politik kann zwar Gesetze erlassen, in der eigenen Nachbarschaft muss aber JEDER persönlich mit Zivilcourage für Akzeptanz eintreten. Wer einfach nur weg sieht, beschönigt oder es sich in seiner Nische bequem macht (z.B. nur ein Mal pro Jahr hübsch auf dem CSD Sekt trinken – ansonsten immer schön unpolitisch bleiben), der ist mit dafür verantwortlich, dass „Integration“ und „Emanzipation“ hohle Floskeln bleiben.

Wer nicht täglich im Fummel herumläuft, wer sich nicht permanent sein Schwulsein heraushängen lässt, wer nicht täglich die Gesellschaft provoziert – der soll schuld sein! Welche Verblendung, welche Überheblichkeit, welch bornierte Ignoranz!

Und was wird der Senat nun tun? Wir ahnen es: ebenfalls more of the same. Noch mehr Propaganda, noch mehr Indoktrination, noch mehr Gehirnwäsche. Das Wort hat wieder Spiegel-online:

Genau da knüpft der Aktionsplan gegen Homophobie des Berliner Senats an, der Mitte Mai vorgestellt wurde. Für die kommenden zwei Jahre gibt das Land Berlin 2,1 Millionen Euro für bessere Aufklärung an Schulen und in sozialen Einrichtungen aus. Lehrer sollen fortgebildet und Workshops in Schulen angeboten werden. Auch setzt der Senat auf eine große Aufklärungskampagne, wissenschaftliche Studien und Erinnerungsarbeit. Verwaltung und Polizei sollen stärker für Diskriminierung und Ausgrenzung sensibilisiert werden. Das Geld sei gut anlegt, sagt Claus Nachtwey von der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung. „Die Akzeptanz für andere Lebensmodelle muss in der Bevölkerung einfach wachsen.“

Muss einfach wachsen. Zu deutsch: Das Volk muss umerzogen werden.

Da ist es kurioserweise fast schon tröstlich, dass Moslems – denn um die geht es ja, auch wenn weder der Spiegel noch der Senat es zugeben -, bereits von „Allah und dem Gesandten“ gehirngewaschen wurden und schon deshalb gegen jede andere Ideologie immun sind. Die schlechte Nachricht ist, dass alle anderen Jugendlichen (also die, die keine schwulenfeindlichen Attacken zu verantworten haben) ebenfalls diesem propagandistischen Trommelfeuer ausgesetzt werden. Und schade ist es um die zwei Millionen Euro.

Der Neue Adel

Zu den großen Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters gehörten die miteinander zusammenhängenden Ideen, dass Herrschaft sich als eine zu legitimieren hat, die dem Gemeinwohl dient, und dass dies nicht nur ein ideologischer Anspruch sein darf, sondern institutionell gewährleistet sein muss.

Dabei war von Anfang an klar, dass die Allgemeinheit, um deren Wohl es dabei geht, nicht etwa „die Menschheit“ ist, sondern jeweils ein konkretes Volk. Sofern das Gemeinwohl durch demokratische Verfahren gesichert wird, kann es bereits begriffslogisch, erst recht praktisch, nicht anders sein: Die Zumutung, die es für politische Minderheiten darstellen muss, sich den Entscheidungen der Mehrheit zu beugen, wäre gar nicht anders zu rechtfertigen als durch die Erwartung der Solidarität innerhalb eines Volkes; dass also zwischen Mehrheit und Minderheit Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, was jeweils konkret im Sinne des Gemeinwohls ist, dass aber kein Dissens darüber besteht, dass die Mehrheit mit dem Gemeinwohl zugleich das Wohl der unterlegenen Minderheit im Auge hat.

Demokratie setzt also voraus, dass es so etwas wie ein Volk gibt. Dies gilt nicht nur horizontal – dass also innerhalb eines demokratischen Gemeinswesens der Idee nach nicht mehrere Völker existieren können; es gilt auch und gerade vertikal und bedeutet, dass die herrschenden Eliten dem Gemeinwohl, also dem Wohl des Volkes, ihres Volkes, verpflichtet sind.

Die miteinander untrennbar verbundenen Gedanken von Demokratie und Nation konnten nur deshalb zur Kampfparole gegen die überkommene Adelsherrschaft werden, weil der Adel sich, zumindest aus der Sicht der bürgerlichen Revolutionäre, dem Dienst am Gemeinwohl in doppelter Weise verweigerte: zum einen, indem er keinen Gedanken daran verschwendete, ob seine Herrschaft im Interesse der unteren Stände lag; zum anderen, indem er unter seiner „Nation“ seinen Stand verstand. Einer Marie Antoinette kam es nicht in den Sinn, dass es in irgendeinem vernünftigen Sinne des Wortes „Verrat“ sein könnte, die Aufmarschpläne der eigenen französischen Truppen den zu ihren Gunsten intervenierenden Feinden preiszugeben; sie konnte nach ihrer Lesart das französische Volk nicht verraten: Dieses Volk war ihr Eigentum. Der Adel war eine internationale Kaste, Völker existierten für ihn nicht, sie waren bloße Masse: eine Masse von Untertanen.

Genau dies ist auch das Selbstverständnis der heute herrschenden Klasse, des Neuen Adels.

Will man dessen Ideologie in wenigen Sätzen zusammenfassen, so lautet sie, dass die Globalisierung „unvermeidlich“, und dass sie etwas Gutes ist: im globalen Maßstab also Kapitalverflechtung, freier Markt, freie Migration, Deregulierung von Märkten. Die politischen Konsequenzen liegen auf der Hand: Transferierung von Kompetenzen von den Nationalstaaten (der Idee nach also den Völkern) auf supranationale Organisationen (also auf unkontrollierbare Technokraten), Aushöhlung demokratischer Strukturen, Verschmelzung von Völkern und Kulturen.

Damit Märkte frei sind – frei von politischen Interventionen -, müssen die Nationalstaaten Entscheidungsbefugnisse abgeben. Das heißt selbstverständlich nicht, dass es keine Regeln gibt – irgendwelche Regeln muss es ja geben, sondern, dass sie von Institutionen wie der EU, dem IWF, der WTO gesetzt werden.

Warum aber sollten nationale Regierungen ihrer damit verbundenen Selbstentmachtung zustimmen? Nun, weil es sich eben nicht um eine Selbstentmachtung handelt, sondern ganz im Gegenteil um eine Selbstermächtigung: Die Regierungen herrschen ja weiter, aber eben nicht jede einzelne über ein Land, sondern alle zusammen über alle Länder. Es handelt sich um eine Kollektivherrschaft, um die Herrschaft einer Klasse. Eine Herrschaft, die aus der Sicht der Herrschenden den eminenten Vorteil hat, ohne so lästige Dinge wie parlamentarische Kontrolle oder öffentliche Kritik auszukommen. Kritik an einzelnen Regierungen wird zahnlos, wenn letztere darauf verweisen können, bloß Sachzwängen zu folgen. Dass diese Sachzwänge aus selbstgeschaffenen Strukturen resultieren, braucht man ja nicht zu erwähnen.

Der natürliche Widerstand der Völker gegen die Auflösung und Zerstörung ihrer Identität, ihrer Unabhängigkeit, ihrer Kultur, ihrer Sitten und Traditionen wird auf diese Weise nicht nur ausmanövriert, er erscheint sogar als etwas Rückständiges, Plebejisches, ja Böses.

Zum Gesamtbild gehört selbstredend auch, dass national geprägte Wirtschaftsstrukturen aufgelöst werden müssen. Freiheit von parlamentarischer Kontrolle genügt nicht; die Politik darf auch nicht auf dem Umweg über zum Beispiel eine „Deutschland AG“ gezwungen werden, sich an nationalen Interessen zu orientieren. Es ist wenig beachtet und bezeichnenderweise auch kaum zum Thema gemacht worden, dass eben diese Deutschland AG, das Netz wechselseitiger Verflechtungen innerhalb der deutschen Wirtschaft, in den neunziger Jahren zugunsten der Einbindung in etwas aufgelöst wurde, das man „Welt AG“ nennen könnte. Spätestens die von der rotgrünen Koalition beschlossene Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne stellte eine handgreifliche Aufforderung an die deutsche Wirtschaft dar, sich zu internationalisieren, und sie führte auch zum Ausverkauf der deutschen Wirtschaft. Zusammen mit der Einführung des Euro bedeutete dies den gelungenen Versuch, die drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt politisch zu neutralisieren. Die Internationalisierung der politisch herrschenden Klasse ging mit der der wirtschaftlich herrschenden Hand in Hand.

