Antifa: Der Kalte Krieg gegen die Meinungsfreiheit

Unter dem Logo der Organisation „jugendschutz.net“ veröffentlicht eine Website namens „Laut gegen Nazis“ ein Pamphlet, aus dem sich mehr über seine Verfasser als über seinen Gegenstand lernen lässt.

Bereits vor zwei Jahren wiesen wir auf die erhöhte [Internet-]Präsenz von Rechtsextremen mit Nazivideos und Naziportalen hin.

Sie hätten auch auf die erhöhte Präsenz von bloggenden Omas, Bordellen oder Kaninchenzüchtervereinen hinweisen können. Das Netz ist ein expandierendes Medium, das die klassischen zentralisierten und daher leicht zu zensierenden Medien in wenigen Jahren abgelöst haben wird. Grund genug einzuschreiten. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder das Recht hätte,  seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten? Wenn eine Zensur nicht stattfände? Wenn diese Rechte finden ihre Schranken ausschließlich in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre fänden?

Damals entdeckten wir diverse Nazivideos in Form von Popkultur auf Youtube. Das zu Google gehörende Unternehmen arbeitet seitdem intensiv an einer Eingrenzungsmöglichkeit, um solcherlei Videos zu unterbinden.

Ein privater Verein fordert ein privates Unternehmen auf, „Nazivideos“ zu „unterbinden“. Man fragt sich, wer eigentlich bestimmt, was ein „Nazivideo“ ist? Welche Kriterien dabei angelegt werden? Wer bei Google qualifiziert sein soll, derartige Entscheidungen zu treffen?

Wichtig ist hierfür allerdings auch die Mitwirkung der User selbst. (…) Trotz etwaiger Sperrungen von gewissen Keywords ist es schwierig rechtsextreme Inhalte zu filtern. (…) Vor der Forderung an die Politik steht das Bewusstsein der Internet User. (…) Gemeinsam mit unserem Partner Youtube und vielen prominenten Persönlichkeiten wie Smudo, Wir sind Helden, Detlef Buck und weiteren rufen wir unlängst User dazu auf, zumindest auf den großen Portalen mit darauf zu achten, Nazis nicht zuzulassen. (…) Die Betreiber sind indes eigentlich sensibiliert, konnten wir feststellen. Innerhalb der letzten Monaten wurden aufgrund unserer Meldungen, Naziseiten und Profile die uns von Usern gemeldet wurden erfolgreich bei Yotube und MySpace vom Netz genommen. Solange die politische Grundlage nicht gegeben ist, gesetzlich gegen rechtsextreme Inhalte vorzugehen, ist auch wie auf der Straße, jeder Einzelne dazu aufgerufen bei der Endeckung solcher Seiten mitzuhelfen. Auch das ist Zivilcourage. Darauf zu warten, dass andere handeln, finden wir nicht so klug. Die Aufklärungsarbeit von Jugendschutz.net empfinden wir deshalb als umso wichtiger.

So, so. Man stellt zutreffend fest, dass es keine gesetzliche Grundlage dafür gibt, Andersdenkende an der Ausübung iher Grundrechte zu hindern, und zieht daraus nicht etwa den Schluss, dass es eine solche Grundlage deshalb nicht, gibt, weil es sie in einem freiheitlichen Rechtsstaat, falls er das auch bleiben soll, nicht geben kann, sondern ruft dazu auf, „Nazis“ dadurch mundtot zu machen, dass man Dinge tut, die dem Staat verboten sind.

Nazi ist, wer bekämpft werden soll! Nicht umgekehrt!

„Nazi“ ist, wer zum Nazi erklärt wird, und zwar von solchen Vereinen, die von niemandem berufen worden sind; dies aufgrund von Kriterien, die sie für sich behalten, die nie Gegenstand einer qualifizierten Debatte waren, und die sie jederzeit ändern können.

Es geht um nichts anderes als darum, mit dem Mittel massenhafter anonymer Denunziation politische Minderheiten mundtot zu machen. In einem solchen Zusammenhang das Wort „Zivilcourage“ zu verwenden ist mindestens eine grobe Geschmacklosigkeit.

Das Problem dabei ist nicht, dass der eine oder andere Anbieter von Netzdienstleistungen einen Vertrag kündigt, oder dass der eine oder andere User sich über den einen oder anderen Beitrag beschwert. Problematisch ist vielmehr die koordinierte Kampagne, die die User zu einem Verhalten anstiften soll, das im Einzelfall nicht verboten ist, aber trotzdem in der millionenfachen Summierung einen Zustand herbeiführt, in dem die verfassungsmäßigen Freiheitsgarantien entwertet sind.

Indem man den Staat außen vorlässt und stattdessen den Mob aufstachelt, entzieht man sich der rechtlichen Kontrolle, der in unserem Land jeder staatliche Grundrechtseingriff unterliegt. Dies ist nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, durch Errichtung eines IM- und Blockwartsystems das Grundgesetz zu umgehen und auszuhöhlen, und dieser Versuch stößt nicht etwa auf die entschiedene Opposition eines Staates, der entschlossen wäre, für die von ihm selbst ausgesprochenen verfassungsrechtlichen Garantien auch einzustehen. Vielmehr gilt für das Verhalten der Politik, was ich in „Der kalte Staatsstreich“ geschrieben habe:

„Zu deutlich ist die kollusive Verstrickung von Politik, Journaille und linkem Mob, als dass ich bereit wäre, von einem bloß punktuellen Versagen … auszugehen.

Vielmehr handelt es sich um einen Prozess der systematischen schleichenden Entkoppelung von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, und das heißt: um einen kalten Staatsstreich.

Diese Entkoppelung hat schon immer zu den Wesensmerkmalen linker Politik gehört; die Verfassung ist dabei zuständig für die hehren Ziele, die wirkliche Politik für die schmutzigen Mittel zu deren Verwirklichung: Man denke an die französische Verfassung von 1793 oder die Stalinverfassung von 1936. Es gibt keinen Grund, warum das Grundgesetz nicht ebenso entkernt und zur Potjomkinschen Verfassungsfassade degradiert werden könnte.“

Gebührenfinanzierter Agitpropfunk

Es gab einmal einen Rundfunksender „Freies Berlin“. Heute heißt er anders, und das ist auch gut so! Zumindest ist es aufrichtig.

Eine RBB-Meldung von heute:

Übergriffe
Krawalle in Berlin-Friedrichshain

In Berlin-Friedrichshain ist es in der Nacht zum Mittwoch zu Krawallen gekommen.

Nach Darstellung der Polizei randalierten etwa 200 teils vermummte Anhänger der linken Szene vor der Discothek „Jeton“ in der Frankfurter Allee und warfen Scheiben ein.

Außerdem hätten sie einen Polizeiwagen schwer beschädigt und einen Beamten verletzt. Insgesamt waren etwa 200 Polizisten im Einsatz.

Die Disko gilt als ein Treff von Rechtsradikalen. Am Wochenende hatten in unmittelbarer Nähe des Lokals vier polizeibekannte Neonazis einen Studenten aus der linken Szene zusammengeschlagen und schwer verletzt.

Die Krawalle in der Nacht waren offenbar eine Reaktion linker Gruppen auf den Überfall.

——
Stand vom 15.07.2009

Dieser Beitrag gibt den Sachstand vom 15.07.2009 wieder. Neuere Entwicklungen sind in diesem Beitrag nicht berücksichtigt.

Falsch! Auch längst bekannte Informationen sind in diesem Beitrag nicht berücksichtigt. Zum Beispiel diese hier von gestern aus derselben Anstalt:

Extremismus:
Polizei: Ermittlungen gegen Prügelopfer

Nach der brutalen Gewalttat am vergangenen Sonntag in Berlin-Friedrichshain ermittelt die Polizei nun auch gegen das 22-jährige schwerverletzte Opfer.

Die Polizei teilte am Dienstag mit, der Mann habe sich zuvor an einer Schlägerei zwischen rechten und linken Jugendlichen beteiligt. Dabei sei auch ein Rechtsextremer verletzt worden.

Zu der Schlägerei sei es gekommen, nachdem linke Jugendliche Anstoß an der Kleidung der rechten Gruppe genommen und einen von ihnen körperlich angegriffen hatten.

Nach der Gruppenschlägerei war das 22-jährige Opfer dann von den Rechtsextremen bewusstlos geschlagen worden. Mittlerweile ist der Mann außer Lebensgefahr, konnte aber noch nicht vernommen werden.

Gegen vier polizeibekannte Rechtsextremisten aus Brandenburg wurden Haftbefehle erlassen.

Fehlt da nicht etwas? Zum Beispiel das hier, das in dem Polizeibericht stand, auf den die Meldung sich bezieht?

In der sich anschließenden wechselseitigen Schlägerei erlitt ein nun in Untersuchungshaft befindlicher 22-Jähriger eine schwere Kopfverletzung. Im Rahmen der Ermittlungen wurde ferner bekannt, dass sich das Opfer der vier in Haft befindlichen Männer offensichtlich auch an der vorangegangenen Schlägerei aktiv beteiligt hatte.

Der 26-Jährige, der als „linker“ Gewalttäter polizeibekannt ist und erst vor kurzem zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war, soll heute einem Richter zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls vorgeführt werden.
Entgegen ersten Meldungen wurden unbeteiligte Passanten bei der „Links-Rechts-Auseinandersetzung“ nicht verletzt.

Obwohl also längst bekannt ist, dass das „Opfer“ zu einer Gruppe von gewalttätigen Linksextremisten gehörte, wird die Polizei („Ermittlungen gegen Prügelopfer“) noch dafür gerügt, dass sie ihre Pflicht tut. Natürlich steht auch unter dieser Meldung:

Stand vom 14.07.2009

Dieser Beitrag gibt den Sachstand vom 14.07.2009 wieder. Neuere Entwicklungen sind in diesem Beitrag nicht berücksichtigt.

Und wieder ist es gelogen! Es ist nämlich noch einiges mehr bekannt, zum Beispiel das, was die Berliner Polizei bereits am 12. Juli der Presse mitgeteilt hat, der RBB den GEZ-Opfern aber verschweigt:

Die mutmaßlichen Täter, die offensichtlich der rechten Szene zuzuordnen sind, waren gegen 5 Uhr 45 auf einem Verbindungsweg zwischen dem U-Bahnhof und dem S-Bahnhof Frankfurter Allee zunächst mit etwa 10 jungen Männern aus dem linken Spektrum in Streit geraten, der in eine Schlägerei mündete. Dabei erlitt ein 26-Jähriger aus der vierköpfigen Gruppe eine Platzwunde. Ursprung des Streites war nach ersten Ermittlungen die einschlägige Kleidung von einem der vier Männer.

Rekonstruieren wir nun: Zehn Linke suchen Streit mit vier Rechten, weil deren Kleidung ihnen nicht passt, und greifen sie tätlich an. Kurz darauf läuft einer der zehn Angreifer seinen Opfern über den Weg und wird von ihnen zusammengeschlagen.

Der RBB lässt diesen Sachverhalt stillschweigend unter den Tisch fallen, rügt noch die Polizei dafür, dass sie gegen ein „Prügelopfer“ ermittelt, und stellt auf diese Weise den brutalen Überfall eines 200köpfigen linksradikalen Mobs auf eine Diskothek in einen Kontext, der dem Zuschauer wohl vermitteln soll, es handele sich hier um eine ausgefallene Form von Bürgerengagement und eine doch zumindest verständliche Form des Protestes „gegen Rechts“..

Frage an die Juristen unter meinen Lesern: Ist das noch bloße Propaganda, oder erfüllt es bereits den Tatbestand der öffentlichen Billigung einer Straftat? Und wenn es Propaganda ist: Ist es eigentlich erlaubt, öffentliche Mittel, nämlich das Geld des Gebührenzahlers für eine Berichterstattung zweckzuentfremden, die dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag ebenso hohnspricht wie den Standards journalistischer Arbeit?

[Und weil wir bei der Medienkritik sind: Kewil befasst sich mit der Berichterstattung der Bild-Zeitung. Ich selbst habe im Fernsehsender TVB mit eigenen Augen gesehen und im Rocksender StarFM mit eigenen Ohren gehört, dass diese verzerrte Berichterstattung anscheinend flächendeckend gleichlautet. Was vermutlich damit zusmmenhängt, dass es viermal mehr linke wie rechte Journalisten gibt, wie der Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg herausgefunden hat. Und für Linke heiligt der angeblich gute Zweck bekanntlich jedes Mittel.]

[Die Zitate vom RBB und der Berliner Polizei waren ursprünglich mit den Originalmeldungen verlinkt. Diese Meldungen stehen nicht mehr im Netz. M., 26.01.2011]

Marxismus, Liberalismus und die Antideutschen

Es kommt manchmal vor, dass ich einen Kommentar schreibe, der so lang und ausführlich, aber auch so grundlegend ist, dass ich es vorziehe, einen neuen Artikel daraus zu machen. So auch hier. In meinem letzten Artikel „Die Krise in den Köpfen“ habe ich liberale und sozialistische Ideologien miteinander verglichen; der einzig wirklich wichtige Unterschied schien mir zu sein, dass Sozialismus im Gegensatz zu Liberalismus auf die  Verstaatlichung der Gesellschaft abzielt. Lebowski, auf dessen Einwand ich hiermit repliziere, wollte die Aussgae so nicht stehen lassen und kommentierte wie folgt:

Ich weiß nicht, ob Du hier Marxisten und Marx in eins setzt. Marx hat nämlich nie den absoluten Staat propagiert, sondern war Staatskritiker.

Siehe dazu:

http://jungle-world.com/artikel/2009/02/32428.html

Und da, wo man Sozialismus ohne Staat versucht, zB in jüdischen Kibbuzen, funktioniert er ja auch ganz leidlich und kommt ganz ohne Gulags aus.

Das mit den Kibbuzim lasse ich gelten; im Heiligen Land gehören die Wunder Gottes zum Leben!   😀

Im übrigen ist der Hinweis auf die Marxsche Staatskritik hochinteressant, weil er, vor allem in Verbindung mit dem Jungle-World-Artikel, einen weiteren Beleg für den Zusammenhang von liberalem und sozialistischem Denken enthält:

Es trifft zu, dass Marx Staatskritiker war, der den Staat vor allem als Unterdrückungsapparatur betrachtete und sich vom Kommunismus auch das Ende des Staates erwarete; und ich habe den Namen „Marx“ auch nicht erwähnt, sondern nur von „Marxisten“ gesprochen, damit genau das Spiel nicht gespielt werden kann, das der Verfasser des Jungle-World-Artikels spielt, und das das Lieblingsspiel aller Apologeten des Sozialismus ist, nämlich den Buchstaben der Theorie gegen die geschichtliche Wirklichkeit auszuspielen: also zu sagen, dass Marx das alles ja ganz anders gemeint habe, als es dann unter Berufung auf ihn und seine Theorie verwirklicht wurde; und es dabei dann bewenden zu lassen statt eine Erklärung dafür vorzulegen, dass jeder –und zwar ausnahmlos jeder! – Versuch, auf der Basis marxistischer Theorie die Gesellschaft zu verändern, nicht etwa zur Abschaffung oder wenigstens Schwächung des Staates geführt hat, sondern ihn in eine Machtposition manövriert hat, die im 19. Jahrhundert noch völlig undenkbar gewesen wäre: Die gemäßigte Variante ist der sozialdemokratische Versorgungsstaat, die radikale die stalinistische Diktatur.

