Anmerkungen zum Ukraine-Krieg

Jetzt, da die russische Armee den Ring um die ukrainischen Großstädte, namentlich Kiew, Odessa und Mariupol immer enger zieht und die ukrainische Seite diese Städte immer mehr zu Festungen ausbaut, ist es Zeit zu einer kurzen Betrachtung, und zwar zu einer nüchternen Betrachtung.

Ein Wort zur Mainstreampropaganda

Die Situation ist bedrohlich, nicht nur für die Ukraine und die dortige Zivilbevölkerung, sondern für uns alle. Es ist keine Situation, in der man sich von billiger Empörung über den „russischen Angriffskrieg“ den Verstand vernebeln lassen sollte. Dass uns die gewollte Selbstverdummung von Politikern und Journalisten als staatsbürgerliche Tugend verkauft wird, heißt nicht, dass es eine ist.

Es zeigt nur, dass wichtige Positionen dieser Gesellschaft von Leuten besetzt sind, die nicht wissen, wovon sie reden und es deshalb nötig haben, jeden, der sich nicht auf das Niveau ihrer infantilen und infantilisierenden Emotionalisierung und Personalisierung herablässt, zu verteufeln und einen „Putinversteher“ zu nennen.

Ich für meinen Teil bekenne mich dazu, ein Putinversteher zu sein, und zwar in demselben Sinne, in dem man Willy Brandt einen „Breschnew-Versteher“ hätte nennen können, wenn es diesen Ausdruck vor fünfzig Jahren schon gegeben hätte. Es gab ihn aber nicht, weil es damals noch als Selbstverständlichkeit galt, dass man die Dinge und die Personen, über die man sich öffentlich äußert, tunlichst verstehen sollte, weil man sonst nur dummes Zeug über sie reden kann. Dass die Journaille heute einen Ausdruck wie „Putinversteher“ als Schimpfwort verwenden kann, ohne zu bemerken, was sie damit über sich selbst aussagt, ist bezeichnend für ihre erschütternde Einfalt.

Die militärische Strategie der Ukraine

Welche Strategie also verfolgt die Ukraine, indem sie Großstädte verteidigt und es dadurch darauf anlegt, die russischen Streitkräfte in den Häuserkampf zu zwingen? Gewiss, beim Kampf „Infanterie gegen Infanterie“ hat die verteidigende Partei im Straßen- und Häuserkampf einen Vorteil, den sie in offenem Gelände nicht oder jedenfalls nicht im selben Maße hat.

Nun ist dieser Sachverhalt aber sowohl dem russischen als auch dem ukrainischen Generalstab geläufig. Niemand wird daher etwas anderes erwarten, als dass die Russen, bevor sie bei einem Angriff auf die Großstädte mit Infanterie hineingehen, stattdessen mit der geballten Feuerkraft ihrer Artillerie und Luftwaffe zuerst alle potenziellen Verteidigungsstellungen vernichten – und zwar mitsamt den Verteidigern und leider auch zahllosen Zivilisten, denen jede Ausweichmöglichkeit genommen wird, wenn die eigene Stadt zur Festung ausgebaut wird.

Und nein, diese Angriffsmethode ist keine ungewöhnlich grausame Art der Kriegführung. Es ist das, was jeder General in der Situation der russischen Kommandeure tun würde. Genau deswegen verteidigt man Großstädte normalerweise nicht – weil ihre Verteidigung nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als den Tod eines erheblichen Teils ihrer Bewohner in Kauf zu nehmen.

Eine solche Verteidigungsstrategie kann nur in Betracht kommen, wenn die verteidigende Partei in der absolut verzweifelten Lage ist, eine militärische Niederlage um jeden Preis – und sei es den eines Massensterbens der eigenen Bevölkerung – abwenden oder dies wenigstens versuchen zu müssen (denn groß sind die militärischen Erfolgsaussichten ja nicht).

Die russischen Kriegsziele

Ist die Lage der Ukraine denn so verzweifelt, dass sie zu solchen Mitteln greifen müsste? Spätestens seit der Kreml seine Kriegsziele auf den Tisch gelegt hat, wird man dies bezweifeln dürfen. Gefordert wird im Wesentlichen:

  • die Anerkennung der Zugehörigkeit der Krim zu Russland
  • die Anerkennung der Unabhängigkeit der Sezessionsgebiete in der Ost-Ukraine
  • die militärische Neutralität der Ukraine, sprich: dass sie nicht der NATO beitritt.

Was Putin also fordert, ist die rechtliche Anerkennung und Festschreibung von Zuständen, die de facto schon längst existierten, also des Status Quo ante: Die Ukraine kontrolliert die strittigen Gebiete (deren Bewohner obendrein offensichtlich nicht zur Ukraine gehören möchten) schon lange nicht mehr, und der NATO hat sie noch nie angehört. Russlands Kriegsziel ist offenbar gerade nicht, daran etwas zu ändern, sondern zu verhindern, die Ukraine selbst es tut – und zwar im Verbund mit dem Westen, wie es sich in den letzten Jahren immer deutlicher abgezeichnet hat.

Schon deshalb kann ich in den Forderungen Russlands nichts Unzumutbares, ja nicht einmal etwas wirklich Unbilliges erkennen, und schon gar nicht etwas, was es rechtfertigen würde, zu seiner Verhinderung das Leben von möglicherweise mehreren hunderttausend Zivilisten zu opfern.

Stärkung der Verhandlungsmacht

Es ist immerhin möglich, dass die Strategie der Ukraine gar nicht darin besteht, den Kampf um die Großstädte wirklich zu führen, sondern dem Kreml zu signalisieren, dass er für seinen Sieg einen schwindelerregend hohen Preis würde zahlen müssen. In der Tat müssten ja nicht nur viele Zivilisten ihr Leben lassen, sondern auch viele russische Soldaten, und die Sanktionen des Westens sind für Putin mindestens ziemlich lästig, ganz abgesehen von der PR-Katastrophe, die dieser Krieg für ihn jetzt schon ist. Er hat also durchaus ein Interesse daran, den Waffengang zügig zu beenden.

Unter diesem Gesichtspunkt, nämlich insofern es die Verhandlungsposition der Ukraine gestärkt hat, war die ukrainische Strategie der Totalverteidigung nicht nur verständlich, sondern auch richtig (wie es aus demselben Grund übrigens auch die Sanktionspolitik des Westens ist).

Nützen wird ihr diese starke Verhandlungsposition aber nur dann etwas, wenn sie auch wirklich verhandelt (und wieder gilt dasselbe analog für den Westen), und zwar jetzt, nicht erst dann, wenn die russische Armee unter riesigen Verlusten Kiew erobert hat. Damit nämlich wäre die mühsam aufgebaute starke Position verspielt und die Unabhängigkeit der Ukraine wirklich in Gefahr – was sie momentan nicht zu sein braucht.

Es war noch nie so leicht, Frieden zu schließen – aber tun muss man’s! Einfach nur catonisch zu wiederholen, die Russen müssten das Land verlassen, danach könne man reden, ist so blauäugig, dass es kaum ernstgemeint sein kann.

Ich möchte gerne glauben, dass die Unbeweglichkeit der ukrainischen Position einer typisch sowjetischen Verhandlungsstrategie von Diplomaten aus der Gromyko-Schule entspringt: bis zum letzten Moment das Pokerface wahren, winzige taktische Vorteile einsammeln und kumulieren, um schließlich doch noch eine Einigung zu erzielen. Ich habe allerdings Zweifel.

Dasselbe gilt mindestens ebenso sehr für den Westen. Putin mit Sanktionen unter Druck zu setzen, um am Verhandlungstisch mitreden zu können – ja, das hat durchaus Sinn. Welchen Sinn es unter diesem Gesichtspunkt aber haben soll, alle Türen zuzuknallen, westliche Unternehmen zum Abzug aus Russland zu nötigen, das Land zum Pariastaat zu erklären und seinen Präsidenten zum Gottseibeiuns zu verschwefeln, mit dem man nicht mehr reden dürfe, das erschließt sich mir nicht. So handelt eigentlich nur jemand, der eine Einigung nicht nur jetzt nicht erzielen, sondern auch für die Zukunft ausschließen will.

Eskalationsstrategie

Wenn die Strategie der Ukraine aber nicht auf Verhandlungen abzielen sollte – und mit jedem Tag, der ohne erkennbaren diplomatischen Fortschritt vergeht, werden meine Zweifel größer –, worauf dann? Welchen Sinn hat insbesondere die Verlagerung der Front in die Großstädte, wo man die Zivilbevölkerung dadurch maximalen Gefahren aussetzt?

Der Verdacht drängt sich auf, dass sowohl die Ukraine als auch der Westen (wer immer die wirklichen Entscheidungsträger in Washington sein mögen – der senile Präsident wohl eher nicht) eine Verständigung gar nicht wollen und möglicherweise von vornherein nicht wollten. Dies würde jedenfalls erklären, warum man die russische Armee drei Monate lang vor den Grenzen der Ukraine manövrieren ließ, ohne einen ernsthaften Versuch zur Entschärfung der Krise zu unternehmen (aber auch ohne ernsthaften Versuch, die Ukraine unter den Atomschirm der Amerikaner zu bringen).

Ja, ich gebe zu, es kann auch Inkompetenz gewesen sein. Nur fällt es mir schwer, an eine Inkompetenz zu glauben, die so verteufelte Ähnlichkeit mit einer Strategie hat.

Diese Strategie wäre dann gewesen, Putin die Ukraine als Köder hinzuhalten, indem man ihre Aufnahme in die NATO als bevorstehend an die Wand malt (und ihn so unter Zugzwang setzt), sie aber noch nicht wirklich aufnimmt (damit er glaubt, sich ein militärisches Vorgehen noch leisten zu können). Das hieße, dass man ihm eine Falle gestellt hat und er hineingetappt ist.

Sollte es so sein, dann würde auch die militärisch und politisch scheinbar so sinnlose Opferung der ukrainischen Zivilisten einen Sinn ergeben und darauf hinauslaufen, durch eine solche Eskalation den Westen in den Krieg hineinzulotsen, was Selenskyj ohnehin ständig versucht. Dass er damit immerhin eine Debatte über „Flugverbotszonen“ ausgelöst hat, Polen eine bewaffnete „Friedensmission“ der NATO zur Unterstützung der Ukraine fordert und wichtige Funktionsträger des politisch-medialen Komplexes, etwa Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner, den Kriegseintritt der NATO bereits offen propagieren, wirkt wie ein düsteres Omen und zeigt, dass Selenskyjs Spekulation auf diesen Kriegseintritt keineswegs so absurd ist, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint.

Wir wissen aus der Vergangenheit, wie leicht die westliche Öffentlichkeit durch grausame Bilder zu manipulieren ist, und sie ist es heute mehr denn je. Die Coronakrise wirkt wie ein Probelauf, bei dem getestet wurde, wie viel offensichtlichen Unsinn diese Öffentlichkeit zu schlucken bereit ist, und das Ergebnis ist für Kriegstreiber leider ziemlich ermutigend ausgefallen. Die westliche und insbesondere die deutsche Öffentlichkeit ist in einer Weise hysterisierbar, infantilisierbar und manipulierbar, wie man es noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Die sich ausbreitende Progromstimmung gegen Russen (und russische Muttersprachler, einschließlich ethnischer Deutscher), spricht eine deutliche und vernichtende Sprache.

Die Bilder, deren es bedarf, um ein solches Volk in einen Krieg zu treiben, würden bei einem Sturm auf Kiew mit Sicherheit entstehen und hätten vermutlich auch in den USA eine ähnliche Wirkung. Untermalt mit  entsprechender Propaganda könnte der noch vorhandene öffentliche Widerstand gegen militärische Maßnahmen schnell dahinschmelzen, zumal, wenn der Kriegseintritt der NATO scheibchenweise erfolgt: zum Beispiel, indem zunächst „nur“ eine Flugverbotszone eingerichtet wird, „nur“ die USA sich beteiligen, „nur“ Ausbilder und Spezialisten geschickt werden usw.

Für die Vereinigten Staaten wäre das Risiko übrigens viel geringer als für uns. Konfrontiert mit einer NATO, die gegen ihn Krieg führt, hätte Putin durchaus die atomare Option – nur eben nicht gegen die USA, die womöglich mit massiver Vergeltung antworten würden, wenn ihr eigenes Territorium angegriffen wird; wohl aber gegen europäische Staaten. Die noch aus dem Kalten Krieg stammende Vorstellung, die USA würden jeden atomaren Angriff auf ein NATO-Mitglied ihrerseits mit Atomschlägen gegen Russland quittieren und damit womöglich dessen Atomraketen auf sich selbst ziehen, war damals schon fragwürdig und ist es heute erst recht.

Deswegen hätte Russland im Falle eines Krieges mit der NATO durchaus die Option, Atomraketen auf europäische Staaten abzufeuern,

  • die strategisch wichtige Knotenpunkte der NATO-Infrastruktur beherbergen,
  • erheblich zur Wirtschaftskraft des Westens beitragen,
  • potenziell auch militärische Bedrohungen Russlands darstellen könnten,
  • dabei aber selbst keine Atomwaffen besitzen.

