Antisemitismus und totalitäre Ideologie

Ich glaube, man macht sich zu wenig bewusst, dass Toleranz eine höchst unwahrscheinliche zivilisatorische Errungenschaft ist. Sie setzt schließlich nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit voraus, sich vorzustellen, dass der Andersdenkende oder Andersgläubige im Recht sein könnte. Eine solche Reflexionsleistung ist dem Menschen so wenig angeboren wie die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben, und sie gehört auch nicht zu der Sorte Kulturleistungen, die man von einem gewissen Entwicklungsniveau an als selbstverständlich unterstellen kann.

Es ist bemerkenswert und bezeichnend, dass die drei totalitären Strömungen unserer Zeit, nämlich der Linksextremismus, der Neonazismus und der politische Islam bei allen sonstigen Unterschieden dasselbe Feindbild „Jude“ pflegen, und wenn auch die Neonazis es rassistisch, die Islamisten religiös und die Linken politisch (Israel) begründen, so handelt es sich dabei erkennbar bloß um unterschiedliche ideologische Rationalisierungen ein und desselben elementaren Hasses.

Ich behaupte, dass dieser Hass genau der Errungenschaft gilt, die den Kern unserer westlichen Zivilisation ausmacht: der Toleranz; der Fähigkeit zur Selbstkritik; der Bereitschaft, sich selbst mit den Augen des Anderen zu sehen. Und diese Errungenschaft wird von ihren Feinden völlig zu Recht als die große zentrale Leistung des Judentums angesehen.

Wenn es nämlich ein Thema gibt, das wie ein roter Faden das gesamte Alte Testament durchzieht, dann ist es die Selbstkritik, ja Selbstanklage des Volkes Israel, den moralischen Ansprüchen Gottes nicht gerecht geworden zu sein. Der stets scheiternde und stets zu erneuernde Versuch, sich selbst mit den Augen Gottes zu sehen und Seinen Maßstäben gerecht zu werden ist elementarer Bestandteil jüdischer Ethik. Es ist dieselbe Ethik, die, vermittelt durch das Christentum, zur Grundlage der westlichen Gesellschaften wurde. Wenn wir Toleranz heute als eine Tugend ansehen, so ist diese Ethik der Grund dafür.

Wenn wir zudem in westlichen Gesellschaften das menschliche Leben als etwas Heiliges ansehen, als etwas, das unter keinen Umständen zum bloßen Mittel für etwas angeblich Höheres herabgewürdigt werden darf, so drückt sich darin die fortdauernde Wirkung des Verbots des Menschenopfers aus, und auch dieses Verbot ist eine genuin jüdische Errungenschaft, die vom Christentum übernommen wurde.

Für totalitäre Bewegungen ist beides – die Toleranz und die Heiligkeit des Lebens – ein rotes Tuch. Totalitäre Ideologie beruht ja gerade darauf, sich selbst absolut zu setzen und der angeblich so erhabenen „Sache“ notfalls auch Millionen von Menschen zu opfern. Totalitäre Ideologien sind heidnische Kulte, die man als solche gerade daran erkennt, dass sie das Menschenopfer zum Ideal erheben, und die deswegen im Judentum instinktiv ihren Feind sehen. Der Hass, der den Juden gilt, und der Hass, der der freiheitlichen, individualistischen Gesellschaft des Westens gilt, ist ein und dasselbe.

Nun wird mancher, vor allem wenn er sonst diesen Blog nicht liest, fragen, was denn der Islam in diesem Zusammenhang zu suchen hat. Hat denn nicht der Islam in derselben Weise wie das Christentum die Grundwerte der jüdischen Ethik in sich aufgenommen? Und muss man nicht deswegen ganz scharf trennen zwischen der ehrwürdigen Weltreligion „Islam“ und ihrem totalitären Zerrbild „Islamismus“?

Die Antwort lautet:

Nein.