Wenn eine Gesellschaftstheorie bei dem Versuch ihrer Verwirklichung so hartnäckig Ergebnisse hervorbringt, die nicht nur anders sind als von der Theorie postuliert, sondern das Gegenteil des Vorhergesagten, dann deutet das zwingend auf einen Defekt in der Theorie hin. Betrachtet man die diversen Versuche, sozialistische Gesellschaften auf der Basis des Marxismus zu errichten, als Versuche, die Richtigkeit der Theorie zu überprüfen, so muss man die Geschichte des Sozialismus seit 1917 als eine einzige Kette von Falsifizierungen auffassen.

Natürlich kann man es machen wie die Antideutschen und die ideologischen Scheuklappen noch ein wenig fester zurren: Wenn man der wahren Lehre von Marx folgen würde, dann, ja DANN …

Eines muss man ihnen natürlich lassen: Sie haben – genau wie sie es für sich in Anspruch nehmen – die innere Logik des Marxismus klarer erfasst als irgendeine andere ultralinke Fraktion (was aus meinem Munde freilich ein ähnlich zweischneidiges Kompliment ist wie die ebenfalls zutreffende Feststellung, dass die Islamisten den Islam besser verstanden haben als sogenannte gemäßigte oder Reformmuslime).

Dass außerdem die innere Verwandtschaft von Liberalismus und Kommunismus gerade bei denjenigen Liberalen besonders auffällt, die ursprünglich aus dem antideutschen Spektrum stammen, ist kein Zufall. Der Chefideologe jener „Liberalen“, die eine globalistische Ideologie vertreten, ist jedenfalls nicht etwa Karl Popper – der ist höchstens das bürgerliche Feigenblatt -, sondern Karl Marx!

Marx war in der Tat ein früher Vertreter des Globalismus, wahrscheinlich sogar der früheste, und er konnte sich den Sozialismus/Kommunismus nur auf der Basis der Ergebnisse des vollentwickelten Kapitalismus vorstellen – was nebenbei gesagt bedeutet, dass ein Kibbuz-Kommunismus unmarxistisch ist. Das Kommunistische Manifest enthält geradezu eine Hymne auf die revolutionäre Rolle des Kapitalismus, weil dieser durch ständige und wiederholte Umwälzung der Grundlagen der Produktion die gesamte Menschheit aus ihren angestammten Lebensverhältnissen reißt, bestehende Strukturen vernichtet und die Gesellschaft verflüssigt – in der Sprache meiner eigenen Theorie: entstrukturiert.

Erst auf dieser vom Kapitalismus geschaffenen Tabula Rasa kann nach Marx der Kommunismus entstehen. Ein Antideutscher von einem gewissen Theorieniveau aufwärts würde jetzt wahrscheinlich folgendermaßen argumentieren:

Da die bisherigen Versuche, den Kommunismus zu verwirklichen, „zu früh“ kamen, nämlich bevor der kapitalistische Weltmarkt die gesamte Menschheit erfassen und alle vormaligen Lebensverhältnisse zerstören konnte, mussten kommunistische Revolutionäre die Zerstörung dieser Verhältnisse selbst bewerkstelligen, und das Ergebnis konnte nichts anderes sein als eine totalitäre Diktatur. Man muss daher, um zum Kommunismus zu gelangen, die Durchsetzung der kapitalistischen Eigenlogik mit allen Mitteln forcieren. Die Zerstörung hergebrachter Strukturen, Lebensverhältnisse und Wertvorstellungen bewerkstelligt man nicht mit der GPU, sondern überlässt sie der Eigendynamik des Kapitalismus. Militär und Geheimpolizei, überhaupt staatliche Gewalt (und hier speziell die militärische Gewalt der USA), wird nur noch benötigt, um die Feinde dieser Entwicklung auszuschalten.

Bereits dieses Zugeständnis an die „progressive Rolle“ staatlicher Gewalt sollte allerdings ausreichen, die Illusion ad absurdum zu führen, der antideutsche Weg zum Kommunismus werde nicht, wie seine Vorgänger, eine leichenstrotzende Sackgasse sein.

Marx hatte noch gesehen, dass „Fortschritt“ im Sinne der Entstrukturierung der Gesellschaft, ihrer Verflüssigung im Dienste der kapitalistischen Globalisierung, einem heidnischen Götzen gleicht, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken will. Seine Prognose war demgemäß ein „Enweder-Oder“: Entweder Kommunismus oder Barbarei, wobei er die Barbarei zutreffenderweise als das unausweichliche Ergebnis von Entstrukturierung gesehen hat.

Marx allerdings konnte sich noch der Illusion hingeben, die solcherart vernichtete Gesellschaft werde sich, wenn erst der Kapitalismus überwunden ist, auf der Basis bewussten Zusammenwirkens mehr oder minder spontan (gegebenenfalls unter ein wenig Nachhilfe von Seiten der Partei) re-strukturieren.

Für eine solche Hoffnung spricht empirisch überhaupt nichts. Dass eine Gesellschaft, deren Leistungsfähigkeit auf Differenzierung und Komplexität beruht, sich als Einheit, also in einem ent-differenzierten Zustand die Kontrolle über die (ebenfalls entdifferenziert gedachte) Gesamtheit ihrer Lebensgrundlagen verschaffen können, ist schon theoretisch nicht zu begründen und empirisch nirgendwo beobachtet worden.

Ja, es gibt die spontane Selbstorganisation von Gesellschaften, aber sie basiert (wo sie vorkommt bzw. aufgrund eines Zvilisationszusammenbruches erforderlich geworden ist) nicht auf spontan erwachsender Solidarität und vernunftgesteuerter gesellschaftsweiter Kooperation. Sie basiert auf der strukturierenden Kraft der Gewalt. Marx und Engels haben in der „Gewalt in der Geschichte“ stets nur das Mittel zum ökonomischen Zweck erkennen können; demgemäß war auch ihre Staatstheorie eine Agententheorie (der Staat als Agent der herrschenden Klasse).

Tatsächlich hat Gewalt eine Eigendynamik, weil der, der sie glaubwürdig androht, alle Anderen zwingt, sich zu dieser Drohung zu verhalten. Damit gewinnt sie einen Januskopf: Sie kann bestehende Ordnungen zerschlagen, sie kann aber auch Chaos in Ordnung transformieren. Der Staat kann dabei durchaus aus dem Spiel bleiben; er (und sein Gewaltmonopol) ist lediglich die Form, durch die die Gesellschaft die Gewalt aus ihrem Alltag verbannt hat; es steht aber nirgendwo geschrieben, dass die Verbannung der Gewalt aus dem gesellschaftlichen Alltag notwendig für die Aufrechterhaltung von Gesellschaft schlechthin wäre. Die Gewaltfreiheit als Regelfall ist „nur“ notwendig für eine in unserem Sinne humane und zivilisierte Gesellschaft.

Die Zerschlagung der Struktur „Staat“ würde also nicht nur seinen Herrschaftscharakter zerstören, sondern auch seinen Ordnungscharakter. Die Zerstörung des Gewaltmonopols führt zunächst zur Atomisierung der Gewalt in vagabundierende Kleinsteinheiten; von diesem Punkt her entwickelt sie dann ihr strukturierendes Potenzial. Weil das so ist, wird die Herrschaft über eine verflüssigte, entstaatlichte und entstrukturierte Gesellschaft nicht etwa im Kommunismus aufgehoben, sondern fällt an diejenige politische Einheit, die den strukturierenden Charakter der Gewalt am Effektivsten für sich nutzt. Der einzige Kandidat, den ich sehe, ist der Islam.

Der Islam ist bekanntlich Religion, Gesellschaftsordnung und Rechtssystem zugleich, und sein Recht läuft darauf hinaus, ohne Rückgriff auf einen verselbständigten Staat einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu stiften, wer unter welchen Voraussetzungen gegen wen Gewalt anwenden darf. Da die islamische Ethik eine solche der exklusiven Gruppensolidarität ist, haben „Ungläubige“ keine Chance, sich den Forderungen des islamischen Djihadsystems zu entziehen. Der Djihad endet erst mit der Errichtung einer islamischen Ordnung. Ich habe neulich den islamischen Sklavismus als ein System beschrieben, das Menschen aufsaugt, zerbricht, umformt und als Moslems wieder ausspuckt. Dasselbe gilt auch auf der kollektiven Ebene: Die nichtmuslimische Gesellschaft wird erobert, zerschlagen, re-strukturiert und als islamische befriedet. Der Islam hat in seiner gesamten Geschichte (und auch in jüngster Zeit in etlichen Failed States – Somalia, Afghanistan) sein strukturierendes Potenzial bereits bewiesen, der Kommunismus noch nie – jedenfalls nicht der, den Marx sich erträumte!

Dass Marx die Illusion hegen konne, die Herrschaft von Menschen über Menschen, und damit auch den Staat, im Wege der politischen Revolution zu beseitigen, liegt daran, dass er bestehende Strukturen ausschließlich im Hinblick auf ihren Herrschaftscharakter betrachtete, d.h. an seiner spezifisch linken Optik. Soziale Strukturen unter anderen als herrschaftskritischen Gesichtspunkten zu beurteilen, kam ihm so wenig in den Sinn wie irgend einem Linken sonst. Als Linker verinnerlicht man diese Prämisse derart früh, dass auch ich über zwanzig Jahre gebraucht habe, um sie als nicht begründete und obendrein falsche Prämisse meines eigenen Denkens zu erkennen (was in etwa der Feststellung entspricht, dass ein fertig gebautes Haus einen irreparablen Riss im Fundament aufweist).

(Vermutlich ist darin auch der Grund dafür zu suchen, dass ich hier immer mal wieder mit Kommentatoren zu tun habe, die überhaupt nicht imstande sind, diese Denkprämisse als solche zu erkennen, nicht einmal, wenn man sie ihnen dreimal um die Ohren haut, und die mich deshalb so lange mit den daraus resultierenden Dogmen nerven, bis ich sie vor die Tür setze.)

Der zweite grundlegende Defekt von Marx‘ Theorie ist subtiler, aber nicht weniger wichtig: Es handelt sich dabei um seine höchst einseitige Anwendung der dialektischen Methode. Marx ging von der Prämisse aus, dass die Gesellschaft sich in ihren Widersprüchen bewegt, und das heißt vor allem: BEWEGT.

Das ist natürlich nicht falsch. Nur fällt dabei unter den Tisch, dass dialektische Widersprüche eine Struktur auch stabilisieren können. Die Bewegung der Gesellschaft ist nicht notwendig eine Bewegung von einer Struktur zur anderen (also etwa vom Kapitalismus zum Sozialismus), sondern kann Bewegung innerhalb eines Widerspruches sein, ohne dass die Theorie dadurch in sich widersprüchlich würde. Engels hat die Dialektik zwar einmal am Beispiel der Planetenbewegung (als Widerspruch zwischen zentripetaler und zentrifugaler Kraft) erklärt – wodurch an sich genau dieser Gedanke einer strukturstabilisierenden Wirkung von dialektischen Widersprüchen nahegelegt wird (die Struktur wäre in diesem Fall das Planetensystem, das sich seit Millionen Jahren gleichbleibt, wenn auch nicht für alle Ewigkeit), aber theoretisch verarbeitet und auf die Gesellschaft bezogen wurde diese Idee weder von Marx noch von Engels: Ihre Theorie hätte dann auch aufhören müssen, Revolutionstheorie zu sein.

Die Krise in den Köpfen

Eigentlich sollte ich es ja wissen, da Wissenschaftskritik und Medienkritik meine Steckenpferde sind: Auf die Prognosen von Wirtschftsjournalisten und -wissenschaftlern kann man nichts geben (auf die der letzteren schon deshalb nicht, weil sie praktisch nie eintreffen). Ich habe an ungezählten Beispielen den Nachweis geführt, dass die Medien und die Gesellschaftswissenschaften verkappte Ideologiefabriken sind. Warum sollte es bei den Ökonomen anders zugehen als bei den Historikern, Soziologen, Politikwissenschaftlern etc.? Etwa weil sie „bürgerlicher“ sind?

Seit Beginn der gegenwärtigen Wirtschaftskrise haben wir mindestens einmal pro Woche aus mehr oder weniger berufenem Munde die Diagnose gehört, diese Krise werde die schlimmste seit Beginn der dreißiger Jahre. Und nun weigert sie sich – die Krise nämlich – den Befehlen ihrer Interpreten zu gehorchen.

Ja, ja, es gibt schon ein bisschen Krise. Aber es gibt weder einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, noch gibt es einen wirklichen Konsumeinbruch, noch einen Börsenkrach. Gerade dieser Umstand gibt mir besonders zu denken: Die Börse ist der Ort, an dem relativ intelligente Menschen richtiges Geld auf die Zukunft der Wirtschaft wetten. Wenn die nicht einbricht, dann können die Aussichten so finster nicht sein.

Ja, ich weiß, und ich bekenne mich dazu, dass ich von Makroökonomie nicht viel verstehe – jedenfalls weniger als jene „Weisen“, deren Prognosen regelmäßig weniger treffsicher sind als die, die man per Meinungsumfage ermitteln könnte. Deswegen habe ich auch ein gutes halbes Jahr gezögert, den Ökonomen das zu sagen, was Helmut Schmidt einmal den Jusos sagte:

„Die Krise findet in Euren Köpfen statt!“

Jedenfalls diejenige Krise, die die schlimmste seit 1930 sein soll, und an die ich von Anfang nicht glauben konnte. Die Regierungen haben einfach all das richtig gemacht, was sie in den Dreißigern falsch gemacht haben: keine Zollmauern, kein Protektionismus, keine Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben. Statt dessen internationale Absprachen, staatliche Rettungsaktionen, Bürgschaften, Konjunkturprogramme. Wenn die Großkrise ausbleibt und wir höchstens ein Krislein erleben, so liegt das daran, dass dieser Keynesianismus funktioniert.

Womit wir zugleich wissen, warum die neoliberalen Ökonomen genauso unverdrossen die ökonomische Apokalypse an die Wand malen wie ihre marxistischen Gegenspieler: Wenn die Wirtschaft nämlich jetzt nicht zusammenbricht, wenn sie nicht wenigstens dramatisch im Stil der dreißiger Jahre einbricht, dann sind nicht nur die (marxistischen) Kritiker des Kapitalismus blamiert, sondern auch die (liberalen) des Keynesianismus.

Der funktioniert nämlich aus demselben Grunde, aus dem auch die Verabreichung von Medikamenten an einen Kranken funktioniert, obwohl diese Medikamente mit „Gesundheit“ so wenig zu tun haben wie staatliche Rettungsfonds mit „Marktwirtschaft“. Technisch gesehen sind Medikamente Gifte, deren Wirkung darin besteht, der Krankheit mehr zu schaden als dem Patienten. Wer sich natürlich darauf festgelegt hat, dass die „Selbstheilungskräfte“ alles sind und die Medikamente nichts, wird dazu neigen, den Patienten respektive die Weltwirtschaft lieber sterben zu lassen als den allmächtigen Selbstheilungskräften vorzugreifen.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir es wirklich mit bewusster Sabotage zu tun haben, aber wenn die Ökonomen im Sinne einer Self-fulfilling prophecy einen Zusammenbruch herbeireden wollten, dann müssten sie genau das tun, was sie auch tatsächlich tun, nämlich fortwährend Katastrophen an die Wand malen.

