Zu den deprimierendsten Aspekten des Lebens im politisch korrekten Europa gehört, dass es nicht mehr möglich ist, eine Satire zu schreiben, die nicht in kürzester Zeit von der Wirklichkeit übertroffen würde. Das, was sich zur Zeit in Amsterdam abspielt, hätte wohl niemand auch nur als Satire zu schreiben gewagt; ich versichere aber, dass es sich weder um eine Satire noch um einen verfrühten Aprilscherz handelt:
Wie aus einem Artikel in Welt-online hervorgeht, sollen in Amsterdam künftig Bürger, die sich Ausländern oder Homosexuellen gegenüber „feindlich“ verhalten, per Ukas der Stadtverwaltung (nicht etwa durch Gerichtsbeschluss) ihrer Wohnungen verwiesen und in Container oder Baracken zwangseingewiesen werden. Diesen Plan hat der sozialdemokratische Bürgermeister Eberhard van der Laan gemeinsam mit Linken, Grünen und Liberalen – man staunt immer wieder, was sich heutzutage alles „liberal“ nennt – durchgesetzt. Voraussetzung dafür soll ausdrücklich nicht sein, dass die Betroffenen sich – und sei es auch nur geringfügig – strafbar gemacht haben. Zwar führt die Stadt als Beispiel Personen an, die Autos von Migranten beschädigen oder Lesben beleidigen, also Straftaten begehen; der Beschluss geht aber weit über diesen Personenkreis hinaus, sodass man davon ausgehen kann, dass diese Beispiele nur aus propagandistischen Gründen vorgeschoben werden. Potenziell betroffen ist in Wahrheit Jeder, der mit ausländischen oder homosexuellen Nachbarn in Konflikt gerät. Sofern es sich bei den Betroffenen um Jugendliche handelt, werden deren Familien mit umgesiedelt, findet also Sippenhaft statt.
Wie aber jeder Großstadtbewohner weiß, sind solche Konflikte dort an der Tagesordnung, wo Menschen mit – um es ganz neutral zu formulieren – kulturell bedingt unterschiedlichen Vorstellungen von adäquatem Sozialverhalten auf engem Raum zusammenleben. (Einige Beispiele aus meinem persönlichen Umfeld habe ich vor einiger Zeit in meinem Artikel „Was tun?“ beschrieben.) Wenn aber in Zukunft in Amsterdam ein Marokkaner und ein Holländer in ganz normalen Nachbarschaftsstreitigkeiten aneinandergeraten, dann hängt die Drohung, die Wohnung zu verlieren, als Damoklesschwert ausschließlich über dem Holländer. Das vorhersehbare – und daher zweifellos auch beabsichtigte – Ergebnis wird sein, dass Holländer selbst dann klein beigeben, wenn das Verhalten ihrer Nachbarn unerträglich ist. Sie werden zur Unterwerfung unter fremde, im Zweifel muslimische, Sozialnormen gezwungen.
Und wer sich nicht unterwirft und der von städtischer Seite geäußerten Aufforderung, sein Verhalten zu ändern, nicht nachkommt, wird deportiert, zunächst für sechs Monate, aber ohne die Möglichkeit einer Rückkehr, selbst wenn er der Eigentümer des Hauses ist, aus dem er zwangsweise ausgewiesen wurde. Während er in den Container verbannt ist, werden – nein, auch das ist kein Witz! – Sozialarbeiter auf ihn losgelassen, und zwar zum Zwecke der Umerziehung.