An einem solchen Prozess ist eine derartige Vielzahl von Akteuren beteiligt, dass es ohne einen Konsens über die Ziele dieser Politik nicht geht. Die Ideologie, die all dies legitimiert, muss nicht nur vorherrschend sein – was ja Raum für Dissidenz und für die Formulierung alternativer Konzepte ließe – sie muss zumindest innerhalb der herrschenden Klasse alternativlos und damit als Ideologie überhaupt nicht mehr erkennbar sein. Die gesellschaftliche Ideologieproduktion, namentlich die Wissenschaft und die Medien, müssen außerstand gesetzt werden, alternative Wirklichkeitsdeutungen vorzulegen.

Auf der Basis bloß eines platten neoliberalen Ökonomismus ist dergleichen nicht möglich: Zu weit verbreitet und zu tief verankert ist die sozialistische Kritik daran. Da trifft es sich, dass die marxistische Linke als Trägerin dieser Kritik mit dem Ende des auf dem Marxismus beruhenden sozialistischen Gesellschaftsmodells seit 1990 politisch bankrott ist und keine Alternative zum Kapitalismus mehr aufzuzeígen vermag. Das zerstörerische Potenzial des Marxismus ist aber nach wie vor vorhanden und wie geschaffen dafür, die Strukturen zu beseitigen, die der ungehemmten Entfaltung des Globalismus noch im Wege stehen. Der herrschaftskritische und egalitaristische Elan des Marxismus braucht lediglich von der Kapitalismuskritik ab- und auf Religions-, Nationalismus- und Traditionalismuskritik hingelenkt werden: Es entsteht eine Ideologie, die die bloße Wahrnehmung von Unterschieden, etwa zwischen Völkern, Religionen, Kulturen und Geschlechtern, erst recht aber ihre Affirmation als „rassistisch“, „ethnozentrisch“, „xenophob“, „sexistisch“, oder schlicht als „menschenfeindlich“ brandmarkt und damit die Auflösung überkommener Strukturen – Völkern, Familien, Religionen – vorantreibt. Sogar ein bisschen „Sozialismus“ dürfen die Linken noch spielen, weil der Sozialstaat als Immigrationsmagnet wirkt und damit die Existenz der Völker, also der potenziell mächtigsten Gegenspieler des Globalismus, untergräbt.

Wer darin einen Widerspruch zu den Idealen des Neoliberalismus sieht, verkennt, dass diese Art von Liberalismus kein zu befolgendes ordnungspolitsches Prinzip, sondern eine zu verwirklichende Utopie darstellt: Den Sozialstaat kann man unter solchen Vorgaben schon eine Weile in Kauf nehmen; es genügt, dass er eines Tages aufgrund seiner chronischen und stets zunehmenden Überforderung zusammenbrechen wird. Bis dahin wird er aber seinen Dienst getan haben, politische Solidargemeinschaften in bloße Massen von Einzelnen verwandelt zu haben. In der Zwischenzeit bindet seine Existenz die einheimische Unter- und untere Mittelschicht an die Linksparteien und hält sie davon ab, sich gegen die systematische Überfremdung und Zerstörung der eigenen Lebenswelt zur Wehr zu setzen. Indem sie an den Sozialstaat gefesselt werden, werden sie (und noch dazu umso mehr, je mehr sich ihre Lebensverhältnisse verschlechtern), an eine Struktur gefesselt, die die weitere Verschlechterung der Lebensverhältnisse bis zum Zusammenbruch garantiert.

Überhaupt ist ein gewisses Maß an finanzieller Selbstüberforderung der Nationalstaaten durchaus gewollt: Nur wer pleite ist – das lehrt auch die neueste Krise -, ist gezwungen, sich der Überwachung und Gängelung durch supranationale Organisationen zu unterwerfen und verliert seine Unabhängigkeit, ohne dass deswegen ein einziger Schuss abgefeuert werden müsste. Wer Neoliberalismus und Sozialismus immer noch als Gegensätze auffasst, hat – pardon – das Ende des Kalten Kriegs verschlafen.

Weil dies so ist, ist die Gleichheit in Gestalt einer Gleichmacherei, die nicht einmal zwischen Wir und Sie unterscheiden darf, verbunden mit dem Dogma von der angeblich unausweichlichen Globalisierung (auch sie ein vulgärmarxistisches Relikt), die ideologische Basis, auf der die Herrschaft der globalistischen Eliten aufbaut. Der Fortschritt kennt nur eine Richtung: Liberalisierung, Egalisierung, Entstrukturierung, Globalisierung. Dieser Glaube, der implizit jeden Widerspruch als reaktionär, fundamentalistisch oder rechtsradikal verketzert, darf nicht angefochten werden. Er kann auch gar nicht angefochten werden, jedenfalls nicht mit Aussicht auf gesellschaftliche Wirksamkeit, weil die Institutionen und Funktionssysteme, die die gesellschaftliche Wirklichkeitsbeschreibung hervorbringen, von den Globalisten monopolisiert werden.

Dabei kommt der Monopolisierung der „Wissenschaft“ die Schlüsselrolle zu, weil von hier aus die maßgebliche Ideologie aller anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme gesteuert wird: Schule, Medien, Wirtschaft, Recht, Politik.Da die Universität die notwendige Durchgangsstation für Jeden ist, der den Eliten gehören will, ist deren ideologische Konformität sichergestellt. Über die Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse entscheidet die Bejahung einer Ideologie.

An dieser Stelle wird deutlich, dass der Begriff des „Neuen Adels“ in zweierlei Hinsicht der Konkretisierung bedarf:

Zum einen beruht der Neue Adel nicht auf Dynastien; natürlich wird es auch weiterhin karrierefördernd sein, wenn schon die Eltern der Elite angehörten, aber dynastisches Denken, überhaupt Familiensinn, widerspricht dem radikalen Individualismus der Ideologie. Die Bejahung dieser Ideologie, nicht die Abstammung, ist das Entree zum Neuen Adel; wer dagegen loyal zum eigenen Volk ist, die eigene Kultur bewahrt oder an die Wahrheit der eigenen Religion glaubt, hat sich bereits dadurch disqualifiziert.

Zum anderen endete die Macht des alten Adels dort, wo die der Kirche begann und umgekehrt. Eine Klasse, in deren Hand sich nicht nur die wirtschaftliche und politische, sondern auch die ideologische und religiöse Macht vereint, die also zugleich definiert, was wahr und unwahr, was gut und böse ist, ist nicht einfach ein Adel, sondern ein Priesteradel, der korporativ totalitäre Macht ausübt.

Auf diese Weise ist es ihm auch möglich, Heerscharen von Mitläufern zu rekrutieren, ohne sie zu bezahlen. Der Wissenschaftsproletarier auf seiner befristeten Drittelstelle; der „freie“, weil zeilenweise bezahlte Journalist; der Lehrer, der sich bis zum körperlichen Zusammenbruch an einer Schule an „sozialen Brennpunkten“ aufreibt und sich selbst gratuliert, dass er trotzdem nicht zum „Ausländerfeind“ geworden ist; sie dürften sich bloß der Entlohnung nach kaum als Teil einer Elite fühlen, jedenfalls nicht nach bürgerlichen Maßstäben.

Nach den Maßstäben des Neuen Adels dürfen sie dies sehr wohl, weil sie durch die Bejahung seiner Ideologie zwar nicht an seiner Macht und seinem Reichtum teilhaben, wohl aber an seiner Selbstabgrenzung gegenüber der Plebs, dem Stammtisch, den bildungsfernen Schichten, oder wie auch immer die Menschen genannt werden, die die Ideologie der Eliten aufgrund ihrer täglichen Erfahrung als Lüge durchschauen. Aus der Sicht des Neuen Adels ist die Fadenscheinigkeit seiner ideologischen Konstrukte – etwa der „Diskriminierung“, des „Gender Mainstreaming“ oder der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ – durchaus funktional, gerade weil jeder Plattkopf sie durchschaut.

Wer sie dagegen bejaht, bekundet dadurch seine Bereitschaft zu glauben, was er glauben soll, also zur ideologischen Unterwerfung. Nicht trotz, sondern wegen ihrer haarsträubenden Dummheit und surrealistischen Wirklichkeitsferne eignen sie sich perfekt als das moderne Äquivalent zum Gesslerhut.

Mit dem Gemeinwohl hat der Neue Adel, den man deswegen auch so nennen darf, selbstredend nichts im Sinn, jedenfalls nicht, insofern das „Gemeinwohl“ von den Betroffenen zu definieren wäre, wie es dem demokratischen Gedanken entspräche. Die global herrschende Klasse hat ja kein globales Volk als Gegenpart, dessen Urteil sie sich in einer Art „Menschheitsdemokratie“ unterwerfen würde. Die wirkliche Menschheit wird immer den Erhalt der eigenen Gemeinschaften, Kulturen und Lebenswelten fordern; eine Menschheitsdemokratie ist daher ein Widerspruch in sich. Als Utopie, mit deren Hilfe die Zerstörung der Völker gerechtfertigt wird, taugt sie aber allemal – ganz ähnlich wie der Kommunismus, der ja auch nie hätte verwirklicht werden können, aber der totalitären Machtusurpation einer durch Ideologie zusammengehaltenen Klasse als moralisches Feigenblatt diente.

