Die „Süddeutsche Zeitung“ probt den Zwergenaufstand der Anständigen

Die Süddeutsche Zeitung hat am 30. März – nicht etwa am 1. April – unter dem Titel

„Chronik brauner Gewalt“

die monströsen Verbrechen der Münchner Neonazi-Szene angeprangert.

Da wird skrupellos Geburtstag gefeiert („Neonazis nutzen den Allacher Hochbunker für Geburtstagsfeiern“), Fußballspiele zu pogromartigen Ausschreitungen missbraucht („In einer Wohnung feiern Rechte den Sieg der deutschen Fußballelf im WM-Eröffnungsspiel. Über die Balkonbrüstung hängen sie eine Hakenkreuzfahne“), eine Neuauflage des Hitlerputsches („Im Allacher Hochbunker tritt die Skinheadband Jagdstaffel auf. Auf einer Tafel sind ein Reichsadler und das Wort „Endsieg“ aufgemalt“) durch das heroische Einschreiten der Polizei („Die Polizei stoppt die Veranstaltung“) in letzter Minute verhindert.

Ist es schon wieder so weit?

Allein die markerschütternden Verbrechen der vergangenen zwölf Monate (s.u.)  müssen allen besorgten Demokraten zu denken geben, und so danken wir dem mutigen Redakteur Bernd Kastner, dass er als unbeirrbarer Antifaschist den Anfängen wehrt und dem braunen Ungeist sein J’accuse! entgegenschleudert:

Auszeichnung für Großverleger

10. April: Eine rechtsextremistische Kulturvereinigung ehrt den 80-jährigen Münchner Großverleger Herbert Fleissner (Verlagsgruppe Langen Müller Herbig Nymphenburger) mit der Hutten-Medaille. Auslober des Preises ist die „Gesellschaft für Freie Publizistik“ (GFP), die der NPD nahe steht und laut Verfassungsschutz „die größte rechtsextremistische Kulturvereinigung“ der Republik ist. CSU-Mitglied Fleissner, der sich schon länger am rechten Rand bewegt, bedankt sich für die Auszeichnung bei der GFP. Vor ihm hatten bekannte Neonazis den Preis erhalten.

Kameruner beleidigt

15. Mai: Ein 35-jähriger Münchner beleidigt am Stachus einen Kameruner fremdenfeindlich und will ihn schlagen. Ein Begleiter des Münchners verhindert dies in letzter Sekunde.

Demo gegen Dokumentationsarchiv

13. Juni: Etwa 75 Neonazis demonstrieren gegen das „Kafe Marat“ in der Thalkirchnerstraße, in dem sich linksorientierte Jugendliche treffen, und gegen das Antifaschistische Dokumentationsarchiv Aida. Dessen Mitglieder beobachten seit Jahren die rechte Szene.

Fußballfans pöbeln

25. Juni: Etwa 30 Neonazis schauen sich in einer Fußball-Fankneipe in der Arnulfstraße ein EM-Spiel an, anschließend ziehen 20 von ihnen grölend durch die Straßen.

Neonazis beleidigen Ude

12. Juli: Beim Christopher Street Day stören etwa ein Dutzend Neonazis eine Rede von OB Ude mit beleidigenden Plakaten.

Verdacht der Wahlfälschung

Juli 2008: Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren ein, weil Rechtsextreme unter dem Verdacht der Urkundenfälschung stehen. Im Vorfeld der Landtags- und Bezirkstagswahl waren bei der Stadt 14 Unterstützerunterschriften für die NPD mit ähnlichem Schriftbild abgegeben worden. Das Verfahren läuft laut Staatsanwaltschaft noch, „gegen Unbekannt“.

Parolen an TU-Gebäude

23. Juli: Gebäude der Technischen Universität in Weihenstephan werden von Unbekannten mit rechtsextremistischen Parolen beschmiert. Laut TU sei Ähnliches in der Vergangenheit mehrfach geschehen.

Stadtrat wegen Hitlergruß verurteilt

21. August: Der neugewählte Stadtrat der rechtsextremen „Bürgerinitiative Ausländerstopp“, Karl Richter, wird vom Amtsgericht München verurteilt. Er hatte bei der Vereidigung der Stadträte eine Geste gezeigt, die dem Hitlergruß zum Verwechseln ähnlich sah, und dies im Alten Rathaus, wo 1938 Hitlers Propagandachef Goebbels die Pogromnacht einleitete. Die CSU hatte Strafanzeige gestellt. Richter geht in Berufung.

Neonazis auf Friedhof

1. November: Erneut treffen sich an Allerheiligen Neonazis am Grab von SA-Chef Röhm zum Totengedenken.

„Heldengedenkmarsch“

15. November: Rund 200 Rechtsextremisten ziehen bei einem sogenannten Heldengedenkmarsch stundenlang durch die Innenstadt. Sie skandieren dabei Parolen wie „Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht“.

Pöbeleien gegen Schwule

Herbst: Vor dem Sub, dem Schwulen Kommunikationszentrum in der Müllerstraße, kommt es mehrfach zu Pöbeleien durch Rechtsextremisten.

Hakenkreuzfahne an der Wand

21. Dezember: Eine 25-jährige Frau hat in ihrer Wohnung in Giesing eine Hakenkreuzfahne an der Wand hängen, von außen gut sichtbar. Die Polizei findet in ihrer Wohnung Hitlers „Mein Kampf“ im Bücherregal.

Tätowierte Finger

29. Januar 2009: Ein 46-jähriger Neonazi wird vom Amtsgericht zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Er trägt seit Jahren auf den Fingern einer Hand fünf eintätowierte Hakenkreuze und weigert sich, sie entfernen zu lassen.“

Alarm! Dreizehnmal in einem Jahr und einer Millionenstadt hat der braune Mob zugeschlagen! Hat Schwule angepöbelt, sich Hakenkreuzfahnen in die Wohnung (!) gehängt, und sogar Kameruner und, Herrgott steh uns bei!, Ude beleidigt!

Das Blut strömt nur so durch die Straßen! Wo bleibt der Aufstand der Anständigen? Wehret den Anfängen!  Wann tagt der Weltsicherheitsrat? Hat sich der Dalai Lama schon eingeschaltet?  Was sagt der Papst dazu? Nichts?

Da sieht man’s mal wieder!

Linker McCarthyismus

Bernd Dahlenburg hat im Kommentarstrang zu „Viele Arten zu töten“ (Kommentar Nr.3) auf einen seiner eigenen Artikel verwiesen, in dem er sich unter dem Titel „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ mit angeblichen rechtsradikalen Tendenzen der islamkritischen Blogosphäre auseinandersetzt. Da ich dieses Thema unlängst selber behandelt habe, war ich natürlich neugierig:

„Rechtsdeutsche ‚Islamkritiker'“

Schon die Anführungszeichen in dieserm Untertitel machen deutlich, dass es sich nach Dahlenburgs Meinung mitnichten um Islamkritiker handelt, sondern um Leute, die etwas ganz anderes im Sinn haben. Weil sie in ganz besonderer Weise finster, nämlich „rechtsdeutsch“ sind. Ich bin Politikwissenschaftler, aber dieses Wort habe ich noch nie gehört. Offenbar sollen die Worte „rechts“ und „deutsch“ eine irgendwie anrüchige Haltung umschreiben.

Noch vor zwanzig Jahren war man als Konservativer „rechts“ in demselben Sinne, wie man als Sozialdemokrat „links“ war – also im Sinne ganz konventioneller Gesäßgeographie. In den neunziger Jahren wurde es üblich, „rechts“ mit „rechtsextrem“ gleichzusetzen. Der Sinn dieser „politisch korrekten“ Begriffsverwirrung war niemals, die extreme Rechte zu bekämpfen, sondern die konservative. Wenn Dahlenburg, nach eigenen Angaben CSU-Mitglied, das Wort „rechts“ in einem abwertenden Sinne gebraucht, dann übernimmt er als Konservativer – der er zu sein beansprucht – die Sprache linker Demagogen. Es setzt nur das Tüpfelchen aufs i, dass er ganz im Sinne der von mir heftig kritisierten Antideutschen auch das Wort „deutsch“ als Bezeichnung einer offenbar moralisch minderwertigen politischen Haltung verwendet.

„Wenn man als Blogger mit halbwegs geöffneten Augen durch die (t)deutsche Welt geht und sich die Szene der so genannten Islamkritiker ansieht…“

– man wüsste doch zu gerne, welches die Szene der wirklichen Islamkritiker und welches die der bloß „so genannten“ ist –

„…kommt man nicht umhin, eine Bewegung auszumachen, die sich im Windschatten der öffentlichen Diskussion eine neue Nische schafft – die neue Rechte, oder besser gesagt, die neuen ‚Stolznationalen‘.“

„Stolznationale“. Noch so ein Neologismus. Soll wohl Menschen bezeichnen, die so etwas wie Nationalstolz empfinden, und die deswegen als moralisch und politisch disqualifiziert zu gelten haben.

Wen immer er damit meinen mag – eines hat er uns schon verraten: dass Nationalstolz in seinen Augen ein Makel ist. Dass es viele Menschen gibt, die so denken, wussten wir. Wenn solch linker Ideologiemüll aber bis in die CSU hinein Akzeptanz fände, wäre dies niederschmetternd.

„Bar jeglicher Vernunft versuchen sie uns einzureden, dass Deutschland und Europa von zig-Millionen Muslimen ‚überrannt‘ oder ‚überschwemmt‘ werden würde…“

Sie stützen sich dabei auf einschlägige Statistiken, die vier Grundrechenarten, die fünf Sinne und den gesunden Menschenverstand, aber ansonsten sind sie bar jeder Vernunft.

„…(bekannte Termini, kennen wir doch, oder?)…“

– die Naziplatte –

„neuerdings sind generell Ausländer gemeint, weil das Islam-Sujet für holzschnittartige Beschreibungen ausgereizt zu sein scheint.“

Eine verblüffende Behauptung. Bisher herrscht nämlich Konsens in der Wahrnehmung, dass die Reihenfolge genau umgekehrt war: dass das Thema „Immigration“ in den siebziger Jahren unter dem Stichwort „Gastarbeiter“, in den neunzigern unter der Überschrift „Ausländer“ und erst in letzter Zeit unter „Islam/Muslime“ behandelt wird. Es handelt sich um einige der wenigen Fragen, in der Islamapologeten und -kritiker (z.B. Seyran Ates) sich einig sind.

Nur passt es Dahlenburg nicht in den Kram. Eine öffentliche Kritik, die sich auf den Islam einschießt, lässt sich auch nicht so richtig plausibel als rassistisch oder rechtsradikal diffamieren. Ergo muss – nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf – eine Bewegung weg von der Islamkritik, hin zur Ausländerfeindlichkeit suggestiv fingiert werden.

„…und sie berufen sich auf Auguren, die uns weismachen wollen, wie Europa doch endlich zu einem „rechten“ Kontinent mutieren soll, statt sich auf demokratische Werte und deren innewohnende Kräfte zu besinnen.Sie…“

Von wem spricht er eigentlich? Wir erfahren es nicht.

„…(und ihre Leser und etliche Blogger im Schlepptau oft hilflos nachplappernd) reden pausenlos von Risiken statt von Chancen. Sie machen alles schlecht, was auch nur im Entferntesten an ein Miteinander zwischen Kulturen denken ließe…“

Vielleicht haben sie mit dem „Miteinander der Kulturen“ eigene Erfahrungen gesammelt?

„… Sie sind borniert, blind und von Hass getrieben.“

Woher weiß er das? Nach meiner Erfahrung ist es nahezu unmöglich, den Charakter und die Gefühle von Menschen aufgrund ihrer Äußerungen im Weltnetz zu beurteilen.  Weswegen ich mich auch hüten werde, darüber zu spekulieren, ob Dahlenburg womöglich selber borniert, blind und von Hass getrieben ist.

„Sie verweigern alle (positiven kulturellen) Erfahrungen, die in den letzten Jahrhunderten zwischen West- und Osteuropa und den Menschen ausgetauscht worden sind.“

Der Konflikt zwischen West- und Osteuropa ist natürlich das aktuelle Hauptproblem.

„Sie machen den Islam zum Türken, …“

Keineswegs; die Araber kann erst recht keiner leiden.

„…den Türkischstämmigen und sonst wen zum Ausländer…“

Die meisten Türkischstämmigen in Deutschland – genauer 68,1 Prozent braucht man nicht zu Ausländern zu „machen“, weil sie es nach wie vor sind und auch zu bleiben gedenken. Sie jubeln Erdogan zu, wenn er sagt, Assimilation sei ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und trotzen hartnäckig allen Versuchen deutscher Politiker, ihnen einen deutschen Pass in die Tasche zu stopfen.

„… und den Ausländer zu einem „Geziefer“, den es auszurotten gilt. Sie deklarieren linke und liberale Islamkritiker als „Berufsjuden“ (sic!), und so geht’s weiter in der nach unten offenen – bisher noch verbalen – Schwachsinns- und Gewaltspirale.Manche Blogbetreiber formulieren es etwas vornehmer: Sie raunen von ethnischen und genetischen Defiziten der Afrikaner und dem Rest der Welt, um so die (t)eutsche Überlegenheit herauszukehren. Sie fordern in fast unüberbietbarer Scheinheiligkeit die Hassprediger in den Foren zur „Zurückhaltung“ auf, indem sie ihnen versprechen, dass ein gesellschaftlicher Wandel eintritt, der ihre Mordgelüste irgendwann befriedigen wird, wenn alles „treudeutsch“ abgewickelt sein wird.

Wozu diese hysterische Klimax an Beschuldigungen gut sein soll, dazu komme ich noch. In jedem Fall sind das ungeheuerliche Vorwürfe, zumal wenn sie sich gegen die Blogbetreiber richten, nicht etwa gegen die Kommentatoren.

(Dass es in diversen Kommentarsträngen, etwa von PI, von zornigen Bürgern nur so wimmelt, die einmal Dampf ablassen und auf den Tisch hauen wollen, ist bekannt. Dort wird genau das geschrieben, was an dem vielzitierten „Stammtisch“ des Normalbürgers, nicht etwa des Extremisten, gesagt wird – nur dass es eben nachlesbar ist und bei sensibleren Gemütern zu Ohnmachtsanfällen führt, die sie am Tresen jeder Dorfkneipe aber genauso erleiden würden. Politisch ernstnehmen kann man diese Kommentare allenfalls als Stimmungsbild, nicht als Bekundung irgendeiner Handlungsabsicht. )

Gewisse Leute müssten Kommentarstränge wie den von PI allerdings erfinden, wenn es ihn nicht schon gäbe, weil er die einzige greifbare Möglichkeit darstellt, Islamkritiker zu verleumden. Was Dahlenburg aber über die angebliche Politik von Blogbetreibern schreibt, würde, wenn es zutreffen sollte, mindestens den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Da kann es nicht zu viel verlangt sein, wenn man von ihm erwartet, dass er einen Beleg liefert. Er liefert aber keinen, auch nicht auf meine ausdrückliche Nachfrage. Dasselbe gilt für die folgenden Abschnitte, die ich bloß der Vollständigkeit halber zitiere:

„Sie sprechen niederste Instinkte an, wenn sie in den Foren politische Gegner sophisticated zum ‚physischen Abschuss‘ freigeben und sie lehnen sich genüsslich zurück, wenn die Klicks auf ihrer Webseite zunehmen, obwohl sie genau wissen, dass sie ein ‚Mord(s)geschäft‘ betreiben, das sich über kurz oder lang (vielleicht für sie) auszahlen wird. Sie betreiben Blogs, die sich ‚israelfreundlich‘ gerieren (Hahaha!), aber jeder halbwegs schlaue Mensch erkennt, dass hinter diesen Blogs Antisemiten stecken, die nur so lange still halten, bis ihrer ‚rechten Sache‘ zum Durchbruch verholfen ist.Diese ‚Stolzdeutschen‘ wissen was sie tun und sie spielen damit; sie sind auch noch stolz darauf, wenn sie Menschen gegen Menschen hetzen können, wie es die politische Wetterlage eben hergibt. Im Zweifelsfall – wenn die öffentliche Diskussion zu ihrer Agenda passt, oder die Argumente ausgehen – ist ihr Axiom immer genauso faszinierend blöd wie einfach: ‚Ausländer raus‘, und alle Probleme sind beseitigt.Man könnte fast meinen, dass die alle einen an der Waffel haben.“

Und? Haben sie?

„Sieht man sich jedoch die Klientel, Impressi oder Buchtipps etlicher Blogger dieser Gattung an, vergeht einem schnell das Lachen. Hier tummeln sich Ex-NPD-ler, Schwulenhasser, Antisemiten und Ausländerhasser in einem Pool, der sich jetzt „Pro Köln, pro X-Stadt oder sonst was“ nennt. Diese „Pro’s“ sind nichts Positives für unsere Gesellschaft.“

Ach, daher weht der Wind! Nachdem die Unionsparteien zu Verrätern an allem geworden sind, wofür sie einmal standen, muss um jeden Preis verhindert werden, dass sich rechts von ihnen demokratisch legitimierte Parteien bilden. Und da man die Bildung von Parteien als solchen nicht unauffällig genug unterbinden kann, muss man ihnen wenigstens die demokratische Legitimität streitig machen.

Wenn man bedenkt, dass die sogenannte CSU noch nie Probleme damit hatte, falsch Zeugnis wider ihren Nächsten zu reden, wenn es darum ging, kleine Konkurrenzparteien aus dem Geschäft zu drängen – die Bayernpartei kann bis heute ein Lied davon singen -, dann stellt Dahlenburg sich in eine alte, wenn auch nicht gerade ehrwürdige Tradition dieser Partei.

Ich bin alles andere als ein Experte für die Pro-Parteien. Was ich aber unter anderem weiß, ist, dass dem Hamburger Verfassungsschutz gerichtlich untersagt wurde, die Mutterorganisation „Pro Deutschland“ als rechtsextremistisch zu bezeichnen, und zwar nicht zuletzt mit der bemerkenswerten Begründung, dass etliche der als „extremistisch“ eingestuften Forderungen in Wahrheit Forderungen nach der Durchsetzung geltenden Rechts sind; dass ihr Programm keinerlei verfassungsfeindliche Forderungen enthält, auch nicht verklausuliert, dass sich wirkliche Rechtsextremisten, speziell die NPD, von ihr distanzieren; dass sie ihren Anteil an der Verhinderung eines Moscheebauprojekts in Berlin-Charlottenburg hatte; und dass der von ihr organisierte Anti-Islam-Kongress in Köln im September 2008 mit kriminellen Mitteln und unter kollusiver rechtswidriger Mitwirkung des Staates verhindert wurde.

Viel Aufhebens wird um die Tätigkeit von ehemaligen NPD-Mitgliedern gemacht. Trotz verzweifelter Bemühungen konnten freilich selbst eingefleischte Gegner der Pro-Parteien nur sehr wenige frühere NPD-Mitglieder ausmachen und mussten sich daher mit ehemaligen „Republikanern“ begnügen. Was entschieden weniger sexy ist. Bleiben wir aber bei den Ex-NPD_Leuten: Ich kann nicht erkennen, dass die Tätigkeit von Ex-NPD-Mitgliedern in einer Splitterpartei so viel gefährlicher sein soll als die Tätigkeit von Ex-K-Gruppen-Funktionären und Ex-linksradikalen Gewalttätern in den höchsten Ämtern unseres Staates; ich kann nicht erkennen, warum deren demokratische Wandlung so viel glaubhafter sein soll als die von Ex-NPDlern.

Wenn ich meinen Gesamteindruck aus den Publikationen dieser Partei (bzw. der Pro-Parteiengruppe) zusammenfassen soll, so lautet er, dass es sich um eine deutschnationale Partei mit traditionellen Wertorienterungen handelt, die sich schlimmstenfalls im Sinne meines gleichnamigen Artikels in einer Grauzone bewegt. Dass es sich aber um eine Partei mit rechtsextremistischer, verfassungsfeindlicher Agenda handeln soll, dafür sehe ich nicht die geringsten belastbaren Indizien!