Hier werden also zwei Klassen von Menschen definiert, die unterschiedliche Rechte haben, und dies auf der Basis ethnischer Zugehörigkeit. Es handelt sich also im präzisesten Sinne des Wortes um rechtsförmig kodifizierten Rassismus, auf dessen Basis Holländer in ihrem eigenen Land zu Menschen minderen Rechts erklärt werden. Ein solches „Recht“ zeigt deutliche Analogien zu den mittelalterlichen Dhimmi-Verträgen, die von islamischen Eroberern den unterworfenen Völkern aufgezwungen wurden, und zu deren Bestimmungen regelmäßig gehörte, dass Nichtmuslime, die sich Muslimen gegenüber nicht hinreichend unterwürfig zeigten, zu bestrafen waren. Eine weitere Parallele besteht zu einschlägigen Normen der nationalsozialistischen Gesetze:
Die Deportation von nonkonform sich verhaltenden Bürgern bedeutet deren teilweise Absonderung von der übrigen Gesellschaft und den zumindest symbolischen Ausschluss aus ihr, und dies ohne gesetzliche Grundlage und durch einen administrativen Willkürakt. Hier kann also durch einen Federstrich des Bürgermeisters in die Rechte mißliebiger Bürger eingegriffen werden. Freilich nur, sofern sie einer bestimmten ethnischen Gruppe angehören, nämlich einheimische Holländer sind. Es ist nicht zu erkennen, aufgrund welcher Norm man solcher Willkür, wenn sie einmal akzeptiert ist, Einhalt gebieten und wo ihre Grenzen verlaufen sollen. Anders gesagt: In einem Staat, in dem Menschen willkürlich in Container eingewiesen können, können sie auffrund derselben Logik auch in Konzentrationslager eingewiesen werden, und in einem Staat, in dem der Anspruch auf rechtliche Gleichbehandlung, Freizügigkeit, Handlungsfreiheit, Menschenwürde und Meinungsfreiheit willkürlich kassiert werden kann, steht über kurz oder lang auch das Recht auf Leben zur Disposition.
Als Deutscher möchte man sich damit trösten, dass „so etwas bei uns nicht möglich“ wäre, weil die Justiz es verhindern würde, und bis zum Beweis des Gegenteils möchte ich dies auch gerne glauben.
Das bedeutet freilich nicht, dass es nicht auch bei uns Manchen gibt, der es gutheißen würden, wenn ein solcher „Schikane“-Ansatz (wie er offiziell und verniedlichend genannt wird – „Terror-Ansatz“ wäre passender) auch bei uns praktiziert würde, und der sie gerne erniedrigt sehen möchte, die verdammten Deutschen, die ihren Augen trauen statt den Reden der Politiker und den Phrasen der Leitartikler; der denjenigen gedemütigt sehen möchte, der sich weigert zu glauben, was eine zweitklassige Journaille ihn glauben heißt.
Zu den Menschen, die so etwas offenbar gerne sähen, gehört auch ein gewisser Tim Röhn, aus dessen Artikel in Welt-online der sachliche Gehalt der oben genannten Informationen stammt. Freilich kommt er nicht auf den Gedanken, dass an solchen Praktiken irgendetwas kritisierenswert sein könnte. Vielmehr ist der Artikel ein so beredtes Beispiel für die Bösartigkeit des etabliertes Medienbetriebes, dass er ein kurze Würdigung verdient:
Schon die Überschrift
Amsterdam siedelt Schwulenhasser aus
lässt erkennen, dass der Verfasser von der Intelligenz seiner Leser keine hohe Meinung hat: Jedes Kind weiß, dass es bei 99 % aller Konflikte nicht um Schwule, sondern um Ausländer geht. Bezeichnend ist freilich der Gebrauch des Wortes „Aussiedlung“, der normalerweise im Zusammenhang mit ethnischen Säuberungen verwendet wird und insofern die Zustimmung des Autors zu einschlägigen Praktiken erkennen lässt – sofern es nur „die Richtigen“ trifft. Konflikte mit Schwulen sind höchstens ein Nebenaspekt – allerdings ein bezeichnender: Offenbar haben rührige Schwulenaktivisten begriffen, dass auch ihre Klientel – zusammen mit den übrigen Holländern – in die Kategorie der Menschen zweiter Klasse eingeordnet würde, wenn es für sie keine Extrawurst gäbe. Nur Heterosexuelle sollen sich unterwerfen, und wenn Konflikte mit Schwulen auch seltener sind, so kann ich doch als Berliner bestätigen, dass Belästigungen und Beleidigungen durch Homosexuelle zwar noch nicht alltäglich, aber auch nicht gerade selten sind, die Norm also nicht nur theoretischer Natur ist.
