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Josef Haslinger: „Opernball“ – Rezension

41DE5BCTFPL._SL210_Als ich neulich Uwe Tellkamps Roman „Der Eisvogel“ rezensierte, fiel mir ein, dass das Thema „Terrorismus von rechts“ schon in den neunziger Jahren in einem Bestseller bearbeitet worden war. Josef Haslingers Thriller „Opernball“, erschienen 1995, war 1998 in einem spektakulären, hochkarätig besetzten und preisgekrönten Zweiteiler auf den Bildschirm gekommen. Ich hatte ihn damals gesehen und habe jetzt die Romanvorlage gelesen, die, wie so oft, weitaus besser, vor allem tiefschürfender ist als die Verfilmung.

Kurz zur Handlung: Auf den Wiener Opernball wird ein Giftgasanschlag verübt, bei dem praktisch die gesamte politische Elite Österreichs (nebst viel sonstiger Prominenz) ausgelöscht wird. Der Journalist Kurt Fraser, der bei diesem Anschlag seinen Sohn verliert, macht sich auf die Suche nach den Hintergründen und interviewt verschiedene Zeugen und Beteiligte. Aus deren Aussagen nebst Frasers eigener Schilderung setzt der Roman sich zusammen; formal hat er damit durchaus Ähnlichkeit mit „Der Eisvogel“, ist aber in seiner Gesellschaftsdiagnose klarer und schärfer und – als Thriller – deutlich unterhaltsamer als „Der Eisvogel“.

Der Journalist kommt auf die Spur einer Art Terrorsekte, die es unter einem messianischen Führer, der sich „der Geringste“ nennt, darauf abgesehen hat, durch einen gigantischen Terroranschlag den Selbstbehauptungswillen der abendländischen Zivilisation zu wecken. Es handelt sich nicht etwa um Neonazis – man erkennt es daran, dass der einzige wirkliche Nazi der Gruppe (namens Feilböck) zum Verräter wird – obwohl der „Geringste“ bei Bedarf bedenkenlos auf nazistisches Gedankengut zurückgreift. Der „Geringste“ ist vielmehr Christ – freilich ein Christ der ganz speziellen Art – und tief fasziniert von der Gestalt des Judas:

Der Leser wird schon ganz zu Beginn mit der überraschenden und für den Roman wegweisenden Idee konfrontiert, dass eigentlich Judas Iskarioth der Begründer des Christentums war, das ohne seinen Verrat nicht hätte entstehen können. Dieser Verrat bedeutete für Judas selbst die ewige Verdammnis durch Gott und die Menschen, aber nur durch Judas wurde Jesus gezwungen, sich für die Menschheit zu opfern: kein Selbstopfer Jesu ohne das des Judas. Dieses Motiv des notwendigen Verrats (Judas‘ an Jesus, Feilböcks an der Gruppe, der Gruppe an der Gesellschaft, deren Selbstheilungskräfte sie stärken will) zieht sich durch den ganzen Roman, in dessen Verlauf immer deutlicher wird, dass die Terroristen Mitwisser und stille Unterstützer in hohen Polizeirängen haben – Verräter aus Not auch sie.

Deren Verhalten wird plausibel durch die Perspektive des von Fraser interviewten Polizisten, der am Abend des Opernballanschlages Dienst hatte, und dessen Erzählungen einen zentralen Beitrag zu Haslingers Panorama einer sich im Verfall befindlichen Gesellschaft beitragen. Die Schilderung eines zerstörungswütigen linken Mobs aus der Sicht des Polizisten gehört für mich zu den beeindruckendsten und gelungensten Teilen des Romans, weil er so zukunftsweisend ist. Das Buch, wie gesagt, erschien 1995, aber ich habe unwillkürlich mehr als einmal nachgesehen, ob ich mich da nicht verguckt habe, so sehr ähnelt das Verhalten dieses Mobs (mitsamt seinen Verbindungen zur Islamistenszene und zur Muslimbruderschaft) dem, was wir heute beobachten.

Es ist dieses seismographische Gespür für die Brüchigkeit des Gesellschaftsgefüges, für seine schleichende Zersetzung, für die Risse im Fundament, mit dem der Autor das Verhalten der Terroristen so plausibel macht. Der Autor erklärt das Verhalten seiner Figuren nicht primär aus ihrem Charakter, sondern deutet es als Reaktion auf den Verfall der sie umgebenden Gesellschaft. Dadurch kann er es sich sparen, sie zu dämonisieren oder zu verurteilen oder verächtlich zu machen. Die religiöse Inbrunst, mit der sie glauben, etwas Unausweichliches zu tun, wirkt vor diesem Hintergrund nicht wie künstlich vom Autor erzeugter Fanatismus – nein, das passt alles.

„Opernball“ ist weit mehr als ein Unterhaltungsschmöker aus der Bahnhofsbuchhandlung. Als reiner Thriller hätte der Roman vielleicht sogar noch unterhaltsamer sein können (er ist aber auch so noch spannend genug); die Präzision, mit der der gesellschaftliche Hintergrund ausgeleuchtet wird, macht ihn zu einem bedeutenden Stück Literatur. Es könnte durchaus sein, dass dieses Werk von künftigen Kulturhistorikern als der Schlüsselroman der Jahrtausendwende eingestuft werden wird.

