Michael Paulwitz hat in der jüngsten Ausgabe der „Jungen Freiheit“ unter dem Titel „Integration ist machbar“ einen Artikel veröffentlicht, der so durchaus auch in der FAZ, ja sogar in der „Süddeutschen“ hätte stehen können, und der, sofern er nicht einfach ein Lapsus war, darauf hindeutet, dass mit der JF das einzige halbwegs bedeutende konservative Blatt vor der Ideologie des liberalen Mainstreams in die Knie geht.
Zunächst wird uns im schönsten infantilen Gutmenschenstil der Erfolg unseres neuen Gesundheitsministers Philipp Rösler („des promovierten Mediziners vietnamesischer Abstammung“), der im Säuglingsalter von einer deutschen Familie adoptiert wurde, als Beispiel für gelungene „Integration“ verkauft. Ei der Donner! Dass man einen Deutschen (denn etwas anderes ist Rösler nie gewesen) in Deutschland „integrieren“ kann – das freilich ist ein schlagender Beweis, dass „Integration machbar ist“.
Dann bedient Paulwitz doch ein wenig die Erwartungen seiner Leser, indem er auf „NRW-Integrationsminister Armin Laschet und andere(n) Multikulti-Ideologen“ und deren „politisch korrekten Ausgrenzungsreflexen“ herumhackt. So merkt man nicht gleich, wer gemeint ist, wenn er fortfährt:
Es ist an der Zeit, Irrtümer und Denkverbote über Bord zu werfen und die Debatte über Einwanderung und Integration vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Und jetzt wird man stutzig:
Das Kernproblem besteht nicht darin, daß Einwanderung überhaupt stattfindet, sondern welche und wieviel.
Das beinhaltet bestenfalls eine Binsenweisheit, nämlich dass es hieße, leeres Stroh zu dreschen, wenn man ein Thema, hier also die Einwanderung, ohne Bezugnahme auf Qualität („welche“) und Quantität („wieviel“) diskutieren wollte. Was will er uns also mitteilen? Dass die Einwanderung von fünfhundert französischen Akademikern kein Problem wäre? Na Gott sei Dank: Endlich sagt’s mal einer!
Es versteht sich doch von selbst, dass nicht irgendwelche, sondern Masseneinwanderung problematisch ist, und auf genau die bezieht er sich, wenn er Günther Beckstein – zustimmend! – ausgerechnet mit dem Satz zitiert:
Wir brauchen mehr Einwanderer, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen.
Wenn von “brauchen“ die Rede ist, kann das nur heißen, dass wir ein Problem haben, das anders als durch Einwanderung nicht lösbar ist. Dies aber bedeutet, dass hier Einwanderung im Millionenmaßstab gemeint ist.
Die „Irrtümer und Denkverbote“, die es „über Bord zu werfen“ gilt, um „die Debatte über Einwanderung und Integration vom Kopf auf die Füße zu stellen“, sind also nicht etwa, wie suggeriert, die der Linken, sondern die der Rechten.
Einwanderung ist Realität in einer Welt, die in Handel, Politik und Kommunikation rasant zusammenwächst.
Eine „Realität“, die offenbar nicht von Menschen gemacht und daher von ihnen auch nicht zu ändern ist, sondern die als Gottheit über ihnen thront. Eine Argumentation, mit der man ebensogut die Bekämpfung des Drogenhandels oder der Kinderpornographie ablehnen könnte.
Es gibt einen weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe, dem sich die europäische Mittelmacht Deutschland nicht entziehen kann. Passiv ist die Bundesrepublik als Auswanderungsland, dem Jahr für Jahr gutausgebildete Bürger in sechsstelliger Zahl den Rücken kehren, ohnehin längst davon betroffen.
