Martin Sellner und ich sprechen über den aktuellen Stand des Ukrainekrieges, die möglichen weiteren innen- und außenpolitischen Entwicklungen und die strategischen Optionen der Opposition. Reinhören, es lohnt sich:
Russland
„Tödliche Torheit. Der Krieg in der Ukraine und das Desaster der deutschen Politik“
Wer da geglaubt hatte, mit der Klima- und der Coronapolitik hätte das herrschende Machtkartell bereits den Gipfel seiner Destruktivität erklommen, sieht sich eines Schlechteren belehrt: Mit dem Ukrainekrieg erreicht das systematische Missmanagement der politischen Klasse der BRD einen neuen Höhepunkt.
Sie bestätigt damit die Thesen, die ich in meinem Buch „Systemfrage“ entwickelt habe, auf eine so drastische Weise, dass ich jetzt mit „Tödliche Torheit“ eine Fortschreibung meiner Analyse vorlege.
Aus der Einleitung:
»Die pathologische Lernunfähigkeit dieses herrschenden Kartells führt dazu, daß dessen Mangel an Problemlösungskompetenz mit jeder Krise deutlicher hervortritt, seine Protagonisten diesen Sachverhalt aber nicht wahrhaben wollen und dürfen und ihr Heil in autoritärem Auftrumpfen, der Diffamierung von Sündenböcken und dem erwähnten Kalten Bürgerkrieg gegen ihre Kritiker suchen – ohne Rücksicht auf die verfassungsmäßige Rechtsordnung.
(…)
Ich verfolge nicht das Ziel, meinen Leser zur Parteinahme für die eine oder andere Seite zu bewegen. Zwar hat George Orwell einmal sinngemäß geschrieben, Kriegspropaganda sei so dumm, daß man als denkender Mensch gar nicht umhinkönne, mit dem Feind zu sympathisieren, und wahrscheinlich unterliege auch ich dieser paradoxen Wirkung. Die Maßlosigkeit, die verlogene Selbstgerechtigkeit und der blindwütige Haß gegen Rußland, die sich in der westlichen Propaganda austoben, schreien nach Hinterfragung – und dies nicht erst wegen ihrer Gefährlichkeit, sondern bereits wegen ihrer Dummheit.
(…)
Der Ukrainekrieg hat die selbstzerstörerische Dynamik der deutschen Politik weder gebremst, noch haben deren zentrale Akteure ihn zum Anlaß genommen, die eigenen ideologischen Annahmen kritisch zu hinterfragen. Eine gewisse Selbstkritik fand zwar statt, galt aber just den wenigen Positionen, in denen die politische Klasse bis dahin noch Reste an gesundem Menschenverstand gezeigt hatte (und die gerade deswegen in der ideologisch durchgestylten, autistisch geschlossenen Weltsicht deutscher Politiker und Journalisten immer mehr wie Fremdkörper gewirkt hatten). Diese Reste werden nun ebenfalls entsorgt.
Ich werde zeigen, daß die deutsche Politik in ihrer Reaktion auf den Ukrainekrieg just die bekannten Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster zeigt, die systematisch Fehlentscheidungen erzeugen. Durch solche Fehlentscheidungen hat sie schon in den vergangenen beiden Jahrzehnten, insbesondere aber seit 2010, das gesamte gesellschaftliche System in existenzbedrohender Weise destabilisiert und an den Rand seiner Leistungsfähigkeit getrieben. Der Ukrainekrieg gibt ihr nun Anlaß, das für sie charakteristische „Krisenmanagement“ nach dem Motto „More of the same“ zu praktizieren, das System also noch weiter zu belasten und die verschiedenen Krisen zu einer Großkrise verschmelzen zu lassen …«
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Pussy Riot und die deutsche Ochlokratie
Vor zehn Jahren, am 17. August 2012, wurden Mitglieder der Emanzen-Punkband Pussy Riot von einem Moskauer Gericht wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ erstinstanzlich zu zwei Jahren Haft verurteilt: Die Frauen waren im Februar 2012 in das zentrale Gotteshaus der Russisch-Orthodoxen Kirche, die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, eingedrungen, und hatten dort als Kunst getarnte Parolen skandiert, unter anderem „Scheiße, Scheiße, Gottesscheiße“ und „Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin“.
Das politisch-mediale deutsche Establishment, das damals schon bei jeder Gelegenheit gegen Russland hetzte, schäumte vor Wut über das Urteil. Ich kommentierte damals:
Alle deutschen Politiker und Medienschaffenden sind sich einig: Das Urteil gegen die Punkband „Pussy Riot“ sei „rechtsstaatswidrig“, „politisch motiviert“ und „Justizwillkür“, die „die Menschenrechte missachte“; Russland habe damit gezeigt, dass es weder ein Rechtsstaat noch eine Demokratie sei. Irgendwelchen Widerspruch gegen diese Diagnose kann man im Mainstream mit der Lupe suchen.
Medienkampagnen sind in Deutschland an der Tagesordnung, und oft genug haben sie eine erkennbare politische Funktion, wie etwa die Hetzkampagne gegen das syrische Regime, die offenkundig der propagandistischen Kriegsvorbereitung dient, oder die Kampagne „gegen Rechts“, die sich an den angeblichen NSU-Morden entzündet hat, und bei der all den „investigativen“ Journalisten nicht auffällt oder auffallen darf, dass die Nazimörderstory, die die Sicherheitsbehörden uns in diesem Zusammenhang auftischen, durch kaum einen greifbaren Beweis untermauert ist, dafür aber von Ungereimtheiten nur so strotzt.
Die Kampagne für „Pussy Riot“ ist dadurch bemerkenswert, dass ein unmittelbar politisches Motiv nicht erkennbar ist, und dass ein Journalist, der die Musikerinnen kritisieren oder Verständnis für das Urteil äußern würde, dadurch nicht die Grenzen der Political Correctness überschreiten oder seine Karriere riskieren würde. Die Selbstgleichschaltung der Medien im Falle „Pussy Riot“ geschieht offenbar aus Überzeugung und wirft gerade dadurch ein Licht auf die Art der Überzeugungen in den Köpfen jener Menschen, die den politisch-medialen Komplex bilden. Es handelt sich um einen jener Vorgänge, die blitzartig beleuchten, von welcher Art Menschen wir regiert und (des-)informiert werden, und man ist stets aufs Neue verblüfft, dass diesen Menschen offenbar nicht klar ist, was sie mit ihren Stellungnahmen über sich selbst aussagen.
Es ist ja nicht etwa so, dass die in den Medien ausschließlich verbreitete Meinung über die Vorgänge in Russland sich quasi von selbst verstünde, im Gegenteil: Es ist sogar ungewöhnlich schwierig, sie mit Argumenten zu stützen, und es bedarf daher eines ungewöhnlichen Maßes an Voreingenommenheit, ja Verbohrtheit, sie überhaupt vorzutragen. Gewiss gibt es in allen Lebensbereichen Menschen mit fragwürdigen Geistes- und Charaktergaben, wie eben zum Beispiel Voreingenommenheit und Verbohrtheit, und es gibt keinen Grund, warum es sie gerade in Politik und Medien nicht geben sollte. Dass sie aber alle dieselbe Art von Verbohrtheit an den Tag legen: Das ist das Aufschlussreiche!
Rechtsstaatwidrig? Die jungen Frauen haben gegen das russische Strafrecht verstoßen und wussten das. Zum Rechtsstaatsprinzip gehört, dass jede bekanntgewordene Straftat auch verfolgt werden muss. Sie im Einzelfall aus politischen oder sonstigen rechtsfremden Gründen nicht zu verfolgen: Das wäre rechtsstaatswidrig!
Unverhältnismäßig? Das Delikt, um das es geht, kann mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet werden; da kann man eine zweijährige Haftstrafe schlecht „unverhältnismäßig“ nennen.
Willkürlich? Was als „verhältnismäßig“ zu gelten hat und was nicht, ist auch eine Frage der jeweiligen Rechtskultur. Wäre die russische Justiz sonst für ihre Milde bekannt und hätte nur in diesem einen Fall eine Freiheitsstrafe verhängt, so könnte man vielleicht von politisch motivierter Willkür sprechen. Da die russische Justiz aber generell härtere Urteile verhängt als zum Beispiel die deutsche, kann von willkürlicher Härte kaum die Rede sein; eher schon muss man dem Gericht eine für russische Verhältnisse ungewöhnliche Milde bescheinigen. Der deutsche Staat dagegen hat sich eine nichtchristliche Staatsreligion zugelegt und setzt sie mit einer Härte und Willkür durch, die der irgendeines autoritären Regimes mindestens gleichkommt:
Ein Staat wie die BRD, der brutalste Schläger mit kleinen Bewährungsstrafen davonkommen lässt, dafür aber bloße Meinungsdelikte, etwa die Holocaustleugnung, also den bloßen Dissens mit der etablierten Geschichtsauffassung, mit mehrjährigen Gefängnisstrafen ahndet – ein solcher Staat muss sich aus solchen Gründen durchaus den Vorwurf gefallen lassen, aus politischen Motiven zu unverhältnismäßiger willkürlicher Härte zu greifen – der russische aber zumindest nicht wegen Pussy Riot.
Ja, darf es denn solche Rechtsnormen überhaupt geben? Muss es nicht erlaubt sein, jederzeit und überall Jedem, auch dem, der es nicht hören will, die eigene politische Meinung oder religiöse Doktrin ins Gesicht zu schreien?
Durchaus nicht. Es muss allenfalls im öffentlichen Raum erlaubt sein, etwa auf der Straße, im Internet oder im Parlament – und selbst dort unterliegt es vernünftigerweise Einschränkungen, nicht nur in Russland. Eine Kirche ist aber kein öffentlicher Raum in dem Sinne, das sie zu jedem Unfug benutzt werden dürfte, und die Menschen, die dort hingehen, tun es, um Gott nahe zu sein, nicht aber, um mit dem ordinären Gepöbel schriller Gören konfrontiert zu werden, die ihre Gruppe ausgerechnet „Votzenrandale“ nennen.
