Lawrence Auster und der Deutschenhass

[Der englische Originaltext „From A German Point of View: A Reply to Lawrence Auster“ wurde – mit einer Einleitung von Baron Bodissey – zugleich in Gates of Vienna veröffentlicht.]

Lawrence Auster, Bin Laden und die Deutschen

Lawrence Auster, konservativer amerikanischer Publizist
Lawrence Auster

Am 6. Mai veröffentlichte Lawrence Auster einen Kommentar zu Deutschlands Reaktion auf den Tod von Bin Laden – einen Kommentar, der ein Schlaglicht auf politische Spannungen wirft, deren viele von uns sich gar nicht bewusst sind. Ich glaube, es lohnt sich, Austers Argumentation unter die Lupe zu nehmen, um die Art dieser Spannungen deutlich zu machen, und die Frage zu klären, was sie für den Gegen-Dschihad bedeuten können.

Lawrence Auster bezieht sich auf die Strafanzeige gegen Angela Merkel wegen Billigung einer Straftat, nachdem sie erklärt hatte sich über Bin Ladens Tod zu freuen. Auster zitiert eine Umfrage, wonach 64 % der Deutschen den Tod von Osama Bin Laden nicht als etwas ansehen, was man feiern sollte, und knüpft daran die Feststellung, dass Deutschland „spirituell tot sei“ und diesen Tod „der konsequenten Anwendung des Liberalismus“ [ „the consistent application of liberalism“] verdanke.

Es gibt Einiges, was Lawrence Auster anscheinend nicht versteht: Zunächst war die Frage nicht, ob Bin Ladens Tod gut oder schlecht ist, sondern ob man ihn feiern sollte. In Deutschland sind in den vergangenen Jahrzehnten viele Terroristen von Sicherheitskräften getötet worden oder haben im Gefängnis Selbstmord begangen. In keinem einzigen Fall hat eine deutsche Regierung Befriedigung oder Freude darüber geäußert, und in keinem einzigen Fall hat es öffentliche Feiern der Art gegeben, wie wir sie jetzt in Amerika sehen. Den Tod eines Menschen zu feiern, und wäre er ein Feind, gilt in Deutschland als unanständig, und deshalb war Merkels Äußerung, ob nun illegal oder nicht, mindestens ein peinlicher Fauxpas. Dies ist etwas, was man bei uns einfach nicht tut.

Ich werfe Lawrence Auster nicht vor, dass er die Sitten eines fremden Landes nicht kennt und nicht versteht. Ich finde nur, dass er sich mit Urteilen, über das, was er nicht versteht, zurückhalten sollte.

Lawrence Auster und sein Deutschenhass

Bis jetzt geht es nur um eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen den meisten deutschen auf der einen Seite und den meisten Amerikanern auf der anderen. Angesichts der Irrelevanz des Themas ist es umso bestürzender, dass Lawrence Auster die Gelegenheit nutzt, eine wahre Lawine an Hass und Vorurteil gegen Deutschland loszutreten. Das beginnt mit

Übrigens: Warum unterhalten wir für Milliarden Dollar 50.000 Mann amerikanischer Truppen in diesem toten Land? Zu welchem Zweck, außer um die dortige Wirtschaft zu füttern, die zufällig die größte in Europa ist?

Nun, sie sind jedenfalls nicht hier, um Deutschland vor Invasionen zu schützen. Tatsächlich sind wir, wie alle europäischen Nationen, einer Invasion ausgesetzt, aber die USA sind die letzten, die uns dagegen schützen werden – ich komme noch darauf zurück. Die USA haben Stützpunkte in Deutschland, weil von hier aus ihre Truppen im Nahen und Mittleren Osten versorgt werden (und außerdem werden von hier aus entführte Personen auf geheime CIA-Gefängnisse rund um den Globus verteilt).

Man stelle sich vor, die Verschwörer gegen Hitler von 1944 hätten ihn tatsächlich getötet, und wenn ein deutscher Politiker seine Freude darüber geäußert hätte, hätte dieser Richter, ins Jahr 1944 zurückversetzt, versucht, ihn zu bestrafen. Ich glaube, dass Deutschland sich gar nicht so sehr verändert hat, hmm? Reiner Liberalismus, dem die Deutschen in ihrer humorlosen fanatischen Gründlichkeit als dem Gegenteil von Nazi-Totalitarismus nacheifern, ist nur eine andere Art von Totalitarismus. Und auf dieselbe Weise, wie ich oft bemerkt habe, zerstört das deutschgeführte transnationale Gegenteil des Nazi-Nationalismus, der die Nationen Europas zu zerstören versuchte, sie ebenfalls. Auf die eine oder andere Weise, ob in der Nazi- oder der hyperliberalen Form, stellen die Deutschen eine entschiedene Bedrohung für die Völker und Nationen des Westens dar. Um Churchills berühmte Bemerkung zu paraphrasieren: Sie müssen zu unseren Füßen bleiben, sonst haben wir sie an der Kehle.

Und er fügt hinzu

Ich bin nicht extrem oder „antideutsch“, wenn ich das sage

womit Lawrence Auster tatsächlich zeigt, dass er nicht unsere deutsche Humorlosigkeit teilt.

Deutscher Selbsthass und White Guilt

Die Deutschen sind derselben Meinung. Sie sehen sich selbst als Gefahr für Andere. Deshalb, so sagen sie, ist die EU notwendig: um sie, die immer drohenden Deutschen, in Schach zu halten.

Viele Deutsche reden so, weil man ihnen eingeredet hat, so zu reden und zu denken. Man hat sie gelehrt, tausend Jahre deutscher Geschichte als bloße Vorgeschichte zu Hitler aufzufassen. Man hat sie gelehrt, ihre Geschichte als bloße Verbrechensgeschichte zu betrachten. Man hat sie gelehrt, sie seien eine Gefahr für Andere. Man hat sie gelehrt, Patriotismus und „Nationalismus“ seien, dasselbe, und das Letztere sei die Wurzel aller Übel der Welt. Man hat sie gelehrt, sich selbst zu hassen.

Das begann mit der Re-education von 1945 an, und diese Re-education ist keineswegs abgeschlossen. Ein ganzes Volk mit Selbsthass zu vergiften stellte sich als machbar heraus, und dieses Konzept wurde, nachdem es einmal erfolgreich angewendet worden war, verallgemeinert und unterminiert nun als Denkfigur der „White guilt“ unsere Zivilisation. Lawrence Auster sollte das nicht den Deutschen vorwerfen. Die waren nur die Versuchskaninchen.

Die Eine-Million-Dollar-Frage lautet: Warum wird dies getan, und wer tut es?

Lawrence Auster mag nicht viel von Deutschland verstehen, aber er hat ganz richtig erkannt, dass wir die Triumphgefühle über den Tod von Bin Laden nicht teilen – und dies nicht wegen Appeasement, Liberalismus oder Dekadenz, auch nicht nur wegen des oben beschriebenen spezifisch deutschen Verständnisses von Anstand. Es mag Manchen schockieren, aber selbst militante Counterjihadisten wie ich teilen sie nicht.