Woraus Paulwitz freilich nicht den naheliegenden Schluss zieht, dass ein Land, dem schon seine eigenen Geisteseliten davonlaufen, einfach zu unattraktiv für den „weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe“ sein könnte. Würde man dies ändern und dadurch den Abfluss von Humankapital stoppen – womöglich stellte sich heraus, dass der Import fremder Köpfe gar nicht so dringlich ist. Problematisch ist er allemal.
Da hilft es auch nicht, dass Paulwitz fordert, …
…Einwanderung endlich allein im wohlverstandenen Staatsinteresse zu steuern und dabei vorhandene und praktikable strengste Auswahlmechanismen konsequent zu nutzen:
– Durch Definition und Anwendung strikter Vorbedingungen für die Aufnahme jedes Einwanderers: gute Sprachkenntnisse, ausreichendes Vermögen, adäquate Bildung und Qualifikation, kulturelle Kompatibilität, Integrationsbereitschaft und -fähigkeit.
– Durch ein Einbürgerungsregime, das die Staatsbürgerschaft zum begehrten Gut macht, die Identifikation mit dem Staat fördert und eine voreilige Einbürgerung Integrationsunwilliger vermeidet.
Die Einwanderer sollen gebildet, intelligent, reich, europäisch und obendrein leidenschaftlich germanophil sein. Wer sind denn die zwei?
Derartige Anforderungen stempeln entweder den Artikel zum leeren Gerede, oder sie sind das Alibi, mit dem Paulwitz konservative Leser beruhigen und vor allem darüber hinwegtäuschen will, dass er hier eine prinzipiell gegen die Ideen von Nation und Nationalstaat gerichtete, globalistische Ideologie verficht.
Paulwitz fordert eine Politik im (selbstredend „wohlverstandenen“) „Staatsinteresse“, er fordert von den Einwanderern „die Identifikation mit dem Staat“, er stellt sich Deutschland „als preußisches Staatswesen“ vor, und die Einwanderer haben sich dessen „Staatsidee an(zu)passen“. Viel Staat. Wenig Volk.
Dass das Staatsinteresse nicht dasselbe ist wie das des Volkes, darüber haben uns allein im zwanzigsten Jahrhundert zwei Diktaturen belehrt, und die Bundesrepublik scheint ihren Ehrgeiz daran zu setzen, uns zu überzeugen, dass auch eine liberale Demokratie Eliten hervorbringen kann, die totalitären Zwangsvorstellungen frönen.
Von Einwanderern zu fordern, sie sollten sich mit dem Staat identifizieren, heißt im Klartext: Mit dem Volk brauchen sie sich nicht zu identifizieren; sich einer „Staatsidee“ anzupassen, ist etwas ganz anderes als sich den Normen der Einheimischen anzupassen; und ein Staatswesen, das als „preußisch“ definiert wird – man erinnere sich, dass Preußen zu gewissen Zeiten mehr polnische als deutsche Einwohner hatte – ist per definitionem eines nicht: deutsch.
Ein spezifisch preußisches Staatswesen wäre ein Vernunfts- und Prinzipienstaat, der sich für die Nationalität seiner Untertanen so wenig interessiert wie für ihren Glauben, also ein liberaler Staat, und die Identifikation mit dessen „Staatsidee“ heißt auf neudeutsch: Verfassungspatriotismus. Natürlich weiß Paulwitz, dass er den JF-Lesern mit solch Habermasschem Vokabular nicht kommen darf.
Es geht an dieser Stelle nicht darum, ob solche Ideen gut oder schlecht sind, sondern darum, dass Paulwitz dem Leser eine antinationale Ideologie (also eine Ideologie, in deren Kontext es auf die Existenz eines vorstaatlichen Solidarverbandes, also eines Volkes bzw. einer Nation nicht ankommt) unterzujubeln versucht:
Sein immergleiches rhetorisches Mittel ist, Ideen, von denen er wissen muss, dass seine Leser sie ablehnen, in eine für diese Leser akzeptable Verpackung zu wickeln; wer die Verpackung akzeptiert, schluckt dann auch den Inhalt:
Da wird also die Idee eines antinationalen Staates statt mit dem an sich angemessenen liberalen Vokabular mit scheinkonservativem Wortgeklingel („preußisches Staatswesen“) verkauft.