Dieselben deutschen Journalisten, die nun glauben, es gehöre zu den Menschenrechten, in einer Kathedrale „Scheiße Scheiße Gottesscheiße“ skandieren zu dürfen, konnten sich nur zähneknirschend zu dem Eingeständnis durchringen, dass es wohl – leider, leider – nicht verboten werden könne, auf der Straße Mohammedkarikaturen hochzuhalten, und würden lauthals nach dem Kadi rufen, wenn es Islamkritikern einfiele, dasselbe in einer Moschee zu tun. Und wenn etwa Mitglieder einer rechtsextremen Rockgruppe es wagen würden, in eine Synagoge einzudringen und dort antijüdische Parolen zu rufen, dann würde die Journaille eher über die Einführung der Todesstrafe als über die „Verhältnismäßigkeit“ einer Freiheitsstrafe diskutieren.
„Pussy Riot“ konnten nur dadurch zu Heldinnen der politisch-medialen Klasse werden, dass sie in einem christlichen Gotteshaus randalierten, dass sie das Christentum durch den Schmutz zogen, und dass die Betroffenen Christen also Angehörige der Mehrheitsreligion und Russen, also Angehörige des Mehrheitsvolkes waren.
[Eines Mehrheitsvolkes zudem, möchte man 2022 im Rückblick hinzufügen, das sich der Verschwulung seines Landes widersetzt und es wagt, nicht den ideologischen Schrullen windschnittiger deutscher Queer-Ideologen, Regenbogenträger und Niederknier zu folgen. Welche Blasphemie von den Russen, nach wie vor das Kreuz anzubeten und nicht das Gendersternchen!]
Was die Votzenrandaliererinnen mit deutschen Meinungsmachern verbindet, ist der Hass auf Christen und das Christentum, der Hass auf das eigene Volk, die eigene Herkunft, die eigene Geschichte.
Identität und geschichtliche Verwurzelung des russischen Volkes werden ja durch nichts so sehr verkörpert wie durch die orthodoxe Kirche. Der Hass, der ihr und dem eigenen Volk gilt, ist der Hass des sich selbst absolut setzenden, des entwurzelten rücksichtlosen Ego auf jede Form von historischer wie sozialer Bindung und Einbindung.
Es ist der Hass von Menschen, die kein Gestern, kein Morgen und kein Wir kennen, auf die Institution, deren schiere Existenz sie daran erinnert, dass sie seelische Krüppel sind. Es ist der Hass von Menschen, die sich nur frei fühlen, wenn sie das, was ihnen unbegreiflich und unerreichbar ist, in jenen Schmutz ziehen dürfen, in dem sie selbst sich suhlen, weil sie ein Teil davon sind. Es ist der Hass des Hässlichen auf das Schöne, des Niedrigen auf das Erhabene, des Nichtigen auf das Ewige. Es ist der Hass des Asozialen auf den Anstand.
Gerade in der zur Schau getragenen Asozialität der jungen Frauen erkennt die westliche Meinungs-„Elite“ sich wieder, deren Mitglieder ihre eigene Unreife und missglückte Sozialisation notdürftig unter Nadelstreifen verstecken. Die Votzenrandale ist genau das, was sie selbst gerne praktizieren würden und auch tatsächlich praktizieren, nur dass sie es nötig haben, ihre ordinäre Destruktivität als „Liberalität“ zu bemänteln, während sie daran arbeiten, die Kloake in ihren Köpfen zuerst als Ideologie durchzusetzen und dann als Zustand der Gesellschaft zu verallgemeinern. Pussy Riot und die deutsche Medien-Ochlokratie sind Brüder und Schwestern im Geiste des Abschaums.
[Leicht überarbeitete Fassung meines Artikels „Pussy Riot und die deutsche Ochlokratie“ vom 19. August 2012.]
Der neue Boss: Putin leitet Öl und Gas um, Europa geht leer aus
[Diese Analyse von Mike Whitney erschien unter dem Originaltitel „Meet the New Boss; Putin Reroutes Critical Hydrocarbons Eastward Leaving Europe High-and-Dry“ am 16. Juni 2022 auf Global Research. Übersetzung durch „Korrektheiten“. Bildquelle für Beitragsbild: Philipp Wiatschka / pixelio.de]
„Die Ablehnung russischer Energieressourcen bedeutet, dass Europa die Region mit den höchsten Energiekosten der Welt sein wird. Dies wird die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie ernsthaft untergraben, die bereits jetzt den Wettbewerb mit Unternehmen in anderen Teilen der Welt verliert…. Unsere westlichen Kollegen scheinen die elementaren Gesetze der Ökonomie vergessen zu haben oder ziehen es vor, sie einfach zu ignorieren.“ Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation
Am Dienstag kündigte Russland an, die Erdgaslieferungen durch die Nord Stream-Pipeline nach Deutschland um 40 % zu reduzieren. Die Ankündigung von Gazprom-Sprechern sorgte für Erschütterungen auf dem europäischen Gasmarkt, wo die Preise schnell auf neue Höchststände stiegen. In Deutschland, wo sich die Preise in den letzten drei Monaten verdreifacht haben, wurde die Nachricht mit Entsetzen aufgenommen. Da die Inflation bereits einen 40-Jahres-Höchststand erreicht hat, wird diese jüngste Angebotsverringerung die deutsche Wirtschaft mit Sicherheit in eine Rezession oder Schlimmeres stürzen. Ganz Europa bekommt nun die Auswirkungen der fehlgeleiteten Sanktionen Washingtons gegen Russland zu spüren. Weitere Informationen finden Sie auf der Oil-Price-Website:
„Die russischen Gaslieferungen nach Europa … sind bereits zurückgegangen, nachdem die Ukraine im vergangenen Monat den Gasfluss von Russland nach Europa an … einem der beiden Transitpunkte gestoppt hat … Dadurch wurde die Versorgung für ein Drittel des Gases, das über die Ukraine nach Europa gelangt, unterbrochen.“ („Europe’s Gas Prices Surge 13% As Russia Reduces Nord Stream Flow“, Oil Price)
Die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten haben mehr Sanktionen gegen Russland verhängt als gegen jedes andere Land in der Geschichte. Die Ankündigung vom Dienstag macht jedoch deutlich, wer tatsächlich unter den Sanktionen leidet und wer nicht.
Russland leidet nicht, im Gegenteil, Russland scheint nicht besonders beunruhigt zu sein. Es hat die Angriffe Washingtons so gelassen abgebürstet, wie man eine Fliege bei einem Familienpicknick wegfegen würde. Noch überraschender ist die Tatsache, dass die Sanktionen den Rubel gestärkt, die Einnahmen aus Rohstoffen erhöht, den russischen Handelsüberschuss auf ein Rekordniveau gebracht und seine Gewinne aus Gas und Öl in die Stratosphäre getrieben haben. Nach allen objektiven Maßstäben scheinen die Sanktionen Russland zu begünstigen, was natürlich das Gegenteil von dem ist, was erwartet wurde.
Washingtons Wirtschaftssanktionen gegen Russland: Erfolg oder Misserfolg?
- Die russische Währung (der Rubel) ist auf einen Fünfjahreshöchststand gestiegen.
- Russlands Rohstoffe bringen satte Gewinne ein
- Russlands Handelsbilanzüberschuss wird in diesem Jahr voraussichtlich einen Rekordwert erreichen
- Russlands Öl- und Gasumsätze haben stark zugenommen
Es gibt keine Beweise dafür, dass die Sanktionen Washingtons das Ziel erreicht haben, Russland zu „schwächen“ oder seine Wirtschaft zu schädigen. Es gibt jedoch zahlreiche Beweise dafür, dass die Sanktionen nach hinten losgegangen sind und ihren Befürwortern und deren Völkern einen hohen Tribut abverlangt haben. Und obwohl es schwierig ist, den tatsächlichen Schaden zu beziffern, haben wir versucht, bestimmte Kategorien zu ermitteln, in denen die Auswirkungen am dramatischsten waren. Die Sanktionen haben:
- einen starken Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise ausgelöst. (Steigende Inflation)
- erhebliche Störungen der globalen Lieferketten verursacht (Deglobalisierung)
- Nahrungsmittelknappheit verschärft und die Wahrscheinlichkeit einer Hungersnot erhöht
- eine starke Abkühlung der Weltwirtschaft verursacht
Bislang hat Russland diesen Angriffe geduldig und ohne Vergeltungsmaßnahmen standgehalten. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass die plötzliche Reduzierung der Gaslieferungen an das energieabhängige Deutschland um 40 % ein Signal sein soll. Man bedenke: Nord Stream 2 war ein großes, mehrjähriges Projekt im Wert von 10 Milliarden Dollar, zu dem sich Russland voll verpflichtet hatte, bis Deutschland Putin in letzter Minute den Boden unter den Füßen wegzog. Deutschland hat bewiesen, dass es – wenn es hart auf hart kommt – immer im Gleichschritt mit Washington marschieren wird, statt seine geschäftlichen Vereinbarungen zu erfüllen oder im Interesse seines eigenen Volkes zu handeln. Deutschland muss nun jedoch feststellen, dass es einen sehr hohen Preis zahlt, wenn es sich zum Handlanger Washingtons macht. Hier weitere Meldungen von Reuters:
„Gazprom teilte am Dienstag mit, dass es die Lieferungen über die Unterwasserpipeline Nord Stream 1 nach Deutschland in Höhe von 167 Millionen Kubikmetern pro Tag auf bis zu 100 Millionen Kubikmeter gedrosselt hat. Als Grund wurde die verspätete Rücksendung von Ausrüstungsgütern genannt, die zur Reparatur geschickt worden waren …“
Nach den russischen Sanktionen gegen EuRoPol Gaz, dem Eigentümer des polnischen Abschnitts, exportiert Gazprom kein Gas mehr über die Jamal-Europa-Pipeline durch Polen nach Westen. Die Ströme über Jamal-Europa fließen weiter östlich von Deutschland nach Polen.
„Aufgrund der verspäteten Rücksendung der Gaskompressoranlagen von der Reparatur durch Siemens … und technischer Störungen der Motoren können derzeit nur drei Gaskompressoranlagen in der Kompressionsstation Portovaya eingesetzt werden“, so Gazprom.