Wer aber behauptet, eine legale Partei sei verfassungsfeindlich, muss es beweisen, mindestens aber belegen können! Dahlenburg kommt über die bloße Behauptung nicht hinaus.

„Sie sind etwas pervers Negatives und zerstören jegliche seriöse Bemühung, sich mit dem Islam ernsthaft auseinanderzusetzen.“

Ich persönlich setze mich sehr ernsthaft mit dem Islam auseinander und kann nicht bestätigen, dass die Pro-Parteien mich dabei schon einmal gestört hätten. Wenn man freilich unter „seriösen“ Bemühungen, „sich mit dem Islam auseinanderzusetzen“ bloß solche versteht, bei denen die eigene Kultur und Nation umgotteswillen nicht als positiver Wert erscheinen und der Islam als solcher als Ursache von Integrationsdefiziten nicht benannt werden darf – ja, dann, aber eben nur dann, sind solche Parteien sicherlich ein Hindernis.

„Sie sind primitiv und von gestern.Ignoriert diese Leute endlich und gebt ihnen die rote Karte.“

Es wird Dahlenburgs Geheimnis bleiben, wie man jemanden gleichzeitig ignorieren und ihm die rote Karte zeigen kann, und wie man einer Partei die rote Karte zeigt, die noch gar nicht auf dem Platz (weil in keinem Parlament vertreten) ist.

Ich kommentierte dann Dahlenburgs Artikel wie folgt:

„Ross und Reiter zu nennen und die eigenen Behauptungen mit Argumenten zu belegen hätte der Glaubwürdigkeit dieses Beitrags bestimmt nicht geschadet. Nein, Dahlenburg, Sie sind nicht antideutsch. Sie haben ein Problem mit der Meinungsfreiheit.“

Ich erhielt die denkwürdige Antwort:

„Erstens: Ich habe mich bewusst mit der Nennung Einzelner zurückgehalten, weil ich auf eine weithin verbreitete Tendenz aufmerksam machen wollte. Ist Ihnen das beim Lesen entgangen?“

Keineswegs, im Gegenteil: Gerade eine weit verbreitete Tendenz müsste sich doch spielend mit Beispielen belegen lassen, wenigstens auf Anfrage.

„Außerdem liegt mir nichts dran, ellenlange Listen auszuhängen.“

Eine kurze Liste hätte vollauf genügt. Im übrigen wird es schwierig sein, die quantitative Verbreitung dieser oder jener politischen Richtung in der Blogosphäre zu ermitteln. Eine qualitative Analyse aber, das heißt eine klare Benennung der in seinen Augen rechtsextremen Denkfiguren und Argumentationsstrategien, damit der Leser prüfen kann, ob das, was Dahlenburg für rechtsradikal – pardon: für „rechtsdeutsch“ und „stolznational“ – hält, wirklich verfassungsfeindlich ist –, und die belegt mit konkreten Beispielen, das wäre das Allermindeste gewesen.

„Zweitens brauche ich nicht den Beweis dafür zu erbringen, dass meine Thesen stimmen, weil ein Blick in diverse Foren und die Analyse von vielen Beiträgen genügt.“

Was ist denn das für eine Logik? Wenn der Blick in „diverse“ (nochmal: welche?) Foren und die Analyse von vielen (welchen?) Beiträgen genügt, dann ist das ein Argument dafür, dass es ganz einfach sein müsste, den Beweis zu erbringen, aber doch nicht dafür, dass es nicht erforderlich wäre.

Ich habe für meine Blogroll sehr viele Blogs und Foren unter die Lupe genommen, und kann nicht bestätigen, dass die Überschneidungszonen zwischen Islamkritik und Rechtsextremismus sehr breit wären. Die sehr wenigen Ausnahmen – etwa das Patriotische Forum Süddeutschland – bestätigen nur die Regel. Die deutlich proisraelische und antisemitismusfeindliche Gesamttendenz der islamkritischen Blogosphäre wirkt offenbar als wirksamer Filter, der Nazis draußenhält.

Womit klar sein dürfte, warum Dahlenburg unter gar keinen Umständen zugeben kann, dass „Blogs, die sich ‚israelfreundlich‘ gerieren (Hahaha!)“ genau das sein könnten: israelfreundlich.

Die Unterstellung, dass „hinter diesen Blogs Antisemiten stecken, die nur so lange still halten, bis ihrer ‚rechten Sache‘ zum Durchbruch verholfen ist“, ist als rhetorisches Mittel umso praktischer, als niemand, am wenigsten die Betroffenen selbst – und wir wissen immer noch nicht, um wen es sich eigentlich handeln soll – sie widerlegen kann. Folgerichtig lautet sein Verständnis eines rationalen Diskurses:

„Die Beweisführung muss aber umgekehrt werden: Zeigen Sie mir mal, dass das von mir beschriebene Phänomen nicht(!) existiert.“

Wenn ich Bernd Dahlenburg einen Kinderschänder nennen würde und von ihm verlangte, mir zu beweisen, dass er das nicht ist, so würde man ein solches Vorgehen zu Recht hochgradig unfair nennen. Genau dieses Vorgehen, nämlich die demagogische, verleumderische, völlig aus der Luft gegriffene Unterstellung, ist Dahlenburgs Methode der politischen Auseinandersetzung.

„Ich meine nicht Ihren Blog, keine Sorge.“

Oh, diese Sorge hatte ich schon deshalb nicht, weil Dahlenburg es generell und mit Methode vermeidet, konkrete Personen zu bezichtigen. Außerdem bereitet es mir keine Sorgen, wenn er sich lächerlich macht.

Er sagt nicht konkret, wen er eigentlich meint, aber er konkretisiert doch hinreichend, wen wir verdächtigen sollen: Nämlich jeden Islamkritiker, der „rechtsdeutsch“ und „stolznational“ ist. Indem er auf diese Weise mithilfe bloßer Spekulationen einen Verdacht streut, für den er genausowenig geradezustehen gedenkt wie ein anonymer Denunziant, zieht er die Verfassungstreue einer ganzen politischen Richtung in Zweifel. Mehr noch: Da er sie geradezu als eine Bewegung von Massenmördern im Wartestand darstellt, muss sich jedem Leser, der dies glaubt, der Gedanke aufdrängen, gegenüber Islamkritikern, sofern sie obendrein Patrioten sind, dürfe es keine Toleranz geben. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass solche Unterstellungen, noch dazu wenn sie mit einem solchen Maß an demagogischer Tücke unter die Leute gebracht werden, etwas anderes bezwecken können, als das Recht auf freie Meinungsäußerung zur Disposition zu stellen.

Die Wirkungsweise gerade dieser Strategie, einer besonders miesen Variante linken Herrschaftsdiskurses, zielt vor allem auf einen Distanzierungseffekt ab: Unter der Herrschaft des Gerüchts und des Verdachts gilt die Beweislastumkehr, die Dahlenburg uns soeben vorgeführt hat:

Wer der Denunziation als Rechtsextremist entgehen will, muss sich von allem distanzieren, was die Priesterschaft der Political Correctness als „rechtsextrem“ gebrandmarkt hat, und zwar nach Kriterien, die sie willkürlich und nach Maßgabe der politischen Opportunität wechselt. Es handelt sich um linken McCarthyismus.

In „Der kalte Staatsstreich“ habe ich anhand des Verlaufs des Kölner Anti-Islamisierungs-Kongresses dargestellt, wie die politische Linke und ihre Vertreter in Politik, Medien und Verwaltungen systematisch die rechtsstaatlichen Sicherungen bürgerlicher Freiheitsrechte umgehen, um das Grundgesetz nach und nach zu entkernen, bis nicht mehr als eine Potjomkinsche Verfassungsfassade übrigbleibt.

Hier sehen wir nun denselben Vorgang auf der Ebene des politischen Diskurses: Die Regeln und Gesetze, die hier umgangen werden, sind die des rationalen Argumentierens. Es geht nicht um Überzeugung – wozu man sich auf Argumente, Tatsachen, Beweise, Logik stützen müsste. Es geht um Einschüchterung und Erpressung. Es geht um Verleumdung. Es geht darum, den Andersdenkenden zum Schweigen zu bringen. Es geht, mit einem Wort: um Herrschaft.

Mit Freiheit, Demokratie und Toleranz hat all dies selbstredend nichts zu tun, jedenfalls nicht im Sinne unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Diese ist ein System, in dem die bürgerlichen Freiheiten gelten, die vom Staat geschützt werden, in die auch nur er selbst eingreifen kann, und zwar nach Maßgabe von materiellen und Verfahrensnormen, einen Missbrauch dieser Eingriffsbefugnisse durch rechtliche Kontrolle verhindern.

Die politisch korrekte Linke dagegen versteht darunter ein System von Selbstermächtigungen „guter“ Menschen – in Wahrheit natürlich solcher, die sich bloß dafür halten -, „böses“ Gedankengut zu bekämpfen, und die sich dabei höchstens selber kontrollieren. Nochmal Dahlenburg:

„Drittens: Das ‚Argument‘, ich hätte etwas gegen Meinungsfreiheit, ist geradezu haarsträubend,…“

Es darf gelacht werden.

„…wenn Sie ein paar Proben von dem lesen, was ich schreibe. Ich kenne diese ‚Argumente‘, weiß, wie sie motiviert sind und kann sie richtig bewerten. (…)“

Mit anderen Worten: Es kommt nicht darauf an, ob Argumente richtig oder falsch sind, es kommt darauf an, „wie sie motiviert sind“, also von den politischen Werten und Zielen dessen, der sie vorbringt. Aber sonst hat er nichts gegen die Meinungsfreiheit.

Es liegt auf der Hand, dass ein solches linkes „Demokratieverständnis“ mit verfassungmäßigen Normen kollidieren muss. Genau deswegen muss die Verfassung ja auch unterlaufen und umgangen werden. So wie in Köln geschehen:

„Wenn Sie allerdings meine Haltung gegenüber Pro Kön als Angriff auf die Meinungsfreiheit deuten sollten, bräuchten wir nicht weiter miteinander zu reden.“

In der Tat: Ich sehe nicht ein, warum ich mit Leuten reden sollte, die sich an der Zerstörung der freiheitlichen Demokratie beteiligen.

Man sollte sich nicht von Dahlenburgs Behauptung irritieren lassen, er sei CSU-Mitglied. Sollte er das wirklich nominell sein, dürfte er jedenfalls wenig Rückhalt in der Partei haben.

Selbst wenn die CSU längst aufgehört hat, eine glaubwürdige Sachwalterin abendländischer Werte zu sein, so bleiben doch parteitypische Milieus über lange Zeit erhalten. Es gibt in jeder Partei bestimmte Mentalitäten, bestimmte Arten, sich zu geben, eine bestimmten Habitus, eine bestimmte Sprache. Da ich aus Bayern stamme, kenne ich die Mentalität von CSU-Leuten ganz gut. Und da ich außerdem von der politischen Linken stamme, kenne ich auch die dort vorherrschenden Mentalitäten. Lassen wir mal ein paar Dahlenburg-Sprüche Revue passieren:

„Rechtsdeutsch … Stolznationale … (t)deutsche Welt…wie Europa doch endlich zu einem ‚rechten‘ Kontinent mutieren soll… an ein Miteinander zwischen Kulturen denken … wenn alles ‚treudeutsch‘ abgewickelt sein wird … ihr Axiom immer genauso faszinierend blöd wie einfach: ‚Ausländer raus’…“

Das ist doch nie und nimmer die Sprache eines CSU-Mannes! Es ist auch nicht die Sprache eines ex-linken Konvertiten zum Konservatismus, wie ich einer bin. (So einer würde konservatives Gedankengut vielleicht kritisieren, aber nicht verleumden.). Nein, das ist eindeutig linke Sprache und linkes Denken, durch keinerlei selbstkritischen Zweifel gemildert.

Allein die Häufigkeit, mit der das Wort „deutsch“ als abwertende Bezeichnung für alles Mögliche verwendet wird, zeigt, dass der Verfasser solcher Zeilen mit dem CSU-Milieu denkbar wenig zu tun haben kann. Einer christlichen Partei, deren Vorsitzender uneheliche Kinder in die Welt setzt, muss man zwar allerhand zutrauen, aber nicht, dass sie akzeptiert, wenn eine Nationalitätsbezeichnung, noch dazu die des eigenen Volkes, offenbar gewohnheitsmäßig in der Manier von Rassisten als Schimpfwort gebraucht wird.

Nein, wer so redet, ist politisch im antideutschen Milieu zu verorten. Dass Dahlenburg gerade dies vehement abstreitet (und zwar bevor es ihm überhaupt einer unterstellen konnte!), kann man getrost als Lüge abtun.

„Weltnetz“

Habe ich schon erwähnt, dass ich kein Freund von Anglizismen bin?

Dabei bin ich keineswegs dogmatisch. Ein Wort wie „Job“ (im Sinne von „Arbeitsplatz“ und nur in diesem Sinne) ist nicht nur kürzer als „Arbeitsplatz“, es klingt vor allem nicht so schwerblütig protestantisch nach dem Platz-an-den-der-Herr-uns-gestellt-hat-und-an-dem-wir-uns-zu-bewähren-haben-ein-Leben-lang. Damit trifft es die Realität der modernen Arbeitswelt mit häufigem Jobwechsel wahrscheinlich besser als „Arbeitsplatz“.

Manchmal ist der englische Ausdruck also vorzuziehen. Nur muss er dann auch wirklich der bessere (kürzere, treffendere, plastischere) sein. „Er hat einen guten Job gemacht“ – brrr!!! – ist jedenfalls kein gleichwertiger, schon gar kein überlegener Ersatz für: „Er hat gute Arbeit geleistet.“

Das Wort „Internet“ ist mir schon lange ein Dorn im Auge:

Erstens denke ich als Deutscher bei „Internet“ immer an „Intershop“, „Interhotel“ und „Interflug“, zweitens heißt „inter“ nichts weiter als „zwischen“, und was soll man sich denn unter einem „Zwischennetz“ vorstellen? Drittens spart „net“ gegenüber „Netz“ keine Silbe.

Die rechtsextreme Szene benutzt bekanntlich schon lange das Wort „Weltnetz“, und ich muss zugeben, dass dieser Ausdruck, selbst wenn er aus dieser dubiosen Quelle stammt, in jeder Hinsicht prägnanter ist als „Internet“. Es ist eine Silbe kürzer, er ist deutsch und er ist plastisch: Man sieht ihn geradezu vor Augen, den Erdball, netzumspannt. „Weltnetz“ ist einfach besser!

Bekanntlich gelten, einer kuriosen neudeutschen Sitte zufolge, politisch anstößige  Gedanken, Argumente und eben Wörter in dem Moment als entnazifiziert und moralisch unbedenklich, wo sie von jüdischen Intellektuellen benutzt werden. Und so warte ich nun schon seit Jahren sehnsüchtig wie vergeblich darauf, dass die Herren Giordano, Broder oder Wolffssohn der rechten Szene das „Weltnetz“ entreißen.

Da sie dies aber bisher nicht getan haben – meine Güte, die Jungs können schließlich nicht an alles denken! -,  habe ich mich entschlossen, selber zur Tat zu schreiten und ab jetzt vom „Weltnetz“ zu sprechen (sofern ich nicht einfach „Netz“ sage), auch auf die Gefahr hin, dass mein Blog auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften landet.

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Wolf Schneider: Speak German! Warum Deutsch manchmal besser ist.

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Antisemitismus und totalitäre Ideologie

Ich glaube, man macht sich zu wenig bewusst, dass Toleranz eine höchst unwahrscheinliche zivilisatorische Errungenschaft ist. Sie setzt schließlich nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit voraus, sich vorzustellen, dass der Andersdenkende oder Andersgläubige im Recht sein könnte. Eine solche Reflexionsleistung ist dem Menschen so wenig angeboren wie die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben, und sie gehört auch nicht zu der Sorte Kulturleistungen, die man von einem gewissen Entwicklungsniveau an als selbstverständlich unterstellen kann.

Es ist bemerkenswert und bezeichnend, dass die drei totalitären Strömungen unserer Zeit, nämlich der Linksextremismus, der Neonazismus und der politische Islam bei allen sonstigen Unterschieden dasselbe Feindbild „Jude“ pflegen, und wenn auch die Neonazis es rassistisch, die Islamisten religiös und die Linken politisch (Israel) begründen, so handelt es sich dabei erkennbar bloß um unterschiedliche ideologische Rationalisierungen ein und desselben elementaren Hasses.

Ich behaupte, dass dieser Hass genau der Errungenschaft gilt, die den Kern unserer westlichen Zivilisation ausmacht: der Toleranz; der Fähigkeit zur Selbstkritik; der Bereitschaft, sich selbst mit den Augen des Anderen zu sehen. Und diese Errungenschaft wird von ihren Feinden völlig zu Recht als die große zentrale Leistung des Judentums angesehen.

Wenn es nämlich ein Thema gibt, das wie ein roter Faden das gesamte Alte Testament durchzieht, dann ist es die Selbstkritik, ja Selbstanklage des Volkes Israel, den moralischen Ansprüchen Gottes nicht gerecht geworden zu sein. Der stets scheiternde und stets zu erneuernde Versuch, sich selbst mit den Augen Gottes zu sehen und Seinen Maßstäben gerecht zu werden ist elementarer Bestandteil jüdischer Ethik. Es ist dieselbe Ethik, die, vermittelt durch das Christentum, zur Grundlage der westlichen Gesellschaften wurde. Wenn wir Toleranz heute als eine Tugend ansehen, so ist diese Ethik der Grund dafür.

Wenn wir zudem in westlichen Gesellschaften das menschliche Leben als etwas Heiliges ansehen, als etwas, das unter keinen Umständen zum bloßen Mittel für etwas angeblich Höheres herabgewürdigt werden darf, so drückt sich darin die fortdauernde Wirkung des Verbots des Menschenopfers aus, und auch dieses Verbot ist eine genuin jüdische Errungenschaft, die vom Christentum übernommen wurde.

Für totalitäre Bewegungen ist beides – die Toleranz und die Heiligkeit des Lebens – ein rotes Tuch. Totalitäre Ideologie beruht ja gerade darauf, sich selbst absolut zu setzen und der angeblich so erhabenen „Sache“ notfalls auch Millionen von Menschen zu opfern. Totalitäre Ideologien sind heidnische Kulte, die man als solche gerade daran erkennt, dass sie das Menschenopfer zum Ideal erheben, und die deswegen im Judentum instinktiv ihren Feind sehen. Der Hass, der den Juden gilt, und der Hass, der der freiheitlichen, individualistischen Gesellschaft des Westens gilt, ist ein und dasselbe.

Nun wird mancher, vor allem wenn er sonst diesen Blog nicht liest, fragen, was denn der Islam in diesem Zusammenhang zu suchen hat. Hat denn nicht der Islam in derselben Weise wie das Christentum die Grundwerte der jüdischen Ethik in sich aufgenommen? Und muss man nicht deswegen ganz scharf trennen zwischen der ehrwürdigen Weltreligion „Islam“ und ihrem totalitären Zerrbild „Islamismus“?

Die Antwort lautet:

Nein.

