… doch einige sind gleicher

Als ich heute Nachmittag das Hallenbad verlassen wollte, kam mir viele sechs- bis siebenjährige Kinder, die zu ihrem Schwimmkurs wollten, mit ihren Müttern entgegen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der diese Mütter ihre kleinen Mädchen in die Herrenumkleide, die Herrentoilette und sogar die Herrendusche nicht nur schicken, sondern auch begleiten – nun, sie stört mich nicht wirklich.

Was mich stört, ist die Selbstverständlichkeit, mit der sie davon ausgehen, dass BESTIMMTE Leute die geltenden Spielregeln ignorieren dürfen und andere NICHT.

Oder bilde ich mir das ein, dass ein Besuch in der Damendusche zugleich mein letzter Schwimmbadbesuch wäre?

Morddrohungen

Der Staatsanwalt, der den  Hamburger „Ehrenmörder“ angeklagt und erfolgreich auf „Mord“ und „lebenslang“ plädiert hatte, bekommt jetzt Morddrohungen und steht unter Polizeischutz.

Es gilt als wahrscheinlich, dass die Drohungen von Familienangehörigen des Mörders ausgehen. Von Menschen, denen unsere Nation Schutz gewährt hat. Von Menschen, die sogar die deutsche Staatsangehörigkeit haben und deshalb nicht ausgewiesen werden können.

Der loyale Diener eines demokratischen Rechtsstaates muss um sein Leben fürchten, weil eben dieser Staat seinen Pass Jedem in die Tasche steckt, der bei „drei“ nicht auf dem Baum ist.

„Offroader“

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass ich kein Freund von Anglizismen bin. Englische Fremdwörter benutze ich nur, wenn sie wirklich sinnvoll oder unvermeidlich sind, oder um Dinge zu bezeichnen, die ich nicht ausstehen kann: „Appeasement“ zum Beispiel, oder „Failed States“, oder „Political Correctness“.

Oder „Offroader“.

Das ist die Art von Fahrzeugen, die man früher „Geländewagen“ nannte, heute aber unmöglich noch so nennen kann: Bei all diesen Cayennes, die mit Tempo 30 über den Ku’damm paradieren, gesteuert von wohlhabenden Blinden mit erschmiertem Führerschein, erkennt man bereits an der Pomade, die aus dem Auspuff tropft, dass sie die sichere Straße nie verlassen haben, und dass selbst diese Straße noch parfümiert gewesen sein muss.

Ich frage mich immer nur eines: Warum haben die Fahrer solcher Autos alle keine Freunde, die ihnen sagen, dass sie sich lächerlich machen?

„Europagegner“

Beim Übersetzen von Fjordmans Text „Deutschland und die Moslems“ ist mir wieder einmal aufgefallen, mit welcher Selbstverständlichkeit auch und gerade EU-Gegner aus einer europäischen Perspektive denken.

Vor hundert Jahren war Nationalismus noch eine Lehre, die vor allem dazu diente, sich vom Nachbarn abzugrenzen und ihn zu bekämpfen. Heute sind Nationalisten Leute, die die Nation und den Nationalstaat schlechthin erhalten wollen, die einander dabei grenzüberschreitend unterstützen, und die für die Probleme anderer europäischer Völker eine Sensibilität aufbringen, die den Ideologen der EU schon deshalb fremd bleiben muss, weil die nicht einmal die Probleme ihrer eigenen Völker begreifen.

Ich konzediere gerne, dass fünfzig Jahre europäischer Zusammenarbeit ihren Teil dazu beigetragen haben, den Nationalismus zu entgiften und den europäischen Krieg fast schon aus dem Bereich des Vorstellbaren zu verbannen.

Auf das entsprechende Zugeständnis der veröffentlichten Meinung, dass EU-Gegner keine „Europagegner“ sind, werden wir wohl bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten dürfen. Mit diesem Zugeständnis fiele nämlich die Säule der EU-Ideologie, wonach die Zustimmung zur Auflösung des europäischen Nationalstaates das Kennzeichen wahrer Loyalität zu Europa sei.

Europa wird an dem Tage gerettet sein, an dem das Wort „Europagegner“, gemünzt auf Menschen, die die europäische Kultur zu erhalten suchen, auf den zurückfällt, der es ausspricht.

Was der Deutschlandfunk aus der Geschichte lernt

Als es in den fünfziger Jahren darum ging, ob das Deutschlandlied wieder als Nationalhymne eingeführt werden sollte, lautete eines der wichtigsten Gegenargumente, dass man dieses Lied gar nicht mehr hören könne, ohne am Ende das Horst-Wessel-Lied („SA marschiert“) zu erwarten. Das hatten die Nazis nämlich drangehängt, damit die Gedankenverbindung „Deutschland-NS“ auch jedem Volksgenossen ins Gehirn gebrannt wurde. Offenbar hatte die Gehirnwäsche langanhaltendem Erfolg.

Später war es beim Deutschlandfunk jahrelang guter (und für einen Sender dieses Namens auch angemessener) Brauch, am Ende jedes Tages das Deutschlandlied zu spielen. Seit ungefähr zwei Jahren wird die Europahymne drangehängt.

Wo sie diese Idee nur herhatten?

Die peinliche Pole Position

Eine weltweit durchgeführte BBC-Umfrage hat ergeben, dass unser Land das beliebteste des Planeten ist. Bevor jetzt alle vor Rührung dahinschmelzen – „Wie edel müssen wir doch sein, dass man uns so liebt“ – sollten wir uns fragen, wie wir eigentlich zu dieser Ehre kommen? Das erschließt sich, wenn man sieht, dass ausgerechnet Israel kaum irgendwo sonst so unbeliebt ist wie hier.

Eine Nation wie die deutsche, die offenbar kein Verständnis dafür aufbringt, dass eine hochgradig gefährdete kleine Demokratie sich verteidigen muss, dürfte damit weltweit im Trend liegen. In einem Trend, der gegen die Freiheit, gegen die Demokratie, gegen den Westen läuft.

Eine Nation, die täglich aufs Neue deutlich macht, dass sie keine Opfer für die Verteidigung der eigenen Freiheit, der eigenen Demokratie, der eigenen Unabhängigkeit bringen wird, dafür jederzeit versuchen wird, ihren Feinden entgegenzukommen, und dies um jeden Preis – an Geld, an Freiheit, an Stolz -, eine solche Nation ist beliebt. Sie sollte sich nur nichts darauf einbilden.

Diese Beliebtheit ähnelt nämlich fatal der einer Nutte, die sich nicht nur für Jeden hinlegt, sondern auch noch dafür bezahlt.

TU ES PETRUS!

Warum Papst Benedikt XVI. im Recht ist, wenn er die öffentliche Empörung ignoriert und die Piusbrüder, einschließlich des Bischofs Williamson, in die katholische Kirche zurückholt.

Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI.

„Tu es Petrus
et super hanc petram
aedificabo ecclesiam meam“ (Mt 16, 18b-19)

Wenn es etwas gibt, das den Papst mit dem Fußball-Bundestrainer verbindet, so ist es die Vielzahl der heimlichen Kollegen, die so viel besser wissen, wer in die rechte Innenverteidigung respektive auf einen Bischofsstuhl gehört, und wer aus dem Kader fliegen beziehungsweise exkommuniziert werden sollte.

Die Aufgabe des Papstes ist dabei um einiges schwerer als die des Bundestrainers:

Nicht nur, weil die Schar der verhinderten Bundestrainer mit einigen Millionen doch überschaubar ist, die der verhinderten Päpste mit einigen Milliarden aber nicht. Sondern vor allem, weil die verhinderten Bundestrainer in der Mehrzahl wenigstens noch irgendeinen Bezug zum Fußball haben, und sei es den Bezug dessen, der im Unterhemd mit der Bierflasche in der Hand vor dem Fernseher sitzt und grölt: „Lauf schon, fauler Sack!“ Was ja oft genug eine treffende Analyse ist.

Diejenigen aber, die so genau wissen, was der Papst tun oder lassen sollte, würden sich in aller Regel den päpstlichen Segen nicht einmal am Fernseher spenden lassen, geschweige denn an einem katholischen Gottesdienst teilnehmen. Offensichtlich ist niemand besser qualifiziert, über die katholische Kirche zu schwadronieren, als Protestanten, Atheisten, Moslems, und Juden. Ganz zu schweigen von den Anhängern des Jesusmosesmohammedbuddhabaghwan-Synkretismus, der sich auch unter Protestanten, Atheisten und Juden, wahrscheinlich auch unter katholischen Laien, wachsenden Zulaufs erfreut – unter Moslems allerdings eher nicht.

