Schand-Blatt: BZ verhöhnt Meinungsfreiheit

Wenn ehemalige NVA-Generäle ein Buch unter dem Titel „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“ unter die Leute bringen, dann erwartet niemand eine Sternstunde der Geschichtsschreibung. Man müsste schon sehr durch die kommunistische Brille sehen, um diese These der Herren Keßler und Streletz ohne kritische Einwände zu schlucken.

Es stimmt zwar, dass der Kalte Friede zwischen den Supermächten jahrzehntelang auf der gegenseitigen Anerkennung der jeweiligen Einflusssphären beruhte. Hart ausgedrückt: Er beruhte auf der Teilung Europas. Und es stimmt, dass die Instabilität der DDR gleichbedeutend war mit der Instabilität des gesamten internationalen Systems. Richtig ist aber eben auch, dass die DDR nur deshalb instabil war, weil sie ihren eigenen Bürgern nichts zu bieten hatte (jedenfalls nichts Positives), deshalb von ihnen abgelehnt wurde und zusammengebrochen wäre, wenn sie sie nicht eingesperrt hätte. Es gehört schon Einiges an selbstgerechter Borniertheit dazu, wenn führende DDR-Militärs es fertigbringen, diesen Sachverhalt noch 2011 auszublenden und die Mauer als Friedenswerk anzupreisen.

Ich hätte diese kuriose Mischung aus Stalinismus und Altersstarrsinn nicht weiter erwähnenswert gefunden, wenn nicht das Springer-Blatt BZ zu dem Vorgang die Schlagzeile gedichtet hätte:

Schand-Buch: Neues Buch verhöhnt Mauer-Opfer

Da werde ich nämlich empfindlich. Es ist eine Sache, die Thesen der Autoren mit den oben genannten (oder auch anderen) Argumenten abzulehnen. Eine ganz andere Sache ist es, sie als unmoralisch zu brandmarken. Was bedeutet denn das, zu schreiben, dass hier ein „Schand-Buch“ die „Opfer verhöhnt“? Das bedeutet, dass man den Verantwortlichen des Regimes, die schließlich öffentlich massiv kritisiert werden, geradezu einen Strick daraus dreht, dass sie es überhaupt wagen, sich öffentlich zu rechtfertigen und ihre Sicht der Dinge zu erläutern. Das ist aber ihr gutes Recht!

Es bedeutet sogar noch mehr: nämlich zu propagieren, dass die Meinungsfreiheit nur noch für Positionen gilt, durch die sich niemand „verhöhnt“ fühlen kann, schon gar kein „Opfer“; dass es nicht darauf ankommt, ob eine Meinung richtig oder falsch ist (was man durch den Gebrauch von Argumenten dokumentieren könnte), sondern ob sie aus der Sicht von (womöglich nur indirekt) Betroffenen überhaupt geäußert werden darf; dass der öffentliche Diskurs von Gefühlen gesteuert werden soll (die ihrerseits leicht steuerbar sind); dass bestimmte Positionen nicht toleriert werden sollen.

Solcher Journalismus sieht im Leser ein zu manipulierendes Opfer, und dies ist – in der Tat – eine Verhöhnung.

Klammheimlich: Hannah-Arendt-Institut verlagert Schwerpunkt von SED- auf NS-Diktatur

Thorsten Hinz weist in der JF unter dem Titel „Ein Institut wird umgekrempelt“ auf den Schwenk des Hannah-Arendt-Instituts hin:

Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden wurde 1993 gegründet. Die Erinnerung an die DDR war damals noch frisch und das Pathos der Umbruchzeit lebendig. Das erlaubte es, die Doppelerfahrung von Nationalsozialismus und Kommunismus, dieses bittere Privileg der DDR-Bürger, zum Ausgangspunkt der historischen Forschung zu machen. Zur Geschichts- und Wissenschaftspolitik der Bundesrepublik, die neben Hitler keine anderen Götter duldet, stand das Institut von Anfang an schräg, wenn nicht quer.

Da es in der gleichgeschalteten deutschen Bewältigungslandschaft nichts geben darf, was schräg oder gar quer steht, wird jetzt nach Loriots Motto „Das Bild hängt schief“ die Geschichte geradegerückt:

Dresden. Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) verordnet sich einen neuen wissenschaftlichen Schwerpunkt. „Ich habe einen Richtungswechsel veranlasst – hin zur NS-Geschichte“, sagte Direktor Günther Heydemann der Wochenzeitung „Die Zeit“. Bislang erforschte das 1993 gegründete Institut vor allem die SED-Herrschaft in der DDR. Auf dem Gebiet habe sich aber eine gewisse Sättigung eingestellt. „Die Strukturen der SED-Herrschaft liegen weitgehend offen, und auch in der Alltags- und Sozialgeschichte sehe ich kaum noch Lücken“, sagte Heydemann. Der Schwerpunkt liege deswegen künftig auf dem „Nationalsozialismus in Sachsen“, mithin auf regionaler NS-Geschichte.