Auch der Gedanke „Wir brauchen mehr Einwanderer“ klingt viel annehmbarer, wenn man anhängt „die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen“.
Dass Einwanderung kein Problem sei, klingt vernünftiger durch den Zusatz „ sondern welche und wieviel“.
Dass die „vollständige Rückführung von Ausländern eine Illusion ist“, darüber dürfte tatsächlich Konsens bestehen, nicht aber darüber „daß Nulleinwanderung oder vollständige Rückführung von Ausländern eine Illusion ist“ – das ist nämlich nicht dasselbe.
Die Ansage, mit viel Girlanden umwickelt, aber deutlich genug, lautet: Wir brauchen Einwanderer, und zwar in Massen, und das ist auch kein Problem, weil der Nationalstaat ohnehin von gestern ist.
Das ist original liberaler Mainstream und wird von Paulwitz selbstverständlich genauso dürftig begründet wie von seinen gutmenschlichen Gesinnungsgenossen. Und noch einmal im Zusammenhang:
Die Realität ist aber auch, anzuerkennen, daß Nulleinwanderung oder vollständige Rückführung von Ausländern eine Illusion ist. Es kommt vielmehr darauf an, Einwanderung endlich allein im wohlverstandenen Staatsinteresse zu steuern…
Wer das liberale Dogma nicht anerkennt, ist bestenfalls ein Trottel, der nicht nur die „Realität“ nicht sieht, sondern sich auch am „wohlverstandenen Staatsinteresse“ versündigt. In vertrauten Stil der Political Correctness werden die Gegner von Masseneinwanderung vor die Alternative gestellt, ob sie sich unter die Narren oder die Staatsfeinde eingereiht sehen wollen.
Und um das Maß vollzumachen, fordert Paulwitz uns auf, „jene Einwanderer, von denen wir uns einen positiven Beitrag zu unserem Gemeinwesen erwarten…“ (wohlgemerkt: Sie müssen ihn nicht erbracht haben; die bloße Erwartung genügt schon.) „… als sorgfältig ausgewählte neue Familienmitglieder in die Nation aufzunehmen“.
Ob die das überhaupt wollen? Ich denke noch nicht einmal an so illustre Einwanderer wie Mohammed Atta, Dr. Khan oder die Kofferbomber, die sich im Westen nur das Know-how zu seiner Bekämpfung besorgt haben, während sie zugleich ihrer Herkunftskultur und vor allem -religion treu geblieben sind. Nein, ich denke durchaus an die Sorte Einwanderer, an die auch Paulwitz denkt, wenn ich die Frage stelle, wieviel Loyalität Deutschland eigentlich von jemandem erwarten kann, der sich schon seinem Herkunftsland gegenüber illoyal gezeigt hat. Will der wirklich in unsere „Familie“ aufgenommen werden? Diese Leute kommen doch nicht aus Liebe zu Deutschland hierher, sondern weil und wenn ihnen hier ein guter Job angeboten wird; und sie verschwinden, wenn sich anderswo etwas besseres findet.
Was hier in Rede steht, ist ein gigantisches globales Elitenkarussel, das längst in Gang gekommen ist und jetzt schon dazu führt, dass Loyalität einem Land oder einem Volk gegenüber von einer gewissen sozialen Schicht aufwärts als Marotte verschrobener Hinterwäldler gilt. Wer dieses Karussel auch noch antreiben will, trägt seinen Teil dazu bei, eine global operierende Klasse von Menschen zu schaffen, die allenfalls dieser Klasse und ihrer Ideologie treu und dabei jederzeit zum Klassenkampf von oben bereit sind: gegen eine um ihre Existenz kämpfende, entwürdigte Mittelschicht und gegen das Heer der vielen Überflüssigen in den künftigen europäischen Slums.