Und so hält es auch niemand für erforderlich zu referieren, warum die Kirche es für notwendig hält, die Piusbrüder und Lefèbvre-Anhänger, die bekanntlich das Zweite Vatikanum ablehnen, wieder einzufangen. Womöglich bedeutet es, dass Benedikt die Ergebnisse des Konzils beerdigen will.

Na, und wenn?

Wie immer man zu den inhaltlichen Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils steht: Der Eindruck, den das Konzil langfristig hinterließ, war der, dass Glaubenswahrheiten Gegenstand mehr oder minder demokratischer Abstimmungsprozesse sein könnten. Ließe die Kirche diesen Eindruck unwidersprochen stehen, so würde sie ihre Existenzberechtigung verlieren.

Die Sorte Christentum, wo theologische Standpunkte politisch ausgehandelt werden, die gibt es bereits: Sie heißt Protestantismus und besteht zur Zeit aus circa dreißigtausend Denominationen. Bei dem Tempo, mit dem die Sektiererei dort voranschreitet, hat Benedikt XVI. gute Chancen, die Gründung der einhunderttausendsten evangelischen Kirche noch selbst zu erleben und ihrem Gründer eine handsignierte Jubiläumsbibel zu überreichen.

Allerdings sorgt bereits die schiere Existenz der katholischen Kirche als der Kirche dafür, dass auch weiterhin die Protestanten darauf angewiesen sind, von der katholischen Kirche wenigstens als christlich, wenn auch nicht als Kirche anerkannt zu werden, umgekehrt aber nicht. Die katholische Kirche hat zwar nicht das Monopol zu definieren, was christlich, wohl aber, was nicht christlich ist. Ihre Existenz stellt sicher, dass nicht jede Schnapsidee synkretistischer Weltumarmer unter den evangelischen Theologen die Chance bekommt, offizielle Theologie zu werden.

Woher aber nimmt die Kirche diese scheinbar magische Fähigkeit, ihre Autorität sogar ihren protestantischen Gegnern aufzuzwingen? Eben aus ihrem Selbstverständnis, Glaubenswahrheiten als Wahrheiten zu behandeln, über die sich nicht abstimmen lässt. Mit diesem Verständnis, Kirche nicht vom – subjektiven und veränderlichen – Glauben her zu denken, sondern von einer überzeitlichen, ewigen Wahrheit her, steht und fällt die Kirche.

Es wäre für das Christentum insgesamt, einschließlich des Protestantismus, eine Katastrophe, wenn die römische Kirche sich ein protestantisches Selbstverständnis zulegte. Ein langes Leben hätte es dann nicht mehr, weil mit dem Katholizismus in seiner hergebrachten Form jenes Gegengewicht wegfiele, das bisher verhindert hat, dass die Christenheit zu einem konturlosen Brei zerfließt, in dem das „Anything goes“ gilt.

Das Konzil hat dieses katholische Selbstverständnis aber nach zwei Seiten hin in Frage gestellt:

Der liberalen Öffentlichkeit wurde suggeriert, die Kirche sei ab jetzt eine Organisation, die sich der Welt in dem Sinne öffne, dass von nun an ihre Botschaft manipuliert werden dürfe, und zwar nach außertheologischen Kriterien: vom Feelgood-Faktor für die Gläubigen über die „Toleranz“ im Sinne einer Akzeptanz der Legitimität von allem und jedem, bis hin zur Ökumene, zum jüdisch-christlichen Dialog und zum „Dialog mit dem Islam“. Es ist eine Sache, dergleichen zu befürworten, und eine völlig andere, die theologische Integrität des Katholizismus hinter all dem unter „Ferner liefen“ einzuordnen.

Genau dies, nämlich das Recht, der Kirche eine Agenda aufzuzwingen, fordern die politisch-medialen Meinungseliten mit wachsender Selbstverständlichkeit für sich ein, und wahrscheinlich sind sie ganz aufrichtig verblüfft darüber, dass die Kirche sich nicht darauf einlässt – sofern sie es nicht als Bestätigung ihrer Vorurteile auffassen.

Mit ihrer Masche, päpstliche Entscheidungen zu skandalisieren, und sich auf ihren Begründungszusammenhang nicht einmal so weit einzulassen, dass sie ihn kompetent kritisieren könnten, entlarven sich die Träger der veröffentlichten Meinung wieder einmal als die Ideologieproduzenten, die sie sind. (Und es macht – um auch dies zu erwähnen – die Dinge nicht besser, wenn der eine oder andere verblendete Kardinal meint, genau dieser veröffentlichten Meinung hinterherlaufen und ins selbe Horn stoßen zu müssen.)

Wie ich schon im Zusammenhang mit der Sprache des Kindergartens ausgeführt habe, ist – wenn nicht die Absicht, so doch in jedem Fall – das Ergebnis, dass dem Medienkonsumenten die entscheidenden Fragen vorenthalten werden. So wie der Gazakrieg auf eine Art behandelt wurde, als würden dort uneinsichtige Kinder miteinander raufen, so wird im Zusammenhang mit der Re-Integration der Piusbruderschaft der Papst – nicht weniger als einer der brillantesten Köpfe des Abendlandes – als starrsinniger alter Knacker abgestempelt, der mit den Piusbrüdern bloß seinesgleichen in der Kirche haben wolle.

Ich habe oben gesagt, das Konzil habe nach zwei Seiten hin falsche Signale gesandt: einmal zur liberalen Öffentlichkeit, zum anderen zu den konservativen Katholiken, die, und zwar völlig zu Recht, der Auffassung sind, eine katholische Kirche, die sich nicht als Hüterin des ewig Wahren verstehe, sei keine Kirche im katholischen Sinne mehr. Die Lefèbvre-Anhänger waren die gefährlichste Häresie, mit der es die Kirche in jüngerer Zeit zu tun bekommen hat. Wenn die atheistischen oder agnostischen Redakteure von Hamburger Wochenzeitungen glauben, die Kirche habe sich mit dem Konzil verpflichtet, dem Zeitgeist zu huldigen, dann kann die Kirche das ignorieren.

Eine Opposition von rechts dagegen, die plausibel machen könnte, dass die Kirche dies tatsächlich tue und damit ihren Auftrag verrate, und die damit den Wahrheitsanspruch der Kirche im Kern anfechten kann, ist eine tödliche Bedrohung. Nicht für die Kirche als Organisation (einen Verein mit einer Milliarde Mitgliedern kriegt man nicht so schnell kaputt), wohl aber für die Strahlkraft und Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft.

Deswegen – und nicht wegen irgendwelcher reaktionären Anwandlungen der Kurie! – musste man die Piusbrüder wieder einfangen!

(Natürlich gehören in diesen Zusammenhang auch solche Maßnahmen wie die Aufwertung der lateinischen Messe, das in neuer Form wieder eingeführte Gebet für die Bekehrung der Juden und die schroffe Ansage, die protestantischen Kirchen seien „keine Kirchen im eigentlichen Sinne des Wortes“: Das ist nicht Arroganz, das ist die ehrliche Feststellung, dass man zwei grundsätzlich einander entgegengesetzte Begriffe von „Kirche“ nicht mit ein und demselben Wort belegen darf.)

Unserer ideologisch konditionierten Öffentlichkeit kommt es natürlich nicht in den Sinn, dass die theologische Integrität des Christentums wichtiger sein könnte als die Ausgrenzung dieses oder jenes Holocaustleugners.

Ebenso, wie es ihr auch nicht in den Sinn kommt, dass Ausgrenzung, Ächtung, Exkommunikation von Antisemiten kein Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus sind. Eine Gesellschaft, in deren religiösem wie politischem Selbstverständnis der Antisemitismus seit Jahrhunderten eingebrannt ist (Ich verweise auf meine Artikel „Noch ein paar Gedanken zu: Christentum, ‚Islamophobie‘, Antisemitismus“ und „Deutsche und Nazis“), die möchte sich das natürlich gerne ersparen, sich mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen. Gottlob gibt es die Williamsons und Hohmanns, von denen man sich in einer Art von kollektivem Exorzismus distanzieren kann. Was ist leichter, als sich der eigenen moralischen Vortrefflichkeit dadurch zu versichern, dass man den Antisemitismus in der Gestalt irgendwelcher Holocaustleugner dingfest macht und ihn dadurch entsorgt, dass man diese ausgrenzt? Bis zum nächsten Skandal.