Sächsische Zeitung [online] – Sachsen: Hannah-Arendt-Institut verlagert Schwerpunkt von SED- auf NS-Diktatur.

Ist man beim Hannah-Arendt-Institut allen Ernstes der Meinung, beim Thema „NS-Geschichte“ habe sich nicht „eine gewisse Sättigung eingestellt“? Glaubt man dort wirklich, das Thema „DDR“ sei schon erschöpfend bearbeitet?

„Eine gewisse Sättigung“ – was wäre dies für ein schöner Euphemismus für den Brechreiz, der sich angesichts der allgegenwärtigen klischeegesättigten Geschichtspropaganda einstellt.

Was wäre denn die Folge, wenn die DDR-Vergangenheit, wenn das SED-Regime in ähnlicher Weise vergegenwärtigt würde wie das NS-Regime?

Die Folge wäre, dass die Sensibilität für totalitäre Ideologien und Strukturen geschärft würde. Die Folge wäre, dass man hellhörig würde, wenn Journalisten einen „Erziehungsauftrag der Partei(en)“ postulieren; dass man sich fragen würde, wie es um die Liberalität eines Staates bestellt ist, der seine Bürger mit erzieherischer Propaganda überschwemmt; dass man stutzig würde, wenn Nonkonformisten als Phobiker, sprich als Geisteskranke und ihre Meinungen als Gedankenverbrechen abgestempelt werden; dass die Menschen sich womöglich über einen Staat wundern würden, dessen Armee im Dienste der Ewigen Waffenbrüderschaft mit einer Supermacht steht statt im Dienste der nationalen Sicherheit; dass man sich verbitten würde, die eigene Souveränität nebst vielen Milliarden Euro einer „Union“ aus Bruderstaaten zu schenken; dass man darüber nachdenken würde, warum angeblich demokratische Organisationen mit Anhängern just der Ideologie zusammenarbeiten, auf der die DDR gegründet war, und sogar mit der SED selbst; dass man auf die Idee kommen könnte, Sozialismus habe etwas mit Totalitarismus zu tun; dass Dutzende von Phrasen und Schlagwörtern – von der „Diversity“ bis zu „Wertegemeinschaft“ – womöglich kritisch hinterfragt würden. Dass auf dem Weg in die Selbstzerstörung plötzlich Hindernisse auftauchen würden.

Damit dies nicht geschieht, wird ein Hannah-Arendt-Institut bei Nacht und Nebel umgedreht.

Beschäftigen wir uns also mit den Problemen der dreißiger Jahre, damit wir die heutigen erst wahrnehmen, wenn es zu spät ist. „Erforschen“ wir die bis zum Erbrechen durchgekaute Geschichte des Nationalsozialismus noch ein bisschen genauer (Thorsten Hinz: „Was ist zum Beispiel dran an dem Gerücht, daß die Frisuren für den Hund der Hitler-Geliebten Eva Braun in einem Dresdner Haarstudio kreiert wurden? Das Hannah-Arendt-Institut wird uns bald darüber aufklären.“), damit wir auch weiterhin das am wenigsten rassistische Land der Welt mit Propagandaplakaten „gegen Rassismus“ zukleben können; damit in einem Land, dessen Armee sich vor einem Parlament von hysterischen Kindergärtnerinnen für jeden abgefeuerten Schuss entschuldigen muss, der „Militarismus“ bekämpft wird; damit den verachteten und getretenen „deutschen Kartoffeln“ ihre „Fremdenfeindlichkeit“ ausgetrieben wird.

Der Aufstieg Angela Merkels …

… von der politischen Quereinsteigerin aus der ehemaligen DDR zur Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland wirft noch immer viele Fragen auf …

… schreibt Hinrich Rohbohm (der wegen seiner Tätigkeit für die Junge Freiheit aus der CDU gemobbt wurde)  in der aktuellen Ausgabe des Blattes. Die Fakten, die er über Merkels DDR-Biographie zusammenträgt, sind zwar teilweise schon bekannt, in dieser Dichte aber brisanter als das meiste, was ich bisher darüber gelesen habe (dass die vielzitierte „IM Erika“ mehr sein könnte als eine Romanfigur, ist bis jetzt nicht schlüssig bewiesen worden).