Uwe Tellkamp: Der Eisvogel – Rezension

41ZghGF3K7L._SL210_Ich sollte vielleicht gleich zugeben, dass ich von Tellkamps Roman ein wenig enttäuscht bin. Gut, der Autor ist ein begnadeter Sprachkünstler mit einem Sinn für Atmosphärenschilderung, Charakterskizzen, stimmige und überraschende Metaphern, ein gelernter Lyriker und bestimmt einer von Rang. Auch die Charaktere die er zeichnet, sind überzeugend, und der Aufbau des Romans – mit einer Tötungsszene einzusteigen und in Rückblenden, den Erzählungen verschiedener Beteiligter, verbunden in einem System kunstvoll verschachtelter Ebenen zu erzählen, wie es dazu gekommen ist – das hat schon was.

Eigentlich sind alle Zutaten für einen großen Roman vorhanden, nur hat Tellkamp den nicht geschrieben. Er deutet nur an, dass er ihn hätte schreiben können, wenn seine Gesellschaftskritik mehr Tiefenschärfe gehabt hätte, und er den Mut, dazu zu stehen.

Ich rekapituliere kurz die Handlung: Der Bankierssohn Wiggo Ritter, der gegen den Willen seines Vaters Philosophie studiert hat und ein brillanter Kopf ist, wird von seinem Professor – wahrscheinlich wegen seiner allzu unkonventionellen Thesen – als „Kryptofaschist“ beschimpft und als Assistent gefeuert, stürzt ab in die Arbeitslosigkeit und kommt nicht mehr auf die Beine. Er begegnet Mauritz Kaltmeister, einem rechten Aktivisten, der eine Terrororganisation aufbaut, um die verlotterte Demokratie zu zerstören und einen Ständestaat zu errichten. Als Ritter sich eines Besseren besinnt, die Sinnlosigkeit von Terrorismus erkennt und sich aus der Organisation zurückziehen möchte, kommt es zum Konflikt mit dem zunehmend fanatischer werdenden Kaltmeister, den Ritter in der Eingangsszene erschießt.

Wie gesagt, die Charakterzeichnungen finde ich überzeugend: Mit dem Protagonisten Ritter kann ich mich geradezu identifizieren: Ein intelligenter Kopf, der erkennt, wie morsch die Gesellschaft ist, in der er lebt, und der die Herrschaft von Dummheit und Lüge als solche durchschaut und darunter leidet – ja, doch, das kommt mir bekannt vor.

Auch die zweite Hauptfigur, der Tatmensch Mauritz, den es um nahezu jeden Preis zur Aktion drängt und dessen Verhältnis zu Wiggo zwischen Respekt und Spott schwankt, finde ich ausgesprochen gelungen. Überhaupt scheint der Konflikt zwischen den aktivistischen Draufgängern und den nachdenklichen Intellektuellen unter Terroristen und solchen, die es werden wollen, ziemlich häufig vorzukommen, man denke an das Verhältnis zwischen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin.

Tellkamps Problem ist, dass er sich zwar in das Empfinden, aber nicht in das Denken der Hauptfiguren hineinzuversetzen vermag: Die Gesellschaftskritik, die er ihnen in den Mund legt – Materialismus, Oberflächlichkeit, Gier, Angst als Charakteristika des typischen Zeitgenossen – bleibt klischeehaft, flach und unreflektiert, sie passt zu keinem der beiden Charaktere.

Die Strategie, die Mauritz vorschlägt: durch Terror zunächst Verunsicherung zu verbreiten, damit die Menschen sich dann nach starker Autorität sehnen; seine Utopie eines Ständestaats (ein Konzept, das seit Jahrzehnten niemand mehr vertritt, und wäre er noch so reaktionär, und das man deshalb auch keiner Romanfigur andichten kann, ohne unglaubwürdig zu werden) – das wirkt alles hölzern und konstruiert, es wirkt so, wie Linke sich die Rechten vorstellen.

Wenn man dann noch an die völlig unglaubwürdige – und völlig misslungene – Szene denkt, wo Bilderbuch-Glatzennazis mit Baseballschläger und Kampfhund die U-Bahn betreten, um ein arabisches Pärchen zu verprügeln, und daran durch Mauritz‘ heldenhaftes Eingreifen gehindert werden – Tellkamps Figuren müssen offenbar unbedingt noch politisch korrekt am „Kampf gegen Rechts“ teilnehmen – dann ist das nicht nur lächerlich, sondern erschließt dem Leser auch, warum der Autor sich auf genuin konservative Gesellschaftskritik (von faschistischer gar nicht erst zu reden) partout nicht einlassen will, nicht einmal, um sie einer seiner Figuren in den Mund zu legen: weil er Angst hat, als „Rechter“ verdächtigt zu werden – was immer das dann hieße.

So bleibt der Roman l’art pour l’art. Schade eigentlich.