Einer der alten Kirchenväter schrieb: „Christus hat sich die Wahrheit genannt, nicht die Gewohnheit!“. Man möchte paraphrasieren: Er hat sich die Wahrheit genannt, nicht die Political Correctness!

Antisemitismus und totalitäre Ideologie

Ich glaube, man macht sich zu wenig bewusst, dass Toleranz eine höchst unwahrscheinliche zivilisatorische Errungenschaft ist. Sie setzt schließlich nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit voraus, sich vorzustellen, dass der Andersdenkende oder Andersgläubige im Recht sein könnte. Eine solche Reflexionsleistung ist dem Menschen so wenig angeboren wie die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben, und sie gehört auch nicht zu der Sorte Kulturleistungen, die man von einem gewissen Entwicklungsniveau an als selbstverständlich unterstellen kann.

Es ist bemerkenswert und bezeichnend, dass die drei totalitären Strömungen unserer Zeit, nämlich der Linksextremismus, der Neonazismus und der politische Islam bei allen sonstigen Unterschieden dasselbe Feindbild „Jude“ pflegen, und wenn auch die Neonazis es rassistisch, die Islamisten religiös und die Linken politisch (Israel) begründen, so handelt es sich dabei erkennbar bloß um unterschiedliche ideologische Rationalisierungen ein und desselben elementaren Hasses.

Ich behaupte, dass dieser Hass genau der Errungenschaft gilt, die den Kern unserer westlichen Zivilisation ausmacht: der Toleranz; der Fähigkeit zur Selbstkritik; der Bereitschaft, sich selbst mit den Augen des Anderen zu sehen. Und diese Errungenschaft wird von ihren Feinden völlig zu Recht als die große zentrale Leistung des Judentums angesehen.

Wenn es nämlich ein Thema gibt, das wie ein roter Faden das gesamte Alte Testament durchzieht, dann ist es die Selbstkritik, ja Selbstanklage des Volkes Israel, den moralischen Ansprüchen Gottes nicht gerecht geworden zu sein. Der stets scheiternde und stets zu erneuernde Versuch, sich selbst mit den Augen Gottes zu sehen und Seinen Maßstäben gerecht zu werden ist elementarer Bestandteil jüdischer Ethik. Es ist dieselbe Ethik, die, vermittelt durch das Christentum, zur Grundlage der westlichen Gesellschaften wurde. Wenn wir Toleranz heute als eine Tugend ansehen, so ist diese Ethik der Grund dafür.

Wenn wir zudem in westlichen Gesellschaften das menschliche Leben als etwas Heiliges ansehen, als etwas, das unter keinen Umständen zum bloßen Mittel für etwas angeblich Höheres herabgewürdigt werden darf, so drückt sich darin die fortdauernde Wirkung des Verbots des Menschenopfers aus, und auch dieses Verbot ist eine genuin jüdische Errungenschaft, die vom Christentum übernommen wurde.

Für totalitäre Bewegungen ist beides – die Toleranz und die Heiligkeit des Lebens – ein rotes Tuch. Totalitäre Ideologie beruht ja gerade darauf, sich selbst absolut zu setzen und der angeblich so erhabenen „Sache“ notfalls auch Millionen von Menschen zu opfern. Totalitäre Ideologien sind heidnische Kulte, die man als solche gerade daran erkennt, dass sie das Menschenopfer zum Ideal erheben, und die deswegen im Judentum instinktiv ihren Feind sehen. Der Hass, der den Juden gilt, und der Hass, der der freiheitlichen, individualistischen Gesellschaft des Westens gilt, ist ein und dasselbe.

Nun wird mancher, vor allem wenn er sonst diesen Blog nicht liest, fragen, was denn der Islam in diesem Zusammenhang zu suchen hat. Hat denn nicht der Islam in derselben Weise wie das Christentum die Grundwerte der jüdischen Ethik in sich aufgenommen? Und muss man nicht deswegen ganz scharf trennen zwischen der ehrwürdigen Weltreligion „Islam“ und ihrem totalitären Zerrbild „Islamismus“?

Die Antwort lautet:

Nein.

Der Islam hat vieles aus dem Judentum übernommen – um das böse Wort „abgekupfert“ zu vermeiden. Das Ethos der Selbstkritik aber und das Ethos der Heiligkeit des Lebens – das hat der Prophet Mohammed nicht nur nicht übernommen: Er hat es vielmehr explizit abgelehnt und den Juden einen Strick daraus gedreht, dass sie dieses Ethos überhaupt haben. Der Koran wertet die alttestamentlichen Selbstanklagen des jüdischen Volkes nämlich als Beweise für dessen Minderwertigkeit und hebt ausdrücklich und im Kontrast dazu hervor, die Muslime seien „die beste Gemeinschaft, die je für Menschen erstand“. Dass Juden das Leben heiligen – und auch am Leben hängen – wird im Koran explizit als Beweis gewertet, dass sie ob ihrer moralischen Verdorbenheit das Strafgericht Allahs zu fürchten hätten. Und dass der Kampf und das Töten und das Sterben für Allah – mit einem Wort: das Menschenopfer – die höchsten Ziele eines erfüllten muslimischen Lebens sind: Das wird dutzendfach wiederholt, und dies nicht nur im Koran selbst, sondern auch in der Prophetenüberlieferung. [Wer es genauer wissen möchte, dem empfehle ich die Themenanalyse über den medinensischen Koran, Kap. III.2 von „Das Dschihadsystem“. M., 20.01.2011]

Wir brauchen uns also nicht zu wundern, wenn Neonazis, Moslems und Linke gleichermaßen dem Antisemitismus frönen und dabei bemerkenswert wenig Berührungsängste einander gegenüber zeigen – so wenig, wie wir uns über den Hitler-Stalin-Pakt wundern müssen. Die Ideologie der totalitären Menschenverachtung ist ihnen gemeinsam; höchstens die Akzente werden unterschiedlich gesetzt.

Ähnlich argumentieren Hans-Peter Raddatz und Gunnar Heinsohn.

Nicht gerade elegant geschrieben und daher schwer verdaulich, dennoch lesenswert:

Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus. Buchcover
Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus.


Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden


Leider nur noch antiquarisch zu bekommen, wenn überhaupt:

Gunnar Heinsohn: Warum Auschwitz? Hitlers Plan und die Ratlosigkeit der Nachwelt.

Wir werden dekonstruiert

„… die Mehrheit so gründlich dekonstruieren, dass sie nie wieder die Mehrheit genannt werden kann.“

So umschreibt der norwegische Sozialanthropologe Thomas Hylland Eriksen eines der Hauptziele seiner Forschungen. Mit „Mehrheit“ ist die ethnische Mehrheit gemeint, also die gebürtigen Norweger, der Logik nach auch die anderen westlichen Nationen.

Dieser Satz ist genau so aggressiv gemeint, wie er klingt. Nicht nur, weil man sich unter „deconstruction“ unwillkürlich das da vorstellt:

Dekonstruktion: Abriss, Zerstörung, Vernichtung

Sondern auch, weil kein auch nur halbwegs sensibler Leser den Unterton überhören kann, der aus den Formulierungen  „nie wieder“ und „so gründlich“ spricht.

(„So gründlich haben wir geschrubbt/mit Stalins hartem Besen/dass rot verschrammt der Hintern ist, der vorher braun gewesen.“ Wolf Biermann 1973 über die DDR)

Wenn Eriksen zudem davon spricht, „die Mehrheit (zu) … dekonstruieren“ (und nicht etwa „den Begriff ‚Mehrheit’“), so ist dies mindestens eine Freudsche Fehlleistung, die seine Absichten zur Kenntlichkeit entstellt. (Offiziell kann es nämlich nur um die Dekonstruktion von Begriffen gehen – ich komme weiter unten darauf zurück).

Nicht einmal Unterton, sondern Inhalt dieses Satzes ist zudem, dass es nicht darum geht zu erklären, wie etwas ist, sondern zu beeinflussen wie es „genannt werden kann“ und – denn dies ist die Konsequenz – wie es nicht genannt werden kann. Also nicht wahre Aussagen über die Wirklichkeit zu treffen (für den Normalbürger immer noch der Sinn von Wissenschaft), sondern zu bestimmen, welche Aussagen überhaupt getroffen werden können. Das Wort „Norweger“ als Bezeichnung eines Volkes oder einer Nation wird dann auf dem Index stehen.