Nicht der Islam per se, der Globalismus ist der Feind

Ja, Bin Laden war unser Feind, aber er war nicht die Nummer Eins auf der Liste unserer Feinde, und nicht einmal die Nummer Zehn. Der Islam dringt in Europa nicht durch Terrorismus, sondern durch Immigration und ethnische Verdrängung vor, und dies mit starker Unterstützung durch die internationalen politischen Eliten. Es ist sinnlos, zwischen amerikanischen und europäischen Eliten zu unterscheiden weil sie alle zu einem transatlantischen Netzwerk gehören, dass in Amerika sein Zentrum findet, aber sich keineswegs auf Amerika beschränkt. Innerhalb dieses Netzwerkes werden Strategien aufeinander abgestimmt, sodass es so etwas wie eine im strengen Sinne nationale Politik gar nicht gibt. Gewiss gibt es Meinungsverschiedenheiten zu Fragen von geringerem Gewicht, aber die allgemeine Stoßrichtung ist die hin zur Errichtung einer globalen Einheitskultur. Die EU ist Teil dieses Prozesses, und ein Analytiker, der dafür ausschließlich Deutschland verantwortlich macht, wie Lawrence Auster,

Das Problem ist, dass die deutsch geführte EU, die in der deutschen Vorstellung darauf abzielt, die deutsche Nation zu unterdrücken, alle anderen europäischen Nationen ebenfalls unterdrücken muss. Aus diesem Grund kann es dem deutschen Anti-Nationalismus ebensowenig erlaubt werden, über Europa zu herrschen, wie vorher dem deutschen Nationalismus. Deutschland hat nicht zu herrschen. Punkt.

beweist damit nur, dass sein Hass auf ein bestimmtes Land stärker ist als sein analytisches Vermögen.

Warum nötigt ausgerechnet die Führungsmacht im war on terror zugleich Frankreich, sich der islamischen Infiltration zu öffnen, und fördert diese Infiltration insgeheim noch, wie wir durch Wikileaks wissen (und es gibt ja keinen Grund zu der Annahme, dass diese Strategie nicht auch auf andere europäische Länder angewandt wird)? Warum frönt ausgerechnet dasjenige europäische Land, dass am leidenschaftlichsten an diesem Krieg teilnimmt – Großbritannien – zugleich und mit derselben Leidenschaft einer Politik der Selbst-Islamisierung? Warum drängen die angelsächsischen Mächte, während sie mit mehr als einem islamischen Land im Krieg liegen zugleich Europa, die EU immer weiter auszudehnen – mit dem vorhersagbaren Ergebnis, dass auch die Türkei und Nordafrika dem Club beitreten und Europa mit muslimischen Migranten überfluten werden?

Die offenkundige Antwort auf diese Fragen, die Lawrence Auster nicht stellt, lautet, dass die Verwestlichung der islamischen und die Islamisierung der westlichen Welt zwei Seiten derselben Medaille sind.

Die Errichtung einer globalen Einheitskultur erfordert die Zerstörung traditioneller Wert- und Loyalitätsmuster. Nationen, Religionen und Traditionen ermöglichen es Menschen, sich miteinander zu solidarisieren; sie sind die geborenen Feinde jeder Art von Tyrannei. Globalismus bedeutet: diese Bindungen zu lösen, die die Gesellschaft zusammenhalten, die Menschen zu nichts als idealen Konsumenten und Arbeitskräften zu machen und sie einem System supranationaler Institutionen zu unterwerfen, die niemandem verantwortlich sind. Ein solches System globaler Mobilität von Kapital und Arbeit, d.h. eine globalisierte Marktwirtschaft, neigt dazu, auf der Mikroebene Anarchie zu erzeugen und erfordert dann wie von selbst immer weiter reichende Vollmachten für die supranationale Ebene, um einen Frieden zu erzwingen, den der einzelne Staat nicht mehr gewährleisten kann.

Darauf läuft die Politik der politischen Klassen aller westlichen Länder hinaus. Die Moslems mit ihrem Dschihad-Ehrgeiz und die linken mit ihren kindischen multikulturalistischen Utopien, sind bloß nützliche Hilfstruppen, weswegen man sie auch gewähren lässt.

Das ist der Hintergrund jener Phrasen von der Verbreitung von „Demokratie“, „Freiheit“, „good governance“ usw., und es ist der Hintergrund von Schlagwörtern wie „kulturelle Bereicherung“, „Toleranz“, „Willkommenskultur“ etc. Wahrscheinlich glauben die Verantwortlichen sogar an ihre eigenen Sprüche. Wahrscheinlich glauben sie wirklich, für ein System der Freiheit und des Friedens zu arbeiten. Leider ist die Kehrseite dieses Glaubens die, dass alle Gegner dieser Utopie nicht einfach Feinde, sondern Teufel sind, weil sie ja scheinbar für Krieg und Tyrannei arbeiten. Das utopische Konzept „One world“ impliziert eine Hyper-Moralisierung des Politischen und die Entmenschung des Gegners.

Gegnerische Länder als „Schurkenstaaten“ abzustempeln heißt ja nichts anderes als die Ankündigung, sich ihnen gegenüber nicht an geltendes Recht zu halten. Da mein eigenes Land im vergangenen  Jahrhundert gleich zweimal zum „Schurkenstaat“ erklärt wurde, weiß ich, wovon ich rede, und wenn ich sehe, wie leicht ein so nichtiger Anlass wie eine bloße Meinungsumfrage bei Amerikanern (Ich glaube, dass Lawrence Auster mit seiner Einstellung hier repräsentativ ist) den blanken ethnischen Hass gegen Deutschland wachrufen kann, dann fällt es mir nicht schwer, mir vorzustellen, wie die Reaktionen aussehen werden, falls Deutschland ernsthaft gegen seine Islamisierung kämpft. Selbst Konservative wie Lawrence Auster, das vermute ich zumindest, werden dann nicht an unserer Seite stehen.

Sogenannte Terroristen in Guantanamo und anderswo zu foltern ist keine Ausnahme von der Regel, die nur durch unabweisbare Erfordernisse der nationalen Sicherheit zu rechtfertigen ist (nebenbei: Wenn es nötig war, den Fahrer Bin Ladens zu verhören, warum war es dann nicht nötig, Bin Laden selbst zu befragen?), und Bin Ladens Leiche einfach ins Meer zu werfen ist die Konsequenz solcher Entmenschung. Zugleich sind solche Praktiken eine Warnung an jeden Gegner der neuen Weltordnung, z.B. an Counterjihadisten, dass sie keine Chance auf Behandlung nach zivilisierten demokratischen Standards haben, wenn ihre Opposition zu stark wird.

Sie machen heute mit Bin Laden, was sie gestern mit deutschen Generälen machten, udn was sie morgen mit Jedem machen werden, der gegen ihre Utopie kämpft. Dies ist der Grund, warum ich Bin Ladens Tod nicht feiere.

[Siehe auch den Originaltext „From A German Point of View: A Reply to Lawrence Auster“ in German Views]

Lob der Diskriminierung

[Mit meinem neuen Buch über die Liquidierung der Zivilisation, in dem ich einen Frontalangriff auf die gesamte gesellschaftlich etablierte Metaideologie führe, komme ich gut voran; ich hoffe, bis Juli damit fertig zu sein und im Frühherbst das erste Exemplar in der Hand zu halten. Heute gibt es einen kleinen Auszug als Appetithäppchen:]

Offensichtlich kann menschliche Gesellschaft von den primitivsten Anfängen an funktionieren, ohne auf Ideologen angewiesen zu sein, die ihr sagen, wie sie zu funktionieren hat. Muss man es da nicht als wahrscheinlich ansehen, dass es in der natürlichen Ausstattung des Menschen etwas gibt, was es ihm erlaubt, stabile Gemeinschaften zu bilden, und zwar ohne darüber nachzudenken, einfach indem er sich, gleichsam aus dem Bauch heraus, so verhält, wie es ihm richtig erscheint?

