Die Lunte am Pulverfass: Türkei rasselt mit dem Säbel

türkische Luftwaffe F4 Phantom
F4 ("Phantom") der türkischen Luftwaffe

[JB analysiert in Fakten-Fiktionen die politischen Hintergründe der Reaktion der Türkei auf den Vorfall, bei dem ein türkisches Kampfflugzeug von syrischen Streitkräften abgeschossen wurde:]

Der Streit um ein türkisches Kampfflugzeug das letzte Woche in den syrischen Luftraum eindrang und in Folge dessen von Syrien abgeschossen wurde eskaliert weiter:

Kampfjet-Abschuss: Riskieren die Türken eine Intervention in Syrien?
Die Türkei will den Abschuss eines ihrer Kampfjets nutzen, um den Druck auf Syrien zu erhöhen. Der Plan birgt erhebliche Risiken: Zerbricht das Land, würde sich das Kurdenproblem verschärfen.Nach dem Abschuss eines türkischen Kampfflugzeuges vom Typ F4 vor der syrischen Küste am Freitag hat die Türkei am Sonntag einen deutlich schärferen Ton angeschlagen, nachdem die ersten Reaktionen zunächst zurückhaltend geblieben waren. Die Türkei verlangte einKrisentreffen der Nato nach Artikel 4 der Nato-Charta. Dieses findet offenbar am Dienstag statt. Artikel 4 bezieht sich auf “Konsultationen”, sofern ein Nato-Mitglied seine Sicherheit als gefährdet betrachtet.

Will sagen: Die Türkei fühlt sich gefährdet weil ein von türkischen Verbündeten mit Militärintervention bedrohtes Nachbarland ein Kampfflugzeug abschiesst, das unbestritten in den Luftraum des Nachbarn eingedrungen ist. Dass viele Türken gerne mal schnell beleidgt sind und auch das “dicke Hose” machen keinesfalls unüblich für Türken ist kein Geheimnis, diesmal scheint aber mehr dahinter zu stecken:

Die Entwicklung ist insofern brisant, als die Staatengemeinschaft schon lange nach Wegen sucht, einen Sturz des syrischen Regimes von Diktator Baschir al-Assad herbeizuführen. Seit mehr als einem Jahr herrscht ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Aufständischen und Regierungstruppen.Die Türkei hatte bereits vor einigen Monaten, nachdem syrische Truppen Schüsse auf türkisches Staatsgebiet abgefeuert hatten, für den Wiederholungsfall eine Intervention angedroht. Die Türkei hat für die syrischen Rebellen Rückzugsgebiete auf türkischem Boden bereit gestellt.

Will sagen: Die Türkei bieten vorsätzlich den syrischen Rebellen einen Rückzugsraum und beschwert sich wenn beim Grenzübertritt der Rebellen ein paar Kugeln die Staatsgrenze überschreitet. Als Syrer könnte man das durchaus als Provokation auffassen.

Zwei Tage waren zwischen dem Vorfall und der Verschärfung der türkischen Reaktion verstrichen; der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu erklärte das damit, man habe erst einmal “alle Informationen” sammeln wollen.

Will sagen: Man stellt es so dar dass man in Ankara nicht vorbereitet war und dies somit keine bewusste Aktion war. Wenn das der Warheit entspricht stellt sich die Frage wie das türkische Militär auf die Schnapsidee kommt einen potentiell provozierenden “Radartest” an der syrischen Grenze durchzuführend während man genau weiss dass die Nerven beim Nachbarn ohnehin schon blank liegen. Gute Nachbarn verhalten sich im Bewusstsein der Situation vorsichtiger, zumal ein Land das sich gerade in einem Bürgerkrieg befindet als Kanidat für einen plötzlichen für Angriffkrieg einen Totalausfall darstellt, es demnach also gerade keine erhöhte Bedrohungslage gibt sondern in Hinblick auf feindliche miltärische Aktionen eher eine besonders niedrige. […]

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Die libysche Tragödie

Sah es zu Beginn des libyschen Aufstands noch so aus, als würde Gaddafis Regime wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, so zeichnet sich nun ab, dass er die Revolte überstehen wird. Angesichts der Erfahrungen mit nahöstlichen Potentaten seines Schlages (Assad, Saddam) sollte sich niemand Illusionen darüber machen, dass Gaddafi nach einem Sieg grausam Rache nehmen und zehntausende von Menschen umbringen wird.