Hans Küng und die Freimaurer

Hans Küng ist allem Anschein nach nur deshalb noch nicht aus der Kirche ausgetreten, weil ein nichtkatholischer „Kirchenkritiker“ bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit erfährt wie ein katholischer. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, ob Küngs Theologie katholisch, sondern ob sie überhaupt christlich ist.

Sein von ihm vielgelobtes „Projekt Weltethos“ weist jedenfalls eine so deutliche Tendenz zur Entkernung von Religion auf, dass ich mich gestern veranlasst sah, spaßeshalber die Worte „Küng Freimaurer“ zu gugeln. Und siehe da: 2007 erhielt er den Kulturpreis der Freimaurer und hielt bei dieser Gelegenheit eine in jeder Hinsicht denkwürdige Rede:

Sehr herzlich danke ich Ihnen, lieber Fritz Pleitgen…

Schon der Anfang ist interessant, nicht wahr?

…und verehrter Großmeister Oberheide…

– der heißt wirklich so –

…für das hohe Lob, das Sie mir zukommen lassen. Da kommt mir unwillkürlich jener schwäbische Pfarrer in den Sinn, der in einer solchen Feierstunde sagte:

„Verzeih‘ Ihnen, Herr, daß Sie so sehr übertreiben; und verzeihe mir, Herr, daß ich so sehr Wohlgefallen daran finde.“

Aber Sie brauchen sich, meine sehr geehrten Freimaurer, meine Damen und Herren, um meine bleibende Nüchternheit und Bescheidenheit keine Sorge zu machen. Denn Sie können sich denken: Ihr Lob wird von anderer Seite sicher mit entsprechendem Mißverständnis und Tadel beantwortet. Jahrzehntelang mußte ich das Mißverständnis dementieren, daß ich Jesuit sei. Zwar bin ich an der Päpstlichen Universität Gregoriana und im Collegium Germanicum von Jesuiten ausgebildet worden und bin bis heute dankbar dafür. Aber ich bin niemals Jesuit geworden. Ich mußte sogar einen feierlichen Eid ablegen, nicht in die Gesellschaft Jesu einzutreten, sondern in meine Heimatdiözese Basel zurückzukehren. Aber nun werde ich wohl noch Jahre dementieren müssen, ich sei Freimaurer geworden, was nun einmal für manche konservative Katholiken noch immer eine höchst verdächtige Angelegenheit ist und Munition für ihre gelegentlichen Attacken zu sein verspricht.

Warum erinnert mich diese rhetorische Figur („Ich werde dementieren müssen, ich sei Freimaurer geworden“) so sehr an jene Columbo-Krimis, in denen der Mörder kunstvoll Verdachtsmomente gegen sich selbst fingiert, um sie dann effektvoll zu zerstreuen? Am Ende wird er dann freilich doch überführt. Machen wir also den Columbo:

Ob Küng Mitglied einer Freimaurerloge ist, ist in Wahrheit ebenso irrelevant wie die Frage, ob sein „Dialog“-Partner Yussuf al-Qaradawi Mitglied der Muslimbruderschaft ist. Er selbst behauptet, er habe die Bruderschaft verlassen, aber seine Bücher werden sowohl im Dunstkreis der Muslimbrüder selbst als auch anderer strenggläubiger Moslems als wegweisend gepriesen. Ob der Chefideologe selbst Mitglied ist – wen kümmert das?

Küngs „Projekt Weltethos“ jedenfalls geht von dem Dogma aus „Kein Weltfriede ohne Religionsfriede“. Dieser Satz, der sich in den Ohren zu vieler Zeitgenossen so „weise“ anhört, ist vom politikwissenschaftlichen Standpunkt ausgemachter Unfug: Sofern Kriege heutzutage überhaupt noch von der Religion verursacht werden, handelt es sich ausnahmslos um Kriege des Islam gegen Andersgläubige, was auch in der Natur der Sache liegt, weil der Islam die einzige Religion ist, die ihre gewaltsame Verbreitung nicht nur gutheißt, sondern fordert. Diese Eigenschaft des Islam zu einer Eigenschaft von Religion überhaupt zu erklären, ist empirisch unhaltbar, enthält aber ein religionspolitisches Programm:

Wenn Religion schlechthin nämlich den „Weltfrieden“ untergräbt, dann kann die Lösung nur darin liegen, sie, die Religion, erstens jeder gesellschaftlichen Verbindlichkeit zu berauben, und sie zweitens zum Verzicht auf alle Wahrheitsansprüche zu nötigen, die mit denen anderer Religionen konkurrieren. Der „Weltfriede“, also ein politisches Programm, wird dann zum Maßstab für die Gültigkeit theologischer Aussagen. Die „Toleranz“, die aus einer solchen Entkernung von Religion folgt, findet ihre natürliche Grenze dort, wo das traditionelle Religionsverständnis anfängt, das auf der Wahrheit einer bestimmten Religion unter Ausschluss aller anderen beharren muss.

Da die drei großen monotheistischen Religionen aber auf solchen miteinander konkurrierenden Wahrheiten aufbauen, sind Worte wie „Weltethos“ und „Religionsfriede“ nichts anderes als Chiffren für die Zerstörung ihrer theologischen Integrität. Christentum, Judentum und Islam könnten dann ihre hergebrachten Riten und Symbole, also die Form, beibehalten; der Inhalt wäre bei allen dreien derselbe und hätte mit dem, was jahrtausendelang überliefert wurde, kaum noch etwas zu tun. Es handelte sich dann um unterschiedliche Benutzeroberflächen für dasselbe Programm.

Es liegt daher eine gewisse Doppelbödigkeit darin, wenn die Freimaurer auf ihrer Website verkünden: „Der Widerspruch, einen Kulturpreis der Freimaurer ausgerechnet an einen katholischen Theologen zu vergeben, besteht nur vordergründig. Die Freimaurer verhalten sich zu religiösen Einstellungen vollkommen neutral; in Hans Küng ehrten sie einen Mann, der sich in ähnlicher Weise wie die Freimaurer für die Verständigung zwischen den Völkern und Kulturen einsetzt.“

Die Freimaurer, die bekanntlich jede gesellschaftliche Geltung religiöser Wahrheiten ablehnen, verhalten sich „neutral“ nur gegenüber Religionen, die ihrerseits „neutral“ sind. Jeder soll glauben, was er will: Das klingt wunderbar aufgeklärt, modern und neutral, impliziert aber, dass Gott nur noch toleriert wird, sofern er als Eigenfabrikation des Einzelnen erkennbar und es daher um seine moralische Autorität nicht besser bestellt ist als um die eines handgeschnitzten Götzen. Sie ehren Küng, weil er unter Religion genau dasselbe versteht wie sie selbst – ob er nun Mitglied ist oder nicht.

Er kann selbstredend nicht zugeben, dass er eine nichtchristliche Theologie vertritt, und dies bereits auf der Meta-Ebene, also da, wo es um die Frage geht, was Theologie eigentlich sein soll. Umso trefflicher lässt sich dann über jene „konservativen Katholiken“ die Nase rümpfen, die – offenbar aus reiner Böswilligkeit – „Munition“ für ihre „Attacken“ sammeln.

Umgekehrt hatten auch Sie als Freimaurer unter Verschwörungstheorien … zu leiden.

Ja, das ist freilich hochgradig unfair, eine Organisation, die sich seit dreihundert Jahren ihrer konspirativen Praktiken rühmt, der Konspiration zu verdächtigen.

Und Sie haben noch so viel dementieren können, daß Sie keine Religion und keine Antikirche sein wollen:

– was womöglich mit der Glaubwürdigkeit solcher Dementis zu tun hat, wenn sie die Religions- und Krichenfeindlichkeit eines bereits im Ansatz religionsfeindlichen Kultes dementieren sollen –

In bestimmten Kreisen wird man die alten Vorurteile und Legenden wiederholen. Authentische Freimaurer-Veröffentlichungen sind da oft so wenig gefragt wie die authentischen Evangelien, wenn es um Jesus von Nazaret und die Ursprünge des Christentums geht; auch da orientieren sich manche Zeitgenossen lieber an Phantastereien, wie sie jüngst noch der Roman „Da Vinci Code“ populistisch verbreitet hat.

Womit Küng nicht nur die entscheidenden Fragen elegant umgangen, sondern seinen Kritikern auch noch das geistige Niveau von Thrillergläubigen unterstellt hat, mit deren Kritik sich auseinanderzusetzen dann selbstverständlich unter seiner Würde ist.