Die Frage, auf welches Land dieser Steckbrief am deutlichsten zutrifft, beantwortet sich von selbst.

Strategische Perspektiven der Islamkritik

Auf Einladung von Europe News habe ich am vergangenen Samstag in Berlin über die strategischen Perspektiven der Islamkritik gesprochen (siehe auch diesen Europe-News-Artikel), in dem ich begründet habe, dass es eine Sache ist, den Islam zu kritisieren, und eine andere, die Islamisierung zu bekämpfen; und dass man zu Letzterem vor allem die Kräfte bekämpfen muss, die dem Islam die Tür nach Europa öffnen, also die Linke und das herrschende Establishment. Hier das Video:

Wikileaks enthüllt: US-Strategie zur Multikulturalisierung Frankreichs

Wikileaks hat ein Strategiepapier veröffentlicht, das der amerikanische Botschafter in Paris, Charles H. Rivkin, am 19. Januar 2010 an das Außenministerium in Washington gekabelt hat. Die darin entwickelte Strategie zielt darauf ab, die französische Öffentlichkeit, und das heißt speziell deren Eliten, für eine Ideologie des Multikulturalismus zu gewinnen und dadurch „amerikanische Ziele und Werte“ zu fördern. Zukünftige Führer der französischen Gesellschaft – sowohl einheimischen wie fremden Ursprungs – sollen schon frühzeitig identifiziert und mit messianischem Sendungsbewusstsein indoktriniert werden. Das Papier enthält nicht mehr und nicht weniger als eine Strategie zur ethnischen Durchmischung und  ideologischen Gleichschaltung Frankreichs. Da etliche ihrer Elemente auch hierzulande zu beobachten sind, muss man davon ausgehen, dass ähnliche Entwürfe auch hierzulande verfolgt werden – zumal die Umerziehung der Deutschen ohnehin schon wesentlich länger im Gange ist als die der Franzosen. Wer immer glaubt, die NWO sei eine Phantasie von Verschwörungstheoretikern, wird hier aus erster Hand eines Besseren belehrt.

Ich werde dieses Papier und seine Bedeutung in den kommenden Tagen noch würdigen. Für heute halte ich es für vordringlich, eine deutsche Übersetzung zu veröffentlichen. Zum Wikileaks-Original hier klicken. Und danke an MCP, der in seinem Blog darauf aufmerksam gemacht hat:

1. ZUSAMMENFASSUNG: Unter Berücksichtigung von Frankreichs einzigartiger Geschichte hat die Botschaft Paris eine Minderheiten-Einbindungsstrategie entwickelt, die unter anderen Gruppen die muslimische französische Bevölkerung einbezieht und sich an den Zielen orientiert, die in Reftel A umrissen sind. Unser Ziel ist es, die französische Bevölkerung auf allen Ebenen dafür zu mobilisieren, dass Frankreich seine Anstrengungen erhöht, seine eigenen egalitären Ideale zu verwirklichen und dadurch nationale Interessen der USA zu fördern. Während Frankreich zu Recht stolz auf seine führende Rolle bei der Verbreitung demokratischer Ideale und der Verwirklichung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ist, haben sich Frankreichs Institutionen nicht flexibel genug gezeigt, wenn es darum geht, sich an eine zunehmend religiös vielfältige [heterodox] demographische Lage anzupassen. Falls Frankreich nicht langfristig seinen Minderheiten erfolgreich Chancen einräumt und ihnen authentische politische Repräsentation gewährleistet, könnte es, so glauben wir, ein schwächeres, gespalteneres, krisenanfälligeres und introvertierteres Land, und das heißt: ein weniger fähiger Verbündeter werden. Wir werden Frankreichs Anstrengungen in Richtung auf Chancengleichheit für seine Minderheiten dadurch unterstützen, dass wir:

  • einen positiven Diskurs führen;
  • ein starkes Beispiel geben;
  • eine aggressive Strategie zur Beeinflussung der Jugend umsetzen;
  • moderate Stimmen ermutigen;
  • die besten Praktiken propagieren;
  • und unser Verständnis der Ursachen von Ungleichheit in Frankreich vertiefen.

ENDE DER ZUSAMMENFASSUNG

HINTERGRUND: DIE KRISE DER REPRÄSENTATION IN FRANKREICH

2. Frankreich hat sich lange für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eingesetzt, und dies zu Hause wie im Ausland, und es sieht sich zu Recht als eine der historisch führenden demokratischen Nationen. Diese Geschichte und dieses Selbstbild werden uns gute Dienste bei der Umsetzung unserer hier skizzierten Strategie leisten, in der wir Frankreich dazu drängen werden, seine geschätzten demokratischen Werte vollständiger zu verwirklichen. Diese Strategie ist notwendig, weil die französischen Institutionen sich nicht flexibel genug gezeigt haben, wenn es darum geht, sich an eine zunehmend religiös vielfältige [heterodox] demographische Lage anzupassen. Einige wenige sehr kleine Minderheiten besetzen Führungspositionen in Frankreichs öffentlichen Institutionen. Wie Präsident Sarkozys eigener Diversity Czar Yazid Sabeg Botschafter Rivkin im Dezember mitteilte, „spiegelt die Nationalversammlung die Krise der Repräsentation in Frankreich wieder“ (Reftel B). Unter den 577 Mitgliedern der Nationalversammlung gibt es einen einzigen schwarzen Abgeordneten aus dem französischen Kernland (ohne die Inselterritorien) und keinen einzigen Vertreter muslimischer oder arabischer Herkunft, obwohl diese Minderheit allein annähernd 10 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Der Senat hat zwei muslimische Senatoren (von 343), aber keinen schwarzen, und nur einige wenige Senatoren gehören einer anderen ethnischen oder religiösen Minderheit an. Sabeg sagte auch, dass keiner der fast 180 Botschafter schwarz ist, und nur einer ist nordafrikanischer Abstammung. Obwohl Sarkozy Führungspersönlichkeiten ernannt hat wie Rachida Dati, Fidela Amara und Rama Yade, sind Minderheiten immer noch wie durch Panzerglas von Frankreichs öffentlichen Institutionen getrennt. Die französischen Medien bleiben mit überwältigender Mehrheit weiß, mit nur geringen Steigerungen bei der Repräsentation von Minderheiten vor der Kamera bei den größeren Sendern. Bei Frankreichs Institutionen zur Elitenausbildung sehen wir nur bei der Sciences Po ernsthafte Schritte zur Integration.

Während sie in privaten Organisationen geringfügig besser repräsentiert sind, werden nur wenige Großunternehmen und Stiftungen von Angehörigen von Minderheiten geführt. So dementiert die Wirklichkeit die egalitären Ideale der Nation. Elitäre Politik etablierter Zirkel kennzeichnet nach wie vor Frankreichs öffentliche Institutionen, während rechtsextreme, fremdenfeindliche Politik an eine kleine, doch bisweilen einflussreiche Minderheit appelliert. Wir werden nun weitere Ursachen sozialer, politischer und wirtschaftlicher Barrieren erkunden, die das Vorwärtskommen von Minderheiten in Frankreich behindern. (Siehe Taktik 6, unten).

3. Frankreich wird unter den Folgen leiden, wenn seine führenden Institutionen es nicht schaffen, die Zusammensetzung der Bevölkerung wiederzuspiegeln. Wir glauben, dass Frankreich nicht völlig von der Energie, der Tatkraft und den Ideen seiner Minderheiten profitiert. Obwohl Frankreich beansprucht, als Modell der Assimilation und Leistungsgerechtigkeit zu dienen, beeinträchtigen unbestreitbare Ungleichheiten Frankreichs Bild in der Welt und schmälern seinen Einfluss im Ausland. Unseres Erachtens wird Frankreichs fortgesetztes Versagen bei der Gewährung von Chancen und echter Repräsentation für seine Minderheiten dazu führen, dass es ein schwächeres, gespalteneres Land sein wird. Die geopolitischen Konsequenzen von Frankreichs Schwäche und Zerrissenheit werden US-Interessen beeinträchtigen, da wir starke Partner im Herzen Europas brauchen, um demokratische Werte zu fördern.

Darüberhinaus hat soziale Ausgrenzung innere Konsequenzen für Frankreich selbst, einschließlich der Entfremdung von Teilen der Bevölkerung, die ihrerseits den weltweiten Kampf gegen gewalttätige Extremistennetzwerke beeinträchtigen könnten. Eine starke, integrationsorientierte französische Politik wird uns dagegen helfen, die Demokratie und Stabilität weltweit zu verbreiten.

EINE STRATEGIE FÜR FRANKREICH: UNSERE ZIELE

Der Leitgedanke unserer Minderheitenstrategie ist, die französische Bevölkerung auf allen Ebenen für die Verwirklichung von Frankreichs eigenen egalitären Idealen zu mobilisieren.

Unsere Strategie fasst drei große Zielgruppen ins Auge: (1) die Mehrheit, speziell die Eliten; (2) Minderheiten, mit Konzwentration auf deren Führer; (3) die allgemeine Bevölkerung. Indem wir sieben Taktiken anwenden, die unten beschrieben sind, zielen wir darauf ab

(1) bei Frankreichs Eliten ein Bewusstsein für die Gewinne von Chancenexpansion und die Kosten des Status Quo zu schaffen,

(2) die Fähigkeiten von Minderheitenführern, die ihren Einfluss auszudehnen versuchen, zu verbessern und ihr Vertrauen zu stärken,

(3) und der Gesamtbevölkerung zu vermitteln, dass wir vor allem ihre Diversität und Dynamik bewundern, und dabei zu betonen, welche Vorteile es hat, von diesen Qualitäten zu profitieren, indem man die Chancen für alle verbessert.

TAKTIK 1: IN EINEN POSITIVEN DISKURS EINTRETEN

5. Zunächst werden wir unseren Diskurs auf das Thema der Chancengleichheit konzentrieren. Wenn wir uns öffentlich zu den Gemeinsamkeiten der Demokratien äußern, werden wir betonen, dass zu den Qualitäten von Demokratien das Recht auf Verschiedenheit, der Schutz von Minderheiten, der Wert von Chancengleichheit und die Wichtigkeit authentischer politischer Repräsentation gehören. Bei nichtöffentlichen Begegnungen werden wir hochrangige französische Führungspersönlichkeiten (die nicht einer Minderheit angehören) gezielt nach Chancengleichheit in Frankreich fragen. Statt uns von Diskussionen über die zwei heiligen Kühe Frankreichs – „Säkularismus“ und „Kommunitarismus“ – zurückzuziehen, werden wir diese Personen direkt zur Rolle ihrer Terminologie und ihres ideologischen Rahmens bei der Schaffung (oder Verminderung) von Chancengleichheit in Frankreich befragen. Wir werden uns bemühen, die Kosten aufzuzeigen, die eine Unterrepräsentation von Minderheiten für Frankreich haben muss, und die Vorteile herausstreichen, die wir selbst dadurch erzielt haben, dass wir die vielfältigen Hindernisse beiseite räumten, denen amerikanische Minderheiten sich gegenübersehen. Selbstverständlich werden wir auch weiterhin eine selbstkritische Haltung an den Tag legen, was unsere Situation in den USA betrifft, nichtsdestotrotz werden wir die unzähligen Vorteile betonen, die mit einem vorausschauenden Ansatz zu breiter sozialer Inklusion verbunden sind, und wir werden unsere französischen Partner zu jedem Schritt beglückwünschen, den sie in dieser Richtung unternehmen. Außerdem werden wir unsere Zusammenarbeit mit französischen Museen, mit Lehrern und Professoren [educators] fortsetzen und intensivieren, um eine Reform des Lehrplans für den französischen Geschichtsunterricht zu erreichen, sodass er auf die Rolle und die Perspektiven von Minderheiten in der französischen Geschichte eingeht.

TAKTIK 2: EIN STARKES BEISPIEL GEBEN

6. Zweitens werden wir mit dem Instrument des guten Beispiels arbeiten. Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen und erweitern, Minderheitenführer aus den USA nach Frankreich zu bringen, damit sie ihre Erfahrungen den französischen Minderheiten- wie Nichtminderheitenführern vermitteln. Wenn wir französische Führungspersönlichkeiten nach Amerika schicken, wird ihre Reise so oft wie möglich eine Komponente haben, die mit Chancengleichheit zu tun hat. In der Botschaft werden wir weiterhin ein breites Spektrum der französischen Gesellschaft zu unseren Veranstaltungen einladen, und wir werden es dementsprechend vermeiden, Veranstaltungen nur für Weiße oder nur für Minderheiten zu machen. Wir werden Alle einbeziehen und dadurch Barrieren niederreißen, Kommunikation erleichtern und Beziehungsnetze erweitern. Indem sie Gruppen zusammenbringt, die sonst nichts miteinander zu tun haben würden, wird die Botschaft ihr Prestige einsetzen, um Vernetzungschancen zu schaffen, die die traditionellen kulturellen und sozialen Barrieren in Frankreich durchbrechen.