Der Eingangssatz enthält also nicht mehr und nicht weniger das Eingeständnis, dass Eriksen nicht Wissenschaft betreibt, sondern Ideologieproduktion, und der Zweck dieser Ideologie ist die Abschaffung der europäischen Nationen.

Fjordman, dem ich den Hinweis auf dieses Zitat verdanke (seinen Artikel „On Deconstructing the Majority“ habe ich übersetzt; Ihr findet die Übersetzung hier), hat es denn auch zu Recht genau so aufgefasst und es von vornherein als politisches Programm behandelt. Was dabei für meinen Geschmack zu kurz kommt, ist die wissenschaftskritische Analyse. Denn das politische Programm tritt ja keineswegs als solches in Erscheinung, es müsste sich sonst ja demokratischen Verfahren unterziehen. Es kleidet sich in ein scheinbar wissenschaftliches Gewand, und seine Verfechter spekulieren auf die Naivität einer Gesellschaft, deren Vertrauen in die Wissenschaft identisch ist mit dem Vertrauen in das Funktionieren eines Systems, das nach ganz bestimmten Regeln zu funktionieren scheint, die darauf ausgerichtet sind, (vorläufig) wahre Aussagen hervorzubringen, indem sie unwahre systematisch eliminieren.

Was die Multikulturalisten dem Publikum verschweigen, ist, dass sie diese Regeln klammheimlich durch andere ersetzt haben. Sie nehmen die Autorität einer Wissenschaft in Anspruch, die sie längst zerstört, oder, um es in ihren Worten zu sagen, „dekonstruiert“ haben.

Wenn in sozial- oder geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen von „Dekonstruktion“ die Rede ist, so ist damit die Dekonstruktion von Begriffen und Aussagesystemen gemeint.

Das logische Komplement zur „Dekonstruktion“ ist die „Konstruktion“ (von Weltbildern). Das postmoderne Denken zieht den Begriff der “Konstruktion” dem der “Interpretation” von Wirklichkeit vor. Eine solche Wortwahl – die natürlich ihrerseits auf einer Konstruktion basiert -, hebt das aktive, das subjektive Element des Interpretierens hervor: Solange ich von einer “Interpretation” spreche, bleibt die äußere Wirklichkeit etwas, das der Einzelne als Gegebenheit vorfindet, und zu dem er sich zu verhalten hat. Der Begriff der “Konstruktion” dagegen enthält ein aktivistisches Moment, legt er doch das Bild eines Menschen nahe, der planmäßig ein (Gedanken-)Gebäude errichtet und die äußere Wirklichkeit dabei gleichsam nur als Steinbruch nutzt, aus dem er mehr oder minder willkürlich die Brocken herausschlägt, die zu seinem Bauplan passen.

So gesehen, ist es keineswegs sicher, dass es so etwas wie „Norweger“ oder eine „norwegische Nation“ gibt. Es handelt sich dabei aus Eriksens Sicht um bloß eine von unendlich vielen denkbaren Konstruktionen. Ebenso wie man Norweger – oder Muslime oder Asiaten – zu einer Gruppe zusammenfassen kann, so der Gedankengang, kann man auch alle Küstenbewohner, alle Einwohner von Trondheim oder alle Kegelbrüder zu Gruppen zusammenfassen. Die „norwegische Nation“ ist in einem solchen Weltbild nicht mehr als ein konstruierter Begriff, den man nur zu „dekonstruieren“ braucht, um das Gemeinte zum Verschwinden zu bringen.

Man kann dieser konstruktivistischen Perspektive durchaus einiges abgewinnen: Vor allem schärft sie das Bewusstsein dafür, dass das, was wir als “Wirklichkeit” im Kopf haben, bestenfalls ein höchst unvollkommener Nachbau, in jedem Fall aber deutlich weniger komplex ist als das, was “wirklich” “wirklich” ist.

Auf der Hand liegt aber, dass mit einer solchen Perspektive auch eine Gefahr verbunden ist, zumal wenn sie in äußerst vergröberter Form popularisiert wird. Buchtitel wie “Die erfundene Wirklichkeit” (ein im Übrigen hervorragendes Buch von Paul Watzlawick) schreien geradezu danach, missverstanden zu werden. So, als wären alle Konstruktionen von Wirklichkeit gleichermaßen gut und legitim. Verhielte es sich so, so wären die Begriffe “wahr” und “unwahr” bedeutungslos. Mit einem solchen “Anything goes” wäre jeder Wissenschaft – einschließlich des Konstruktivismus selbst – die Grundlage entzogen, weil es voraussetzt, dass die Falsifizierbarkeit von Aussagen kein Kriterium für ihre Wissenschaftlichkeit ist. Was nichts anderes bedeutet, als dass jede beliebige Aussage, jeder beliebige Begriff mit dem Anspruch auf „Wissenschaftlichkeit“ entwickelt werden kann, und dass „Wissenschaft“ tatsächlich darin bestünde, von ihr selbst „erfundene Wirklichkeit“ zu beschreiben.

Diese „Erkenntnistheorie“ ist eine primitive, ja vulgäre Entstellung des eigentlichen Konstruktivismus. Im Grunde läuft sie auf ein „Wünsch‘ Dir was“ hinaus, dessen Albernheit jedes Kind durchschauen könnte:

Stellen wir uns einen Moment vor, Professor Eriksen würde in die Hände von Kannibalen fallen. Stellen wir uns des weiteren vor – man wird ja noch träumen dürfen -, sie würden ihn in einen Kochtopf stecken. Was würde er tun?

Richtig: er würde anfangen, den Kannibalismus zu „dekonstruieren“. Etwa so: „Kannibalismus ist eine bloße Konstruktion der westlichen Welt, mit deren Hilfe Europäer sich gegen die scheinbar ‚Wilden‘ indigenen Völker abgrenzten, um den europäischen Imperialismus …“ Spätestens an diesem Punkt wäre der Professor

gar.

Es ist wichtig, sich die Primitivität und Dummheit der Prämissen bewusst zu machen, auf der diese Art von „Wissenschaft“ basiert, weil ihre Verfechter nicht selten mit dem Gestus überlegener Einsicht auftreten, wenn sie das Weltbild des Normalbürgers, der altmodischerweise an solche Dinge wie die Existenz von Nationen glaubt, vom hohen Ross herab „dekonstruieren“.

Leider gibt es gar nicht so wenige Menschen, die akademisch hinreichend vorbelastet sind, mit solchen Wortungetümen wie „Wirklichkeitskonstruktion“ zu jonglieren, dann aber doch nicht so bewandert zu durchschauen, dass die Schlussfolgerungen, die daraus abgeleitet werden – z.B.: „Nation“ ist eine Konstruktion, also existiert sie nicht – Produkte eines Kartells von Ideologen sind, die sich gegenseitig ein Weltbild bestätigen, in dem die Wirklichkeit nicht vorkommt, es sei denn als Objekt der Manipulation.

Zwei grundlegende Denkfehler – oder auch ideologisch motivierte Manipulationen – liegen dem Irrtum – oder auch der Lüge – zugrunde, Nationen seien „erfundene“ Wirklichkeiten:

Erstens die Verwechslung einer Gruppe mit den Personen, aus denen sie besteht. Zweitens der Fehlschluss, aus der zutreffenden Prämisse, Nationen seien gedachte Einheiten, auf die falsche Konsequenz, deswegen seien sie bloße Illusionen.

Ad 1: Wenn ich eine Aussage treffe wie „Die Norweger haben Ölquellen“, dann ist dieser Satz falsch, sofern mit „die Norweger“ eine Personengesamtheit gemeint sein soll, denn offensichtlich besitzen die meisten Norweger keine Ölquellen (auch nicht als Aktionäre oder dergleichen). Richtig ist er nur, sofern ich „die Norweger“ als eine Gruppe auffasse, die als solche etwas qualitativ anderes ist als bloß das Aggregat ihrer Mitglieder.

Wer diesen Unterschied in seiner Theoriebildung nicht reflektiert, und Eriksen reflektiert ihn nicht, kann für sich nicht in Anspruch nehmen, ein seriöser Sozial- oder Kulturwissenschaftler zu sein. Freilich ist es ihm dann umso leichter, Menschen willkürlich in Gruppen einzuteilen und nicht einzusehen, warum die Personengesamtheit der „Norweger“ in irgendeiner Weise anders sein soll als die der „Brillenträger“, „Thrillerleser“, „Einwohner von Trondheim“ oder ähnlichen „Gruppen“, die nach rein objektiven Kriterien definiert werden.