Dann die Einleitung: Amsterdam will
ein Zeichen gegen Intoleranz setzen
Erinnert sich noch jemand an die seligen Zeiten, in denen es als guter journalistischer Stil galt, abgedroschene Phrasen zu meiden? Heute ist die Phrase so allgegenwärtig geworden, wie sie es einst in der DDR war. Bestanden Artikel des Neuen Deutschland damals vorzugsweise aus Formulierungen wie „die führende Rolle der Partei“ oder „die Verwirklichung der Beschlüsse des XI. Parteitags“, so werden heute unentwegt „Zeichen gesetzt“, vorzugsweise „gegen Intoleranz“. Ich glaube nicht, dass man mehr als drei Dutzend Phrasen dieser Art beherrschen muss, um in einem deutschen Massenmedium des Jahres 2013 einen Artikel zu platzieren. Dies ist nicht Zufall, sondern Notwendigkeit:
Propaganda verliert zwar an Durchschlagskraft, wen sie in Gestalt von Phrasen artikuliert wird; wenn sie aber flächendeckend stattfinden soll, und wenn es zudem darum geht, eine Botschaft zu verbreiten, die in keinem Bezug zur Wirklichkeit steht, dann wird die Phrase unausweichlich. Journalisten, die stilistisch glänzen, die Phrase meiden und treffende Ausdrücke verwenden wollten, müssten sich über ihr Thema Gedanken machen, und darin liegt auch dann eine Gefahr, wenn diese Gedanken zunächst konform sind: Wenn sich jemand seine Meinung nämlich aufgrund von Argumenten bildet, dann besteht keine Gewähr dafür, dass er nicht irgendwann aufgrund anderer Argumente zu einer anderen Meinung gelangt. Guter Stil ist per se ein Indiz für einen Hang zum Nonkonformismus, und wer in diesen Verdacht nicht geraten möchte, muss zur Phrase greifen. Dass der Schreiber sich zu diesem Zweck öffentlich selbst erniedrigen muss, da er ja vor hunderttausenden von Lesern den Eindruck erwecken muss, er habe mangels eigener Gedanken nichts zu sagen, wird zumindest den Schreiber nicht beunruhigen, der in der Tat nichts zu sagen hat.
(„Zeichen setzen“? Wir sprechen hier von einem Akt, bei dem in brutaler und erniedrigender Weise willkürlich in das privateste Leben von Bürgern eigegriffen wird. Dies mit der Formulierung zu umschreiben, hier werde „ein Zeichen gesetzt“, ist ungefähr so, als hätte das Neue Deutschland über die Stasi mit den Worten berichtet „Der Minister für Staatssicherheit, Genosse Erich Mielke, setzte ein Zeichen gegen die Konterrevolution“. Zu den unerträglichsten Aspekten der Sprache aus dem Wörterbuch des Gutmenschen gehört der Kontrast zwischen dem süßlich-betulichen Stil und der Brutalität der darin berichteten Sachverhalte.)
Wenn der Autor dann noch verpflichtet ist, eine Botschaft zu senden, die in keinem Bezug zur Wirklichkeit steht, dann ist es gar nicht möglich, zu alternativen Formulierungen zu greifen, einfach, weil es den Sachverhalt, der alternativ zu formulieren wäre, nicht gibt. Die Rede von der „Intoleranz“ ist absurd, wenn sie sich auf Konflikte bezieht, die unvermeidlich sind, wenn man Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammensperrt. Sie ist die notwendige, weil ideologisch einzig mögliche Umschreibung für das Scheitern dieser Politik, die man sich nur insofern eingestehen kann, als man die Schuld dafür bei anderer Leute „Intoleranz“ sucht und nicht in der grotesken Weltfremdheit der eigenen Ideologie. Entsprechendes gilt für das Wort „Hasser“, das von Schreibern dieses geistigen Zuschnitts offenbar umso inflationärer verwendet wird, je mehr Mühe sie haben, ihren eigenen Hass auf ihre Mitbürger zu bemänteln.
Da versteht es sich von selbst, dass Nachbarschaftskonflikte dieser Art vor allem „zwischen Rassisten und Migranten“ vorkommen – die Holländer sind ja auch weltbekannt für ihren fanatischen Rassimus -, wobei es friedliche Bürger, die sich gegen Zumutungen wehren, offenbar nicht gibt. Es gibt nur Rassisten, und die
tyrannisieren
Migranten und setzen sie
Schikanen
aus, weswegen Amsterdam nun
den Spieß umdreht
um der allgegenwärtigen
Homosexuellen- und Ausländerhasser, die andere einschüchtern, belästigen und bedrohen und auch dann nicht aufhören, wenn man sie eindringlich dazu ermahnt
Herr zu werden.