Der Islam hat vieles aus dem Judentum übernommen – um das böse Wort „abgekupfert“ zu vermeiden. Das Ethos der Selbstkritik aber und das Ethos der Heiligkeit des Lebens – das hat der Prophet Mohammed nicht nur nicht übernommen: Er hat es vielmehr explizit abgelehnt und den Juden einen Strick daraus gedreht, dass sie dieses Ethos überhaupt haben. Der Koran wertet die alttestamentlichen Selbstanklagen des jüdischen Volkes nämlich als Beweise für dessen Minderwertigkeit und hebt ausdrücklich und im Kontrast dazu hervor, die Muslime seien „die beste Gemeinschaft, die je für Menschen erstand“. Dass Juden das Leben heiligen – und auch am Leben hängen – wird im Koran explizit als Beweis gewertet, dass sie ob ihrer moralischen Verdorbenheit das Strafgericht Allahs zu fürchten hätten. Und dass der Kampf und das Töten und das Sterben für Allah – mit einem Wort: das Menschenopfer – die höchsten Ziele eines erfüllten muslimischen Lebens sind: Das wird dutzendfach wiederholt, und dies nicht nur im Koran selbst, sondern auch in der Prophetenüberlieferung. [Wer es genauer wissen möchte, dem empfehle ich die Themenanalyse über den medinensischen Koran, Kap. III.2 von „Das Dschihadsystem“. M., 20.01.2011]

Wir brauchen uns also nicht zu wundern, wenn Neonazis, Moslems und Linke gleichermaßen dem Antisemitismus frönen und dabei bemerkenswert wenig Berührungsängste einander gegenüber zeigen – so wenig, wie wir uns über den Hitler-Stalin-Pakt wundern müssen. Die Ideologie der totalitären Menschenverachtung ist ihnen gemeinsam; höchstens die Akzente werden unterschiedlich gesetzt.

Ähnlich argumentieren Hans-Peter Raddatz und Gunnar Heinsohn.

Nicht gerade elegant geschrieben und daher schwer verdaulich, dennoch lesenswert:

Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus. Buchcover
Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus.


Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden


Leider nur noch antiquarisch zu bekommen, wenn überhaupt:

Gunnar Heinsohn: Warum Auschwitz? Hitlers Plan und die Ratlosigkeit der Nachwelt.

Der Preis der Inkonsequenz

Nun gibt es im Gazakrieg also eine Waffenruhe, eine Feuerpause, einen einseitigen Waffenstillstand, oder wie auch immer man das nennen will, was Israel heute nacht begonnen hat. Ich weiß nicht genau, welche Überlegungen für diese Entscheidung ausschlaggebend waren, aber ich vermute, dass die Rücksicht auf die Gefühle des eigenen Volkes eine maßgebliche Rolle gespielt haben, und dass der Anblick leidender Zivilisten für dieses Volk schwer erträglich ist.

Das passt sehr gut zur Grundtendenz der israelischen Politik: sich zwar zu verteidigen, und das auch mit Härte, aber dort, wo es möglich ist, auch dem Feind mit Menschlichkeit zu begegnen. Ihm zwar mit Menschlichkeit zu begegnen, aber sich deswegen nicht von ihm massakrieren zu lassen.

Es ist dies dieselbe Politik, die wir nun schon seit Jahren speziell gegenüber dem Gazastreifen beobachten können, der ja nie so „blockiert“ war, wie die Propaganda angeblich unabhängiger Medien uns vorgaukeln wollte. Sanktionen ja, aber nie so hart, dass es der anderen Seite ans Leben ginge.

Nachdem der Krieg für Israel über alles Erwarten gut gelaufen ist, die eigenen Verluste niedrig, die Kollateralschäden begrenzt, vor allem aber die Hamas schwer getroffen, wäre es konsequent gewesen, die Offensive fortzusetzen, bis die Hamas endgültig am Boden liegt. Dies nicht zu tun ist inkonsequent.

Damit wir uns richtig verstehen: Mir ist diese Art von Inkonsequenz sympathisch. Nur kommt Inkonsequenz beim westlichen Gutmenschenpublikum als Heuchelei an, bei der Hamas als Schwäche. Im Grunde wird den Islamisten mitgeteilt, dass sie eine Lebensversicherung haben, solange sie ihre Politik fortsetzen, die Zivilbevölkerung als Geisel zu nehmen. Dann nämlich wird Israel von seiner überwältigenden militärischen Stärke aus Mitleid keinen Gebrauch machen. Eine solche Politik entmutigt den Feind nicht nur nicht. Sie belohnt ihn geradezu und setzt einen Anreiz fortzufahren.