Und wenn dies so ist: Muss es dann nicht als hochgradig unwahrscheinlich gelten, dass eine Ideologie, die das empirisch regelmäßig beobachtbare menschliche Verhalten nicht etwa erklärt, sondern Maßstäbe für „richtiges“ menschliches Verhalten aus einer abstrakten Theorie ableitet, zum nachhaltigen Gedeihen der Gesellschaft beiträgt? Insbesondere wenn sie das, was Menschen tatsächlich normalerweise glauben und tun, und das, woran sie sich orientieren, kritisiert und zum Teil sogar kriminalisiert, ohne der Frage nachzugehen, welche Funktion die kritisierten Einstellungen möglicherweise bei der Aufrechterhaltung der Gesellschaft erfüllen?

Da gibt es zum Beispiel Sozialwissenschaftler, die das Konzept der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ entwickelt haben, wobei allein schon das pejorative Vokabular („Menschenfeindlichkeit“) erkennen lässt, dass es nicht darum geht, vorgefundene Einstellungen zu erklären, sondern nach rein normativen Maßgaben moralisch zu diskreditieren und ganz nebenbei suggerieren, wer solche Einstellungen hege, sei, da ein „Menschenfeind“, kein Mensch. Zweifellos ein ungewöhnlich menschenfreundlicher Standpunkt.

Zu diesem Syndrom der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ wird unter anderem das Beharren auf „Etabliertenvorrechten“ gezählt, also zum Beispiel die Forderung, Einwanderer hätten sich an die Normen der einheimischen Gesellschaft anzupassen.

Merkwürdigerweise aber ist dieses Beharren auf „Etabliertenvorrechten“ in jeder nur erdenklichen Art von menschlicher Gemeinschaft universell beobachtbar. Das fängt bei Schulklassen an, in denen der „Neue“, wenn er das große Wort zu führen versucht, sich schnell unbeliebt macht, reicht bis hin zu ganzen Völkern, und ist selbst in linken Organisationen eine alltägliche Erscheinung, also genau dort, wo man sich nicht genug darüber aufregen kann, dass der „Stammtisch“ auf „Etabliertenvorrechten“ beharrt.

Es ist auch leicht zu zeigen, warum das so ist: Wir haben gesehen, dass menschliche Gesellschaft einen Konsens über die Wir-Gruppe und die in ihr geltenden Spielregeln voraussetzt. Wer diese Regeln nicht akzeptiert, gefährdet diesen Konsens, und gefährdet letztlich auch die Wir-Gruppe in ihrer Existenz. Um ihre Stabilität aufrechtzuerhalten, ist die Gruppe gezwungen, den Außenseiter so lange auszugrenzen, also als Nicht-Dazugehörigen zu behandeln und ihm ihre Solidarität zu verweigern, bis er sich anpasst und eingliedert.

Diese Diskriminierung geschieht nicht deshalb, weil Sozialwissenschaftler es gutheißen, oder weil Wer-auch-immer es vorschreibt, und es geschieht selbst dann, wenn Sozialwissenschaftler es kritisieren. Es geschieht, weil es ein in Jahrtausenden (wahrscheinlich genetisch) verinnerlichtes menschliches Verhaltensprogramm ist. Es handelt sich um eine evolutionär bewährte Lösung des Problems, wie man soziale Regeln, wie man Gesellschaft aufrechterhält. Wäre dem nicht so, dann müsste es irgendwo auf der Welt eine Gesellschaft geben, die so etwas „Etabliertenvorrechte“ nicht kennt. Eine solche Gesellschaft gibt es nicht.

Dies bedeutet unter anderem, dass die anfängliche Diskriminierung des Nichtetablierten die Voraussetzung für dessen Integration ist. Dass es auch Fälle geben kann, in denen Diskriminierung nicht nur unmoralisch, sondern auch objektiv sozial schädlich ist, steht auf einem anderen Blatt. An dieser Stelle kommt es lediglich darauf an, dass die Leugnung einer natürlichen menschlichen Disposition zugleich bedeutet, ein von der menschlichen Natur bereits gelöstes Problem künstlich wieder auf die Tagesordnung zu setzen und die vorhandene Lösung zu problematisieren, ohne eine bessere anbieten zu können. Die grotesken Widersprüche, in die sich eine Gesellschaft verstrickt, die Fremde zugleich integrieren und nicht diskriminieren will, sind täglich in der Zeitung nachzulesen und sprechen für sich.

(…)

Auch „Homophobie“ – man beachte auch hier die bereits im Vokabular steckende Verunglimpfung des Andersdenkenden – wird zum Syndrom der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ gerechnet. Dabei ist „Homophobie“ in den meisten menschlichen Gesellschaften speziell unter Männern weit verbreitet; sie wäre es nicht, wenn sie nicht eine soziale Funktion erfüllen würde, und diese Funktion besteht ganz offenkundig darin, eine bei vielen Menschen vorhandene latente Tendenz zur Bisexualität an der Entfaltung zu hindern, Heterosexualität also als sozial erwünschte Norm festzuschreiben, Homosexualität dagegen zu diskriminieren. Welchen Sinn dies hat, brauche ich wohl nicht zu erläutern. Eine Gesellschaft, die sich ungeachtet ihres demographischen Niederganges, also ihrer Selbstauslöschung, den Luxus leistet, „Homophobie“ für eines ihrer Hauptprobleme zu halten, beweist schon dadurch, dass sie nicht mehr existieren will.

Ein Dialog

Nein, diesmal schreibe ich nicht über den Islam, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht.

Mir ist nur aufgefallen, dass Tintin et Milou/Coke en Stock („Tim und Struppi/Kohle an Bord“) eine wunderbare Parabel enthält.

Ausgangslage: Tim und Kapitän Haddock sind an Bord eines Frachters im Roten Meer, der von seiner Mannschaft und ihrem kriminellen Kapitän verlassen wurde, und in dessen Frachtraum sich Dutzende von Schwarzafrikanern befinden, die nach Mekka pilgern wollen. Kurz vor Erreichen der arabischen Halbinsel kommt ein Araber an Bord, der sich als Sklavenhändler herausstellt und die Schwarzen als Ware in Empfang nehmen will. Kapitän Haddock jagt ihn unter vielen Flüchen von Bord. Anschließend entspinnt sich der folgende Dialog:

Hört mir gut zu, meine Freunde. Ihr habt diese lange Reise unternommen, um nach Mekka zu pilgern, richtig?

Ja. – Ja.

Um anschließend in Eure Heimat zurückzukehren und Eure Familie wiederzusehen. So ist es doch, nicht wahr?

Richtig. – Ja. – Ja.

Leider erwartet Euch ein ganz anderes Los. Habt Ihr diesen Araber gesehen, der an Bord gekommen ist, und den ich weggejagt habe? Der erwartet Euch in Mekka, um Euch zu kaufen und zu Sklaven zu machen! Zu Sklaven, versteht Ihr?

Ja, Kapitän, genau verstanden. Er ist sehr böse, dieser Araber. Wir wollen keine Sklaven sein. Wir wollen einfach nur nach Mekka.

Ja doch, ich weiß. Aber ich wiederhole, dass Ihr als Sklaven verkauft werdet, wenn Ihr dort hingeht. Wollt Ihr das?

Nein, nicht Sklaven. Wir sind gute Muslime. Wir wollen nach Mekka.

Hunderttausend Höllenhunde, ich rede mir hier den Mund franselig um Euch zu erklären, dass Ihr als Sklaven verkauft werdet, wenn Ihr dort hingeht. Ist das klar, ja oder nein, verdammt nochmal!?!

Nicht schreien, Kapitän, wir wollen einfach nach Mekka.

Na gut, Ihr Quadratschädel, dann fahrt doch in Euer Mekka! Aber dort bleibt Ihr für immer! Heimat nie wiedersehen! Familie nie wiedersehen! Ihr für immer Sklaven! Das ist das, was Euch blüht, ihr schwachsinnigen Matschköpfe!!