Mit dem Artikel „Die schwarze Genossin“ beginnt die Junge Freiheit eine mehrteilige Serie „Angela Merkel – Porträt einer Machtpolitikerin“. Darin heißt es unter anderem:

Der 16.000-Seelen-Ort Templin ist seit 2005 „Kanzlerinstadt“. Viele wissen das hier. Viele wissen auch, dass Merkels Eltern hier leben. Horst und Herlind Kasner (…)

Ganz ungezwungen reden die Templiner über Horst Kasner. „Ein bodenständiger, umgänglicher Typ“, beschreibt ihn einer der Nachbarn. Doch in Bezug auf die Vergangenheit der Kanzlerin reagieren Bekannte und Weggefährten nahezu panisch. Nur wenige wagen sich aus der Deckung. „Sie waren schon linientreu“, erinnert sich ein … Rentner an die Kasners, der ein paar Straßen weiter wohnt.

(…)

Vor allem einer wirkte weitaus politischer als gemeinhin bekannt: Horst Kasner. Der Vater der Kanzlerin hatte seine Tochter entscheidend geprägt. Nur wenige Wochen nach Merkels Geburt ging er mit seiner Familie 1954 freiwillig als Pfarrer von Hamburg in die DDR. Als Leiter des Pastoralkollegs, einer kirchlichen Weiterbildungsstelle, betrieb der in der DDR als „Roter Kasner“ bekannte Mann nicht nur die Ausbildung angehender Pastoren, sondern auch eine äußerst SED-konforme Kirchenpolitik. Gemeinsam mit dem ehemaligen Stasi-Mitarbeiter und einflußreichen Funktionär in der DDR-CDU, Clemens de Maizière hatte er die Spaltung der evangelischen Kirche betrieben. Clemens de Maizière ist der Vater des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, der laut Spiegel als IM Czerny ebenfalls für die Stasi tätig gewesen war. Auch zu Lothar de Maizière selbst pflegte Kasner Kontakte.

Zudem war er in leitender Funktion Mitglied im Stasi-gelenkten Weißenseer Arbeitskreis, einem Zusammenschluß linker Theologen, der als verlängerter Arm der SED in der Kirchensynode galt.

Darüber hinaus gehörte der heute 84jährige der Christlichen Friedenskonferenz an, einer aus Moskau gesteuerten kommunistischen Tarnorganisation, der auch sein Förderer Albrecht Schönherr angehörte, der ihm den Posten des Pastoralkolleg-Leiters verschafft hatte. Nach Angaben des Merkel-Biographen Gerd Langguth lehnte Kasner neben der Wiedervereinigung  auch die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland und die westdeutsche CDU ab.

Die Kasners genießen zu DDR-Zeiten Privilegien. Zwei Autos stehen ihnen zur Verfügung, ein Privatfahrzeug, ein Dienstwagen. Westreisen sind der Familie gestattet. Mehrmals darf Merkel in die Bundesrepublik reisen. Ihr Vater hatte 1974 und 1975 Italien besucht. Bei einem Diavortrag in Templin hatte er angemerkt, daß nur die Kommunistische Partei Italiens (KPI) gemeinsam mit anderen fortschrittlichen Kräften das Land aus dem Elend retten könne.

Die Freundin einer Mitschülerin an der Erweiterten Oberschule von Templin hat die heutige CDU-Chefin noch als „linientreue Marxistin“ in Erinnerung, die innerhalb ihrer Klasse eine führende Position innehatte. Eine Studentin, die Merkel von der Karl-Marx-Universität in Leipzig kannte, erinnert sich an „eine überzeugte Kommunistin, die ihre Klassenkameraden auf Linie gebracht“ haben soll. Und eine ehemalige Nachbarin der Kasners deutete auf einem KLassentreffen ihrem Schulfreund an, Merkel habe in der DDR „die Fahne hoch getragen“.

Für ihre Promotionsarbeit mußte Merkel – wie in der DDR üblich – auch eine Abschlußarbeit zur kommunistischen Ideologie anfertigen. Merkel hatte ihre Promotionsnoten zunächst geheimhalten wollen. Doch der Spiegel hatte mit Erfolg auf Aktenauskunft geklagt. Resultat: Die Kanzlerin soll in Marxismus-Leninismus lediglich ein „genügend“ erhalten haben, während ihre Physik-Leistung sehr gut war. Überprüfbar ist das nicht. Die Arbeit gilt als verschollen. Eine Kopie habe sie nicht, sagt Merkel selbst dazu.