TAKTIK 3: AGGRESSIV DIE JUGEND BEARBEITEN

7. Drittens werden wir unsere Anstrengungen fortsetzen und intensivieren, die Jugend in dem Sinne zu beeinflussen, dass wir mit jungen Franzosen aller soziokulturellen Hintergründe dieselben Werte teilen. Die federführende inter-agency Youth Outreach Initiative der Botschaft zielt darauf ab, unter jungen Franzosen eine positive Dynamik zu erzeugen, die zu einer größeren Unterstützung für amerikanische Ziele und Werte führt. Einige Elemente dieser Initiative sind speziell für Minderheiten von Bedeutung, einschließlich der folgenden:

  • Unter Rückgriff auf neue Medien zielen wir zunächst darauf, Vertrauen und Verständnis zwischen französischen Jugendlichen verschiedenen Hintergrunds zu schaffen.
  • Indem wir gegenseitiges Vertrauen und Verständigung stärken, suchen wir Frankreichs nächster Generation zu helfen, die Führungskapazitäten innerhalb ihrer Gemeinschaften auszubauen, und ihnen gleichzeitig zu vermitteln, dass es wichtig ist, die Grenzen der eigenen Gemeinschaft zu transzendieren, um eine breitere nationale Wirkung zu erzielen.
  • Um diese Ziele zu erreichen, werden wir auf den expansiven Public-Diplomacy-Programmen aufbauen, die es bereits gibt, und kreative zusätzliche Mittel entwickeln, Frankreichs Jugend zu beeinflussen. Dabei werden wir Instrumente einsetzen wie neue Medien, Firmenpartnerschaften, nationale Wettbewerbe, zielgruppenbezogene Veranstaltungen und speziell eingeladene Gäste aus den USA.
  • Wir werden auch neue Instrumente entwickeln, künftige französische Führungspersönlichkeiten zu identifizieren, von ihnen zu lernen und sie zu beeinflussen.
  • Indem wir Bildungs- und Austauschmöglichkeiten für Frankreichs Jugend verbessern, stellen wir absolut sicher, dass das, was wir an Austausch unterstützen, auf Inklusion angelegt wein wird.
  • Wir werden auf vorhanden Jugendnetzwerken in Frankreich aufbauen und neue im Internet schaffen; wir verbinden dadurch Frankreichs künftige Führer miteinander in einem Forum, dessen Werte wir zu entwerfen helfen werden – Werte der Inklusion, des gegenseitigen Respekts und des offenen Dialogs.

TAKTIK 4: MODERATE STIMMEN ERMUTIGEN

8. Viertens werden wir moderate Stimmen der Toleranz ermutigen, sich mit Mut und Überzeugung zu äußern. Aufbauend auf unserer Arbeit mit zwei prominenten Websites, die auf junge französischsprechende Muslime abzielen – oumma.fr und saphirnews.com – werden wir politische und Medienaktivisten unterstützen, ausbilden und beschäftigen, die unsere Werte teilen. Da wir fortfahren, uns mit moderaten Führern von Minderheitsgruppen zu treffen, werden wir uns auch verstärkt darum bemühen, interreligiöse Basiskontakte zu erleichtern. Mit Glaubensgemeinschaften und mit dem französischen Innenministerium werden wir in Frankreich die effektivsten Techniken teilen, Toleranz zu lehren, die derzeit in amerikanischen Moscheen, Synagogen, Kirchen und anderen religiösen Einrichtungen angewendet werden. Wir werden direkt mit dem Innenministerium in Verbindung bleiben, um amerikanische und französische Ansätze in der Unterstützung von Minderheitenführern zu vergleichen, die Mäßigung und gegenseitiges Verständnis suchen; zugleich werden wir vergleichen, wie wir jeweils mit denen verfahren, die Hass und Zwietracht zu säen versuchen.

TAKTIK 5: BESTE PRAKTIKEN PROPAGIEREN

9. Fünftens werden wir unser Projekt fortsetzen, die besten Praktiken mit jungen Führungspersönlichkeiten auf allen Gebieten zu teilen, darunter auch Führungsnachwuchs aus allen gemäßigten politischen Parteien, sodass sie über die Werkzeuge und die Unterstützung verfügen, die sie brauchen, um voranzuschreiten. Wir werden Bildungs- und Austauschprogramme schaffen oder unterstützen, die Schulen, zivilgesellschaftlichen Gruppen, Bloggern, Politikberatern und Kommunalpolitikern den fortdauernden Wert breiter Inklusion vermitteln. Botschaftsangehörige aller Sektionen werden zusammenarbeiten und eben diesen Zielgruppen über unsere besten Methoden informieren, allen Amerikanern Chancengleichheit gewähren. Wir werden auch dem Netzwerk von über 1000 amerikanischen Studenten, die jedes Jahr in französischen Schulen Englisch unterrichten, die Mittel an die Hand geben, Toleranz zu lehren.

TAKTIK 6: UNSER VERSTÄNDNIS DES PROBLEMS VERTIEFEN

10. Sechstens werden wir durch gezielte Kontaktarbeit, Berichte und Analysen der US-Regierung helfen, die Ursachen von Ungleichheit und Diskriminierung in Frankreich zu verstehen. Wir werden Neuland betreten, indem wir untersuchen, wie die Struktur mancher französischen Institutionen die Repräsentation von Minderheiten in Wahlämtern und der hohen Beamtenschaft begrenzt. Indem wir signifikante Entwicklungen in der Tiefe untersuchen, etwa die Debatte um nationale Identität (Reftel B), planen wir, Trends zu verfolgen und idealerweise vorherzusagen, die den Status von Minderheiten in Frankreich betreffen, und dabei abzuschätzen, welche Auswirkungen solcher Wandel auf US-Interessen haben wird. In dem Maße, wie unsere Einsicht wächst und sich vertieft, werden wir die hier skizzierte Minderheitenstrategie entsprechend anpassen

TAKTIK 7: ANSTRENGUNGEN BÜNDELN, AUSRICHTEN UND BEWERTEN

11. Schließlich wird eine Arbeitsgruppe „Minderheiten“ die Diskussionen, Taten und Analysen aller relevanten Abteilungen und Ämter der Botschaft bündeln. Diese Gruppe wird – gemeinsam mit der Youth Outreach Initiative – einflussreiche Führer und Gruppen innerhalb unserer Zielgruppen identifizieren und ins Auge fassen. Sie wird unsere Wirkung übers Jahr hinweg bewerten und dabei harte wie weiche Erfolgsindikatoren untersuchen. Harte Veränderungen umfassen messbares Wachstum des Minderheitenanteils an Teilnahme und Führung öffentlicher und privater Institutionen; verstärkte konstruktive Anstrengungen von Minderheitenführern in der Organisation politischer Unterstützung sowohl innerhalb wie außerhalb ihrer eigenen Minderheit; neue, vorausschauende Politikansätze von politischen Führern aus der Mehrheitsgesellschaft, die darauf abzielen, die soziale Inklusion zu verbessern; Ausweitung von interreligiösen und gemeinschaftsübergreifenden Beziehungen auf der lokalen Ebene; nachlassende öffentliche Unterstützung für fremdenfeindliche politische Parteien und Programme. Wenn wir uns auch nie selbst das Verdienst für solche positiven Entwicklungen zuschreiben können, so werden wir uns doch auf oben beschriebene Taten konzentrieren, die eine Bewegung in die richtige Richtung hervorbringen, anregen und vorwärtsdrängen. Zusätzlich werden wir auch die weichen Erfolgsindikatoren verfolgen – zum Beispiel ein wachsendes Gefühl der Zugehörigkeit unter jungen Angehörigen französischer Minderheiten, und eine keimende Hoffnung, dass auch sie ihr Land eines Tages im In- und Ausland repräsentieren können, und zwar an der Spitze des öffentlichen Lebens, als Präsident der Republik.

RIVKIN

Die Protokolle der Weisen von Greenwich

Ende 2008 hat Hannes Stein in Welt online einen Artikel über die Ideen von Walter Russell Mead geschrieben und ihn zusammen mit einem Interview veröffentlicht, das mir leider erst jetzt aufgefallen ist. Man kann an diesem Text erkennen, dass es keinerlei Verschwörungstheorien bedarf, um den Zusammenhang von angloamerikanischer Weltherrschaft, liberalem Globalismus und dem Untergang traditioneller Werte zu behaupten. Die Globalisten erzählen ganz offen, wie sie vorgehen, und wie ihr System funktioniert. Dass der Interviewer Stein nicht im Traum auf einen kritischen Einwand kommt, macht den Text noch bezeichnender:

Walter Russell Mead ist Mitglied des einflussreichen „Council on Foreign Relations“ in New York, einer Privatorganisation, die sich mit amerikanischer Außenpolitik beschäftigt. Sie gibt die renommierte Zeitschrift „Foreign Affairs“ heraus. In seinem Buch „God and Gold“ (2007) untersucht Mead, warum ausgerechnet Großbritannien und die USA – zwei englischsprachige Länder – hintereinander zu global agierenden Mächten aufstiegen und alle ihre Feinde besiegten. Seine Antwort: Briten wie Amerikaner haben ein Erfolgsprogramm, das Mead „Die Protokolle der Weisen von Greenwich“ nennt (eine sarkastische Anspielung auf die antisemitische Fälschung „Die Protokolle der Weisen von Zion“). (…)

WELT ONLINE: Kennt Obama die Protokolle der Weisen von Greenwich?

Mead: Ich glaube schon. Er versteht ganz instinktiv, welchen Platz Amerika in der Welt einnehmen muss.

WELT ONLINE: Vielleicht sollten Sie kurz erklären, was es mit den Protokollen der Weisen von Greenwich auf sich hat.

Mead: Die Protokolle der Weisen von Greenwich, so könnte man sagen, sind der geheime anglophone Plan zur Weltherrschaft, der garantiert hat, dass zunächst Großbritannien und dann die USA zur dominierenden Macht aufstiegen. (…)

WELT ONLINE: Was steht denn in den Protokollen der Weisen von Greenwich?

Mead: Es handelt sich um einen Fünf-Punkte-Plan, eigentlich ist es aber weniger ein Plan als eine Identität. Erster Punkt: Du sollst zuhause eine offene Gesellschaft im Sinne Karl Poppers haben. Diesen Punkt haben die Briten von den Holländern geklaut, die das System im 17. Jahrhundert erfanden. Als der Rest Europas sich in Religionskriegen zerfleischte, hieß es in den Niederlanden: Ihr könnt jede Konfession haben, solange ihr euch halbwegs ordentlich benehmt.

(…)

Stein verweist daraufhin eilfertig auf Baruch Spinoza, der in Amsterdam schreiben konnte.  „Offen“ in diesem Sinne ist die amerikanische Gesellschaft in der Tat: Einen Geistesriesen nimmt man dort mit Kusshand. „Offen“ für die Zuwanderung des Pöbels sollen gefälligst Andere sein.

Zweiter Punkt: Man lässt sich mit der Welt ein, man schickt seine Handelsschiffe rund um den Globus … und wird auf diese Weise unverschämt reich.

(…)

Der dritte Punkt der Protokolle von Greenwich: Man steckt seinen Reichtum in eine geopolitische Strategie. Das war die berühmte englische Politik der Balance der Mächte auf dem europäischen Kontinent …

WELT ONLINE: … die heute von den Amerikanern rund um die ganze Welt angewandt wird: Man unterstützt Koalitionen von schwächeren gegen die stärkeren Nationen.

(…)

Der schreibende Lakai scheint nicht zu bemerken, dass eine solche Strategie die Schürung von Kriegen impliziert, bei denen man – sofern das dann noch nötig ist – als Letzter auf dem Schlachtfeld erscheint, um das entscheidende Gewicht in die Waagschale zu werfen, wenn die Parteien ausgeblutet sind.

WELT ONLINE: Vierter Punkt?

Mead: Wenn man das globale Handelsimperium aufgebaut hat und die Seewege kontrolliert, setzt man sie als Element seiner nationalen Strategie ein. Dabei schließt man die anderen nicht aus seiner Einflusssphäre aus, wie es noch die Spanier und Portugiesen taten. Das Zauberwort der Briten hieß: Freihandel. Heute versuchen die Amerikaner, den aufsteigenden Mächten Indien und China einen Platz im internationalen System zu sichern. Sobald ein Land sich gegen das internationale System wendet, stellt es dann zu seinem Entsetzen fest, dass es längst ein Teil dieses Systems geworden ist.

Man schafft Abhängigkeiten.

WELT ONLINE: Fünftens?