Der Islam hat vieles aus dem Judentum übernommen – um das böse Wort „abgekupfert“ zu vermeiden. Das Ethos der Selbstkritik aber und das Ethos der Heiligkeit des Lebens – das hat der Prophet Mohammed nicht nur nicht übernommen: Er hat es vielmehr explizit abgelehnt und den Juden einen Strick daraus gedreht, dass sie dieses Ethos überhaupt haben. Der Koran wertet die alttestamentlichen Selbstanklagen des jüdischen Volkes nämlich als Beweise für dessen Minderwertigkeit und hebt ausdrücklich und im Kontrast dazu hervor, die Muslime seien „die beste Gemeinschaft, die je für Menschen erstand“. Dass Juden das Leben heiligen – und auch am Leben hängen – wird im Koran explizit als Beweis gewertet, dass sie ob ihrer moralischen Verdorbenheit das Strafgericht Allahs zu fürchten hätten. Und dass der Kampf und das Töten und das Sterben für Allah – mit einem Wort: das Menschenopfer – die höchsten Ziele eines erfüllten muslimischen Lebens sind: Das wird dutzendfach wiederholt, und dies nicht nur im Koran selbst, sondern auch in der Prophetenüberlieferung. [Wer es genauer wissen möchte, dem empfehle ich die Themenanalyse über den medinensischen Koran, Kap. III.2 von „Das Dschihadsystem“. M., 20.01.2011]

Wir brauchen uns also nicht zu wundern, wenn Neonazis, Moslems und Linke gleichermaßen dem Antisemitismus frönen und dabei bemerkenswert wenig Berührungsängste einander gegenüber zeigen – so wenig, wie wir uns über den Hitler-Stalin-Pakt wundern müssen. Die Ideologie der totalitären Menschenverachtung ist ihnen gemeinsam; höchstens die Akzente werden unterschiedlich gesetzt.

Ähnlich argumentieren Hans-Peter Raddatz und Gunnar Heinsohn.

Nicht gerade elegant geschrieben und daher schwer verdaulich, dennoch lesenswert:

Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus. Buchcover
Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus.


Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden


Leider nur noch antiquarisch zu bekommen, wenn überhaupt:

Gunnar Heinsohn: Warum Auschwitz? Hitlers Plan und die Ratlosigkeit der Nachwelt.

Islamisierung: Die Herrschaft des grünen Pöbels

Neue Rhein Zeitung, 12. Januar 2009:

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat den Verlauf der Duisburger Demonstration gegen den israelischen Militäreinsatz hart kritisiert. (…) ‚…offensichtlich bestimmen jetzt potenzielle Gewalttäter das Maß der Meinungsfreiheit in Deutschland‘, sagt der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, der NRZ. Hintergrund: Auf dem Marsch zum Kundgebungsort in der Innenstadt hatten Teilnehmer ein Haus unter anderem mit Steinen attackiert, in dessem dritten Obergeschoss gut sichtbar eine israelische Fahne im Fenster hing. Pressefotos und ein Video im Internetportal ‚Youtube‘ belegen, dass Polizisten die Fahne abhingen, worauf die Demo-Teilnehmer mit Rufen wie ‚Gott ist groß‘ ihre Befriedigung über die Polizei-Aktion zum Ausdruck brachten.

(…)

Der Sprecher der Duisburger Polizei, Ramon van der Maat, verteidigte auf NRZ-Anfrage das Vorgehen der Polizei und machte den Besitzern der Wohnung den Vorwurf, sie hätten ’nur provozieren‘ wollen. ‚Bevor mir eine eigentlich friedliche Demonstration entgleitet, muss ich in solchen Fällen handeln.‘ Wer die muslimischen Mitbürger kenne, wüsste, dass sie emotional oft schnell in Fahrt gerieten. ‚Da müssen Sie als Polizeiführer sehr schnell entscheiden, und hier wurde der richtige Weg gewählt.‘

Das Handeln der Polizei sah dann konkret so aus, dass Beamten die Tür der betreffenden Wohnung eintraten, ‚da die Besitzer nicht anzutreffen waren‘, so van der Maat. Anschließend wurde die Fahne entfernt, Augenzeugen sprachen davon, sie sei regelrecht heruntergerissen worden. Für den Polizeisprecher hat die Polizei die ‚Verhältnismäßigkeit‘ gewahrt. (…)“

[Der ursprünglich hier gesetzte Verweis ist nicht mehr gültig.]

Der Vorgang selbst bedarf – zumindest aus meinem Munde – keiner ausführlichen Kommentierung. Der deutsche Staat stellt die Rechte seiner Bürger zur Disposition des Pöbels. Die Grenzen der Meinungsfreiheit werden nicht mehr vom Grundgesetz gezogen, sondern vom Mob. (Wer es ausführlicher gewürdigt haben möchte, dem lege ich meinen Artikel „Der kalte Staatsstreich“ ans Herz. Wärmstens. Insbesondere die fettgedruckte Schlusspassage empfehle ich Eurer besonderen Aufmerksamkeit.)

Frappierend ist allerdings der Umstand, dass die zutreffende Aussage

Offensichtlich bestimmen jetzt potenzielle Gewalttäter das Maß der Meinungsfreiheit in Deutschland“

ausgerechnet von dem sonst geistig dauerüberforderten Generalsekretär des Zentralrats der Juden stammt. Falsch an diesem Statement ist einzig das Wörtchen „jetzt“ („…bestimmen jetzt potenzielle Gewalttäter…“), als wenn dieser Zustand nicht schon seit geraumer Zeit bestünde.

Offensichtlich wurde er spätestens, als der rote Mob den Anti-Islamisierungkongress in Köln gewaltsam verhinderte, und zwar unter wohlwollender Duldung der Polizei. Und des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dessen ehrwürdige Vorsitzende, die damit bewies, dass Alter vor Torheit nicht schützt, fand es damals nämlich

unglaublich, dass in der heutigen Zeit die braune Brut [gemeint waren die Organisatoren des Kongresses, M.] die Möglichkeit hat, das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft und Religion zu stören“,

womit sie die Suspendierung der Meinungsfreiheit gleichsam koscher stempelte.

Hoffen wir, dass die Vorgänge von Duisburg (oder auch weniger spektakuläre wie dieser hier) wenigstens den einen Vorteil haben, bei den Verantwortlichen des Zentralrats einen Denkprozess anzustoßen, und hoffen wir, dass dieser Prozess noch vor dem Jüngsten Gericht – und tunlichst auch, bevor in Deutschland die Scharia eingeführt wird – zu den Erkenntnissen führt,

– dass die Bürgerrechte auch von Juden durch das Grundgesetz geschützt werden, nicht durch Political Correctness, sprich durch linken und islamischen Meinungsterror,

– dass sie am besten bei einem Rechtsstaat aufgehoben sind, der bereit ist, dieser Rechte gegebenenfalls auch mit Gewalt zu schützen,

– dass es selbstmörderisch ist, die schleichende Selbstauslöschung dieses demokratischen Rechtsstaates zu dulden,

– dass die Islamisierung unseres Landes, das heißt das Zurückweichen der Gesellschaft vor den Machtansprüchen einer totalitären Religion in vollem Gange ist,

– und dass dieser Prozess, wenn er nicht gestoppt wird, enden wird wie alle historischen Islamisierungsprozesse: nämlich damit, dass Juden und Christen gleichermaßen auf den Status entrechteter Untermenschen gedrückt werden!

Linke und rechte Islamkritik

Als ich vor fünf Monaten den Wahlsieg von Barack Obama vorhersagte – der Herr vegebe mir meine Eitelkeit! -, war ich hin- und hergerissen: einerseits ein beeindruckender und sympathischer Politiker, andererseits diese verdächtige Verwurzelung in einem das eigene Land hassenden Milieu, das unklare Verhältnis zum Islam, der zweite Vorname „Hussein“. (Auch seine Unerfahrenheit, aber die soll heute nicht das Thema sein). Die Frage, auf die es für mich hinauslief, lautete: Was für eine Sorte von linkem Politiker ist Obama eigentlich?

Es gibt nämlich zwei Arten, links zu sein: Offiziell bedeutet „Links sein“ das Eintreten für Emanzipation, Aufklärung, Toleranz, Demokratie, Gerechtigkeit. Wer sieht, wie linke Politik tatsächlich funktioniert, und zwar ohne sie sich schönzureden, stellt einen schreienden Widerspruch zwischen Theorie und Praxis fest, wobei die Praxis nicht etwa die wenn auch unvollkommene Verwirklichung der Theorie bedeutet, sondern die Verwirklichung von deren Gegenteil. Es geht regelmäßig nicht darum, die Machtlosen zu er-mächtigen, sondern darum, die Mächtigen zu entmachten, und sei es um den Preis der Zerstörung der Gesellschaft überhaupt. Das ist das Links-sein aus Ressentiment, und es ist nur folgerichtig, dass diese Sorte von Linken keine Bedenken hat, sich mit dem Islam zusammenzutun, also derjenigen Ideologie, die sich ebenfalls der Zerstörung unserer Gesellschaft verschrieben hat.

Die Widersprüche zwischen dem proklamierten Antirassismus der Linken und dem nicht einmal getarnten Antisemitismus des Islam, zwischen Pazifismus und Palituch, zwischen der Hysterie, mit der nach Frauenfeindlichkeit noch in den Regeln der deutschen Grammatik gefahndet wird, und der Sympathie für eine in sich frauenfeindliche Religion und Kultur – diese Widersprüche sind rein akademischer Natur. Politisch und psychologisch sind die totalitäre Linke und der totalitäre Islam Zwillinge, und zwar eineiige Zwillinge.

Man sollte allerdings bei aller Kritik nicht übersehen, dass es hier und da auch solche Linken gibt, wie ich selber mal einer war: also Menschen, die das emanzipatorische Programm ernstnehmen, und die deswegen auch so etwas wie eine linke Islamkritik formulieren. Alice Schwarzer zum Beispiel.

Man wird nicht behaupten können, dass solche Menschen auf der Linken die Mehrheit bilden – das können sie nicht – aber es gibt sie. Es könnte sein, dass Barack Obama zu dieser Sorte gehört.

Main Thema ist heute allerdings gar nicht der künftige amerikanische Präsident; es ist an einem Tag wie dem heutigen nur ganz unmöglich, einen politischen Artikel zu schreiben, ohne den Namen „Obama“ zu erwähnen. Mein Thema ist das Verhältnis von linker und rechter Islamkritik und die Frage, ob es da einen gemeinsamen Nenner gibt.

Die linke Islamkritik, wo sie denn vorkommt, konzentriert sich auf die antiemanzipatorischen Aspekte des Islam: seine Demokratiefeindlichkeit, den Antisemitismus, die Gewaltverherrlichung, überhaupt seinen unzweideutig faschistischen Charakter. Es passt ins Bild, dass Nazis heute wie vor siebzig Jahren oft ein ausgesprochen positives Bild vom Islam haben, und dass ein Mann wie Horst Mahler der Meinung ist, die „nationalen Kräfte“ müssten sich mit dem politischen Islam zusammentun, um den „westlichen Imperialismus“ zu bekämpfen.

Die rechte Islamkritik operiert vorwiegend mit dem grundlegenden Bezugsrahmen von Eigenem und Fremdem und verteidigt das Eigene, das von dem Fremden bedroht wird. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass Demokratie, Liberalität, Toleranz dabei als konstitutive Merkmale des Eigenen gleichsam en passant mitverteidigt werden; ungefähr so, wie die linke Islamkritik die gewachsene Kultur des Westens gewissermaßen zufällig mitverteidigt, wenn sie die Einhaltung emanzipatorischer Standards auch von muslimischen Gemeinschaften fordert.

Sind aber Unterschiede dieses Kalibers so fundamental, dass ihretwegen der linke und der rechte, allgemein gesprochen die unterschiedlichen Flügel des islamkritischen Spektrums nicht zusammenarbeiten könnten? Handelt es sich im Kern nicht eher um Unterschiede der Akzentsetzung als um solche der Prinzipien? Ist es nicht Sektiererei, vom jeweils Anderen einen Kniefall vor den Aprioris des eigenen Lagers zu fordern? Ist es, um es konkret zu machen, sinnvoll, sich etwa von „Pro Köln“ zu distanzieren, nur weil man selber als Liberaler oder Linker deren ideologisch rechtskonservativen Standpunkt nicht teilt?

Es geht schließlich nicht darum, in jeder politischen Frage einer Meinung zu sein, sondern darum, mit der Offenen Gesellschaft den Rahmen zu erhalten, innerhalb dessen politische Meinungsverschiedenheiten friedlich ausgetragen werden können. Ich bin kein Freund von Alice Schwarzers Feminismus, und umgekehrt entlocken manche Äußerungen aus den Pro-Parteien mir ein leises Ächzen. Ich sehe aber keinen Grund darüber hinwegzusehen, dass beide Seiten Wichtiges an Aufklärung und Mobilisierung leisten. Demokratische Gemeinwesen beruhen auf einem breiten Konsens, und wenn sich zu ihrer Verteidigung nicht Menschen aus sehr unterschiedlichen politischen Lagern finden – die sich dann aber auch gegenseitig tolerieren (lat.: dulden, ertragen) müssen -, dann werden wir verlieren.

Deutsche und Nazis

 

Meine beiden letzten Artikel sind auf heftigen Widerspruch gestoßen. In dem einen („Der mekkanische Koran: Eine Themenanalyse“) habe ich die These vertreten, dass muslimische Gesellschaften auch heute noch von den Wertentscheidungen des Korans geprägt sind, die als vorbewusste Selbstverständlichkeiten die Weltauffassung und damit auch das politische Verhalten von Muslimen prägen.

In dem anderen („Opa war kein Nazi“) habe ich den Nationalsozialismus als Gemeinschaftsprojekt der deutschen Nation interpretiert, was unter anderem bedeutet, dass das NS-Regime sich auf die Loyalität einer breiten Massenbasis stützen konnte.

In beiden Artikeln geht es um die Beschreibung von Großkollektiven, und beide wurden aus einer individualisierenden Perspektive angefochten: Flowerkraut warf mir vor, zu wenig zu berücksichtigen, wie Muslime heute den Koran subjektiv interpretieren; nicht alle seien Islamisten, die den Koran als leitende Ideologie akzeptierten, und und LePenseur bestand darauf, nicht alle Deutschen der NS-Zeit, höchstens eine Minderheit, seien Nazis gewesen

in jener Bedeutung, wie heute “Nazi” verstanden wird — hart, zackig, unbarmherzig, Knobelbecher, mordlüstern, fanatisch vernagelt“ (LePenseur zu „Opa war kein Nazi“).

Beide Kritiken sind aus ihrer jeweiligen Perspektive richtig, nur ist diese Perspektive nicht die, die meiner Argumentation zugrundeliegt. Mir geht es nicht darum, ob dieser oder jener Opa persönlich ein Nazi war, und auch nicht darum, wie viele Muslime potenzielle Terroristen sind. Die wenigsten, vermute ich.

Ich will erklären, warum Großkollektive sich verhalten, wie sie es tun. Und das kann ich nur, wenn ich mich von der Erziehung freimache, die wir fast alle durchlaufen haben, und die jede generalisierende Aussage über Personengruppen als ein Vorurteil abstempelt. An diesem Prinzip ist natürlich richtig, dass Menschen individuell verschieden sind, auch wenn sie derselben Gruppe angehören.

Was ich aber beschreibe, wenn ich von einem Kollektiv spreche, ist nicht die Gesamtheit seiner Mitglieder, also etwa alle Deutschen oder alle Muslime, sondern das System der zwischen diesen Mitgliedern bestehenden Erwartungen, insbesondere ihrer Vermutungen darüber, was innerhalb dieses Kollektivs als anerkannter Wert und als geltende Norm unterstellt werden. Dass Menschen soziale Wesen sind, ist eine Binsenweisheit. Diese Binsenweisheit hat aber Implikationen, die nicht Allgemeingut sind: Gewiss sind Menschen verschieden, und daran kann auch das totalitärste System gottlob nichts ändern. Das heißt aber nicht, dass jeder sich ohne weiteres so verhalten würde, wie es seinem persönlichen Charakter entspricht; was die Gesellschaft von ihm erwartet, spielt eine mindestens ebenso große Rolle, und es gibt nur wenige radikale Individualisten, die sich jederzeit benehmen wie sie wollen, notfalls auch wie die Axt im Walde, ohne Rücksicht auf das, was „man“ tut.

Was für die Normen und Werte gilt, gilt in mindestens ebenso hohem Maße für das Verständnis von „Wahrheit“. Ein einzelner Mensch könnte unmöglich unbeeinflusst von der ihn umgebenden Gesellschaft, allein auf sich und seinen Verstand gestellt, definieren, was für ihn „wahr“ ist. Bereits die Begriffe, in denen er denkt, sind soziale Konstrukte, erst recht die Werte, die in sein Denken einfließen.

Weil das so ist, kann man das Verhalten eines Kollektivs nicht als Aggregat von individuellem Verhalten auffassen; der Einzelne findet die handlungsleitenden Parameter als Gegebenheiten bereits vor, und muss sich dann in irgendeiner Weise dazu verhalten. Deshalb kann ein Sozialwissenschaftler, der einen gesellschaftlichen Vorgang erklären will, nicht vorgehen wie ein Kriminalist, der einen „Schuldigen“ sucht, und er kann auch nicht die Gesellschaft einteilen in gute und böse Menschen, um dann den Bösen die Schuld an allen unerwünschten Entwicklungen zuzuschieben.

Zumal die „Bösen“ oft persönlich gar nicht so böse sind. Ein Ziad Jarrah, der am 11.September 2001 das Flugzeug entführte, das dann über Pennsylvania abstürzte, wäre mir, nach allem, was ich weiß, persönlich vermutlich sympathisch gewesen, wenn ich ihn gekannt hätte. Ebenso wie die Veteranen der 1.Gebirgsdivision, die ich während meines Wehrdienstes als Ordonnanz zu bedienen hatte. Das waren wirklich ganz reizende alte Herren, die sich bestimmt nicht als Nazis fühlten, die aber überhaupt keinen Zweifel daran hegten, dass ihr Kriegseinsatz notwendig und sinnvoll gewesen war – wobei wir heute wissen, dass die Geschichte gerade der Ersten Gebirgsdivision vor Blut nur so trieft; und damit meine ich keineswegs das Blut feindlicher Soldaten.

Damit ein Kollektiv sich „böse“ verhält, muss es keineswegs aus bösen Menschen bestehen. Im Gegenteil: Gerade das, was wir schnöde „Konformismus“ nennen, also die Bereitschaft, den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen, ihre Normen zu erfüllen und zu ihrem Gedeihen beizutragen, ist das, was wir normalerweise das „Gute“ nennen; und wir müssen auch so nennen, weil es die Voraussetzung dafür ist, dass so etwas wie menschliche Gesellschaft überhaupt existieren kann.

Wenn also ein Großkollektiv gigantische Verbrechen begeht, dann habe ich zur Erklärung dieses Vorgangs zwei Möglichkeiten:

Ich kann, wie vermutlich der geschätzte LePenseur, davon ausgehen, dass zwanzig Prozent des Volkes die restlichen achtzig Prozent gezwungen haben, höchst engagiert etwas zu tun, was sie nicht wollten. Das würde bedeuten, dass achtzig Prozent des deutschen Volkes innerlich Nonkonformisten waren, die bloß aus Angst mitgemacht haben. Dabei stoße ich aber auf das Problem der kognitiven Dissonanz: Menschen empfinden es als unangenehm, wenn Denken und Handeln auseinanderklaffen. Normalerweise versuchen sie diese Lücke zu schließen, indem sie entweder ihr Handeln, oder aber, wenn das nicht möglich ist, ihr Denken anpassen. Die katholische Kirche wusste das schon immer zu nutzen: „Erst mal beten, dann stellt sich der Glaube von selbst ein.“ Jeder Einzelne kann natürlich ein Doppelleben führen, also sich im Dauerspagat zwischen Denken und Handeln einrichten. Dass aber ein ganzes Volk das schafft, halte ich für hochgradig unwahrscheinlich.

Wahrscheinlicher scheint mir, dass Sebastian Haffner Recht hatte, als er das Umschwenken großer Teile der Gesellschaft nach März 1933 sinngemäß so beschrieb: Man machte mit, zunächst aus Angst. Nachdem man aber schon einmal mitmachte, wollte man es nicht nur aus Angst tun – das wäre ja verächtlich gewesen -, und so lieferte man die zugehörige Gesinnung nach. Also Aufhebung der kognitiven Dissonanz durch Anpassung des Denkens.