Dies ist kein Plädoyer für eine militärische Intervention. Dass die westlichen Staaten bislang nicht interveniert haben, ist per se nicht zu beanstanden:

Einmal gibt es keinen legitimen Interventionsgrund: Sie sind weder angegriffen worden – was die klassische Rechtfertigung für die Anwendung militärischer Gewalt ist -, noch können sie auf eine Bedrohung vitaler Interessen verweisen, aus der sich womöglich mit einiger juristischer Phantasie so etwas wie eine Notwehrsituation konstruieren ließe.

Ein Recht zur Intervention gibt es also nicht und gäbe es übrigens auch dann nicht, wenn ein Mandat des Weltsicherheitsrates vorläge. Der Sicherheitsrat überschreitet nämlich seine Kompetenzen, wenn er willkürlich eine Intervention absegnet, für die es an den rechtlichen Voraussetzungen fehlt. Dass er dergleichen bisweilen tut, zeigt nur, dass die UNO in solchen Fragen eine Diktatur der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ist, die bei Bedarf als „Recht“ statuieren, was in ihrem Interesse liegt. Mit „Recht“ in einem einigermaßen strengen Sinne hat dies aber nichts zu tun.

Übrigens gibt es keine Rechtsnorm, die es einer Regierung verböte, einen gegen sie gerichteten Aufstand gewaltsam niederzuschlagen, und zwar unabhängig davon, wie gewalttätig der Aufstand selbst ist. Eine solche Norm wäre geradezu widersinnig, und man kann diesen Sachverhalt auch nicht dadurch umgehen, dass man die Niederschlagung des Aufstandes hysterisch zum „Krieg Gaddafis gegen das eigene Volk“ aufpumpt – ganz abgesehen davon, dass praktisch sämtliche westlichen Regierungen ihrerseits einen solchen Krieg führen, nur mit vornehmeren Mitteln.

Auch der von Hobbyvölkerrechtlern konstruierte „Völkermord“, der eine Intervention auf der Basis der Anti-Völkermord-Konvention rechtfertigen könnte, ist  bisher nicht erkennbar: Selbst wenn sich Gaddafi, wie befürchtet, mit einem Massenmord revanchieren würde, würde dieser erst dann zum Völkermord, wenn durch ihn ein ganzes Volk oder zumindest eine ethnische Gruppe in ihrer Existenz als Volk bzw. Gruppe bedroht wäre. Auch davon kann kaum die Rede sein.

Schließlich befindet sich der Westen noch in der speziellen Verlegenheit, dass jegliche westliche Intervention in der islamischen Welt gemäß der Scharia die Pflicht zum Dschihad gegen den Eindringling auslöst. Selbst wenn die meisten Muslime darauf pfeifen – ein paar Terroristen, die diese Pflicht blutig ernst nehmen, finden sich immer. Freilich: Wenn der Westen nicht interveniert, wird ihm das dort genauso angekreidet wie wenn er es tut. Dann wird es nämlich heißen, der Westen habe die Libyer im Stich gelassen – so als ob er für das Wohlergehen arabischer Völker verantwortlich wäre. Wer immer den Konflikt unter dem Gesichtspunkt betrachtet, es gehe darum, „die Köpfe und Herzen der Araber zu gewinnen“, muss sich darüber im Klaren sein, dass dies objektiv unmöglich ist.

Hätten Europa und Amerika sich einfach auf den Standpunkt gestellt, dass sie zum militärischen Eingreifen nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet sind, so wäre dies unangreifbar gewesen und hätte den Aufständischen womöglich manche Illusion erspart, die sie am Ende mit ihrem Blut bezahlen müssen. Inzwischen haben sie wohl gemerkt, dass man sie mit einer Politik des möglichst geräuschvollen Nichstuns verschaukelt hat, aber jetzt können sie nicht mehr zurück.

Stattdessen erleben wir seit Wochen eine Orgie der Heuchelei: Es ist ja an sich nicht verkehrt, die Beteiligung der Arabischen Liga zur Voraussetzung für eine Intervention zu machen, allein schon, um ihr den Schwarzen Peter zuzuspielen und das Odium der „Aggression gegen den Islam“ zu vermeiden. Nur wissen alle Verantwortlichen, dass die arabischen Potentaten selber die Erde unter ihren Thron- und Präsidentensesseln beben fühlen und – aller Rhetorik zum Trotz – nicht das geringste Interesse daran haben, dass nach Mubarak und Ben Ali noch ein Dritter aus ihrem Club einer Revolution zum Opfer fällt. Die Politik der nahöstlichen Politiker muss darin bestehen, sich weit genug von Gaddafi abzusetzen, um gegenüber den eigenen Völkern ein Alibi zu haben, aber nichts zu tun, was tatsächlich zu seinem Sturz führen könnte.