Mead: Der fünfte Punkt ist der hinterhältig-teuflischste von allen: Man fördert rund um den Erdball liberale Institutionen. Von allen bösen Dingen, die wir anrichten, ist dies – fürchte ich – das Schlimmste. Wir fördern liberale Institutionen aus zwei Gründen: Weil das unserer Ideologie und weil es unseren Interessen entspricht. Wenn man eine globale Handelsmacht ist, dann braucht man Länder mit einem stabilen Eigentumsrecht und einem transparenten Rechtssystem – sonst können die Händler keine Verträge schließen. Wir exportieren die liberale Demokratie also aus purem Eigennutz, nicht aus sentimentalen Gründen. (…)

Man beachte die Akzentsetzung: Das Wort „Demokratie“ fällt ganz zum Schluss und ohne erkennbaren Bezug zum vorher Gesagten. Es geht darum „liberale Institutionen“ zu exportieren, damit der Handel floriert. Mit einer solchen Konzeption wäre es unvereinbar, Demokratie per se zu exportieren. Demokratie, also Selbstbestimmung – sofern man das dann noch so nennen will -, ist nur jenen Völkern zugedacht, die die liberale Ideologie verinnerlicht haben (oder aber in so enge Abhängigkeiten verstrickt sind, dass sie gar nicht anders können, als sich dem globalen System zu unterwerfen), und daher das Geschäft nicht stören werden.

Es ist durchaus kein Widerspruch, sondern liegt in der Logik dieser Strategie und Ideologie, dass zu den „liberalen Institutionen“, die man unterstützt, auch ein persisches Schah-Regime, eine saudische Kleptokratie oder ein chilenisches Militärregime gehören. Die Wünsche und Interessen der Völker sind unbeachtlich, sofern sie mit denen Amerikas kollidieren. Ein Saddam musste nicht weg, weil er ein Verbrecher, sondern weil er schlecht fürs Geschäft war.

Am besten funktioniert das System mit Menschen, die sich unter „Freiheit“ von vornherein nichts Anderes vorstellen können als die Freiheit des Marktes. Völker, Ideen und Kulturen, die damit nicht vereinbar sind, müssen weg.

"Rebuilding America's Defenses"

Das Papier „Rebuilding America’s Defenses. Strategy, Forces, and Resources for a New Century“ wurde im September 2000 von einer Gruppe einflussreicher Strategen aus dem Umfeld der sogenannten Neocons vorgelegt und enthielt einen umfangreichen Forderungskatalog zur amerikanischen Verteidigungspolitik. Diesem Papier kommt eine Schlüsselrolle bei der Beurteilung der sicherheitspolitischen Konzeption der Regierung Bush zu. Gerade im Zusammenhang mit unserer jüngsten Debatte über den 11. September ist es daher der Mühe wert, es unter die Lupe zu nehmen.

Nachdem es den Westen im Kalten Krieg zum Sieg geführt hat, steht Amerika vor einer Chance und einer Herausforderung: Haben die Vereinigten Staaten die Vision, auf den Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte aufzubauen? Haben sie die Entschlossenheit, ein neues Jahrhundert zu gestalten, das amerikanischen Prinzipien und Interessen günstig ist?

Wir fordern ein Militär, das stark und bereit ist, sowohl gegenwärtige als auch künftige Herausforderungen anzunehmen: eine Außenpolitik, die kühn und zielstrebig amerikanische Prinzipien in der Welt fördert; und eine nationale Führung, die die globale Verantwortung der Vereinigten Staaten akzeptiert.

[S.2 der PDF-Datei]

Bereits diese wenigen, aber grundlegenden Sätze aus dem Statement of Principles des Projektes enthalten Leitideen, die so nur von amerikanischen Strategen formuliert werden können:

Erstens den Anspruch, das Jahrhundert zu gestalten, also der Welt ihren Stempel aufzudrücken; zweitens die Verknüpfung von „amerikanischen Interessen und Prinzipien“; drittens die Idee der „globalen Verantwortung“, also die Vorstellung, zur „Gestaltung“ der Welt nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet zu sein.

Man hat sich an die amerikanische Hegemonie schon derart gewöhnt, dass kaum noch einem auffällt, welche Ungeheuerlichkeit hier formuliert wird; denn selbstredend wird die Welt nicht danach gefragt, ob sie von den USA gestaltet werden will.

Interessant ist hier die auch im Folgenden häufig wiederholte Formulierung „amerikanische Interessen und Prinzipien“, die offenbar als miteinander verknüpft und einander bedingend aufgefasst werden. Darin drückt sich die von den politischen Eliten Amerikas verinnerlichte Vorstellung aus, dass dem amerikanischen Interesse am besten gedient ist, wenn auch amerikanische Prinzipien weltweit verbreitet werden, speziell also Marktwirtschaft und Demokratie; dass umgekehrt die Verfolgung amerikanischer Interessen sozusagen automatisch auch zur Verwirklichung dieser Prinzipien beiträgt.

Diese Ideologie – denn um eine solche handelt es sich – ist nicht von den Neocons erfunden worden. Sie lässt sich mindestens bis zu Wilsons Projekt zurückführen, „to make the world safe for democracy“, die den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg legitimierte, und sie stellt seitdem einen Grundzug der amerikanischen Außenpolitik dar, seit dem Zweiten Weltkrieg sogar den unangefochtenen Grundzug. Musste Roosevelt sich in den dreißiger Jahren noch mit einer isolationistischen Opposition herumschlagen, die sich aus der völlig zutreffenden Vorstellung speiste, das amerikanische Volk sei 1917 von einer Koalition aus Utopisten und Geschäftemachern in einen Weltkrieg hineingezogen worden, der mit seinen eigenen Interessen nichts zu tun gehabt habe, so spielt dieser Isolationismus seit Pearl Harbor keine Rolle mehr in der US-Außenpolitik.

Dies ist insofern ein erklärungsbedürftiges Phänomen, als der Isolationismus auch heute noch gerade unter konservativen Amerikanern populär ist. Er ist an sich die natürliche Option eines Volkes, das von seiner Regierung eigentlich nur in Ruhe gelassen werden möchte. Dass er trotzdem keine Rolle in der politischen Entscheidungsfindung spielt, zeigt an, wie stark die politischen Eliten sich gegenüber dem eigenen Volk verselbständigt haben.

Wenn ich von einer „Ideologie“ spreche, dann meine ich damit gerade nicht, dass es sich um ein bloß propagandistisches Deckmäntelchen für schnöde materielle Interessen handele. Das Sendungsbewusstsein, der geradezu weltrevolutionäre Anspruch der USA, ist eine politische Kraft aus eigenem Recht. Die Verbindung von Interessen und Prinzipien ist kein Widerspruch; beide bedingen einander.

Vor dem Hintergrund einer solchen Ideologie ist es dann auch konsequent, dass das Strategiepapier nicht etwa von Krisen- und Gefahrenszenarios ausgeht, amerikanische Sicherheitsinteressen also nicht ex negativo definiert. In anderen Ländern würde man Terrorismus, Piraterie, Rohstoffknappheit, Flüchtlingsströme und ähnliches mehr als Gefahren für die nationale Sicherheit einstufen und davon ausgehend die Sicherheitsstrategie entwicklen. Das Papier der Neocons definiert stattdessen positiv einen Zustand, der amerikanischen Sicherheitsinteressen am besten dient:

Momentan stehen die USA keinem globalen Rivalen gegenüber. Amerikas Gesamtstrategie sollte darauf abzielen, diese vorteilhafte Position zu bewahren und sie so weit wie möglich in die Zukunft zu verlängern. (…) [Dies] erfordert globale militärische Vorherrschaft sowohl jetzt als auch in der Zukunft.

[S.8]

Vier Voraussetzungen werden dafür ausgemacht:

  • die Unverwundbarkeit des eigenen Landes,
  • die Fähigkeit, mehrere (mindestens zwei) größere Kriege gleichzeitig zu führen und zu gewinnen,
  • die Fähigkeit, anschließend polizeiliche („constabulary“) Aufgaben zur Sicherung und Befriedung des Krisengebietes zu erfüllen,
  • die umfassende „Transformation“ der US-Streitkräfte, die sich an die Spitze der technologischen Revolution der Kriegführung stellen und damit einen uneinholbaren qualitativen Vorsprung vor jedem denkbaren Gegner sichern sollen.

Die überwältigende Überlegenheit der amerikanischen Streitkräfte soll dabei nicht nur potenzielle Gegner von vornherein abschrecken, sondern auch den Verbündeten die Sicherheit geben, dass die USA niemals durch Überdehnung ihrer Kräfte gezwungen sind, von ihren Sicherheitsgarantien Abstriche zu machen. Es geht also um die Sicherung von Gefolgschaft. Zu den Fähigkeiten, die die Autoren als essenziell ansehen, gehört ausdrücklich auch die Fähigkeit zum regime change.

Kurz gesagt, wird ein Zustand angestrebt, in dem Amerika in der Lage ist, praktisch jedem Land der Welt seinen Willen aufzuzwingen – von Kolossen wie China und Russland einmal abgesehen, und auch die sollen so weit wie möglich in die Schranken gewiesen werden.

Nach Ansicht der Autoren hat die Regierung Clinton die Verteidigungsfähigkeit des Landes sowohl finanziell als auch qualitativ so weit vernachlässigt, dass es nun, im Jahr 2000, erheblicher vor allem finanzieller Anstrengungen bedarf, den von ihnen gewünschten Zustand herbeizuführen und für die Zukunft zu sichern. Ihr Konzept sieht ein Zwei-Phasen-Modell vor: In der ersten Phase („transition“) geht es vor allem um quantitative Aufrüstung auf der Basis der vorhandenen Technologien, bei sachter Modifizierung der strategischen Konzepte, experimenteller Einführung neuer Ideen und intensiver Forschung an Innovationen, in einer zweiten Phase soll auf der Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnisse und technischen Fähigkeiten ein qualitativer Sprung („transformation“) erfolgen.

In diesem Zusammenhang nun fällt der berüchtigte Satz

Der Prozess der Transformation wird sich wahrscheinlich lang hinziehen, sofern nicht ein katastrophales und beschleunigendes („catalyzing“) Ereignis stattfindet – wie etwa ein neues Pearl Harbor.

[S.63]

So ominös dieser Satz klingt, wenn man ihn vom 11.September her interpretiert, so wenig gibt doch der Kontext einen Hinweis darauf, das ein solches neues Pearl Harbor in diesem Papier als ein irgendwie hilfreiches oder gar wünschenswertes Ereignis beschrieben würde. Es ist nicht etwa so, dass diese Verzögerung der Transformation als problematisch dargestellt würde; das Papier suggeriert nicht, man befinde sich hier im Wettlauf mit der Zeit, und deshalb müsse die Transformation so weit wie möglich beschleunigt werden. Die lange Dauer der Veränderung wird einfach als ein Faktum konstatiert, das aber die vorgeschlagene Strategie nicht in Frage stellt.

Insofern lässt sich aus dem Papier nicht mehr herauslesen als das, was man ohnehin schon wusste, nämlich dass es innerhalb der Regierung Bush eine mächtige Fraktion gab, die von Anfang an auf eine ausgreifende, imperiale Außenpolitik drängte und zu diesem Zweck eine drastische Ausweitung des Militärbudgets forderte. Dass die Ereignisse des 11. September dieser Fraktion überwältigend starke Argumente lieferten, liegt auf der Hand – aber als smoking gun taugt das Papier nicht.

Die FSM-Strategie: Eine Zensur findet statt!

Nachdem mir die FSM am Montag mit ihrem skurrilen, aber offenkundig durchaus ernstgemeinten Schreiben vorgeworfen hat, die Entwicklung Jugendlicher im Sinne von § des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) zu beeinträchtigen, habe ich mir näher angesehen, was diese Organisation unter „Entwicklungsbeeinträchtigung“ versteht (Hervorhebungen durch Unterstreichung im folgenden Text stammen von mir), und eines ist mir nach der Lektüre klar: Dieser Brief war kein Lapsus eines kleinen Mitarbeiters, sondern entspricht der Linie dieses Vereins:

Der Begriff der Entwicklungsbeeinträchtigung in § 5 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags

Einführung

Seit dem 01.04.2003 ist der neue Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) in Kraft getreten. Neben vielen anderen Gesetzesänderungen enthält der JMStV eine Vorschrift, nach der Angebote, die geeignet sind, eine Entwicklungsbeeinträchtigung bei Kindern und Jugendlichen hervorzurufen, nicht mehr ohne Weiteres im Internet veröffentlicht werden dürfen.

Im Folgenden sollen … juristische Erläuterungen zu diesem Thema zur Verfügung gestellt werden. (…) Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird schließlich ein Leitfaden entwickelt, der eine Hilfestellung bei der Bewertung von Angeboten gibt.

(…)

Wir haben es also nicht etwa mit mehr oder minder platonischen Überlegungen zu tun. Die Empfehlungen, die hier folgen, dienen vielmehr dazu, Netzinhalte zu bewerten, und auf der Basis solcher Bewertungen gegebenenfalls gegen die Anbieter, also gegen Leute wie mich, vorzugehen:

A. Juristische Ausführungen zur Entwicklungsbeeinträchtigung § 5 JMStV

A 1. Die gesetzlichen Vorschriften zu „Entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten“

In § 5 Abs. 1 JMStV heißt es wörtlich:

Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe [sic! Es heißt „Altersstufen“] sie üblicherweise nicht wahrnehmen.“

In fünf weiteren Absätzen des § 5 JMStV werden Voraussetzungen aufgezeigt, unter denen Anbieter entwicklungsbeeinträchtigende Angebote dennoch über das Internet verbreiten dürfen.