(Es gibt noch eine zweite Strategie dieser Aufhebung; man konnte sie in der DDR beobachten: Man lieferte dem Regime augenzwinkernd die geforderten Lippenbekenntnisse auf Parteichinesisch, vor allem bei Gelegenheiten, wo solche erwartet wurden, und redete sonst anders. Ein kollektives Doppelleben ist also möglich, machte sich aber dadurch als solches bemerkbar, dass dem Regime nicht nur verbal, sondern überhaupt nur das Nötigste gegeben wurde, also durch massive Leistungsverweigerung. Davon kann aber 1933-1945 nicht wirklich die Rede sein.)

Wenn also die Doppelleben-Hypothese, soweit man sie auf die Mehrheit des deutschen Volkes anwenden will, als unwahrscheinlich zu gelten hat (für eine Minderheit kann sie durchaus zutreffen), dann bleibt nur die Vermutung, dass die meisten Deutschen das Regime aus Überzeugung gestützt haben. Wobei die einen früher, die anderen später (und einige wenige überhaupt nicht) zu dieser Überzeugung gekommen (bzw. gegen Kriegsende davon abgekommen) sind.

Das heißt ja nicht, dass Alle den Nationalsozialismus in jeder Hinsicht großartig fanden; irgendetwas hatte wahrscheinlich Jeder auszusetzen, die Korruption von Parteibonzen zum Beispiel, auch die Verfolgung der Juden fanden Viele abstoßend (auch nach damaligen Zeugnissen), und die riskante Außenpolitik war vielen Menschen unheimlich (wurde aber, wenn es wieder einmal gutgegangen war, umso frenetischer bejubelt; irgendwann so um 1940 glaubte wahrscheinlich jeder Deutsche, der Führer habe den direkten Draht zu Gott). Es heißt aber, dass sie das Regime im Großen und Ganzen guthießen, wenn auch sicherlich mit wechselnden Konjunkturen: 1938 waren es bestimmt mehr als 1933 oder nach Stalingrad; die geheimen Lageberichte des SD geben einigen Aufschluss darüber.

Erklärungsbedürftig ist nicht so sehr, warum viele Menschen nach März 1933 zu den Nazis überschwenkten, und zwar durchaus auch im ideologischen Sinne; Konformismus – wie gesagt, nicht nur äußerer, sondern auch innerer – dürfte ein ausreichender Grund gewesen sein, wenn auch vielleicht nicht der einzige. Ich kann ihn auch nicht per se verwerflich finden, denn, wie gesagt: Er ist menschlich. (Verwerflich finde ich höchstens, dass es im Nachhinein keiner gewesen sein will, und äußerst gefährlich finde ich ein optimistisches Menschenbild, das die menschliche Verführbarkeit ebenso unterschätzt wie die Kraft totalitärer Heilslehren, und auf dessen Basis man sich ein Regime wie den Nationalsozialismus daher nicht anders erklären kann als durch die Machenschaften einer bösartigen Minderheit, die die Mehrheit der Guten unterjocht.)

Erklärungsbedürftig ist, dass Hitler durch Wahlen an die Macht kam – ein buchstäblich beispielloser Vorgang! Weder Mussolini noch Franco, auch nicht Lenin oder Mao oder Khomeini verdankten ihre Macht einer Wahl. Man hat viel Tinte vergossen, um zu beweisen, dass Hitler nie eine Mehrheit in freier Wahl errungen hätte, aber das stimmt einfach nicht. Im März 1933 wusste Jeder, der die Deutschnationalen wählte, dass seine Stimme eine für Hitler war; und so muss man nicht nur die NSDAP-Stimmen (mit knapp 44 Prozent ein nie dagewesenes Ergebnis – ein Erdrutsch), sondern auch die DNVP-Stimmen als Hitlerstimmen werten. Hitler hatte rund 51 Prozent – eine klare Mehrheit!

Es stimmt schon, dass der Wahlkampf 1933 von einer Welle an politischem Terror der Nazis begleitet war, der selbst für die krisengeschüttelte Weimarer Republik ungewöhnlich war: Da wurden sozialistische Zeitungen verboten, Versammlungen gesprengt (sofern sie überhaupt stattfinden durften), Funktionäre verhaftet und gefoltert. Das ist alles richtig, beweist aber das Gegenteil von dem, was es beweisen soll. Wenn die Deutschen nämlich ein besonders freiheitsliebendes Volk gewesen wären, so wäre ihnen allerspätestens jetzt klargeworden, was eine Naziherrschaft bedeuten musste. Und sie hatten noch die winzige Chance, in der Einsamkeit der Wahlkabine den Nazis einen Strich durch die Rechnung zu machen. Sie taten das Gegenteil davon.

Warum?

Man kann natürlich auch rein situationsbezogen argumentieren: Deutschland steckte mitten in der Weltwirtschaftskrise, und diese Krise war – nach Weltkrieg, Revolution und Inflation – die vierte existenzielle Gesellschaftskrise innerhalb von zwanzig Jahren. Da mussten die Nerven ja blank liegen, und die Neigung, Jeden zu wählen, der sich wenigstens selber zutraute, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, ist durchaus nachvollziehbar; das waren außer den Kommunisten (die ebenfalls von der Krise profitierten) eben nur die Nazis.

Wenn man will, kann man sich damit zufrieden geben und die Ursachenforschung einstellen: Bis 1933 war es Verzweiflung, danach Konformismus (und eine durch Hitlers durchschlagende Erfolge, speziell auf wirtschaftlichem Gebiet, genährte abergläubische Führerverehrung).

Die Frage ist nur, warum der Aufstieg der NSDAP in den Reichstagswahlen schon 1930 anfing, als erste Wirkungen der Krise zwar schon spürbar waren, aber von einer Katastrophe bei weitem nicht die Rede sein konnte. Und die erste demokratische Institution, in der es reichsweit eine braune Mehrheit gab, und zwar schon 1929 (!), waren – die ASten der deutschen Universitäten!

Ausgerechnet die Institution also, in der der Geist zu Hause sein sollte, ergab sich dem Ansturm als erstes, vor der Wirtschaftskrise und bevor Hitler irgendwelche Erfolge vorweisen konnte (und die Professorenschaft war weit davon entfernt, ihren Studenten Paroli zu bieten). Der Nationalsozialismus eroberte zuerst die Eliten, dann die Massen.

Womit ein Teil seines späteren Erfolges zu erklären ist: Welcher Normalbürger, der selbst vielleicht nur Volksschulbildung hat, widerspricht schon einer Ideologie, die von den geistigen Eliten seines Landes formuliert und unterstützt wird? Die Bereitschaft der Deutschen der dreißiger Jahre, Nazi-Ideologie zu akzeptieren, wirkt viel weniger merkwürdig, wenn wir unsere heutige Gesellschaft betrachten und uns bewusst machen, wie tief seit 1968, also beginnend mit der Studentenbewegung, linke Ideologeme – vom „gender mainstreaming“ bis zur „kulturellen Bereicherung“ – in die Gesellschaft eingedrungen sind: so sehr, dass kaum noch einer merkt, dass an ihnen irgendetwas „links“ sein könnte.

Wenn aber nun ausgerechnet geistige Eliten den Nationalsozialismus attraktiv fanden, so ist dies ein Indiz dafür, dass er konsequent etwas auf den Punkt brachte, das in der Geistesverfassung der Gesellschaft schon angelegt war und nach ideologischer Ausformulierung schrie. Sechs Punkte scheinen mir hier maßgeblich zu sein:

Erstens: Mit Ausnahme der beiden liberalen Parteien hatten alle Parteien der Weimarer Republik ein religiöses Politikverständnis, das heißt, sie fassten Politik nicht als ein Dienstleistungsunternehmen auf, das den Bürgern größtmöglichen Nutzen bringen sollte, sondern fußten auf Prinzipien, von deren Verwirklichung sie sich die schlechthin „gute“ Gesellschaft erwarteten. Sie waren säkularisierte Kirchen. Dieser Ansatz konnte relativ pragmatisch daherkommen, wie beim Zentrum und den Sozialdemokraten, wo die Utopie mehr einen geistigen Horizont markierte als ein konkret zu verwirklichendes Ziel, oder als revolutionärer Utopismus wie bei den Kommunisten.

Diese Auffassung von Politik als der Verwirklichung eines überzeitlichen Ideals versteht sich nicht von selbst, und zu liberalen Verfassungsstaaten passt er schon vom Ansatz her nicht: Deren unausgesprochenes Politikverständnis ist, dass jeder Einzelne seinen Interessen folgt, dass das „Volk“ nur das Aggregat dieser Einzelnen darstellt, und dass es die Regierung auswechselt, wenn sie die Interessen des gedachten Kollektivindividuums „Volk“ nicht verwirklicht. Das Verhältnis der meisten Deutschen zur Politik hatte mit diesem trockenen Pragmatismus wenig zu tun; es war religiöser Natur. Konservative etwa, die der vermeintlichen Herrlichkeit des Kaiserreichs nachtrauerten, warfen der Republik geradezu vor, kein erhebender Anblick, kein mächtiger Bau zu sein, sondern bloß eine Firma. Damit fassten sie das Wesen einer demokratischen Republik in der Tat zutreffend zusammen. (Man sollte diese Kritik auch nicht leichtfertig als reaktionär oder faschistisch abtun; ob religiös aufgeladene Gemeinwesen auf die Dauer den demokratischen Verfassungsstaaten nicht doch überlegen sind, ist eine immer noch offene Frage.)

Am zum Schluss geradezu sturzartigen Niedergang der liberalen Parteien, deren Politikverständnis dem „Firmen“-Ideal am nächsten kam, lässt sich ablesen, wie weitgehend die religiöse Politikauffassung in Deutschland Fuß gefasst hatte.

Zweitens: Eng verwandt mit diesem religiösen ist das militante Politikverständnis, ablesbar bereits an der Selbstdarstellung der Parteien. Es kam in der damaligen Politik in einem heute kaum noch vorstellbaren Ausmaß darauf an, „die Straße“ zu beherrschen; Demonstrationen waren keine Betroffenheitslatschdemos wie heute, sondern militärische Aufmärsche mit Fahnen, Uniformen, Marschmusik, und das sozialdemokratische Reichsbanner unterschied sich in dieser Hinsicht nicht vom Stahlhelm, dem Roten Frontkämpferbund oder der SA; selbst das Zentrum bemühte sich um ein martialisches Gepräge, eine wirkliche Ausnahme stellten – auch hier – allenfalls die liberalen Parteien dar. Die Symbolik entsprach dem Selbstverständnis der Parteien, die sich als Armeen ihrer Sache auffassten, die einen Feind zu vernichten hatten. Mit einem demokratischen Politikverständnis, zu dem notwendig auch der Kompromiss, meinetwegen auch die Kungelei gehört, hatte dies – auch bei den Sozialdemokraten – nichts zu tun.

Es spricht Bände, welche Rolle das Wort „Führer“ schon in den zwanziger Jahren spielte; es kam selbst beim Zentrum niemandem merkwürdig vor, wenn der Prälat Kaas auf Parteitagen nicht etwa als „unser Vorsitzender“, sondern als „unser Führer“ angekündigt wurde. Wenn man sich als Quasi-Armee versteht, ist das konsequent: Eine Armee braucht einen, der zumindest symbolisch vorangeht – ein „Vorsitzender“ kann das nicht leisten, weil er, nun ja, ein Sitzender ist.

Drittens: Schon im Kaiserreich, erst recht nach der Erfahrung des Weltkriegs, war das Ordnungsideal der Deutschen das Militär gewesen: eine straff zentralisierte, hierarchisch gegliederte, auf Befehl und Gehorsam basierende Großorganisation – ein Ideal, das in der Wirtschaft so selbstverständlich galt wie in den Parteien und Gewerkschaften. Es ist nicht einmal besonders boshaft zu behaupten, dass die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften zur Militarisierung der Arbeiterschaft mindestens ebenso viel beigetragen haben wie die preußische Armee. Was wir uns heute unter „Zivilgesellschaft“ vorstellen und als Voraussetzung von Demokratie betrachten, wäre damals kaum verstanden worden – wiederum mit Ausnahme der Liberalen -; allein das Wort „zivil“ klang schon schlapp. Das „Führerprinzip“ war für große Teile der deutschen Gesellschaft der Sache nach schon ein Ideal gewesen, lange bevor die Nazis es so nannten.

Viertens: Im Verlauf des Ersten Weltkriegs waren die Kriegsziele (nicht etwa nur der Obersten Heeresleitung, sondern wiederum großer Teile der Gesellschaft) immer weiter ausgeufert; am Ende konnte niemandem verborgen bleiben, dass Deutschland um die Errichtung eines europäischen Imperiums kämpfte. Was ich übrigens nicht kritisiere; ich glaube, dass Europa bis heute besser dran wäre, wenn Deutschland den Ersten Weltkrieg gewonnen hätte – aber das ist ein anderes Thema. Das Erbe dieser Zeit war eine Auffassung von Außenpolitik als eines Machtkampfes der Nationen, das heißt eines Kampfes um Herrschaft. Selbst die Sozialisten machten da keine Ausnahme: Sie kritisierten zwar leidenschaftlich den „Imperialismus“, aber indem sie ihn als unvermeidliche Folge des Kapitalismus deuteten, also als etwas, was im Grunde nur durch eine Weltrevolution (sprich: überhaupt nicht) zu überwinden war, bestätigten sie letztlich nur die sozialdarwinistischen Auffassungen ihrer Gegner.

Sebastian Haffner hat eindrucksvoll beschrieben, wie dieses Denken sich während des Krieges gerade in den Köpfen der 1900 bis 1910 Geborenen festsetzte, die zu jung waren, um am Krieg teilzunehmen, aber alt genug, um den täglichen Heeresbericht zu lesen. Sie waren, schreibt er sinngemäß, auch später außerstande, in Nationen etwas anderes zu sehen als gigantische Sportvereine, die um den „Endsieg“ kämpfen. Es war diese Generation, aus der die Nazis ihre ersten, meisten und leidenschaftlichsten Anhänger rekrutierten.

Fünftens: Franz Janka hat in seiner zu Unrecht wenig beachteten, brillanten Studie „Die braune Gesellschaft. Ein Volk wird formatiert… “ die Idee der „Volksgemeinschaft“ als die zentrale Idee des Nationalsozialismus herausgearbeitet: zentral auch im Hinblick auf seine Fähigkeit, Massenunterstützung zu mobilisieren. Die Idee der „Gemeinschaft“ war schon vor 1914 als Gegenbild zur schnöden „Gesellschaft“ entwickelt worden, in der jeder egoistisch seinen Interessen folgt. Was ursprünglich eine Kategorie soziologischer Analyse gewesen war, wurde sehr schnell politisch aufgeladen und als Utopie gegen die liberale Gesellschaft in Stellung gebracht. Das Erlebnis des Ersten Weltkriegs, speziell des zum nationalen Mythos erhobenen August 1914 illustrierte diese Utopie einer verschworenen (Krieger-)Gemeinschaft auf eine für Viele so eindrucksvolle Weise, dass das bloße Wort „Volksgemeinschaft“ genügte, bei jedem Einzelnen eine Kaskade von meist positiven Bildern und Assoziationen in Gang zu setzen, die alle etwas mit nationaler Solidarität, mit Heldentum und der Überwindung von Klassen- und Konfessionsschranken zu tun hatten. Einer genauen Begriffsbestimmung schien es bei einem emotional so hochgradig aufgeladenen Wort gar nicht zu bedürfen, und selbst sozialistisch geprägten Arbeitern, die den nationalen Mythen noch am skeptischsten gegenüberstanden, schien eine „Volksgemeinschaft“ wenn schon keine materielle Gleichheit, so doch wenigstens gleichen Anspruch auf soziale Anerkennung zu verheißen. Hinzu kam, dass auch die massenwirksamen Gegenideale des Christentums und des Sozialismus letztlich Gemeinschafts-Ideale waren. Kurz und gut: Die Sehnsucht nach „Gemeinschaft“ war die Basisutopie der Deutschen, und nachdem die Nationalsozialisten ihre „Volksgemeinschaft“ erst einmal etabliert hatten, war es auch für viele Christen und Sozialisten nur noch ein kleiner Schritt, ihre alten Gemeinschaftsideale über Bord zu werfen und sich in die „Volksgemeinschaft“ einzufügen.

Sechstens: Wenn ich den Antisemitismus als sechsten Faktor anführe, so muss ich zunächst einem denkbaren Missverständnis vorbeugen: Ich vertrete nicht die Goldhagen-These, wonach die Ermordung der Juden ein deutsches Nationalprojekt gewesen sei, das die Billigung einer Mehrheit gefunden hätte (was nichts daran ändert, dass in einem rein objektiven Sinne praktisch Alle in irgendeiner Form darin verstrickt waren – auch ein Vernichtungslager stand ja nur so lange, wie die Front hielt). Ich halte die Goldhagen-These für überzogen, weil es keine empirischen Anhaltspunkte dafür gibt, dass auch nur der Boykott vom April 1933 oder die Nürnberger Gesetze breite Billigung gefunden hätten – von der Ermordung der Juden ganz zu schweigen, die dementsprechend so geheim wie möglich vollzogen wurde. Auch an den Verbrechen der Reichskristallnacht beteiligten sich meines Wissens nur diejenigen, die dazu abkommandiert waren (weswegen ich auch nicht den politisch korrekten Ausdruck „Reichspogromnacht“ verwende – für mich ein klassisches Beispiel für die unvermeidliche Dummheit von Political Correctness: Das Wort „Pogrom“ enthält ein Moment spontaner Massengewalt, und wer es in Bezug auf den 9.November 1938 verwendet, übernimmt praktisch die Goebbelssche Lesart, wonach es sich um einen spontanen Ausbruch des Volkszorns gehandelt habe). Auf sehr viele Deutsche, vielleicht eine Mehrheit, wirkten sie ausgesprochen abstoßend.

Andererseits war die wüste antisemitische Propaganda der NSDAP für die Mehrheit der Deutschen kein Grund, Hitler nicht zu wählen, und taten der Judenboykott, die Arierparagraphen, die Nürnberger Gesetze der Popularität Hitlers keinen merklichen Abbruch, auf die Dauer auch nicht die Kristallnacht. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die deutsche Gesellschaft sehr wohl bereit war, der Ermordung der Geisteskranken Einhalt zu gebieten, nicht aber der der Juden. Und es gibt aus der Zeit vor Hitler ungezählte Zeugnisse dafür, dass Antisemitismus im Sinne einer allgemeinen (nicht unbedingt gegen Einzelpersonen gerichteten) Abneigung gegen Juden, sehr weit verbreitet, ja fast schon selbstverständlich war. Ich vermute, dass es sich um die Einstellung einer Mehrheit handelte.

Ganz sicher die Einstellung einer Mehrheit war aber, dass die Juden nicht zu „uns“, also zur Wir-Gruppe der Deutschen gehörten, und wenn sie zehnmal mit dem Eisernen Kreuz dekoriert waren. Unter dieser Voraussetzung musste es spontan einleuchten, wenn die starke Position von Juden in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst von den Nationalsozialisten als eine Art „Fremdherrschaft“ gebrandmarkt wurde, von der es das deutsche Volk zu „befreien“ gelte. Die Bereitschaft, antisemitische Ideologie zu akzeptieren, war also durchaus vorhanden. Sie ist nicht einfach dasselbe, wie die Bereitschaft einen Massenmord zu begehen oder auch nur zu billigen, wohl aber die Voraussetzung dafür, ein antisemitisches Regime, das solches tut, zu dulden und ungeachtet seines Antisemitismus zu unterstützen.

Fassen wir zusammen: Die überwältigende Mehrheit der Deutschen, einschließlich der Sozialisten und engagierten Christen, hielt Politik für die Verwirklichung religiöser oder quasi-religiöser Ideale, fand es selbstverständlich, dass man zu diesem Zeck politische Gegner physisch bekämpfte, betrachtete das Führerprinzip als Ordnungsideal, hielt internationale Politik essenziell für einen Machtkampf von Nationen, betrachtete Juden als fremde Eindringlinge und sehnte sich der Volksgemeinschaft.