Doch die noch immer bestehenden Vorurteile, meine Damen und Herren, kommen natürlich nicht von ungefähr, sondern haben einen ernsthaften historischen Hintergrund. Und das ist die lange Konfliktgeschichte zwischen dem Freimaurertum und besonders der römisch-katholischen Kirche. Eine unbestreitbare Tatsache ist erstens: Das moderne Freimaurertum hat, bei allen Symbolen und Riten aus den mittelalterlichen Bauhütten, seinen eigentlichen Ursprung in der Aufklärung des 18. Jh. (Gründung der Großloge von London 1717) und ist den aufklärerischen Idealen der Humanität und Toleranz verpflichtet.

Langsam und zum Mitschreiben: Die „Vorurteile“ haben einen Hintergrund, und der besteht darin, dass die Kirche sich mit der „Humanität und Toleranz“ der Freimaurer nicht anfreunden konnte. Es liegt also an der Inhumanität und Intoleranz der Kirche, dass es „Vorurteile“ gegen Freimaurer gibt.

Und eine unbestreitbare Tatsache ist zweitens: Gerade die römisch-katholische Kirche – wiewohl viele frühmoderne Naturwissenschaftler, Philosophen und auch Aufklärer keineswegs unchristlich waren – steht vom 17. Jh. an in einer systematischen Opposition zur Aufklärung:

Zur modernen Philosophie: die Fälle Giordano Brunos (1600 verbrannt) und René Descartes;

zur modernen Naturwissenschaft: der Fall Galilei (1633 verurteilt) und später der Fall Darwin;

zur modernen Staats- und Gesellschaftstheorie mit den Folgen, die zur Französischen Revolution (1789) führten.

Die Französische Revolution ließ sich an Humanität und Toleranz bekanntlich von niemandem übertreffen.

(…) Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß bereits 21 Jahre nach der Gründung der englischen Großloge, im Jahre 1738, Papst Klemens XII. in der Bulle „In eminenti“ die Freimaurerei verurteilte, was durch mehrere päpstliche Verurteilungen durch die nächsten 200 Jahre bestätigt wird. Die moderne Welt war nun einmal weitgehend ohne und gegen die Kirche Roms entstanden. Und die Freimaurer stehen selbstverständlich überall auf der Seite der Moderne.

Und damit sozusagen automatisch auf der richtigen, der schlechthin guten Seite. Dass keine Religion der Weltgeschichte, nicht einmal der Islam, so blutgierige Götzen hervorgebracht hat wie die hier en passant selbst zum Götzen erhobene Moderne; dass im Namen keiner Gottheit so hemmungslos gemordet wurde wie im Namen des Götzen „Fortschritt“; und dass die Kirche dies von Anfang an klarer gesehen hat als die von ihren eigenen Theorien besoffenen Aufklärer und Revolutionäre (unter denen nicht wenige Freimaurer waren), ist offenkundig nicht weiter erwähnenswert.

Der dramatische Konflikt erreicht seinen politischen Höhepunkt in der Französischen Revolution, deren Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ samt der Menschenrechtserklärung von 1789 von Rom von Anfang an radikal verworfen wird. In der Zeit der Restauration meint man, das mittelalterlich-gegenreformatorische Lehr- und Machtgefüge wieder herstellen zu können. Der 1864 von Pius IX. veröffentlichte „Syllabus (Sammlung)“ der modernen Irrtümer wird allenthalben als eine generelle Kampfansage an die Moderne angesehen. Mit Pantheismus und Rationalismus, Liberalismus und Sozialismus werden als Feinde auch die Geheimbünde genannt, (womit, liebe Kölner, selbstverständlich nicht etwa das hier besonders geförderte Opus Dei gemeint war, ein wirklicher Geheimbund, der ja erst im Dunstkreis des Franco-Faschismus gegründet wurde).

Man könnte auch sagen: im Dunstkreis der radikalsten und blutigsten Welle von Rotem Terror gegen Christen seit der Französischen Revolution.

Nein, da war natürlich in erster Linie das Freimaurertum gemeint, das kein Geheimbund ist, freilich auf Verschwiegenheit Wert legt.

Was ja ein grundlegender Unterschied ist.

Und das war nun im 19. Jh. besonders in Frankreich und Italien verständlicherweise radikal antiklerikal. Der nach einer systematischen „antimodernistischen“ Kampagne 1917 veröffentlichte Codex Iuris Canonici, das Gesetzbuch der katholischen Kirche, belegt denn auch die Mitgliedschaft in einer freimaurerischen Vereinigung mit der Strafe der Exkommunikation.

Verständlicherweise“ waren die Freimaurer „radikal antiklerikal“, aber verwerflicherweise hat die Kirche praktizierten Antiklerikalismus mit Exkommunikation geahndet.

Nun liegt es mir natürlich ferne, durch diese kurz skizzierte Konfliktgeschichte eine einseitige Schuldzuwendung vorzunehmen. Auch die Aufklärung hat ihre Schatten. Die katholische Kirche war Hauptopfer der Französischen Revolution: Verlust nicht nur ihres gesamten Grundbesitzes, sondern auch eines erheblichen Teils ihres Klerus.

Im Klartext: Die Kirche war nur aus Habgier und Rachsucht gegen die Freimaurer.

Und es bilden sich in Frankreich mehr als anderswo zwei gegensätzliche verfeindete Kulturen aus. Auf der einen Seite eine militante republikanisch-laizistische Kultur der liberalen, später auch sozialistischen freidenkerischen Anhänger von Aufklärung und Fortschritt. Auf der anderen Seite eine tief eingewurzelte katholisch-konservative, klerikale Gegen- oder Subkultur. Die Gegensätze dieser beiden Kulturen flackern an politischen Streitpunkten auch heute immer wieder auf: etwa im Schulstreit, oder im Streit um die Erwähnung des Gottesnamens und des Christentums in der Präambel der europäischen Verfassung. Aber im 20. Jh. ist man sich nach den zwei Weltkriegen immer mehr der „Dialektik der Aufklärung“ bewußt geworden, und man hat die fatale Kehrseite moderner Leitbegriffe wie Vernunft, Fortschritt und Nation erkannt. Und insofern hat sich sowohl in der katholischen Kirche als auch in der Freimaurerei ein Wandel vollzogen.

Das ist beides gelogen: Die Kirche hat „die fatale Kehrseite moderner Leitbegriffe wie Vernunft, Fortschritt und Nation“ schon immer erkannt, nicht erst nach zwei Weltkriegen. Und die Freimaurerei hat sie bis heute nicht erkannt. Der „Wandel“ ist höchst einseitig und besteht im Wesentlichen darin, dass weite Teile der Kirche unter dem Einfluss freimaurerisch orientierter Ideologen wie Küng ihre vollkommen zutreffenden früheren Einsichten über Bord geworfen haben und um keinen Preis bei der Peinlichkeit erwischt werden wollen, nicht hinreichend „modern“ zu sein.

Erfreulich ist deshalb: in den 1960er Jahren hat die katholische Kirche unter dem Impuls von Papst Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Joseph Ratzinger und ich haben als die beiden jüngsten Konzilstheologen daran teilgenommen) die beiden Paradigmenwechsel, den der Reformation und den der Aufklärung, weithin nachgeholt – wenn auch nicht konsequent, vielmehr mit zahlreichen Halbheiten und faulen Kompromissen.

Selbstverständlich, denn Küng und andere „Modernisierer“ mussten den Traditionalisten vorgaukeln, es werde lediglich das Vokabular ein wenig modernisiert, nicht aber ein Paradigmenwechsel vorgenommen. Nur um diesen Paradigmenwechsel in Richtung freimaurerischen Gedankenguts hinterher umso lautstärker einzufordern. Ändere die Worte, so könnte man diese Taktik zusammenfassen, dann ändert sich das Paradigma ganz von allein; und wenn nicht, kann man sich immer noch als „Kirchenkritiker“ profilieren.

Doch immerhin bekennt sich nun auch die katholische Kirche gegen alle früheren päpstlichen Lehräußerungen in aller Form zu Religionsfreiheit und Toleranz, zu den Menschenrechten, zur Ökumene der christlichen Kirchen, zu einer neuen Einstellung zum Judentum, zum Islam und den anderen Weltreligionen, ja zur säkularen Welt überhaupt.