„Aufgrund der von Kanada verhängten Sanktionen ist es für Siemens Energy derzeit nicht möglich, die generalüberholten Gasturbinen an den Kunden zu liefern. Vor diesem Hintergrund haben wir die kanadische und die deutsche Regierung informiert und arbeiten an einer praktikablen Lösung“, so das Unternehmen. („Nord Stream gas capacity constrained as sanctions delay equipment“, Reuters)
Natürlich werden die Medien einen Wartungsfehler als Entschuldigung anführen, aber wie glaubwürdig ist das? Wie oft wird die Versorgung mit einer lebenswichtigen Ressource aufgrund einer Kompressorstörung um fast die Hälfte reduziert?
Nicht oft. Russland sendet eine einfache, aber eindringliche Botschaft an Deutschland: „Wie man sich bettet, so liegt man.“ Die Reaktion Russlands ist völlig normal, nachdem man ihm „den Dolch in den Rücken gestoßen hat“.
Und Deutschlands Leidensweg fängt gerade erst an, weil es keine Möglichkeit hat, das Energiedefizit auszugleichen, mit dem es in naher Zukunft konfrontiert sein wird; ein Defizit, das zu Stromausfällen, einfrierenden Häusern und einer unerbittlichen Strangulierung der heimischen Industrie führen wird. Wie die deutsche Regierung feststellt, gibt es keinen brauchbaren Ersatz für russische Kohlenwasserstoffe, die weder leicht verfügbar sind noch in ihrer Qualität den besonderen Anforderungen Deutschlands entsprechen. Mit anderen Worten: Die USA haben Deutschland in dem Glauben gelassen, es könne einfach zu anderen Energieversorgern wechseln und alles sei in Butter. Das ist sicherlich nicht der Fall. So werden Deutschland und ganz Europa mehr für ihre Energie bezahlen als jede andere Region der Welt, was die Wettbewerbsfähigkeit der EU ernsthaft untergraben wird. Dies wiederum wird zu einem starken Rückgang des Lebensstandards und zu wachsenden sozialen Unruhen führen. Weitere Informationen finden Sie im Wall Street Journal:
Jahrzehntelang verließ sich die europäische Industrie auf Russland, wenn es darum ging, kostengünstiges Öl und Erdgas zu liefern, das die Fabriken des Kontinents am Laufen hielt.
Jetzt steigen die Energiekosten der europäischen Industrie infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine sprunghaft an, was die Wettbewerbsfähigkeit der Hersteller auf dem Weltmarkt beeinträchtigt. Die Fabriken suchen händeringend nach Alternativen zu russischer Energie, da die Gefahr besteht, dass Moskau den Gashahn abrupt zudreht und die Produktion zum Stillstand bringt.
Die europäischen Hersteller von Chemikalien, Düngemitteln, Stahl und anderen energieintensiven Gütern sind in den letzten acht Monaten unter Druck geraten, als die Spannungen mit Russland im Vorfeld der Invasion im Februar zunahmen. Einige Hersteller mussten angesichts der Konkurrenz durch Fabriken in den USA, im Nahen Osten und in anderen Regionen, in denen die Energiekosten wesentlich niedriger sind als in Europa, ihre Produktion einstellen. Die Erdgaspreise sind in Europa jetzt fast dreimal so hoch wie in den USA („Some European Factories, Long Dependent on Cheap Russian Energy, Are Shutting Down; Industrial energy costs are soaring in the wake of Russia’s war on Ukraine, hobbling European manufacturers’ ability to compete globally”, Wall Street Journal)
Das Wall Street Journal möchte Sie glauben machen, dass Russland für die Fehlentscheidungen Europas verantwortlich sei, aber das stimmt nicht. Putin hat die Preise nicht erhöht. Die Preise stiegen als Reaktion auf die gestiegene Nachfrage in der EU aufgrund der sanktionsbedingten Knappheit. Ist das Putins Schuld?
Nein. Entsprechendes gilt für die EU-Vertreter, die Putin „Erpressung“ vorwarfen, eine Behauptung, die jeder Grundlage entbehrte. Als diese Anschuldigung erhoben wurde, lag der Gaspreis in der EU bei einem Drittel des heutigen Preises. Funktioniert so Erpressung, indem man weniger als den Marktpreis verlangt?
Natürlich nicht! Das ist lächerlich. Europa bekam einen guten Preis für eine knappe Ressource, bis es beschloss, den schlechten Rat von Uncle Sam zu befolgen und es sich selbst zu ruinieren. Jetzt zahlt es die Zeche und kann sich nur selbst die Schuld geben.
Wussten Sie, dass die Staats- und Regierungschefs der EU bereits Pläne zur Rationierung von Energie in diesem Winter schmieden?
Das stimmt. Europa hat sich bereit erklärt, als Schoßhündchen der USA Washingtons ehrgeizige Globalstrategie getreu umzusetzen. Hier ist die Geschichte:
Europa könnte gezwungen sein, in diesem Winter mit der Rationierung von Energie zu beginnen, angefangen bei der industriellen Nutzung von Erdgas, insbesondere wenn der Winter kalt ist und Chinas Wirtschaft wieder anspringt“, sagte der Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, in einem Interview mit der Financial Times.
„Wenn wir einen strengen und langen Winter haben … Ich würde eine Rationierung von Erdgas in Europa nicht ausschließen, angefangen bei den großen Industrieanlagen“, sagte Birol der FT.
Die Welt stehe vor einer „viel größeren“ Energiekrise als in den 1970er Jahren, sagte Birol letzten Monat dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel.
„Damals ging es nur um Öl“, sagte Birol der Nachrichtenagentur. „Jetzt haben wir gleichzeitig eine Öl-, eine Gas- und eine Stromkrise“, sagte der Leiter der internationalen Agentur, die nach dem Schock des arabischen Ölembargos in den 1970er Jahren gegründet wurde.“ („IEA: Europe Could See Energy Rationing This Winter“, Oil Price)
Ein Irrtum, nicht wahr? Wir haben keine „Öl-, Gas- und Stromkrise“. Was wir haben, ist eine politische Krise. All diese Engpässe lassen sich leicht auf die törichten Entscheidungen inkompetenter Politiker zurückführen, die auf Geheiß neokonservativer Fantasten handeln, die glauben, die Uhr in die Blütezeit der globalen Vormachtstellung Amerikas zurückdrehen zu können. Aber diese Zeiten sind vorbei, und jeder scheint zu wissen, dass sie vorbei sind, außer der isolierten Gruppe von verblendeten Fanatikern in den Washingtoner Think Tanks und ihrer politischen Ausgeburt im Weißen Haus.
Unterm Strich: Wir wären alle viel besser dran gewesen, wenn wir auf Kissinger gehört hätten, der seinen Kumpels auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) riet, den Krieg in der Ukraine schnell zu beenden, bevor Russland Änderungen vornehme, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Leider stieß Kissingers Appell auf taube Ohren, und Putin hat bereits begonnen, seine Energieströme nach Osten umzulenken. Sehen Sie sich diesen atemberaubenden Auszug aus einem Artikel auf oilprice.com an:
Dieser freie Energiehandel ist nun vorbei, nachdem … die westlichen Sanktionen folgten und Europa unwiderruflich beschloss, seine Abhängigkeit von russischer Energie um jeden Preis zu beenden …
Bis zum Ende dieses Jahres wird Europa voraussichtlich 90 % seiner gesamten Einfuhren von russischem Öl aus der Zeit vor dem Krieg unterbinden … Für dieses Öl, das nach Europa geht, wird Rohöl aus dem Nahen Osten nun längere Strecken bis zu den europäischen Häfen zurücklegen als die kürzeren Routen nach Indien und China …
Für Europa ist die Wahl der Ölversorgung nun eine politische Entscheidung, und es wird bereit sein, einen Aufpreis zu zahlen, um nicht-russisches Öl zu beziehen. Dies wird die Versorgungsmöglichkeiten einschränken und die hohen Ölpreise in den kommenden Monaten weiter stützen.
Fitch Ratings kommentierte das EU-Embargo gegen russische Erdölimporte auf dem Seeweg letzte Woche mit den Worten:
Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass die Inflation weiter ansteigen wird, da die gewaltigen russischen Rohölvorräte nach Osten umgeleitet werden. Es bedeutet, dass Washington sein seit 30 Jahren vorrangiges „Lieblingsprojekt“, die Globalisierung, aufgegeben und die Welt in rivalisierende Blöcke aufgespalten hat. Es bedeutet, dass der Dollar, der Anleihemarkt, das westliche Finanzsystem und die so genannte „regelgestützte Ordnung“ – die alle untrennbar mit dem Wirtschaftswachstum verbunden sind, das fast ausschließlich von der Verfügbarkeit billiger Energie abhängt – unter dem Gewicht der politischen Entscheidungen, die den Nationen des Westens und ihren Menschen den sicheren Ruin gebracht haben, zu ächzen beginnen werden.
Wir werden einen hohen Preis für Washingtons selbstmörderisches Machtstreben zahlen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf The Unz Review veröffentlicht.
Michael Whitney ist ein renommierter geopolitischer und sozialer Analytiker mit Sitz in Washington State. Er begann seine Karriere als unabhängiger Bürgerjournalist im Jahr 2002 mit einem Engagement für ehrlichen Journalismus, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden.
Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Centre for Research on Globalization (CRG).
Das C-Waffen-Gespenst oder: „Haltet den Dieb“
Die NATO, vertreten durch ihren norwegischen Generalsekretär Stoltenberg, hat Russland davor gewarnt, in der Ukraine chemische Waffen einzusetzen. Olaf Scholz hat diese Warnung bekräftigt und für diesen Fall mit „dramatischen Maßnahmen“ gedroht. Angesichts der Tatsache, dass der Westen praktisch alle nichtmilitärischen Optionen bereits ausgeschöpft hat, muss man diese Warnung wohl als Drohung auffassen, die NATO werde dann in den Krieg eingreifen.
Das Seltsame an dieser Warnung oder auch Drohung ist, dass russische Streitkräfte noch nie chemische Waffen eingesetzt haben – weder das Zarenreich, noch die Sowjetunion, noch die Russische Föderation haben sich jemals zu einem solchen Akt hinreißen lassen, auch nicht gegen Hitler oder im Afghanistankrieg – nie! Und warum die Russen, die in der Ukraine nicht einmal ihre konventionellen Waffen konsequent einsetzen, nun zu einem solchen großen Hammer greifen sollten, ist vollends unerfindlich.