Nero soll Rom angezündet haben um eines Liedes willen. Warum sollten heutige Ökonomen und erst recht ihre journalistischen Lautsprecher nicht die Weltwirtschaft ruinieren um einer Theorie willen? Es wäre schließlich nicht die erste Theorie, für die die Linke die Welt in Brand steckt – zumal uns die Theorien sowohl der Sozialisten als auch der Liberalen nicht mehr und nicht weniger verheißen als das Heil! Die Neoliberalen neigen nämlich genauso wie die Marxisten zur Verwechslung von Wissenschaft und Religion, und sie glauben deswegen an den allmächtigen und allwissenden Markt. Staatseingriffe sind in einem solchen Weltbild Blasphemie, und Keynes so etwas wie der Gottseibeiuns.

(Womit die Liberalen ganz nebenbei und durchaus unfreiwillig demonstrieren, dass Gottlosigkeit nicht etwa zum Verschwinden von Religion führt, sondern dazu, dass Alles Religion wird  – auch das, was vormals „Wissenschaft“ hieß.)

Die neoklassische Ökonomie, die die theoretische Begründung für das liefert, was wir gemeinhin „Neoliberalismus“ nennen, beruht auf der im Gedankenmodell, aber eben nur dort,  glänzend bestätigten Hypothese, dass in einer Gesellschaft, in der alle Beziehungen Marktbeziehungen auf der Basis individueller Nutzenmaximierung sind, also alle materiellen und immateriellen Güter handelbare Waren sind, es zum größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen kommt. Dieses Modell impliziert, dass jede Abweichung der Wirklichkeit vom Ideal allseitigen Glücks nur auf einer Fehlallokation von Ressourcen beruhen kann und diese wiederum auf systemwidrige Eingriffe in das Marktgeschehen zurückzuführen sein muss.

Die total durchmarktete Gesellschaft der neoklassischen Ökonomie kann es in der Realität unter anderem nicht geben, weil nicht alle Güter handelbar sind: Dass mein Nächster mich (wahrscheinlich) nicht körperlich angreifen wird (auch nicht wenn ich einen Koffer voll Bargeld bei mir habe), verdanke ich nicht einem Handel, den ich mit ihm abgeschlossen hätte, sondern den Auswirkungen einer verinnerlichten Ethik, die unter der Annahme individueller Nutzenmaximierung insofern unwirtschaftlich ist, als sie die Kosten privatisiert, die Gewinne aber sozialisiert.

Dass es eine solche Gesellschaft real nicht geben kann, ändert nichts daran, dass sie – wie ihr marxistisches Gegenstück – als theoretisches Ideal, sprich: als Utopie, Ihre Anhänger motiviert und deren Wirklichkeitsbeschreibungen die Richtung weist:

Für den Neoliberalen stehen soziale Beziehungen, die keine Marktbeziehungen sind, unter dem Verdacht, marktverzerrende Wirkungen hervorzurufen. Das gilt naturgemäß für das weite Feld der Solidaritätsbeziehungen und derjenigen politischen Ideen, die auf der Erwartung wechselseitiger Solidarität aufbauen. Öffentliche Dienstleistungen, die dem Erhalt und der Stabilisierung der Gesellschaft als solcher dienen und deren Nutzen sich auf zukünftige Generationen erstreckt (öffentliches Bildungswesen, Sozialausgaben für Familien etc.), sind der Marktwidrigkeit in hohem Maße verdächtig. Und nicht nur verdächtig, sondern der marktwidrigen Blasphemie überführt ist, wer durch Einschränkung der Arbeitsmigration die optimale Allokation des Faktors „Arbeitskraft“ zu behindern versucht (um die soziale Stabilität zu erhalten oder gar aus Patriotismus) oder wer auf dem arbeitsfreien Sonntag beharrt – womöglich noch aus religiösen Gründen.

Solidaritätsstiftende Strukturen (Religion, Familie, Nation) sind unter den Vorgaben einer solchen Ideologie nicht nur nicht erhaltenswert, sie verhindern das Heil und müssen deshalb vernichtet werden.

Die Utopie der totalen Durchmarktung unterscheidet sich zwar dem Inhalt, nicht aber der Struktur nach von ihrem Gegenstück, der totalen Verstaatlichung der Gesellschaft. In beiden Fällen haben wir es mit Ideologien zu tun,

  • die nie falsifiziert werden können, weil sie den Beweis für ihre Richtigkeit in eine Zukunft verlegen, in der die Ideologie verwirklicht sein wird,
  • die gerade deshalb ihren Anhängern das Gefühl von Bescheidwissen vermitteln, und
  • die ihnen – dies vor allem – scheinbar das Recht geben, ihren Mitmenschen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.

Eine Ideologie, die den Menschen Solidarität einer ganz bestimmten Art aufzwingt – wie die sozialistische -, und eine, die ihnen die Abwesenheit von Solidarität aufzwingt – wie die liberale – unterscheiden sich zwar der Art, nicht aber der Intensität des Eingriffs nach voneinander. Die politisch motivierte Verfügung über das Gesellschaftsganze setzt nicht etwa zufällig in beiden Fällen die Zerstörung gewachsener Solidarstrukturen voraus  (weswegen Liberale und Ultralinke gleichermaßen und sogar mit denselben Parolen gegen Nation und Religion hetzen). Vielmehr weist die Gemeinsamkeit der Angriffsziele auf die Gleichartigkeit der ideologischen Strukturen hin:

Beide Ideologien basieren auf dem Versuch, die Gesellschaft auf der Basis einer Utopie umzubauen. Beide sind bereits der Idee nach totalitär, weil sie einem gesellschaftlichen Funktionsbereich die Dominanz über alle anderen einräumen (im Falle der Sozialisten ist das die Politik, letztlich der Staat, im Falle der Liberalen ist es die Wirtschaft). Und beide, auch die Liberalen, sind am Ende gezwungen, die Leistungen, die vormals die gewachsenen Solidarstrukturen für die Erhaltung der Gesellschaft erbracht haben, durch die Gewalt des Staates zu substituieren. (Ich habe neulich schon auf die Staaten hingewiesen, die von den Markttheologen des IWF verheert wurden, dessen Politik zu ihrer Durchsetzung der Methoden von Gewaltherrschern bedurfte.)

Wenn wir es ideologiekritisch statt soziologisch betrachten, beruht das totalitäre Moment beider Ideologien auf der Vorstellung, man könne die Gesellschaft auf der Basis einer konkurrenzlos herrschenden Idee organisieren: der Idee der puren Solidarität bei den Sozialisten, der Idee der reinen Konkurrenz bei den Liberalen.  Wer so argumentiert, kann für sich nicht in Anspruch nehmen, die offene Gesellschaft zu verteidigen. Die Offenheit dieser Gesellschaft beruht nämlich gerade auf dem Spannungsverhältnis von Solidarität und Konkurrenz, von Gemeinschaft und Gesellschaft, von Freiheit und Bindung. Auf den Punkt gebracht sorgt Konkurrenz für die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft, Solidarität für ihre Erhaltung. Die Offene Gesellschaft mit Methoden erhalten zu wollen, deren Anwendung zur Vernichtung der Gesellschaft überhaupt führt, ist ein Widerspruch in sich.

Was immer man sonst gegen die westlichen Regierungen, auch unsere eigene, sagen mag: Im Umgang mit der Wirtschaftskrise haben sie ein Maß an gesundem Menschenverstand und souveräner Ideologieverachtung an den Tag gelegt, das man sich auch für andere Bereiche als die Wirtschaftspolitik wünschen würde.

Wie Stalinismus funktioniert

Wer unter Stalin in Russland oder unter Mao in China lebte, konnte seine Überlebenschancen beträchtlich erhöhen, wenn er andere politisch anschwärzte, und er reduzierte sie gewaltig, wenn er sich von einem bereits Angeschwärzten nicht distanzierte. In einem System, in dem Jeder jederzeit verdächtigt werden konnte, bis hinauf ins Politbüro, war es lebenswichtig zu wissen, von wem man sich aktuell distanzieren musste, um als zuverlässiger Genosse zu gelten.

Besonders wichtig war das selbstredend für diejenigen Genossen, die Anlass hatten zu glauben, sie würden selbst als Abweichler verdächtigt; die mussten ganz besonders eifrig sein, wenn es galt, „Klassenfeinde zu entlarven“.

Derselbe Mechanismus funktioniert auch ganz ohne GPU, allein durch den Gruppenzwang in der Politkirche der politisch korrekten Linken. Dort weiß man zwar nie so genau, was gerade die gültige Theologie ist. Wohl aber weiß man, dass man exkommuniziert werden kann, wenn man von ihr abweicht.

Wenn wir uns den Psychodruck vorstellen, unter dem einer stehen muss, der als Linker eine als „rechts“ geltende Position vertritt, wird uns klar, warum gerade die linken Islamkritiker, und nicht etwa die Mainstream-Linken, so verbissen gegen die rechte Islamkritik hetzen. Sie stehen ja innerhalb der Gesamtlinken aufgrund ihrer eigenen islamkritischen und israelfreundlichen Haltung unter permanentem Häresieverdacht.

Andersdenkende als rechtsradikal zu verunglimpfen, ist offenbar nicht nur ein kollektiv angewandtes Mittel, die Dominanz der eigenen politischen Richtung, also der Linken, zu sichern, sondern gleichzeitig ein individuelle Strategie, mit der man sich als Linker davor schützt, selbst an den Pranger gestellt zu werden.

Ein Satz mit X

Das war wohl nX.

Als ich kurz nach sechs hier im Blog über das GEZ-Fernsehen schimpfte, konnte ich mir noch nicht vorstellen, dass über zehn Prozent der Stimmen (!) sich in Null-Komma-Fliegendreck-Anteilen über fünfundzwanzig Parteien (!) verteilen würden; ich war sicher, dass es ein oder zwei mit nennenswerten Ergebnissen (drei plus x) geben würde. Wie man sich täuschen kann.

Jetzt liegt das vorläufige amtliche Endergebnis vor:

Demnach waren die stärkste Partei nach dem Dhimmikartell der Etablierten die Freien Wähler mit 1,8 Prozent. Danach die Republikaner mit 1,3. Dann kommt schon – die Tierschutzpartei! (Klar, wer sonst? Wir sind schließlich – im Gegensatz zu Holland oder Österreich – ein glückliches Land und haben keine anderen Sorgen als das Glück unserer Kühe!) Der Rest sind Kuriositäten, etwa die drei (!) Rentnerparteien mit 0,2 %, 0,4 % und 0,8 % – womit bestätigt sein dürfte, dass Rentner tatsächlich nichts Vernünftiges zu tun haben -, oder die „BüSo“ mit der unverwüstlichen Helga Zepp LaRouche, die wahrscheinlich schon unter Kaiser Wilhelm zu  jeder Wahl antrat (in jedem Falle aber seit ich denken kann) und diesmal mit weniger als zehntausend Stimmen als Vorletzte ins Ziel kam.

Wenn man bedenkt, dass bei Europawahlen wegen der geringen Wahlbeteiligung die Latte für Außenseiter niedriger liegt (eine Million Stimmen hätten für die Fünf-Prozent-Hürde gereicht, statt knapp zwei wie bei Bundestagswahlen), ist das Ergebnis für die kleinen bürgerlichen und rechtskonservativen Parteien ein Debakel. Dass es auch für die linken Parteien eines war, tröstet daher wenig. Mir ist es jedenfalls gleichgültig, ob unsere Zukunft von Schwarzgelb oder von Rotrotgrün ruiniert wird.

Jedenfalls zeigt die Wahl ungeachtet der vorgeblich „bürgerlichen“ Mehrheit, dass unser Land sich fest im Griff der politischen Linken befindet:

Daran, dass die Unionsparteien für ihren Linkskurs (Pars pro toto: Ursula von der Leyen) nicht nur nicht abgestraft, sondern belohnt werden, und das sogar bei einer Europawahl, wo man getrost Protest wählen könnte, können wir ablesen, dass es eine politische Rechte in Deutschland praktisch nicht gibt. Das Kartell der Linken hat 89,2 Prozent der Stimmen kassiert. Und dabei sind die Rentner und die Tierschützer nicht einmal mitgerechnet.

Wer hat Angst vor einem Palästinenserstaat?

Scharons politisches Meisterstück: der Abzug aus dem Gazastreifen

Viele Israelis werden es bezweifeln, ich aber glaube, dass Ariel Scharons Schachzug, den Gazastreifen zu räumen, ob seiner Genialität in jedes Lehrbuch der Politik gehört. Wer immer geglaubt hatte, die Palästinenser hätten vor allem ein Interesse am Ende der Besatzung und an der Errichtung eines eigenen Staates, wurde eines Anderen belehrt, und es waren die Palästinenser selbst, die diese Lehre erteilten.

Gerade die Tatsache, dass die schlicht Unbelehrbaren, also Leute vom Schlage eines Norman Paech, die Räumung leugnen und den Streifen allen Ernstes als immer noch besetztes Gebiet sehen wollen, zeigt, wie sehr die palästinensische Propaganda durch diesen Akt an Glaubwürdigkeit verloren hat. Es zeigt zugleich, dass es den pro-palästinensischen Aktivisten hierzulande nicht darum geht, den Palästinensern zu helfen, sondern Israel zu schaden.

Was wollen die Palästinenser eigentlich?

Wäre es das Ziel der Palästinenser gewesen, die Besatzung zu beenden, so war dieses Ziel in Bezug auf den Gazastreifen mit dem Abzug im August 2005 erreicht, und es war offensichtlich, dass die israelische Politik darauf abzielte, auch das Westjordanland zu räumen. Die Raketen, die seitdem vom Gazastreifen auf Israel abgefeuert wurden, konnten demgemäß nur als Aufforderung verstanden werden, das Westjordanland nicht zu räumen (weil sonst auch von dort die Raketen fliegen würden).

Wäre es ihr Ziel gewesen, einen eigenen Staat zu errichten, so kann – wiederum seit August 2005 – absolut niemand sie daran hindern. Dieser Aspekt wird wenig gesehen, deshalb möchte ich ein wenig darauf eingehen:

Nach klassischer völkerrechtlicher Theorie existiert ein Staat dann, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind:

– ein Staatsvolk,

– eine Staatsgewalt,

– ein Staatsgebiet.

Die Palästinenser erheben bekanntlich den Anspruch, eine Nation im politischen Sinne zu sein; die Existenz eines potenziellen Staatsvolks wird man also unterstellen dürfen.

So etwas wie Staatsgewalt existiert ebenfalls in Gestalt der Autonomiebehörde bzw. (seit dem Hamas-Putsch im Streifen) in Form der Hamas-Behörden.

Seit Israel seine Truppen zurückgezogen und den Gazastreifen zu Ausland erklärt hat, existiert dort auch ein potenzielles Staatsgebiet – da ja kein anderer Staat auf den Streifen Anspruch erhebt, auch Ägypten nicht.