Wir sind keine schwachsinnigen Matschköpfe. Wir sind gute Muslime. Wir wollen nach Mekka.

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Genau so spielt sich der typische Dialog zwischen Konservativen und Liberalen ab. Wer das schon einmal versucht hat, weiß, was Kapitän Haddock zu leiden hatte.

Deutschland schafft sich ab. Broder: „Na und?“

Aus der heutigen Feuilleton-Presseschau von Spiegel.de:

Drei Seiten sind dem radikalen Islamismus gewidmet. Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samed begutachten im Interview die deutsche Angst. Sagt Abdel-Samed: „Die deutsche Angst ist eine Angst vor Veränderung.  Hier ist so lange nichts passiert, dass die Menschen die statische Gesellschaft für das Maß aller Dinge halten. Broder: Da geh ich mit. Das ist auch meine einzige Kritik an Thilo Sarrazin, dass er auf dieser Panikwelle mitschwimmt. Deutschland schafft sich ab. Na und? Gesellschaften schaffen sich öfter mal ab und nicht zwangsläufig zu ihrem Nachteil.

(Quelle: Heute in den Feuilletons – SPIEGEL ONLINE )

Ach so? Nun, Herr Broder, wenn das so ist, dann kann ich mit der perfekten Lösung für den Nahostkonflikt aufwarten, nämlich der Ein-Staat-Lösung: Israel annektiert den Gazastreifen und das Westjordanland und gewährt all dessen Bewohnern das volle israelische Bürgerrecht, selbstverständlich einschließlich des Wahlrechts und des Rechts auf freie Niederlassung im gesamten Staatsgebiet. Wetten, dass die Palästinenser begeistert wären?

Damit würde Israel sich zwar abschaffen, jedenfalls als jüdischer Staat.

Na und? Gesellschaften schaffen sich öfter mal ab. Nicht wahr?

Die Jerusalemer Erklärung

Als Vertreter der FPÖ, der Schwedendemokraten, der „Freiheit“ und von Vlaams Belang im Dezember in Israel zu Gast waren, habe ich dem Vorgang keine besondere Bedeutung beigemessen (obwohl eine Überschrift „Israel bekennt sich zum Existenzrecht islamkritischer Parteien“ ihres milden Sarkasmus wegen reizvoll gewesen wäre). Das Bedeutendste an diesen Gesprächen war, dass sie überhaupt stattfanden. Anscheinend dämmert der israelischen Rechten allmählich, dass die Islamisierung Europas die arabische Einkreisungspolitik gegenüber Israel vollenden und ihrem Staat den Garaus machen würde.

Es ist daher aus israelischer Sicht durchaus naheliegend, islamkritische Parteien gleichsam koscher zu stempeln und ihre Diffamierung als „rechtsradikal“ dadurch wenigstens zu erschweren. Aus genau demselben Grund ist es für diese Parteien naheliegend, Kontakte nach Israel zu suchen. Hier haben sich zwei auf der gesunden Grundlage gemeinsamer Interessen gefunden, ohne einander große Zugeständnisse zu machen: Auf israelischer Seite wurde der Kontakt auf Initiative einzelner Politiker und Parteien aufgebaut, nicht etwa auf Initiative von Regierungsstellen, während andererseits die Stellungnahmen der europäischen Rechtspolitiker nichts enthalten, was nicht auch der Deutsche Bundestag hätte absegnen können.

Die Aufregung im israelkritischen bis antisemitischen Teil der Rechten, man habe sich hier von Israel „instrumentalisieren“ lassen, war insofern völlig gegenstandslos: Mit demselben Recht könnte man sagen, man habe umgekehrt Israel instrumentalisiert.

Ob das Bekenntnis zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels nun „einseitig“ war, wie die Kritiker bemängeln, oder ob man besser ein klares und entschiedenes „Einerseits-Andererseits“ formuliert hätte, ist schon deswegen belanglos, weil der Einfluss europäischer Staaten auf den Fortgang des Nahostkonflikts gegen Null tendiert. Dass die herrschende Politkaste sich und dem Volk gerne etwas Anderes einredet – wie schön kann man sich doch im Nahen Osten als Staatsmann von internationalem Format produzieren -, ändert an diesem Sachverhalt nichts.

Einfluss haben (bzw. erstreben) diese Parteien aber auf den Gang der Innenpolitik ihrer jeweiligen Länder. Statt um Kaisers Bart – also über die Nahostpolitik von Weltmächten wie der „Freiheit“ – zu streiten, wäre es weitaus sinnvoller gewesen, die Jerusalemer Erklärung unter dem Gesichtspunkt zu analysieren, was sie über die Programmatik und die ideologische Ausrichtung dieser Parteien aussagt. Nichts Gutes, fürchte ich.

Zunächst fällt auf, dass nicht etwa der Islam als Bedrohung thematisiert wird: Stets geht es um den „fundamentalistischen Islam“, den „Islam als totalitäres System“ (mit dem die „gemäßigten Muslime“ selbstredend nichts zu tun haben), man bekennt sich zur Aufklärung, die der Islam „noch nicht“ durchlaufen habe, verwahrt sich gegen „Terror“ und den „politischen Missbrauch von Religionen“ und erwähnt nicht, dass dieser „Missbrauch“ schon zu den Praktiken des Propheten Mohammed gehörte.

Dabei wäre es gerade in Israel doch passend, darüber zu sprechen: Die Palästinenser lehnen die Anerkennung Israels ja nicht deshalb ab, weil sie Islamisten wären, sondern weil sie Muslime sind. Die nationalistische Fatah denkt in diesem Punkt nicht anders als die islamistische Hamas. Israel könnte die Anerkennung sofort haben, wenn es bereit wäre, den Nachkommen der arabischen Flüchtlinge von 1948 (welche Nachkommen inzwischen dank Milliardenzahlungen aus dem Westen mehrere Millionen Menschen zählen) die „Rückkehr“ ins israelische Kernland zu ermöglichen; wenn es sich also der muslimischen Massenmigration genauso bereitwillig öffnen würde wie Europa. Israel würde dann aufhören, ein jüdischer Staat zu sein und geriete unter islamische Herrschaft. Die „Beleidigung Allahs“, die darin lag, dass ein nichtmuslimischer Staat im Dar al Islam gegründet wurde, wäre damit getilgt. (Dies ist übrigens auch der Grund dafür, dass die Palästinenser alles Andere lieber wollen als eine Zwei-Staaten-Lösung.)

Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass die Jerusalemer Erklärung gerade nicht ein Bekenntnis zum Recht Israels enthält, seine ethnische, religiöse und kulturelle Identität zu verteidigen. Mit einer solchen Erklärung hätte man für Israel nichts Anderes gefordert als das, was man auch für das eigene Land anstrebt.

Wenn man es denn anstrebt.

Eine solche Position wäre schlüssig und konsequent gewesen; sie hätte auch die Doppelmoral sowohl antisemitischer Rechter als auch (umgekehrt) proisraelischer, aber sonst multikulturalistischer europäischer Juden offengelegt, die für das eine Land fordern, was sie dem anderen verweigern wollen.

Die Jerusalemer Erklärung fordert aber nichts von alldem; sie bleibt strikt innerhalb der Leitplanken der liberalen, im Unterschied und Gegensatz zur konservativen, Islamkritik. Die oben konstatierte seltsame Leisetreterei gegenüber dem Islam ist mithin nicht etwa eine taktische Rücksichtnahme auf eine unvorbereitete öffentliche Meinung. Sie ist Ausfluss einer bestimmten Ideologie:

Wir betrachten uns als Teil des weltweiten Kampfes der Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten gegenüber allen totalitären Systemen und deren Helfershelfern. Damit stehen wir an vorderster Front des Kampfes für die westlich-demokratische Wertegemeinschaft.