(Und was das erwähnte Gutmenschenpublikum angeht, das der Meinung ist, Israel sei verpflichtet, die Lebensgrundlagen seiner Todfeinde zu garantieren, so bestärkt man dieses Publikum noch in seinem Irrglauben, wenn man Rücksichten nimmt, zu denen man nicht verpflichtet ist.)

Vielleicht wird Israel tatsächlich bei der Hamas denselben Erfolg erzielen wie zuvor bei der Hisbollah, nämlich dass sie für eine gewisse Zeit von Angriffen abgeschreckt wird. Der Preis dafür ist aber, dass die Hamas darüber entscheidet, wann diese Zeit abläuft.

Schulljung…

… ist nicht etwa der niederrheinische Dialektausdruck für „Schuljunge“, sondern diejenige Form des Wortes „Entschuldigung“, die von jugendlichen Rabauken gewählt wird, wenn sie mangels Verstandes eigentlich gar nicht einsehen, wofür sie sich entschuldigen sollen, und es deshalb als Zumutung empfinden, wenn man sie dazu auffordert.

In seriöseren Kreisen sagt man natürlich nicht „Schulljung“, sondern greift zu Floskeln wie:

„Ich bedaure zutiefst, dass Gefühle – insbesondere jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger – verletzt wurden“, sagte der Duisburger Polizeipräsident Rolf Cebin am Dienstag. Das Entfernen der Fahnen aus einem Duisburger Wohnhaus sei „aus heutiger Sicht die falsche Entscheidung gewesen“. Die Situation sei „sehr aufgeheizt“ gewesen und die Beamten hätten „Schaden von den Beteiligten“ nehmen wollen. Der Polizeipräsident betonte: „Nach allem, was ich heute weiß, hätte ich die Situation anders gelöst, um eine Eskalation zu vermeiden. Die öffentliche Empörung verstehe ich.“

Dieses Zitat aus „Focus online“ – leider habe ich nirgendwo den zusammenhängenden Originalwortlaut finden können – verdient eine ausführliche Würdigung.

„Ich bedaure…“ ist etwas völlig anderes als „Ich bitte um Verzeihung“. „Bedauern“ kann ich auch, dass in China ein Sack Reis umgefallen ist; ein Schuldeingeständnis ist das nicht und eine Bitte um Entschuldigung auch nicht. Weswegen wir die überall verbreitete Schlagzeile „Duisburger Polizeipräsident bittet um Entschuldigung“ getrost als Zeitungsente abtun können.

„… dass Gefühle … verletzt wurden„: Das ist genau die Art von Kindergartensprech, die ich erst vor einigen Tagen ausgiebig kritisiert habe. Ich habe großen Respekt vor dem Beruf des Erziehers, und selbstverständlich verstehe ich, dass man Kindern, namentlich solchen im Vorschulalter, beibringen muss, dass nicht alles ausgesprochen werden sollte, was die Gefühle des Gegenübers verletzen könnte. Als Erwachsener sollte man aber gelernt haben, dass die Verletzung von Gefühlen sich schon im privaten Bereich schwer und im öffentlichen Raum überhaupt nicht vermeiden lässt. Die Verletzung von Gefühlen ist das Letzte, wofür die deutsche Polizei sich zu entschuldigen hätte.

Was der Duisburger Polizeipräsident offensichtlich nicht begreift, ist, dass seine Beamten nicht irgendwelche Gefühle, sondern Recht und Verfassung verletzt haben, dass sie sich zu Komplizen von Kriminellen, Terroristen und Verfassungsfeinden gemacht haben, dass sie aktiv geholfen haben, einen rechtsfreien Raum zu schaffen!

Aber freilich: Was ist in der Bundesrepublik Disneyland schon die Suspendierung der Verfassung, verglichen mit der Verletzung von Gefühlen?!