Ad 2: Was aber ist nun der Unterschied zwischen einer Gruppe wie etwa „Norweger“ und einer solchen Personengesamtheit wie „Träger der Blutgruppe A“? Der Unterschied ist, dass das eine ein soziales System ist und das andere nicht.

„Soziales System“ bedeutet, dass zwischen den Mitgliedern wechselseitige Erwartungen bestehen – Solidaritätserwartungen zum Beispiel, oder auch die wechselseitige Unterstellung ähnlicher verhaltensleitender Werte und Normen -, und dass jeder Einzelne sein eigenes Verhalten nach diesen Erwartungen richtet. Zwischen Brillenträgern, Thrillerlesern oder Trägern der Blutgruppe A bestehen solche Erwartungen nicht, deswegen konstituieren kein soziales System.

In meinem Aufsatz „Tote Hosen“ habe ich ausführlich dargelegt und begründet, dass und warum menschliche Gesellschaft auf der Existenz einander ausschließender Solidargemeinschaften beruht. Das müssen nicht Nationen im modernen Sinne sein – Stämme oder Clans tun es notfalls auch, und selbst Religionsgemeinschaften können solche Gemeinschaften bilden, wie der Islam uns täglich aufs Neue beweist.

(Diesen Sachverhalt kann man freilich nicht wahrnehmen, wenn man auf die Frage <„Sie sagten einmal, sie wollten erforschen, was die menschliche Gesellschaft zusammenhält?“antwortet „Ja, ich habe oft gesagt, dass wir uns in Hunderten von Jahren (jedenfalls in der Sozialanthropologie) auf Unterschiede konzentriert haben und die Fähigkeit verloren haben, über Ähnlichkeiten zu sprechen und darüber, was den Menschen gemeinsam ist.“

Wer so argumentiert, sieht in der Existenz von Solidargemeinschaften nicht etwa die Grundlage menschlichen Zusammenlebens, sondern ein zu überwindendes Problem, weil dadurch „Unterschiede“ erzeugt werden.

Solidargemeinschaften sind zu zerstören, aber nicht etwa deshalb, weil der Professor eine überlegene Theorie darüber hätte, „was die menschliche Gesellschaft zusammenhält“ – seine Antwort ist symptomatisch für die Plattheit, Infantilität und geistige Armut seiner Überlegungen -, und auch nicht weil er wenigstens imstande wäre zu widerlegen, dass es zwischen Gesellschaft und Solidarität, zwischen Solidarität nach innen und Abgrenzung nach außen einen notwendigen Zusammenhang gibt, den man nicht zerstören kann, ohne die Fundamente menschlichen Zusammenlebens zu untergraben. Sondern einfach, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.)

Man kann aber solche Gemeinschaften nicht willkürlich gründen – man kann sie höchstens willkürlich zerstören – weil sie zirkulär strukturiert sind:

Ich verhalte mich solidarisch, weil ich erwarte, dass die meisten anderen Gruppenmitglieder es auch tun, bestärke mit diesem Verhalten aber zugleich dieselbe Erwartung bei allen Anderen. D.h. ich verhalte mich solidarisch, weil ich die Existenz einer Solidargemeinschaft unterstelle – in politischen Zusammenhängen also die einer Nation -, und die Solidargemeinschaft existiert, weil ihre Mitglieder sich solidarisch verhalten.

Die Nation (wie jede andere Gruppe) verwandelt sich in dem Moment von einer Fiktion in eine Realität, wo die allgemein geteilte Unterstellung ihrer Existenz soziale Handlungen motiviert und strukturiert: Handlungen, die sich der wissenschaftlichen Erklärung entziehen würden, wenn man die ihnen zugrundeliegende Idee der Nation als bloße „Konstruktion“ behandelt (sofern mit „Konstruktion“ gemeint sein soll, dass es zu ihr kein empirisches Äquivalent gebe).

„Konstruktionen“ sind Realitäten! Und zwar gehören sie, wenn sie massenhaft geteilt werden, zu genau denjenigen Realitäten, deren Erklärung zu den zentralen Gegenständen sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung gehört. Wer diese Realitäten im Wege der „Dekonstruktion“ zum Verschwinden bringen will, betreibt keine Wissenschaft, sondern verfolgt ein politisches Programm, das auf nicht weniger abzielt als darauf, die Gesellschaft zur Übernahme einer bestimmten Ideologie zu nötigen. Man nennt dergleichen auch:

Gehirnwäsche.

Mehr noch: Es sollte auf der Hand liegen, dass man die zirkulären Wechselwirkungen, auf denen Solidargemeinschaften basieren, nicht willkürlich erzeugen kann, jedenfalls nicht im gesellschaftlichen Maßstab, weil ein solches Unterfangen dem Versuch gliche, sich an den eigenen Haaren aus dem Wasser zu ziehen. Wenn man eine existierende Solidargemeinschaft allerdings „dekonstruiert“, d.h. zur Illusion erklärt, dann kann man sie damit zerstören.

Zerstört wird damit eine Struktur, auf deren Existenz die menschliche Gesellschaft angewiesen ist. Die mutwillige Dekonstruktion von Begriffen führt hier zur Destruktion dessen, wofür sie stehen, und zur Destrukturierung – die Begriffe sind nicht zufällig miteinander verwandt – der Gesellschaft, letztlich zu ihrer Dezivilisierung.

Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass ein erheblicher Teil der sogenannten Wissenschaftseliten sich aus Leuten rekrutiert, die keine Skrupel haben, gestützt auf nicht mehr als eine windige Utopie – Eriksen rühmt sich seiner „Visionen“ – den Fortbestand der Zivilisation aufs Spiel zu setzen und ungebetenerweise Millionen von Menschen als Versuchskaninchen zu missbrauchen. Man braucht wahrhaftig kein Prophet zu sein um vorherzusehen, dass dieser Versuch eine „bessere Welt“ zu schaffen, genauso enden wird wie alle vorherigen, und dass die, die ihn zu verantworten haben, genau dieselbe Unschuldsmiene aufsetzen werden wie ihre Vorgänger:

Am Ende, dann nämlich, wenn sich die multikulturalistischen Ideologen durchgesetzt haben, wenn die Nationen zerstört, die Staaten zerfallen, die Städte in Kampfzonen verwandelt sind; wenn denkenden Menschen die Kehle durchgeschnitten wird, weil sie bestimmten religiösen Wahnideen widersprochen haben; wenn Kinder nicht mehr lesen lernen, aber eine Kalaschnikow zu handhaben wissen; wenn Bibliotheken, Kirchen und Synagogen brennen; wenn die vorherrschende Form sexueller Beziehungen die Vergewaltigung ist; wenn die Zivilisation sogar als bloße Erinnerung kaum mehr präsent ist – am Ende also werden die Eriksens sich hinstellen wie heute die alten Funktionäre des Pol-Pot-Regimes und sagen:

„‚Tschulligung, war nur so ’ne Idee von uns.“

Der Preis der Inkonsequenz

Nun gibt es im Gazakrieg also eine Waffenruhe, eine Feuerpause, einen einseitigen Waffenstillstand, oder wie auch immer man das nennen will, was Israel heute nacht begonnen hat. Ich weiß nicht genau, welche Überlegungen für diese Entscheidung ausschlaggebend waren, aber ich vermute, dass die Rücksicht auf die Gefühle des eigenen Volkes eine maßgebliche Rolle gespielt haben, und dass der Anblick leidender Zivilisten für dieses Volk schwer erträglich ist.

Das passt sehr gut zur Grundtendenz der israelischen Politik: sich zwar zu verteidigen, und das auch mit Härte, aber dort, wo es möglich ist, auch dem Feind mit Menschlichkeit zu begegnen. Ihm zwar mit Menschlichkeit zu begegnen, aber sich deswegen nicht von ihm massakrieren zu lassen.

Es ist dies dieselbe Politik, die wir nun schon seit Jahren speziell gegenüber dem Gazastreifen beobachten können, der ja nie so „blockiert“ war, wie die Propaganda angeblich unabhängiger Medien uns vorgaukeln wollte. Sanktionen ja, aber nie so hart, dass es der anderen Seite ans Leben ginge.

Nachdem der Krieg für Israel über alles Erwarten gut gelaufen ist, die eigenen Verluste niedrig, die Kollateralschäden begrenzt, vor allem aber die Hamas schwer getroffen, wäre es konsequent gewesen, die Offensive fortzusetzen, bis die Hamas endgültig am Boden liegt. Dies nicht zu tun ist inkonsequent.