Für die Werte-, nicht etwa Völker– oder wenigstens Kulturgemeinschaft! Werte sind universell; wer sie bejaht, tritt damit einer Wertegemeinschaft bei. Völker und Kulturen dagegen sind partikular.

Dabei lehnen wir jenen kulturellen Relativismus ab, der unter dem Vorwand der Achtung fremder Kulturen und Traditionen toleriert, dass Menschen, insbesondere nicht-islamische Minderheiten, in Teilen des muslimischen Kulturkreises in ihrem Recht auf Freiheit, Gleichheit und Mitbestimmung eingeschränkt werden. Dies gilt für alle Teile der Welt, selbstverständlich in erster Linie auch für Europa, da die Menschenrechte universell und geografisch unteilbar sind.

Der Kampf gegen die Islamisierung Europas ist also nur deshalb und nur insofern gerechtfertigt, als er mit dem Kampf für die Menschenrechte in der islamischen Welt verbunden wird.

  • Ob unsere Vorstellung von Menschenrechten in der islamischen Welt überhaupt verwirklicht werden kann, ohne dass die Gesellschaft kollabiert,
  • ob der Versuch, dies durchzusetzen, nicht viel eher zu einer Verhärtung des Islam und zu einer Betonung seiner totalitären Aspekte führen würde – dies war jedenfalls in den vergangenen 14 Jahrhunderten regelmäßig das Ergebnis einer Infragestellung des Islam als Grundlage der muslimischen Gesellschaften -, und zwar bis hin zur Talibanisierung,
  • ob wir überhaupt berechtigt sind, der islamischen Welt unsere Wertmaßstäbe aufzudrängen,

sind Fragen, die im Kontext einer universalistischen Ideologie gar nicht gestellt werden können.

Damit erübrigt sich für diese Ideologie auch die Frage, ob Völker das Recht haben, selbst zu bestimmen, wer zu ihnen gehören soll und wer nicht; dieses Recht haben sie nicht, wenn man den „Westen“ als „Wertegemeinschaft“ definiert, der man folglich beitreten kann.

Es erübrigt sich die Frage, ob zum Selbstbestimmungsrecht der Völker auch das Recht gehört, im eigenen Land entsprechend den eigenen Traditionen gemäß den Werten der eigenen Kultur zu leben; dieses Recht haben sie nicht, sofern diese Traditionen und Kulturen dem westlichen Wertekonsens widersprechen.

Es erübrigt sich die Frage „Wem gehört das Land?“: Das wirtschaftliche, kulturelle und soziale Kapital eines Landes gehört nicht denen, deren Vorfahren es über Generationen hinweg aufgebaut haben, sondern Allen, die gerade dort wohnen.

Dies sind die Implikationen des Begriffs „Wertegemeinschaft“, eines Begriffs, der nicht zufällig zu den Standardfloskeln westlicher Politiker gehört. Wir sehen, dass diese „Wertegemeinschaft“ eine Reihe von „Werten“ ausschließt, die für die Völker Europas immer noch maßgeblich sind, nicht aber für ihre Eliten.

Deren Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie ist hohl, da Demokratie nicht als kollektive Selbstbestimmung eines Volkes aufgefasst wird (Demos=Volk), das sich seiner Zusammengehörigkeit bewusst ist, sondern einer bloßen „Bevölkerung“ als einer Ansammlung von Einzelpersonen. Und auch die Freiheit, wenn sie nicht in Anarchie oder (zu deren Bändigung) eine Diktatur abgleiten soll, setzt eine Kultur voraus, die auf dem Ethos der Selbstkritik, der Gleichwertigkeit aller Individuen, der Ächtung von Gewalt, der abstrakten Loyalität gegenüber der Nation und ihrer freiheitsverbürgenden Ordnung beruht – alles Wertorientierungen, die dem Islam fremd sind und die er deshalb nicht hervorgebracht hat, aus Gründen, die ich ausführlich in „Das Dschihadsystem“ dargelegt habe.

Die Möglichkeit von Freiheit und Demokratie beruht also auf einer in jeder Generation neu zu erbringenden Sozialisationsleistung, auf der Kontinuität des sozialen Zusammenhangs, letztlich auf der Wahrung der Kollektividentität der Völker, die diese Errungenschaften hervorgebracht haben. Die Rede von der „Wertegemeinschaft“ impliziert die Vorstellung, man könne diese Werte beliebig in andere Länder exportieren; sie impliziert umgekehrt, man könne Menschen mit ganz anderen Wert- und Verhaltensmustern in beliebiger Zahl nach Europa verpflanzen – sofern sie sich nur formal zu diesen Werten bekennen -, ohne die sozialen Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie zu zerstören.

Die Ideologie der „Wertegemeinschaft“ stempelt Jeden zum Dissidenten, ja zum Aussätzigen, der an der „Gemeinschaft“ nicht teilhat, sofern er in den genannten Punkten anders denkt als die westlichen Eliten; und dabei sind die Andersdenkenden immer noch die Mehrheit: Sich im eigenen Lande zu Hause zu fühlen, ist auch ein Menschenrecht – ür die Mehrheit, nicht aber  für die Eliten, und wenn diese Eliten mir dieses Recht absprechen, habe ich mit ihnen keine „Wertegemeinschaft“. „Wertegemeinschaft“ ist ein Kampfbegriff der westlichen Eliten gegen ihre Völker.

Angesichts des Tenors der Jerusalemer Erklärung ist es nur ein schwacher Trost, wenn es im letzten, im allerletzten Satz, schwammig und ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem vorher Gesagten heißt:

Das Recht auf Heimat ist ein Menschenrecht, welches für alle Völker zu wahren und umzusetzen ist.

Das zeigt bestenfalls, dass bei diesen Parteien noch nicht alles verloren ist – wobei es schlimm genug ist, dass ihnen die Implikationen der gängigen Phraseologie offenbar nicht klar sind. Pessimistisch betrachtet, ist es nicht mehr als ein Alibisatz.

Zur Dialektik des Liberalismus

In einigen meiner letzten Artikel („Die Liquidierung der Zivilisation“, „Armin Mohler: Gegen die Liberalen“, „Bei Nacht und Nebel“) habe ich die These vertreten, dass die Krise unserer Zivilisation unter anderem Ergebnis der Eigenlogik liberaler Ideologie ist. Für diese These habe ich in den dazugehörigen Kommentarsträngen heftige Gegenrede von Le Penseur geerntet. Le Penseur führte neben vielen anderen Argumenten an, die Politik einer sich liberal nenndenden Justizministerin, die soeben bei Nacht und Nebel das Meinungsstrafrecht verschärft, könne so wenig als Argument gegen den Liberalismus herhalten wie die Politik von Angela Merkel als Argument gegen das Christentum.

Heute komme ich endlich dazu, ausführlich zu antworten. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der folgenden Überlegungen stelle ich meine Replik nicht als Kommentar, sondern als Beitrag ein:

Vielleicht sollt ich einmal noch deutlicher machen, worum es mir bei meiner Liberalismuskritik geht:

Ausgangspunkt ist für mich die Frage, wie es kommt, dass für unsere Gesellschaft die Frage nach ihrer eigenen Erhaltung und ihrer eigenen Zukunft bedeutungslos ist; warum sie systematisch ihre eigenen Grundlagen zerstört; warum nicht der sich rechtfertigen muss, der an der Zerstörung der Zivilisation arbeitet, sondern der, der sie erhalten will.