Kein Wunder, daß diese positive Entwicklung auch die Einstellung zum Freimaurertum verändert hat. Zwar wurde den Konzilsvätern schon in der Ersten Konzilssession mehr als eine Hetzschrift über die sogenannte „jüdisch-freimaurerische Verschwörung“ in Haus geschickt. Doch konnte dies alles die Verabschiedung der Dekrete über die Religionsfreiheit und über die Juden nicht verhindern. Ja, es gab sogar eine Konzilsintervention zugunsten des Freimaurertums – durch einen mexikanischen Freund von mir, den Bischof von Guernavaca Sergio Méndez Arceo. Sie fand zwar keinen Niederschlag in den Konzilsdokumenten, doch wurde faktisch das Tor geöffnet für erste offizielle Gespräche zwischen dem Freimaurerbund und dem römischen „Sekretariat für die Nichtglaubenden“. Die Ergebnisse sind in der „Lichtenauer Erklärung“ (Schloß Lichtenau in Oberösterreich) vom 5. Juli 1970 festgehalten. Manche Mißverständnisse werden ausgeräumt und es wird klargestellt: der Bund der Freimaurer sei keine neue Religion und keine Antikirche, vielmehr eine dogmenfreie ethische Gemeinschaft, der Glaubens- und Gewissensfreiheit verpflichtet; die päpstlichen Bullen gegen die Freimaurer hätten nur historische Bedeutung, ebenso die Verurteilungen durch das Kirchenrecht.

Zehn Jahre später aber meint die Deutsche Bischofskonferenz so etwas wie eine „Unvereinbarkeitserklärung“ abgeben zu müssen: wegen Relativismus und Subjektivismus im Religionsverständnis der Freimaurer, deistischem Gottesbild, Ritualen mit sakramentsähnlichem Charakter …

Ja, wie kommt sie nur dazu, die Deutsche Bischofskonferenz, dergleichen für unvereinbar mit dem Christentum zu halten? Küng muss sich gefühlt haben wie ein Aufreißer, dem die spröde Schöne in letzter Minute von der Bettkante hüpft.

Doch beachten Sie, meine Herren Freimaurer, das Datum: der 12. Mai 1980: das war ziemlich genau ein Monat nach dem Abschluß der viermonatigen Auseinandersetzungen um die Lehrbefugnis des von Ihnen Ausgezeichneten an der Universität Tübingen, die zwischen der Woche vor Weihnachten 1979 und der Osterwoche 1980 zweifellos ein ungünstiges Klima schufen für die zur selben Zeit tagende Dialoggruppe der Bischofskonferenz und der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD).

Es ist per se unerfindlich, was die Lehrbefugnis von Herrn Küng mit der Abgrenzung zur Freimaurerei zu tun haben soll. Indem Küng diesen Zusammenhang selbst herstellt, sagt er mit eigenem Munde, wie nahe er den Freimaurern und ihrem Religionsverständnis tatsächlich steht.

(…) Drei Jahre später zeichnet sich in der römisch-katholischen Kirche eine veränderte Position ab. Die 1983 veröffentlichte nachkonziliare Neufassung des Codex Iuris Canonici erwähnt die Freimaurerei nicht mehr. Damit ist auch die 1917 angedrohte Exkommunikation aufgehoben. Ein moralisch begründetes Verbot einer Mitgliedschaft im Freimaurerbund freilich bleibt bestehen und wird in der „Declaratio de associationibus massonicis“ (26.11.1983) der römischen Glaubenskongregation unter dem Vorsitz von Kardinal Ratzinger, dem jetzigen Papst Benedikt XVI., für die Weltkirche bekräftigt. Aber, so hatte der Jesuit Richard Sebott schon 1981 in der katholischen Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ geschrieben „Es könnte durchaus sein, daß der Katholik, der in eine Freimaurerloge eintritt, ›bona fide‹ handelt, also der Meinung ist, mit seinem Eintritt in die Loge nichts Böses zu tun.“

Nun, es soll auch Katholiken geben, die „bona fide“ der Meinung sind, mit einer Abtreibung nichts Böses zu tun. Aber vermutlich soll die Kirche sich nach Meinung Küngs auch aus solchen Fragen heraushalten.

Katholische Autoritäten, die das Freimaurertum aburteilen, sollten bedenken, daß katholische Kirche und Freimaurertum ähnliche Probleme der Modernisierung haben: Hier wie dort die Diskussion, ob den hohen Idealen die real existierende Gemeinschaft genügend entspricht;

ob man mehr den mystischen oder mehr den aufklärerischen Aspekt der eigenen Gemeinschaft betonen soll;

ob man in den Riten mehr das Geheimnis oder die Öffentlichkeit pflegen soll,

ob man mehr die gleiche Würde der Mitglieder oder mehr die Hierarchie betonen soll.

Ich bin ganz sicher, dass auch mancher Satanskult mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat; vermutlich soll die Kirche deswegen auch den Satanismus nicht vorschnell „aburteilen“.

Dazu natürlich die Rolle der Frauen, die nicht nur in der Kirche, sondern auch im Freimaurertum ein Problem ist. Doch ob eine als Männerbund gegründete Gemeinschaft Frauen aufnehmen soll oder ein Frauenklub Männer, darüber läßt sich füglich und trefflich diskutieren. Undiskutabel aber erscheint mir, daß eine Kirche, die von Anfang an als eine Glaubensgemeinschaft von Männern und Frauen gegründet war, in der auch Frauen leitende Funktionen wahrnahmen, die Frau in den kirchlichen Diensten immer mehr zurückdrängte und schließlich von allen höheren Ämtern ausschloß.

Je mehr ich mir die jüngeren Entwicklungen in den protestantischen Kirchen vergegenwärtige, die Küngs Fortschrittsideale verwirklicht haben, desto weniger komme ich an der Vermutung vorbei, dass der Ausschluss von Frauen aus den höheren Ämtern eine gute Idee gewesen sein könnte.

In einem Punkt hat das Freimaurertum freilich notorisch weniger Schwierigkeiten: die Zölibatsfrage stellt sich nicht; auch die hohen Grade dürfen verheiratet sein.

Das ist freilich die Hauptsache; insbesondere wenn man bedenkt, dass der Zölibat eine hohe Hürde ist, die nach menschlichem Ermessen nur von Männern genommen wird, die von ihrer religiösen Mission überzeugt sind. Durch den Zölibat ist das Priestertum nicht ein Job wie jeder andere; er verlangt ein schweres Opfer. Eine solche Kirche lässt sich nicht ohne Weiteres unterwandern und verweltlichen.

Mit vielen anderen in allen christlichen Kirchen teile ich die Überzeugung, daß ein Christ Freimaurer sein kann und ein Freimaurer Christ. Besonders in den USA, in Italien und Österreich sind die Zugehörigkeit zu Kirche und Freimaurertum alltägliche Praxis. Hier und da gehören auch herausragende Vertreter der römisch-katholischen Kirche dem Bund an.

Man wüsste doch zu gerne, wer das ist

Und gerade daß der Freimaurerbund als solcher dogmenfrei sein will, ermöglicht die Mitgliedschaft ja sowohl Angehörigen eines religiösen Glaubens als auch Vertretern anderer Weltanschauungen, solange sie tolerant und den Idealen der Menschlichkeit verpflichtet sind.

Aber tunlichst nicht irgendwelchen Glaubenswahrheiten.

Und so freue ich mich denn aufrichtig über diesen Kulturpreis, der noch mehr als meiner Person der Sache gilt, der ich diene. Ich bin mir wohlbewußt, in einer Reihe sehr honoriger Preisträger zu stehen, von denen ich neben Fritz Pleitgen besonders Golo Mann, Siegfried Lenz und Karl-Heinz Böhm, Yehudi Menuhin und Lew Kopelew persönlich kennenlernen und hochschätzen durfte. Menuhin hat sich von Anfang an mehr als jede andere internationale Persönlichkeit für ein Weltethos eingesetzt und Kopelew ebenfalls die Idee tatkräftig unterstützt: Bewußtmachung gemeinsamer ethischer Standards in der einen Menschheit.

Anders ausgedrückt: der Ersetzung alter ethischer Standards durch neue und der alten Religionen durch eine Einheitsreligion mit bloß noch folkloristischen Varianten.

(…) Er bedeutet zugleich eine Bestätigung für die von mir geleitete Stiftung Weltethos, die Sie ja nun auch noch eigens bedacht haben: Wir sind ein kleines, aber hochmotiviertes und hocheffizientes Team, das in verschiedener Weise doch, mit der Unterstützung vieler, zu so etwas wie einem kleinen „global player“ geworden ist.

Klingt beunruhigend.

Vor allem aber macht der Preis deutlich, daß die elementaren Standards eines gemeinsamen Menschheitsethos, eines globalen Ethos, eines Weltethos, nicht nur von den Religionen, sondern auch von Nichtglaubenden und Angehörigen verschiedener Weltanschauungen mitgetragen werden kann und soll.