Ein Akademie-Mitarbeiter hingegen hat anderes in Erinnerung. Demnach habe Merkel ein reges Interesse am Marxismus-Leninismus gezeigt. Wegbegleiter halten ihr eine Nähe zum SED-Regime vor. Hinzu kommt, daß die Kanzlerin an der Akademie der Wissenschaften zum Leitungskreis der FDJ gehörte und als Sekretärin für Agitation und Propaganda gewirkt hatte. Ihre Zuständigkeiten: Politische Bildung und die Vermittlung von Marxismus-Leninismus.

Merkel selbst sagt, sie habe in der FDJ lediglich Kulturarbeit betrieben, Theaterkarten besorgt. Bei ihrem damaligen Gruppenleiter Hans-Jörg Osten hört sich das anders an. Demnach sei sie an der Akademie als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda tätig gewesen. Zwar könne er sich nicht mehr an die genaue  Bezeichnung erinnern. Dem Sinn nach sei es jedoch genau diese Tätigkeit gewesen. Überprüfbar ist auch das nicht. Die FDJ-Unterlagen sind ebenfalls verschwunden.

In der Wendezeit schließt sich Merkel, die ursprünglich mit der SPD sympathisierte, dem Demokratischen Aufbruch an. Sie wird Pressesprecherin des Vorsitzenden Wolfgang Schnur. Ein Mann, der zu DDR-Zeiten eng mit Horst Kasner zusammenarbeitete. Und der als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit enttarnt werden sollte.

Als … die CDU als Sieger aus der ersten freien DDR-Volkskammerwahl hervorgeht, wendet sich Merkel der Union zu. Sie wird stellvertretende Regierungssprecherin. Berufen von jenem Mann, dessen Vater zu DDR-Zeiten ebenfalls eng mit Horst Kasner zusammenarbeitete: Lothar de Maizière. Heute betreibt de Maizière eine Anwaltskanzlei gegenüber vom Pergamon-Museum in Berlin. Die Bewohnerin im Stockwerk über ihm ist heute Bundeskanzlerin.

Auf die Fortsetzung darf man wohl gespannt sein.

 

Der Januskopf

Wenn man das Aufbegehren der Massen in der islamischen Welt betrachtet, das von Tunesien ausging und nun auch Ägypten und den Jemen erreicht hat, dann fällt es schwer, sich nicht an die Vorgänge 1989 in Europa erinnert zu fühlen. Erst recht fällt es schwer, mit den Aufständischen nicht zu sympathisieren, zumal wenn man einen Blick auf die Regime wirft, gegen die der Aufstand sich richtet.

Trotzdem gestehe ich, dass ich diese Vorgänge nicht ohne Unbehagen sehe, und wenn ich mich auch nicht kompetent fühle, den aktuellen Stand der Innenpolitik Ägyptens oder gar Tunesiens oder des Jemen kompetent zu analysieren – ein paar skeptische Anmerkungen möchte ich doch anbringen:

Jede Revolution hat etwas Janusköpfiges: Die großen, klassischen Volksrevolutionen der letzten 200 Jahre gingen stets von den Mittelschichten aus, die eine gemäßigte Reform-Agenda verfolgten und mehr oder minder hochherzige Ideen im Auge hatten. Diese Kräfte, die die Revolution begannen, waren aber fast nie diejenigen, die sie auch beendeten und von ihrem Sieg profitierten.

Sofern die Revolution nicht auf halbem Wege stehen blieb und in die Restauration des ancien régime mündete, wie 1848 in Deutschland; sofern also die alten Gewalten effektiv entmachtet wurden, fiel die Macht stets demjenigen zu, dessen Parole die Massen elektrisierte, die oft ganz anders dachten als die Initiatoren aus den Mittelschichten:

In Frankreich begann die Revolution mit dem Ziel, die Macht des Königs durch eine Verfassung zu bändigen. Sie mündete in die Terrorherrschaft der Jakobiner, weil die Jakobiner mit dem Schlachtruf „Égalité!“ den Mob von Paris auf ihre Seite brachten.

In Russland wurde alles, was liberal und gemäßigt links war, von den Bolschewiki beiseite geschoben, die den Arbeitern wie den Bauern alles versprachen, was sie haben wollten.

In der DDR wollte die Oppositionsbewegung mehr Freiheit, die Massen wollten die D-Mark. Ich kritisiere das nicht, ich weise nur darauf hin, dass die Macht, wenn die Dinge einmal in Bewegung gekommen sind, am Ende dem zufällt, der die tiefsten Wünsche der Massen artikuliert. In der DDR war es der Wunsch nach Teilhabe am westlichen Wohlstand. Die Macht fiel Helmut Kohl zu, weil er das begriff.