Was also wollen die NATO-Granden – uns mit einer absurden Gespensterjagd belustigen?
Eher nicht. Welches Kalkül hinter diesen offensichtlich aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen steht, erschließt sich aus dem Kontext, in dem sie vorgetragen wurden:
Die Berliner Zeitung schrieb:
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Russland vor einem Angriff mit Chemiewaffen in der Ukraine gewarnt. „In den vergangenen Tagen haben wir absurde Behauptungen über chemische und biologische Waffenlabore vernommen. Der Kreml erfindet falsche Vorwände bei dem Versuch, zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist“, sagte Stoltenberg der Welt am Sonntag.
„Nachdem diese falschen Behauptungen nun aufgestellt wurden, müssen wir wachsam bleiben, weil es möglich ist, dass Russland selbst Einsätze mit chemischen Waffen unter diesem Lügengebilde planen könnte“, fügte Stoltenberg hinzu. Dies wäre ein „Kriegsverbrechen“.
Ach, so ist das? Daran, dass Russland die USA und die Ukraine bezichtigt, an B- und C-Waffen zu arbeiten, kann man ablesen, es plane selbst den Einsatz solcher Waffen?
Nun gut, gestehen wir zu, dass es tatsächlich Politiker gibt, die vorsorglich ihre Gegner genau derjenigen Praktiken bezichtigen, zu denen sie selbst zu greifen gedenken. Erinnern wir uns zum Beispiel an den vergangenen US-Wahlkampf, als die Demokraten Präsident Trump bezichtigten, er plane die Präsidentschaftswahlen zu manipulieren.
Manipuliert wurden die Wahlen dann – jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – in der Tat. Aber der Profiteur dieser mutmaßlichen Manipulationen war gerade nicht Trump, sondern dieselben Demokraten, die die Unterstellung unter die Leute gebracht hatten, und der jetzige US-Präsident Biden. Diesem Präsidenten und seiner Entourage dürfte die Masche „Haltet den Dieb“ also durchaus vertraut sein.
Könnte es, ungeachtet dessen, nicht trotzdem sein, dass die an die Adresse Russlands gerichteten Unterstellungen zutreffen? Dass der Kreml also zur Rechtfertigung eines möglicherweise bevorstehenden ersten Einsatzes chemischer Waffen in der russischen Militärgeschichte „absurde Behauptungen über chemische und biologische Waffenlabore“ vorgetragen, „falsche Vorwände erfunden“, „falsche Behauptungen“ aufgestellt und ein „Lügengebilde“ errichtet hat?
Man beachte zunächst die sechsfache Wiederholung (drei davon allein in der tautologischen Formulierung „falsche Vorwände erfunden“) ein und derselben Unterstellung in nur drei Sätzen. Wer auf diese Weise jeden Zweifel unter einer Lawine von catonischen Wiederholungen zu verschütten versucht, der muss es wohl nötig haben.
Und in der Tat – die NATO hat es nötig. Dass in der Ukraine unter US-Beteiligung zumindest an biologischen Waffen geforscht wird, ist nämlich mitnichten ein „Lügengebilde“ Putins, sondern von der Unterstaatssekretärin im State Department Victoria Nuland in kaum noch dementierbarer Weise bestätigt worden.
Ferner ergibt sich aus Unterlagen, die der britischen Daily Mail vorliegen, dass kein Geringerer als Hunter Biden, der Sohn des US-Präsidenten höchstselbst, in schmutzige Geschäfte dieser Art nicht nur verwickelt, sondern sogar einer Strippenzieher dieses B-Waffen-Programms ist.
Russland hatte also erwiesenermaßen jeden Grund und auch jedes Recht, seine Anschuldigungen öffentlich zu machen, und die einzigen, die in diesem Zusammenhang ein Lügengebilde gesponnen haben, sitzen an der Spitze der US-Regierung und der NATO.
Und damit wird es interessant. Sie hätten allen Grund, Putins Beschuldigungen mit Schweigen zu übergehen, allein schon, damit niemand nachfragt. Stattdessen trompeten sie sie in die Welt hinaus – warum?
Vielleicht aus demselben Grund, aus dem die Demokraten einen Wahlbetrug durch Trump an die Wand malten?
Jedenfalls sollte niemand sich wundern, wenn in der Ukraine, wie schon in Syrien, plötzlich C-Waffen eingesetzt werden, von denen behauptet wird, der Gegner, in diesem Fall also die Russen, hätten sie abgefeuert. Und wenn dies dann der Vorwand ist, der uns in den Krieg stoßen soll.
An die Kriegstrompeter
Sprechen wir es nochmal aus, weil es sonst keiner tut – zumindest nicht diejenigen, die wir dafür bezahlen, uns mit sachlichen und gut recherchierten Informationen zu versorgen, die es aber vorziehen, uns mit emotionalisierender und personalisierender Propaganda das Denken abzugewöhnen:
Das Kriegsziel der Ukraine lautet, in die NATO eintreten zu können. Das Kriegsziel Russlands lautet, dies (also die Ausdehnung des US-Imperiums bis ans russische Kernland) zu verhindern.
Allein darum geht es in diesem Krieg. Das muss jedem klar sein, der jetzt den Krieger in sich entdecken zu müssen glaubt, erst recht jedem, der es allen Ernstes darauf anlegen will, es über dieser Frage zu einem Dritten Weltkrieg kommen zu lassen.
Otto von Bismarck fand als junger Abgeordneter in einer in mancher Hinsicht vergleichbaren Lage (nämlich nach der Olmützer Punktation von 1850*) die passenden Worte – Worte, die sich die maßlosen und verantwortungslosen Hetzer in den Redaktionen und am Kabinettstisch hinter die Ohren schreiben sollten. (Natürlich werden sie es nicht tun – was ist schon ein „toter alter weißer Mann“ wie Bismarck, verglichen mit einer Baerbock?)
Bismarck also sagte damals:
Es ist leicht für einen Staatsmann, sei es in dem Kabinett oder in der Kammer, mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen, oder von dieser Tribüne donnernde Reden zu halten und es dem Musketier, der auf dem Schnee verblutet, zu überlassen, ob sein System Sieg und Ruhm erwirbt oder nicht. Es ist nichts leichter als das , aber wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grund zum Kriege umsieht, der auch nach dem Krieg noch stichhaltig ist. Ich bin der Überzeugung, Sie sehen die Fragen , die uns jetzt beschäftigen, nach einem Jahr anders an, wenn Sie sie rückwärts durch eine lange Perspektive von Schlachtfeldern und Brandstätten, Elend und Jammer, von hunderttausend Leichen und hundert Millionen Schulden erblicken werden. Werden sie dann den Mut haben, zu dem Bauern auf dem auf der Brandstätte seines Hofes, zu dem zusammengeschlossenen Krüppel, zu dem kinderlosen Vater hinzutreten und zu sagen: Ihr habt viel gelitten, aber freut euch mit uns, die Unionsverfassung ist gerettet!
*) Preußen hatte 1850 versucht, im Verbund mit etlichen kleineren deutschen Staaten eine „Union“ zu bilden, die eine Art Vorform eines einigen Deutschland darstellen sollte. Die Verwirklichung dieses Projekts hätte (natürlich nur ganz nebenbei) die Macht Preußens erheblich vergrößert (ähnlich, wie heute die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine die Macht der USA vergrößern würde), und zwar auf Kosten Russlands und Österreichs. Daraufhin erklärten beide Mächte dieses Vorhaben zum casus belli, und Preußen ließ in der sogenannten Olmützer Punktation das Projekt fallen. Die Öffentlichkeit tobte über diese „Schmach von Olmütz“ und schrie nach Krieg, bekam ihn aber nicht.
Anmerkungen zum Ukraine-Krieg
Jetzt, da die russische Armee den Ring um die ukrainischen Großstädte, namentlich Kiew, Odessa und Mariupol immer enger zieht und die ukrainische Seite diese Städte immer mehr zu Festungen ausbaut, ist es Zeit zu einer kurzen Betrachtung, und zwar zu einer nüchternen Betrachtung.
Ein Wort zur Mainstreampropaganda
Die Situation ist bedrohlich, nicht nur für die Ukraine und die dortige Zivilbevölkerung, sondern für uns alle. Es ist keine Situation, in der man sich von billiger Empörung über den „russischen Angriffskrieg“ den Verstand vernebeln lassen sollte. Dass uns die gewollte Selbstverdummung von Politikern und Journalisten als staatsbürgerliche Tugend verkauft wird, heißt nicht, dass es eine ist.
Es zeigt nur, dass wichtige Positionen dieser Gesellschaft von Leuten besetzt sind, die nicht wissen, wovon sie reden und es deshalb nötig haben, jeden, der sich nicht auf das Niveau ihrer infantilen und infantilisierenden Emotionalisierung und Personalisierung herablässt, zu verteufeln und einen „Putinversteher“ zu nennen.
Ich für meinen Teil bekenne mich dazu, ein Putinversteher zu sein, und zwar in demselben Sinne, in dem man Willy Brandt einen „Breschnew-Versteher“ hätte nennen können, wenn es diesen Ausdruck vor fünfzig Jahren schon gegeben hätte. Es gab ihn aber nicht, weil es damals noch als Selbstverständlichkeit galt, dass man die Dinge und die Personen, über die man sich öffentlich äußert, tunlichst verstehen sollte, weil man sonst nur dummes Zeug über sie reden kann. Dass die Journaille heute einen Ausdruck wie „Putinversteher“ als Schimpfwort verwenden kann, ohne zu bemerken, was sie damit über sich selbst aussagt, ist bezeichnend für ihre erschütternde Einfalt.
Die militärische Strategie der Ukraine
Welche Strategie also verfolgt die Ukraine, indem sie Großstädte verteidigt und es dadurch darauf anlegt, die russischen Streitkräfte in den Häuserkampf zu zwingen? Gewiss, beim Kampf „Infanterie gegen Infanterie“ hat die verteidigende Partei im Straßen- und Häuserkampf einen Vorteil, den sie in offenem Gelände nicht oder jedenfalls nicht im selben Maße hat.