Eine Teilantwort lautet, dass die Frage, was die Gesellschaft zusammenhält, das Erstaunen darüber, dass sie zusammenhält, die typische Ausgangsfrage konservativen Denkens ist. Das heißt ja nicht, dass man gegen die Freiheit ist, sondern dass man sich bewusst ist, dass Freiheit nur auf der Basis einer sie ermöglichenden Ordnung möglich ist – und damit ist keineswegs nur die Rechtsordnung gemeint. Das Recht kann nur regeln, was einer nicht tun darf. Es kann (und darf) der Gesellschaft nicht die Normen und Werte vorschreiben, die durch Sozialisation verinnerlicht – oder eben nicht verinnerlicht – werden.

Patriotismus – um dieses Beispiel zu verwenden – kann man niemandem vorschreiben, und ein Volk kann auch mit ein paar ganz unpatriotischen Einzelnen gut leben. Es kann aber nicht überleben, wenn niemand mehr Patriot ist, wenn also niemand mehr sich fragt, was er für sein Land tun kann.

Diese Frage nach den strukturellen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen von Zivilisation (und damit nach den notwendigen Voraussetzungen von Freiheit) an den Anfang zu stellen, ist der Ausgangspunkt konservativen Denkens, und genau dadurch unterscheidet es sich von den liberalen und linken Ansätzen, die – explizit oder unausgesprochen – Rechte, Freiheiten und die Emanzipation von vorgefundenen Bindungen an den Anfang stellen und bestenfalls – wenn überhaupt – in einem zweiten Schritt fragen, wieviel Strukturzerstörung man sich praktisch leisten kann, ohne dass der Laden auseinanderfliegt.

Es geht nicht darum zu behaupten, linke oder liberale Ansätze seien a priori „falsch“ – denn keine Ideologie ist von vornherein so blöde, dass sie nicht irgendetwas Richtiges benennen könnte. Wie ich an anderer Stelle schon sagte: Jede Ideologie ist eine Brille, durch die man manches scharf fokussiert sieht, anderes überhaupt nicht.

Es geht darum, dass konservative Ansätze im oben skizzierten Sinne praktisch aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt sind, und dass deswegen das nötige Korrektiv fehlt, das lange Zeit verhindert hat, dass die gemeinsamen Grundannahmen linker und liberaler Ideologie zu Selbstverständlichkeiten werden konnten, die praktisch nicht mehr hinterfragt werden. Es ist diese Selbstverständlichkeit, die das Denken der Gesellschaft blockiert und sie in das Schema unangemessener Begriffe zur Beschreibung ihrer Wirklichkeit zwingt.

Liberale Ansätze werden praktisch nur noch vom marxistischen, marxistische Ansätze nur noch vom liberalen Standpunkt kritisiert. Was nicht kritisiert wird, obwohl es unsere Kultur zerstört, ist die kulturelle Selbstverständlichkeit, dass die Wirklichkeit auf der Basis normativer Gedankensysteme, letztlich vom Standpunkt der Utopie her, zu kritisieren und entsprechend solchen Systemen zu verändern sei.

Sie missverstehen meine Kritik, wenn Sie darauf abheben, dass unsere Gesellschaft doch gar nicht in einem strengen Sinne liberal sei, wenn man nur an die vielen Staatseingriffe, Sozialstaatlichkeit etc. denke, wie Sie das an anderer Stelle ausgeführt haben. Ich verweise nochmals auf meinen Artikel zur Liquidierung der Zivilisation: Nicht der Liberalismus allein ist die Grundlage der gesellschaftlich vorherrschenden Ideologie, sondern Marxismus und Liberalismus zusammen, mitsamt dem De-facto-Monopol der ihnen beiden zugrundeliegenden Metaideologie.

Dass den Liberalen die Welt zu marxistisch ist, ist daher kein Argument gegen meine These. Umgekehrt gilt nämlich, dass sie den Marxisten zu liberal ist (in ihrer Terminologie: zu neoliberal). Sozialismus und Liberalismus sind durchaus zwei unterschiedliche Utopien, das ja. Aber sie bilden die beiden Pole einer Skala des gesellschaftlich Akzeptablen, und sie definieren dadurch diese Skala. Chance auf Gehör hat nur, wer sich auf dieser Skala positioniert, nicht wer außerhalb von ihr steht. Die ganze Verleumdung von Konservativen als „rechtsradikal“, „fundamentalistisch“, „reaktionär“ usw. usw. würde niemandem einleuchten, wenn nicht die gesamte Begrifflichkeit, in der der öffentliche Diskurs strattfindet, durch Ideologien definiert würde, die auf emanzipatorischen bzw. utopistischen Grundannahmen basieren.

Und nun sagen Sie, lieber Le Penseur, Ihr Liberalismus sei aber der, der zwischen 1759 und 1968 als solcher gegolten habe. Das freut mich. Er spricht für Sie. Es interessiert mich bloß nicht. Ideologien sind nichts Statisches, sondern werden – entschuldigen Sie bitte mein Soziologenlatein – gesellschaftlich fortlaufend reproduziert und dabei verändert, und diese Veränderung folgt einer inneren Logik. Sie haben Frau L.-S. vorgeworfen, sie sei ja gar keine echte Liberale. Nun, diese Dame hat in den neunziger Jahren ihren Ministersessel zur Verfügung gestellt, weil sie den Großen Lauschangriff nicht mittragen wollte, also in Verfolgung eines geradezu klassisch liberalen Anliegens. Finden Sie es nicht etwas arrogant, ihr den Liberalismus abzusprechen? Wenn sie heute das Gesinnungsstrafrecht verschärft, so reagiert sie auf das Problem ethnischer Spannungen, ohne es freilich so zu nennen. Solche Spannungen können aus ihrer Sicht nur auf „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ beruhen. Würde sie zugeben, dass sie das unvermeidliche Ergebnis einer Politik sind, die verschiedene Völker durcheinander rührt, dann müsste sie zwei liberale Grunddogmen in Frage stellen oder doch wenigstens relativieren:

Erstens müsste sie anerkennen, dass die Verfolgung individueller Freiheitsrechte (das Tragen von Kopftüchern, die Orientierung an einem islamischen Wertesystem etc.), selbst wenn sie völlig legal sind, zu gesellschaftlichen Problemen führen können, die sich nicht „von selbst“ durch individuelle Handlungen über Marktmechanismen oder zivile Aushandlungsprozesse restabilisieren und reharmonisieren.

Zweitens müsste sie anerkennen, dass die individuelle Nutzenmaximierung, die auf dem geduldigen Papier der ökonomischen Fachbücher stets zur optimalen Allokation von Ressourcen führt (zum Beispiel durch freie Arbeitsmigration), in der sozialen Wirklichkeit zu ganz und gar suboptimalen Ergebnissen führen kann. Die Crux liegt darin, dass die Modelle der Ökonomen immer nur ceteris paribus, also unter sonst gleichbleibenden Umständen funktionieren, dass ihre Übertragung auf die Wirklichkeit aber gerade diese Umstände verändert (wenn zum Beispiel aufgrund der Migration die Kriminalität steigt).

Das Problem von Frau LS ist also, dass sie es mit Problemen zu tun hat, die sie in der Sprache ihrer eigenen Ideologie kaum benennen und analysieren, geschweige denn lösen kann. Um der Konsistenz ihrer Ideologie willen muss sie zu einer inadäquaten Problembeschreibung greifen und ethnische Spannungen auf „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ zurückführen, was in der Konsequenz darauf hinausläuft, den „Rassisten und Fremdenfeinden“ mit staatlicher Gewalt das Maul zu stopfen. So schlägt Liberalismus in Totalitarismus um – das ist die Dialektik des Liberalismus.