Für Anbieter stellt sich zum einen die Frage, welche Angebote entwicklungsbeeinträchtigend sind und unter welchen Voraussetzungen diese dennoch im Internet angeboten werden dürfen. Auf diese zwei Fragen soll daher im Folgenden näher eingegangen werden.

A 2. Welche Angebote fallen unter den Begriff der „Entwicklungsbeeinträchtigung“?

Der Begriff der Entwicklungsbeeinträchtigung ist eine Neuschöpfung im Zusammenhang mit dem JMStV. Eine gesetzliche Definition des Begriffs gibt es jedoch nicht, was es schwierig macht, ihn mit aussagekräftigem Inhalt zu füllen, vor allem da hierzu auch noch keine Rechtsprechung existiert.

In anderen Gesetzen wurde und wird häufig der Begriff der Jugendgefährdung oder auch sittlichen Gefährdung verwendet. Aus der Tatsache, dass im JMStV gerade keiner dieser bereits bestehenden Begriffe verwendet, sondern eben ein gänzlich neuer eingeführt wurde, ergibt sich, dass die Begriffe nicht bedeutungsgleich sein können. In jedem Fall lässt sich aber sagen, dass für die Annahme einer Entwicklungsbeeinträchtigung eine niedrigere Schwelle besteht als für die Annahme einer Jugendgefährdung im Sinne von § 18 Abs. 1 JuSchG.

Daher kann als Orientierungshilfe für die Frage, was in jedem Fall als entwicklungsbeeinträchtigend angesehen werden muss, auf die Rechtsprechung und Literatur zum Begriff der Jugendgefährdung zurückgegriffen werden.

Der Begriff der Entwicklungsbeeinträchtigung findet sich auch im neuen § 14 Abs. 1 JuSchG, in dessen alter Fassung (§ 6 Abs. 2 JÖSchG) nur von der Eignung zur Beeinträchtigung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls von Kindern und Jugendlichen die Rede war. Laut amtlicher Begründung soll sich hierdurch aber „keine inhaltliche Änderung der bestehenden Beurteilungspraxis“ ergeben.

Genau das ist der springende Punkt: Es ist eben kein „gänzlich neuer Begriff“ eingeführt worden, sondern ein bereits vorhandener, nämlich der der „Beeinträchtigung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls von Kindern und Jugendlichen“ reformuliert worden. Insofern besteht auch kein Bedarf, “ihn mit aussagekräftigem Inhalt zu füllen“. Dieser Bedarf ist also selbstkonstruiert, um auf dieser Basis den normativen Gehatlt von § 5 JMStV nach ideologischen Vorgaben umzudeuten.

Orientiert man sich an dieser alten Gesetzesformulierung und beachtet den Wortlaut der neuen Fassung bzgl. der Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, so wird deutlich, dass hier Wertmaßstäbe eine entscheidende Rolle spielen.

Diese Wertmaßstäbe orientieren sich vor allem an den im Grundgesetz verankerten Prinzipien und Grundrechten. Hierbei sind insbesondere die Achtung der Menschenwürde, der Gleichbehandlungsgrundsatz, der Schutz von Ehe und Familie, sowie das Demokratieprinzip zu beachten, da sich hier wohl die häufigsten Reibungspunkte bei der Beurteilung der Entwicklungsbeeinträchtigung ergeben werden.

Was der Gleichbehandlungsgrundsatz, der der Staat bindet, Private aber gerade nicht, sofern es ihnen nicht vom Gesetzgeber ausdrücklich aufgezwungen wird, mit der Entwicklungsbeeinträchtigung zu tun haben soll, erschließt sich zunächst überhaupt nicht, aber die Nennung des Demokratieprinzips deutet immerhin an, dass „Jugendschutz“ als eine Art staatsbürgerlicher Erziehung aufgefasst wird. Wir beginnen zu ahnen, warum die Bezugnahme auf den Begriff der „Beeinträchtigung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls von Kindern und Jugendlichen“ vermieden wurde. Eine solche Definition würde zwar dem Zweck des Gesetzes, nämlich dem Jugendschutz entsprechen, nicht aber dem volkserzieherischen Ehrgeiz der FSM.

Aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 JMStV ergibt sich darüber hinaus auch, dass von § 5 JMStV erfasste Inhalte nicht generell zur Entwicklungsbeeinträchtigung von Minderjährigen geeignet sind, sondern dies jeweils nur für bestimmte Altersstufen zutrifft. (…)

Bei der Beurteilung von Angebotsinhalten sind allgemeingültige Maßstäbe für Kinder und Jugendliche einer Altersstufe heranzuziehen und nicht etwa die Beurteilung nach im Einzelfall betroffenen Personen individuell auszurichten.

Festzuhalten ist auch, dass es nach dem Gesetzeswortlaut nicht auf eine tatsächliche Entwicklungsbeeinträchtigung oder eine besondere Wahrscheinlichkeit für eine solche ankommt, sondern dass die Inhalte lediglich geeignet sein müssen, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen, also die bloße Möglichkeit hierzu ausreicht.

Das ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Selbstverständlich bedeutet „geeignet“, dass es wenigstens irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür geben muss, dass ein Angebot zur „Beeinträchtigung“ führt – was denn sonst? Dass die bloße Möglichkeit ausreichen soll, ist freie Rechtsfindung der FSM gegen Zweck, Kontext und Wortlaut des Gesetzes.

Und damit wir auch ja nicht auf die Idee kommen, das Wort „geeignet“ „falsch“ (d.h. richtig) zu interpretieren, wird noch zweimal nachgelegt:

Diese Eignung liegt demnach bereits dann vor, wenn eine Beeinträchtigung mutmaßlich eintreten könnte

Dass sie mutmaßlich eintreten kann, dass also die Möglichkeit besteht, genügt schon nicht. Entwicklungsbeeinträchtigung ist sogar anzunehmen, wenn sie mutmaßlich eintreten könnte – wenn also die Möglichkeit der Möglichkeit besteht.

Wohlgemerkt: Die Überschrift zu diesem Abschnitt lautet „Juristische Ausführungen“, und niemand ist so pingelig in seinen Formulierungen wie der ehrenwerte Stand der Juristen; zudem ist die Vorsitzende der FSM Volljuristin, und, nach ihrer Karriere zu urteilen, sogar eine hochkarätige. Wir können sicher sein: Was hier steht, ist genau so gemeint, wie es hier steht.

Und wie um zu bekräftigen, dass ich weder etwas missverstanden noch mich der kleinlichen Wortklauberei schuldig gemacht habe, spült die FSM noch ein ganzen Katarakt von Konjunktiven hinterher:

bzw. wenn Inhalt oder Darstellung eines Angebots derart von übereinstimmenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen bzgl. der Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen abweicht, dass hieraus die Möglichkeit einer negativen Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen einer bestimmten Altersklasse vermutet werden kann.

Wieder genügt nicht, dass die Möglichkeit besteht, sie darf nicht einmal vermutet werden. Sie darf nicht nur nicht bestehen und nicht vermutet werden, sie darf nicht einmal vermutet werden können. Es müssen also nicht nur die Möglichkeit selbst und die Möglichkeit der Möglichkeit ausgeschlossen sein, nein, es darf nicht einmal die Möglichkeit der Möglichkeit der Möglichkeit bestehen.

Auf deutsch heißt das: Von einer „Entwicklungsbeeinträchtigung“ ist auszugehen, wenn nicht mit letzter, absoluter, hundertprozentiger, im Grunde gottgleicher Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass eine solche vorliegt.

So wird, ohne das dies mit einem Wort erwähnt würde, die Beweislast umgekehrt. Nach der FSM-“Auslegung“ des JMStV muss der Anbieter beweisen, dass es keine wie auch immer geartete Möglichkeit gibt, dass sein Angebot „entwicklungsbeeinträchtigend“ sein könnte. Zugleich werden die Anforderungen an diesen Beweis so hoch geschraubt, dass er objektiv niemals und unter keinen Umständen erbracht werden kann.

Es handelt sich um eine Ermächtigung zur Zensur von allem und jedem.

Eine solche „Auslegung“ ist nicht nur evident verfassungswidrig – sie ist nicht einmal das, was sie zu sein beansprucht, nämlich eine Auslegung: Sie basiert auf der willkürlichen Umdeutung des Gesetzeswortlauts. Ein Richter, der auf einer solchen Basis ein Urteil fällte, würde sich vermutlich wegen Rechtsbeugung verantworten müssen!

In der ersten Entscheidung des FSM Beschwerdeausschusses zum Thema „entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte“ wurde der Begriff folgendermaßen definiert:

Entwicklungsbeeinträchtigend sind Angebote, die durch Hervorrufen einer erheblichen Irritation von Kindern und/oder Jugendlichen in Bezug auf ihre gewöhnliche Lebenswelt geeignet sind, …

…was unter „geeignet“ zu verstehen ist, haben wir soeben erfahren…

…auf die Entwicklung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen einen negativen, dem Menschenbild des Grundgesetzes widersprechenden Einfluss auszuüben und somit die Entwicklung zu einem eigenverantwortlichen, sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltenden Menschen zu hemmen, zu unterbrechen oder zurückzuwerfen.“

Bei der Frage, ob ein Angebot entwicklungsbeeinträchtigend ist, ist also gerade im Hinblick auf den Begriff der Jugendgefährdung als Orientierungshilfe zu berücksichtigen, inwieweit die Inhalte Auswirkungen auf Handlungen, Einstellungen und Erlebnisweisen der Kinder und Jugendlichen haben können, insbesondere inwieweit sie bei Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Altersstufen sexual- oder sozialethisch desorientierend wirken, gewaltbefürwortende Einstellungen fördern oder übermäßig ängstigen.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal § 5 Abs. 1 JMStV: Demnach sollen Kinder und Jugendliche vor Angeboten geschützt werden, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“. Nun plötzlich ist, ohne erkennbaren Bezug zum Begriff der „Persönlichkeit“, und das heißt, ohne Bezug zum Gesetzeswortlaut, von „Handlungen, Einstellungen und Erlebnisweisen“ die Rede.

Vor allem der Begriff „Einstellungen“ hat es in diesem Zusammenhang in sich:

Unter einer „Einstellung“ versteht man, zumindest in der empirischen Sozialforschung, eine Art der geistigen Bezugnahme auf die Welt, die weniger oberflächlich und wandelbar ist als eine bloße Meinung, aber doch weniger fundamental als die der Einstellung zugrundeliegenden Werte. Wobei die Werte wiederum weniger fundamental sind als die Persönlichkeit. „Einstellung“ ist ein anderes Wort für „Ideologie“, und zwar unabhängig davon, ob die Ideologie als solche dem Einzelnen als ausformuliertes Ganzes bewusst ist oder einen mehr unbewussten Interpretationsrahmen bildet.

Was die FSM also aus dem Gesetzeswortlaut herausliest, oder vielmehr hineinzuquetschen versucht, ist die Vorstellung, dass die gesellschaftsbezogene, im weitesten Sinne politische Ideologie Teil der Persönlichkeit ist und damit zum Gegenstandsbereich des Jugendschutzes gehört.

Unterstrichen wird dies noch dadurch, dass explizit solche Angebote als „entwicklungsbeeinträchtigend“ gewertet werden, die „gewaltbefürwortende Einstellungen fördern“. Es geht also nicht erst um Angebote, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dazu führen oder beitragen, dass Jugendliche gewalttätig werden, sondern bereits um solche, die „gewaltbefürwortende Einstellung“ nicht etwa propagieren, sondern bloß fördern, und sei es versehentlich.

Ein Film wie der Westernklassiker „Zwölf Uhr mittags“ mit Gary Cooper dürfte Jugendlichen unter diesen Voraussetzungen im Netz nicht mehr zugänglich gemacht werden. Schließlich wird dort Gewalt als letztes Mittel der Problemlösung bejaht, und dies im ausdrücklichen Gegensatz zu einer pazifistischen Einstellung. Tatsächlich ist dieser Film aber freigegeben ab 12 Jahren; und dies, obwohl – oder vielmehr weil – die einschlägige Rechtsnorm, nämlich § 14 Abs.1 JuSchG genau und wortgleich dasselbe Ziel verfolgt wie § 5 Abs.1 JMStV: von Jugendlichen Angebote fernzuhalten, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“. Maßgeblich ist hier also genau derselbe Rechtsbegriff, von dem die FSM behauptet, er sei „gänzlich neu“ und müsse daher „mit aussagekräftigen Inhalten gefüllt werden“.