Die islamische Revolution im Iran als bisher einzige Volksrevolution in der islamischen Welt begann als breites Bündnis von Schah-Gegnern aller politischen Schattierungen und endete mit der Herrschaft der schiitischen Islamisten, die ihre früheren Verbündeten abschlachteten; die Forderung nach dem islamischen Staat war einfach populärer als die westlich geprägten Entwürfe liberaler oder marxistischer Gruppen, die alle wie bloße Varianten einer westlichen Fremdherrschaft aussahen und in dieser Hinsicht mehr mit dem Schah als mit den Volksmassen gemein hatten, freilich ohne es zu wissen.

Es ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dass in Ägypten (Tunesien und den Jemen lasse ich einmal beiseite) die Muslimbruderschaft als die populärste, bestorganisierte, und meistrespektierte Organisation der ägyptischen Opposition die lachenden Erben des Mubarak-Regimes sein wird, die damit die Früchte von Jahrzehnten zäher Arbeit ernten würde. Ähnliches ist in Tunesien oder dem Jemen (oder weiteren arabischen Ländern) zumindest vorstellbar.

Das muss nicht so kommen – es ist immer noch möglich, dass das Regime an der Macht bleibt. (Ich sage das mit der Erfahrung dessen, der seit zehn Jahren den Zusammenbruch des iranischen Regimes vorhersagt.) Nehmen wir aber an, das Regime würde stürzen: Welche Parole wäre zugkräftig genug, die Massen davon abzuhalten, die Muslimbrüder oder vergleichbare Machthaber zu unterstützen?

Ich sehe nur eine, nämlich eine, die den Slogans der französischen und russischen Revolution oder auch dem D-Mark-Versprechen der ostdeutschen Revolution analog wäre, und die darauf hinausliefe, dem Volk den Zugang zu westlichem Wohlstand in Aussicht zu stellen.

Ein arabischer Revolutionär, der seinem Land die Herrschaft von Islamisten ersparen wollte, käme gar nicht darum herum, seinem Volk als Belohnung für einen mehr oder weniger liberal-demokratischen Weg einen erleichterten Zugang nach Europa in Aussicht zu stellen. Und das ist nicht etwa ein Hirngespinst:

Der tunesische Oppositionspolitiker Moncef Marzouki erwartet nach der tunesischen Revolution einen „Frühling der Demokratie“ im Nahen Osten, in dem autoritäre Regierungen abgelöst werden. „Und das straft alle diejenigen in Europa Lügen, die immer behauptet haben, die Demokratie, das sei nichts für die Araber“, sagte der kürzlich nach zehn Jahren im französischen Exil nach Tunesien zurückgekehrte Menschenrechtsaktivist und Politiker am Freitag in einem Interview des Deutschlandfunks.

(…)

„Unser Platz ist der euro-mediterrane Raum. Für den Westen ist es einfacher, mit Demokraten zu kooperieren.“

(Quelle: focus.de)

Im Klartext: „Wenn wir Demokratie spielen,sind wir Teil des euro-mediterranen Raumes“, und dass dieser Raum grenzenlos ist, wird man uns Europäern schon noch beibringen. Eine solche Konzeption fügt sich jedenfalls nahtlos in das von der EU verfolgte euro-mediterrane Programm und wird bei den EU-Eliten zweifellos auf Gegenliebe stoßen.

In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass mit Mohammed el-Baradei ausgerechnet ein ausgewiesenes Mitglied der globalen Eliten sich anschickt, die Führung der ägyptischen Opposition zu übernehmen. Selbst wenn man ihm nicht unterstellt, irgendjemandes „Agent“ zu sein, ist der Vorgang symbolträchtig.

Man kann sich jetzt schon die Phrasen vorstellen, mit denen die EU-Eliten uns schmackhaft machen werden, dass die Grenzen noch weiter für Massenmigration geöffnet werden: Es gelte jetzt, „die jungen Demokratien des Nahen Ostens zu unterstützen“ und „den Menschen eine Perspektive zu bieten“, damit sie „nicht den Radikalen in die Arme getrieben werden“ usw.

Diese Perspektive wird sein, dass die wirtschaftlichen Probleme dieser Länder auf unsere Kosten gelöst werden, indem wir ihren Bevölkerungsüberschuss aufnehmen. Wenn man ernsthaft die Türkei als Mitglied der EU ins Auge fasst, dann ist nicht zu erkennen, warum Tunesien oder Ägypten vor der Tür bleiben sollen.