Es ist wichtig zu wissen, dass es bei Vorliegen dieser drei – rein faktischen! – Voraussetzungen nicht darauf ankommt, ob Drittstaaten einen neuen Staat anerkennen oder nicht!

Zumindest im Gazastreifen – vorläufig allerdings nur dort – könnten die Palästinenser seit August 2005 also jederzeit  einen vollwertigen Staat gründen, und sie wären dabei von niemandes Erlaubnis abhängig, auch nicht von der Israels. Wenn sie das nicht tun, heißt dies, dass sie es nicht tun wollen.

Warum?

Vielleicht weil dies den Verzicht auf alle Gebiete außerhalb des Gazastreifens bedeuten würde? Mitnichten. Niemand könnte einem palästinensischen Staat verwehren, offiziell Anspruch auf das Westjordanland zu erheben, so wie auch niemand der alten Bundesrepublik verwehren konnte, die Wiedervereinigung als Staatsziel zu proklamieren.

Ob er das Westjordanland – oder was immer er sonst fordern würde – tatsächlich bekäme, stünde natürlich auf einem anderen Blatt, aber er würde den Anspruch nicht schon dadurch verwirken, dass er ihn nicht sofort durchsetzen könnte.

Einen eigenen Staat haben heißt aber: Pflichten haben!

Und genau hier liegt der springende Punkt:

Ein Palästinenserstaat könnte nämlich nicht nur, er müsste seine Ansprüche explizit zu Protokoll geben! Und das würde bedeuten, dass die Hamas die Vernichtung Israels nochmals, und diesmal mit dem ganzen Gewicht einer staatlichen Willensbekundung, vor aller Welt fordern – oder dieses Ziel aufgeben müsste.

Und natürlich müsste ein Staat die Verantwortung für die militärischen Angriffe auf sich nehmen, die von seinem Territorium gegen das Nachbarland vorgetragen werden. Für die Wahrnehmung des Konflikts durch die Augen selbst des verblödeten westlichen Publikums würde es vermutlich einen Unterschied bedeuten, ob zwei Staaten gegeneinander kämpfen, oder ob man denselben Konflikt – so wie jetzt – als Konflikt zwischen einem Staat und einer auswärtigen „Zivilbevölkerung“ verkaufen könnte.

Die Existenz eines eigenen Staates würde den Palästinensern nicht nur Rechte verschaffen, die sie haben wollen, sondern auch Pflichten auferlegen, die sie nicht haben wollen. Insbesondere solche Pflichten, die sie daran hindern könnten, ihr Nachbarvolk zu massakrieren.

Deshalb wollen sie ihn nicht.

Bibel in gerechter Sprache

Die Festplatte aufzuräumen ist so ähnlich wie den Speicher zu entrümpeln: Man entdeckt hundert Dinge, die einem entfallen waren, und gerät auf eine Art Zeitreise zurück ins eigene Leben.

Ich bin also beim Entrümpeln meiner Festplatte auf einen Text gestoßen, den ich vor zwei Jahren, also in meiner Vor-Blog-Ära, geschrieben habe. Ob er wirklich noch aktuell ist, weiß ich nicht, aber zum Löschen ist er allemal zu schade.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann hatte damals in „chrismon“ die „Bibel in gerechter Sprache“ angepriesen. „Chrismon“ ist gleichsam das Hausblättchen des liberalen Protestantismus in Deutschland, das ich bis dahin gelesen hatte und seitdem nicht mehr. Die Herausgeber dieser „Bibel in gerechter Sprache“ hatten nämlich das Kunststück fertiggebracht, den Christen und den Auklärer in mir gleichzeitig bis zur Weißglut zu provozieren.

Was lange gärt, wird endlich Wut: Der Ärger über die politische Linke hatte sich bei mir über Jahre angestaut, und 2006 war ich höchstens noch ein Gewohnheitslinker, wenn überhaupt einer. Wenn ich aber rückblickend darüber nachdenke, welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen und mich dazu brachte, mit der ganzen linken Mischpoke endgültig nichts mehr zu tun haben zu wollen, dann war es diese Gutmenschenbibel, weil die mir den ganzen totalitären Irrsinn linker (und eben nicht erst spezifisch kommunistischer) Ideologie in hochkonzentrierter Form vor Augen führte.

Jedenfalls schrieb ich damals zwei Briefe: einen an die Bischöfin, einen zweiten an die „chrismon“-Redaktion mit der Bitte, den ersten zu veröffentlichen. Diese Briefe habe ich jetzt auf meiner Festplatte wiedergefunden:

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem Bischöfin Käßmann in der vorletzten Ausgabe von „chrismon“ ein Loblied auf die sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ gesungen hatte, ging ich selbstverständlich davon aus, dass nunmehr diejenigen Theologen und Philologen reagieren und replizieren würden, die eine etwas weniger legeres Verhältnis zum biblischen Text, dafür aber ein wesentlich kritischeres Verhältnis zu den Anmaßungen der Political Correctness haben als die Bischöfin und mit ihr die Verfasser der vorliegenden neuen Bibelversion. Mit Ausnahme eines sehr kurzen und auch nur halb kritischen Leserbriefes hat „chrismon“ nichts dergleichen veröffentlicht. Das erstaunt mich.

Müsste ich annehmen, dass es solche kritischen Stellungnahmen nicht gegeben hat, so würde ich mich fragen, ob denn der deutsche Protestantismus, der einmal mit dem Anspruch angetreten ist, seine Theologie sola scriptura zu begründen, schon so weit von seinen ursprünglichen Anliegen entfernt ist, dass er die Bibel gewissermaßen als quantité négligeable auffasst, auf deren authentische Übersetzung es nicht ankommt, und deren absichtliche Fälschung weder einen Skandal noch auch nur einen Anlass zur Kritik darstellt.

Tatsächlich fördert bereits ein Blick ins Internet ermutigenderweise zutage, dass die Empörung quer durch die Christenheit unseres Landes geht: Sie wird artikuliert von Theologen und Laien, von Protestanten und Katholiken, von Liberalen und Fundamentalisten, von Gebildeten und Ungebildeten. Und wenn Bischöfin Wartenberg-Potte, eine der Fördererinnen des Projekts, sagt: „Über viele Kritiken brauchen wir nicht zu schmollen. Viel Feind, viel Ehr.“, so drückt dies eben nicht nur die bornierte Arroganz der Sektiererin aus, die die Vielzahl der Kritiker geradezu als Beweis für de Richtigkeit der eigenen Position ansieht, sondern bezeugt aus unverdächtigem Mund die Breite und Tiefe der Opposition gegen dieses Projekt. Deswegen kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass in Ihrer Redaktion keine kritischen Stellungnahmen zum Artikel von Frau Käßmann eingegangen sein sollen.

Nun möchte ich Ihnen nicht geradezu unterstellen, Sie wollten die Kritik totschweigen.

– Ich weiß nicht mehr genau, ob ich in diesem Punkt höflich oder naiv war –

Möglicherweise unterschätzen Sie aber die theologische und kirchenpolitische Brisanz des Themas, die ich in meiner unten folgenden Antwort auf Frau Käßmann dargelegt habe, und die, zusammengefasst, darin besteht, dass in der neuen Bibelversion eine theologische Position vertreten wird, die auf die Selbstabschaffung des Christentums hinausläuft. Ich bitte Sie, diese Antwort zu veröffentlichen, ungeachtet der Tatsache, dass ich Politikwissenschaftler und als solcher fachfremd bin. Da Thema ist zu wichtig und brennt zu vielen Menschen unter den Nägeln, als dass „chrismon“ einfach stillschweigend daran vorbeigehen sollte.

Sollten Sie sich zu einer Veröffentlichung nicht entschließen können, bitte ich Sie mir dies per e-Mail mitzuteilen; ich würde den Artikel dann anderweitig publizieren.

Mit freundlichen Grüßen 

Selbstverständlich hat „chrismon“ sich gehütet, auch nur eine Zeile zu veröffentlichen. Insofern ist dieser Artikel die längst überfällige Einlösung eines Versprechens.

Der Brief an die Bischöfin lautete wie folgt:

Sehr geehrte Frau Käßmann,

die Verfasser der von Ihnen jüngst gelobten neuen Bibelversion erheben bekanntlich den Anspruch, eine Bibelübersetzung, und zwar „in gerechter Sprache“ vorgelegt zu haben. Nun ist Gerechtigkeit, worin immer sie auch konkret bestehen mag, zweifellos ein hohes Gut. Ist sie aber wichtiger als die Wahrheit, die historische wie die theologische? Darf man um der Gerechtigkeit willen auch lügen und fälschen – nach dem Motto, der Zweck heilige die Mittel? Darf eine Kirche, die sich christlich nennt, die Person Christi aus dem Zentrum ihres Glaubens verbannen? Darf eine protestantische Kirche ihre Gläubigen bevormunden? Nein?

Dies alles aber tun die Verfasser jener „Bibel in gerechter Sprache“, und Sie, Frau Käßmann, segnen mit der Autorität der Bischöfin ein – pardon – Machwerk ab, das weder protestantisch noch auch nur christlich ist, und das nicht einmal für sich in Anspruch nehmen kann, aufklärerisch zu sein.

Zentrale Anliegen der Reformation waren bekanntlich die alleinige Geltung der Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens, die Autonomie des Gläubigen gegenüber kirchlicher Autorität in Glaubens- und Gewissensfragen, und als Konsequenz aus beidem das Recht, aber auch die Pflicht des Christen, sich nach bestem Wissen und Gewissen mit der Bibel auseinanderzusetzen.

Dabei war für Luther der jeweilige Originaltext in hebräischer und griechischer Sprache autoritativ – welcher auch sonst? Idealiter hätte also jeder Gläubige Altphilologe sein müssen. Da dies utopisch war und ist, galt es realiter, jedem Volk die Bibel in seiner eigenen Sprache zu bringen – dabei aber so nahe wie möglich am ursprünglichen Sinn und Wortlaut des Originals zu bleiben. Die Forderung nach Authentizität der Übersetzung ergibt sich daher nicht aus fundamentalistischer Buchstabengläubigkeit, sie hat nichts mit dem Glauben an die Verbalinspiration der Schrift zu tun. Sondern sie folgt zwingend aus den Urpostulaten der Reformation: aus der Theologie sola scriptura und der Freiheit eines Christenmenschen!

Authentisch ist eine Übersetzung aber nicht dann, wenn sie den Intentionen und Interessen des Übersetzers, sondern wenn sie denen des Verfassers entspricht. Entspricht sie diesen nicht, so haben wir es bestenfalls mit einer schlechten Übersetzung, schlimmstenfalls mit einer Fälschung zu tun.

Dass eine Eins-zu-eins-Übersetzung aus der einen Sprache in die andere nicht möglich ist, jede Übersetzung daher auch Interpretation und das Prinzip der Authentizität notwendig Kompromissen unterworfen ist, ist eine Binsenwahrheit, eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber ein grundlegender Unterschied, ob man solche Kompromisse eingeht, weil sie in der Natur der Sache und der Sprache liegen und daher unvermeidbar sind, oder ob man den Aussagegehalt des Textes absichtlich verändert, weil einem die originäre Aussage nicht in den Kram passt! Wenn zum Beispiel der Evangelist Matthäus „Vater unser“ (bzw. „Unser Vater“, Mt.6,9) schreibt, die Übersetzung aber behauptet er habe „Vater und Mutter“ geschrieben, so ist dies, ob gerecht oder nicht, eine Lüge und eine Fälschung! Wird diese Fälschung dadurch gerechtfertigt, sie drücke aus, was „eigentlich“ gemeint sei, so verstehe ich nachträglich die Allergie meines alten Deutschlehrers gegen das Wort „eigentlich“ – eine Worthülse, in die jeder hineinstopft, was er will.

Tatsächlich drückt diese Fälschung bestenfalls das aus, was wir heute meinen. Selbstverständlich fasst heute niemand mehr die Gottesbezeichnung „Vater“ wortwörtlich auf, als sei Gott ein Mann. Für uns heute ist das Wort „Vater“ eine bloße Metapher für Gottes Fürsorge und Autorität.

Das ändert aber nichts daran, dass man sich in Gott biblischer Zeit durchaus als einen Mann vorstellte … . Dies, wie auch die Frauenfeindlichkeit des Paulus oder die apokalyptischen Passagen der Bibel (um nur einige Beispiele zu nennen) sind Dinge, mit denen man sich kritisch interpretierend auseinandersetzen muss, um das Bleibende und Ewige vom Zeitgebundenen zu trennen. Daran haben wir alle zu kauen. Als mündige Christen können wir aber auch daran kauen; wir sind, um im Bilde zu bleiben, nicht darauf angewiesen, dass man uns geistigen Babybrei vorsetzt, in dem alles Harte, Zähe und Schwerverdauliche vor- und fürsorglich bis zur Unkenntlichkeit püriert worden ist!

Ich, für meinen Teil, verbitte mir diese Art von Fürsorge: Es ist die Fürsorge des Zensors, der, natürlich nur „in bester Absicht“, die unmündigen Menschen vor jedem Text bewahren will, den sie „falsch“ – nämlich anders als der Zensor – verstehen könnten, wenn sie ihn autonom interpretierten. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, Frau Bischöfin, dass die Reformation von Anfang an ein Aufschrei und ein Aufstand des freien Christenmenschen gegen just diesen zensorischen und inquisitorischen Geist war?

Kaum weniger fragwürdig als diese Bevormundung der Gläubigen ist der Umgang mit der jüdisch-christlichen Geschichte. Und da dieser nicht nur mit einem unaufgeklärten, weil unhistorischen Religionsverständnis zu tun hat, sondern auch mit einem anti-aufklärerischen Sprachverständnis, sehe ich mich gezwungen, so lächerlich und peinlich das ist, einige linguistische Binsenwahrheiten ins Gedächtnis zu rufen:

Ein Begriff, der eine Personengruppe de-finiert, d.h. von anderen Personengruppen unterscheidet, und zwar nach anderen Kriterien als denen der Geschlechtszugehörigkeit, ist geschlechtsneutral. Wenn etwa von „Bürgern“ oder „Studenten“ die Rede ist, müssen diese ebensowenig zwangsläufig Männer sein, wie „Personen“ oder „Prozessparteien“ zwangsläufig Frauen sein müssen. Die eingebürgerte Redeweise von „Bürgerinnen und Bürgern“ oder „Studentinnen und Studenten“ ist schlechtes, weil tautologisch formuliertes Deutsch, beruht auf der Verwechslung des grammatischen Genus mit dem biologischen Sexus und entspringt einer vulgärfeministischen Marotte.