Die extensive Auslegung der FSM enthüllt also gerade in ihrer juristischen Unhaltbarkeit ihren eigentlichen Sinn: Pazifismuskritik als „entwicklungsbeeinträchtigend“ zu brandmarken und ihre Formulierung nur noch in jener Schmuddelecke möglich zu machen, in der bisher Pornovideos und Splatterfilme angesiedelt sind, und ganz generell die ideologische Kompatibilität mit linker Ideologie zum Maßstab zu erheben, was „entwicklungsbeeinträchtigend“ ist und was nicht.

Sexualethisch desorientierend ist grundsätzlich:

jede Darstellung von Sexualität, die den Zielen gefühlsbejahender und normenkritischer Sexualerziehung – zu denen auch die Annahme von Sexualität als positive Lebensäußerung gehört – massiv zuwider läuft, insbesondere die Darstellung von Menschen, die diese auf entwürdigende Art zu sexuell willfährigen Objekten degradiert.

(…)

Um die Liebe als Basis der Sexualität zu bejahen („gefühlsbejahende Sexualerziehung“), muss man gerade nicht „normenkritisch“ sein, denn diese Norm gehört seit zweitausend Jahren zu den Grundlagen der christlichen Sexualmoral – freilich nur im Rahmen der Ehe als der Verbindung von Mann und Frau. Und genau hier hakt wohl die „Normenkritik“ ein. „Jede Darstellung von Sexualität“, die nicht „normenkritisch“ ist, soll als „sexualethisch desorientierend“ gewertet werden. Von der Orientierung an der grundgesetzlich geschützten Institution von Ehe und Familie, die oben wenigstens noch pro forma erwähnt wurde, ist hier schon nicht mehr die Rede: Sie wäre ja nicht normenkritisch. Sie würde insbesondere nicht zur Bejahung von Homosexualität „als positiver Lebensäußerung“ führen, wohl aber zur Bejahung der Ehe als gesellschaftlich wünschenswertem Normalfall. Und nun wundern wir uns schon ein bisschen weniger darüber, dass gerade meine Kritik an Homosexuellen zum Ansatzpunkt einer Intervention der FSM wurde.

Halten wir fest, dass im JMStV selbstverständlich nichts von einer „normenkritischen“ Sexualerziehung steht, und erst recht nichts, worauf man eine Verpflichtung zum Nichtkritisieren der „Normenkritik“ stützen könnte. Wohl aber steht, und zwar in § 1, der Grundnorm, etwas vom Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten … , die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden“. „Erziehung“ bedeutet aber, dass Jugendliche dazu geführt werden sollen, die Notwendigkeit gesellschaftlicher Normen einzusehen und sie demgemäß zu befolgen, und gerade nicht, sie zu kritisieren. Das Gesetz enthält also das Gegenteil von dem, was die FSM ihm unterzujubeln versucht.

Normenkritisch“ sind Jugendliche ganz von allein; dies wird bei der Erziehung als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt und führt unter anderem dazu, dass Normen sich über Generationen hinweg ändern können. Die Norm dient dabei als notwendige Richtschnur, an der sie sich orientieren können. Gerade diese Orientierung „sexualethisch desorientierend“ zu nennen ist Sprachmanipulation von orwellschem Kaliber.

Als sozialethisch desorientierend sind Angebote insbesondere zu beurteilen, wenn:

NS-Ideologie propagiert wird, für die Idee des Nationalsozialismus, seine Rassenlehre, sein autoritäres Führerprinzip, sein Volkserziehungsprogramm, seine Kriegsbereitschaft und seine Kriegsführung geworben wird, sowie wenn das NS-Regime durch verfälschte oder unvollständige Informationen aufgewertet und rehabilitiert werden soll und wenn Adolf Hitler und seine Parteigenossen als Vorbilder oder tragische Helden hingestellt werden,

Bemerkenswert, dass nicht etwa jedes totalitäre Regime abgelehnt wird, sondern nur dieses eine. Die Idee, dass der Staat also zum Beispiel grundsätzlich nicht befugt sei, irgendwelche „Volkserziehungsprogramme“ durchzuführen, und dass man sich dies auch nicht gefallen lassen sollte, wäre im Zusammenhang dieses Textes, der nichts anderes als ein Volkserziehungsprogramm propagiert, ja auch reichlich inkonsequent.

Wenn man aber schon der Meinung ist, die Verbreitung politischer Ideologie bzw. deren Verhinderung sei Aufgabe eines Jugendschutzes, der sich dabei am Menschenbild des Grundgesetzes zu orientieren habe, dann kann es nur um die Ablehnung totalitärer Ideologie schlechthin gehen. Sonst müsste man nämlich den bösen Verdacht haben, dass die FSM Massenmord nur dann ablehnt, wenn er von einer „Rassenlehre“ motiviert ist, nicht aber, wenn es um die Vernichtung von Klassenfeinden, Kapitalisten und Kulaken geht.

Und was bitte ist „unvollständige“ Information? Ich würde sagen: Jede Information über das Dritte Reich ist notwendigerweise unvollständig, weil auch ein Tausend-Seiten-Wälzer nicht alle Aspekte behandeln kann. Als „entwicklungsbeeinträchtigend“ werden aber nur solche Informationen gewertet, und zwar unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, die allein schon dadurch, dass sie etablierte Klischees und Stereotype aufs Korn nehmen (siehe meinen Artikel „Überfall auf Polen“) den Nationalsozialismus in dem Sinne „aufwerten“, wie jedes schwarz in schwarz gemalte Bild durch jeden noch so dunklen grauen Farbstrich aufgehellt wird.

Angebote kritiklos Vorurteile oder Gewalttaten gegenüber Andersdenkenden präsentieren,

Ja, das wäre zweifellos wünschenswert, wenn im Netz nicht ständig das Vorurteil geschürt würde, Islamkritiker seien Rechtsextremisten, Immigrationskritk sei rassistisch und die Kritik an den Unverschämtheiten der Schwulenlobby sei „homophob“. Nur ist erstens die FSM die letzte Institution, die die Verbreitung gerade solcher Vorurteile verhindern würde, und zweitens lässt das Grundgesetz dergleichen glücklicherweise ohnehin nicht zu:

Es ist praktisch nicht möglich, generalisierende Aussagen über Menschengruppen zu treffen, die auf alle ihre Mitglieder zutreffen. In diesem Sinne ist jede derartige Aussage ein Vorurteil, und zwar einschließlich der gruppenbezogenen Befunde der empirischen Sozialwissenschaften, die ja typischerweise auf statistischer Basis generalisiert werden. Von einem „Vorurteil“ im pejorativen Sinne des Wortes könnte man allenfalls dann sprechen, wenn auf der Basis von Klischees Aussagen verbreitet werden, die auch in einem statistischen Sinne unwahr sind.

Die Wahrheit oder Unwahrheit solcher Aussagen wird hier aber – man möchte sagen: wohlweislich – gerade nicht zum Kriterium gemacht, ob ein Vorurteil vorliegt. So wie auch nicht begründet wird, aus welcher Stelle des Gesetzestextes sich überhaupt ergeben soll, dass generalisierte Aussagen über Menschengruppen „entwicklungsbeeinträchtigend“ sein sollen. Wie schon oben beim Begriff „geeignet“ konstruiert die FSM hier in ihrer „Auslegung“ des JMStV unter Missachtung des grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebotes einen Verbotstatbestand, der grundsätzlich auf praktisch jedes Angebot angewendet werden kann, und behält so das letzte Wort, auf welche es tatsächlich angewendet wird.

reales Gewaltgeschehen (z.B. Krieg) unzureichend erläutert dargestellt wird,

wieder so ein allseits einsetzbarer Gummibegriff …

Kriegsgeschehen anonymisiert präsentiert wird

was bei praktisch allen Darstellungen der Fall ist, die politische und strategische Aspekte des Krieges behandeln …

extrem einseitige oder extrem rückwärtsgewandte Rollenklischees befürwortet werden.

(…)

Bezweifelt noch jemand, dass es hier mitnichten um Jugendschutz geht, wohl aber darum, konservative Positionen zu verteufeln? Selbstredend findet sich auch für diesen Punkt keine Grundlage im Gesetzestext.

Zu beachten ist allerdings, dass gemäß § 5 Abs. 6 JMStV die Beschränkungen des § 5 Abs. 1 JMStV nicht für Nachrichtensendungen und Telemedien zum politischen Zeitgeschehen gelten, soweit ein berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt.

Etwas unsauber zitiert, aber gut. Es ist unerfindlich, was den Gesetzgeber bewogen hat, nicht auch Angebote mit religiöser, kultureller, wissenschaftlicher und historischer Thematik mit einzubeziehen. Es ist – selbst bei weitläufiger Auslegung der Begriffe „aktuell“ und „Politik“ – nicht zu erkennen, warum er lediglich Angebote zur aktuellen Politik privilegiert. Das riecht nach einem Verstoß gegen das Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung gleichartiger Sachverhalte (Art.3 GG). Nun, dafür kann die FSM nichts.

Umso schwerer wiegt aber gerade wegen dieser engen Begrenzung des Ausnahmetatbestandes die Maßlosigkeit, mit der sie die Tatbestände so definiert, dass praktisch jeder Beitrag darunter fallen kann, der nicht von Abs. 6 geschützt ist, die Willkür bei der Umdeutung des Gesetzestextes, und die Frechheit, mit der sie ihm ihre eigenen ideologischen Wertentscheidungen unterschiebt.

Auffallend ist, dass gerade ein Text, der mit „Juristische Ausführungen“ überschrieben ist, nicht nur willkürlich am Gesetzestext vorbeigeht, sondern auch in keiner Weise auf die Normen des Grundgesetzes Bezug nimmt. Wenn man schon der Meinung ist, die Normen seien nicht hinreichend konkretisiert, so ist der Blick in Grundgesetz unerlässlich, wenn man wenigstens wissen will, was nicht gemeint sein kann. Unvereinbar mit dem Grundgesetz sind Eingriffe, die zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht erforderlich, nicht geeignet, im engeren Sinne unverhältnismäßig sind oder den Wesensgehalt eines Grundrechts beschränken. Dies ist bei der Auslegung des Gesetzes zu beachten, ebenso wie das Gebot der Bestimmtheit der Normen, das Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung, das Rückwirkungsverbot etc.

Keine dieser rechtlichen Überlegungen, die einer „juristischen Ausführung“ über ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz zwingend vorgeschaltet sein müssen, damit er überhaupt als juristisch relevant angesehen werden kann, spielt bei den „juristischen Ausführungen“ der FSM auch nur die geringste Rolle. Stattdessen wird der Wortlaut des Gesetzes missachtet, die Eingriffsgrundlage des Jugendschutzes exzessiv überdehnt, die Normen so ausgelegt, dass sie praktisch nicht eingehalten werden können, das Gebot grundrechtsschonender Auslegung von Gesetzen geradezu verhöhnt.

Der ganze Text ist im Geiste verfassungswidrigen, ja verfassungsfeindlichen Zensorentums und totalitären Volkserziehungswahns geschrieben und verrät einen erschreckenden Mangel an elementarem Rechtsbewusstsein.

Kann sich die FSM einbilden, damit durchzukommen? Selbstverständlich nicht. Was in obigem Text definiert wird, ist ein Maximalprogramm, von dem sie so viel wie möglich durchzusetzen versuchen wird. Deswegen kommt es ihr auf die eklatante Rechtsfehlerhaftigkeit ihrer „juristischen Ausführungen“ auch nicht an.

Es geht hier nicht um Recht, sondern um Rechtspolitik: Es geht darum, gestützt auf die relative Autonomie, die der Gesetzgeber Organisationen der „Freiwilligen Selbstkontrolle“ einräumt, unbestimmte Rechtsbegriffe von vornherein mit linker Ideologie zu besetzen und auf diese Weise und auf dem Umweg über den „Jugendschutz“ das Zensurverbot des Grundgesetzes zu umgehen; es geht der FSM darum, ihr Zensurmonopol dazu zu nutzen, speziell Vertreter konservativer Positionen mit Prozessen zu überziehen, in denen es dann naturgemäß um solche Dinge wie „Diskriminierung“, „Vorurteile“, „Rassismus“, „Fundamentalismus“ etc. geht, sodass die Gerichte nach und nach den Freiraum für konservative (aber eben nicht für linke) Positionen einschränken werden.

Die FSM kann es sich sogar leisten, reihenweise Prozesse zu verlieren, solange sie wenigstens Teilerfolge vorweisen kann, indem Gerichte die Grenzen der Meinungsfreiheit von Konservativen definieren, selbst wenn sie in der Sache urteilen, im konkreten Einzelfall seien diese Grenzen nicht verletzt worden. Nach und nach wird die Liste der Dinge, die nicht geschrieben werden dürfen, verlängert.

Und es geht ihnen um den Einschüchterungseffekt: Unsereiner soll gezwungen werden, mit der Schere im Kopf zu schreiben, um nur ja keinen Ärger zu bekommen.

Die Linke hat in ihrem Krieg gegen die Freiheitsgarantien des Grundgesetzes einen neuen Frontabschnitt eröffnet.