Schließlich waren es nicht zuletzt die Freimaurer selber, die bereits in den „Alten Pflichten“ von 1723, dem bis heute gültigen, aus den Bauhütten der Werkleute entlehnten Grundsatz der Freimaurer, es als ihre Aufgabe bezeichnen, „Menschen zusammenzuführen, die ansonsten einander immer fremd geblieben wären“.

Zu deutsch: Küngismus und Freimaurerei teilen dieselben Ziele.

(…) Spero unitatem ecclesiarum: Trotz aller römischen Restaurationsversuche und protestantischen Reaktionen hoffe ich nach wie vor auf eine Einheit (in Vielfalt!) der Kirchen.

Da das katholische Kirchenverständnis nur eine Kirche Jesu Christi zulässt, bedeutet diese Forderung, dass die katholische eine protestantische Kirche werden soll.

Spero pacem religionum: Trotz aller von beiden Seiten provozierten Spannungen und Auseinandersetzungen vor allem zwischen Christentum und Islam hoffe ich im Großen und Kleinen auf einen Frieden (nicht eine Einheit!) der Religionen.

Es wird sein Geheimnis bleiben, inwiefern „von beiden Seiten Spannungen provoziert“ worden sind.

Spero communitatem nationum: Trotz allen Rückfalls der verbliebenen Supermacht in das alte Paradigma politischer wie militärischer Konfrontation und kontraproduktiver Raketenpläne für Europa hoffe ich beständig auf eine wahre Gemeinschaft der Nationen (und nicht nur der EU).

Zu deutsch: Die EU, also institutionalisierte Ent-Demokratisierung Europas, ist eine gute Sache, und Küng träumt von einer EU im XXL-Format, die die ganze Welt umfassen soll. Deutlicher kann man die innere Logik des Zusammenhangs zwischen einer Entgrenzung, sprich: Zerstörung, der Religionen, und der Entgrenzung, sprich: Zerstörung, der Völker nicht hervorheben. Der negativen Theologie, wonach nur die Entleerung der Religionen um alles, was sie überhaupt erst zu Religionen macht, ihren Aufeinanderprall verhindern könne, entspricht eine negative Soziologie, wonach der Weg zum „Weltfrieden“ über die Zerstörung der vorhandenen Solidargemeinschaften führt.

Die Hoffnung, sagt man, stirbt zuletzt. Die Hoffnung, sage ich, steht an jedem neuen großen Anfang.

Und deswegen versuchen wir frohgemut immer aufs Neue solche „großen Anfänge“ wie 1789 in Frankreich, 1917 in Russland, 1949 in China, 1976 in Kambodscha …

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NWO – eine Verschwörungstheorie?

Den Islam mit Synkretismus entschärfen?

Erhard Eppler: „Auslaufmodell Staat?“ (Rezension)

Wenn es einen Punkt gibt, in dem das Denken vieler heutiger Konservativer in Europa kaum noch etwas mit dem zu tun hat, was noch bei ihren Vätern und Großvätern mit Selbstverständlichkeit als „konservativ“ galt, dann ist es das Verhältnis zum Staat. Der Hass, der auf rechten Webseiten über den Staat, speziell den Sozialstaat, ausgeschüttet wird, spottet jeder Beschreibung.

Zum Teil mag dies mit dem Verhalten des Staates selbst zu tun haben: Ein Staat, der, wie die Bundesrepublik, die Liquidierung des eigenen Volkes – als Demos, als Nation, als Ethnie, als Idee und Realität – zum Staatsziel, ja zur Staatsräson erhebt, kann von diesem Volk schwerlich Loyalität erwarten. Im Grunde ermuntert er sogar jeden einzelnen Bürger, indem er ihn als freien Einzelnen ohne Bezug zu einem größeren Ganzen definiert, zu einer individuellen Kosten-Nutzen-Analyse, ob Loyalität sich für ihn persönlich rechnet. Und wundert sich dann über das Ergebnis.

Ich glaube aber, dass es für viele rechte Staatshasser schon gar nicht mehr darauf ankommt, was der Staat tut oder lässt. Es geht nicht um diesen Staat, es geht um den Staat schlechthin, dessen Ablehnung, völlig unabhängig von seinem Verhalten, Programm und Ideologie zu sein scheint.

Wo dies der Fall ist, kommt darin eine Amerikanisierung des Denkens und eine Verachtung der eigenen kulturellen Traditionen zum Ausdruck, die für Konservative mindestens ungewöhnlich ist. Dabei ist „Amerikanisierung“ nicht als polemische Spitze gemeint, sondern als korrekter Ausdruck für die gedankenlose Übernahme eines fremden politischen Wertesystems:

Um es an den Nationalhymnen festzumachen, bedeutet einen Unterschied, ob eine Nation ihr Land als eines „der Freien und der Tapferen“ definiert oder sich selbst als ein Volk, das „fest zu Schutz und Trutze brüderlich zusammenhält“. Für Amerikaner ist der freie Einzelne die Basis der Nation, für Deutsche die zwischen ihnen bestehen(sollen)de Solidarität, das „Wir“, als dessen Repräsentant der Staat – als abstrakter Gesamtmonarch – gilt. (Und ein Teil des Zorns auf die BRD resultiert daraus, dass sie dieser Erwartung erkennbar nicht gerecht wird.)

Demgemäß tendieren Amerikaner dazu, sich zum Staat ungefähr so zu verhalten wie zu einer bösen Schwiegermutter: bestenfalls ein notwendiges Übel, das man aus dem eigenen Leben möglichst heraushält, weil es dort nur Unheil stiften kann. Die Nation verkörpert sich dort in der Zivilgesellschaft, nicht im Staat. Weil das so ist und zum Selbstverständnis der amerikanischen Nation gehört, sind libertäres und konservatives Denken dort ohne weiteres vereinbar und bedingen einander sogar. Eine zutiefst respektable Tradition – die aber nicht unsere ist. Man kann einiges davon lernen; wer sie aber zum Modell für die ganze Welt erheben will, formuliert ein weltrevolutionäres Projekt, also nichts, was man sinnvoll „konservativ“ nennen könnte.
Indem ich dies schreibe, habe ich auch schon einen Teil der Thesen wiedergegeben, die Erhard Eppler in „Auslaufmodell Staat?“ entwickelt; er freilich von einem sozialdemokratischen Standpunkt. Nein, ich werde meinen Blog nicht zu einer Werbeplattform für sozialistisches Gedankengut machen, auch wenn ich jetzt zwei linke Sozialdemokraten nacheinander positiv rezensiere. Ich glaube aber, dass man sich gerade auf der politischen Rechten intensiv damit auseinandersetzen sollte, wie neoliberale Ideologie zur Zerstörung gewachsener Strukturen und der mit ihnen verbundenen sozialen und moralischen Werte führt. Zwanzig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges sollte es auch unter Konservativen nicht mehr möglich sein, Ideen allein dadurch zu erledigen, dass man sie als „sozialistisch“ brandmarkt.

Die Frage, welche Güter besser privat und welche kollektiv bereitgestellt werden sollten, ist eine Frage von Interessen; desgleichen die Frage, wieviel soziale Sicherheit es geben sollte, und für wen es sie geben sollte. Wer diese Fragen als solche der „reinen Vernunft“ behandelt, weswegen es nur eine – und immer dieselbe – Antwort darauf geben könne, will betrügen. Die faulen Ausreden von Neoliberalen, die die verfolgte Unschuld spielen, weil angeblich ihre Lehre verzerrt und einseitig dargestellt werde, werden kurz und trocken erledigt:

In der Praxis ist man immer für weniger Staat, ohne zu sagen, wo die Theorie den funktionsfähigen Staat für unerlässlich hält. In der Praxis ist man immer für Deregulierung, ohne darüber nachzudenken, dass es ja die Aufgabe des Staates ist, Regeln zu setzen. In der Praxis ist man immer für Privatisierung, ohne auch nur anzudeuten, wo die Grenze der Privatisierung liegen könnte. In der Praxis ist man immer für Steuersenkung, auch wenn gerade eine stattgefunden hat. In der Praxis ist man erst für die Senkung des Spitzensteuersatzes, dann für ein Stufenmodell und schließlich für den gleichen Steuersatz für alle. Und vor allem: In der Praxis schafft man selbst einen beträchtlichen Teil der Zwänge, auf die man sich nachher beruft. (S.63)

Eppler bringt die entscheidenden Fragen auf den Punkt: wieviel Entstaatlichung man sich leisten kann, ohne in Zustände abzurutschen, wie sie in der Dritten Welt herrschen, und zwar durchaus nicht nur in „failed states“, sondern auch in Ländern wie Brasilien; wieviel Demokratie eigentlich möglich ist, wenn alle lebenswichtigen Ressourcen einer Gesellschaft sich in der Hand von Privatleuten befinden; was eine EU wert sein soll, deren leitender Wert nicht die Demokratie, sondern die Marktwirtschaft ist; was es bedeutet, wenn Gesellschaft auf Ökonomie reduziert wird; wer von einem unterfinanzierten und schwachen Staat profitiert, und dergleichen mehr.