„… insbesondere jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger …“ – bilde ich mir das ein, oder sind jüdische Bürger (im Unterschied zu Mitbürgern) in diesem Weltbild tatsächlich nicht vorgesehen? Wie dem auch sei: Für Herrn Cebin muss man wohl Jude sein, um Israel zu unterstützen – was im Umkehrschluss heißt, dass ihm andere Gründe dafür nicht einfallen. Und in den Genuss einer Entschuldigung – oder vielmehr Schein-Entschuldigung – des Polizeipräsidenten kommen auch die nicht etwa deshalb, weil die Polizei ihr Fehlverhalten einsähe, sondern weil die Political Correctness es erfordert, gegenüber „jüdischen Mitbürgern“ so etwas wie eine Entschuldigung wenigstens vorzutäuschen (und ihnen im stillen Kämmerlein einen Vorwurf daraus zu machen). 

„… aus heutiger Sicht die falsche Entscheidung…“ Was ist denn der Unterschied zwischen der „heutigen“ und der damaligen Sicht? Der Unterschied ist, dass die Öffentlichkeit sich empört.  „Aus heutiger Sicht“ bedeutet also: „Ich entschuldige mich zwar so lala, aber nur unter dem Druck der öffentlichen Meinung.“ Oder auch : „Schulljung“. 

 „… hätte ich die Situation anders gelöst …“ Ganz nebenbei wird den kleinen Schupos vor Ort, die letztlich nur das umsetzen, was Politik und Polizeiführung, also Leute wie Cebin, ihnen vormachen, der Schwarze Peter zugeschoben: Er, der Polizeipräsident, hätte die Situation natürlich gaaanz anders gelöst.

„…um eine Eskalation zu vermeiden…“ Wieder fühlt man sich an das Babyblabla erinnert, dass aus dem Fernseher tropft, sobald vom Gazastreifen die Rede ist. So, wie es auch dort nicht um die Zerschlagung einer Terrororganisation geht, sondern um ein „Ende der Gewalt“ (Ich verweise nochmals auf meinen Artikel „Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens“), so geht es auch im Inland nicht darum, Recht und Ordnung zu schützen und damit die Freiheit jedes Bürgers zu verteidigen, sondern „eine Eskalation zu vermeiden“.

Nach dem Motto: „Wer freiwillig die Beine breit macht, wird nicht vergewaltigt“!

„Die öffentliche Empörung verstehe ich.“ Natürlich versteht er in Wirklichkeit gar nichts, aber selbst wenn er die Empörung verstünde, dies die Botschaft, teilte er sie nicht.

Ich sage es noch einmal, weil man es nicht oft genug sagen kann:

Ein Staat, der nicht in der Lage ist, das von ihm selbst gesetzte Recht durchzusetzen, der seinen Bürgern keine Sicherheitsgarantie gibt, sie vielmehr der Willkür privater Gewalttäter ausliefert, ist nicht nur kein Rechtsstaat, sondern überhaupt kein Staat.

Wir wussten schon lange, dass es Menschen gibt, die die Staatsauflösung zu Ideologie erhoben haben. Wenn der Staat selbst aber eine solche Ideologie vertritt und dabei Grundbegriffe der Rechtsstaatlichkeit („Verhältnismäßigkeit“) in ihr Gegenteil verkehrt, und wenn diese Ideologie, wie wir gesehen haben, mit den höchsten Polizeirängen schon den Kern des Staatsapparates verseucht hat, dann reicht die Krise des demokratischen Gemeinwesens weitaus tiefer, als ich mir selbst in meinen Alpträumen hätte vorstellen können. Das bedeutet dann nämlich, dass selbst ein sofortiges Umsteuern der Politik hin zu den Prinzipien der wehrhaften Demokratie möglicherweise vom Polizeiapparat sabotiert würde.

Wer hat Angst vor einem Palästinenserstaat?

Scharons politisches Meisterstück: der Abzug aus dem Gazastreifen

Viele Israelis werden es bezweifeln, ich aber glaube, dass Ariel Scharons Schachzug, den Gazastreifen zu räumen, ob seiner Genialität in jedes Lehrbuch der Politik gehört. Wer immer geglaubt hatte, die Palästinenser hätten vor allem ein Interesse am Ende der Besatzung und an der Errichtung eines eigenen Staates, wurde eines Anderen belehrt, und es waren die Palästinenser selbst, die diese Lehre erteilten.