Mein Friedensplan: Ein israelischer Sieg

von Daniel Pipes

National Post
29. April 2010

Englischer Originaltext: My Peace Plan: An Israeli Victory
Deutsche Erstveröffentlichung in: de.danielpipes.org
Übersetzung: H.Eiteneier

Diesen Monat erklärte der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak, Israel müsse sich aus Palästinensergebieten zurückziehen. „Die Welt ist nicht bereit – und wir werden das 2010 nicht ändern – die Erwartung zu akzeptieren, dass Israel ein anderes Volk weitere Jahrzehnte lang beherrscht“, sagte er. „Das ist etwas, das es in der Welt nirgendwo sonst gibt.“

 

 

 

Hat er Recht? Ist Frieden überhaupt möglich? Und wenn, wie sollte eine endgültige Vereinbarung aussehen? Das sind die Fragen, die wir den Autoren der National Post in unserer Reihe „Wie sieht Ihr Friedensplan aus?“ stellten. [Hier: Daniel Pipes]

Mein Friedensplan ist einfach: Israel besiegt seine Feinde.

Ein Sieg schafft einzigartige, Frieden fördernde Umstände. Kriege enden, das bestätigt die Geschichte, wenn die eine Seite ihre Niederlage zugibt und die andere gewinnt. Das macht intuitiv Sinn, denn so lange beide Seiten danach streben ihre Ziele zu erreichen, geht der Kampf weiter bzw. kann er wieder aufgenommen werden.

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak

Das Ziel eines Sieges ist nicht gerade neu. Sun Tzu, der antike chinesische Stratege, riet: „Das große Ziel im Krieg soll der Sieg sein.“* Raimondo Montecuccoli, ein Österreicher des 17. Jahrhunderts, sagt: „Das Ziel im Krieg ist der Sieg.“ Carl von Clausewitz,** Preuße des 19. Jahrhunderts, fügte hinzu, dass „Krieg ein Akt der Gewalt ist, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“. Winston Churchill sagte dem britischen Volk: „Sie fragen, was unser Ziel ist: ich kann in einem Worte erwidern: es ist der Sieg – Sieg um jeden Preis – Sieg trotz aller Schrecken, Sieg, wie lang und hart auch immer der Weg sein mag.“ Dwight D. Eisenhower stellte fest: „Im Krieg gibt es keinen Ersatz für den Sieg.“ Diese Einsichten früherer Zeitalter sind immer noch gültig; so sehr sich auch die Bewaffnung verändert – die menschliche Natur bleibt die gleiche.

Sieg bedeutet, dem Feind seinen Willen aufzuzwingen, ihn dazu zu nötigen seine Kriegsziele aufzugeben. Die Deutschen, im Ersten Weltkrieg zur Kapitulation gezwungen, behielten das Ziel der Dominierung Europas bei und sahen ein paar Jahre später zu Hitler auf, um ihr Ziel zu erreichen. Unterzeichnete Stücke Papier haben nur dann Bedeutung, wenn eine Seite sich für besiegt erklärt hat: Der Vietnamkrieg ging 1973 angeblich durch Diplomatie zu Ende, aber beide Seiten verfolgten weiter ihre Kriegsziele, bis der Norden 1975 endgültig den Sieg davon trug.

Willenstärke ist der Schlüssel: Flugzeuge abzuschießen, Panzer zu vernichten, Munition aufzubrauchen, Soldaten zum Fliehen zu bringen und Land zu erobern an sich sind keine Entscheidungen, sondern müssen von psychologischem Zusammenbruch begleitet sein. Nordkoreas Niederlage 1953, die von Saddam Hussein 1991 und der der irakischen Sunniten 2003 gingen nicht in Verzweiflung über. Umgekehrt gaben die Franzosen 1962 in Algerien auf, obwohl sie ihren Feinden an personeller und an Waffenstärke überlegen waren, genauso die Amerikaner 1975 in Vietnam und die Sowjets 1989 in Afghanistan. Der Kalte Krieg endete ohne Tote. In all diesen Fällen behielten die Verlierer große Arsenale, Armeen und funktionierende Wirtschaften. Aber sie verloren den Willen.

Genauso wird der arabisch-israelische Konflikt nur gelöst werden, wenn eine Seite aufgibt.

Bis jetzt haben, nach jedem einzelnen Waffengang, beide Seiten ihre Ziele beibehalten. Israel kämpft, um die Anerkennung durch seine Feinde zu gewinnen, während diese Feinde kämpfen, um Israel auszulöschen. Diese Ziele sind grob, unveränderlich und sind nicht vereinbar. Israels Anerkennung oder Beseitigung sind die einzigen Friedenszustände. Jeder Beobachter muss sich für die eine oder die andere Lösung entscheiden. Ein zivilisierten Mensch wird wollen, dass Israel gewinnt, denn seine Ziele sind defensiv, sollen ein bestehendes und blühendes Land schützen. Das Vernichtungsziel seiner Feinde läuft auf pure Barbarei hinaus.

Seit fast 60 Jahren haben arabische Verweigerer, denen sich jetzt iranischen und linke Pendants anschließen, versucht Israel über vielfältige Strategien zu beseitigen: Sie arbeiten daran seine Legitimität intellektuell zu untergraben, es demografisch zu überwältigen, es ökonomisch zu isolieren, seine Verteidigung diplomatisch zu beeinträchtigen, es konventionell zu bekämpfen, es mit Terror zu demoralisieren und sie drohen mit Vernichtung durch Massenvernichtungswaffen. Während die Feinde Israels ihre Ziele mit Energie und Willen verfolgt haben, konnten sie wenige Erfolge vermelden.

Ironischerweise haben die Israelis im Lauf der Zeit auf den unablässigen Angriff auf ihr Land damit geantwortet, dass sie die Sicht auf die Notwendigkeit des Gewinnens verloren. Die Rechte entwickelte Pläne den Sieg zu umgehen, die Mitte experimentierte mit Appeasement und einseitigem Handeln und die Linke suhlte sich in Schuld und Selbstvorwürfen. Enorm wenige Israelis begreifen das nicht beendete Geschäft des Sieges, den Willen des Feindes zu brechen und ihn dazu zu bringen die Dauerhaftigkeit des jüdischen Staates zu akzeptieren.

Zum Glück für Israel muss es nur die Palästinenser besiegen und nicht die gesamte arabische oder muslimische Bevölkerung, die irgendwann der palästinensischen Führung in der Akzeptierung Israels folgen wird. Auch zum Glück können die Palästinenser, obwohl sie eine Atem beraubende Reputation für Durchhaltevermögen erworben habe, besiegt werden. Wenn die Deutschen und Japaner 1945 und die Amerikaner 1975 zur Aufgabe gezwungen werden konnten, warum sollten die Palästinenser von einer Niederlage ausgenommen sein?

Der UN-Sicherheitsrat, einer der Faktoren, die dazu beitragen, dass der arabisch-israelische Konflikt sich hinzieht

Natürlich hat Israel einige Hindernisse auf dem Weg zum Sieg vor sich. Das Land wird allgemein durch internationale Erwartungen eingeengt (z.B. vom UN-Sicherheitsrat) und besonders von der Politik seines Hauptverbündeten, der US-Regierung. Wenn Jerusalem gewinnen soll, muss das daher mit einer Veränderung der Politik der Vereinigten Staaten und anderer westlicher Länder beginnen. Diese Regierungen sollten Israel drängen den Sieg zu suchen, indem sie die Palästinenser überzeugen, dass diese verloren haben.

Das bedeutet, dass man die Wahrnehmung Israels als schwach rückgängig macht, die während des Oslo-Prozesses (1993-2000) und die beiden Rückzüge aus dem Libanon und dem Gazastreifen (2000-2005) entstand. Jerusalem schien in den ersten drei Jahren Ariel Sharons als Premierminister von 2001-2003 zurück auf dem richtigen Weg; seine kompromisslose Haltung brachte damals echte Fortschritte in Israels Kriegsanstrengung. Erst als es Ende 2004 klar wurde, dass Sharon tatsächlich den einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen plante, wurde die Psyche der Palästinenser wiederbelebt und Israel hörte auf zu siegen. Ehud Olmerts schwache Amtszeit als Premierminister wurde von Benjamin Netanyahu im Verlauf des letzten Jahres teilweise wieder umgedreht.

Ironischerweise würde ein israelischer Sieg den Palästinensern noch größeren Nutzen bringen als Israel. Sicher, die Israelis würden davon profitieren, dass sie einen atavistischen Krieg los sind; doch ihr Land ist eine funktionierende, modern Gesellschaft. Für die Palästinenser hingegen würde die Aufgabe ihres irredentistischen Traums der Auslöschung ihres Nachbarn endlich eine Chance bieten, sich um ihren eigenen scheußlichen Garten zu kümmern, ihre stark defizitiäre Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur zu entwickeln.

Somit bringt meinen Friedensplan sowohl das Ende des Krieges als auch einzigartigem Nutzen für alle direkt Beteiligten.

* Deutsch aus: James Clavell (Hg.): Sun Tsu. Die Kunst des Krieges. Nikol Verlagsgesellschaft, Hamburg 2008, S. 28.
** Deutsch aus: Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Ullstein, 2002 (3. Aufl.), S. 47.

Obamas Afghanistan-Strategie: Siegen unerwünscht!

Der wichtigste Punkt in Obamas Rede zur amerikanischen Strategie in Afghanistan ist die Ankündigung, dass der Rückzug im Juli 2011 beginnen werde.

Diese Aussage neutralisiert die Anstrengungen der vergangenen Monate und auch der kommenden Verstärkung amerikanischer Kräfte, die den Afghanen und den Aufständischen hätte signalisieren können, dass das Ziel des Westens in Afghanistan ein Sieg ist, und dass man alles dafür Erforderliche zu tun bereit ist. (…)

Alles, was die Aufständischen jetzt tun müssen, ist die Vermeidung einer sichtbaren Niederlage in den kommenden 18 Monaten. (…)

Es ist zu früh, von einer wahrscheinlichen Niederlage in Afghanistan zu sprechen, aber Obama hat in seiner Rede die Weichen entsprechend gestellt, und viel Zeit für Kurskorrekturen bleibt nicht.

Das Weblog Sicherheitspolitik, von dem diese Einschätzung stammt, und das ich wegen seiner mit militärischem Sachverstand untermauerten Analysen stets sehr gerne lese, trifft damit zwar einerseits den Nagel auf den Kopf. Mir scheint aber, dass „Sieg“ und „Niederlage“ Begriffe sind, die für die westliche – und das heißt: amerikanische – Afghanistan-Strategie keine Rolle spielen, jedenfalls nicht in ihrer herkömmlichen Bedeutung.

Afghanistan grenzt im Westen an den Iran, im Norden an ehemalige Sowjetrepubliken, die von Moskau als „nahes Ausland“ und eigene Interessensphäre gesehen werden, im Süden an Pakisten, dessen Atomwaffen in Griffweite von islamistischen Fanatikern sind, und im Osten an die aufstrebende Weltmacht China. Wer Afghanistan militärisch kontrolliert, verfügt über eine strategische Schlüsselposition, von der aus sich mindestens latenter Druck auf die vier genannten Staaten ausüben lässt.

In Afghanistan nicht präsent zu sein, hieße für die USA: in Mittelasien nicht präsent zu sein; denn ein anderer Stützpunkt steht ihnen in der Region nicht zur Verfügung, jedenfalls keiner, der nicht von einer potenziell feindlichen Macht kontrolliert wird.

Es geht nicht um die Taliban und nicht um Bin Laden; es geht nicht um den 11. September oder Terrorismus, und es geht schon überhaupt nicht um Frauenrechte oder dergleichen – solche Begründungen dienen allenfalls dazu, die Gefühle des heimischen Publikums zu manipulieren: Es geht um die Kontrolle Mittelasiens.

Diese Kontrolle müsste aber an dem Tage ihr Ende finden, an dem die Taliban besiegt, Afghanistan befriedet und die afghanische Regierung Herrin im eigenen Haus wäre, die den Abzug der amerikanischen Truppen fordern würde.

Deswegen darf das alles nicht geschehen: Der Krieg darf niemals enden!

Wenn man die Dinge unter dieser Prämisse betrachtet, versteht man,

  • warum die Bush-Regierung in den Monaten nach dem 11. September zögerte, von ihren europäischen Verbündeten Truppen in ausreichender Stärke zu fordern (die sie damals ohne Weiteres bekommen hätte);
  • warum Bin Laden aus einer bereits geschlossenen Falle entkommen konnte;
  • warum die Bush-Regierung die für einen Sieg in Afghanistan erforderlichen Truppen lieber in den Irak schickte;
  • warum die Bundeswehr von den Verbündeten für die beherzte Zerstörung der berühmten Tanklaster Klassenkeile bezog (es ging nämlich nicht darum, die „Zivilbevölkerung zu schonen“, sondern die Taliban zu schonen);
  • warum die Bundesregierung bis heute eine überzeugende Analyse der Lage in Afghanistan ebenso schuldig geblieben ist wie eine Definition der Kriegsziele: Das Mandat für die deutschen Truppen wird Mal um Mal verlängert, und keiner weiß warum;
  • und schließlich, warum Obama die oben zitierte, scheinbar so widersinnige Ankündigung trifft, ab 2011 aus Afghanistan abzuziehen.