Gegen diese Verunstaltung der öffentlichen Sprache hat es zwar in den letzten dreißig Jahren nur wenig Widerstand gegeben, weil sie nur eine Form der Verunstaltung ist und bei weitem nicht die Schlimmste; wer wollte da den Don Quichotte machen? Dies bedeutet aber keineswegs, dass diese Sprachpanscherei korrekt wäre. Unerträglich und inakzeptabel wird sie aber spätestens dann, wenn sie aufhört, bloße Schlamperei zu sein, und stattdessen gezielt zum Instrument von Geschichts- und Bibelfälschung gemacht wird: Wenn die Bibel im Original von „Pharisäern“ oder „Richtern“ spricht, dann trifft sie über deren Geschlecht einfach keine Aussage. Die „Übersetzer“ freilich sind in dem ideologischen Vorurteil befangen, es könne keine geschlechtsneutralen Gruppenbezeichnungen geben und behaupten deshalb explizit, unter den Richtern und Pharisäern seien auch Frauen gewesen. Eine solche Behauptung ist nicht nur bereits deswegen eine absichtlich Fehlübersetzung, weil das Original das Geschlecht jener Personen eben nicht nennt; sie ist auch bar jeder historischen Plausibilität: Orthodoxe Juden lassen Frauen bis heute in religiösen Fragen nicht mitreden; die Vorstellung, sie hätten dies vor zwei- oder dreitausend Jahren getan, ist grotesk! Hier wird das Bild der israelitischen Gesellschaft der biblischen Zeit völlig unhistorisch nach dem aktuellen Maßstab heutiger Political Correctness zurechtgebogen.

Die Tatsache, dass die religiöse Entwicklung des Judentums ein jahrhundertelanger Prozess war, von dem die Bibel beredtes Zeugnis ablegt, und der sich unter den Bedingungen einer patriarchalischen Gesellschaft vollzog, wird – weil nicht sein kann, was nicht sein darf – kurzerhand ausgeblendet. Da zu diesem Zweck die Bibel gefälscht wird, fällt es schwer, sich nicht an George Orwells Beschreibung eines totalitären Systems („1984″) erinnert zu fühlen, das systematisch die früheren Ausgaben seiner eigenen Zeitungen umdichten lässt, um sie der jeweils aktuellen Parteilinie anzupassen. Dies ist nicht so polemisch, wie es sich für Sie vielleicht anhört, Frau Bischöfin: Die Nazis haben bekanntlich bereits versucht, das „jüdisch verseuchte“ Alte Testament abzuschaffen und einen „arischen Christus“ zu konstruieren. Wenn wir heute zulassen, dass der Text der Bibel unter politischen Gesichtspunkten manipuliert wird, seien diese Gründe auch noch so gut gemeint, dann begeben wir uns der Argumente, die wir morgen möglicherweise verzweifelt nötig haben werden: dann nämlich, wenn wieder ein totalitäres System versuchen sollte, sich die christlichen Kirchen gefügig zu machen!

In jedem Fall beruht die sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ auf einem unaufgeklärten Religionsverständnis: Unaufgeklärt deshalb, weil Religion, anders als das Vorgehen der Verfasser impliziert, nicht im luftleeren Raum reiner Theologie existiert, sondern sich in einem sozialen Kontext entwickelt. Die biblischen Zeugnisse sind daher stets mit Realgeschichte kontaminiert, und wir können das Christentum nicht verstehen und kritisch – auch selbstkritisch – reflektieren, wenn wir seine historische Genese ignorieren. Die neue Bibelversion jedoch wertet Gerechtigkeit (oder was sie dafür hält) höher als Wahrheit und Ideologie höher als Aufklärung. Dass dies einem emanzipatorischen Anliegen dienen soll, ist ein Widerspruch in sich.

Das Schlimmste kommt aber noch, und hier zitiere ich Sie wörtlich:

„Gerecht werden soll die neue Übersetzung auch dem jüdisch-christlichen Dialog (…) Wenn Jesus … in der Bergpredigt die Schrift auslegt, stellt er sich nicht in einen Widerspruch dazu [zur jüdischen Tradition, M.], wie es die Übersetzung ‚Ich aber sage euch’ (Mt 5,22) andeutet, sondern er interpretiert sie, wie andere Rabbinen, Schriftgelehrte seiner Zeit auch. Die Übersetzung ‚Ich lege das heute so aus’ weist darauf hin.“

Sehen wir einmal davon ab, dass diese Textfälschung schon deshalb nicht nötig gewesen wäre, weil Jesus selbst sagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt 5,17; zitiert selbstverständlich nach der Lutherbibel) Dies aber nur nebenbei.

Lassen wir es uns noch einmal auf der Zunge zergehen: Interpretiert sie … wie andere Schriftgelehrte auch … Ich lege das heute so aus! Jesus ist also einfach nur ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er interpretiert, wie andere auch. Er legt das heute so aus – und morgen anders? Er erhebt nicht den Anspruch auf überzeitliche Wahrheit (Dass dies genau so zu verstehen und nicht etwa eine Unterstellung ist, hat die „Übersetzerin“ des Matthäusevangeliums mit eigenen Worten bestätigt!), sondern stellt bloß theologische Hypothesen zur Diskussion!

Sagen Sie, Frau Bischöfin, ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da tun … ? Jesus ist für Sie also nicht der Sohn und die Inkarnation Gottes, sondern ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er ist auch nicht der Messias, nicht der Christus, sondern ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er ist noch nicht einmal das, was Mohammed für den Islam ist, nämlich der höchste und letzte der Propheten – nur ein Schriftgelehrter wie andere auch. Und sein Wort ist Ihrer Ansicht nach nicht das Wort Gottes, sondern lediglich eine von vielen möglichen Interpretationen der Thora. Eine Interpretation, die nicht einmal für ihn selbst verbindlich ist! Sind Sie sich darüber im Klaren, dass jeder islamistische Fanatiker mit Fug und Recht von sich behaupten kann, er verehre Jesus – für ihn der größte Prophet außer Mohammed – mehr, als Sie es tun … ?

Ohne es auch nur mit einem Wort zu erwähnen, haben Sie fast zweitausend Jahre trinitarischer und christologischer Theologie kassiert (Diese Tradition beginnt ja nicht erst mit den Konzilien, auf denen sie dogmatisiert worden ist, sondern mit den Paulusbriefen, allerspätestens aber dem Johannesevangelium!). Mehr noch: Sie haben die Bedeutung der Person und Lehre Christi als den archimedischen Punkt christlichen Glaubens negiert. Sie erklären Christus zu einem x-beliebigen Prediger und stellen sein Wort, das Wort Gottes, auf eine Stufe mit dem „Wort zum Sonntag“. Was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als dass Sie das Christentum schlechthin zur Disposition stellen!

Sollte dies, nämlich die Selbstentkernung des Christentums, das Ergebnis des Versuchs sein, den jüdisch-christlichen Dialog mithilfe der neuen Bibel zu fördern, so muss ich Sie fragen, was Sie unter „Dialog“ verstehen. Wenn die Bedeutung Christi bis zur Irrelevanz relativiert wird, so entspricht dies in der Tat exakt der jüdischen Auffassung von Jesus. Was Sie, Frau Bischöfin, nicht zu verstehen scheinen, ist, dass diese jüdische Auffassung, die als solche – das heißt als jüdische – vollkommen legitim und sogar zwingend ist, von einer christlichen Kirche, die dies auch bleiben will, nicht übernommen werden kann! Dialog ist eine Sache, Selbstaufgabe eine vollkommen andere!

Verstehen Sie mich bitte richtig: Niemand kann und darf Sie persönlich zwingen, an die Trinität, die Menschwerdung Gottes oder die überzeitliche Geltung der Bergpredigt zu glauben, wenn Sie daran nun einmal nicht glauben können. Sie sind eine freie Bürgerin und als solche berechtigt zu glauben, woran Sie wollen, notfalls auch an den Großen Manitou. Sie missbrauchen aber Ihr Amt und dessen Autorität, wenn Sie eine theologische Position als christlich verkaufen, die selbst bei größtem Wohlwollen nicht mehr als christlich gelten kann! Ein entkerntes Christentum, wie Sie und Ihre dubiosen Exegeten es propagieren, würde in kürzester Zeit auf ein paar sinnentleerte Traditionen zusammenschnurren: auf Weihnachtsbäume, Ostereier – und eine verballhornte Bibel!

Atheisten mögen sich den Bauch halten vor Lachen über die Eilfertigkeit, mit der ehedem ewige Wahrheiten auf dem Altar der Political Correctness geopfert werden. Katholiken mögen mit Schadenfreude zur Kenntnis nehmen, wie weit der Protestantismus heruntergekommen ist: Da sieht man’s mal wieder, Extra ecclesiam nulla salus! Juden können sich freuen, dass die Christen endlich zugeben, dass Jesus nicht der Messias war, Muslime Genugtuung empfinden darüber, dass die im Koran vertretene Behauptung, Christen würden willkürlich ihre Bibel fälschen, endlich der Wahrheit entspricht, nachdem sie 1400 Jahre lang eine Verleumdung gewesen war!

– und natürlich tauchten damals prompt in den einschlägigen Blogs und Foren Moslems auf, die ja schon immer gewust hatten, dass Christen Schriftverfälscher seien, weswegen einzig der Islam … –

Inwiefern dergleichen aber für protestantische Christen akzeptabel sein soll, ist mir ein Rätsel.

Mit freundlichen Grüßen

Die Geschichte der Y…

… also jener Dame, die man nicht bei ihrem richtigen Namen nennen darf, weil das sonst fremdenfeindlich wäre (Ja, ich bin nachtragend!), diese Geschichte also ist nunmehr … äh … Geschichte.

Der Wähler verzeiht nämlich vieles, notfalls auch einen Wortbruch; schließlich weiß er in der Regel aus seinem eigenen Leben, dass man für makellose Moral bestenfalls einen feuchten Händedruck bekommt und oft nicht einmal den. Da sieht man Politikern schon Manches nach, insbesondere wenn sie am Ende als Sieger dastehen. Aber wortbrüchig und erfolglos – das geht gar nicht.

Daraus, dass Üppsi nicht zurückgetreten ist, können wir folgern, dass diese politische Elementarweisheit sich noch nicht bis zu ihr herumgesprochen hat. Üppsi Diditagains herausragender Charakterzug ist ihre Hartnäckigkeit, und so genügt es ihr nicht, ihre Partei für weitere vier Jahre in die Opposition zu manövrieren, nein, sie muss die Niederlage der armen irren SPD, die selbstmörderischerweise noch zu ihr hält, in eine säkulare Katastrophe verwandeln, indem sie persönlich als Spitzenkandidatin nach Waterloo reitet.

Von höherer Warte aus betrachtet ist das alles nicht wirklich ein Grund zur Freude: Wenn das Linksbündnis nämlich zustandegekommen wäre, wäre der bevorstehende Bundestagswahlkampf stark polarisiert gewesen, und niemand hätte mehr den staatstragenden Versprechungen von Frank-Walter Steinmeier getraut, auf keinen Fall mit der Linken…

Wenn aber die SPD versucht, die Mitte zu behaupten, bleibt den Unionsparteien nichts anderes übrig, als dasselbe zu versuchen. Für eine profiliert konservative Politik ist dann kein Platz mehr. (Siehe auch meinen Artikel: „Kurt Beck und die Schmuddelkinder“).

Was heute als „Mitte“ gilt und durch eine Neuauflage der Großen Koalition – denn darauf läuft es hinaus – fortgesetzt wird, ist das, was man in anderen Zusammenhängen „Political Correctness“ nennt, also eine Ideologie, Mentalität und Politik, die die nicht einmal schleichende Auflösung nationalstaatlich verfasster Demokratien zur Folge hat.

Ob eine solche Politik von SPD- oder CDU-Politikern, sprich mit etwas mehr oder etwas weniger beigemischtem Sozialismus verantwortet wird, ist ungefähr so interessant wie eine Debatte über den Kurs eines Schiffes mit durchlöchertem Rumpf. Es wäre nur fair, wenn man uns Wählern wenigstens die Chance ließe, die Löcher zu stopfen.

Meine Schadenfreude über Üppsis Bauchlandung lasse ich mir davon allerdings nicht vermiesen.

Der kalte Staatsstreich

Stellen wir uns einen Moment vor, eine Organisation wie Attac würde eine friedliche Aktionswoche veranstalten. Diese könnte aber nicht stattfinden, weil Horden von Skinheads die Teilnehmer verprügeln, Straßen blockieren, Straßenschlachten entfesseln und Pressekonferenzen unterbinden. Die Polizei würde sich auf den Standpunkt stellen, sie könne dies nicht verhindern, und deshalb müsse Attac eben auf die Zusammenkunft verzichten.

Undenkbar? In der Tat: Wenn linke Organisationen demonstrieren, sind solche Zustände tatsächlich undenkbar. Undenkbar wäre auch, dass Attac von angeblich seriösen Medien umstandslos als „linksextrem“ abgewatscht würde. Undenkbar wäre, dass der zuständige Innenminister ob des Versagens seiner Polizei nicht den Hut nehmen müsste. Und undenkbar wäre, dass die deutsche Öffentlichkeit über einen solchen Vorgang zur Tagesordnung übergehen würde.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass rechtskonservative Aktivisten vom linken Mob an der Ausübung ihrer Bürgerrechte gehindert werden, und zwar mit Gewalt, unter Duldung der Polizei und unter dem Beifall einer Journaille, die immer noch die Stirn hat, sich „liberal“ zu nennen – wobei ihre Liberalität im wesentlichen darin besteht, ihr eigenes Recht auf Meinungsfreiheit zu verteidigen; also die Meinungsfreiheit einer in der Verfassung als solche nicht vorgesehenen, aber völlig zu Recht so genannten „vierten Gewalt“.

(Wer deren Recht anzweifelt, Staatsgeheimnisse preiszugeben, Existenzen zu vernichten und – dies vor allem – darüber zu befinden, was öffentlich gesagt werden darf und was nicht; was diskutabel ist und was den gesunden Volkszorn herausfordert, versündigt sich, wie diese Richter in eigener Sache im Namen des ungefragten Volkes urteilen, an der Demokratie.)

Zeigt sich das Liberalitätsverständnis der Presse darin, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Träger missliebiger Meinungen für vogelfrei erklärt, so demonstriert der Staat, dass es lediglich einiger Hütchenspielereien bedarf, um im Namen einer bloß vorgespiegelten Liberalität die reale Freiheit zu beseitigen:

Wir hatten jetzt zweimal kurz nacheinander – beim Christival in Bremen und beim Anti-Islamisierungs-Kongress in Köln – die Gelegenheit, die Mentalität und die Methoden einer politischen Linken zu studieren, die die Presse und die Staatsgewalt auf ihrer Seite weiß: Das Ergebnis deckt sich durchaus mit dem, was man aufgrund bitterer Erfahrungen seit 1789 von der politischen Linken erwarten muss, aber keineswegs mit ihrer demokratischen Attitüde.

Die Vorstellung, im Namen der Toleranz dürfe man Andersdenkende verprügeln, und dem schlechthin Friedfertigen dürfe man getrost mit ein wenig Gewalt nachhelfen, ist in all ihrer grotesken inneren Widersprüchlichkeit die klassische Rechtfertigung des Roten Terrors, und zwar seit den Tagen Robespierres. Politisch (also nicht medizinisch oder moralisch) betrachtet, ist der Unterschied zwischen einem Pflasterstein und einer Guillotine bloß gradueller, nicht qualitativer Natur. Der Punkt, auf den es ankommt, ist nämlich nicht das Ausmaß der Gewalt, sondern die Selbstermächtigung der Täter.

Dabei wäre diese Selbstermächtigung zur privaten Gewaltanwendung und zur Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols zwar verwerflich, aber politisch nicht wirklich bedenklich; schließlich kommt Kriminalität immer und überall vor. Bedenklich an dieser Art von Kriminalität ist, dass sie nicht als solche benannt, geächtet und verurteilt wird, weil wir es mit einem Staat zu tun haben, der sich nicht entschlossen zeigt, sein Gewaltmonopol zu wahren.