Und dabei ist nicht einmal ausgeschlossen, dass islamistische Gruppen dieses Spiel mitspielen werden, so wie es ihre türkischen Gesinnungsgenossen schon seit Jahren tun. Sie schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe, indem sie einerseits ihre innenpolitische Position konsolidieren und die forcierte Re-Islamisierung ihrer Länder vorantreiben (was unter einem liberalen Regime viel leichter ist als unter einer Diktatur), andererseits die Islamisierung Europas voranbringen. Getreu Erdogans Motto, die Demokratie sei eine Straßenbahn, die einen ans Ziel bringe, und wenn man dort angekommen sei, steige man aus.

Es stellt sich die Frage, welches der zwei Gesichter der Revolution einem unsympathischer sein soll. Es stellt sich sogar die Frage, ob es überhaupt zwei Gesichter sind – oder nicht vielmehr zweimal dasselbe Gesicht, einmal mit und einmal ohne Bart.

"Bauernland in Sportlerhand"

Cicero schreibt:

Bauernland in Sportlerhand
von Ulrich Hottelet

Die Bewerbung Münchens um die Olympischen Spiele 2018 darf nicht daran scheitern, dass einige Bauern um eine hohe Entschädigung für ihre Grundstücke pokern. Ihre Sorge um die Natur scheint nur vorgeschoben, deshalb müssen die Grundstücksbesitzer notfalls enteignet werden.

(Quelle: Cicero.de)

Da bedient sich der angeblich bzw. ehemals bürgerliche Cicero aus dem Phrasenschatz der SED („Junkerland in Bauernhand“), und dies nicht etwa kritisch ironisch, sondern affirmativ: das folgerichtige Ergebnis, wenn man ein solches Blatt einem sozialdemokratischen Chefredakteur überantwortet. Die Forderung nach Enteignungen fließt dessen Schreibsklaven wie von selbst aus der Feder.

Dabei ist die Parole heute so verlogen wie damals: Die Sportler würden heute von Enteignungen so wenig profitieren wie damals die Bauern. Damals profitierte die Partei, heute die globale Sportmafia.

Wäre eine solche Enteignung denn eine im Interesse des „Wohls der Allgemeinheit“, wie es Artikel 14 Absatz 3 GG zwingend vorschreibt?

Gewiss würden viele Menschen wirtschaftlich von den Spielen profitieren (und viele andere darunter leiden). Vielleicht würde auch der eine oder andere Arbeitsplatz geschaffen, der sich nicht gleich nach den Spielen wieder erledigt hätte.

Wer aber aus solchen Gründen der Meinung ist, eine private Großveranstaltung diene dem „Wohl der Allgemeinheit“ im Sinne von Art. 14 GG, der wird schlechterdings kein Argument mehr finden können, wenn internationale Großkonzerne ihre Ansiedlung am Ort von der Enteignung dieses oder jenes Grundstücks abhängig machen. Die Verhandlungsposition des international agierenden Akteurs, der sich ebenso gut hier niederlassen kann wie irgendwo sonst auf der Welt, und der deshalb über entsprechende Erpressungsmacht verfügt, wäre dieselbe wie im Falle des IOC (das letztlich auch nichts anderes ist als ein multinationaler Konzern). Und die Argumente, mit denen beflissene Politiker solchen Forderungen nachgeben und Bürger enteignen würden, wären sogar noch stärker.

Eine Enteignung für Olympia, eine Enteignung zugunsten Privater würde, wenn sie Rechtens wäre, dem Eingriff in das Eigentumsrecht, sprich dem organisierten Diebstahl Tür und Tor öffnen. Im Grunde könnte man dann auch ins Grundgesetz schreiben: „Eine Enteignung ist nur zugunsten von multinationalen Konzernen zulässig, dann aber ohne Weiteres“.

„Bauernland in Sportlerhand“: Wenn es jemals eine Parole gegeben hat, die gerade in ihrer Verlogenheit die perverse Mésalliance von Kapitalismus und Kommunismus illustriert hat, zu der sich das Globalsystem entwickelt, dann ist es diese.

DDR 2.0

War das nicht furchtbar in der DDR, wo man nicht aus dem Haus gehen konnte, ohne mit Propaganda erschlagen zu werden?