Gerade die Tatsache, dass die schlicht Unbelehrbaren, also Leute vom Schlage eines Norman Paech, die Räumung leugnen und den Streifen allen Ernstes als immer noch besetztes Gebiet sehen wollen, zeigt, wie sehr die palästinensische Propaganda durch diesen Akt an Glaubwürdigkeit verloren hat. Es zeigt zugleich, dass es den pro-palästinensischen Aktivisten hierzulande nicht darum geht, den Palästinensern zu helfen, sondern Israel zu schaden.

Was wollen die Palästinenser eigentlich?

Wäre es das Ziel der Palästinenser gewesen, die Besatzung zu beenden, so war dieses Ziel in Bezug auf den Gazastreifen mit dem Abzug im August 2005 erreicht, und es war offensichtlich, dass die israelische Politik darauf abzielte, auch das Westjordanland zu räumen. Die Raketen, die seitdem vom Gazastreifen auf Israel abgefeuert wurden, konnten demgemäß nur als Aufforderung verstanden werden, das Westjordanland nicht zu räumen (weil sonst auch von dort die Raketen fliegen würden).

Wäre es ihr Ziel gewesen, einen eigenen Staat zu errichten, so kann – wiederum seit August 2005 – absolut niemand sie daran hindern. Dieser Aspekt wird wenig gesehen, deshalb möchte ich ein wenig darauf eingehen:

Nach klassischer völkerrechtlicher Theorie existiert ein Staat dann, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind:

– ein Staatsvolk,

– eine Staatsgewalt,

– ein Staatsgebiet.

Die Palästinenser erheben bekanntlich den Anspruch, eine Nation im politischen Sinne zu sein; die Existenz eines potenziellen Staatsvolks wird man also unterstellen dürfen.

So etwas wie Staatsgewalt existiert ebenfalls in Gestalt der Autonomiebehörde bzw. (seit dem Hamas-Putsch im Streifen) in Form der Hamas-Behörden.

Seit Israel seine Truppen zurückgezogen und den Gazastreifen zu Ausland erklärt hat, existiert dort auch ein potenzielles Staatsgebiet – da ja kein anderer Staat auf den Streifen Anspruch erhebt, auch Ägypten nicht.

Es ist wichtig zu wissen, dass es bei Vorliegen dieser drei – rein faktischen! – Voraussetzungen nicht darauf ankommt, ob Drittstaaten einen neuen Staat anerkennen oder nicht!

Zumindest im Gazastreifen – vorläufig allerdings nur dort – könnten die Palästinenser seit August 2005 also jederzeit  einen vollwertigen Staat gründen, und sie wären dabei von niemandes Erlaubnis abhängig, auch nicht von der Israels. Wenn sie das nicht tun, heißt dies, dass sie es nicht tun wollen.

Warum?

Vielleicht weil dies den Verzicht auf alle Gebiete außerhalb des Gazastreifens bedeuten würde? Mitnichten. Niemand könnte einem palästinensischen Staat verwehren, offiziell Anspruch auf das Westjordanland zu erheben, so wie auch niemand der alten Bundesrepublik verwehren konnte, die Wiedervereinigung als Staatsziel zu proklamieren.

Ob er das Westjordanland – oder was immer er sonst fordern würde – tatsächlich bekäme, stünde natürlich auf einem anderen Blatt, aber er würde den Anspruch nicht schon dadurch verwirken, dass er ihn nicht sofort durchsetzen könnte.

Einen eigenen Staat haben heißt aber: Pflichten haben!

Und genau hier liegt der springende Punkt:

Ein Palästinenserstaat könnte nämlich nicht nur, er müsste seine Ansprüche explizit zu Protokoll geben! Und das würde bedeuten, dass die Hamas die Vernichtung Israels nochmals, und diesmal mit dem ganzen Gewicht einer staatlichen Willensbekundung, vor aller Welt fordern – oder dieses Ziel aufgeben müsste.

Und natürlich müsste ein Staat die Verantwortung für die militärischen Angriffe auf sich nehmen, die von seinem Territorium gegen das Nachbarland vorgetragen werden. Für die Wahrnehmung des Konflikts durch die Augen selbst des verblödeten westlichen Publikums würde es vermutlich einen Unterschied bedeuten, ob zwei Staaten gegeneinander kämpfen, oder ob man denselben Konflikt – so wie jetzt – als Konflikt zwischen einem Staat und einer auswärtigen „Zivilbevölkerung“ verkaufen könnte.