Halt, werden Sie jetzt sagen, Frau LS muss doch merken, dass mit diesem „Liberalismus“ etwas defekt ist, dass er sich auf diesem Wege selbst ad absurdum führt, und wenn sie eine richtige Liberale ist, so werden Sie sagen, dann wird sie doch lieber ihren gesunden Menschenverstand einschalten, statt aus bloßer Prinzipienreiterei ihren Liberalismus so weit auf die Spitze zu treiben, dass er seine eigenen Voraussetzungen untergräbt. Schließlich, so werden Sie zu Recht sagen, kann man jegliche Ideologie dadurch ad absurdum führen, dass man sie auf die Spitze treibt. Wohl wahr.

Das ist nun der Punkt, an dem es so wichtig ist, eine Ideologie nicht als theoretisches Ideensystem zu interpretieren, das als solches statisch wäre, sondern als ein in einer sozialen Bewegung objektiviertes Ideensystem.

Nehmen wir also an, Frau LS würde einem ebenso aufgeklärten und in der Wirklichkeit geerdeten Liberalismus anhängen wie Sie selbst.
Sie würde also ihren Parteifreunden mitteilen müssen: Liebe Parteifreunde, so sehr ich für ein Maximum an individueller Freiheit bin, hier müssen wir eine Ausnahmen von der Regel machen (Buuh!); es kann keine freie Arbeitsmigration geben (Buuuuuuh!); und eventuell werden wir unser ganzes Ideensystem korrigieren müssen (Buuuuuuuuuuuuuuuuu!).

Da wird die Dame schlechte Karten haben. Wer einer Ideologiegemeinschaft angehört, also zum Beispiel einer Partei, in der bestimmte Prämissen zum identitätsstiftenden Konsens gehören, wird es schwer haben, eine Position durchzusetzen, wonach die Konsequenzen aus diesen Prämissen ausnahmsweise einmal nicht gezogen werden sollen. (Ich weiß, wovon ich rede: Ich habe Anfang der achtziger Jahre ein paarmal versucht, orthodox-marxistischen Jusos die Idee nahezubringen, dass die Sowjetunion womöglich nicht nur eine Friendensmacht sei. :D)

Ihr Liberalismus, Le Penseur, von dem Sie zu Recht sagen, dass er dem Liberalismus der Vor-68er-Epoche entspricht, ist gerade deshalb nicht der Liberalismus, weil wir das Jahr 2010 schreiben und der Liberalismus sich mittlerweile mit den von ihm selbt mitverschuldeten Problemen herumschlagen muss. Er steht jetzt als politische Bewegung vor der Wahl, seinen freiheitlichen Ansatz dadurch zu retten, dass er ihn in ein konservatives Paradigma einpasst (also von der Frage nach den Existenzbedingungen von Gesellschaft ausgeht) oder seinen dialektischen Umschlag in totalitäre Ideologie in Kauf zu nehmen. Es gibt kein Drittes.

Ob es politisch klug ist, dass ich gerade den Liberalismus aufs Korn nehme, steht auf einem anderen Blatt. Es spricht politisch zweifellos einiges dafür, gestützt auf den altliberalen Liberalismusbegriff den real existierenden Liberalismus zu attackieren. Nur geht es mir um Erkenntnis der Ursachen der Krise unserer Zivilisation, und vom Standpunkt dieses Erkenntnisinteresses wären taktische Rücksichtnahmen hochgradig störend.

Armin Mohler: "Gegen die Liberalen"

Rezension

Armin Mohlers Streitschrift „Gegen die Liberalen“ ist ein ausgesprochen rezensentenfreundliches Buch: Im Grunde braucht man nicht viel zu rezensieren; Zitate, verbunden mit einigen Kommentaren, genügen:

Wer ist ein harmloser Rechter?

Wenn Sie mit einem „Rechten“ zu tun haben, so suchen Sie herauszubekommen, wer sein Feind Nr.1 ist. Sind es die Kommunisten, so haben Sie einen von Grund harmlosen Menschen vor sich. (…) Wenn der Mann jedoch auf die Liberalen gespitzt ist, wird die Sache ernsthafter. Denn dieser Rechte hat einen Feind, der bereits innerhalb der Burg agiert und unsere Abwehr so weich macht, daß der äußere Feind eindringen kann.

Feindschaft gegen Liberale gilt vielen Leuten als anstößig. Um an einer ganz anderen Ecke anzufangen: als mir einmal einige Bosheiten gegen allzu verrückte Ökomanen über die Lippen rutschten, schaute mich eine sympathische Dame in mittleren Jahren entsetzt an. Sie fragte mich mit vorwurfsvollen Augen: „Ja, macht das Ihnen denn keine Freude, wenn die Vögelein pfeifen?“ Darauf fiel mir nun wirklich keine Antwort ein. Ähnlich kann es einem gehen, wenn man etwas gegen die Liberalen sagt. Dann kommen gleich die halb verständnislosen, halb empörten Fragen: „Sind Sie denn gegen die Freiheit?“ (…) Ich komme nicht darum herum zu sagen, weshalb ich gegen die Liberalen bin … . Und mehr noch: weshalb sie für einen Konservativen meiner Art der Feind Nr. 1 sind. Mit einem Linken kann ich mich unter Umständen noch verständigen, denn nur zu oft hat er eine Teilwahrheit für sich. Mit dem Liberalen jedoch kann es keine Verständigung geben.

Der Grund liegt meines Erachtens darin, dass der Marxist wenigstens bei der Diagnose von einer empirischen Analyse ausgeht. Die muss im Einzelfall nicht richtig sein, aber der Marxist lässt die Wirklichkeit wenigstens als Argument gelten, solange es um die Diagnose des Ist-Zustandes geht; im Wolkenkuckucksheim der Utopie verschwindet er erst, wenn es um die Therapie geht. Der Liberale lebt von Anfang an im Wolkenkuckucksheim.

Was er daher nicht einmal als Möglichkeit in Betracht ziehen kann, ist die Dialektik des Liberalismus: dass Freiheit nicht ihre eigenen kulturellen Voraussetzungen hervorbringen kann, dass diese historisch gewachsen sind und vom Liberalismus als politischer Ideologie höchstens zerstört werden können.

Das eigentliche Problem des Liberalismus ist, daß eine liberale Praxis nur möglich ist, wenn gewisse Traditionsbestände an Gewohnheiten und tief eingerasteten Sitten noch vorhanden sind, mit deren Hilfe die Gesellschaft ihre Schwierigkeiten meistert. Salopp gesprochen: sechs konservative Jahrhunderte erlauben es zwei Generationen, liberal zu sein, ohne Unfug anzurichten. Sind aber jene Bestände in der permissiven Gesellschaft einmal aufgezehrt, so werden die bestgemeinten liberalen Parolen zu Feuerlunten.

Ein Liberaler kann das nicht sehen, weil Gesellschaft für ihn die Summe von Individuen ist. Entsprechend fremd ist ihm das Gesetz der unbeabsichtigten Rückwirkungen: Wer für die Freiheit eintritt, kann niemals Unfreiheit bewirken, Liberalismus also auch niemals in Totalitarismus umschlagen; Intoleranz ist in den Prämissen der liberalen Doktrin nicht explizit enthalten, kann also auch niemals Konsequenz ihrer schrittweisen Verwirklichung sein. Was ungefähr so intelligent ist, als wollte man behaupten, der Gulag könne nichts mit dem Marxismus zu tun haben, weil er bei Marx ja nicht vorgesehen sei.