Ja, das war furchtbar. Und genauso furchtbar ist es heute:

Und das betrifft nicht nur Staatspropaganda (was einen ja nicht weiter wundern würde: Wo die SED nicht – wie in Berlin – an der Macht ist, sind es ihre Blockflöten). Nein, die Privatwirtschaft treibt es eher noch toller, wie zum Beispiel die „konservative“ (Es darf gelacht werden!) Morgenpost, die uns mit allerplumpester linker Propaganda bombardiert. Wenn man so etwas sieht …

… und erst recht so etwas …

… sehnt man sich beinahe nach dem alten Kommunistenkitsch mit glücklichen Werktätigen unter roten Fahnen. Und ist erleichtert, wenn man in der U-Bahn auf unfreiwilligen Dadaismus wie diesen stößt …

… dessen Botschaft genausogut ihr Gegenteil bedeuten kann, je nachdem, mit welchem Wort man anfängt, und ob man mit oder gegen den Uhrzeigersinn oder von oben nach unten liest: Statt

„Gewalt halt! Mach mit!

könnte es ebenso heißen:

„Halt! Gewalt, mach mit!“

oder

„Mach mit Gewalt Halt!“ (In der U-Bahn also: Zieh die Notbremse!)

oder auch

„Mach’s halt mit Gewalt!“

Das nenne ich doch eine Pluralität der Lesarten. Wirklich erholsam!

Ende einer Ehe?

Zu den sozialistischen Errungenschaften, die das Ende der DDR überdauert haben, gehört zweifellos der „Antifaschismus“ als Staatsreligion;  einerseits eine linke Verballhornung des Bündnisses von Thron und Altar, andererseits eine Neuauflage des altrömischen Staatskultes: Wer den Kaiser – heute also den Antifaschismus – nicht als Gott verehrt und sich weigert, sich vor ihm in den Staub zu werfen, wird den Löwen zum Fraß vorgeworfen.

Nun scheinen sich im Bündnis Risse zu zeigen, zumindest sofern man dem Gejammer der Jungle World Glauben schenken mag, das von Martin Lichtmesz in der Sezession genüsslich aufgespießt wird. [Hier klicken.]

Babylon II – Semantische Lügen

„Nationalsozialistische Gewaltherrschaft“: Stammt aus dem kanonischen Vokabular der deutschen Gedenkkultur, wird aber auch von Journalisten immer gerne genommen. Eine semantische Lüge ist es nicht deshalb, weil es die Nazis als gewalttätig beschreibt; natürlich haben die Nazis Gewalt in einem bis dahin in Europa unvorstellbaren Ausmaß angewendet. Die Lüge aber besteht darin, dass der Begriff der „Gewaltherrschaft“ suggeriert, ihre Herrschaft habe im Wesentlichen auf Gewaltanwendung beruht; so kann man sich daran vorbeimogeln, dass Hitler durch Wahlen an die Macht gekommen ist und Neuwahlen, wenn er sie denn zugelassen hätte, noch bis ins Jahr 1945 hinein spielend gewonnen hätte. Die Rede von der „nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ ist die Ausrede einer Gesellschaft, die bis heute nicht wahrhaben will, dass sie selbst den Nationalsozialismus hervorgebracht und Hitler vorbehaltlos unterstützt hat.

„Unrechtsstaat“ (Unrechtssystem, Unrechtsregime) DDR: Sagt nicht einfach aus, dass die DDR kein Rechtsstaat war – das war sie ja in der Tat nicht -, sondern, dass sie von vornherein auf Unrecht basiert und auf die Verwirklichung von Unrecht abgezielt habe. Nun wird das Begriffspaar Recht/Unrecht in zwei Kontexten verwendet: Einmal in einem positivistischen Sinne („Recht ist, was Gesetz ist“) im Hinblick auf die Frage der Legalität. In diesem Kontext von einem „Unrechtsstaat“ zu sprechen, ist blanker Unsinn. Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 war die Souveränität über Deutschland auf die Siegermächte übergegangen, und die übten sie in ihrer jeweiligen Besatzungszone aus. Die Gründung der DDR wie auch ihre innere Struktur als kommunistische Diktatur entsprach dem Willen der Besatzungsmacht und war damit legal. Von „Unrecht“ im Sinne von „Illegalität“ kann daher nur dort gesprochen werden, wo die DDR ihr eigenes Recht verletzte. Der zweite Bezugsrahmen im Gegensatz zur Legalität ist die politisch-moralische Frage nach der Legitimität. Die DDR war ein Staat, dessen bloße Existenz von seiner Bevölkerung abgelehnt wurde, erst recht seine diktatorische Ordnung; vom demokratischen Standpunkt der Volkssouveränität war er damit ein Unrechtsstaat. Schon wahr. Nur ist das Volk, von dessen Souveränität hier die Rede ist, das deutsche Volk. Zum Zeitpunkt der Gründung der DDR war es gerade vier Jahre her, dass das deutsche Volk von seiner Souveränität so verheerenden Gebrauch gemacht hatte, dass ganz Europa in Schutt und Asche lag. War es vor diesem Hintergrund wirklich „Unrecht“, Deutschland zu teilen? Außerhalb Deutschlands sah man das jedenfalls nicht so (sah es selbst 1989 nicht so), und mit dem Kalten Krieg wurde die Aufrechterhaltung dieser Teilung sogar die Voraussetzung für die Stabilität Europas. Und die Voraussetzung für die Teilung war der Fortbestand der Diktatur in der DDR. Kann man da wirklich ohne Einschränkung von einem „Unrecht“ sprechen, zumal wenn man berücksichtigt, dass Instabilität in Europa möglicherweise in einen Atomkrieg geführt hätte? Ja, das kann man, wenn man sich auf den Standpunkt stellt: „Demokratie – um jeden Preis“! Nur sollte man dann nicht beanspruchen, nüchtern und objektiv zu urteilen.