Und nun frage ich: Welche Ideologie und welches politische System passte zu einem solchen Volk?

Die Frage stellen heißt sie beantworten.

 

Wolfgang Wippermann: „Autobahn zum Mutterkreuz: Historikerstreit der schweigenden Mehrheit“

(Rezension)

Manchmal bin ich etwas schwer von Kapee. Ich habe ein halbes Jahr gebraucht zu begreifen, dass der Fall Eva Herman mehr und etwas anderes war als nur eine kuriose Episode, bei der alle Beteiligten sich nach Kräften blamiert haben. Es war ein Ereignis, das schlaglichtartig den geistigen Zustand unserer Gesellschaft erhellt hat. In dieser Einsicht stimme ich überein mit dem Berliner Historiker Wolfgang Wippermann, dem ich sie verdanke. Allerdings ist dies auch fast der einzige Punkt, in dem ich seine Meinung teile.

Zur Erinnerung: Eva Herman war in den letzten Jahren mit betont feminismuskritischen Büchern an die Öffentlichkeit getreten („Das Eva-Prinzip“), in denen sie vehement die klassischen konservativen Familienwerte verteidigte, insbesondere die „natürliche Bestimmung“ der Frau zur Mutterschaft. Wahrscheinlich eher schlicht im Gedankengang – ich weiß es nicht, ich habe ihre Bücher nicht gelesen – traf sie doch bei vielen Lesern einen Nerv; ihre Bücher jedenfalls verkauften sich sehr gut.

Und so hätte alles laufen können, wie es immer läuft, wenn Journalisten ihr Rezept zur Rettung der Gesellschaft präsentieren: Einige empören sich (in diesem Falle also die Feministinnen), andere sind begeistert (in diesem Falle die katholische Kirche), die Leser freuen sich, endlich schwarz auf weiß zu lesen, was sie ohnehin immer schon zu wissen glaubten, und bei Verlag wie Autorin klingeln die Kassen. Und alle lebten glücklich bis an ihr seliges…

Halt!

Nun tat Eva Herman etwas, was man in Deutschland nicht tut: Sie lobte das Dritte Reich.

Bei der Vorstellung ihres Buches „Das Arche Noah Prinzip“ pries sie – wie gehabt – Ehe, Familie und Mutterschaft, fügte diesmal aber sinngemäß hinzu, diese Werte seien unter Hitler hochgehalten worden (was ja an dessen negativen Seiten nichts ändere), später aber hätten die Achtundsechziger das alles mit Füßen getreten und zerstört.

Jetzt schlug die Stunde der Öffentlichkeit: Der NDR feuerte, die NPD feierte sie, die Presse gab sich staatstragend empört und der Zentralrat der Juden wehrte den Anfängen.

Das übliche Programm also, das immer dann abläuft, wenn jemand den Teppich hebt, unter dem wir Deutschen alles entsorgt haben, was unserem Selbstbild als geläuterte Demokraten zu widersprechen scheint, die aus der Geschichte gelernt haben, und wenn jemand öffentlich ausspricht, was nicht die meisten, aber auch nicht ganz wenige Deutsche denken, und was mit dem offiziösen Geschichtsbild wenig zu tun hat.

In dieser Situation hielt es der Talkshow-Moderator Johannes B. Kerner für angemessen, mit Herman das abzuziehen, was die Bloggerkollegin Eisvogel später „die Galileonummer“ nennen sollte: „Widerrufe!“

Eva Herman widerrief nicht, obwohl Wippermann, der bei dieser Gelegenheit auf der Bildfläche erschien, ihr mit der ganzen Autorität des anerkannten NS-Experten klarzumachen versuchte, dass Hitlers Familienpolitik Bestandteil seines Projekts zur Rassenzüchtung und Kehrseite seiner Vernichtungspolitik gegen „Fremdrassige“ gewesen sei.

Sie bestand in der zunehmend hitziger werdenden Diskussion darauf, nur das auszusprechen, was die meisten Menschen dächten, was aber von der „gleichgeschalteten Presse“ in die rechte Ecke gestellt werde. Als ihr vorgehalten wurde, das Wort „Gleichschaltung“ sei ein NS-belasteter Begriff, replizierte sie, der Begriff sei zwar damals verwendet worden,

„…aber es sind auch Autobahnen damals gebaut worden, und wir fahren heute drauf.“ (S.30)

Dieses zugegebenermaßen ziemlich blöde Argument für die Verwendung des Wortes „Gleichschaltung“ (mit derselben Logik könnte man auch Ausdrücke wie „Untermensch“ rechtfertigen) wurde von den übrigen Gesprächsteilnehmern als ein erneutes „Alles war ja auch nicht schlecht“ aufgefasst und mit Empörung quittiert. Der Moderator warf sie aus dem Studio mit dem ihn selbst blamierenden Satz:

„Autobahn – das geht halt nicht.“ (ebd.)

Und Eva Herman:

„Ich muss halt lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten.“ (ebd.)

Sprach’s und ging.

Während sich viele Leserbriefschreiber und große Teile der Blogosphäre mit Eva Herman und ihren Thesen solidarisierten, bekam Wippermann, der sie kritisiert hatte, Tausende von Zuschriften, in denen er nicht nur kritisiert, sondern auch beschimpft, beleidigt und bedroht wurde: „Volksschädling“, „Ratte“, „Judenknecht“, „widerliche Kreatur“.

Das Buch, das er jetzt über die Herman-Kontroverse vorgelegt hat, dürfte also im Zorn geschrieben worden sein – das sei dem Autor zugutegehalten. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist dieses Buch selbst mindestens so aufschlussreich wie die Ereignisse, die es beschreibt. Man bekommt jedenfalls nur selten die Gelegenheit, die Funktionsweise der Political Correctness an einem solchen Prachtexemplar zu demonstrieren; und ich wäre nicht ich selbst, wenn ich mir diese Gelegenheit entgehen ließe.

Wippermanns Kritik gilt vor allem demjenigen Teil der deutschen Bevölkerung, den er selbst bereits im Untertitel und dann mehrere Dutzend Mal im Text „die schweigende Mehrheit“ nennt. Dabei lässt er offen, ob er damit ironisch auf das Selbstverständnis des genannten Personenkreises anspielen will, oder ob er buchstäblich eine Mehrheit meint. Solch unklare Begrifflichkeit – wir werden noch in anderen Zusammenhängen darauf stoßen – ist bei einem Wissenschaftler auch dann ein schwerwiegender Lapsus, wenn er für die breite Öffentlichkeit schreibt und nicht für das Fachpublikum.

„‚Ich muss lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten‘, erklärte Eva Herman kurz vor ihrem Abgang in der Kerner-Show am 9.Oktober 2007: Eine unfassbare und völlig unbegründete Behauptung.“ (S.81)

Unfassbar? Völlig unbegründet?

Eva Herman hatte wegen ihrer Äußerungen bereits ihren Arbeitsplatz verloren. Solche Sanktionen kann man für gut oder schlecht halten. Wer aber behauptet, es gebe sie nicht, lügt.

Es geht aber noch weiter:

Denn wer soll sie und andere in Gefahr bringen …? Hitler ist tot, und wir leben nicht in einer Diktatur ,sondern in einer Demokratie. In ihr herrscht die in der Verfassung geschützte … Meinungsfreiheit. Wer etwas anderes behauptet, hat ein Problem mit dieser Verfassung oder weiß einfach nicht, wovon er spricht.“ (ebd.)

Das ist wahrscheinlich die Ganz Hohe Schule der Political Correctness: Bestimmte Meinungen nicht nur zu ächten („Autobahn – das geht halt nicht.“), sondern gleichzeitig zu leugnen („unfassbar!“, „Völlig unbegründet!“), dass man sie ächtet. Nicht nur zu leugnen, dass man sie ächtet, sondern jeden, der wahrheitsgemäß behauptet, sie würden geächtet, als Narren oder Verfassungsfeind abzustempeln!

(Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum, ob diese oder jene Ansichten, etwa die von Eva Herman, richtig oder falsch sind. Auch nicht darum, ob ihre Ächtung gut oder schlecht ist. Es geht um das Faktum der Ächtung an sich.)

Diese Ächtung nimmt dabei nur selten so handfeste Formen an wie den Verlust des Arbeitsplatzes. Die „schweigende Mehrheit“, um mit Wippermann zu sprechen, hat vielmehr das zutreffende Gefühl, bestimmte Auffassungen würden „in die rechte Ecke gestellt“, also als unseriös und unmoralisch aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt. „Öffentlich“ ist dabei derjenige Diskurs, der von Meinungseliten geführt wird. Damit meine ich den Kreis derjenigen Personen, die von der Mediensoziologie „virtuelle Meinungsführer“ genannt werden, das heißt Personen, die den informellen Status von Repräsentanten der Gesellschaft bzw. einzelner Gesellschaftssegmente genießen; die als solche regelmäßig Zugang zu den Medien und somit die Chance auf öffentliche Artikulation haben; und die in den Medien das vollführen, was man den „öffentlichen Diskurs“ nennt. Gesellschaftliche Strömungen, die in den Meinungseliten nicht repräsentiert sind bzw. deren Repräsentanten ausgeschlossen werden, müssen als ausgegrenzt gelten. Es ist also nicht etwa so, dass der Normalbürger nicht sagen könnte, was er denkt – insofern ist das Wort „Meinungsdiktatur“ zu Kennzeichnung der Political Correctness tatsächlich irreführend -, er ist „nur“ mit bestimmten Ansichten vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen.

Wer zur Meinungselite gehören will, tut also gut daran, geächtete Meinungen für sich zu behalten. Wer das nicht tut, bekommt bestenfalls die Chance, den Galileo zu machen – so wie Günther Oettinger. Wer diese letzte Chance verpasst, wie Martin Hohmann oder eben Eva Herman, der ist draußen. Die physische Verbannung von Eva Herman aus dem Fernsehstudio – und damit aus dem Kreise der legitimerweise Diskutierenden – hat diesen Vorgang ungewöhnlich anschaulich gemacht und ist von den Zuschauern instinktiv als symbolträchtig empfunden worden.

Der darauf folgende Aufstand der Blogosphäre hat aber eines sichtbar gemacht: dass den bisherigen Meinungseliten das Definitionsmonopol darüber entgleitet, welche Themen und Meinungen gesellschaftsfähig sind und welche nicht. War auch bisher schon die „Öffentliche Meinung“ identisch mit der veröffentlichten, so hat das Internet die Lage insofern verändert, als nun Jeder veröffentlichen kann.

Volkes Stimme gab es schon immer; an jedem Stammtisch war sie zu hören. Der kleine Kreis des Stammtisches (des Familiengesprächs, des Klönens in der Kaffeepause) stellte aber keine Öffentlichkeit dar. Erst das Internet macht aus Volkes Stimme eine öffentliche Stimme. Die „schweigende Mehrheit“ schweigt nicht mehr, und das Volk hat nicht nur eine Stimme, es weiß vor allem, dass es eine hat.

Wippermann hat diesen Sachverhalt völlig richtig erkannt und in gewissem Sinne Pionierarbeit geleistet, indem er die Reaktion der Blogosphäre auf die Herman-Affäre systematisch ausgewertet und damit ihrem wachsenden Einfluss auf die öffentliche Meinung Rechnung getragen hat.

Freilich bewertet er diesen Einfluss vom Standpunkt einer um ihre Deutungshoheit bangenden Meinungselite ausschließlich negativ. Zu fragen ist, ob er damit Recht hat.

Es stimmt ja, dass sich Fehlinformationen im Internet rasend schnell verbreiten, ohne dass es einen wirksamen Filter gäbe, und dass gerade Verschwörungstheoretiker jeder Couleur das Internet als Baukasten benutzen, aus dem sie die Klötzchen für ihre jeweiligen Wahngebäude beziehen. Wahrscheinlich gibt es keine noch so verrückte Idee, für die man im Netz nicht eine Fangemeinde zusammentrommeln könnte. Soweit Wippermann dies feststellt, liegt er durchaus richtig.

Nur richtet seine Kritik sich nicht gegen irgendwelche UFO-Sekten, sondern dagegen, dass gesellschaftlich weitverbreitete Ideen öffentlich artikuliert werden. Liberal wird man einen solchen Standpunkt nicht nennen können. Demokratisch schon gar nicht.

Deswegen allein muss er aber noch nicht falsch sein: Es ist Konsens, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden sollte, wo ihr hemmungsloser Gebrauch zur Gefährdung eben jener demokratischen Ordnung führen würde, die die Meinungsfreiheit garantiert. Unsere Verfassung kennt dieses Prinzip als das der „wehrhaften Demokratie“. Unter diesem Gesichtspunkt – aber auch nur unter diesem! – lässt es sich rechtfertigen, bestimmte Meinungen als demokratiefeindlich vom seriösen Diskurs auszuschließen.

Welche Auffassungen möchte Wippermann gerne ausgeschlossen sehen? Zunächst die, die die „guten Seiten“ des Nationalsozialismus thematisieren:

„Alles war ja auch nicht schlecht damals: Jeder hatte Arbeit, man konnte sich nachts auf die Straße trauen, für Familien wurde noch etwas getan, Mütter waren noch geachtet, es herrschte Ordnung, und außerdem hat Hitler die Autobahn gebaut.“

(Das ist kein wörtliches Zitat, sondern die Zusammenfassung von Äußerungen Eva Hermans und ihrer Sympathisanten, die Wippermann für gefährlich hält.)

Da stelle mer uns janz dumm und fragen: Stimmt denn dat überhaupt?

Sicher gibt es Einiges zu differenzieren, aber im Großen und Ganzen stimmt das durchaus. Um mit den Autobahnen zu beginnen, weil sie in der Debatte eine besondere Rolle gespielt haben („Autobahn – das geht halt nicht!“), und weil Wippermann hier mit Gegenargumenten aufwartet:

Es habe bereits in Amerika und Italien Highways und Autostradas gegeben; womit nur eine Behauptung widerlegt ist, die niemand aufgestellt hat, nämlich dass die Nazis die Autobahnen erfunden hätten. Außerdem habe es in Deutschland bereits die Berliner AVUS gegeben (rund zehn Kilometer lang) und die Autobahn Köln-Bonn (noch so eine gigantische Fernstrecke). Die Nazis hingegen seien hinter ihren Planungen zurückgeblieben, indem sie in den sechs Jahren bis Kriegsbeginn lediglich 3000 Autobahnkilometer fertiggestellt hätten (während des Krieges kamen dann noch einmal 800 Kilometer hinzu), während die alte Bundesrepublik

„…bereits 1980…“ (S.71)

(also 31 Jahre nach ihrer Gründung) 8000 Autobahnkilometer hatte – wobei offenbleibt, wieviel davon aus der Zeit vor 1945 stammte. Dem Autor scheint gar nicht aufzufallen, dass seine eigenen Zahlen dem Dritten Reich ein mindestens doppelt so hohes Bautempo bescheinigen wie der Bundesrepublik (3000 Kilometer in sechs Jahren versus 8000 Kilometer – minus X – in 31 Jahren) und damit genau das Gegenteil von dem beweisen, was sie beweisen sollen. Das ist durchaus kein Grund, Hitler zu feiern, wohl aber einer, dem Autor eine schlampige und willkürliche Argumentation anzukreiden.

Was den Schutz vor Kriminalität angeht: Da fehlen mir die statistischen Daten. Gut möglich, dass die drakonische Justizpolitik des Regimes, verbunden mit seiner Propaganda, dem Durchschnittsdeutschen mehr Sicherheit vorgaukelte als nach der Kriminalstatistik gerechtfertigt war; dass also das Sicherheitsgefühl größer war als die tatsächliche Sicherheit. (Was aber nichts daran ändert, dass bereits die Illusion – falls es denn eine war – von Sicherheit als wohltuend empfunden wurde).

Darüberhinaus ist es eine schlichte Tatsache, dass unter Hitler die Arbeitslosigkeit innerhalb von nur drei Jahren von sechs Millionen auf Null reduziert wurde, und zwar mithilfe einer Politik massiver kreditfinanzierter Staatsnachfrage. Diese Art Konjunkturpolitik avancierte nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Titel „Keynesianismus“ zur Hauptströmung wirtschaftspolitischer Theorie.

Und zutreffend ist auch, dass die Nazis vom Ehestandsdarlehen bis zum Mutterkreuz alle Register zogen, die Menschen zum Kinderkriegen zu animieren und dabei das Sozialprestige der Mütter zu heben.

Wippermann bestreitet das alles auch nicht direkt. Er weist nur – und zu Recht – darauf hin, dass Alles, was die Nazis taten, also auch die Autobahn, das Mutterkreuz, die Konjunkturpolitik (Aufrüstung!) im Dienste ihres monströsen Gesamtprojekts stand, eine „arische Herrenrasse“ zu züchten und gestützt auf einen totalitären Staat die Weltherrschaft zu erringen, und dass es deshalb bestenfalls naiv wäre, einzelne Aspekte als vermeintlich „gute Seiten“ des Dritten Reiches isoliert zu betrachten. Ein durchschlagendes Argument – freilich nur gegen Neonazis, die auf eine Neuauflage des Nationalsozialismus hinarbeiten.

Dagegen kann ich nicht erkennen, dass wirtschaftspolitische, bevölkerungspolitische oder verkehrspolitische Instrumente, die von den Nationalsozialisten in einem rassistischen und totalitären Zusammenhang eingesetzt wurden, diesen Kontext naturgemäß in sich trügen, deshalb niemals im Rahmen einer demokratischen und friedlichen Politik einsetzbar wären und daher für alle Zeiten tabu bleiben müssten:

Warum finanzielle oder ideelle Anreize – es muss ja nicht gerade das Mutterkreuz sein – zum Kinderkriegen etwas Schlechtes sein sollen, erschließt sich mir nicht. Zumal die Überalterung unserer Gesellschaft ein ernstes Problem darstellt, und das nicht nur für die Rentenkassen.

Oder nehmen wir die Wirtschaftspolitik: Angesichts einer seit dreißig Jahren andauernden Massenarbeitslosigkeit ist es legitim zu fragen, was von einer Politik zu lernen wäre, die eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit in nur drei Jahren beseitigt hat. Ich persönlich glaube zwar nicht, dass eine auf extremen Staatskonsum setzende Wirtschaftspolitik, noch dazu verbunden mit einer nicht minder extremen Verschuldung, heutzutage eine sinnvolle Option wäre. Nur ist das eine ökonomische, keine moralische Frage. (Bemerkenswert übrigens, dass die politische Linke, die ein solches Konzept verfolgt, nicht darauf hinweist, dass damit schon einmal Vollbeschäftigung erzielt wurde; offenbar verzichtet sie lieber auf ein erstklassiges Argument, als etwas Positives über Hitler zu sagen. Man könnte es beinahe edel finden, wenn es nicht so dämlich wäre.)

Und der Normalbürger, der die Autobahn lobt: Will der denn eine Neuauflage des NS-Regimes? Oder, allgemeiner gefragt: Warum spricht er über die seiner Meinung nach „guten Seiten“ der Nazizeit?

Dieses „Warum“ hat zwei Aspekte: Den objektiven – Wie kommt es, dass so viele Menschen so denken? – und den subjektiven – Was veranlasst sie, sich gerade so zu äußern?

Der Soziologe Harald Welzer hat in seiner Studie „Opa war kein Nazi“ empirisch untersucht, wie Geschichtsbilder über die NS-Zeit entstehen, und zwar an der Basis der Gesellschaft, speziell im familiären Diskurs.  

Er hat nachgezeichnet, wie dabei zwei Weltbilder aufeinandertreffen, die es aus der Sicht des Einzelnen in Einklang zu bringen gilt: Einmal das gleichsam offizielle Geschichtsbild, das auf den Ergebnissen der historischen Forschung aufbaut, die Repressivität und Grausamkeit nationalsozialistischer Ideologie und Praxis herausarbeitet und deren Totalverurteilung nahelegt. Zum anderen das Geschichtsbild der damaligen Durchschnittsdeutschen, das auf deren subjektiver Erfahrung beruht und innerfamiliär durch die Erzählungen der älteren Generation weitergegeben wird.  