Die Erfinder des Liberalismus sind allesamt Opfer der verbreitetsten Geisteskrankheit, die es gibt: des Intelligibilitätswahns. … Sie besteht darin, daß man das, was man im Kopf hat, mit der Welt als Ganzem identifiziert. (…) Man könnte darüber lachen – aber der Wahn hat seine Folgen. Der von ihm Befallene weiß genau, was das Gute und Richtige ist und wie man es auszuführen hat. Daß das Leben den Zick-Zack-Gang geht, weiß er nicht. (…) Er weiß den Weg, er sagt den Weg, er zeichnet ihn selbstbewußt mit kräftigen Strichen in eine Landkarte ein, die nur aus einer weißen Fläche, ohne Konturen und ohne Farbe, besteht.

Wer nicht so genau hinsieht, hält dieses Portrait des den Abstraktionen verfallenen Liberalen natürlich für überzogen. Hat der Liberale nicht als höchsten Wert, von dem all sein Denken ausgeht, das Individuum? Gibt es etwas konkreteres als das Individuum? Nun – der Kritiker des Liberalismus, der nicht bloß nan Symptomen herumdoktert, sagt: das Individuum gibt es gar nicht. Es ist eine Erfindung. Die Vorstellung eines autonomen „Individuums“, wie sie den Liberalen so am Herzen liegt, ist die schlimmste aller Abstraktionen. Es ist geradezu banal, das festzustellen: Jeder Mensch steht in einem Lebenszusammenhang, von dem aus er denkt und reagiert. Er ist in seiner Familie verwurzelt oder in der Bindung an andere Menschen … . Er verhält sich im Hinblick auf die geschichtliche Situation, in der er sich befindet, und im Hinblick auf die Aufgabe, die er sich gestellt hat. (…) „Individuum“, wie die Liberalen es sich vorstellen, ist er höchstens mitten in der Nacht, wenn er um drei Uhr erwacht, alles um ihn herum reglos ist … und er das Gefühl hat, in nichts verwoben und verwickelt zu sein. (…)

Das Drei-Uhr-morgens-Denken entwirft die Welt mit leichter Hand neu, denn die vorhandene Welt ist viel zu kompliziert. Also denkt man sich eine einfachere Welt aus, in der alle Rechnungen aufgehen. Eine Welt frei von Unlösbarkeiten – eine Welt, auf die man jene Kleingruppen-Moral anwenden kann, wie man sie in der Familie zur Geltung zu bringen sucht (und nicht einmal hier immer mit Erfolg). Situationen, in denen es nur verschiedene Arten von Scheitern gibt, in denen keine Gerechtigkeit möglich ist, wo nur Wunden bleiben – das vermag der Liberale sich gar nicht zu denken. Er hält an seiner Bilderbuchwelt fest; wenn wir nur an sie glauben, so wird diese Welt wirklich, in der alles seine glatte Lösung findet.

Wirkliche Individuen und ihre Bedürfnisse spielen keine Rolle, jedenfalls nicht, sofern sie zu den „Bildungsfernen“, zum „Bodensatz“, zu denjenigen gehören, denen man diverse „Phobien“ attestiert, kurz: sofern sie nicht von der Ideologie verblendet sind und deshalb noch wissen, was jahrtausendelang für jedermann eine Selbstverständlichkeit war: dass Freiheit nur so lange existieren kann, wie sie nicht exzessiv in Anspruch genommen wird, und dass Toleranz nur so lange eine Tugend ist, wie man Ausnahmen von der Regel toleriert, nicht aber die Regel abschafft.

Wer es also vorzieht, in einer vertrauten Umgebung zu leben, unter Menschen, die er als vertrauenswürdig empfindet, weil sie sich an dieselben Normen halten wie er selber, ist per definitionem ein „Phobiker“, der die Freiheit des Anderen einschränken will. Der Liberalismus geht vom wirklichen, empirischen Individuum so wenig aus wie der Marxismus von der wirklichen Arbeiterklasse. Ohne es auszusprechen, teilt er menschliche Bedürfnisse in legitime und illegitime. Statt zuzugeben, dass man nicht alles gleichermaßen tolerieren kann, und dass die Toleranz gegenüber dem einen seine notwendige Kehrseite in der Intoleranz gegenüber dem Entgegengesetzten hat, flüchtet er sich in die Konstruktion, er sei ja nur intolerant gegnüber der Intoleranz. Und sofern diese Intoleranz etwas mit der Natur des Menschen zu tun hat, muss eben diese Natur bekämpft werden.

Die Feindbestimmung gegenüber dem „Rechten“ ist die notwendige Folge einer solchen Ideologie:

Der Linke kann, bei einiger Anstrengung, noch in das liberale Koordinatennetz eingeordnet werden – schließlich glaubt er irgendwie noch an den guten Menschen (den von drei Uhr in der Frühe). Der Rechte jedoch ist der absolute Spielverderber. Einerseits ist er das mit seiner illusionlosen Anthropologie; er sieht nun einmal im Menschen ein ausgesprochenes Mängelwesen, das der Abstütztung durch Institutionen, aber auch durch tief verankerte leib-seelische  Bindungen bedarf.

Demgemäß kann man mit dem Rechten auch nicht das Spiel spielen, auf Kritik an jeder neuen Normaufweichung mit einem treuherzigen „Warum nicht?“ zu reagieren, mit dem der Liberale sonst jedem nichtrechten Kritiker das Maul stopft, weil er ihn vor die Alternative stellt, die Frage entweder mit einer soziologischen Analyse zu beantworten (was die meisten nicht können – und die, die es können und tun, stellen frustriert fest, dass der Liberale aufgrund einer Art von ideologischem Autismus außerstande ist, auch nur zu verstehen, was man ihm sagt), oder eben den Mund zu halten. Das ist das, was ich in meinem vorherigen Artikel, die Beweislastumkehr genannt habe; es handelt sich um eine Selbstimmunisierungsstrategie des Liberalismus. Rechte wirken auf Liberale arrogant, weil sie sich deren ideologische Prämissen nicht aufzwingen lassen. Da Liberale aber anders als auf der Basis dieser Prämissen nicht diskutieren können, diskutiert man eben überhaupt nicht mit ihnen.

Die Bekämpfung des „Rechtsextremismus“ gilt dabei keineswegs den Rechtsextremisten selbst, sondern den Konservativen; sie dient dazu, ein Menschenbild zu bekämpfen, das weder utopistisch noch zynisch ist:

Zwei Politologen, Dudek und Jaschke, waren in ihrem 1984 erschienenen Buch über den „Rechtsextremismus “ so töricht, die Katze aus dem Sack zu lassen. Eine Art Gesetzestafel auf dem Umschlag verzeichnete die Werte, an denen man einen Rechstsextremisten erkenne (und die demnach zum „nächsten Auschwitz“ führen: „Vaterland – Ordnung -Ehre – Reinheit – Fortschritt – Moral – Nation – Heimat -Treue – Boden – Sitte – Kraft – Reich – Natur – Wachstum – Anstand – Kameradschaft“.

Rechtsextrem ist, was den Menschen zu Tugenden motivieren könnte, die über die einer Amöbe hinausgehen.

So, nun aber genug der Zitate, sonst bekomme ich womöglich Ärger mit dem Herausgeber. Mohler hat sein Buch zweifellos ganz bewusst so geschrieben, dass Liberale es nicht nur nicht verstehen, sondern nicht einmal zu verstehen glauben, was darin steht. Das ist sehr ökonomisch; der Autor erspart sich damit die Diskussion mit den Kritisierten, die normalerweise jede Kritik zwanghaft in das Korsett ihrer eigenen Ideologie quetschen, um dann ihre Mantras herunterzubeten, weil der Kritiker ja offenkundig den Liberalismus falsch verstanden habe.

Allen Anderen sei das Buch empfohlen.