„Irakische Aufständische“: Wer gegen den irakischen Staat und die ihn kontrollierende Besatzungsmacht kämpft, ist im technischen Sinne ein „Aufständischer“. So weit, so gut. Der Ausdruck wird aber auch in Bezug auf Terroristen verwendet, die sich auf Marktplätzen in die Luft jagen. Gegen wen stehen denn die auf? Gegen Marktfrauen und Schuhputzer?

Rechts: Demagogischer Kampfbegriff der Linken, bei dem auf den Zusatz „-radikal“ oder „-extremistisch“ bewusst verzichtet wird, um den Unterschied zwischen Konservativen und Faschisten unter den Tisch fallen zu lassen. Dürfte dafür verantwortlich sein, dass sich nur noch 11 % der deutschen Bevölkerung als „rechts“ bezeichnen; das sind sogar weniger, als nach sozialwissenschaftlichen Analysen rechtsextrem eingestellt sind. Die Mehrheit ordnet sich der „Mitte“ zu, als wenn das irgendetwas aussagen würde. Dass es eine demokratische Rechte geben könnte, scheint niemandem mehr in den Sinn zu kommen. Wieder ein Begriff, der analytisch nicht mehr brauchbar ist, weil er zum politischen Kampfbegriff gemacht wurde. Siehe auch „What’s Left II“.

„Internationale Gemeinschaft“: Sinnentstellende Scheinübersetzung von „international community„, was soviel bedeutet wie „Gesamtheit“ (der Staaten), (internationale) „Allgemeinheit“. Das deutsche Wort „Gemeinschaft“ bezeichnet aber eine Gruppe, deren Mitglieder einander zu einem hohen Maß an Solidarität verpflichtet sind: vom Rechtsbegriff der „Versichertengemeinschaft“ über „verschworene Gemeinschaft“, „Gemeinschaft der Gläubigen“ bis hin zur „Volksgemeinschaft“. Besonders akzentuiert wird der Begriff in der deutschen Geistesgeschichte durch die Gegenüberstellung von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“, wobei der Begriff der „Gemeinschaft“ einen romantischen Beiklang hat: Der „Gemeinschaft“ zu dienen gilt traditionell als erhabener und edler als bloß in der „Gesellschaft“ seine schnöden Interessen zu verfolgen. Eine „Internationale Gemeinschaft“ in diesem Sinne existiert nicht, der Begriff ist durch und durch verlogen, passt aber natürlich hervorragend zu einer deutschen Außenpolitik, die sich grundsätzlich hinter dieser „Gemeinschaft“ versteckt, und enthält ein unausgesprochenes „Pfui“ gegenüber allen Staaten, die das nicht tun.

„Kriegsgefangenenlager“ Guantanamo: Guantanamo ist ein Gefangenenlager, aber seine Insassen, und daran entzündet sich die Kritik, sind gerade keine Kriegsgefangenen, jedenfalls nicht im rechtlichen Sinne. Rechtlich sind sie „feindliche Kämpfer“ – eine völlig willkürliche Konstruktion, die einzig und allein darauf abzielt, sie rechtlos zu stellen. Was die Verteidiger des amerikanischen Vorgehens aber nicht daran hindert, scheinheilig zu fragen, warum man denn – vor Ende der Kampfhandlungen – die Auflösung dieses „Kriegsgefangenenlagers“ fordere…

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