Ein Staat, der die genannten Kongresse einfach verböte und ihre Teilnehmer verhaftete, handelte zweifellos illiberal. Aber er würde selbst die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie nicht – oder nur eingeschränkt – stattfinden können. Vor allem würde er seine eigenes Handeln der gerichtlichen Überprüfung zugänglich machen. Liberal wäre es also nicht, rechtsstaatlich durchaus.

Ein Staat dagegen, der eine Politik der selektiven Nichtintervention verfolgt, der also die Bürgerrechte bestimmter Gruppen zur Disposition stellt, indem er ihre Be- oder Missachtung dem Gutdünken des Mobs überlässt, handelt weder liberal noch rechtsstaatlich. Er greift vielmehr in verfassungs- und rechtswidriger Weise in die politische Willensbildung des Volkes ein. Da er diesen Eingriff aber durch Unterlassen und durch missbräuchliche Berufung auf polizeirechtliche Generalklauseln vollzieht, entzieht er sein Handeln systematisch der rechtlichen Kontrolle.

Wäre dieses Nichteingreifen des Staates bloß eine Kapitulation vor der Gewalt der Straße, so würde allein dies schon die Frage rechtfertigen, ob ein solcher Staat überhaupt noch souverän – und das heißt: ob er überhaupt noch ein Staat – ist. Man müsste ihm bescheinigen, dass er durch die Nichtdurchsetzung seines Gewaltmonopols den gewalttätigen Gruppen einen Vorteil gegenüber den friedfertigen verschafft, dass er seine Legitimität als Staat aufs Spiel setzt, und dass er das Land auf eine abschüssige Bahn setzt, an deren Ende der Bürgerkrieg steht.

Wenn es denn eine Kapitulation war. Was ich bezweifle.

Zu deutlich ist die kollusive Verstrickung von Politik, Journaille und linkem Mob, als dass ich bereit wäre, von einem bloß punktuellen Versagen der Polizei auszugehen.

Vielmehr handelt es sich um einen Prozess der systematischen schleichenden Entkoppelung von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, und das heißt: um einen kalten Staatsstreich.

Diese Entkoppelung hat schon immer zu den Wesensmerkmalen linker Politik gehört; die Verfassung ist dabei zuständig für die hehren Ziele, die wirkliche Politik für die schmutzigen Mittel zu deren Verwirklichung: Man denke an die französische Verfassung von 1793 oder die Stalinverfassung von 1936. Es gibt keinen Grund, warum das Grundgesetz nicht ebenso entkernt und zur Potjomkinschen Verfassungsfassade degradiert werden könnte.

Die politischen Eliten allerdings, die an diesem Spiel beteiligt sind – und die ja nicht alle links sind – sollten sich über die juristischen Konsequenzen dieses Sachverhalts im Klaren sein:

Die politisch gewollte Entkoppelung von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, der Putsch durch Unterlassen, der von Amts wegen organisierte Hochverrat erfüllt spätestens dann den Tatbestand der Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wenn er aufhört, ein punktuelles Ereignis zu sein und durch ständige Übung zu einem Zustand wird.

Ich sage nicht, dass dieser Punkt bereits erreicht sei, ich mache aber vorsorglich darauf aufmerksam, welche rechtlichen Konsequenzen es haben muss, wenn er erreicht wird:

Wenn die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung nämlich als Summe von Unterlassungen geschieht, die jeweils für sich nicht justiziabel sind, dann ist, um Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz zu zitieren „andere Abhilfe nicht möglich“, und dies bedeutet nach derselben Norm, dass der kalte Staatstreich ein jedermann zustehendes Widerstandsrecht auslöst.

Wolfgang Wippermann: „Autobahn zum Mutterkreuz: Historikerstreit der schweigenden Mehrheit“

(Rezension)

Manchmal bin ich etwas schwer von Kapee. Ich habe ein halbes Jahr gebraucht zu begreifen, dass der Fall Eva Herman mehr und etwas anderes war als nur eine kuriose Episode, bei der alle Beteiligten sich nach Kräften blamiert haben. Es war ein Ereignis, das schlaglichtartig den geistigen Zustand unserer Gesellschaft erhellt hat. In dieser Einsicht stimme ich überein mit dem Berliner Historiker Wolfgang Wippermann, dem ich sie verdanke. Allerdings ist dies auch fast der einzige Punkt, in dem ich seine Meinung teile.

Zur Erinnerung: Eva Herman war in den letzten Jahren mit betont feminismuskritischen Büchern an die Öffentlichkeit getreten („Das Eva-Prinzip“), in denen sie vehement die klassischen konservativen Familienwerte verteidigte, insbesondere die „natürliche Bestimmung“ der Frau zur Mutterschaft. Wahrscheinlich eher schlicht im Gedankengang – ich weiß es nicht, ich habe ihre Bücher nicht gelesen – traf sie doch bei vielen Lesern einen Nerv; ihre Bücher jedenfalls verkauften sich sehr gut.

Und so hätte alles laufen können, wie es immer läuft, wenn Journalisten ihr Rezept zur Rettung der Gesellschaft präsentieren: Einige empören sich (in diesem Falle also die Feministinnen), andere sind begeistert (in diesem Falle die katholische Kirche), die Leser freuen sich, endlich schwarz auf weiß zu lesen, was sie ohnehin immer schon zu wissen glaubten, und bei Verlag wie Autorin klingeln die Kassen. Und alle lebten glücklich bis an ihr seliges…

Halt!

Nun tat Eva Herman etwas, was man in Deutschland nicht tut: Sie lobte das Dritte Reich.

Bei der Vorstellung ihres Buches „Das Arche Noah Prinzip“ pries sie – wie gehabt – Ehe, Familie und Mutterschaft, fügte diesmal aber sinngemäß hinzu, diese Werte seien unter Hitler hochgehalten worden (was ja an dessen negativen Seiten nichts ändere), später aber hätten die Achtundsechziger das alles mit Füßen getreten und zerstört.

Jetzt schlug die Stunde der Öffentlichkeit: Der NDR feuerte, die NPD feierte sie, die Presse gab sich staatstragend empört und der Zentralrat der Juden wehrte den Anfängen.

Das übliche Programm also, das immer dann abläuft, wenn jemand den Teppich hebt, unter dem wir Deutschen alles entsorgt haben, was unserem Selbstbild als geläuterte Demokraten zu widersprechen scheint, die aus der Geschichte gelernt haben, und wenn jemand öffentlich ausspricht, was nicht die meisten, aber auch nicht ganz wenige Deutsche denken, und was mit dem offiziösen Geschichtsbild wenig zu tun hat.

In dieser Situation hielt es der Talkshow-Moderator Johannes B. Kerner für angemessen, mit Herman das abzuziehen, was die Bloggerkollegin Eisvogel später „die Galileonummer“ nennen sollte: „Widerrufe!“

Eva Herman widerrief nicht, obwohl Wippermann, der bei dieser Gelegenheit auf der Bildfläche erschien, ihr mit der ganzen Autorität des anerkannten NS-Experten klarzumachen versuchte, dass Hitlers Familienpolitik Bestandteil seines Projekts zur Rassenzüchtung und Kehrseite seiner Vernichtungspolitik gegen „Fremdrassige“ gewesen sei.

Sie bestand in der zunehmend hitziger werdenden Diskussion darauf, nur das auszusprechen, was die meisten Menschen dächten, was aber von der „gleichgeschalteten Presse“ in die rechte Ecke gestellt werde. Als ihr vorgehalten wurde, das Wort „Gleichschaltung“ sei ein NS-belasteter Begriff, replizierte sie, der Begriff sei zwar damals verwendet worden,

„…aber es sind auch Autobahnen damals gebaut worden, und wir fahren heute drauf.“ (S.30)

Dieses zugegebenermaßen ziemlich blöde Argument für die Verwendung des Wortes „Gleichschaltung“ (mit derselben Logik könnte man auch Ausdrücke wie „Untermensch“ rechtfertigen) wurde von den übrigen Gesprächsteilnehmern als ein erneutes „Alles war ja auch nicht schlecht“ aufgefasst und mit Empörung quittiert. Der Moderator warf sie aus dem Studio mit dem ihn selbst blamierenden Satz:

„Autobahn – das geht halt nicht.“ (ebd.)

Und Eva Herman:

„Ich muss halt lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten.“ (ebd.)

Sprach’s und ging.

Während sich viele Leserbriefschreiber und große Teile der Blogosphäre mit Eva Herman und ihren Thesen solidarisierten, bekam Wippermann, der sie kritisiert hatte, Tausende von Zuschriften, in denen er nicht nur kritisiert, sondern auch beschimpft, beleidigt und bedroht wurde: „Volksschädling“, „Ratte“, „Judenknecht“, „widerliche Kreatur“.

Das Buch, das er jetzt über die Herman-Kontroverse vorgelegt hat, dürfte also im Zorn geschrieben worden sein – das sei dem Autor zugutegehalten. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist dieses Buch selbst mindestens so aufschlussreich wie die Ereignisse, die es beschreibt. Man bekommt jedenfalls nur selten die Gelegenheit, die Funktionsweise der Political Correctness an einem solchen Prachtexemplar zu demonstrieren; und ich wäre nicht ich selbst, wenn ich mir diese Gelegenheit entgehen ließe.

Wippermanns Kritik gilt vor allem demjenigen Teil der deutschen Bevölkerung, den er selbst bereits im Untertitel und dann mehrere Dutzend Mal im Text „die schweigende Mehrheit“ nennt. Dabei lässt er offen, ob er damit ironisch auf das Selbstverständnis des genannten Personenkreises anspielen will, oder ob er buchstäblich eine Mehrheit meint. Solch unklare Begrifflichkeit – wir werden noch in anderen Zusammenhängen darauf stoßen – ist bei einem Wissenschaftler auch dann ein schwerwiegender Lapsus, wenn er für die breite Öffentlichkeit schreibt und nicht für das Fachpublikum.

„‚Ich muss lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten‘, erklärte Eva Herman kurz vor ihrem Abgang in der Kerner-Show am 9.Oktober 2007: Eine unfassbare und völlig unbegründete Behauptung.“ (S.81)

Unfassbar? Völlig unbegründet?

Eva Herman hatte wegen ihrer Äußerungen bereits ihren Arbeitsplatz verloren. Solche Sanktionen kann man für gut oder schlecht halten. Wer aber behauptet, es gebe sie nicht, lügt.

Es geht aber noch weiter:

Denn wer soll sie und andere in Gefahr bringen …? Hitler ist tot, und wir leben nicht in einer Diktatur ,sondern in einer Demokratie. In ihr herrscht die in der Verfassung geschützte … Meinungsfreiheit. Wer etwas anderes behauptet, hat ein Problem mit dieser Verfassung oder weiß einfach nicht, wovon er spricht.“ (ebd.)

Das ist wahrscheinlich die Ganz Hohe Schule der Political Correctness: Bestimmte Meinungen nicht nur zu ächten („Autobahn – das geht halt nicht.“), sondern gleichzeitig zu leugnen („unfassbar!“, „Völlig unbegründet!“), dass man sie ächtet. Nicht nur zu leugnen, dass man sie ächtet, sondern jeden, der wahrheitsgemäß behauptet, sie würden geächtet, als Narren oder Verfassungsfeind abzustempeln!

(Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum, ob diese oder jene Ansichten, etwa die von Eva Herman, richtig oder falsch sind. Auch nicht darum, ob ihre Ächtung gut oder schlecht ist. Es geht um das Faktum der Ächtung an sich.)

Diese Ächtung nimmt dabei nur selten so handfeste Formen an wie den Verlust des Arbeitsplatzes. Die „schweigende Mehrheit“, um mit Wippermann zu sprechen, hat vielmehr das zutreffende Gefühl, bestimmte Auffassungen würden „in die rechte Ecke gestellt“, also als unseriös und unmoralisch aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt. „Öffentlich“ ist dabei derjenige Diskurs, der von Meinungseliten geführt wird. Damit meine ich den Kreis derjenigen Personen, die von der Mediensoziologie „virtuelle Meinungsführer“ genannt werden, das heißt Personen, die den informellen Status von Repräsentanten der Gesellschaft bzw. einzelner Gesellschaftssegmente genießen; die als solche regelmäßig Zugang zu den Medien und somit die Chance auf öffentliche Artikulation haben; und die in den Medien das vollführen, was man den „öffentlichen Diskurs“ nennt. Gesellschaftliche Strömungen, die in den Meinungseliten nicht repräsentiert sind bzw. deren Repräsentanten ausgeschlossen werden, müssen als ausgegrenzt gelten. Es ist also nicht etwa so, dass der Normalbürger nicht sagen könnte, was er denkt – insofern ist das Wort „Meinungsdiktatur“ zu Kennzeichnung der Political Correctness tatsächlich irreführend -, er ist „nur“ mit bestimmten Ansichten vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen.

Wer zur Meinungselite gehören will, tut also gut daran, geächtete Meinungen für sich zu behalten. Wer das nicht tut, bekommt bestenfalls die Chance, den Galileo zu machen – so wie Günther Oettinger. Wer diese letzte Chance verpasst, wie Martin Hohmann oder eben Eva Herman, der ist draußen. Die physische Verbannung von Eva Herman aus dem Fernsehstudio – und damit aus dem Kreise der legitimerweise Diskutierenden – hat diesen Vorgang ungewöhnlich anschaulich gemacht und ist von den Zuschauern instinktiv als symbolträchtig empfunden worden.

Der darauf folgende Aufstand der Blogosphäre hat aber eines sichtbar gemacht: dass den bisherigen Meinungseliten das Definitionsmonopol darüber entgleitet, welche Themen und Meinungen gesellschaftsfähig sind und welche nicht. War auch bisher schon die „Öffentliche Meinung“ identisch mit der veröffentlichten, so hat das Internet die Lage insofern verändert, als nun Jeder veröffentlichen kann.

Volkes Stimme gab es schon immer; an jedem Stammtisch war sie zu hören. Der kleine Kreis des Stammtisches (des Familiengesprächs, des Klönens in der Kaffeepause) stellte aber keine Öffentlichkeit dar. Erst das Internet macht aus Volkes Stimme eine öffentliche Stimme. Die „schweigende Mehrheit“ schweigt nicht mehr, und das Volk hat nicht nur eine Stimme, es weiß vor allem, dass es eine hat.

Wippermann hat diesen Sachverhalt völlig richtig erkannt und in gewissem Sinne Pionierarbeit geleistet, indem er die Reaktion der Blogosphäre auf die Herman-Affäre systematisch ausgewertet und damit ihrem wachsenden Einfluss auf die öffentliche Meinung Rechnung getragen hat.

Freilich bewertet er diesen Einfluss vom Standpunkt einer um ihre Deutungshoheit bangenden Meinungselite ausschließlich negativ. Zu fragen ist, ob er damit Recht hat.

Es stimmt ja, dass sich Fehlinformationen im Internet rasend schnell verbreiten, ohne dass es einen wirksamen Filter gäbe, und dass gerade Verschwörungstheoretiker jeder Couleur das Internet als Baukasten benutzen, aus dem sie die Klötzchen für ihre jeweiligen Wahngebäude beziehen. Wahrscheinlich gibt es keine noch so verrückte Idee, für die man im Netz nicht eine Fangemeinde zusammentrommeln könnte. Soweit Wippermann dies feststellt, liegt er durchaus richtig.