Genau auf dieser Linie bewegt sich der Beschluss der Arabischen Liga, den Westen zur Einrichtung einer Flugverbotszone aufzufordern, zugleich aber jede Verletzung der libyschen Souveränität abzulehnen. Verglichen damit ist die Quadratur des Kreises ein Kinderspiel, und das wissen die Herren ganz genau. Es geht ihnen einfach darum, den Schwarzen Peter wieder dem Westen zurückzugeben, der ihn seinerseits an den Sicherheitsrat, sprich Russland und China weiterreicht.

Bei dieser Gelegenheit zeigt sich dann auch, was von den „revolutionären“ Regimen Ägyptens und Tunesiens zu halten ist: nämlich dass sie alles andere als revolutionär sind. An sich sind es ja gerade diese beiden Länder, die noch am ehesten ein Interventionsrecht geltend machen könnten, und zwar unter Hinweis auf den notwendigen Schutz ihrer Staatsbürger in Libyen und auf die sie überfordernde Flüchtlingswelle aus dem Nachbarland.

Nun stellt sich aber heraus, dass in Wahrheit in beiden Ländern die alten Regime trotz Abdankung der jeweiligen Galionsfigur die Macht immer noch in Händen halten. Was für uns wie eine Revolution aussieht, ist der Versuch der alten Macht, mit den diversen oppositionellen Gruppen zu einem neuen Arrangement zu gelangen. Ein Interesse an einem Sturz Gaddafis haben sie offenbar nicht.

Ein solches Interesse scheinen aber auch ihre Völker nicht zu haben, deren revolutionärer Elan sich auf das je eigene Land beschränkt. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass sich Massen von freiwilligen Kämpfern nach Libyen aufmachen würden, so wie sie in den achtziger Jahren nach Afghanistan gegangen sind. Mir ist auch nicht bekannt, dass von Ägypten aus Waffenlieferungen über die Grenze zu den libyschen Revolutionären gelangen würden – was umso erstaunlicher ist, als eben solche Waffenlieferungen über die deutlich schärfer bewachte Grenze zum Gazastreifen offenbar kein Problem darstellen.

(Nebenbei gesagt ist diese Zurückhaltung ein starkes Indiz dafür, dass Islamisten beim libyschen Aufstand keine prominente Rolle spielen; in dieselbe Richtung deutet die Tatsache, dass die islamistisch regierte Türkei in Gestalt ihres Ministerpräsidenten, des weltweit verehrten Trägers des Gaddafi-Preises für Menschenrechte, eine Intervention der NATO zugunsten der Aufständischen strikt ablehnt.)

Wir lernen daraus erstens, dass die innermuslimische Solidarität nur dann und nur so weit mobilisierbar ist, wie sie sich gegen die „Ungläubigen“ richtet; in jedem anderen Zusammenhang ist der eigene Stamm das Maß aller Dinge, und werden schon die Angelegenheiten des Nachbarlandes mit Indifferenz behandelt; zweitens, dass es so etwas wie eine „arabische Demokratiebewegung“ nicht gibt, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass Demokratie als abstrakter Wert aufgefasst würde. Was es gibt, sind Volksbewegungen, bestehend aus Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen den jeweils eigenen Diktator loswerden wollen, ohne deshalb zu westlichen Liberalen zu mutieren. Das ist kein Vorwurf gegen diese Völker, wohl aber einer gegen eine globalistische Propaganda, die sie für sich vereinnahmen will.

Die Einzigen, die in den letzten Tagen und Wochen eine respektable Figur gemacht haben, sind die Aufständischen selbst, die deswegen  jetzt auf verlorenem Posten stehen. Niemand wird ihnen helfen, weil niemand ein Interesse daran hat.

 

Mubarak ist am Ende!

Hosni Mubarak, Husni Mubarak
Ich habe fertig!

Kairo – Die einflussreiche Armee in Ägypten hat sich erstmals hinter die Forderungen der Demonstranten gestellt. Am Montag versprach sie, im Konflikt zwischen der Opposition und dem Regime Zurückhaltung üben zu wollen. „Wir werden keine Gewalt gegen die Bürger einsetzen. Wir verstehen die Forderung der Bürger“, hieß es in einer am Montagabend verbreiteten Erklärung.