Die Existenz eines eigenen Staates würde den Palästinensern nicht nur Rechte verschaffen, die sie haben wollen, sondern auch Pflichten auferlegen, die sie nicht haben wollen. Insbesondere solche Pflichten, die sie daran hindern könnten, ihr Nachbarvolk zu massakrieren.

Deshalb wollen sie ihn nicht.

Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens

Unter Sportreportern ist es guter Brauch, dass der, der eine Phrase absondert – etwa: „Das Eins-zu-Null hat dem Spiel gutgetan“ – fünf Euro ins Phrasenschwein werfen muss. Behaupten sie jedenfalls. (Es gab sogar einmal unter dem Titel „So werde ich Heribert Faßbender“ eine regelrechte Phrasensammlung.) Ich weiß nicht, ob besagtes Schwein wirklich existiert, aber es sollte existieren – fünf Euro sind jedenfalls eine gerechte Strafe für „So kann’s gehen im Fußball“.

Gerecht wäre natürlich auch, wenn die politischen Journalisten gleichermaßen zur Kasse gebeten würden, zum Beispiel für Sätze wie:

„Ein Ende der Gewalt im Gazastreifen ist nicht in Sicht.“

Wenn für Phrasen dieser Art keine fünf Euro abgedrückt werden müssen, dann dürfte das vor allem daran liegen, dass sie gerade wegen ihrer Banalität geballte Ideologie transportieren.

Was so beiläufig daherkommt, dass man es kaum noch hört, enthält in jedem Falle die Botschaft: „Ich bin eine Selbstverständlichkeit.“ Und worin besteht die?

Von Journalisten erwartet man, dass sie das treffende Wort finden. Für das Geschehen im Gazastreifen also das Wort „Krieg“, nicht das unspezifische „Gewalt“, das auch für eine Ohrfeige oder ein Wirtshausprügelei stehen kann. Den meisten Europäern ist aber noch erinnerlich, dass Krieg irgendetwas mit Politik zu tun hat, und dass meistens zwei Parteien gegeneinander kämpfen. Das Wort „Krieg“ würde also sofort fünf Fragen provozieren:

Wer kämpft

gegen wen

aus welchem Grund

mit welchem Ziel

und mit welchem (vorläufigen) Ergebnis?

Also fünf politische Fragen, die man auch politisch beantworten müsste.

Die sich aber erübrigen, sobald nur von „Gewalt“ die Rede ist. „Gewalt“ ist das Sinnlose und obendrein Böse, und deswegen geht es bei ihr nur darum, ob irgendein „Ende in Sicht“ ist. Das ist die Ideologie „Krieg ist keine Lösung“, versteckt in einem einzigen Wort und mit diesem in die Köpfe der Hörer, Leser und Zuschauer geschmuggelt, die gar nicht erst die Chance bekommen (sollen), irgendetwas zu hinterfragen.

Denn natürlich ist es Unsinn zu behaupten, Krieg sei keine Lösung. Krieg setzt einen politischen Konflikt voraus. Gelingt es, diesen friedlich zu lösen: gut. Wenn nicht, ist der Krieg der deadlock breaking mechanism. Eine Partei zwingt der anderen eine Lösung auf, sobald sie deren Gewaltpotenzial zerschlagen hat. Das ist ein unerfreulicher Vorgang, aber zu einer Lösung führt er allemal. Diejenigen Fälle, in denen Krieg wirklich „keine Lösung“ war – man denke an den Dreißigjährigen Krieg – sind die, in denen es nicht zu einer militärischen Entscheidung kam.

Weil das so ist, lautet die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit einem Krieg nicht, ob ein „Ende in Sicht“ ist, sondern:

Wer gewinnt?

Für Drittstaaten kommt die Frage hinzu: Ergreife ich Partei und, wenn ja, für wen?

(Ich weiß, das sind alles Platitüden, und bis vor wenigen Jahren wusste das auch Jeder. Heute aber – heute leben wir einer Zeit, wo man beweisen muss, dass der Regen von oben nach unten fällt, nicht etwa umgekehrt.)