Nur richtet seine Kritik sich nicht gegen irgendwelche UFO-Sekten, sondern dagegen, dass gesellschaftlich weitverbreitete Ideen öffentlich artikuliert werden. Liberal wird man einen solchen Standpunkt nicht nennen können. Demokratisch schon gar nicht.

Deswegen allein muss er aber noch nicht falsch sein: Es ist Konsens, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden sollte, wo ihr hemmungsloser Gebrauch zur Gefährdung eben jener demokratischen Ordnung führen würde, die die Meinungsfreiheit garantiert. Unsere Verfassung kennt dieses Prinzip als das der „wehrhaften Demokratie“. Unter diesem Gesichtspunkt – aber auch nur unter diesem! – lässt es sich rechtfertigen, bestimmte Meinungen als demokratiefeindlich vom seriösen Diskurs auszuschließen.

Welche Auffassungen möchte Wippermann gerne ausgeschlossen sehen? Zunächst die, die die „guten Seiten“ des Nationalsozialismus thematisieren:

„Alles war ja auch nicht schlecht damals: Jeder hatte Arbeit, man konnte sich nachts auf die Straße trauen, für Familien wurde noch etwas getan, Mütter waren noch geachtet, es herrschte Ordnung, und außerdem hat Hitler die Autobahn gebaut.“

(Das ist kein wörtliches Zitat, sondern die Zusammenfassung von Äußerungen Eva Hermans und ihrer Sympathisanten, die Wippermann für gefährlich hält.)

Da stelle mer uns janz dumm und fragen: Stimmt denn dat überhaupt?

Sicher gibt es Einiges zu differenzieren, aber im Großen und Ganzen stimmt das durchaus. Um mit den Autobahnen zu beginnen, weil sie in der Debatte eine besondere Rolle gespielt haben („Autobahn – das geht halt nicht!“), und weil Wippermann hier mit Gegenargumenten aufwartet:

Es habe bereits in Amerika und Italien Highways und Autostradas gegeben; womit nur eine Behauptung widerlegt ist, die niemand aufgestellt hat, nämlich dass die Nazis die Autobahnen erfunden hätten. Außerdem habe es in Deutschland bereits die Berliner AVUS gegeben (rund zehn Kilometer lang) und die Autobahn Köln-Bonn (noch so eine gigantische Fernstrecke). Die Nazis hingegen seien hinter ihren Planungen zurückgeblieben, indem sie in den sechs Jahren bis Kriegsbeginn lediglich 3000 Autobahnkilometer fertiggestellt hätten (während des Krieges kamen dann noch einmal 800 Kilometer hinzu), während die alte Bundesrepublik

„…bereits 1980…“ (S.71)

(also 31 Jahre nach ihrer Gründung) 8000 Autobahnkilometer hatte – wobei offenbleibt, wieviel davon aus der Zeit vor 1945 stammte. Dem Autor scheint gar nicht aufzufallen, dass seine eigenen Zahlen dem Dritten Reich ein mindestens doppelt so hohes Bautempo bescheinigen wie der Bundesrepublik (3000 Kilometer in sechs Jahren versus 8000 Kilometer – minus X – in 31 Jahren) und damit genau das Gegenteil von dem beweisen, was sie beweisen sollen. Das ist durchaus kein Grund, Hitler zu feiern, wohl aber einer, dem Autor eine schlampige und willkürliche Argumentation anzukreiden.

Was den Schutz vor Kriminalität angeht: Da fehlen mir die statistischen Daten. Gut möglich, dass die drakonische Justizpolitik des Regimes, verbunden mit seiner Propaganda, dem Durchschnittsdeutschen mehr Sicherheit vorgaukelte als nach der Kriminalstatistik gerechtfertigt war; dass also das Sicherheitsgefühl größer war als die tatsächliche Sicherheit. (Was aber nichts daran ändert, dass bereits die Illusion – falls es denn eine war – von Sicherheit als wohltuend empfunden wurde).

Darüberhinaus ist es eine schlichte Tatsache, dass unter Hitler die Arbeitslosigkeit innerhalb von nur drei Jahren von sechs Millionen auf Null reduziert wurde, und zwar mithilfe einer Politik massiver kreditfinanzierter Staatsnachfrage. Diese Art Konjunkturpolitik avancierte nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Titel „Keynesianismus“ zur Hauptströmung wirtschaftspolitischer Theorie.

Und zutreffend ist auch, dass die Nazis vom Ehestandsdarlehen bis zum Mutterkreuz alle Register zogen, die Menschen zum Kinderkriegen zu animieren und dabei das Sozialprestige der Mütter zu heben.

Wippermann bestreitet das alles auch nicht direkt. Er weist nur – und zu Recht – darauf hin, dass Alles, was die Nazis taten, also auch die Autobahn, das Mutterkreuz, die Konjunkturpolitik (Aufrüstung!) im Dienste ihres monströsen Gesamtprojekts stand, eine „arische Herrenrasse“ zu züchten und gestützt auf einen totalitären Staat die Weltherrschaft zu erringen, und dass es deshalb bestenfalls naiv wäre, einzelne Aspekte als vermeintlich „gute Seiten“ des Dritten Reiches isoliert zu betrachten. Ein durchschlagendes Argument – freilich nur gegen Neonazis, die auf eine Neuauflage des Nationalsozialismus hinarbeiten.

Dagegen kann ich nicht erkennen, dass wirtschaftspolitische, bevölkerungspolitische oder verkehrspolitische Instrumente, die von den Nationalsozialisten in einem rassistischen und totalitären Zusammenhang eingesetzt wurden, diesen Kontext naturgemäß in sich trügen, deshalb niemals im Rahmen einer demokratischen und friedlichen Politik einsetzbar wären und daher für alle Zeiten tabu bleiben müssten:

Warum finanzielle oder ideelle Anreize – es muss ja nicht gerade das Mutterkreuz sein – zum Kinderkriegen etwas Schlechtes sein sollen, erschließt sich mir nicht. Zumal die Überalterung unserer Gesellschaft ein ernstes Problem darstellt, und das nicht nur für die Rentenkassen.

Oder nehmen wir die Wirtschaftspolitik: Angesichts einer seit dreißig Jahren andauernden Massenarbeitslosigkeit ist es legitim zu fragen, was von einer Politik zu lernen wäre, die eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit in nur drei Jahren beseitigt hat. Ich persönlich glaube zwar nicht, dass eine auf extremen Staatskonsum setzende Wirtschaftspolitik, noch dazu verbunden mit einer nicht minder extremen Verschuldung, heutzutage eine sinnvolle Option wäre. Nur ist das eine ökonomische, keine moralische Frage. (Bemerkenswert übrigens, dass die politische Linke, die ein solches Konzept verfolgt, nicht darauf hinweist, dass damit schon einmal Vollbeschäftigung erzielt wurde; offenbar verzichtet sie lieber auf ein erstklassiges Argument, als etwas Positives über Hitler zu sagen. Man könnte es beinahe edel finden, wenn es nicht so dämlich wäre.)

Und der Normalbürger, der die Autobahn lobt: Will der denn eine Neuauflage des NS-Regimes? Oder, allgemeiner gefragt: Warum spricht er über die seiner Meinung nach „guten Seiten“ der Nazizeit?

Dieses „Warum“ hat zwei Aspekte: Den objektiven – Wie kommt es, dass so viele Menschen so denken? – und den subjektiven – Was veranlasst sie, sich gerade so zu äußern?

Der Soziologe Harald Welzer hat in seiner Studie „Opa war kein Nazi“ empirisch untersucht, wie Geschichtsbilder über die NS-Zeit entstehen, und zwar an der Basis der Gesellschaft, speziell im familiären Diskurs.  

Er hat nachgezeichnet, wie dabei zwei Weltbilder aufeinandertreffen, die es aus der Sicht des Einzelnen in Einklang zu bringen gilt: Einmal das gleichsam offizielle Geschichtsbild, das auf den Ergebnissen der historischen Forschung aufbaut, die Repressivität und Grausamkeit nationalsozialistischer Ideologie und Praxis herausarbeitet und deren Totalverurteilung nahelegt. Zum anderen das Geschichtsbild der damaligen Durchschnittsdeutschen, das auf deren subjektiver Erfahrung beruht und innerfamiliär durch die Erzählungen der älteren Generation weitergegeben wird.  

Diese „Geschichte“ kann mit der der Historiker nicht übereinstimmen, weil sie aus einer ganz anderen Perspektive erzählt wird: aus der Perspektive dessen, der die Dinge nicht von oben analysiert, sondern von unten erlebte, und der dabei kein Jude, nicht schwul, kein Sozialist und kein avantgardistischer Künstler war – des Durchschnittsdeutschen eben. Und der fühlte sich, zumindest vor Kriegsausbruch, unter der Naziherrschaft alles in allem ziemlich wohl. Wäre es anders gewesen, hätten die Nazis niemals die loyale, teilweise begeisterte Unterstützung einer großen Mehrheit der Deutschen bekommen können. Warum aber fühlten die sich wohl? Nun, unter anderem wegen der Vollbeschäftigung, des Sicherheitsgefühls, der Familienförderung, der optimistischen Zukunftserwartungen (Autobahn!) usw., also aus genau den Gründen, die heute noch als „gute Seiten“ des NS-Regimes angeführt werden.  

Natürlich wusste auch der Normalbürger, dass Juden verfolgt wurden, und dass es Konzentrationslager und eine Gestapo gab – es interessierte ihn bloß nicht. Es interessierte ihn nicht, weil seinen Bedürfnissen nach Sicherheit, Ordnung und bescheidenem Wohlstand Rechnung getragen wurde. Man kann das unmoralisch finden, aber es ist genau das Verhalten, das im Normalfall von normalen Menschen zu erwarten ist. Auch wenn es einem nicht gefällt und man es nicht wahrhaben möchte: Menschen sind so.  

Problematisch wird diese Disposition in dem Moment, wo ein totalitäres regime sie ausnutzt. Sie ist aber nicht per se etwas Schlechtes: Der konformistische Bürger, der seine Steuern bezahlt, seine Familie mit eigener Arbeit ernährt, seine Kinder großzieht, der sich um seinen eigenen Kram kümmert und sich an die Gebote der konventionellen Moral hält – der ist bestimmt weniger interessant, oft auch weniger sympathisch als der Individualist, Nonkonformist, Utopist, Abenteurer, Philanthrop, Bonvivant, Künstler oder Bohemien. Aber er ist Derjenige, der die Gesellschaft funktionsfähig hält. Anders gesagt: Der Konformismus des Konformisten ist die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie der Nonkonformist überhaupt existieren kann.  

Genau diesen Personenkreis meint Wippermann, wenn er von der „schweigenden Mehrheit“ spricht, die am Dritten Reich „gute Seiten“ findet, und der er deshalb eine faschistische Disposition unterstellt, statt nach ihren Motiven zu fragen.  

Was beinhaltet denn die Aussage, alles sei ja auch nicht schlecht gewesen, verbunden mit den einschlägigen Beispielen?  

Erstens kommt darin ein Bedürfnis nach Sicherheit, Ordnung und Wohlstand zum Ausdruck,  

zweitens die Kritik, dass diese Bedürfnisse heutzutage nicht berücksichtigt würden,  

drittens die Meinung, unter Hitler sei ihnen stärker Rechnung getragen worden.  

Beginnen wir beim dritten Punkt: Die Nazis haben dem tatsächlich Rechnung getragen, freilich nur, um die Voraussetzungen für ein Projekt zu schaffen, das mit Ordnung, Sicherheit und Wohlstand nicht das Geringste zu tun hatte, vielmehr chaotisch, riskant und ruinös war. Sie haben die braven Bürger ganz einfach hinters Licht geführt; und die wissen das auch sehr genau. Um Eva Herman zu zitieren:  

„… es war ’ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat…“ (S.19)  

Wippermann scheint solche Distanzierungen (man kennt sie auch in anderen Varianten, etwa: Wenn das mit den Juden und mit dem Krieg nicht gewesen wäre…) für bloße Lippenbekenntnisse zu halten, dabei bringen sie zum Ausdruck, dass das NS-Regime in genau denjenigen Punkten abgelehnt wird, die spezifisch nationalsozialistisch waren; damit wird gerade keine ideologische Sympathie formuliert.  

Was damit aber formuliert wird, ist das Unbehagen des Normalbürgers an unserer Gesellschaft, und da Wippermann es vorzieht, dieses Unbehagen als faschistisch zu verdächtigen, statt nach seinen Ursachen zu fragen, frage jetzt ich danach:  

Es ist nämlich eine gut gesicherte soziologische Erkenntnis, ja geradezu ein Gemeinplatz, dass es in allen westlichen Gesellschaften einen Trend weg von den sogenannten „Pflicht- und Akzeptanzwerten“, hin zu den „Selbstentfaltungswerten“ gibt.  

In Deutschland begann der zunächst schleichend Anfang des 20. Jahrhunderts, erfuhr einen ersten Schub in den zwanziger und erlitt Rückschläge in den dreißiger bis fünfziger Jahren, um sich dann ab den sechziger Jahren vollends durchzusetzen.  

Dieser Trend bedeutet, dass die Menschen weniger danach fragen, was „man“ tut, sondern was sie selbst tun wollen; die persönliche Freiheit ist im Zweifel wichtiger als die soziale Pflicht. Es heißt keineswegs den damit verbundenen Gewinn an individueller Autonomie geringzuachten, wenn man auf die Kehrseite dieses Prozesses hinweist:  

Ich habe es oben schon angedeutet: Der Zusammenhalt der Gesellschaft und ihr Fortbestand hängen wesentlich nicht von der „Selbstentfaltung“ des Einzelnen ab, zumal die auch mit Egoismus und Hedonismus einhergehen kann. Sie hängen genau von den erodierenden Pflicht- und Akzeptanzwerten ab.  

Die Gesellschaft existiert als solche nur so lange, wie Steuern bezahlt, Normen respektiert, Gesetze eingehalten und Kinder großgezogen werden. Die U-Bahn lebt nicht vom Schwarzfahrer, sondern von dem, der sein Ticket bezahlt. Der Sozialstaat lebt von denen, die ihn finanzieren, nicht von denen, die ihn in Anspruch nehmen. Selbst die Toleranz – gewiss eine hohe Tugend – lebt von denen, die sie selbst üben, nicht von denen, die sie einfordern und mutwillig strapazieren. Die Demokratie lebt von Wählern, die auch unangenehme, aber notwendige Entscheidungen akzeptieren, die Wirtschaft von Arbeitnehmern, die nicht beim ersten Husten den Krankenschein nehmen.  