Die Wahrheit, dass ein Sieg nicht gewollt ist, darf niemand aussprechen, weil sonst zu Hause die öffentliche Unterstützung für den Krieg zusammenbräche. Deswegen muss man dem amerikanischen Publikum, das allmählich ungeduldig wird, von Zeit zu Zeit eine neue Strategie unterbreiten, die – diesmal aber wirklch! – den Sieg zu bringen verspricht, und zgleich dafür sorgen, dass sie eben nicht zu einem Sieg führt.

Dem deutschen Publikum kann man solche Wahrheiten erst recht nicht zumuten, weil es sonst sofort den Abzug aller deutschen Streitkräfte fordern würde – und dies zu Recht!

Ich glaube schon, dass die Präsenz Amerikas in Mittelasien für seine europäischen Verbündeten, also auch für uns, einen gewissen Kollateralnutzen abwirft. Diesen Nutzen würden wir aber auch ohne eigene Kriegsbeteiligung einsacken. Schon deshalb ist mir der Preis zu hoch:

Was die USA aus ihrer Präsenz machen, obliegt ausschließlich ihrer Entscheidung, sie werden sich da nicht hineinreden lassen: Deutschland stellt also letztlich Hilfstruppen für eine Politik, die nicht von der gewählten deutschen Regierung mitkonzipiert wird, über die sie die deutsche Öffentlichkeit sogar belügen muss, und die ausschließlich eine amerikanische Weltmachtstrategie begünstigt.

Indem sie für eine solche Politik das Leben deutscher Soldaten riskiert und opfert, rückt die Bundesrepublik, ein demokratischer Staat, sich selbst in die Nähe absolutistischer Doudezfürstentümer des achtzehnten Jahrhunderts, die ihre Untertanen als Soldaten an fremde Mächte vermieteten.

Raus aus Afghanistan?

Es kommt nicht häufig vor, dass ich mir in einer wichtigen politischen Frage unschlüssig bin, aber im Hinblick auf den Afghanistankrieg bin ich es schon seit einiger Zeit. Die Zweifel, ob es wirklich richtig war und ist, deutsche Soldaten an den Hindukusch zu schicken, nagen nicht erst seit dem erfolgreichen Angriff von Donnerstag nacht und dessen verheerendem Echo im In- und Ausland an mir.

Ich glaube, man sollte die Gelegenheit zu einigen grundlegenden Überlegungen nutzen: Wozu sind unsere Truppen eigentlich dort, und wozu halten unsere Soldaten dort ihren Kopf hin?

Jedenfalls sind sie nicht dort, um den Afghanen einen Gefallen zu tun. Das ist nur das Ammenmärchen, das unsere Politiker einer vollkommen infantilisierten deutschen Öffentlichkeit erklären, der man erfolgreich eingeredet hat, Militäreinsätze seien etwas „Böses“ und dürften deshalb – wenn überhaupt – jedenfalls nicht aus Eigeninteresse angeordnet werden, sondern ausschließlich, um Witwen und Waisen zu helfen, die Hungernden zu speisen, die Nackten zu kleiden und die Tränen der Mühseligen und Beladenen zu trocknen. Das einzige Eigeninteresse, zu dem man sich dabei allenfalls noch verstohlen bekennt, ist die Hoffnung, dass die Welt uns Deutsche wieder lieb haben möge.

Ein solches Weltbild ist hochgradig neurotisch; ein Volk, das ihm anhängt, will offenkundig belogen sein, und dementsprechend wird es auch belogen.

Dabei spricht selbstverständlich nichts dagegen, wenn man schon einmal dort ist, sein Möglichstes zu tun, um der Zivilbevölkerung zu erträglichen Lebensbedingungen zu verhelfen. Es gibt aber viele Länder auf der Welt, deren Bevölkerung leidet, und denen man ebensogut helfen könnte wie Afghanistan – Zimbabwe zum Beispiel oder Somalia. Wenn es nicht geschieht, so deshalb, weil wir kein eigenes Interesse daran haben.

(Den häufig gegen den Afghanistan-Einsatz vorgebrachten Einwand, wir würden den Menschen dort unsere Lebensweise aufzwingen, möchte ich allerdings doch zurückweisen: Es geht – wenn überhaupt – darum, die Taliban zu hindern, den Menschen mit grausamer Gewalt ihre Vorstellungen aufzuzwingen. Ich habe auf vielen, vielen Seiten dargelegt, dass die Taliban das sind, was bei konsequenter Anwendung des Islam herauskommt, und dass man Islam und Islamismus nicht sinnvoll als Gegensätze auffassen kann. Das heißt aber nicht, dass deswegen alle oder auch nur die meisten Moslems so leben wollen, wie die Taliban es von ihnen verlangen – es heißt „nur“, dass es eine westliche freiheitliche Demokratie dort schon deshalb nicht geben wird, weil sie nicht gewollt ist – und jeder, der sich nicht selbst betrügt, sieht, dass es eine solche Demokratie in Afghanistan selbst dann nicht gäbe, wenn die Taliban nicht existierten. Die Afghanen könnten aber durchaus ein stabiles Regime wünschen, unter dem sich endlich einmal leben (und nicht nur sterben) ließe, und es spricht nichts dagegen, sie dabei zu unterstützen. Aber eben nur, wenn man sowieso schon da ist; eigens deswegen hinzugehen wäre verrückt gewesen.)

Erinnern wir uns: Der Anlass für die Intervention des Westens war der 11.September. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die USA das Recht hatten, zurückzuschlagen und die Infrastruktur der Qaida in Afghanistan zu zerstören. Dass sie die Taliban darüberhinaus so weit in Schach halten wollen, dass eine Wiederherstellung dieser Infrastruktur nicht möglich ist, ist meines Erachtens auch vernünftig.

Es stimmt schon, was Peter Scholl-Latour sagt: dass nämlich die Bedrohung durch Al Qaida und Taliban inzwischen längst von Pakistan ausgeht und nicht mehr von Afghanistan, und dass Pakistan allein wegen seiner Atomwaffen, verbunden mit seiner politischen Instabilität, eine Gefahr ersten Ranges darstellt, und zwar für den gesamten Westen. Dies ist freilich kein Argument gegen, sondern für das Engagement in Afghanistan, und ich bin ziemlich sicher, dass es in Washington wie auch in allen übrigen westlichen Hauptstädten das zentrale und entscheidende Argument ist.

Die Präsenz in Afghanistan dient – wie schon Bushs Atomdeal mit Indien und jetzt Obamas Kuscheln mit Teheran – der Einkreisung Pakistans; der Westen braucht eine eigene (nicht von Verbündeten abhängige) strategische Position vor Ort, um gegebenenfalls schnell in Pakistan intervenieren zu können. Sein Ziel muss es also sein, Afghanistan so weit zu kontrollieren, dass er dort frei operieren kann. Deswegen müssen die Taliban bekämpft weden, nicht weil sie Mädchen am Schulbesuch hindern!

Die völlige Befriedung Afghanistans mag wünschenswert sein – sie ist aber weder aus westlicher Sicht notwendig, noch ist sie objektiv erreichbar. Ein Land, in dem jedes Jahr dreihunderttausend junge Männer ohne Job, Bildung und Perspektive ins kampffähige Alter kommen, bringt (noch dazu nach dreißig Jahren Krieg) zwangsläufig eine gewaltgetränkte Gesellschaft hervor; die Taliban werden immer genügend Kämpfernachschub haben. Wenn man sich dies bewusst macht, wird einem klar, wie töricht die „Strategie“ ist, dem Schutz der Zivilbevölkerung oberste Priorität einzuräumen, also notfalls auf die Bekämpfung des Feindes zu verzichten, um „die Herzen und Köpfe der Afghanen zu gewinnen“, weil sie sonst „den Taliban in die Arme getrieben werden“.

Für wie dumm hält man die Menschen dort eigentlich? Die verstehen vom Krieg mit Sicherheit mehr als unsere Sesselpupser in Berliner Ministerien und Abgeordnetenbüros. Ich bin sicher, sie wissen sehr wohl zu unterscheiden, ob eine Kriegspartei den Tod von Zivilisten notgedrungen in Kauf nimmt oder mutwillig. Für einen Afghanen gibt es viele Gründe, sich den Taliban anzuschließen, und die wenigsten davon werden irgendetwas mit einer vorwerfbaren „Schuld“ des Westens zu tun haben.

Die masochistische Gutmenschenmarotte, die „Schuld“ bei sich selber zu suchen, wenn Andere einen beschießen, ist als Grundlage militärischer Strategie nicht nur ungeeignet, sondern Wahnsinn! Kommandeure, die aus solchen Erwägungen vor dem Kampf zurückschrecken und feindliche Einheiten entkommen lassen, handeln in krimineller Weise verantwortungslos gegenüber den ihnen anvertrauten Soldaten, die diesen feindlichen Einheiten irgendwann gegenübertreten müssen, und gegenüber genau der Zivilbevölkerung, um deren Schutz es angeblich geht, die aber am stärksten unter den Terroranschlägen zu leiden hat, die von diesen Einheiten ausgehen.

Eben diese Strategie ist aber jetzt von der Obama-Regierung für Afghanistan vorgegeben worden, und die Amerikaner fallen damit von einem Extrem ins andere: Hatten sie unter Bush den Eindruck erweckt, dass sie Zivilisten selbst dort nicht schonen, wo das durchaus möglich ist, so schonen sie sie jetzt sogar dann, wenn das überhaupt nicht zu verantworten ist. Das Gegenteil einer falschen Strategie ist nicht automatische eine richtige.

(Und als Deutscher fühlt man sich an den alten Witz aus der DDR erinnert: Wofür steht in der folgenden Grafik der gerade Strich?

Unbenannt

Das ist der Funktionär, der von der Linie abweicht.)

Für die Verbündeten der USA stellt sich aber jetzt die Frage, ob es denn sein kann, dass man gezwungen wird, die eigene Strategie über den Haufen zu werfen, nur weil in Amerika der Präsident gewechselt hat. Ich finde, das kann nicht sein, und ich finde, die Bundeswehr sollte eine Lehre aus Afghanistan mitbringen: sich militärisch nur dann und dort zu engagieren, wo sie selber die strategische Federführung hat. Wo das nicht möglich ist, sollte Deutschland sich besser fernhalten.

Es stimmt schon, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, aber es steht nirgendwo geschrieben, dass Deutschland sie selber verteidigen muss. Nein, ich plädiere nicht dafür, nach Art eines Schwarzfahrers ein Kollektivgut – in diesem Fall die von Amerika gewährleistete Sicherheit des Westens – kostenlos in Anspruch zu nehmen – jedenfalls plädiere ich nicht für Trittbrettfahrerei als Prinzip. Das Leben der eigenen Soldaten nicht für die Umsetzung einer verfehlten Strategie zu opfern ist aber keine Trittbrettfahrerei, und wenn die Meinungsverschiedenheiten zu den federführenden Amerikanern, aber auch zu den europäischen Verbündeten, nicht mehr sinnvoll überbrückbar sind, dann kann man sich mit Anstand zurückziehen und sollte es auch tun.

Pizza für den Sieg!

Als ich vor ein paar Wochen den Artikel „Strategien des Gegendjihad“ schrieb, hatte ich eines der wichtigsten Elemente einer solchen Strategie glatt zu erwähnen vergessen, nämlich die Unterstützung Israels als desjenigen Staates der westlichen Welt, der am stärksten unter Druck steht, und der zugleich erfreulicherweise derjenige ist, der am wenigsten Bereitschaft zeigt, diesem Druck nachzugeben.

Wie aber unterstützt man einen Staat, der sich im allgemeinen ganz gut selber zu helfen weiß? Verbale Solidarität ist ja schön und gut, aber gibt es nicht irgendetwas Handfesteres? Lila gibt in ihrem Blog die Antwort, und diese Antwort leuchtet mir unmittelbar ein, erstens, weil ich selber ziemlich verfressen bin, zweitens, weil Liebe immer durch den Magen geht.

Ich erinnere mich deutlich an meine Bundeswehrzeit und daran, dass die Verpflegung zu meinem tiefen Verdruss nach Qualität und Quantität zu wünschen übrig ließ. Mit welchen Speisen die israelische Armee verköstigt wird, entzieht sich meiner Kenntnis; aber wenn an dem Spruch „Je besser die Armee, desto schlechter das Essen“ auch nur ein Quentchen Wahrheit ist, dann muss es ein unaussprechlicher Fraß sein.

Wie dem auch sei, liebe Leser: Springt in Eure Spendierhosen und schickt den Soldaten der IDF Liebesgrüße in Gestalt von Pizza und Cola! Kriegsentscheidend wird es nicht sein, aber dass es die Moral der Truppe hebt, davon bin ich überzeugt!

Wie man das macht – es ist wirklich ganz einfach -, steht auf der Homepage von PizzaIDF.org.