Diese „Geschichte“ kann mit der der Historiker nicht übereinstimmen, weil sie aus einer ganz anderen Perspektive erzählt wird: aus der Perspektive dessen, der die Dinge nicht von oben analysiert, sondern von unten erlebte, und der dabei kein Jude, nicht schwul, kein Sozialist und kein avantgardistischer Künstler war – des Durchschnittsdeutschen eben. Und der fühlte sich, zumindest vor Kriegsausbruch, unter der Naziherrschaft alles in allem ziemlich wohl. Wäre es anders gewesen, hätten die Nazis niemals die loyale, teilweise begeisterte Unterstützung einer großen Mehrheit der Deutschen bekommen können. Warum aber fühlten die sich wohl? Nun, unter anderem wegen der Vollbeschäftigung, des Sicherheitsgefühls, der Familienförderung, der optimistischen Zukunftserwartungen (Autobahn!) usw., also aus genau den Gründen, die heute noch als „gute Seiten“ des NS-Regimes angeführt werden.  

Natürlich wusste auch der Normalbürger, dass Juden verfolgt wurden, und dass es Konzentrationslager und eine Gestapo gab – es interessierte ihn bloß nicht. Es interessierte ihn nicht, weil seinen Bedürfnissen nach Sicherheit, Ordnung und bescheidenem Wohlstand Rechnung getragen wurde. Man kann das unmoralisch finden, aber es ist genau das Verhalten, das im Normalfall von normalen Menschen zu erwarten ist. Auch wenn es einem nicht gefällt und man es nicht wahrhaben möchte: Menschen sind so.  

Problematisch wird diese Disposition in dem Moment, wo ein totalitäres regime sie ausnutzt. Sie ist aber nicht per se etwas Schlechtes: Der konformistische Bürger, der seine Steuern bezahlt, seine Familie mit eigener Arbeit ernährt, seine Kinder großzieht, der sich um seinen eigenen Kram kümmert und sich an die Gebote der konventionellen Moral hält – der ist bestimmt weniger interessant, oft auch weniger sympathisch als der Individualist, Nonkonformist, Utopist, Abenteurer, Philanthrop, Bonvivant, Künstler oder Bohemien. Aber er ist Derjenige, der die Gesellschaft funktionsfähig hält. Anders gesagt: Der Konformismus des Konformisten ist die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie der Nonkonformist überhaupt existieren kann.  

Genau diesen Personenkreis meint Wippermann, wenn er von der „schweigenden Mehrheit“ spricht, die am Dritten Reich „gute Seiten“ findet, und der er deshalb eine faschistische Disposition unterstellt, statt nach ihren Motiven zu fragen.  

Was beinhaltet denn die Aussage, alles sei ja auch nicht schlecht gewesen, verbunden mit den einschlägigen Beispielen?  

Erstens kommt darin ein Bedürfnis nach Sicherheit, Ordnung und Wohlstand zum Ausdruck,  

zweitens die Kritik, dass diese Bedürfnisse heutzutage nicht berücksichtigt würden,  

drittens die Meinung, unter Hitler sei ihnen stärker Rechnung getragen worden.  

Beginnen wir beim dritten Punkt: Die Nazis haben dem tatsächlich Rechnung getragen, freilich nur, um die Voraussetzungen für ein Projekt zu schaffen, das mit Ordnung, Sicherheit und Wohlstand nicht das Geringste zu tun hatte, vielmehr chaotisch, riskant und ruinös war. Sie haben die braven Bürger ganz einfach hinters Licht geführt; und die wissen das auch sehr genau. Um Eva Herman zu zitieren:  

„… es war ’ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat…“ (S.19)  

Wippermann scheint solche Distanzierungen (man kennt sie auch in anderen Varianten, etwa: Wenn das mit den Juden und mit dem Krieg nicht gewesen wäre…) für bloße Lippenbekenntnisse zu halten, dabei bringen sie zum Ausdruck, dass das NS-Regime in genau denjenigen Punkten abgelehnt wird, die spezifisch nationalsozialistisch waren; damit wird gerade keine ideologische Sympathie formuliert.  

Was damit aber formuliert wird, ist das Unbehagen des Normalbürgers an unserer Gesellschaft, und da Wippermann es vorzieht, dieses Unbehagen als faschistisch zu verdächtigen, statt nach seinen Ursachen zu fragen, frage jetzt ich danach:  

Es ist nämlich eine gut gesicherte soziologische Erkenntnis, ja geradezu ein Gemeinplatz, dass es in allen westlichen Gesellschaften einen Trend weg von den sogenannten „Pflicht- und Akzeptanzwerten“, hin zu den „Selbstentfaltungswerten“ gibt.  

In Deutschland begann der zunächst schleichend Anfang des 20. Jahrhunderts, erfuhr einen ersten Schub in den zwanziger und erlitt Rückschläge in den dreißiger bis fünfziger Jahren, um sich dann ab den sechziger Jahren vollends durchzusetzen.  

Dieser Trend bedeutet, dass die Menschen weniger danach fragen, was „man“ tut, sondern was sie selbst tun wollen; die persönliche Freiheit ist im Zweifel wichtiger als die soziale Pflicht. Es heißt keineswegs den damit verbundenen Gewinn an individueller Autonomie geringzuachten, wenn man auf die Kehrseite dieses Prozesses hinweist:  

Ich habe es oben schon angedeutet: Der Zusammenhalt der Gesellschaft und ihr Fortbestand hängen wesentlich nicht von der „Selbstentfaltung“ des Einzelnen ab, zumal die auch mit Egoismus und Hedonismus einhergehen kann. Sie hängen genau von den erodierenden Pflicht- und Akzeptanzwerten ab.  

Die Gesellschaft existiert als solche nur so lange, wie Steuern bezahlt, Normen respektiert, Gesetze eingehalten und Kinder großgezogen werden. Die U-Bahn lebt nicht vom Schwarzfahrer, sondern von dem, der sein Ticket bezahlt. Der Sozialstaat lebt von denen, die ihn finanzieren, nicht von denen, die ihn in Anspruch nehmen. Selbst die Toleranz – gewiss eine hohe Tugend – lebt von denen, die sie selbst üben, nicht von denen, die sie einfordern und mutwillig strapazieren. Die Demokratie lebt von Wählern, die auch unangenehme, aber notwendige Entscheidungen akzeptieren, die Wirtschaft von Arbeitnehmern, die nicht beim ersten Husten den Krankenschein nehmen.  

Die Dominanz von „Selbstentfaltungswerten“ dagegen führt dazu, dass eine wachsende Zahl von Menschen es für ihr natürliches Recht hält, Steuern zu hinterziehen, Graffiti zu sprühen, schwarzzufahren, ihre Mitmenschen anzupöbeln, die schwangere Partnerin zur Abtreibung zu nötigen, bei der ersten Ehekrise auseinander zu rennen und obendrein stolz darauf zu sein, nicht über „Sekundärtugenden“ zu verfügen, weil man mit denen „auch ein KZ leiten“ könne. Wäre Kennedys Aufforderung „Fragt nicht was Euer Land für Euch tun kann, sondern was Ihr für Euer Land tun könnt“ von einem deutschen Politiker ausgesprochen worden – wir können sicher sein, dass die als Antifaschismus getarnte Asozialität sie mit einem „Wehret den Anfängen!“ quittiert hätte.  

Die von Wippermann so genannte „schweigende Mehrheit“ – ob sie tatsächlich eine Mehrheit ist, lasse ich dahingestellt – jener rückständigen Menschen, die nicht nur ihre „Selbstentfaltung“ im Kopf haben, hat das vollkommen zutreffende Gefühl, dass sie die Zeche für die Selbstentfaltung Anderer zahlt. Dieser schweigenden Mehrheit geht es um stärkere Verbindlichkeit sozialer Normen und um größere soziale Anerkennung für diejenigen, die für diese Gesellschaft etwas leisten, und damit formuliert sie ein völlig legitimes Interesse. Ein solcher Standpunkt ist konservativ. Ihn faschistisch zu nennen ist eine bösartige Verleumdung.  

Ich spreche bewusst von Verleumdung, nicht etwa von einem Irrtum. Es geht Wippermann nämlich nachweisbar nicht um die Bekämpfung faschistischer, sondern konservativer Positionen, und zwar mit dem klassischen Mittel linker Demagogie, nämlich durch das Schwingen der Faschismus-Keule.  

(Es sei angemerkt, dass es sich für einen seriösen Wissenschaftler von selbst verstehen sollte zu tun, was Wippermann wohlweislich unterlässt: nämlich einen so schillernden Begriff wie „Faschismus“ nur zu gebrauchen, wenn man zugleich offenlegt, auf welche der vielen Faschismusdefinitionen man sich bezieht. Dann freilich wäre das Wort nicht mehr so leicht als politische Waffe verwendbar.)  

Beweise?  

Er beklagt, dass  

„…es heute mehr um konservative und faschistische ‚Werte’ geht als um ihre Kritik…“ (S.10)  

– man beachte die Gleichsetzung und, als besonderes Bonbon, die Anführungszeichen im Text. Oder wie er sich mit Artikeln von Eva Herman auseinandersetzt:  

„Noch nicht Faschismus, aber in eine bedenkliche Nähe zu ihm gerät die Argumentation im ‚biologischen Kontext’. So, wenn von der ‚Entweiblichung der Frau’ und der ‚Entmännlichung der Herrenwelt’ gesprochen … wird.“ (S.16)  

Wer auf Nummer Sicher gehen will, nicht als Faschist entlarvt zu werden, meide diese „bedenkliche Nähe“.  

„Völlig sozialdarwinistisch ist die folgende Dekadenzthese: ‚So zieht eine hochzivilisierte Kultur wie die unsere sich selbst den Boden unter den Füßen weg, die Basis, die uns Halt im täglichen Überlebenskampf geben kann: die intakte Familie.’“ (S.17)  

„Sozialdarwinistisch“ ist bereits, wenn das Wort „Überlebenskampf“ erwähnt wird. So müssen wir uns wohl das vorstellen, was Wippermann seine  

„ideologiekritische … Methode“ (S.9)  

nennt. Da werden  

„extrem rechte Politiker wie Peter Gauweiler und Otto von Habsburg“ (S.24)  

und damit auch ihre Partei, die CSU, dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet.  

Wippermann beschreibt zutreffen die Einstellung der Achtundsechziger zu konservativen Werten – Stichwort: Sekundärtugenden – und fährt fort:  

„Auch wenn man dabei zu weit gegangen ist und in jedem Konservativen einen zumindest potenziellen Faschisten gesehen und all diese Tugenden und Werte als faschistisch oder, um ein weiteres Modewort zu gebrauchen, als faschistoid bezeichnet und verworfen hatte, im Kern trifft es dennoch zu. Konservativismus und Faschismus waren politische Bundesgenossen und hatten gleiche oder zumindest vergleichbare ideologische Ziele.“ (S.6) [Hervorhebungen von mir, M.] 

Also zuerst eine scheinbare Distanzierung von diesem unsäglichen Quatsch – natürlich, er will sich ja nicht total blamieren -, um am Ende doch zuzustimmen. Nicht die einzige Stelle übrigens, wo er diesen schmierigen Kunstgriff anwendet. Fragt sich nur, wie redlich ein Autor sein kann, der sich von seinen eigenen Thesen distanziert, um nicht auf sie festgenagelt zu werden, sie dann aber trotzdem unter die Leute bringt.

Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen konservativen Werten und nationalsozialistischer Ideologie. Der besteht aber nicht darin, dass sie „gleiche oder zumindest vergleichbare ideologische Ziele“ gehabt hätten, sondern dass die Nazis sich auf konservative Werte beriefen, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Oder, wie ich an anderer Stelle geschrieben habe:  

„Unter den totalitären politischen Ideologien halte ich im Zweifel die rechten für gefährlicher als die linken. Die extremen Linken machen sich selber das Leben schwer, indem sie Dinge versprechen, vor denen sich Jeder mit Grausen wendet, der etwas zu verlieren hat: Weltrevolution, Tabula Rasa, der Neue Mensch – und der Normalbürger denkt: Alles, nur das nicht! 

Die extremen Rechten sind gefährlicher, weil sie es auf genau diesen Normalbürger abgesehen haben. Die muten niemandem zu, ein “Neuer Mensch” zu werden, sie greifen einfach das auf, was sie an Ressentiments, Vorurteilen, Werten, Wunschträumen, Mythen und Ideologiefetzen in der Gesellschaft vorfinden, erklären es zu den “wahren Werten” des jeweiligen Gemeinwesens, erfinden einen Feind, der diese Werte angeblich angreift, stilisieren sich zu den besseren Konservativen, weil sie konsequent diesen “Feind” bekämpfen, und propagieren eine Ideologie, in die das alles hineinpasst. (…)Verführerisch sind solche Ideologien, weil ihre einzelnen Bestandteile populär sind, und weil der Normalbürger nicht unbedingt durchschaut, wohin es führt, wenn sie zu einem ideologischen System zusammengebunden werden.“  

Es gibt also tatsächlich die Gefahr, dass konservative Ideen von totalitären Ideologen scheinbar aufgegriffen, in Wahrheit aber zur Basis eines utopisch-revolutionären Projekts gemacht und damit in ihr Gegenteil verkehrt werden. Da es sich um die Pervertierung konservativer Werte handelt, spricht man in solchen Fällen von „Rechtsextremismus“, während die analoge Pervertierung emanzipatorischer Werte „Linksextremismus“ genannt wird. Wer deswegen eine Identität von Konservatismus und Faschismus behauptet, könnte ebensogut sozialdemokratisches und sogar liberales mit stalinistischem Denken in einen Topf werfen. Wer der Gefahr einer solchen Pervertierung  begegnen will, wird zwischen Konservatismus und Faschismus sorgfältig unterscheiden und dabei ideologiekritisch argumentieren müssen. Dabei bieten sich meines Erachtens mindestens drei Unterscheidungskriterien an:

Auf der Ebene der poltischen Ziele: Handelt es sich tatsächlich um ein Projekt der Bewahrung sozialer Werte und Strukturen, oder geht es um die Verwirklichung einer Sozialutopie, zum Beispiel die Züchtung einer Herrenrasse?  

Auf der Ebene der eingesetzten Mittel: Ist die gewaltsame Zerstörung des Bestehenden Voraussetzung für die Verwirklichung der Utopie, gibt es also ein apokalyptisches Moment?  

Auf der Ebene der Ideologie: Handelt es sich um ein totalitäres Gedankensystem, das heißt um eines, das den Anspruch auf umfassende Gesellschaftsdeutung und –gestaltung erhebt und sich gegen rationale Kritik durch seine Struktur immunisiert – etwa durch Bezugnahme auf religiöse Prämissen oder durch Zulassung von Zirkelschlüssen?  

Selbstverständlich ist es legitim, auch ganz andere Kriterien zu entwickeln, allerdings nur, sofern man dies begrifflich sauber, logisch widerspruchsfrei und intellektuell diszipliniert tut. Die von Wippermann betriebene plumpe Diffamierung missliebiger Meinungen jedenfalls gehört gottlob noch nicht zu den anerkannten Methoden wissenschaftlicher Ideologiekritik.  

Wir sehen also, dass es bei der Political Correctness, die Wippermann uns geradezu in Reinkultur vorführt, nicht darum geht, die Demokratie zu schützen (was allein die Ausgrenzung bestimmter Meinungen von einem liberalen Standpunkt aus rechtfertigen könnte), sondern darum, die ideologische Vorherrschaft der Linken dadurch abzusichern, dass man den von ihr missachteten Interessen des konservativen Normalbürgers die Legitimität abspricht und den politischen Ideen, in denen diese Interessen zum Ausdruck kommen, den Zugang zum Elitendiskurs verwehrt.

Problematisch daran ist nicht, dass überhaupt bestimmte Themen und Positionen aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden. Die gesellschaftliche Funktion sowohl der Medien als auch der Wissenschaft besteht vielmehr gerade darin, die Flut der anfallenden Informationen zu filtern und zu verarbeiten, und zwar nach jeweils systemeigenen Kriterien.

Dabei sortiert die Wissenschaft nach dem Kriterium „wahr/unwahr“ (wobei die Unterscheidung nach wissenschaftsspezifischen Regeln erfolgt), die Medien nach dem des öffentlichen Interesses: Was Keinen interessiert, wird nicht gesendet.

Normalerweise.

Die Kriterien aber, nach denen die etablierten Meinungseliten den Zugang gewähren bzw. verweigern, zeichnen sich gerade durch ihre Systemwidrigkeit aus: Es geht nämlich gar nicht darum, ob eine Meinung wahr oder unwahr bzw. von öffentlichem Interesse ist oder nicht.

Es handelt sich vielmehr um politische oder auch moralische, in jedem Fall aber systemfremde Kriterien, deren Anwendung zwangsläufig dazu führt, dass die Medien ihre gesellschaftliche Funktion, nämlich die der Selbstverständigung der Gesellschaft, nur noch eingeschränkt erfüllen.

Wir haben es hier, um es deutlich zu sagen, mit mutwilliger, politisch motivierter Sabotage eines zentralen gesellschaftlichen Funktionsbereiches zu tun: Die Meinungseliten missbrauchen ihre Monopolstellung und ihre Fähigkeit zur Selbstrekrutierung zum Zwecke politisch-ideologischer Herrschaft.

Es ist nur folgerichtig, dass diejenigen Teile der Gesellschaft, die auf diese Weise vom öffentlichen Diskurs ausgegrenzt werden, auf alternative Strukturen ausweichen, speziell auf das Internet, und dort einen Gegendiskurs führen. Und folgerichtig ist auch, dass dieser Gegendiskurs normalerweise weder wissenschaftlichen Wahrheitskriterien genügt noch in derselben Weise fundiert ist, wie es bei Positionen der Fall ist, die sich im Feuer der öffentlichen Kritik bewähren müssen.

Wie auch? Das Netz ist anarchisch, wie es übrigens auch der frühe Buchdruck war, und die leistungsfähigeren, weil differenzierteren Systeme Wissenschaft und Medien, die eine höhere Qualität hervorbringen könnten – die stehen ja nicht zur Verfügung!

Genau diesen Sachverhalt aber macht Wippermann der „schweigenden Mehrheit“ zum Vorwurf (als ob sie daran schuld wäre und nicht die ihre Macht missbrauchenden Meinungseliten, also Leute wie er!), wenn er wortreich beklagt, dass die Ausgrenzung von Eva Herman mit Vokabeln wie „Meinungsdiktatur“, „Gleichschaltung“ und – dies vor allem – „Verschwörung“ gegeißelt wird. Er sieht darin den Ausdruck einer massenhaft verbreiteten – na was wohl? – faschistischen Gesinnung.

Es scheint ihm durchaus nicht einzufallen, dass die Ursache der Kritik in den kritisierten Verhältnissen liegen könnte und nicht im schlechten Charakter der Kritiker – für einen Linken ein bemerkenswerter Standpunkt!

Dabei haben die genannten Ausdrücke mit Ideologie normalerweise wenig bis nichts zu tun; sie sind schlicht der Versuch, die beobachtete ideologische Konformität der Meinungseliten auf den Begriff zu bringen und zu erklären. Der konservative Normalbürger sieht sich der kafkaesken Situation gegenüber, dass Wahrheiten für unwahr und Unwahrheiten für wahr erklärt werden, dass Konservatismus als Faschismus denunziert wird, dass Zweifel daran als verwerflich zurückgewiesen werden, und dass seine Auffassungen im öffentlichen Diskurs nicht vorkommen – kurz und gut: dass die Selbstbeschreibung unserer Gesellschaft als „pluralistisch“ offensichtlich nur eingeschränkt der Wahrheit entspricht, dies aber von den Meinungseliten geleugnet wird.