Damit wir uns richtig verstehen: Mir ist diese Art von Inkonsequenz sympathisch. Nur kommt Inkonsequenz beim westlichen Gutmenschenpublikum als Heuchelei an, bei der Hamas als Schwäche. Im Grunde wird den Islamisten mitgeteilt, dass sie eine Lebensversicherung haben, solange sie ihre Politik fortsetzen, die Zivilbevölkerung als Geisel zu nehmen. Dann nämlich wird Israel von seiner überwältigenden militärischen Stärke aus Mitleid keinen Gebrauch machen. Eine solche Politik entmutigt den Feind nicht nur nicht. Sie belohnt ihn geradezu und setzt einen Anreiz fortzufahren.

(Und was das erwähnte Gutmenschenpublikum angeht, das der Meinung ist, Israel sei verpflichtet, die Lebensgrundlagen seiner Todfeinde zu garantieren, so bestärkt man dieses Publikum noch in seinem Irrglauben, wenn man Rücksichten nimmt, zu denen man nicht verpflichtet ist.)

Vielleicht wird Israel tatsächlich bei der Hamas denselben Erfolg erzielen wie zuvor bei der Hisbollah, nämlich dass sie für eine gewisse Zeit von Angriffen abgeschreckt wird. Der Preis dafür ist aber, dass die Hamas darüber entscheidet, wann diese Zeit abläuft.

Schulljung…

… ist nicht etwa der niederrheinische Dialektausdruck für „Schuljunge“, sondern diejenige Form des Wortes „Entschuldigung“, die von jugendlichen Rabauken gewählt wird, wenn sie mangels Verstandes eigentlich gar nicht einsehen, wofür sie sich entschuldigen sollen, und es deshalb als Zumutung empfinden, wenn man sie dazu auffordert.

In seriöseren Kreisen sagt man natürlich nicht „Schulljung“, sondern greift zu Floskeln wie:

„Ich bedaure zutiefst, dass Gefühle – insbesondere jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger – verletzt wurden“, sagte der Duisburger Polizeipräsident Rolf Cebin am Dienstag. Das Entfernen der Fahnen aus einem Duisburger Wohnhaus sei „aus heutiger Sicht die falsche Entscheidung gewesen“. Die Situation sei „sehr aufgeheizt“ gewesen und die Beamten hätten „Schaden von den Beteiligten“ nehmen wollen. Der Polizeipräsident betonte: „Nach allem, was ich heute weiß, hätte ich die Situation anders gelöst, um eine Eskalation zu vermeiden. Die öffentliche Empörung verstehe ich.“

Dieses Zitat aus „Focus online“ – leider habe ich nirgendwo den zusammenhängenden Originalwortlaut finden können – verdient eine ausführliche Würdigung.

„Ich bedaure…“ ist etwas völlig anderes als „Ich bitte um Verzeihung“. „Bedauern“ kann ich auch, dass in China ein Sack Reis umgefallen ist; ein Schuldeingeständnis ist das nicht und eine Bitte um Entschuldigung auch nicht. Weswegen wir die überall verbreitete Schlagzeile „Duisburger Polizeipräsident bittet um Entschuldigung“ getrost als Zeitungsente abtun können.

„… dass Gefühle … verletzt wurden„: Das ist genau die Art von Kindergartensprech, die ich erst vor einigen Tagen ausgiebig kritisiert habe. Ich habe großen Respekt vor dem Beruf des Erziehers, und selbstverständlich verstehe ich, dass man Kindern, namentlich solchen im Vorschulalter, beibringen muss, dass nicht alles ausgesprochen werden sollte, was die Gefühle des Gegenübers verletzen könnte. Als Erwachsener sollte man aber gelernt haben, dass die Verletzung von Gefühlen sich schon im privaten Bereich schwer und im öffentlichen Raum überhaupt nicht vermeiden lässt. Die Verletzung von Gefühlen ist das Letzte, wofür die deutsche Polizei sich zu entschuldigen hätte.

Was der Duisburger Polizeipräsident offensichtlich nicht begreift, ist, dass seine Beamten nicht irgendwelche Gefühle, sondern Recht und Verfassung verletzt haben, dass sie sich zu Komplizen von Kriminellen, Terroristen und Verfassungsfeinden gemacht haben, dass sie aktiv geholfen haben, einen rechtsfreien Raum zu schaffen!

Aber freilich: Was ist in der Bundesrepublik Disneyland schon die Suspendierung der Verfassung, verglichen mit der Verletzung von Gefühlen?!

„… insbesondere jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger …“ – bilde ich mir das ein, oder sind jüdische Bürger (im Unterschied zu Mitbürgern) in diesem Weltbild tatsächlich nicht vorgesehen? Wie dem auch sei: Für Herrn Cebin muss man wohl Jude sein, um Israel zu unterstützen – was im Umkehrschluss heißt, dass ihm andere Gründe dafür nicht einfallen. Und in den Genuss einer Entschuldigung – oder vielmehr Schein-Entschuldigung – des Polizeipräsidenten kommen auch die nicht etwa deshalb, weil die Polizei ihr Fehlverhalten einsähe, sondern weil die Political Correctness es erfordert, gegenüber „jüdischen Mitbürgern“ so etwas wie eine Entschuldigung wenigstens vorzutäuschen (und ihnen im stillen Kämmerlein einen Vorwurf daraus zu machen). 

„… aus heutiger Sicht die falsche Entscheidung…“ Was ist denn der Unterschied zwischen der „heutigen“ und der damaligen Sicht? Der Unterschied ist, dass die Öffentlichkeit sich empört.  „Aus heutiger Sicht“ bedeutet also: „Ich entschuldige mich zwar so lala, aber nur unter dem Druck der öffentlichen Meinung.“ Oder auch : „Schulljung“. 

 „… hätte ich die Situation anders gelöst …“ Ganz nebenbei wird den kleinen Schupos vor Ort, die letztlich nur das umsetzen, was Politik und Polizeiführung, also Leute wie Cebin, ihnen vormachen, der Schwarze Peter zugeschoben: Er, der Polizeipräsident, hätte die Situation natürlich gaaanz anders gelöst.

„…um eine Eskalation zu vermeiden…“ Wieder fühlt man sich an das Babyblabla erinnert, dass aus dem Fernseher tropft, sobald vom Gazastreifen die Rede ist. So, wie es auch dort nicht um die Zerschlagung einer Terrororganisation geht, sondern um ein „Ende der Gewalt“ (Ich verweise nochmals auf meinen Artikel „Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens“), so geht es auch im Inland nicht darum, Recht und Ordnung zu schützen und damit die Freiheit jedes Bürgers zu verteidigen, sondern „eine Eskalation zu vermeiden“.

Nach dem Motto: „Wer freiwillig die Beine breit macht, wird nicht vergewaltigt“!

„Die öffentliche Empörung verstehe ich.“ Natürlich versteht er in Wirklichkeit gar nichts, aber selbst wenn er die Empörung verstünde, dies die Botschaft, teilte er sie nicht.

Ich sage es noch einmal, weil man es nicht oft genug sagen kann:

Ein Staat, der nicht in der Lage ist, das von ihm selbst gesetzte Recht durchzusetzen, der seinen Bürgern keine Sicherheitsgarantie gibt, sie vielmehr der Willkür privater Gewalttäter ausliefert, ist nicht nur kein Rechtsstaat, sondern überhaupt kein Staat.

Wir wussten schon lange, dass es Menschen gibt, die die Staatsauflösung zu Ideologie erhoben haben. Wenn der Staat selbst aber eine solche Ideologie vertritt und dabei Grundbegriffe der Rechtsstaatlichkeit („Verhältnismäßigkeit“) in ihr Gegenteil verkehrt, und wenn diese Ideologie, wie wir gesehen haben, mit den höchsten Polizeirängen schon den Kern des Staatsapparates verseucht hat, dann reicht die Krise des demokratischen Gemeinwesens weitaus tiefer, als ich mir selbst in meinen Alpträumen hätte vorstellen können. Das bedeutet dann nämlich, dass selbst ein sofortiges Umsteuern der Politik hin zu den Prinzipien der wehrhaften Demokratie möglicherweise vom Polizeiapparat sabotiert würde.