Nun ist dieser Sachverhalt aber sowohl dem russischen als auch dem ukrainischen Generalstab geläufig. Niemand wird daher etwas anderes erwarten, als dass die Russen, bevor sie bei einem Angriff auf die Großstädte mit Infanterie hineingehen, stattdessen mit der geballten Feuerkraft ihrer Artillerie und Luftwaffe zuerst alle potenziellen Verteidigungsstellungen vernichten – und zwar mitsamt den Verteidigern und leider auch zahllosen Zivilisten, denen jede Ausweichmöglichkeit genommen wird, wenn die eigene Stadt zur Festung ausgebaut wird.
Und nein, diese Angriffsmethode ist keine ungewöhnlich grausame Art der Kriegführung. Es ist das, was jeder General in der Situation der russischen Kommandeure tun würde. Genau deswegen verteidigt man Großstädte normalerweise nicht – weil ihre Verteidigung nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als den Tod eines erheblichen Teils ihrer Bewohner in Kauf zu nehmen.
Eine solche Verteidigungsstrategie kann nur in Betracht kommen, wenn die verteidigende Partei in der absolut verzweifelten Lage ist, eine militärische Niederlage um jeden Preis – und sei es den eines Massensterbens der eigenen Bevölkerung – abwenden oder dies wenigstens versuchen zu müssen (denn groß sind die militärischen Erfolgsaussichten ja nicht).
Die russischen Kriegsziele
Ist die Lage der Ukraine denn so verzweifelt, dass sie zu solchen Mitteln greifen müsste? Spätestens seit der Kreml seine Kriegsziele auf den Tisch gelegt hat, wird man dies bezweifeln dürfen. Gefordert wird im Wesentlichen:
- die Anerkennung der Zugehörigkeit der Krim zu Russland
- die Anerkennung der Unabhängigkeit der Sezessionsgebiete in der Ost-Ukraine
- die militärische Neutralität der Ukraine, sprich: dass sie nicht der NATO beitritt.
Was Putin also fordert, ist die rechtliche Anerkennung und Festschreibung von Zuständen, die de facto schon längst existierten, also des Status Quo ante: Die Ukraine kontrolliert die strittigen Gebiete (deren Bewohner obendrein offensichtlich nicht zur Ukraine gehören möchten) schon lange nicht mehr, und der NATO hat sie noch nie angehört. Russlands Kriegsziel ist offenbar gerade nicht, daran etwas zu ändern, sondern zu verhindern, die Ukraine selbst es tut – und zwar im Verbund mit dem Westen, wie es sich in den letzten Jahren immer deutlicher abgezeichnet hat.
Schon deshalb kann ich in den Forderungen Russlands nichts Unzumutbares, ja nicht einmal etwas wirklich Unbilliges erkennen, und schon gar nicht etwas, was es rechtfertigen würde, zu seiner Verhinderung das Leben von möglicherweise mehreren hunderttausend Zivilisten zu opfern.
Stärkung der Verhandlungsmacht
Es ist immerhin möglich, dass die Strategie der Ukraine gar nicht darin besteht, den Kampf um die Großstädte wirklich zu führen, sondern dem Kreml zu signalisieren, dass er für seinen Sieg einen schwindelerregend hohen Preis würde zahlen müssen. In der Tat müssten ja nicht nur viele Zivilisten ihr Leben lassen, sondern auch viele russische Soldaten, und die Sanktionen des Westens sind für Putin mindestens ziemlich lästig, ganz abgesehen von der PR-Katastrophe, die dieser Krieg für ihn jetzt schon ist. Er hat also durchaus ein Interesse daran, den Waffengang zügig zu beenden.
Unter diesem Gesichtspunkt, nämlich insofern es die Verhandlungsposition der Ukraine gestärkt hat, war die ukrainische Strategie der Totalverteidigung nicht nur verständlich, sondern auch richtig (wie es aus demselben Grund übrigens auch die Sanktionspolitik des Westens ist).
Nützen wird ihr diese starke Verhandlungsposition aber nur dann etwas, wenn sie auch wirklich verhandelt (und wieder gilt dasselbe analog für den Westen), und zwar jetzt, nicht erst dann, wenn die russische Armee unter riesigen Verlusten Kiew erobert hat. Damit nämlich wäre die mühsam aufgebaute starke Position verspielt und die Unabhängigkeit der Ukraine wirklich in Gefahr – was sie momentan nicht zu sein braucht.
Es war noch nie so leicht, Frieden zu schließen – aber tun muss man’s! Einfach nur catonisch zu wiederholen, die Russen müssten das Land verlassen, danach könne man reden, ist so blauäugig, dass es kaum ernstgemeint sein kann.
Ich möchte gerne glauben, dass die Unbeweglichkeit der ukrainischen Position einer typisch sowjetischen Verhandlungsstrategie von Diplomaten aus der Gromyko-Schule entspringt: bis zum letzten Moment das Pokerface wahren, winzige taktische Vorteile einsammeln und kumulieren, um schließlich doch noch eine Einigung zu erzielen. Ich habe allerdings Zweifel.
Dasselbe gilt mindestens ebenso sehr für den Westen. Putin mit Sanktionen unter Druck zu setzen, um am Verhandlungstisch mitreden zu können – ja, das hat durchaus Sinn. Welchen Sinn es unter diesem Gesichtspunkt aber haben soll, alle Türen zuzuknallen, westliche Unternehmen zum Abzug aus Russland zu nötigen, das Land zum Pariastaat zu erklären und seinen Präsidenten zum Gottseibeiuns zu verschwefeln, mit dem man nicht mehr reden dürfe, das erschließt sich mir nicht. So handelt eigentlich nur jemand, der eine Einigung nicht nur jetzt nicht erzielen, sondern auch für die Zukunft ausschließen will.
Eskalationsstrategie
Wenn die Strategie der Ukraine aber nicht auf Verhandlungen abzielen sollte – und mit jedem Tag, der ohne erkennbaren diplomatischen Fortschritt vergeht, werden meine Zweifel größer –, worauf dann? Welchen Sinn hat insbesondere die Verlagerung der Front in die Großstädte, wo man die Zivilbevölkerung dadurch maximalen Gefahren aussetzt?
Der Verdacht drängt sich auf, dass sowohl die Ukraine als auch der Westen (wer immer die wirklichen Entscheidungsträger in Washington sein mögen – der senile Präsident wohl eher nicht) eine Verständigung gar nicht wollen und möglicherweise von vornherein nicht wollten. Dies würde jedenfalls erklären, warum man die russische Armee drei Monate lang vor den Grenzen der Ukraine manövrieren ließ, ohne einen ernsthaften Versuch zur Entschärfung der Krise zu unternehmen (aber auch ohne ernsthaften Versuch, die Ukraine unter den Atomschirm der Amerikaner zu bringen).
Ja, ich gebe zu, es kann auch Inkompetenz gewesen sein. Nur fällt es mir schwer, an eine Inkompetenz zu glauben, die so verteufelte Ähnlichkeit mit einer Strategie hat.
Diese Strategie wäre dann gewesen, Putin die Ukraine als Köder hinzuhalten, indem man ihre Aufnahme in die NATO als bevorstehend an die Wand malt (und ihn so unter Zugzwang setzt), sie aber noch nicht wirklich aufnimmt (damit er glaubt, sich ein militärisches Vorgehen noch leisten zu können). Das hieße, dass man ihm eine Falle gestellt hat und er hineingetappt ist.
Sollte es so sein, dann würde auch die militärisch und politisch scheinbar so sinnlose Opferung der ukrainischen Zivilisten einen Sinn ergeben und darauf hinauslaufen, durch eine solche Eskalation den Westen in den Krieg hineinzulotsen, was Selenskyj ohnehin ständig versucht. Dass er damit immerhin eine Debatte über „Flugverbotszonen“ ausgelöst hat, Polen eine bewaffnete „Friedensmission“ der NATO zur Unterstützung der Ukraine fordert und wichtige Funktionsträger des politisch-medialen Komplexes, etwa Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner, den Kriegseintritt der NATO bereits offen propagieren, wirkt wie ein düsteres Omen und zeigt, dass Selenskyjs Spekulation auf diesen Kriegseintritt keineswegs so absurd ist, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint.
Wir wissen aus der Vergangenheit, wie leicht die westliche Öffentlichkeit durch grausame Bilder zu manipulieren ist, und sie ist es heute mehr denn je. Die Coronakrise wirkt wie ein Probelauf, bei dem getestet wurde, wie viel offensichtlichen Unsinn diese Öffentlichkeit zu schlucken bereit ist, und das Ergebnis ist für Kriegstreiber leider ziemlich ermutigend ausgefallen. Die westliche und insbesondere die deutsche Öffentlichkeit ist in einer Weise hysterisierbar, infantilisierbar und manipulierbar, wie man es noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Die sich ausbreitende Progromstimmung gegen Russen (und russische Muttersprachler, einschließlich ethnischer Deutscher), spricht eine deutliche und vernichtende Sprache.
Die Bilder, deren es bedarf, um ein solches Volk in einen Krieg zu treiben, würden bei einem Sturm auf Kiew mit Sicherheit entstehen und hätten vermutlich auch in den USA eine ähnliche Wirkung. Untermalt mit entsprechender Propaganda könnte der noch vorhandene öffentliche Widerstand gegen militärische Maßnahmen schnell dahinschmelzen, zumal, wenn der Kriegseintritt der NATO scheibchenweise erfolgt: zum Beispiel, indem zunächst „nur“ eine Flugverbotszone eingerichtet wird, „nur“ die USA sich beteiligen, „nur“ Ausbilder und Spezialisten geschickt werden usw.
Für die Vereinigten Staaten wäre das Risiko übrigens viel geringer als für uns. Konfrontiert mit einer NATO, die gegen ihn Krieg führt, hätte Putin durchaus die atomare Option – nur eben nicht gegen die USA, die womöglich mit massiver Vergeltung antworten würden, wenn ihr eigenes Territorium angegriffen wird; wohl aber gegen europäische Staaten. Die noch aus dem Kalten Krieg stammende Vorstellung, die USA würden jeden atomaren Angriff auf ein NATO-Mitglied ihrerseits mit Atomschlägen gegen Russland quittieren und damit womöglich dessen Atomraketen auf sich selbst ziehen, war damals schon fragwürdig und ist es heute erst recht.