Heute kommen diese Drittstaaten gar nicht auf die Idee, so zu fragen. Stattdessen fordern sie – na was wohl? – ein „Ende der Gewalt“, und höchstrangige Delegationen reisen in die Region, um „zu vermitteln“ (wohlgemerkt: zwischen einem demokratischen Staat und einer faschistischen Terrororganisation; dass Beide somit gleichrangig seien, ist eine weitere ideologische Setzung, die man uns unterjubelt, ohne uns zu fragen).

Sarkozy und Assad - Staatsmänner unter sich, voll Sorge um den Weltfrieden

Erfreulicherweise – denn die Liquidierung der Hamas ist nun weiß Gott wünschenswert – haben diese Missionen keine Ergebnisse, sie dienen ja auch nur der gockelhaften Selbstinszenierung von Politikern, die möglicherweise selber glauben, dies sei Politik.

Erwachsene Menschen im Dienste des Mediensystems bringen es dann fertig, über die Scheinaktivitäten dieser – pardon! – aufgeblasenen Hampelmänner zu berichten, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen. Täten sie es, müssten sie ja zugeben, dass es Wichtigeres gibt als die Frage, ob „ein Ende der Gewalt in Sicht“ ist.

So aber entpolitisiert man den Zuschauer, macht man aus einer politischen eine moralische Frage, spült man jeden Gedanken mit Emotionen weg, suggeriert man eine pazifistische Ideologie, und spielt man sich als Volkspädagoge auf, dessen Publikum die Reife von Kindern im Vorschulalter hat: „Seid doch lieb zueinander! Krieg ist keine Lösung! Der Klügere gibt nach!“

Diese Art Journalismus zielt unzweideutig darauf ab, den Zuschauer in einen Zustand infantiler Urteils-Unfähigkeit zu versetzen, und niemand sollte sich über Moderatoren wundern, die wie umgeschulte Kindergartentanten nicht nur aussehen,

Hannelore Fischer, ARDSusanne Conrad, ZDF

sondern sich auch eines dazu passenden Tonfalls befleißigen. Das Deprimierende daran ist, dass dieses Konzept funktioniert: dass sich die Nation also tatsächlich aufs Töpfchen setzen lässt und sich mit dem Daumen im Mund Gute-Nacht-Geschichten anhört.

Würden wir uns in der Sportberichterstattung die journalistischen Standards bieten lassen, die man uns dort zumutet, wo es um unsere vitalen Interessen geht, so klänge das Ergebnis ungefähr so:

Ein Ende dieses brutalen Macho-Spiels, in dem so viel gefoult wird, ist nicht in Sicht. Die Anwohner leiden unter dem Lärm. Der Versuch des französischen Staatspräsidenten, das Spiel vorzeitig abzupfeifen, ist gescheitert. Unsere Quellen vor Ort verraten uns den Spielstand nicht.“

So etwas hat Heribert Faßbender nie getan.

Vom Weltbild der Israel-Hasser

Es ist oft gefragt worden, warum unter den vielen Krisenherden dieser Welt ausgerechnet der im Nahen Osten immer wieder ganz besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Von den denkbaren und plausiblen Antworten auf diese Frage scheint mir eine ganz besonders einleuchtend:

Dieser Konflikt enthält in sich gleichzeitig die Konflikte

  • zwischen dem Westen und dem Islam,
  • zwischen Freiheit und Totalitarismus,
  • zwischen der ordnenden und geordneten Gewalt des Staates und der chaotischen, entgrenzten und vagabundierenden Gewalt von Warlords, Terroristen und Kriminellen,
  • zwischen dem Recht als einer rationalen, Sicherheit und Berechenbarkeit verbürgenden Ordnung und der „Gerechtigkeit“ als der Entrechtung des Stärkeren und Selbstermächtigung des Schwächeren zu Willkür und Gewalt.

Es handelt sich also um genau diejenigen Konflikte, deren Ausgang über den Fortbestand der westlichen Zivilisation, wahrscheinlich sogar der Zivilisation schlechthin, entscheiden wird – um diejenigen, die oft unausgesprochen, verdeckt, vermischt und verleugnet den Subtext der Weltpolitik bilden, die aber nirgendwo so klar, so konzentriert, so bis zur äußersten Feindschaft gesteigert zutage treten wie eben im Nahen Osten. Weil das so ist, lässt sich das politische Weltbild eines Menschen an seiner Einstellung zum Nahostkonflikt wie an einer geeichten Skala ablesen.