Könnte es womöglich sein, dass gewisse andere Gruppen sehr wohl, und dies täglich, „andere einschüchtern, belästigen und bedrohen und auch dann nicht aufhören, wenn man sie eindringlich dazu ermahnt“? Nein, das kann nicht sein. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf. Nur Einheimische muss man
zur Besinnung bringen
und zu diesem Zweck wird schon einmal intensiv
Ausschau gehalten nach Störern
Merkwürdig: Wenn diese
Übeltäter
doch so allgegenwärtig sind, wieso muss man dann angestrengt nach ihnen „Ausschau halten“? (Also, ich müsste nach gewissen „Übeltätern“ aus gewissen anderen Gruppen nicht groß „Ausschau halten“, weil sie allgegenwärtig sind.)
Am Ende macht sich Röhn – dem das alles offenbar noch nicht hinreichend repressiv ist – noch Gedanken, wie man das System vervollständigen könnte.
Ob sie auch auf dem Weg zur Arbeit oder in ihrer Freizeit [von Sicherheitskräften] beobachtet werden, steht noch nicht fest. Die Befürworter meinen, das könne ja nicht verkehrt sein.
Kein einziges Wort in dem ganzen Artikel deutet darauf hin, dass der Autor die geplanten Maßnahmen irgendwie rechtsstaatlich bedenklich finden könnte – halt, eines schon: Der Autor beeilt sich zu versichern, der Bürgermeister sei selbstverständlich kein „Rechtspopulist“ (Ei der Donner, da staunen wir aber!),
wie er u.a. im Oktober 2012 bewies, als er sich öffentlich das Buch „Roma“, eine Geschichte der Roma und Sinti in den Niederlanden, des Autors Kemal Rijken übergeben ließ
Er ist also ein zuverlässiger Sachwalter aller Interessen, die nicht die seines eigenen Volkes sind. Wäre er – so muss man den Autor wohl verstehen – ein „Rechtspopulist“ und seine Maßnahmen nicht gegen Holländer und Heterosexuelle gerichtet, dann – ja, dann läge der Fall ganz anders. Dann würde er ja die Interessen von Menschen vertreten, die nach Auffassung des Autors von Rechts wegen unterworfen gehören, und die sich ihr Recht, in dem Land ihrer Vorfahren in ihrem eigenen Haus zu leben, daher durch Wohlverhalten verdienen müssen.
Man sollte sich nicht zu lange mit dem Autor und seinem Charkter aufhalten, der bei der Welt kaum mehr als ein kleines Redaktionslicht sein dürfte. Sebastian Haffner hat einmal geschrieben, dass man den Charakter eines Regimes am besten am Charakter der Menschen erkennt, die ihm dienen und sich in ihm wohlfühlen. Die DDR hatte ihre Röhns, die heutige BRD hat sie ebenfalls, und aus denselben Gründen: Bei beiden handelt es sich, um mich selber zu zitieren, um
ein Regime, das aus ideologischer Verblendung lernunfähig ist,
das deswegen darauf angewiesen ist, die aus seiner eigenen Unfähigkeit und Verblendung resultierenden Krisen und Probleme seinen Kritikern in die Schuhe zu schieben,
das die Wahrheit nicht auf seiner Seite hat und es sich deshalb nicht leisten kann, Kritik mit Argumenten zu beantworten,
und das deswegen von Propaganda, Lügen und Repression abhängig ist wie ein Drogensüchtiger von seiner Spritze.
Verantwortlich für das, was in der Welt und deren Netzausgabe steht, ist außerdem nicht der Redakteur, sondern sein Arbeitgeber, also der Springer-Konzern, und wir können angesichts der langen Tradition interner politischer Kontrolle gerade in diesem Hause ganz sicher sein, dass dort nichts erscheint, was nicht erscheinen soll. Solche Artikel erscheinen nicht zufällig. Sie erscheinen, weil der Konzern – wie die übrige Mainstreampresse – eine politische Agenda verfolgt, die die Interessen der großen Mehrheit systematisch delegitimiert, um ihrer Verdrängung propagandistisch den Weg zu bereiten.
[siehe zum selben Thema Martin Lichtmesz‘ Artikel in der Sezession]