Deswegen hätte Russland im Falle eines Krieges mit der NATO durchaus die Option, Atomraketen auf europäische Staaten abzufeuern,
- die strategisch wichtige Knotenpunkte der NATO-Infrastruktur beherbergen,
- erheblich zur Wirtschaftskraft des Westens beitragen,
- potenziell auch militärische Bedrohungen Russlands darstellen könnten,
- dabei aber selbst keine Atomwaffen besitzen.
Die Frage, auf welches Land dieser Steckbrief am deutlichsten zutrifft, beantwortet sich von selbst.
Trumps Triumph – das Waterloo des Machtkartells
Noch nie hat es so viel Spaß gemacht, die Elaborate des etablierten Meinungskartells zu konsumieren wie in diesen Tagen, in denen es sein Waterloo erlebt und mitansehen muss, dass der Mann, den es in geschlossener Phalanx zu verhindern suchte, ins Weiße Haus einzieht.
„Wie konnte es nur so weit kommen?“, fragen sie sich, und wie üblich kratzen ihre Erklärungen bestenfalls an der Oberfläche, meist aber nicht einmal an dieser. Vielmehr demonstriert die Journaille – im Gleichklang mit der etablierten Politik – ihre pathologische Lernunfähigkeit durch „Erklärungen“, von denen die meisten zwischen Dummheit, Lüge und Wahnsinn oszillieren.
Da ergeht man sich in psychologisierenden Diffamierungen der Trump-Wähler (und natürlich ihrer europäischen Gesinnungsfreunde), die als schwachsinnige, hasserfüllte Verlierertypen karikiert werden, die aus völlig irrationalen Gründen einem gewissenlosen Demagogen auf den Leim gegangen seien. Nichts könnte falscher sein:
- Wer gegen TTIP ist, musste Trump wählen.
- Wer gegen die weitere Entmachtung demokratisch legitimierter Politik zu Gunsten supranationaler Strukturen ist, musste Trump wählen.
- Wer gegen Masseneinwanderung ist (weil er ihre Folgen zu spüren bekommt), musste Trump wählen.
- Wer gegen die weitere Eskalation des Konflikts mit Russland ist, musste Trump wählen.
- Wer gegen die systematische Destabilisierung islamischer Länder, etwa Syriens, ist, musste Trump wählen.
- Und wer gegen ein Establishment ist, das diesen seinen wahnwitzigen weltweiten Destabilisierungs- und Destruktionskurs gegen jede Kritik abschottet und daher zu einer Selbstkorrektur offensichtlich außerstande ist, musste erst recht Trump wählen.
Zu Trump gab es keine Alternative, weil das Establishment aus sich heraus keine hervorbrachte und vermutlich auch keine mehr hervorbringen wird. Welche seiner Versprechen Trump halten wird, konnte und kann bis jetzt niemand wissen, aber was man von Hillary Clinton zu erwarten hatte, wusste man genau: Sie war die Verkörperung all der Fehlentwicklungen, die der gesamten westlichen Zivilisation das Genick brechen werden, wenn man ihresgleichen nicht in den Arm fällt.
Dass Clinton als Verkörperung des Establishments möglicherweise die falsche Wahl war, so weit kommen auch die Mainstreamjournalisten bei ihrer Ursachenanalyse. Aus ihrer Feder bedeutet dies aber nur, dass die Demokraten einen „unbelasteten“ Kandidaten hätten präsentieren sollen, also einen, der noch in der Lage gewesen wäre, sich als Anti-Establishment-Kandidat zu präsentieren, ohne einer zu sein. Auf Deutsch: Für die Mainstreampresse lag der Fehler darin, dass man es versäumt hat, die Wähler erfolgreich hinters Licht zu führen.
Das Bemerkenswerte an der Wahl in den USA ist gerade nicht, dass die Wähler irrational entschieden hätten, sondern dass sie die Destruktivität des Establishments durchschaut, dessen unaufhörlich abgefeuerte Nebelkerzen ignoriert und mit einer geradezu trockenen Rationalität den Mann gewählt haben, der versprochen hat, ihre Interessen zu vertreten.
Hätte Trump sich ausschließlich auf die Wähler stützen müssen, die ihn seines polternden Auftretens wegen wählten, so hätte er nicht einmal die Vorwahlen überstanden. Seinen Sieg verdankt er denen, die ihn trotz dieses Auftretens gewählt haben, und zwar aus der völlig vernünftigen Überlegung heraus, lieber einen Präsidenten zu sehen, der bisweilen Machosprüche klopft, als eine Präsidentin, der man zutrauen muss, womöglich einen Atomkrieg mit Russland anzuzetteln. Wenn das nicht politische Reife ist – was dann?
Die Medien beiderseits des Atlantiks haben alles getan, um solche im engeren Sinne politischen Überlegungen, insbesondere die Frage nach Interessen, gar nicht erst zum Thema werden zu lassen und lediglich den Kandidaten zu verteufeln, indem sie seine Political Incorrectness aufs Korn nahmen. Damit sind sie der Trump-Kampagne gleich in doppelter Hinsicht ins offene Messer gelaufen:
Zum einen war der Versuch, die eigentlich relevanten politischen Themen von der Agenda zu verdrängen, so plump und durchsichtig, dass der an die Medien gerichtete Vorwurf, eine Lügenpresse zu sein, die die Menschen zu manipulieren und für dumm zu verkaufen versucht, wieder einmal schlagend bestätigt wurde.
Zum Anderen haben sie durch ihre ständigen Angriffe, bei denen es fast ausschließlich um seine Sprüche ging, Trumps ideologische Nonkonformität erst richtig in jedermanns Bewusstsein gehämmert. Ein politisierender Milliardär, der gegen das Establishment antritt, zu dem er selber gehört, ist per se nicht besonders glaubwürdig. Es war das Establishment selbst, das ihm durch seinen geifernden Hass diese Glaubwürdigkeit verschafft hat. In diesem Zusammenhang haben Trumps Sprüche allerdings doch eine Rolle gespielt: nicht, weil seine Wähler sie gut fanden, sondern weil das Establishment sie verabscheute und dies an sich schon ein Grund war, ihn zu wählen. Und auch diese Reaktion der Wähler ist alles andere als eine irrationale Trotzreaktion:
Wer, wie das gesamte Establishment, einschließlich dessen ideologieproduzierender Fraktion und vor allem der Medien, eine Politik betreibt, die sich offenkundig gegen die Interessen einer großen Mehrheit richtet, hat in einer Demokratie naturgemäß ein Problem. Er kann sie nicht durchhalten, sofern die Demokratie ihrer Selbstbeschreibung gemäß funktioniert, wonach sie ein System sei, das – nicht ohne Verzerrungen, aber im Großen und Ganzen eben doch – den Wählerwillen widerspiegele. Er muss vielmehr verhindern, dass sie dies tut. Er muss die Demokratie sabotieren. Er muss den freien Wettbewerb sowohl zwischen Medien als auch zwischen Parteien zu Gunsten kartellartiger Strukturen suspendieren und dafür sorgen, dass niemand zu den politischen und medialen Eliten zugelassen wird, der ihre Ideologie nicht teilt und die Interessen der Mehrheit vertritt. Political Correctness hat nichts mit dem Versuch zu tun, Minderheiten zu schützen, es sei denn in ihrer Eigenschaft als Rammbock gegen die Interessen der Mehrheit. Sie dient dazu, die ideologische Konformität der Eliten zu wahren und oppositionellen Sichtweisen und Interessen von vornherein die Artikulations- und Wirkungsmöglichkeiten zu verbauen. Sie ist eine Waffe, die sich gegen das Volk richtet, und genau dies hat das amerikanische Volk verstanden und die Konsequenzen gezogen. Auf diesen Effekt hat Trump gesetzt. Sein Kalkül war riskant, aber dank der unfreiwilligen Mithilfe der Medien erfolgreich.
Wer um drei Ecken denkt, könnte vielleicht glauben, Trump sei womöglich doch der Kandidat des Establishments und die Kampagne gegen ihn nur Teil einer besonders durchtriebenen Strategie gewesen, einen bloß scheinbar oppositionellen Politiker ins Weiße Haus zu bringen. Nun ist es gewiss möglich, dass Trump die Erwartungen der Rechten ebenso enttäuscht, wie Obama die der Linken enttäuscht hat. Dass die herrschenden Eliten einen solchen Effekt aber eingeplant haben könnten, dagegen spricht ihre Bestürzung und Überraschung, die mit zu vielen psychologischen Elementarfehlern einhergeht, um gespielt zu sein:
In der Politik verliert man bisweilen, aber jeder Anfänger weiß, dass man auf keinen Fall dulden darf, wie ein Verlierer auszusehen; indem das politisch-mediale Machtkartell gerade hier in Europa seine schrille Panik laut hinausschreit, potenziert es den psychologischen Auftrieb noch, den Trumps Sieg den oppositionellen Parteien Europas ohnehin schon gibt. Auch der lächerliche Auftritt Angela Merkels, die dem gewählten Präsidenten der USA allen Ernstes Bedingungen für eine Zusammenarbeit glaubte stellen zu können, kann nur auf einen völligen Nervenzusammenbruch zurückzuführen sein. (Man bedauert geradezu, kein Karikaturist zu sein: Es wäre reizvoll, Merkel als Spitzmaus zu zeichnen, die einem Weißkopfseeadler Bedingungen vorliest, unter denen sie eventuell darauf verzichtet, ihn, den Adler, aufzufressen…). Es setzt das Tüpfelchen aufs i, dass diese „Bedingungen“ überhaupt nichts mit den Interessen Deutschlands zu tun hatten, sondern ausschließlich im ideologischen Bereich lagen, also wiederum unterstrichen, wie sehr das Kartell auf ideologische Konformität angewiesen ist.