Und nun steht er vor dem Problem, sich auf diesen mysteriösen Sachverhalt einen Reim zu machen, wobei ihm, auch wenn er gebildet ist, normalerweise nicht die analytischen Instrumente des Soziologen zur Verfügung stehen. Was tut er? Er greift zu den sich aufdrängenden Erklärungsmustern, und die sind naturgemäß verschwörungstheoretischer Natur. 

In einer solchen Situation, in der Verschwörungstheorien die scheinbar einzig adäquaten Erklärungsmodelle darstellen, kann es nicht ausbleiben, dass auch der Klassiker aller Verschwörungstheorien, nämlich die „jüdische Weltverschwörung“ bemüht wird – gerade in einer Gesellschaft, in der antisemitische Weltdeutungen über Jahrhunderte hinweg in immer neuen Varianten verinnerlicht worden sind, und in der solche Interpretationsmuster daher tief im kollektiven Unbewussten verankert sind.

Wippermann zitiert denn auch ausführlich aus antisemitischen Ergüssen, die im Zusammenhang mit der Herman-Affäre geschrieben worden sind. Er hat schon Recht: Sowohl die Akzeptanz von Verschwörungstheorien überhaupt, als auch deren besonders giftige antisemitische Version sind ernsthafte Gefahren für ein demokratisches Gemeinwesen, und ich selbst habe viele Seiten geschrieben, um zu zeigen, dass verschwörungstheoretisches Denken dem Totalitarismus Tür und Tor öffnet.

Was Wippermann aber nicht sieht, ist, dass Verschwörungstheorien nur dort benötigt und akzeptiert werden, wo die Welt undurchschaubar wird. Eine „Elite“, die die Menschen belügt statt sie aufzuklären, die zum Zwecke ideologischer Dominanz ihre Deutungsmacht missbraucht, die nicht mit Argumenten überzeugen, sondern mithilfe inquisitorischer Verdammungsurteile herrschen will, führt die Undurchschaubarkeit der Welt mutwillig herbei und darf sich nicht wundern, wenn sie die giftigen Früchte ihres Wirkens in Gestalt von Verschwörungstheorien und Antisemitismus erntet. Wippermanns Buch ist die larmoyante Bankrotterklärung einer Elite, die ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat und sich nun beklagt, dass ihr niemand mehr glaubt.

Jetst alle sterben

Auf ein von Türken bewohntes Haus im baden-württembergischen Backnang ist ein Brandanschlag verübt worden. Im Hinterhof des Hauses fand die Polizei verkehrt herum gesprühte Hakenkreuze und die Parole: „Jetst alle sterben!“

Nun sind wir von unseren glatzköpfigen Volksgenossen ja einiges gewöhnt, sogar linksgedrehte Hakenkreuze. Aber die Parole „Jetst alle sterben!“ hat nie und nimmer ein Deutscher geschrieben.

Wir hatten uns schon beim Brand von Ludwigshafen gewundert, warum die Türken in Deutschland so verbissen darauf bestanden, es müsse ein Anschlag gewesen sein, obwohl das von Anfang an die unwahrscheinlichste aller denkbaren Möglichkeiten war. Danach gab es diesen merkwürdigen „Anschlag“ von Marburg. Und den von Sittensen. Wir mussten erleben, dass mittlerweile schon zu Zimmerbränden türkische Fernsehteams anrücken. Es gab eine Türkische Gemeinde Deutschland, die von „einer Reihe von Brandanschlägen“ fabulierte und daraus politische Forderungen ableitete.

Und nun also „Jetst alle sterben!“

Wir werden uns mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass es Leute gibt, die es darauf anlegen, die türkische Minderheit in Deutschland durch fingierte „Neonazi-Anschläge“ in Bürgerkriegsstimmung zu versetzen.

Hirngespinste?

Aus dem „Spiegel“ Nr. 08/2008, 18.02.2008, S. 49 – nach dem Brand von Ludwigshafen:

„Sollte es ein Anschlag gewesen sein“, sagt der Mann, „und alles spricht wohl dafür, dann wird es Hassausbrüche geben – ein Wunder wäre es nicht.“ Ein dünnes Lächeln, er legt den Kopf schief. „Nicht dass ich Gewalt gutheiße, aber …“ Er lässt den Satz ausklingen.

Der Mann ist Enver Bakirci, Rechtsanwalt, Lokalpolitiker der islamistischen Saadet-Partei. Früher, erzählt Bakirci, seien Ministerpräsident Erdogan und er Weggefährten gewesen, beide in der frommen Refah-Partei, Erdogan in Istanbul und er, Bakirci, in Gaziantep. Doch nachdem Ende der neunziger Jahre die Refah-Partei verboten wurde, gründete Erdogan die AKP und machte mit seinem europafreundlichen Kurs Karriere, und Bakirci trat der fundamentalistischeren Gruppierung bei – und er, Bakirci, sitzt heute noch in demselben Büro, Distriktvorsitzender für Karanfils Viertel, Wortführer der schweigenden Mehrheit, wie er sagt.

Bakirci ist das personifizierte Misstrauen, gegen die Aufklärer von Ludwigshafen, gegen Deutschland, gegen die Moderne. Erdogan will die Türkei nach Europa führen; doch Bakirci will die europäisierten Türken zurückholen. Und Vorfälle wie in Ludwigshafen kann er politisch nutzen – „weil sie die Dramatik verdeutlichen“.

Er sitzt in seinem kleinen, aufgeräumten Büro, zwischen hohen Bücherstapeln, ein Mann Ende 50, er pustet in die Hände, der Mantel fest zugeknöpft, die Heizung ist ausgefallen. Er kaut Rosinen und erklärt, warum Assimilierung und Globalisierung gefährlich seien: weil sie seine Landsleute überforderten, weil sie sie ihrer Religion und Identität entfremdeten. Und weil Europa in Wahrheit überhaupt nicht tolerant sei.

„Die westliche Zivilisation war nie fair, sie hat uns Muslime kolonialisiert, uns Türken zu Verlierern gemacht“, sagt er. „Aber wenn herauskommt, dass in Ludwigshafen Feinde des Islam am Werk waren – so wird ein einziger Funke genügen.“

Genügen? „Für ein Desaster!“

Und wenn es ein Unfall war?

„Dann wird es andere Anlässe geben, andere Funken.“ Er lächelt, geht an den Schrank, holt sich mehr Rosinen.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Türkei“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Die Daumenschraube wird weitergedreht

Nun schreibe ich schon einen ellenlangen Artikel über Sport, um mir mal eine Islam- und Türkenpause zu gönnen. Leider ist dieses Thema ungefähr so leicht zu ignorieren wie ein knatternder Presslufthammer nachts unter dem Schlafzimmerfenster. (Ein solcher fiele in der Diktion der Political Correctness vermutlich auch unter das Stichwort „Kulturelle Bereicherung“ – sofern er von einem Muslim gehandhabt würde.) Also schön – das Wort hat die Türkische Gemeinde in Deutschland:

NACH DEN BRANDANSCHLÄGEN MUSS ES EINE NEUAUSRICHTUNG DER POLITIK GEBEN Nach einer Reihe von Brandanschlägen, brachte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat, die ernsthaften Sorgen der türkeistämmigen Bewohner/innen Deutschlands zum Ausdruck und verlangte eine Neuausrichtung der Integrationspolitik. Kolat stellte folgende Grundsätze für einen neuen Ansatz in der Integrationspolitik vor: 1) Die Sicherheitskräfte müssen intensiver vorbeugend tätig werden. Die Sicherheitskräfte in der Bundesrepublik müssen ihre vorbeugende Tätigkeit intensivieren. Zur Stärkung des Vertrauens der türkeistämmigen Bevölkerung muss die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit Organisationen der türkischstämmigen Community ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang müssen mehr Menschen mit Migrationshintergrund ausgebildet und eine 10-%- Einstellungsquote umgehend eingeführt werden. 2) Es muss gegenseitiges Vertrauen hergestellt werden. Die Führungspersönlichkeiten der deutschen und der türkischstämmigen Gesellschaft müssen ihre Beziehungen intensivieren und Zeichen für ein friedliches Zusammenleben gemeinsam setzen. Der von Menschen mit Migrationshintergrund für diese Gesellschaft geleistete und zu leistende Beitrag muss hervorgehoben werden. Um diesen Beitrag zu steigern müssen öffentliche Institutionen die notwendige Unterstützung leisten. 3) Anstelle einer sog. Integration müssen gleiche Rechte und Partizipation im Vordergrund stehen. Wo es keine Partizipation gibt, fühlen sich die Menschen ausgegrenzt. Wenn das System die Menschen nicht einbezieht, nehmen diese das System nicht an. Deshalb ist die politische Partizipation von herausragender Bedeutung. In diesem Kontext sind den Menschen mit Migrationshintergrund das kommunale Wahlrecht und die Mehrstaatigkeit unbedingt zu gewähren. Kulturelle Partizipation wird die Menschen in die Lage versetzen, ihre kulturellen Werte in eine positive Richtung weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass die türkische Sprache an den Schulen gelehrt und Türkisch als 2. Fremdsprache bis zum Abitur angeboten wird; es muss auf jegliches Sprachverbot an Schulen verzichtet werden. Auch ist Islam-Unterricht an Schulen Teil der kulturellen Partizipation. Bildungspartizipation ist unverzichtbar. Leider lässt der Bildungserfolg türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher viel zu wünschen übrig. Das hat verschiedene Ursachen. Das Bildungssystem in seiner heutigen Form verhindert den Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund. Auch die Partizipation am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist in den letzten Jahren rückläufig. Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert eine 10-%-Quote am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. 4) Es muss ein politischer Ehrenkodex verabschiedet werden Es muss Schluss sein mit der Instrumentalisierung von Migrant/innen in Wahlkämpfen. Um dies zu gewährleisten sollten alle Parteien und Organisationen sich auf einen „politischen Ehrenkodex“ einigen und diesen abzeichnen. Verstöße dagegen müssen öffentlich gemacht werden. 5) Programme zur Bekämpfung von Rassismus müssen weiterentwickelt werden. Die öffentlich geförderten Programme zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen ausgeweitet, ihre Resultate öffentlich diskutiert werden. Darüberhinaus müssen die Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden werden und an Schulen interkulturelles Leben als Pflichtfach eingeführt sowie internationale Austauschprogramme zum gegenseitigen Kennenlernen entwickelt werden.

Das Ganze beginnt bereits mit einer Lüge, nämlich mit der Behauptung, es habe „eine Reihe von Brandanschlägen“ gegeben. In Wahrheit waren es höchstens zwei, von denen einer – der von Ludwigshafen – erwiesenermaßen keiner war. Und der andere, der von Marburg? Sagen wir es so: Wenn jemand es darauf angelegt hätte, einen fremdenfeindlich motivierten Brandanschlag vorzutäuschen, so wäre er genau so vorgegangen wie die Täter von Marburg. Mit dieser Lüge werden fünf Gruppen von Forderungen legitimiert, von denen vier mit dem Schutz vor rechtsextremer Gewalt nichts zu tun haben, und die fünfte, bei Licht besehen, auch nicht. Der Hinweis auf die „Reihe von Brandanschlägen“ dient also nicht etwa als Argument, sondern dazu, sich als „Opfer“ zu stilisieren, dessen Forderungen abzulehnen mithin unmoralisch wäre. Wenn es um Sprache geht, bin ich ein wenig Etepetete: Ich achte nicht nur darauf, was einer sagt, sondern auch, wie er es sagt. Wie einer redet, so denkt er, und wie er denkt, so ist er: Der Forderungsteil besteht aus 30 Hauptsätzen (zuzüglich einigen Nebensätzen), davon 21 Forderungen, aber nur neun Tatsachenbehauptungen; anscheinend hält man es nicht für nötig, sich lange mit Argumenten aufzuhalten. Von diesen 21 Forderungen werden nicht weniger als sechzehn (!) mit dem Wort „müssen“ erhoben, und nur einmal steht der konziliante Konjunktiv „sollte“. Ich glaube nicht, dass es übertrieben sensibel ist, wenn ich feststelle, dass dies nicht die Sprache von Konsens oder Kompromiss ist. Sondern die Sprache des Ultimatums. „Zur Stärkung des Vertrauens der türkeistämmigen Bevölkerung [in die Sicherheitskräfte]…“ In Deutschland ist es nicht üblich sich auszusuchen, ob man zur Polizei „Vertrauen“ hat. Man befolgt ihre Anweisungen. Wer dies nicht will, weil es ihm am Vertrauen gebricht, muss hier nicht leben. Die türkische Polizei, die für ihre skrupulöse Beachtung der Menschenrechte weltberühmt ist, soll ja auch viel vertrauenswürdiger sein. „…muss die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit Organisationen der türkischstämmigen Community ausgebaut werden.“ Heißt: Die Türkische Gemeinde in Deutschland und vergleichbare Verbände sollen in die Arbeit der Polizei hineinreden dürfen. „In diesem Zusammenhang müssen mehr Menschen mit Migrationshintergrund ausgebildet und eine 10-%- Einstellungsquote umgehend eingeführt werden“ Heißt zweierlei: Einmal, dass gegebenenfalls besser qualifizierte deutsche Bewerber abgelehnt werden sollen, damit die Quote erfüllt wird – also eine Vorzugsbehandlung; die davon Profitierenden dürfen sich dann als Quotentürken fühlen und wissen, wem sie ihren Job zu verdanken haben. Zweitens, und in Zusammenhang mit der oben zitierten Forderung nach „Zusammenarbeit“, dass die türkischen Verbände eine Art Patenschaft für „ihre“ Polizisten bekommen. „Die Führungspersönlichkeiten der deutschen und der türkischstämmigen Gesellschaft müssen ihre Beziehungen intensivieren“ Aha! Wir haben also zwei Gesellschaften, eine deutsche und eine türkische, und beide haben „Führungspersönlichkeiten“. Herr Kolat sieht sich auf Augenhöhe mit der Bundeskanzlerin. „Der von Menschen mit Migrationshintergrund für diese Gesellschaft geleistete … Beitrag muss hervorgehoben werden.“ Das kann ich mir so gar nicht vorstellen, dass die Türken wirklich ein Interesse daran haben sollten, den türkischen Beitrag zum PISA-Ergebnis, zur Kriminalstatistik, zur Länge des Verfassungsschutzberichtes und zur Höhe der Sozialausgaben auch noch „hervorgehoben“ zu sehen. Aber bitte, wenn sie meinen… Beinahe stimmt es hoffnungsfroh, dass auch vom „zu leistenden Beitrag“ die Rede ist. Sie sind also der Meinung, sie hätten einen Beitrag zu leisten. Und wie soll das geschehen? „Um diesen Beitrag zu steigern müssen öffentliche Institutionen die notwendige Unterstützung leisten.“ Ach so. Gebt uns Staatsknete, dann seht ihr vielleicht einen Teil davon in Gestalt unseres „Beitrages“ wieder. „Anstelle einer sog. Integration…“ – Im Klartext: Schlagt Euch Euren Integrationsklimbim aus dem Kopf! – „… müssen gleiche Rechte und Partizipation im Vordergrund stehen Wo es keine Partizipation gibt, fühlen sich die Menschen ausgegrenzt.“ Für deutsche Staatsbürger gibt es gleiche Rechte und Partizipation – und es wird ja niemandem schwer gemacht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, eher zu leicht. Dass Nicht-Staatsbürger nicht die gleichen Rechte haben, ist keine „Ausgrenzung“, sondern eine Selbstverständlichkeit. „Wenn das System die Menschen nicht einbezieht, nehmen diese das System nicht an.“ Das muss man sich richtig auf der Zunge zergehen lassen: Sie „nehmen das System nicht an“. Wohlgemerkt: Hier ist von Nicht-Staatsbürgern die Rede, nicht etwa von Deutschen türkischer Herkunft. Wenn die also nicht die gleichen Rechte wie Staatsbürger bekommen, dann… „Deshalb ist die politische Partizipation von herausragender Bedeutung. In diesem Kontext sind den Menschen mit Migrationshintergrund das kommunale Wahlrecht und die Mehrstaatigkeit unbedingt zu gewähren.“ Rechte wie die Deutschen, aber Pflichten gegenüber der Türkei, der türkischen Community, der Umma, dem Djihad. „Kulturelle Partizipation wird die Menschen in die Lage versetzen, ihre kulturellen Werte in eine positive Richtung weiterzuentwickeln.“ Ihre kulturellen Werte. Davon bin ich allerdings überzeugt. Man versucht nicht einmal, uns davon zu überzeugen, dass wir daran ein Interesse haben könnten. „In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass die türkische Sprache an den Schulen gelehrt und Türkisch als 2. Fremdsprache bis zum Abitur angeboten wird“ Notwendig? Wieso? „…es muss auf jegliches Sprachverbot an Schulen verzichtet werden.“ Die deutsche Sprache darf nicht die verbindliche Umgangssprache sein. „Auch ist Islam-Unterricht an Schulen Teil der kulturellen Partizipation.“ Das genau ist er nicht. Partizipation heißt „Teilhabe“ und „kulturelle Partizipation daher „Teilhabe an der deutschen Kultur“. Der Islam gehört dazu nicht. „Leider lässt der Bildungserfolg türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher viel zu wünschen übrig. Das hat verschiedene Ursachen.“ Nanu: „Verschiedene Ursachen“ – ein Ansatz zur Selbstkritik? I wo: „Das Bildungssystem in seiner heutigen Form verhindert den Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund.“ Ob das wirklich keine Satire ist? Das deutsche Bildungssystem steht allen offen, und zwar kostenlos. Ich möchte irgendwann einmal ein einziges Argument hören, warum das deutsche Bildungssystem daran schuld sein soll, dass Dummheit, Frechheit, Faulheit und Gewalttätigkeit unter türkischen Schülern so viel verbreiteter sind als unter anderen. „Auch die Partizipation am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist in den letzten Jahren rückläufig. Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert eine 10-%-Quote am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.“ … damit man ohne solche deutschen Kleinkariertheiten wie einen Schulabschluss oder gar gute Noten auskommt und obendrein einen Arbeitgeber verklagen kann, der sich weigert, unqualifiziertes Personal einzustellen. Aber das Filetstück kommt erst jetzt: „Es muss Schluss sein mit der Instrumentalisierung von Migrant/innen in Wahlkämpfen. Um dies zu gewährleisten sollten alle Parteien und Organisationen sich auf einen „politischen Ehrenkodex“ einigen und diesen abzeichnen. Verstöße dagegen müssen öffentlich gemacht werden.“ Migranten, gemeint sind: Muslime, speziell Türken, dürfen nicht kritisiert werden. Wer es doch tut, kommt an den Pranger. Die deutschen Parteien haben auf die Meinungsfreiheit zu verzichten. Sarkastisch könnte man sagen, dass das bereits der Fall ist. Ungewöhnlich nur, selbst für islamische Verhältnisse, die Dreistigkeit und Offenheit, mit der dies gefordert wird. Aber nicht wirklich erstaunlich: Wir haben es mit den ersten Auswirkungen der Hessenwahl zu tun. Eine Gesellschaft, die ihre Bereitschaft zur Unterwerfung so deutlich kundtut wie die deutsche, darf sich nicht wundern, wenn diese Unterwerfung schließlich auch als Recht gefordert wird. „Die öffentlich geförderten Programme zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen ausgeweitet, ihre Resultate öffentlich diskutiert werden. Darüberhinaus müssen die Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden werden…“ …damit nicht solche lästigen ungläubigen Dinge wie religiöse Toleranz oder der Kampf gegen Antisemitismus gelehrt werden, „…sowie internationale Austauschprogramme zum gegenseitigen Kennenlernen entwickelt werden.“ Endlich eine gute Idee! Ich schlage vor, umgehend auch türkische und arabische Schüler in den Jugendaustausch mit dem Staat Israel einzubinden und sie in Kibbuzim in Reichweite von Katjuschas und Kassam-Raketen arbeiten zu lassen. Aber das scheitert wahrscheinlich daran, dass „Migrantenorganisationen in die Konzeption aktiv eingebunden“ werden. Was fordert die TGD? Erstens Geld. Zweitens Nicht-Integration. Drittens eine Vorzugsbehandlung von Türken. Viertens die Gleichberechtigung türkischer Organisationen mit dem deutschen Staat. Fünftens Zugriff auf die deutsche Polizei. Was bietet sie? Nichts. Nur die Selbstverständlichkeit, dass ihre Mitglieder „das System annehmen“ – zu deutsch: Sich nicht der Qaida anschließen und nicht unsere Städte anzünden. Im islamischen Recht nennt man das: „Dhimma“ – ein Schutzvertrag, bei dem die „Ungläubigen“ dafür bezahlen, dass die Muslime keinen Djihad gegen sie führen. Wir dürfen Dhimmis werden.