Die Meinungsfreiheit in friedlicher Form ist für alle garantiert“, zitierten die amtliche Nachrichtenagentur Mena und das Staatsfernsehen aus der Erklärung eines Armeesprechers.

Textquelle: Spiegel online

Damit hat die ägyptische Armee dem Mubarak-Regime das Todesurteil gesprochen: Eine Diktatur, deren Armee nicht bereit ist, einem Volksaufstand mit Gewalt zu begegnen, ist am Ende! Da für die ägyptischen Streitkräfte eine Tiananmen-Lösung außer Betracht bleibt und sie sich den Forderungen des Aufstands sogar anschließt, steht jetzt nicht mehr Masse gegen Macht, sondern Masse gegen Nichts. Die Muslimbruderschaft wird der lachende Erbe sein.

Der Januskopf

Wenn man das Aufbegehren der Massen in der islamischen Welt betrachtet, das von Tunesien ausging und nun auch Ägypten und den Jemen erreicht hat, dann fällt es schwer, sich nicht an die Vorgänge 1989 in Europa erinnert zu fühlen. Erst recht fällt es schwer, mit den Aufständischen nicht zu sympathisieren, zumal wenn man einen Blick auf die Regime wirft, gegen die der Aufstand sich richtet.

Trotzdem gestehe ich, dass ich diese Vorgänge nicht ohne Unbehagen sehe, und wenn ich mich auch nicht kompetent fühle, den aktuellen Stand der Innenpolitik Ägyptens oder gar Tunesiens oder des Jemen kompetent zu analysieren – ein paar skeptische Anmerkungen möchte ich doch anbringen:

Jede Revolution hat etwas Janusköpfiges: Die großen, klassischen Volksrevolutionen der letzten 200 Jahre gingen stets von den Mittelschichten aus, die eine gemäßigte Reform-Agenda verfolgten und mehr oder minder hochherzige Ideen im Auge hatten. Diese Kräfte, die die Revolution begannen, waren aber fast nie diejenigen, die sie auch beendeten und von ihrem Sieg profitierten.

Sofern die Revolution nicht auf halbem Wege stehen blieb und in die Restauration des ancien régime mündete, wie 1848 in Deutschland; sofern also die alten Gewalten effektiv entmachtet wurden, fiel die Macht stets demjenigen zu, dessen Parole die Massen elektrisierte, die oft ganz anders dachten als die Initiatoren aus den Mittelschichten:

In Frankreich begann die Revolution mit dem Ziel, die Macht des Königs durch eine Verfassung zu bändigen. Sie mündete in die Terrorherrschaft der Jakobiner, weil die Jakobiner mit dem Schlachtruf „Égalité!“ den Mob von Paris auf ihre Seite brachten.

In Russland wurde alles, was liberal und gemäßigt links war, von den Bolschewiki beiseite geschoben, die den Arbeitern wie den Bauern alles versprachen, was sie haben wollten.

In der DDR wollte die Oppositionsbewegung mehr Freiheit, die Massen wollten die D-Mark. Ich kritisiere das nicht, ich weise nur darauf hin, dass die Macht, wenn die Dinge einmal in Bewegung gekommen sind, am Ende dem zufällt, der die tiefsten Wünsche der Massen artikuliert. In der DDR war es der Wunsch nach Teilhabe am westlichen Wohlstand. Die Macht fiel Helmut Kohl zu, weil er das begriff.

Die islamische Revolution im Iran als bisher einzige Volksrevolution in der islamischen Welt begann als breites Bündnis von Schah-Gegnern aller politischen Schattierungen und endete mit der Herrschaft der schiitischen Islamisten, die ihre früheren Verbündeten abschlachteten; die Forderung nach dem islamischen Staat war einfach populärer als die westlich geprägten Entwürfe liberaler oder marxistischer Gruppen, die alle wie bloße Varianten einer westlichen Fremdherrschaft aussahen und in dieser Hinsicht mehr mit dem Schah als mit den Volksmassen gemein hatten, freilich ohne es zu wissen.

Es ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dass in Ägypten (Tunesien und den Jemen lasse ich einmal beiseite) die Muslimbruderschaft als die populärste, bestorganisierte, und meistrespektierte Organisation der ägyptischen Opposition die lachenden Erben des Mubarak-Regimes sein wird, die damit die Früchte von Jahrzehnten zäher Arbeit ernten würde. Ähnliches ist in Tunesien oder dem Jemen (oder weiteren arabischen Ländern) zumindest vorstellbar.