Ins Bild passt auch, dass den Kartellmedien die Peinlichkeit dieses Auftritts offenbar ebenso wenig bewusst war wie der Kanzlerin selbst. Die „Zeit“ – die für die BRD dieselbe Rolle spielt wie „Das Reich“ für das Dritte Reich, nämlich die Rolle eines ideologischen Zentralorgans für die gebildeten Schichten – die „Zeit“ also phantasierte „Europa“, also die EU, zur einzigen „großen Macht“ hoch, „die auf dieser Erde Demokratie und Vernunft verkörpern kann“; natürlich kommt dem Autor nicht in den Sinn, dass es weder Trump noch Le Pen oder die AfD gäbe, wenn das, was er für „Demokratie und Vernunft“ hält, irgendetwas mit Demokratie oder Vernunft zu tun hätte. Im selben Zusammenhang befördert er ausgerechnet Angela Merkel zum „mächtigsten Menschen auf der Erde, der weder autoritär ist noch einen an der Waffel hat“, obwohl sie gerade bewiesen hat, dass sie beide Eigenschaften zu einem ausgewachsenen Größenwahn zu kombinieren fähig ist. Und er erwartet von ihr ein „Erziehungskonzept“ – er schreibt wirklich „Erziehung“! – im Umgang mit dem amerikanischen Präsidenten. Man kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Dieses irrlichternde Schwanken zwischen heller Panik und leerem Auftrumpfen gibt ganz nebenbei einen Einblick in die Geistesverfassung der Leute – Journalisten wie Politiker –, die sich immer noch für die berufenen Vordenker und Führungspersönlichkeiten der Gesellschaft halten. Sie sind nicht nur intellektuell unfähig, ein Ereignis, das in ihrer ideologischen Wahnwelt nicht vorgesehen ist, angemessen zu deuten und zu erklären, sie sind mit seiner Bewältigung auch psychisch völlig überfordert:
Konfrontiert mit einer Niederlage, die sie völlig zu Recht als ihre eigene ansehen, geben sie nicht nur zu, dass es so ist – was an sich bereits ein Fehler ist –, sondern fallen auch völlig aus der Rolle, verlieren jede Souveränität und fangen an, wirres Zeug zu faseln. Man merkt daran, wie wenig eigenes Format diese Leute haben, die ihre gesamte Karriere auf Konformität innerhalb etablierter Machtstrukturen aufgebaut haben, und deren vermeintliche „Siege“ ihnen viel zu leicht gemacht wurden, weil es in Wahrheit Siege eines gut verschanzten Machtkartells gegen versprengte Oppositionelle waren. Zu solchen Siegen gehört weder Geist noch Charakter, eher das Gegenteil. Format zeigt sich – wenn es sich denn zeigt – in der Niederlage. Niederlagen sind aber im Weltbild von Karrieristen nicht vorgesehen, sie glauben ja, sich durch ihre Anbiederung bei den Machteliten dagegen versichert zu haben.
Wenn besagter Autor der „Zeit“ nun vom „Kampf“ schreibt, den es zu führen gelte, so ist dies zwar durchaus als Drohung gemeint. Nur: Mit welchen Mitteln will einer kämpfen, der die Gesellschaft, in der er lebt, aufgrund ideologisch bedingter Lernunfähigkeit nicht versteht? Der deshalb nur schwadronieren kann, wo seine Gegner analysieren? Der mit seinen ideologischen Schlagworten nur diejenigen Menschen überzeugt, die seine Ideologie ohnehin teilen, aber gerade nicht die, um die er werben müsste? Der unter „Kampf“ versteht, Andersdenkenden die Artikulationsmöglichkeiten zu verbauen und sie aus der Gesellschaft auszugrenzen? Dem nicht klar ist, dass der Graben, den er und seinesgleichen auf diese Weise quer durch das Volk ziehen, ein Graben ist, der über kurz oder lang sie selbst aussperrt? Und dem genauso wenig klar ist, dass alle Mittel dieser Art längst ausgereizt sind und die etablierten Machtstrukturen daher auf die Dauer nur noch durch einen offenen Staatsstreich zu verteidigen wären – letzterer aber angesichts der bröckelnden Loyalität von Polizei und Armee und der massiven Präsenz von US-Truppen unter einem Oberbefehlshaber Trump eine zunehmend riskante Angelegenheit wäre.
Einen Konsens gibt es freilich zwischen Freund und Feind, nämlich dass mit diesem 9. November 2016 nichts mehr so ist, wie es vorher war. Gewiss spürt man als Oppositioneller schon seit rund zwei Jahren, dass die Tore, gegen die man immer wieder mit dem Rammbock angerannt ist, nachzugeben beginnen und ihre Stabilität mit jedem neuen Stoß geringer wird. Und doch bin ich sicher, dass die Wahl Trumps im Rückblick als Wasserscheide betrachtet werden wird.
War der Brexit noch eine Konzession, zu der das britische Establishment gezwungen war, die aber immerhin dafür gesorgt hat, dass es die Fäden weiterhin in der Hand hält, so hat der Sieg Trumps bewiesen, dass man dieses Kartell in offener Feldschlacht schlagen kann, weil ihm die Kontrolle über die Gesellschaft entgleitet. Und dieses Ergebnis ist, ganz unabhängig davon, was Trump tut oder lässt, nicht mehr aus der Welt zu schaffen.
Jürgen Elsässer: “Junge Freiheit”-Chef deckt Luckes Verrat an der AfD
Jürgen Elsässer hat heute in einem offenen Brief nicht nur die Haltung des AfD-Vorsitzenden Lucke, sondern auch des ihm sekundierenden JF-Chefredakteurs Dieter Stein zur Frage von Sanktionen gegen Russland scharf kritisiert:
Sehr geehrter Herr Stein,
warum decken Sie den Verrat von Bernd Lucke und anderer AfD-Europaabgeordneter an dem friedenspolitischen Grundsatzbeschluss des letzten AfD-Bundesparteitages in Erfurt? Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass sich die erdrückende Mehrheit dieses Parteitages nach vielstündiger Debatte GEGEN Russland-Sanktionen ausgesprochen hat – und diese Mehrheit sich jetzt verraten fühlt durch Abgeordnete, die im Europaparlament zusammen mit CDU/CSU, SPD und Grünen FÜR Russland-Sanktionen abgestimmt haben? Wäre es nicht Aufgabe einer oppositionellen Zeitung, wofür die “Junge Freiheit” bis heute vielen gilt, die Liquidierung einer Oppositionspartei wie der AfD durch ihre eigene Führungsspitze kritisch zu kommentieren – anstatt diejenigen, die auf diesen Verrat aufmerksam gemacht haben, mit Hohn und Spott verächtlich zu machen?
(Auszug Stein) Es ist für mich einfach schleierhaft, weshalb sich die AfD kurz vor den Landtagswahlen in eine überflüssige, hysterische, schwachsinnige Debatte um den „Rußland-Kurs“ verwickeln läßt. (…) Insbesondere über Facebook formiert sich aber seit einigen Tagen ein sich hysterisch überschlagender und aus teilweise dubiosen Motiven gespeister Shitstorm, bei dem Fanatiker gar den Rücktritt des AfD-Chefs Lucke fordern, wenn nicht sofort, jetzt und gleich irgendwelche Korrekturen in der Haltung zu Rußland in der Ukrainefrage vorgenommen werden. Hauptverstärker und Schlüsselfigur bei diesem idiotischen Dauergebrüll ist Jürgen Elsässer, der übrigens selbst seit einiger Zeit AfD-Mitglied sein soll und sich als unabhängiger Kritiker aufspielt. (Auszug Stein Ende)
Finden Sie es förderlich für diese notwendige Diskussion, wenn Sie die vielen von Lucke jetzt enttäuschten AfD-Mitglieder als “Fanatiker” abqualifizieren, die eine “hysterische, schwachsinnige Debatte” führen und sich im “idiotischen Dauergebrüll” verlieren, nur weil sie fordern, dass Lucke nach diesem Vertrauensbruch zurücktreten muss?
Ich kann damit leben, dass Sie mich als “Hauptverstärker” dieses Proteststurmes sehen – tatsächlich sehe ich es als Aufgabe von COMPACT an, oppositionelle Stimmen für den Frieden, in der AfD wie in jeder anderen Partei, nach Kräften zu bündeln und zu befördern. Eine “Schlüsselfigur” kann ich aber schon deswegen nicht sein, weil ich – anders als Sie aus trüben Quellen fischend behaupten – kein AfD-Mitglied bin. Dass Sie mich im folgenden auch noch persönlich als “linksradikales Irrlicht” angreifen und auf meine Biographie anspielen, spricht Bände über die Schwäche Ihrer Sachargumente.
Leser von sowohl COMPACT wie Junge Freiheit haben sicher gemerkt, dass unsere Positionen in Bezug auf Ukraine/Russland weit auseinander gehen. Tatsächlich gehört COMPACT zur Fraktion der Putin-Versteher – wie die Altbundeskanzler Schmidt, Schröder und Kohl, wie Handelsblatt-Chef Gabor Steingart und der Unternehmer Wolfgang Grupp. Wir alle argumentieren im deutschen Interesse und nicht, wie Sie im Nachäffen der Mainstream-Propaganda unterstellen, aus “Servilität” gegenüber Russland.
Sehr geehrter Herr Stein, Europa befindet sich in diesem Sommer am Abgrund eines Krieges – die gefährlichste Situation seit der Kuba-Krise 1962, vielleicht sogar seit 1945. Warum Menschen, die wie Bernd Lucke und Sie einst als Kritiker der etablierten Politik angetreten sind, nun mit dem Berliner Establishment den Schulterschluss üben und mit der Forderung nach Sanktionen Öl in das Feuer gießen, das in der Ukraine lodert, verstehe ich nicht. Wollen Sie die JF, will Herr Lucke die AfD zum Beiboot der CDU/CSU machen? Welchen Sinn sollte das haben?
Weiterlesen bei “Junge Freiheit”-Chef deckt Luckes Verrat an der AfD | Elsässers Blog.
Die entscheidende Frage lautet:
Wollen Sie die JF, will Herr Lucke die AfD zum Beiboot der CDU/CSU machen?
Die korrekte Antwort lautet:
Ja.
Die Alternative für Deutschland ist alles, nur keine Alternative für Deutschland. Ihre Führung ist alles, nur keine Opposition. Selbst wenn sie diesen Anspruch erhöbe, wäre das Babyface von Bernd Lucke bereits ein überzeugendes Dementi.