Islamisierung: Die Herrschaft des grünen Pöbels

Neue Rhein Zeitung, 12. Januar 2009:

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat den Verlauf der Duisburger Demonstration gegen den israelischen Militäreinsatz hart kritisiert. (…) ‚…offensichtlich bestimmen jetzt potenzielle Gewalttäter das Maß der Meinungsfreiheit in Deutschland‘, sagt der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, der NRZ. Hintergrund: Auf dem Marsch zum Kundgebungsort in der Innenstadt hatten Teilnehmer ein Haus unter anderem mit Steinen attackiert, in dessem dritten Obergeschoss gut sichtbar eine israelische Fahne im Fenster hing. Pressefotos und ein Video im Internetportal ‚Youtube‘ belegen, dass Polizisten die Fahne abhingen, worauf die Demo-Teilnehmer mit Rufen wie ‚Gott ist groß‘ ihre Befriedigung über die Polizei-Aktion zum Ausdruck brachten.

(…)

Der Sprecher der Duisburger Polizei, Ramon van der Maat, verteidigte auf NRZ-Anfrage das Vorgehen der Polizei und machte den Besitzern der Wohnung den Vorwurf, sie hätten ’nur provozieren‘ wollen. ‚Bevor mir eine eigentlich friedliche Demonstration entgleitet, muss ich in solchen Fällen handeln.‘ Wer die muslimischen Mitbürger kenne, wüsste, dass sie emotional oft schnell in Fahrt gerieten. ‚Da müssen Sie als Polizeiführer sehr schnell entscheiden, und hier wurde der richtige Weg gewählt.‘

Das Handeln der Polizei sah dann konkret so aus, dass Beamten die Tür der betreffenden Wohnung eintraten, ‚da die Besitzer nicht anzutreffen waren‘, so van der Maat. Anschließend wurde die Fahne entfernt, Augenzeugen sprachen davon, sie sei regelrecht heruntergerissen worden. Für den Polizeisprecher hat die Polizei die ‚Verhältnismäßigkeit‘ gewahrt. (…)“

[Der ursprünglich hier gesetzte Verweis ist nicht mehr gültig.]

Der Vorgang selbst bedarf – zumindest aus meinem Munde – keiner ausführlichen Kommentierung. Der deutsche Staat stellt die Rechte seiner Bürger zur Disposition des Pöbels. Die Grenzen der Meinungsfreiheit werden nicht mehr vom Grundgesetz gezogen, sondern vom Mob. (Wer es ausführlicher gewürdigt haben möchte, dem lege ich meinen Artikel „Der kalte Staatsstreich“ ans Herz. Wärmstens. Insbesondere die fettgedruckte Schlusspassage empfehle ich Eurer besonderen Aufmerksamkeit.)

Frappierend ist allerdings der Umstand, dass die zutreffende Aussage

Offensichtlich bestimmen jetzt potenzielle Gewalttäter das Maß der Meinungsfreiheit in Deutschland“

ausgerechnet von dem sonst geistig dauerüberforderten Generalsekretär des Zentralrats der Juden stammt. Falsch an diesem Statement ist einzig das Wörtchen „jetzt“ („…bestimmen jetzt potenzielle Gewalttäter…“), als wenn dieser Zustand nicht schon seit geraumer Zeit bestünde.

Offensichtlich wurde er spätestens, als der rote Mob den Anti-Islamisierungkongress in Köln gewaltsam verhinderte, und zwar unter wohlwollender Duldung der Polizei. Und des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dessen ehrwürdige Vorsitzende, die damit bewies, dass Alter vor Torheit nicht schützt, fand es damals nämlich

unglaublich, dass in der heutigen Zeit die braune Brut [gemeint waren die Organisatoren des Kongresses, M.] die Möglichkeit hat, das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft und Religion zu stören“,

womit sie die Suspendierung der Meinungsfreiheit gleichsam koscher stempelte.

Hoffen wir, dass die Vorgänge von Duisburg (oder auch weniger spektakuläre wie dieser hier) wenigstens den einen Vorteil haben, bei den Verantwortlichen des Zentralrats einen Denkprozess anzustoßen, und hoffen wir, dass dieser Prozess noch vor dem Jüngsten Gericht – und tunlichst auch, bevor in Deutschland die Scharia eingeführt wird – zu den Erkenntnissen führt,

– dass die Bürgerrechte auch von Juden durch das Grundgesetz geschützt werden, nicht durch Political Correctness, sprich durch linken und islamischen Meinungsterror,

– dass sie am besten bei einem Rechtsstaat aufgehoben sind, der bereit ist, dieser Rechte gegebenenfalls auch mit Gewalt zu schützen,

– dass es selbstmörderisch ist, die schleichende Selbstauslöschung dieses demokratischen Rechtsstaates zu dulden,

– dass die Islamisierung unseres Landes, das heißt das Zurückweichen der Gesellschaft vor den Machtansprüchen einer totalitären Religion in vollem Gange ist,

– und dass dieser Prozess, wenn er nicht gestoppt wird, enden wird wie alle historischen Islamisierungsprozesse: nämlich damit, dass Juden und Christen gleichermaßen auf den Status entrechteter Untermenschen gedrückt werden!

Wer hat Angst vor einem Palästinenserstaat?

Scharons politisches Meisterstück: der Abzug aus dem Gazastreifen

Viele Israelis werden es bezweifeln, ich aber glaube, dass Ariel Scharons Schachzug, den Gazastreifen zu räumen, ob seiner Genialität in jedes Lehrbuch der Politik gehört. Wer immer geglaubt hatte, die Palästinenser hätten vor allem ein Interesse am Ende der Besatzung und an der Errichtung eines eigenen Staates, wurde eines Anderen belehrt, und es waren die Palästinenser selbst, die diese Lehre erteilten.

Gerade die Tatsache, dass die schlicht Unbelehrbaren, also Leute vom Schlage eines Norman Paech, die Räumung leugnen und den Streifen allen Ernstes als immer noch besetztes Gebiet sehen wollen, zeigt, wie sehr die palästinensische Propaganda durch diesen Akt an Glaubwürdigkeit verloren hat. Es zeigt zugleich, dass es den pro-palästinensischen Aktivisten hierzulande nicht darum geht, den Palästinensern zu helfen, sondern Israel zu schaden.

Was wollen die Palästinenser eigentlich?

Wäre es das Ziel der Palästinenser gewesen, die Besatzung zu beenden, so war dieses Ziel in Bezug auf den Gazastreifen mit dem Abzug im August 2005 erreicht, und es war offensichtlich, dass die israelische Politik darauf abzielte, auch das Westjordanland zu räumen. Die Raketen, die seitdem vom Gazastreifen auf Israel abgefeuert wurden, konnten demgemäß nur als Aufforderung verstanden werden, das Westjordanland nicht zu räumen (weil sonst auch von dort die Raketen fliegen würden).

Wäre es ihr Ziel gewesen, einen eigenen Staat zu errichten, so kann – wiederum seit August 2005 – absolut niemand sie daran hindern. Dieser Aspekt wird wenig gesehen, deshalb möchte ich ein wenig darauf eingehen:

Nach klassischer völkerrechtlicher Theorie existiert ein Staat dann, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind:

– ein Staatsvolk,

– eine Staatsgewalt,

– ein Staatsgebiet.

Die Palästinenser erheben bekanntlich den Anspruch, eine Nation im politischen Sinne zu sein; die Existenz eines potenziellen Staatsvolks wird man also unterstellen dürfen.

So etwas wie Staatsgewalt existiert ebenfalls in Gestalt der Autonomiebehörde bzw. (seit dem Hamas-Putsch im Streifen) in Form der Hamas-Behörden.

Seit Israel seine Truppen zurückgezogen und den Gazastreifen zu Ausland erklärt hat, existiert dort auch ein potenzielles Staatsgebiet – da ja kein anderer Staat auf den Streifen Anspruch erhebt, auch Ägypten nicht.

Es ist wichtig zu wissen, dass es bei Vorliegen dieser drei – rein faktischen! – Voraussetzungen nicht darauf ankommt, ob Drittstaaten einen neuen Staat anerkennen oder nicht!

Zumindest im Gazastreifen – vorläufig allerdings nur dort – könnten die Palästinenser seit August 2005 also jederzeit  einen vollwertigen Staat gründen, und sie wären dabei von niemandes Erlaubnis abhängig, auch nicht von der Israels. Wenn sie das nicht tun, heißt dies, dass sie es nicht tun wollen.

Warum?