Der Autor schreibt pointiert und überzeugend (und stilsicher: Es macht Spaß, ihn zu lesen!), wenn auch mit den üblichen blinden Flecken linker Autoren; etwa, wo er zwar völlig richtig analysiert, dass die EU ein Instrument zur Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsideologie (und das heißt: zur Entmachtung der Nationalstaaten und ihrer gewählten Regierungen, zur Nivellierung ihrer Institutionen und zur Kommerzialisierung ihrer kulturellen Werte) ist, anschließend aber ohne weitere Begründung die Hoffnung äußert, sie könne vielleicht doch noch demokratisch werden. Da wird der Wunsch zum Vater des Gedankens, weil die Alternative, nämlich die Revitalisierung des Nationalstaates, durch die Frieden-um-jeden-Preis-Ideologie (die ich in meinem Artikel „NWO – eine Verschwörungstheorie?“ dargestellt habe) tabuisiert ist.

Alles in allem ein sehr lesenswertes Buch – jedenfalls für solche Konservativen, die sich nicht von dem sprichwörtlichen Gespenst des Kommunismus ins Bockshorn jagen lassen und sich nicht selbst Denkblockaden auferlegen wollen.

Josef Haslinger: „Opernball“ – Rezension

41DE5BCTFPL._SL210_Als ich neulich Uwe Tellkamps Roman „Der Eisvogel“ rezensierte, fiel mir ein, dass das Thema „Terrorismus von rechts“ schon in den neunziger Jahren in einem Bestseller bearbeitet worden war. Josef Haslingers Thriller „Opernball“, erschienen 1995, war 1998 in einem spektakulären, hochkarätig besetzten und preisgekrönten Zweiteiler auf den Bildschirm gekommen. Ich hatte ihn damals gesehen und habe jetzt die Romanvorlage gelesen, die, wie so oft, weitaus besser, vor allem tiefschürfender ist als die Verfilmung.

Kurz zur Handlung: Auf den Wiener Opernball wird ein Giftgasanschlag verübt, bei dem praktisch die gesamte politische Elite Österreichs (nebst viel sonstiger Prominenz) ausgelöscht wird. Der Journalist Kurt Fraser, der bei diesem Anschlag seinen Sohn verliert, macht sich auf die Suche nach den Hintergründen und interviewt verschiedene Zeugen und Beteiligte. Aus deren Aussagen nebst Frasers eigener Schilderung setzt der Roman sich zusammen; formal hat er damit durchaus Ähnlichkeit mit „Der Eisvogel“, ist aber in seiner Gesellschaftsdiagnose klarer und schärfer und – als Thriller – deutlich unterhaltsamer als „Der Eisvogel“.

Der Journalist kommt auf die Spur einer Art Terrorsekte, die es unter einem messianischen Führer, der sich „der Geringste“ nennt, darauf abgesehen hat, durch einen gigantischen Terroranschlag den Selbstbehauptungswillen der abendländischen Zivilisation zu wecken. Es handelt sich nicht etwa um Neonazis – man erkennt es daran, dass der einzige wirkliche Nazi der Gruppe (namens Feilböck) zum Verräter wird – obwohl der „Geringste“ bei Bedarf bedenkenlos auf nazistisches Gedankengut zurückgreift. Der „Geringste“ ist vielmehr Christ – freilich ein Christ der ganz speziellen Art – und tief fasziniert von der Gestalt des Judas:

Der Leser wird schon ganz zu Beginn mit der überraschenden und für den Roman wegweisenden Idee konfrontiert, dass eigentlich Judas Iskarioth der Begründer des Christentums war, das ohne seinen Verrat nicht hätte entstehen können. Dieser Verrat bedeutete für Judas selbst die ewige Verdammnis durch Gott und die Menschen, aber nur durch Judas wurde Jesus gezwungen, sich für die Menschheit zu opfern: kein Selbstopfer Jesu ohne das des Judas. Dieses Motiv des notwendigen Verrats (Judas‘ an Jesus, Feilböcks an der Gruppe, der Gruppe an der Gesellschaft, deren Selbstheilungskräfte sie stärken will) zieht sich durch den ganzen Roman, in dessen Verlauf immer deutlicher wird, dass die Terroristen Mitwisser und stille Unterstützer in hohen Polizeirängen haben – Verräter aus Not auch sie.

Deren Verhalten wird plausibel durch die Perspektive des von Fraser interviewten Polizisten, der am Abend des Opernballanschlages Dienst hatte, und dessen Erzählungen einen zentralen Beitrag zu Haslingers Panorama einer sich im Verfall befindlichen Gesellschaft beitragen. Die Schilderung eines zerstörungswütigen linken Mobs aus der Sicht des Polizisten gehört für mich zu den beeindruckendsten und gelungensten Teilen des Romans, weil er so zukunftsweisend ist. Das Buch, wie gesagt, erschien 1995, aber ich habe unwillkürlich mehr als einmal nachgesehen, ob ich mich da nicht verguckt habe, so sehr ähnelt das Verhalten dieses Mobs (mitsamt seinen Verbindungen zur Islamistenszene und zur Muslimbruderschaft) dem, was wir heute beobachten.

Es ist dieses seismographische Gespür für die Brüchigkeit des Gesellschaftsgefüges, für seine schleichende Zersetzung, für die Risse im Fundament, mit dem der Autor das Verhalten der Terroristen so plausibel macht. Der Autor erklärt das Verhalten seiner Figuren nicht primär aus ihrem Charakter, sondern deutet es als Reaktion auf den Verfall der sie umgebenden Gesellschaft. Dadurch kann er es sich sparen, sie zu dämonisieren oder zu verurteilen oder verächtlich zu machen. Die religiöse Inbrunst, mit der sie glauben, etwas Unausweichliches zu tun, wirkt vor diesem Hintergrund nicht wie künstlich vom Autor erzeugter Fanatismus – nein, das passt alles.

„Opernball“ ist weit mehr als ein Unterhaltungsschmöker aus der Bahnhofsbuchhandlung. Als reiner Thriller hätte der Roman vielleicht sogar noch unterhaltsamer sein können (er ist aber auch so noch spannend genug); die Präzision, mit der der gesellschaftliche Hintergrund ausgeleuchtet wird, macht ihn zu einem bedeutenden Stück Literatur. Es könnte durchaus sein, dass dieses Werk von künftigen Kulturhistorikern als der Schlüsselroman der Jahrtausendwende eingestuft werden wird.

Mutter Staat

Wenn man soziale Vorgänge erklären will, die sich auf der Ebene ganzer Nationen und Kulturkreise, womöglich auch global abspielen und sich über Jahrzehnte oder Jahrhunderte erstrecken, dann wird man normalerweise mit einer einzigen Theorie nicht auskommen; man wird mehrere miteinander verknüpfen müssen.

Auf die Frage, warum konservative Positionen aus dem öffentlichen Diskurs westlicher Länder so gut wie verbannt sind, gibt es viele zutreffende (und miteinander kompatible) Antworten. Hier geht es mir um die psychologischen Voraussetzungen, unter denen eine linke Mentalität entstehen und gesellschaftlich dominant werden kann. Politische Überzeugungen können philosophisch von jedem Einzelnen mehr oder minder rational begründet werden, aber sie werden nicht massenhaft auftreten, wenn sie nicht auf einem Unterfutter vorbewusster Einstellungen, also auf einer Mentalität aufbauen.

Ich schlage vor, den Mentalitätswandel, der in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts praktisch überall im Westen um sich gegriffen und zu einer entsprechenden Veränderung der politischen Grundüberzeugungen geführt hat, auf den Begriff „Feminisierung“ zu bringen.

Ich halte es für plausibel, dass in dem Bild, das eine Gesellschaft sich von Gott macht – dem Inbegriff des Guten -, deren eigene Mentalität sich zu einem Leitbild verdichtet. Daher ist es mehr als nur ein Kuriosum am Rande, dass linke Theologen sich allen Ernstes Gott als Frau vorstellen, und wenn nicht dies, so jedenfalls nicht als einen strafenden und fordernden – väterlichen – Gott.

Es zeigt sich eine auffallende Parallele zwischen diesem Gottesbild und den Erwartungen an den Staat, dessen Charakter als Rechts- und Ordnungsstaat, auch als (Grenzen ziehender und sie verteidigender) Nationalstaat mehr und mehr in den Hintergrund rückt zugunsten eines helfenden und fördernden, Wohltaten verteilenden, bei Streitigkeiten vermittelnden und jeden in seinen Schoß aufnehmenden – mit einem Wort: mütterlichen Staates. Der Staat, den die Linke sich vorstellt, gleicht einer gigantischen Mutterbrust. Die entstrukturierte und entdifferenzierte Gesellschaft, die den Kern des linken Projekts ausmacht, gleicht dem nicht strukturierten und nicht differenzierten Säuglingshirn und ist gewissermaßen dessen soziale Objektivierung.