Die AfD hatte aus der Sicht ihrer Führungsspitze nie einen anderen Sinn als den, das enorme Unzufriedenheitspotenzial in Deutschland in harmlosen Bahnen zu kanalisieren und zu neutralisieren. Ich sage dies mit Bedauern, weil ich weiß, dass sehr viele anständige und fähige Leute große Hoffnungen in diese Partei gesetzt haben und sich aus aufrichtigen patriotischen Beweggründen für sie aufreiben. Ich kann diese Menschen nur auffordern, sich ihrer politisch korrupten Parteiführung zu entledigen.
Ob die Verantwortlichen der Jungen Freiheit den Kurs der AfD aus lauterer Überzeugung, das heißt aus Mangel an politischem Urteilsvermögen unterstützen, kann ich nicht beurteilen. Es gilt aber in unseren gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen als offenes Geheimnis, dass die Aussicht, genauer: die bloß vermeintliche Chance auf gesellschaftliches Avancement, die Hoffnung auf Zugehörigkeit bzw. Rückkehr in den Kreis der politischen und gesellschaftlichen Eliten (und bestünde diese Rückkehr bloß in der gelegentlichen Teilnahme an einer so fragwürdigen Veranstaltung wie dem ARD-Presseclub) für die Verantwortlichen des Blattes ein starkes Motiv darstellt, eine eventuell vorhandene bessere politische Einsicht zu ignorieren.
Pussy Riot und die deutsche Ochlokratie
Alle deutschen Politiker und Medienschaffenden sind sich einig: Das Urteil gegen die Punkband „Pussy Riot“ sei „rechtsstaatswidrig“, „politisch motiviert“ und „Justizwillkür“, die „die Menschenrechte missachte“; Russland habe damit gezeigt, dass es weder ein Rechtsstaat noch eine Demokratie sei. Irgendwelchen Widerspruch gegen diese Diagnose kann man im Mainstream mit der Lupe suchen.
Medienkampagnen sind in Deutschland an der Tagesordnung, und oft genug haben sie eine erkennbare politische Funktion, wie etwa die Hetzkampagne gegen das syrische Regime, die offenkundig der propagandistischen Kriegsvorbereitung dient, oder die Kampagne „gegen Rechts“, die sich an den angeblichen NSU-Morden entzündet hat, und bei der all den „investigativen“ Journalisten nicht auffällt oder auffallen darf, dass die Nazimörderstory, die die Sicherheitsbehörden uns in diesem Zusammenhang auftischen, durch kaum einen greifbaren Beweis untermauert ist, dafür aber von Ungereimtheiten nur so strotzt.
Die Kampagne für „Pussy Riot“ ist dadurch bemerkenswert, dass ein unmittelbar politisches Motiv nicht erkennbar ist, und dass ein Journalist, der die Musikerinnen kritisieren oder Verständnis für das Urteil äußern würde, dadurch nicht die Grenzen der Political Correctness überschreiten oder seine Karriere riskieren würde. Die Selbstgleichschaltung der Medien im Falle „Pussy Riot“ geschieht offenbar aus Überzeugung und wirft gerade dadurch ein Licht auf die Art der Überzeugungen in den Köpfen jener Menschen, die den politisch-medialen Komplex bilden. Es handelt sich um einen jener Vorgänge, die blitzartig beleuchten, von welcher Art Menschen wir regiert und (des-)informiert werden, und man ist stets aufs Neue verblüfft, dass diesen Menschen offenbar nicht klar ist, was sie mit ihren Stellungnahmen über sich selbst aussagen.
Es ist ja nicht etwa so, dass die in den Medien ausschließlich verbreitete Meinung über die Vorgänge in Russland sich quasi von selbst verstünde, im Gegenteil: Es ist sogar ungewöhnlich schwierig, sie mit Argumenten zu stützen, und es bedarf daher eines ungewöhnlichen Maßes an Voreingenommenheit, ja Verbohrtheit, sie überhaupt vorzutragen. Gewiss gibt es in allen Lebensbereichen Menschen mit fragwürdigen Geistes- und Charaktergaben, wie eben zum Beispiel Voreingenommenheit und Verbohrtheit, und es gibt keinen Grund, warum es sie gerade in Politik und Medien nicht geben sollte. Dass sie aber alle dieselbe Art von Verbohrtheit an den Tag legen: Das ist das Aufschlussreiche!
Rechtsstaatwidrig? Die jungen Frauen haben gegen das russische Strafrecht verstoßen und wussten das. Zum Rechtsstaatsprinzip gehört, dass jede bekanntgewordene Straftat auch verfolgt werden muss. Sie im Einzelfall aus politischen oder sonstigen rechtsfremden Gründen nicht zu verfolgen: Das wäre rechtsstaatswidrig!
Unverhältnismäßig? Das Delikt, um das es geht, kann mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet werden; da kann man eine zweijährige Haftstrafe schlecht „unverhältnismäßig“ nennen.
Willkürlich? Was als „verhältnismäßig“ zu gelten hat und was nicht, ist auch eine Frage der jeweiligen Rechtskultur. Wäre die russische Justiz sonst für ihre Milde bekannt und hätte nur in diesem einen Fall eine Freiheitsstrafe verhängt, so könnte man vielleicht von politisch motivierter Willkür sprechen. Da die russische Justiz aber generell härtere Urteile verhängt als zum Beispiel die deutsche, kann von willkürlicher Härte kaum die Rede sein; eher schon muss man dem Gericht eine für russische Verhältnisse ungewöhnliche Milde bescheinigen. Der deutsche Staat dagegen hat sich eine nichtchristliche Staatsreligion zugelegt und setzt sie mit einer Härte und Willkür durch, die der irgendeines autoritären Regimes mindestens gleichkommt:
Ein Staat wie die BRD, die brutalste Schläger mit kleinen Bewährungsstrafen davonkommen lässt, dafür aber bloße Meinungsdelikte, etwa die Holocaustleugnung, also den bloßen Dissens mit der etablierten Geschichtsauffassung, mit mehrjährigen Gefängnisstrafen ahndet – ein solcher Staat muss sich aus solchen Gründen durchaus den Vorwurf gefallen lassen, aus politischen Motiven zu unverhältnismäßiger willkürlicher Härte zu greifen – der russische aber zumindest nicht wegen Pussy Riot.
Ja, darf es denn solche Rechtsnormen überhaupt geben? Muss es nicht erlaubt sein, jederzeit und überall Jedem, auch dem, der es nicht hören will, die eigene politische Meinung oder religiöse Doktrin ins Gesicht zu schreien?
Durchaus nicht. Es muss allenfalls im öffentlichen Raum erlaubt sein, etwa auf der Straße, im Internet oder im Parlament – und selbst dort unterliegt es vernünftigerweise Einschränkungen, nicht nur in Russland. Eine Kirche ist aber kein öffentlicher Raum in dem Sinne, das sie zu jedem Unfug benutzt werden dürfte, und die Menschen, die dort hingehen, tun es, um Gott nahe zu sein, nicht aber, um mit dem ordinären Gepöbel von schrillen Gören konfrontiert zu werden, die ihre Gruppe ausgerechnet „Votzenrandale“ nennen.
Dieselben deutschen Journalisten, die nun glauben, es gehöre zu den Menschenrechten, in einer Kathedrale „Die Kirche ist die Scheiße Gottes“ skandieren zu dürfen, konnten sich nur zähneknirschend zu dem Eingeständnis durchringen, dass es wohl – leider, leider – nicht verboten werden könne, auf der Straße Mohammedkarikaturen hochzuhalten, und würden lauthals nach dem Kadi rufen, wenn es Islamkritikern einfiele, dasselbe in einer Moschee zu tun. Und wenn etwa Mitglieder einer rechtsextremen Rockgruppe es wagen würden, in eine Synagoge einzudringen und dort antijüdische Parolen zu rufen, dann würde die Journaille eher über die Einführung der Todesstrafe als über die „Verhältnismäßigkeit“ einer Freiheitsstrafe diskutieren.
„Pussy Riot“ konnten nur dadurch zu Heldinnen der politisch-medialen Klasse werden, dass sie in einem christlichen Gotteshaus randalierten, dass sie das Christentum durch den Schmutz zogen, und dass die Betroffenen Christen und Russen, also Angehörige des Mehrheitsvolkes und der Mehrheitsreligion waren. Was die Votzenrandaliererinnen mit deutschen Meinungsmachern verbindet, ist der Hass auf Christen und das Christentum, der Hass auf das eigene Volk, die eigene Herkunft, die eigene Geschichte.
Identität und geschichtliche Verwurzelung des russischen Volkes werden ja durch nichts so sehr verkörpert wie durch die orthodoxe Kirche. Der Hass, der ihr und dem eigenen Volk gilt, ist der Hass des sich selbst absolut setzenden, des entwurzelten rücksichtlosen Ego auf jede Form von historischer wie sozialer Bindung und Einbindung. Es ist der Hass von Menschen, die kein Gestern, kein Morgen und kein Wir kennen, auf die Institution, deren schiere Existenz sie daran erinnert, dass sie seeliche Krüppel sind. Es ist der Hass von Menschen, die sich nur frei fühlen, wenn sie das, was ihnen unbegreiflich und unerreichbar ist, in jenen Schmutz ziehen dürfen, in dem sie selbst sich suhlen, weil sie ein Teil davon sind. Es ist der Hass des Hässlichen auf das Schöne, des Niedrigen auf das Erhabene, des Nichtigen auf das Ewige. Es ist der Hass des Asozialen auf den Anstand.
Gerade in der zur Schau getragenen Asozialität der jungen Frauen erkennt die westliche Meinungs-„Elite“ sich wieder, deren Mitglieder ihre eigene Unreife und missglückte Sozialisation notdürftig unter Nadelstreifen verstecken. Die Votzenrandale ist genau das, was sie selbst gerne praktizieren würden und auch tatsächlich praktizieren, nur dass sie es nötig haben, ihre ordinäre Destruktivität als „Liberalität“ zu bemänteln, während sie daran arbeiten, die Kloake in ihren Köpfen zuerst als Ideologie durchzusetzen und dann als Zustand der Gesellschaft zu verallgemeinern. Pussy Riot und die deutsche Medien-Ochlokratie sind Brüder und Schwestern im Geiste des Abschaums.