„Gegen Nazis“

Wenn sogenannte oder auch Neonazis demonstrieren, dann braucht man keine Zeitung mehr aufzuschlagen, weil man schon vorher weiß, was man dort lesen wird. Man wird lesen,
  • dass es einen „Aufmarsch“ von Rechtsextremisten gegeben habe (Rechte könnten in Filzpantoffeln daherschlurfen – die Medien sprächen trotzdem stets von einem „Aufmarsch“).
  • dass es bei diesem „Aufmarsch“ zu Gewalttaten gekommen sei (typische Schlagzeile: “Zwölf Polizisten bei NPD-Aufmarsch verletzt“), wobei der Tenor der Berichterstattung darauf abzielt, Rechtsextremisten die Schuld an den Ausschreitungen linker Autonomer in die Schuhe zu schieben (irgendwo ganz unten im Artikel korrigieren die Autoren Schlagzeile und Einleitung gerade so weit, wie es nötig ist, um nicht direkt der Lüge bezichtigt zu werden);
  • dass man es normalerweise nicht für nötig hält zu erwähnen, welche Organisationen als neonazistisch eingestuft werden und der Leser damit keine Möglichkeit hat zu überprüfen, ob die, die „Neonazis“ genannt werden, auch tatsächlich welche sind;
  • dass das angesichts des „antifaschistischen“ Alarmismus doch krasse zahlenmäßige Missverhältnis zwischen den wenigen rechten und den vielen linken Demonstranten nicht thematisiert wird, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass gefragt würde, ob zweitausend linksradikale Straßenkämpfer für die Demokratie nicht womöglich doch gefährlicher sind als ein paar hundert Rechtsextremisten, die sich an geltendes Recht halten; erst recht nicht in dem Sinne, dass man ob der nicht mehr zu übersehenden Existenz einer linksradikalen Bürgerkriegsarmee irgendwelche Besorgnis äußern würde;
  • dass die von staatlicher Seite regelmäßig unternommenen Versuche, die Veranstaltungen der extremen Rechten verbieten zu lassen, fast immer vor Gericht scheitern; keiner der angeblich kritischen Journalisten hält es aber für nötig zu fragen, wie vertrauenswürdig und verfassungstreu Regierungen eigentlich sind, die offenbar wissentlich und aus purer Schikane rechtswidrige Verbote erlassen, deren regelmäßige gerichtliche Aufhebung obendrein zu Lasten des Steuerzahlers geht.
  • Eines aber wird man ganz bestimmt nicht lesen: die Frage nach dem Sinn und vor allem dem Zweck von Demonstrationen „gegen Nazis“.

Wofür oder wogegen demonstriert eigentlich jemand, der „gegen Nazis“ demonstriert – das ist doch ein ganz ungewöhnlicher Slogan?

Üblicherweise demonstriert man für oder gegen ein bestimmtes Anliegen, nicht aber gegen Anhänger einer bestimmten politischen Richtung. Ich kann mich jedenfalls nicht an CDU-Demonstrationen „gegen Autonome“ oder an FDP-Demos „gegen Kommunisten“ erinnern. Dass man Demonstrationen von politischen Gegnern, auch solche von Extremisten, zum Anlass nimmt, gegen deren Ziele auf die Straße zu gehen, wäre naheliegend und einleuchtend.

Auffallend bei den Demonstrationen „gegen Nazis“ jedoch ist, dass jede Bezugnahme auf deren Ziele (einschließlich ihrer leidenschaftlichen Ablehnung) wie auch auf die eigenen Ziele und Werte unterbleibt: „Gegen Nazis“ demonstriert man sogar dann, wenn deren Veranstaltungen sich gegen Kinderschänder richten.

Auffallend ist ferner, dass solche Gegendemonstrationen, die regelmäßig von vorgeblich demokratischen Organisationen angemeldet werden, ebenso regelmäßig von linksradikalen Gewaltverbrechern zur Randale benutzt werden.

Beide Auffälligkeiten hängen miteinander zusammen.

Es ist ja nicht etwa so, dass man sich des Beifalls und der Unterstützung von der falschen Seite nicht erwehren könnte, und dass jeder, der eine Anti-Nazi-Demonstration anmeldet, sich automatisch und gezwungenermaßen, gleichsam zähneknirschend die zweifelhafte Unterstützung von Autonomen (und deren Randale) gefallen lassen müsste. Ich komme schließlich selber von der politischen Linken, und ich kann mich deutlich erinnern, dass es Anfang der achtziger Jahre bei den Demonstrationen gegen die Nachrüstung sehr wohl möglich war, Randalierer in Schach zu halten; natürlich musste man das vorher absprechen und üben. Wenn SPD, Grüne, Linke und sonstige angeblich demokratische Organisationen dies heute nicht mehr tun, obwohl ihnen klar sein muss, dass ihre Demos dadurch praktisch Einladungen zum Krawall darstellen, dann heißt das, dass sie es nicht wollen!

Womit auch klar wäre, warum diese Organisationen sogenannte Neonazi-Aufmärsche nicht dadurch kontern, dass sie für die Dinge demonstrieren, gegen die Neonazis normalerweise sind, also zum Beispiel für das Grundgesetz, für die Freundschaft mit Amerika, für Israel, gegen Gewalt schlechthin (nicht nur gegen „rechte Gewalt“) in der politischen Auseinandersetzung:

Wenn sie das täten, blieben ja die Autonomen weg, und damit wäre der eigentliche Sinn einer Demonstration „gegen Nazis“ oder auch „gegen Rechts“ verfehlt. Dieser Sinn besteht nicht darin, für demokratische Werte einzustehen – schon gar nicht für einen freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat. Er besteht darin, das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit bestimmter Gruppen schlechthin zu verneinen, und zwar unter bewusster und demonstrativer Missachtung von Recht, Gesetz und Gerichtsurteilen. (Welche Gruppen das sind, bestimmen selbstverständlich nicht Gerichte, sondern der jeweilige linke Konsens, für dessen Zustandekommen niemand irgendjemandem rechenschaftspflichtig ist.) Für das Grundgesetz zu demonstrieren würde diese Aussage geradezu auf den Kopf stellen und außerdem die Autonomen fernhalten.

Letztere sind aber notwendig, weil ihre Beteiligung das Signal sendet, dass die Linke – und zwar gerade die offizielle Linke, also Sozialdemokraten, Grüne, Gewerkschaften usw. – auf demokratische Spielregeln pfeift und ihren Willen unter Missachtung der Verfassung, unter Missbrauch staatlicher Machtpositionen und mit nackter Gewalt durchzusetzen entschlossen ist.