Brandstiftung

Es kommt mehrmals täglich vor, dass irgendwo in unserem Land ein Feuer ausbricht, manchmal auch in Wohnhäusern, und ohne dass ich die einschlägigen Statistiken zur Hand hätte mutmaße ich, dass Altbauten, zumal solche in schlechtem Zustand, stärker brandgefährdet sind als andere Häuser.

Zu den mannigfachen Brandursachen, die es geben kann, gehört auch die Brandstiftung, meist zum Zwecke des Versicherungsbetrugs. Andere Motive sind selten, kommen aber vor. So gab es auch schon Brandanschläge, die sich gezielt gegen Ausländer richteten; die Täter kann man in solchen Fällen plausibel in der Neonazi-Szene suchen.

Es ist also nicht von vornherein wahrscheinlich, aber auch nicht völlig abwegig, dass der Brand von Ludwigshafen, bei dem neun Menschen türkischer Herkunft ums Leben gekommen sind, von Rechtsextremisten gelegt worden sein könnte. Abwegig und völlig aus der Luft gegriffen ist aber die von vielen Türken geäußerte Unterstellung, die deutsche Polizei und Staatsanwaltschaft steckten mit den etwaigen Tätern unter einer Decke.

Dass rechtsextreme Gewalttäter bei den Sicherheitsbehörden Hintermänner, zumindest aber Mitwisser haben – nun, es gibt Länder, wo das üblich ist. Die Türkei zum Beispiel. Dort pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass die Mörder von Hrant Dink oder auch der christlichen Missionare im vergangenen Jahr Verbindungen zur Polizei haben. Vielleicht ist dies der Grund, warum gerade Türken der deutschen Polizei ähnliche Machenschaften zutrauen.

Trotzdem frage ich mich ganz ernsthaft, wie Menschen, die seit dreißig oder vierzig Jahren hier leben, es schaffen zu ignorieren, dass solche Praktiken und Zustände in Deutschland völlig undenkbar sind!

Und sehr wundern muss ich mich über die Rolle der türkischen Regierung in der ganzen Angelegenheit. Das normale Vorgehen unter befreundeten demokratischen Ländern wäre die Nichteinmischung. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass die deutsche Regierung die Ermordung deutscher Christen in der Türkei letztes Jahr zum Anlass genommen hätte, deutsche Polizisten, Minister oder gar die Bundeskanzlerin nach Ankara zu schicken. Die Türkei dagegen hat den Brand von Ludwigshafen von Anfang an als Staatsaffäre behandelt.

Wenn man sich aber schon einmischt, dann wäre es – wiederum unter befreundeten demokratischen Staaten – eine bare Selbstverständlichkeit, den zuständigen Behörden das Vertrauen auszusprechen und die eigenen Landsleute zu loyaler Zusammenarbeit aufzufordern. Was tut die Türkei?

Zuerst erscheint der Botschafter auf der Bildfläche und nennt es „seltsam“, dass deutsche Politiker einen fremdenfeindlichen Hintergrund ausgeschlossen hätten. Das haben sie aber gar nicht; tatsächlich hat der zuständige Ministerpräsident Beck am Montag gesagt, es gebe nach den bisherigen Erkenntnissen keinen Hinweis darauf – was zu diesem Zeitpunkt korrekt war. Die Äußerungen des Botschafters sind ganz sinnlos, es sei denn, er hätte ein politisches Vertuschungsmanöver unterstellen wollen, und genau so ist es denn von seinen Landsleuten auch verstanden worden.

Dann kündigt die türkische Regierung an, eigene Ermittler nach Deutschland zu schicken; man wolle die deutschen Behörden nicht etwa kontrollieren (aber nicht doch!), man wolle nur die stark emotionalisierte türkische Gemeinde in Deutschland „beruhigen“ (deren „Emotionalisierung“ der eigene Botschafter gerade erst angeheizt hatte).

Schließlich erscheint ein türkischer Minister und fordert die hier lebenden Türken zur „Besonnenheit“ auf.

So, und nun fragen wir uns, was das Ganze zu bedeuten hat.

Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir können ignorieren, dass das Vorgehen der Türkei hochgradig ungewöhnlich ist, und ihre Äußerungen zum Nennwert nehmen: Der Botschafter hat sich gewundert, die Regierung will die Gemüter beruhigen, der Minister ruft zur Besonnenheit auf. Punkt.

Oder wir ignorieren das nicht und machen uns daran, den Subtext zu dechiffrieren, der in dieser dreifachen Botschaft steckt:

Erstens, die türkische Regierung spricht den deutschen Behörden ihr Misstrauen aus und signalisiert das auch der hiesigen türkischen Gemeinde.

Zweitens: Was immer die deutsche Polizei ermittelt, aussage- und beweisfähig ist es nur, soweit es von türkischen Ermittlern bestätigt wird; womit uns die Türkei hochoffiziell zu verstehen gibt, dass die hier lebenden Türken, und sogar die Deutschen türkischer Herkunft, nicht etwa dem deutschen Staat Loyalität schulden, sondern dem türkischen.

Drittens: Nur die Türkei ist fähig, die Gemüter zu „beruhigen“, sprich zu verhindern, dass es zu Krawallen (wie in Frankreich) kommt; das ist die Botschaft, die hinter dem Aufruf zur „Besonnenheit“ steckt (der ja voraussetzt, dass er überhaupt nötig ist, und dass er von einem türkischen Minister ausgesprochen werden muss, um wirksam zu sein).

Der Subtext lautet also: Wir können bei Euch in Deutschland jederzeit einen Bürgerkrieg entfesseln, und es hängt allein von uns ab, ob es so weit kommt oder nicht.

Das ist eine Machtdemonstration. Und noch deutlicher für die, die es noch nicht kapiert haben: Es ist eine Drohung.

Wozu aber soll die gut sein? Erinnern wir uns, dass die türkische Regierung von Islamisten geführt wird. Zu Hause benutzt sie die Auflagen der Europäischen Union, um unter der Flagge der „Religionsfreiheit“ den türkischen Laizismus zu untergraben. Zugleich versucht sie, ihr Land in der Union unterzubringen – wohl wissend, dass die meisten Europäer das nicht wollen, und damit rechnend, dass die Regierungen diesem Druck der Völker nachgeben könnten. Um dem vorzubeugen, zeigt sie uns schon einmal die Instrumente.

Der erwünschte Nebeneffekt ist, die türkische Gemeinde in ihrer Gegnerschaft und Abgrenzung gegen die deutsche Gesellschaft und den deutschen Staat zu bestärken und sie dadurch als geschlossene Einheit zu stabilisieren, in jedem Fall aber zu verhindern, dass sie in der deutschen Gesellschaft aufgeht.

Warum? Weil sie dann nicht mehr djihad-tauglich wäre.

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Türkei“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

 

Christentum, „Islamophobie“, Antisemitismus

Am 28.April 2006 erschien auf der Internetseite des Zentralrats der Juden in Deutschland folgende Mitteilung:

„Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich für eine stärkere Zusammenarbeit von Juden und Muslimen bei der Bekämpfung von Extremismus ausgesprochen. Generalsekretär Stephan J. Kramer:  ‚Die Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie sind weitgehend die gleichen, deshalb soll das geplante Forschungszentrum die grundsätzlichen Mechanismen erforschen, um aus den Ergebnissen konkrete Handlungsschlüsse zu ziehen und Konzepte zu entwickeln,, wie wir diese vor Ort wirksam bekämpfen können.’“

Warum wird überhaupt noch ein Forschungszentrum gegründet, wenn die Ergebnisse dieser Forschung doch schon feststehen, nämlich dass es eine psychische Krankheit namens „Islamophobie“ gibt und dass „die Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie … weitgehend die gleichen sind“?

Nanu, frage ich mich als islamkritischer Deutscher. Sind neuerdings „Protokolle der Weisen von Mekka“ im Umlauf? Werden Muslime beschuldigt, Brunnen zu vergiften oder Christenkinder zu schlachten? Habe ich was verpasst? Was ist mit antisemitischen Muslimen? Zählt deren Antisemitismus nicht?

Ich weiß nicht, ob Hector Calvellis Behauptung stimmt, der Begriff „Islamophobie“ stamme aus der iranischen Propaganda. Wenn ich allerdings lese, dass der israelische Botschafter Shimon Stein am 23.Mai 2006 die Begrüßungsworte bei einer Podiumsdiskussion gesprochen hat, bei der es eben um das oben genannte Thema geht, dann kann ich mir die Frage nicht verkneifen, ob Israel keine anderen Probleme hat als die Sorge, dass seine Todfeinde diskriminiert werden könnten. Die militanten Unterstützer Israels in Deutschland jedenfalls dürften im Zweifel eher aus dem Lager derer kommen, die Kramer „islamophob“ nennt als aus dem der Islamophilen.

Soviel ist gewiss richtig, dass es bei uns auch Menschen gibt, die Alles und Jeden hassen, der in ihren Augen „undeutsch“ ist, also Juden und Muslime gleichermaßen (darüberhinaus aber auch Homosexuelle, Behinderte, Linke, Schwarze und Gelbe – warum der Zentralrat sich unter allen Gruppen, mit denen er sich sinnvollerweise solidarisieren könnte, ausgerechnet die Muslime herauspickt, ist mir ein Rätsel). Die Behauptung, es gebe eine Entsprechung zwischen Antisemitismus und „Islamophobie“, geht aber weit über die Binsenwahrheit hinaus, dass es in der deutschen Gesellschaft Rechtsextremisten gibt. Sie impliziert die Unterstellung, islamkritische oder -feindliche Einstellungen beruhten auf einem psychischen Defekt (Phobie!) großer Teile der Mehrheitsgesellschaft, der sich in einer dem Antisemitismus verwandten Ideologie niederschlage. Diese müsste – das wäre die politische Konsequenz – gesellschaftlich genauso geächtet werden wie jener.

Dass mich das alles ärgert, beweist natürlich noch nicht, dass es falsch ist. Überprüfen wir es also:

Wenn man nach Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamkritik sucht, so fällt zunächst auf, dass es gerade zu einigen der giftigsten antisemitischen Denkfiguren keine Parallelen im zeitgenössischen islamkritischen Diskurs gibt: Weder behauptet irgend jemand, die Muslime seien eine „Rasse“, die in einem biologisch begründeten (und daher nur durch Ausrottung aus der Welt zu schaffenden) Gegensatz zum Rest der Menschheit stünde, noch werden Muslime im Wege der Verschwörungstheorie zu den „wahren Herrschern“ der Welt stilisiert. (Selbst ein Mann wie der von mir darob heftig kritisierte Hans-Peter Raddatz verwendet zwar Verschwörungstheorien in islamkritischem Kontext, behauptet aber nicht etwa eine Verschwörung der Muslime, sondern eine solche westlich-liberaler Eliten, denen der Islam als bloßes Vehikel der Gesellschaftszersetzung diene.)

Die gegenwärtige Islamkritik führt negative Erscheinungen in der islamischen Kultur vor allem auf die Glaubensinhalte der Religion zurück. Sie verfährt also gerade nicht nach dem Motto des Antisemitismus: „Die Religion ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei.“ Vielmehr handelt es sich um Religionskritik. Wenn es also überhaupt irgendwo Denkfiguren gibt, die im antisemitischen wie im islamkritischen Diskurs auftauchen, dann müssten sie im Bereich des traditionell christlichen, theologisch begründeten Antijudaismus zu suchen sein.

Dabei konzentriert sich die Auseinandersetzung auf zwei zentrale Fragen:

Ist der Islam naturgemäß friedlich oder aufgrund seiner Glaubensinhalte notwendig unfriedlich?

Ist er mit der Demokratie vereinbar, oder ist er (sofern er sich nicht tiefgreifend verändert) eine theozentrische, antidemokratische, intolerante, frauenfeindliche und antisemitische Ideologie?

Westliche Verteidiger des Islam verweisen gerne darauf, dass ja auch das Christentum sich in seiner Geschichte als antidemokratisch, intolerant und gewalttätig erwiesen habe, dass also der Islam nicht besser und nicht schlechter zur Demokratie passe als das Christentum. Ich selbst habe einmal (in einer Diskussion bei Lila, Kommentar Nr.38) wie folgt geantwortet:

„Ich halte die Gleichsetzung von Koran und Bibel (nach dem Motto: In der Bibel stehen ja auch schlimme Dinge) für falsch, weil sie am Kern der Sache vorbeigeht: Beide Bücher strukturieren das Weltbild der Anhänger der jeweiligen Religion, indem sie ihnen ganz bestimmte Denkmuster und Wertungen vorgeben, die dann als kulturelle Selbstverständlichkeiten verinnerlicht werden. Und diese Denkmuster und Wertungen unterscheiden sich fundamental.
(Beispiel: Jesus sagt: Wer eine Frau nur lüstern ansieht, hat im Herzen schon die Ehe mit ihr gebrochen. Der Koran sagt, Frauen sollten ihre Reize bedecken, damit Männer nicht zur Sünde verleitet werden. An diesem Gegensatz lässt sich nicht nur einiges über das Frauenbild beider Religionen lernen, sondern auch über das Verhältnis zum Prinzip der Selbstverantwortung.)

Wenn man sich nun fragt, wie diese Denkmuster aussehen, dann scheint es mir wenig hilfreich zu sein, einzelne Zitate, etwa “Es gibt keinen Zwang in der Religion”, aus dem Zusammenhang zu reißen, wie es häufig geschieht; man sollte den roten (oder vielmehr grünen) Faden suchen, also die Themen, auf die besonderes Gewicht gelegt wird, und die Perspektiven, aus denen sie behandelt werden. Und da fällt mir eben folgendes auf:

Erstens, dass der Gegensatz Gläubige-Ungläubige eine zentrale Rolle spielt. Religion wird also von vornherein nicht von der Gottesbeziehung des Einzelnen her verstanden, sondern als Gegensatz von ReligionEN aufgefasst; und über die “Ungläubigen” wird dabei gesagt, dass sie grundsätzlich lügen, in der Hölle schmoren werden und bekämpft werden müssen; daher soll sich der Gläubige auch keine Freunde unter ihnen suchen. (Dass sie im Konfliktfall von vornherein im Unrecht sind, versteht sich daher von selbst.)

Daraus ergibt sich zweitens, dass der Mensch als Individuum keine Rolle spielt; der bei Muslimen häufig anzutreffende Hang zum Denken in Kollektivbegriffen scheint hier seine religiöse Grundlage zu haben.

Drittens wird Ethik grundsätzlich mit TAThandlungen in Verbindung gebracht: Tu dies, lass jenes, dann hast Du Gott auf Deiner Seite. Das jüdische Gebot “Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst” ist im koranischen Kontext vollkommen sinnlos, weil es ja eben nicht darauf ankommt, ob Du Deinen Nächsten liebst, solange Du ihn gemäß dem koranischen Gebot behandelst. Und solange der Koran die Tötung des anderen erlaubt (etwa im Kampf gegen die “Ungläubigen”) oder zu erlauben scheint, gibt es kein ethisches Kriterium, die diese Handlung als böse ausweisen würde. Es gibt im Islam keine Ethik außerhalb des Korans. Und der Koran selbst stellt keine Kriterien bereit, sondern gibt Handlungsanweisungen.

Womit er viertens zugleich, allein durch die Vielzahl der Anweisungen, eine Gesellschaftsordnung festsetzt, innerhalb derer für Fortschritt und Wandel kaum noch Raum ist, was mit demokratischen Prinzipien kaum unter einen Hut zu bringen ist: Ob etwas gut oder schlecht ist, kann nicht Gegenstand demokratischer Entscheidungen sein, jedenfalls nicht, wenn sie dem Koran widersprechen.

Und fünftens gelten diese Anweisungen für alle Zeiten als Gottes eigenes Wort, ohne jede Relativierung. Ein Christ, der dies von der Bibel behauptet (solche Christen gibt es natürlich, und wir nennen sie ohne Weiteres “Fundamentalisten”), verstrickt sich in die Paradoxie, dass die Bibel selbst dem widerspricht (siehe z.B. den Beginn des Lukasevangeliums). Ein Muslim nicht. Der Islam ist ein geschlossens, in sich halbwegs widerspruchsfreies System, das zu hinterfragen eine Todsünde ist. Die Gedanke, dass Wahrheit relativ und eine Frage der Perspektive sein könnte, kann natürlich auch von einzelnen Muslimen gedacht werden. Er kann aber NIEMALS zur kulturellen Selbstverständlichkeit in der islamischen Welt werden.“

So. Und nun wollen wir einmal sehen, inwiefern wir hier Parallelen zu antijüdischen Argumentationsmustern finden:

Au weia, möchte man auf den ersten Blick sagen – da finden sich ja sogar eine ganze Reihe von Entsprechungen:

Ist nicht der Vorwurf, die koranische Lehre basiere auf der Entgegensetzung von Gläubigen und Ungläubigen, bei Abwertung der letzteren, eine genaue Entsprechung zu dem Vorwurf, die Juden betrachteten sich als „auserwähltes Volk“ allen anderen als überlegen?

Ist nicht der Vorwurf, eine Gesetzesreligion zu sein, bei der es bloß auf den äußeren Gehorsam ankomme, eines der zentralen Themen der christlichen antijüdischen Polemik?

Und lehnt schließlich nicht das Judentum, zumindest dessen orthodoxe Richtung, eine historisch-kritische Lesart der Thora ebenso ab wie der Islam eine solche des Koran?

Doch, doch, das ist so. Na und?

Nicht jedes auf die Theologie bezogene Argument, mit dem man auch die jüdische Religion kritisieren könnte, ist deswegen schon antisemitisch; der Antisemitismus beginnt dort, wo jüdische Glaubensinhalte zum Zwecke der Diffamierung absichtlich verzerrt werden. Wenn jemand zum Beispiel den Gedanken des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel zu einem Projekt jüdischer Weltherrschaft umlügt: Das ist Antisemitismus!

Da aber jüdische und islamische Theologie viele Gemeinsamkeiten aufweisen, liegt es in der Natur der Sache, dass manche theologischen Argumente gegen die eine Religion auch gegen die andere gewendet werden können. Der zentrale Vorwurf der Islamkritiker aber, ohne den alle anderen bedeutungslos wären, ist einer, der das Judentum nicht trifft und auch nie erhoben worden ist, jedenfalls nicht von einem christlichen Standpunkt. Er lautet, dass der Islam die Pflicht jedes Menschen proklamiert, Muslim zu sein, und die Pflicht jeder Gesellschaft, in der Muslime leben, sich den Geboten des Islam zu unterwerfen. Und damit auch das Recht der Muslime, diese Unterwerfung gewaltsam zu erzwingen. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Religion nicht nur in sich undemokratisch ist, sondern auch eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft darstellt.

Islamkritiker dürfen es sich daher getrost verbitten, einer „Phobie“, also einer Geisteskrankheit bezichtigt und mit Antisemiten in einen Topf geworfen zu werden. Die Gleichsetzung von Islamkritik mit Antisemitismus ist vielmehr Ausdruck von…

…tja, wie nennt man das? Ich schlage vor: Christianophobie.

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