Dass diese Dominanz mütterlicher Leitbilder sich ausgerechnet bei den Kindern der Kriegsgeneration zuerst durchsetzte, liefert einen Hinweis auf die Ursache: Ich vermute sie in den enormen Verlusten an Männern in den beiden Weltkriegen (weswegen Europa wahrscheinlich stärker betroffen ist als Amerika), durch die sehr viele Frauen in die Rolle des Familienoberhaupts gedrängt wurden, weil der Mann gefallen, invalide oder ein psychisches Wrack, zumindest aber lange Zeit abwesend war. Diese Aufwertung der Mutterrolle könnte für die deutliche Feminisierung der Gesellschaft – und für ihren Hang zu typisch linken Problem“lösungen“ mitverantwortlich sein.

Diese Glorifizierung femininer Leitbilder wurde von der Linken bis in die politische Ideologie übertragen. Wer den Niedergang und schließlich die Auflösung unserer Gesellschaft, also den Prozess ihrer Entstrukturierung und Entdifferenzierung aufhalten will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er sich nicht nur mit linken Eliten und deren Ideologie auseinanderzusetzen hat, sondern auch mit einer Kollektivmentalität, die von genau dieser Ideologie durchdrungen ist.

Vom Weltbild der Israel-Hasser

Es ist oft gefragt worden, warum unter den vielen Krisenherden dieser Welt ausgerechnet der im Nahen Osten immer wieder ganz besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Von den denkbaren und plausiblen Antworten auf diese Frage scheint mir eine ganz besonders einleuchtend:

Dieser Konflikt enthält in sich gleichzeitig die Konflikte

  • zwischen dem Westen und dem Islam,
  • zwischen Freiheit und Totalitarismus,
  • zwischen der ordnenden und geordneten Gewalt des Staates und der chaotischen, entgrenzten und vagabundierenden Gewalt von Warlords, Terroristen und Kriminellen,
  • zwischen dem Recht als einer rationalen, Sicherheit und Berechenbarkeit verbürgenden Ordnung und der „Gerechtigkeit“ als der Entrechtung des Stärkeren und Selbstermächtigung des Schwächeren zu Willkür und Gewalt.

Es handelt sich also um genau diejenigen Konflikte, deren Ausgang über den Fortbestand der westlichen Zivilisation, wahrscheinlich sogar der Zivilisation schlechthin, entscheiden wird – um diejenigen, die oft unausgesprochen, verdeckt, vermischt und verleugnet den Subtext der Weltpolitik bilden, die aber nirgendwo so klar, so konzentriert, so bis zur äußersten Feindschaft gesteigert zutage treten wie eben im Nahen Osten. Weil das so ist, lässt sich das politische Weltbild eines Menschen an seiner Einstellung zum Nahostkonflikt wie an einer geeichten Skala ablesen.

Sage mir, wie Du zu Israel stehst, und ich sage Dir, wer Du bist.

Nehmen wir nur – pars pro toto – das unsagbar dumme Gerede über die „Verhältnismäßigkeit“, die Israel angeblich missachtet. In den Worten eines gewissen Ulrich Leidholdt, der als ARD-Korrespondent (also auf Kosten des Gebührenzahlers, der sich nicht dagegen wehren kann, dass sein sauer verdientes Geld zur Unterstützung ausländischer terroristischer Vereinigungen veuntreut wird) in Amman sein Unwesen treibt:

„16 Tote in Israel durch Hamas-Raketen aus Gaza in sieben Jahren – rechtfertigt das 300 Tote an nur einem Tag durch die Israels Luftwaffe?“

Wie sieht eigentlich das Weltbild eines Menschen aus, der es fertigbringt, einen solchen Satz zu schreiben? Ungefähr so: Einen Mord darf man nur dann im Wege der Nothilfe (bzw. Notwehr) verhindern, wenn die Zahl der Täter und Helfershelfer die der Opfer nicht übersteigt. Sollte also Herr Leidholdt eines Tages in die bedauernswerte Situation geraten, auf den Straßen von Amman von einer wütenden Menge gelyncht zu werden, die seine Kommentare nicht militant genug fand, so müsste die jordanische Polizei ihm sagen: „Tut uns leid, Herr Leidholdt, um Ihnen – also einem Menschen zu helfen, müssten wir mehrere Menschen töten, und das wäre unverhältnismäßig. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass Sie sich aufhängen lassen müssen.“

(Zugunsten der jordanischen Polizei möchte ich annehmen, dass ihre Ausbilder juristisch hinreichend geschult sind zu wissen, dass die Verantwortung für eine Tötung in Notwehr/Nothilfe denjenigen trifft, der die Notwehrsituation herbeigeführt hat, und dass sich deswegen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit gar nicht erst stellt! Weniger geschwollen ausgedrückt: Wer einen Anderen zwingt, ihn zu töten, ist selbst schuld.)

Analoges gilt für die hysterische Empörung über die zivilen Opfer des Krieges. Es ist zutreffend, dass jede Kriegspartei verpflichtet ist, die Schädigung, insbesondere Tötung von Nichtkombattanten nach Möglichkeit zu vermeiden. Diese Norm hängt aber nicht in der Luft, sondern findet ihre logische und notwendige Ergänzung in dem strikten Verbot, den Unterschied zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu verwischen. Wer das trotzdem tut, indem er Kämpfer oder militärische Einrichtungen nicht als solche kennzeichnet, Zivilisten Waffen schmuggeln lässt, Raketen von Schulhöfen abfeuert, Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht, Munition in Moscheen lagert usw., begeht damit ein schweres Kriegsverbrechen und ist verantwortlich für alle daraus resultierenden zivilen Opfer.

Oder erinnern wir uns an die Empörung darüber, dass Israel nicht bereit war, mit der Hamas offizielle Verhandlungen aufzunehmen: Dies bedeute die Nichtanerkennung einer gewählten Regierung. Das ist zwar Unsinn, aber lassen wir es mal so stehen. Der Umkehrschluss lautet aber, dass das palästinensische Volk, indem es der Hamas ein Mandat erteilt hat, und dies sehenden Auges, für deren Handlungen verantwortlich ist.

Wenn man das Weltbild der westlichen Israelhasser gestützt nur auf diese Beispiele – die Liste lässt sich mühelos verlängern – zusammenfasst, so lautet es,

  • dass gesetztes Recht Unrecht ist,
  • dass Staaten nur Pflichten haben (insbesondere die Pflicht zum Gewaltverzicht),
  • private Akteure aber nur Rechte (einschließlich des Rechts auf willkürliche Gewaltanwendung),
  • dass demgemäß Staaten für alles verantwortlich sind, Private aber für nichts,
  • dass Demokratien, weil sie Staaten sind, kein Recht auf Selbstverteidigung haben, auch nicht gegen totalitäre Bewegungen, auch nicht gegen Terroristen,

…und dass insbesondere Israel nicht das Recht hat zu existieren. Preisfrage: Ist das Antisemitimus?

Ich würde sagen: Nein.

Natürlich ist Antisemitismus in westlichen Gesellschaften weit verbreitet, und es wäre ganz merkwürdig, wenn er im Zusammenhang mit Israelfeindlichkeit nicht zum Vorschein käme – denken wir nur an die unsägliche Bettina Marx und ihre „reichen Juden“ -, aber die skizzierte Ideologie funktioniert auch ganz und gar ohne Antisemitismus.

Wer den Staat – den Ordnungsstaat, den Rechtsstaat, den Nationalstaat – schlechthin ablehnt, wäre ganz inkonsequent, wenn er gerade für Israel eine Ausnahme machte. Wer Recht, Gesetz und Ordnung schlechthin für antiemanzipatorisch hält, muss kein Antisemit sein, um auch das israelische Recht zu verachten. Wer alle westlichen Völker einschließlich des eigenen hasst, hasst auch das jüdische.

Eine solche Ideologie ist nicht antisemitisch, sondern antizivilisatorisch! Es ist genau diejenige Ideologie der Entstrukturierung, der Auflösung und des Chaos, die den destruktiven Kern linker Ideologie darstellt. (Dass diese anarchistische Ideologie regelmäßig nicht in der herrschaftsfreien, klassenlosen oder sonstwie beglückten Gesellschaft mündet, sondern im Totalitarismus, liegt in der Natur der Sache und bedarf keiner Erläuterung.)

Der Nahostkonflikt ist der Lackmustest, der diesen Sachverhalt sichtbar macht.