Die Dominanz von „Selbstentfaltungswerten“ dagegen führt dazu, dass eine wachsende Zahl von Menschen es für ihr natürliches Recht hält, Steuern zu hinterziehen, Graffiti zu sprühen, schwarzzufahren, ihre Mitmenschen anzupöbeln, die schwangere Partnerin zur Abtreibung zu nötigen, bei der ersten Ehekrise auseinander zu rennen und obendrein stolz darauf zu sein, nicht über „Sekundärtugenden“ zu verfügen, weil man mit denen „auch ein KZ leiten“ könne. Wäre Kennedys Aufforderung „Fragt nicht was Euer Land für Euch tun kann, sondern was Ihr für Euer Land tun könnt“ von einem deutschen Politiker ausgesprochen worden – wir können sicher sein, dass die als Antifaschismus getarnte Asozialität sie mit einem „Wehret den Anfängen!“ quittiert hätte.  

Die von Wippermann so genannte „schweigende Mehrheit“ – ob sie tatsächlich eine Mehrheit ist, lasse ich dahingestellt – jener rückständigen Menschen, die nicht nur ihre „Selbstentfaltung“ im Kopf haben, hat das vollkommen zutreffende Gefühl, dass sie die Zeche für die Selbstentfaltung Anderer zahlt. Dieser schweigenden Mehrheit geht es um stärkere Verbindlichkeit sozialer Normen und um größere soziale Anerkennung für diejenigen, die für diese Gesellschaft etwas leisten, und damit formuliert sie ein völlig legitimes Interesse. Ein solcher Standpunkt ist konservativ. Ihn faschistisch zu nennen ist eine bösartige Verleumdung.  

Ich spreche bewusst von Verleumdung, nicht etwa von einem Irrtum. Es geht Wippermann nämlich nachweisbar nicht um die Bekämpfung faschistischer, sondern konservativer Positionen, und zwar mit dem klassischen Mittel linker Demagogie, nämlich durch das Schwingen der Faschismus-Keule.  

(Es sei angemerkt, dass es sich für einen seriösen Wissenschaftler von selbst verstehen sollte zu tun, was Wippermann wohlweislich unterlässt: nämlich einen so schillernden Begriff wie „Faschismus“ nur zu gebrauchen, wenn man zugleich offenlegt, auf welche der vielen Faschismusdefinitionen man sich bezieht. Dann freilich wäre das Wort nicht mehr so leicht als politische Waffe verwendbar.)  

Beweise?  

Er beklagt, dass  

„…es heute mehr um konservative und faschistische ‚Werte’ geht als um ihre Kritik…“ (S.10)  

– man beachte die Gleichsetzung und, als besonderes Bonbon, die Anführungszeichen im Text. Oder wie er sich mit Artikeln von Eva Herman auseinandersetzt:  

„Noch nicht Faschismus, aber in eine bedenkliche Nähe zu ihm gerät die Argumentation im ‚biologischen Kontext’. So, wenn von der ‚Entweiblichung der Frau’ und der ‚Entmännlichung der Herrenwelt’ gesprochen … wird.“ (S.16)  

Wer auf Nummer Sicher gehen will, nicht als Faschist entlarvt zu werden, meide diese „bedenkliche Nähe“.  

„Völlig sozialdarwinistisch ist die folgende Dekadenzthese: ‚So zieht eine hochzivilisierte Kultur wie die unsere sich selbst den Boden unter den Füßen weg, die Basis, die uns Halt im täglichen Überlebenskampf geben kann: die intakte Familie.’“ (S.17)  

„Sozialdarwinistisch“ ist bereits, wenn das Wort „Überlebenskampf“ erwähnt wird. So müssen wir uns wohl das vorstellen, was Wippermann seine  

„ideologiekritische … Methode“ (S.9)  

nennt. Da werden  

„extrem rechte Politiker wie Peter Gauweiler und Otto von Habsburg“ (S.24)  

und damit auch ihre Partei, die CSU, dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet.  

Wippermann beschreibt zutreffen die Einstellung der Achtundsechziger zu konservativen Werten – Stichwort: Sekundärtugenden – und fährt fort:  

„Auch wenn man dabei zu weit gegangen ist und in jedem Konservativen einen zumindest potenziellen Faschisten gesehen und all diese Tugenden und Werte als faschistisch oder, um ein weiteres Modewort zu gebrauchen, als faschistoid bezeichnet und verworfen hatte, im Kern trifft es dennoch zu. Konservativismus und Faschismus waren politische Bundesgenossen und hatten gleiche oder zumindest vergleichbare ideologische Ziele.“ (S.6) [Hervorhebungen von mir, M.] 

Also zuerst eine scheinbare Distanzierung von diesem unsäglichen Quatsch – natürlich, er will sich ja nicht total blamieren -, um am Ende doch zuzustimmen. Nicht die einzige Stelle übrigens, wo er diesen schmierigen Kunstgriff anwendet. Fragt sich nur, wie redlich ein Autor sein kann, der sich von seinen eigenen Thesen distanziert, um nicht auf sie festgenagelt zu werden, sie dann aber trotzdem unter die Leute bringt.

Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen konservativen Werten und nationalsozialistischer Ideologie. Der besteht aber nicht darin, dass sie „gleiche oder zumindest vergleichbare ideologische Ziele“ gehabt hätten, sondern dass die Nazis sich auf konservative Werte beriefen, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Oder, wie ich an anderer Stelle geschrieben habe:  

„Unter den totalitären politischen Ideologien halte ich im Zweifel die rechten für gefährlicher als die linken. Die extremen Linken machen sich selber das Leben schwer, indem sie Dinge versprechen, vor denen sich Jeder mit Grausen wendet, der etwas zu verlieren hat: Weltrevolution, Tabula Rasa, der Neue Mensch – und der Normalbürger denkt: Alles, nur das nicht! 

Die extremen Rechten sind gefährlicher, weil sie es auf genau diesen Normalbürger abgesehen haben. Die muten niemandem zu, ein “Neuer Mensch” zu werden, sie greifen einfach das auf, was sie an Ressentiments, Vorurteilen, Werten, Wunschträumen, Mythen und Ideologiefetzen in der Gesellschaft vorfinden, erklären es zu den “wahren Werten” des jeweiligen Gemeinwesens, erfinden einen Feind, der diese Werte angeblich angreift, stilisieren sich zu den besseren Konservativen, weil sie konsequent diesen “Feind” bekämpfen, und propagieren eine Ideologie, in die das alles hineinpasst. (…)Verführerisch sind solche Ideologien, weil ihre einzelnen Bestandteile populär sind, und weil der Normalbürger nicht unbedingt durchschaut, wohin es führt, wenn sie zu einem ideologischen System zusammengebunden werden.“  

Es gibt also tatsächlich die Gefahr, dass konservative Ideen von totalitären Ideologen scheinbar aufgegriffen, in Wahrheit aber zur Basis eines utopisch-revolutionären Projekts gemacht und damit in ihr Gegenteil verkehrt werden. Da es sich um die Pervertierung konservativer Werte handelt, spricht man in solchen Fällen von „Rechtsextremismus“, während die analoge Pervertierung emanzipatorischer Werte „Linksextremismus“ genannt wird. Wer deswegen eine Identität von Konservatismus und Faschismus behauptet, könnte ebensogut sozialdemokratisches und sogar liberales mit stalinistischem Denken in einen Topf werfen. Wer der Gefahr einer solchen Pervertierung  begegnen will, wird zwischen Konservatismus und Faschismus sorgfältig unterscheiden und dabei ideologiekritisch argumentieren müssen. Dabei bieten sich meines Erachtens mindestens drei Unterscheidungskriterien an:

Auf der Ebene der poltischen Ziele: Handelt es sich tatsächlich um ein Projekt der Bewahrung sozialer Werte und Strukturen, oder geht es um die Verwirklichung einer Sozialutopie, zum Beispiel die Züchtung einer Herrenrasse?  

Auf der Ebene der eingesetzten Mittel: Ist die gewaltsame Zerstörung des Bestehenden Voraussetzung für die Verwirklichung der Utopie, gibt es also ein apokalyptisches Moment?  

Auf der Ebene der Ideologie: Handelt es sich um ein totalitäres Gedankensystem, das heißt um eines, das den Anspruch auf umfassende Gesellschaftsdeutung und –gestaltung erhebt und sich gegen rationale Kritik durch seine Struktur immunisiert – etwa durch Bezugnahme auf religiöse Prämissen oder durch Zulassung von Zirkelschlüssen?  

Selbstverständlich ist es legitim, auch ganz andere Kriterien zu entwickeln, allerdings nur, sofern man dies begrifflich sauber, logisch widerspruchsfrei und intellektuell diszipliniert tut. Die von Wippermann betriebene plumpe Diffamierung missliebiger Meinungen jedenfalls gehört gottlob noch nicht zu den anerkannten Methoden wissenschaftlicher Ideologiekritik.  

Wir sehen also, dass es bei der Political Correctness, die Wippermann uns geradezu in Reinkultur vorführt, nicht darum geht, die Demokratie zu schützen (was allein die Ausgrenzung bestimmter Meinungen von einem liberalen Standpunkt aus rechtfertigen könnte), sondern darum, die ideologische Vorherrschaft der Linken dadurch abzusichern, dass man den von ihr missachteten Interessen des konservativen Normalbürgers die Legitimität abspricht und den politischen Ideen, in denen diese Interessen zum Ausdruck kommen, den Zugang zum Elitendiskurs verwehrt.

Problematisch daran ist nicht, dass überhaupt bestimmte Themen und Positionen aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden. Die gesellschaftliche Funktion sowohl der Medien als auch der Wissenschaft besteht vielmehr gerade darin, die Flut der anfallenden Informationen zu filtern und zu verarbeiten, und zwar nach jeweils systemeigenen Kriterien.

Dabei sortiert die Wissenschaft nach dem Kriterium „wahr/unwahr“ (wobei die Unterscheidung nach wissenschaftsspezifischen Regeln erfolgt), die Medien nach dem des öffentlichen Interesses: Was Keinen interessiert, wird nicht gesendet.

Normalerweise.

Die Kriterien aber, nach denen die etablierten Meinungseliten den Zugang gewähren bzw. verweigern, zeichnen sich gerade durch ihre Systemwidrigkeit aus: Es geht nämlich gar nicht darum, ob eine Meinung wahr oder unwahr bzw. von öffentlichem Interesse ist oder nicht.

Es handelt sich vielmehr um politische oder auch moralische, in jedem Fall aber systemfremde Kriterien, deren Anwendung zwangsläufig dazu führt, dass die Medien ihre gesellschaftliche Funktion, nämlich die der Selbstverständigung der Gesellschaft, nur noch eingeschränkt erfüllen.

Wir haben es hier, um es deutlich zu sagen, mit mutwilliger, politisch motivierter Sabotage eines zentralen gesellschaftlichen Funktionsbereiches zu tun: Die Meinungseliten missbrauchen ihre Monopolstellung und ihre Fähigkeit zur Selbstrekrutierung zum Zwecke politisch-ideologischer Herrschaft.

Es ist nur folgerichtig, dass diejenigen Teile der Gesellschaft, die auf diese Weise vom öffentlichen Diskurs ausgegrenzt werden, auf alternative Strukturen ausweichen, speziell auf das Internet, und dort einen Gegendiskurs führen. Und folgerichtig ist auch, dass dieser Gegendiskurs normalerweise weder wissenschaftlichen Wahrheitskriterien genügt noch in derselben Weise fundiert ist, wie es bei Positionen der Fall ist, die sich im Feuer der öffentlichen Kritik bewähren müssen.

Wie auch? Das Netz ist anarchisch, wie es übrigens auch der frühe Buchdruck war, und die leistungsfähigeren, weil differenzierteren Systeme Wissenschaft und Medien, die eine höhere Qualität hervorbringen könnten – die stehen ja nicht zur Verfügung!

Genau diesen Sachverhalt aber macht Wippermann der „schweigenden Mehrheit“ zum Vorwurf (als ob sie daran schuld wäre und nicht die ihre Macht missbrauchenden Meinungseliten, also Leute wie er!), wenn er wortreich beklagt, dass die Ausgrenzung von Eva Herman mit Vokabeln wie „Meinungsdiktatur“, „Gleichschaltung“ und – dies vor allem – „Verschwörung“ gegeißelt wird. Er sieht darin den Ausdruck einer massenhaft verbreiteten – na was wohl? – faschistischen Gesinnung.

Es scheint ihm durchaus nicht einzufallen, dass die Ursache der Kritik in den kritisierten Verhältnissen liegen könnte und nicht im schlechten Charakter der Kritiker – für einen Linken ein bemerkenswerter Standpunkt!

Dabei haben die genannten Ausdrücke mit Ideologie normalerweise wenig bis nichts zu tun; sie sind schlicht der Versuch, die beobachtete ideologische Konformität der Meinungseliten auf den Begriff zu bringen und zu erklären. Der konservative Normalbürger sieht sich der kafkaesken Situation gegenüber, dass Wahrheiten für unwahr und Unwahrheiten für wahr erklärt werden, dass Konservatismus als Faschismus denunziert wird, dass Zweifel daran als verwerflich zurückgewiesen werden, und dass seine Auffassungen im öffentlichen Diskurs nicht vorkommen – kurz und gut: dass die Selbstbeschreibung unserer Gesellschaft als „pluralistisch“ offensichtlich nur eingeschränkt der Wahrheit entspricht, dies aber von den Meinungseliten geleugnet wird.

Und nun steht er vor dem Problem, sich auf diesen mysteriösen Sachverhalt einen Reim zu machen, wobei ihm, auch wenn er gebildet ist, normalerweise nicht die analytischen Instrumente des Soziologen zur Verfügung stehen. Was tut er? Er greift zu den sich aufdrängenden Erklärungsmustern, und die sind naturgemäß verschwörungstheoretischer Natur. 

In einer solchen Situation, in der Verschwörungstheorien die scheinbar einzig adäquaten Erklärungsmodelle darstellen, kann es nicht ausbleiben, dass auch der Klassiker aller Verschwörungstheorien, nämlich die „jüdische Weltverschwörung“ bemüht wird – gerade in einer Gesellschaft, in der antisemitische Weltdeutungen über Jahrhunderte hinweg in immer neuen Varianten verinnerlicht worden sind, und in der solche Interpretationsmuster daher tief im kollektiven Unbewussten verankert sind.

Wippermann zitiert denn auch ausführlich aus antisemitischen Ergüssen, die im Zusammenhang mit der Herman-Affäre geschrieben worden sind. Er hat schon Recht: Sowohl die Akzeptanz von Verschwörungstheorien überhaupt, als auch deren besonders giftige antisemitische Version sind ernsthafte Gefahren für ein demokratisches Gemeinwesen, und ich selbst habe viele Seiten geschrieben, um zu zeigen, dass verschwörungstheoretisches Denken dem Totalitarismus Tür und Tor öffnet.

Was Wippermann aber nicht sieht, ist, dass Verschwörungstheorien nur dort benötigt und akzeptiert werden, wo die Welt undurchschaubar wird. Eine „Elite“, die die Menschen belügt statt sie aufzuklären, die zum Zwecke ideologischer Dominanz ihre Deutungsmacht missbraucht, die nicht mit Argumenten überzeugen, sondern mithilfe inquisitorischer Verdammungsurteile herrschen will, führt die Undurchschaubarkeit der Welt mutwillig herbei und darf sich nicht wundern, wenn sie die giftigen Früchte ihres Wirkens in Gestalt von Verschwörungstheorien und Antisemitismus erntet. Wippermanns Buch ist die larmoyante Bankrotterklärung einer Elite, die ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat und sich nun beklagt, dass ihr niemand mehr glaubt.