Das muss nicht so kommen – es ist immer noch möglich, dass das Regime an der Macht bleibt. (Ich sage das mit der Erfahrung dessen, der seit zehn Jahren den Zusammenbruch des iranischen Regimes vorhersagt.) Nehmen wir aber an, das Regime würde stürzen: Welche Parole wäre zugkräftig genug, die Massen davon abzuhalten, die Muslimbrüder oder vergleichbare Machthaber zu unterstützen?

Ich sehe nur eine, nämlich eine, die den Slogans der französischen und russischen Revolution oder auch dem D-Mark-Versprechen der ostdeutschen Revolution analog wäre, und die darauf hinausliefe, dem Volk den Zugang zu westlichem Wohlstand in Aussicht zu stellen.

Ein arabischer Revolutionär, der seinem Land die Herrschaft von Islamisten ersparen wollte, käme gar nicht darum herum, seinem Volk als Belohnung für einen mehr oder weniger liberal-demokratischen Weg einen erleichterten Zugang nach Europa in Aussicht zu stellen. Und das ist nicht etwa ein Hirngespinst:

Der tunesische Oppositionspolitiker Moncef Marzouki erwartet nach der tunesischen Revolution einen „Frühling der Demokratie“ im Nahen Osten, in dem autoritäre Regierungen abgelöst werden. „Und das straft alle diejenigen in Europa Lügen, die immer behauptet haben, die Demokratie, das sei nichts für die Araber“, sagte der kürzlich nach zehn Jahren im französischen Exil nach Tunesien zurückgekehrte Menschenrechtsaktivist und Politiker am Freitag in einem Interview des Deutschlandfunks.

(…)

„Unser Platz ist der euro-mediterrane Raum. Für den Westen ist es einfacher, mit Demokraten zu kooperieren.“

(Quelle: focus.de)

Im Klartext: „Wenn wir Demokratie spielen,sind wir Teil des euro-mediterranen Raumes“, und dass dieser Raum grenzenlos ist, wird man uns Europäern schon noch beibringen. Eine solche Konzeption fügt sich jedenfalls nahtlos in das von der EU verfolgte euro-mediterrane Programm und wird bei den EU-Eliten zweifellos auf Gegenliebe stoßen.

In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass mit Mohammed el-Baradei ausgerechnet ein ausgewiesenes Mitglied der globalen Eliten sich anschickt, die Führung der ägyptischen Opposition zu übernehmen. Selbst wenn man ihm nicht unterstellt, irgendjemandes „Agent“ zu sein, ist der Vorgang symbolträchtig.

Man kann sich jetzt schon die Phrasen vorstellen, mit denen die EU-Eliten uns schmackhaft machen werden, dass die Grenzen noch weiter für Massenmigration geöffnet werden: Es gelte jetzt, „die jungen Demokratien des Nahen Ostens zu unterstützen“ und „den Menschen eine Perspektive zu bieten“, damit sie „nicht den Radikalen in die Arme getrieben werden“ usw.

Diese Perspektive wird sein, dass die wirtschaftlichen Probleme dieser Länder auf unsere Kosten gelöst werden, indem wir ihren Bevölkerungsüberschuss aufnehmen. Wenn man ernsthaft die Türkei als Mitglied der EU ins Auge fasst, dann ist nicht zu erkennen, warum Tunesien oder Ägypten vor der Tür bleiben sollen.

Und dabei ist nicht einmal ausgeschlossen, dass islamistische Gruppen dieses Spiel mitspielen werden, so wie es ihre türkischen Gesinnungsgenossen schon seit Jahren tun. Sie schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe, indem sie einerseits ihre innenpolitische Position konsolidieren und die forcierte Re-Islamisierung ihrer Länder vorantreiben (was unter einem liberalen Regime viel leichter ist als unter einer Diktatur), andererseits die Islamisierung Europas voranbringen. Getreu Erdogans Motto, die Demokratie sei eine Straßenbahn, die einen ans Ziel bringe, und wenn man dort angekommen sei, steige man aus.

Es stellt sich die Frage, welches der zwei Gesichter der Revolution einem unsympathischer sein soll. Es stellt sich sogar die Frage, ob es überhaupt zwei Gesichter sind – oder nicht vielmehr zweimal dasselbe Gesicht, einmal mit und einmal ohne Bart.