Vielleicht weil dies den Verzicht auf alle Gebiete außerhalb des Gazastreifens bedeuten würde? Mitnichten. Niemand könnte einem palästinensischen Staat verwehren, offiziell Anspruch auf das Westjordanland zu erheben, so wie auch niemand der alten Bundesrepublik verwehren konnte, die Wiedervereinigung als Staatsziel zu proklamieren.

Ob er das Westjordanland – oder was immer er sonst fordern würde – tatsächlich bekäme, stünde natürlich auf einem anderen Blatt, aber er würde den Anspruch nicht schon dadurch verwirken, dass er ihn nicht sofort durchsetzen könnte.

Einen eigenen Staat haben heißt aber: Pflichten haben!

Und genau hier liegt der springende Punkt:

Ein Palästinenserstaat könnte nämlich nicht nur, er müsste seine Ansprüche explizit zu Protokoll geben! Und das würde bedeuten, dass die Hamas die Vernichtung Israels nochmals, und diesmal mit dem ganzen Gewicht einer staatlichen Willensbekundung, vor aller Welt fordern – oder dieses Ziel aufgeben müsste.

Und natürlich müsste ein Staat die Verantwortung für die militärischen Angriffe auf sich nehmen, die von seinem Territorium gegen das Nachbarland vorgetragen werden. Für die Wahrnehmung des Konflikts durch die Augen selbst des verblödeten westlichen Publikums würde es vermutlich einen Unterschied bedeuten, ob zwei Staaten gegeneinander kämpfen, oder ob man denselben Konflikt – so wie jetzt – als Konflikt zwischen einem Staat und einer auswärtigen „Zivilbevölkerung“ verkaufen könnte.

Die Existenz eines eigenen Staates würde den Palästinensern nicht nur Rechte verschaffen, die sie haben wollen, sondern auch Pflichten auferlegen, die sie nicht haben wollen. Insbesondere solche Pflichten, die sie daran hindern könnten, ihr Nachbarvolk zu massakrieren.

Deshalb wollen sie ihn nicht.

Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens

Unter Sportreportern ist es guter Brauch, dass der, der eine Phrase absondert – etwa: „Das Eins-zu-Null hat dem Spiel gutgetan“ – fünf Euro ins Phrasenschwein werfen muss. Behaupten sie jedenfalls. (Es gab sogar einmal unter dem Titel „So werde ich Heribert Faßbender“ eine regelrechte Phrasensammlung.) Ich weiß nicht, ob besagtes Schwein wirklich existiert, aber es sollte existieren – fünf Euro sind jedenfalls eine gerechte Strafe für „So kann’s gehen im Fußball“.

Gerecht wäre natürlich auch, wenn die politischen Journalisten gleichermaßen zur Kasse gebeten würden, zum Beispiel für Sätze wie:

„Ein Ende der Gewalt im Gazastreifen ist nicht in Sicht.“

Wenn für Phrasen dieser Art keine fünf Euro abgedrückt werden müssen, dann dürfte das vor allem daran liegen, dass sie gerade wegen ihrer Banalität geballte Ideologie transportieren.

Was so beiläufig daherkommt, dass man es kaum noch hört, enthält in jedem Falle die Botschaft: „Ich bin eine Selbstverständlichkeit.“ Und worin besteht die?

Von Journalisten erwartet man, dass sie das treffende Wort finden. Für das Geschehen im Gazastreifen also das Wort „Krieg“, nicht das unspezifische „Gewalt“, das auch für eine Ohrfeige oder ein Wirtshausprügelei stehen kann. Den meisten Europäern ist aber noch erinnerlich, dass Krieg irgendetwas mit Politik zu tun hat, und dass meistens zwei Parteien gegeneinander kämpfen. Das Wort „Krieg“ würde also sofort fünf Fragen provozieren:

Wer kämpft

gegen wen

aus welchem Grund

mit welchem Ziel

und mit welchem (vorläufigen) Ergebnis?

Also fünf politische Fragen, die man auch politisch beantworten müsste.

Die sich aber erübrigen, sobald nur von „Gewalt“ die Rede ist. „Gewalt“ ist das Sinnlose und obendrein Böse, und deswegen geht es bei ihr nur darum, ob irgendein „Ende in Sicht“ ist. Das ist die Ideologie „Krieg ist keine Lösung“, versteckt in einem einzigen Wort und mit diesem in die Köpfe der Hörer, Leser und Zuschauer geschmuggelt, die gar nicht erst die Chance bekommen (sollen), irgendetwas zu hinterfragen.

Denn natürlich ist es Unsinn zu behaupten, Krieg sei keine Lösung. Krieg setzt einen politischen Konflikt voraus. Gelingt es, diesen friedlich zu lösen: gut. Wenn nicht, ist der Krieg der deadlock breaking mechanism. Eine Partei zwingt der anderen eine Lösung auf, sobald sie deren Gewaltpotenzial zerschlagen hat. Das ist ein unerfreulicher Vorgang, aber zu einer Lösung führt er allemal. Diejenigen Fälle, in denen Krieg wirklich „keine Lösung“ war – man denke an den Dreißigjährigen Krieg – sind die, in denen es nicht zu einer militärischen Entscheidung kam.

Weil das so ist, lautet die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit einem Krieg nicht, ob ein „Ende in Sicht“ ist, sondern:

Wer gewinnt?

Für Drittstaaten kommt die Frage hinzu: Ergreife ich Partei und, wenn ja, für wen?

(Ich weiß, das sind alles Platitüden, und bis vor wenigen Jahren wusste das auch Jeder. Heute aber – heute leben wir einer Zeit, wo man beweisen muss, dass der Regen von oben nach unten fällt, nicht etwa umgekehrt.)

Heute kommen diese Drittstaaten gar nicht auf die Idee, so zu fragen. Stattdessen fordern sie – na was wohl? – ein „Ende der Gewalt“, und höchstrangige Delegationen reisen in die Region, um „zu vermitteln“ (wohlgemerkt: zwischen einem demokratischen Staat und einer faschistischen Terrororganisation; dass Beide somit gleichrangig seien, ist eine weitere ideologische Setzung, die man uns unterjubelt, ohne uns zu fragen).

Sarkozy und Assad - Staatsmänner unter sich, voll Sorge um den Weltfrieden

Erfreulicherweise – denn die Liquidierung der Hamas ist nun weiß Gott wünschenswert – haben diese Missionen keine Ergebnisse, sie dienen ja auch nur der gockelhaften Selbstinszenierung von Politikern, die möglicherweise selber glauben, dies sei Politik.

Erwachsene Menschen im Dienste des Mediensystems bringen es dann fertig, über die Scheinaktivitäten dieser – pardon! – aufgeblasenen Hampelmänner zu berichten, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen. Täten sie es, müssten sie ja zugeben, dass es Wichtigeres gibt als die Frage, ob „ein Ende der Gewalt in Sicht“ ist.

So aber entpolitisiert man den Zuschauer, macht man aus einer politischen eine moralische Frage, spült man jeden Gedanken mit Emotionen weg, suggeriert man eine pazifistische Ideologie, und spielt man sich als Volkspädagoge auf, dessen Publikum die Reife von Kindern im Vorschulalter hat: „Seid doch lieb zueinander! Krieg ist keine Lösung! Der Klügere gibt nach!“

Diese Art Journalismus zielt unzweideutig darauf ab, den Zuschauer in einen Zustand infantiler Urteils-Unfähigkeit zu versetzen, und niemand sollte sich über Moderatoren wundern, die wie umgeschulte Kindergartentanten nicht nur aussehen,

Hannelore Fischer, ARDSusanne Conrad, ZDF

sondern sich auch eines dazu passenden Tonfalls befleißigen. Das Deprimierende daran ist, dass dieses Konzept funktioniert: dass sich die Nation also tatsächlich aufs Töpfchen setzen lässt und sich mit dem Daumen im Mund Gute-Nacht-Geschichten anhört.

Würden wir uns in der Sportberichterstattung die journalistischen Standards bieten lassen, die man uns dort zumutet, wo es um unsere vitalen Interessen geht, so klänge das Ergebnis ungefähr so:

Ein Ende dieses brutalen Macho-Spiels, in dem so viel gefoult wird, ist nicht in Sicht. Die Anwohner leiden unter dem Lärm. Der Versuch des französischen Staatspräsidenten, das Spiel vorzeitig abzupfeifen, ist gescheitert. Unsere Quellen vor Ort verraten uns den Spielstand nicht.“

So etwas hat Heribert Faßbender nie getan.