Sage mir, wie Du zu Israel stehst, und ich sage Dir, wer Du bist.

Nehmen wir nur – pars pro toto – das unsagbar dumme Gerede über die „Verhältnismäßigkeit“, die Israel angeblich missachtet. In den Worten eines gewissen Ulrich Leidholdt, der als ARD-Korrespondent (also auf Kosten des Gebührenzahlers, der sich nicht dagegen wehren kann, dass sein sauer verdientes Geld zur Unterstützung ausländischer terroristischer Vereinigungen veuntreut wird) in Amman sein Unwesen treibt:

„16 Tote in Israel durch Hamas-Raketen aus Gaza in sieben Jahren – rechtfertigt das 300 Tote an nur einem Tag durch die Israels Luftwaffe?“

Wie sieht eigentlich das Weltbild eines Menschen aus, der es fertigbringt, einen solchen Satz zu schreiben? Ungefähr so: Einen Mord darf man nur dann im Wege der Nothilfe (bzw. Notwehr) verhindern, wenn die Zahl der Täter und Helfershelfer die der Opfer nicht übersteigt. Sollte also Herr Leidholdt eines Tages in die bedauernswerte Situation geraten, auf den Straßen von Amman von einer wütenden Menge gelyncht zu werden, die seine Kommentare nicht militant genug fand, so müsste die jordanische Polizei ihm sagen: „Tut uns leid, Herr Leidholdt, um Ihnen – also einem Menschen zu helfen, müssten wir mehrere Menschen töten, und das wäre unverhältnismäßig. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass Sie sich aufhängen lassen müssen.“

(Zugunsten der jordanischen Polizei möchte ich annehmen, dass ihre Ausbilder juristisch hinreichend geschult sind zu wissen, dass die Verantwortung für eine Tötung in Notwehr/Nothilfe denjenigen trifft, der die Notwehrsituation herbeigeführt hat, und dass sich deswegen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit gar nicht erst stellt! Weniger geschwollen ausgedrückt: Wer einen Anderen zwingt, ihn zu töten, ist selbst schuld.)

Analoges gilt für die hysterische Empörung über die zivilen Opfer des Krieges. Es ist zutreffend, dass jede Kriegspartei verpflichtet ist, die Schädigung, insbesondere Tötung von Nichtkombattanten nach Möglichkeit zu vermeiden. Diese Norm hängt aber nicht in der Luft, sondern findet ihre logische und notwendige Ergänzung in dem strikten Verbot, den Unterschied zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu verwischen. Wer das trotzdem tut, indem er Kämpfer oder militärische Einrichtungen nicht als solche kennzeichnet, Zivilisten Waffen schmuggeln lässt, Raketen von Schulhöfen abfeuert, Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht, Munition in Moscheen lagert usw., begeht damit ein schweres Kriegsverbrechen und ist verantwortlich für alle daraus resultierenden zivilen Opfer.

Oder erinnern wir uns an die Empörung darüber, dass Israel nicht bereit war, mit der Hamas offizielle Verhandlungen aufzunehmen: Dies bedeute die Nichtanerkennung einer gewählten Regierung. Das ist zwar Unsinn, aber lassen wir es mal so stehen. Der Umkehrschluss lautet aber, dass das palästinensische Volk, indem es der Hamas ein Mandat erteilt hat, und dies sehenden Auges, für deren Handlungen verantwortlich ist.

Wenn man das Weltbild der westlichen Israelhasser gestützt nur auf diese Beispiele – die Liste lässt sich mühelos verlängern – zusammenfasst, so lautet es,

  • dass gesetztes Recht Unrecht ist,
  • dass Staaten nur Pflichten haben (insbesondere die Pflicht zum Gewaltverzicht),
  • private Akteure aber nur Rechte (einschließlich des Rechts auf willkürliche Gewaltanwendung),
  • dass demgemäß Staaten für alles verantwortlich sind, Private aber für nichts,
  • dass Demokratien, weil sie Staaten sind, kein Recht auf Selbstverteidigung haben, auch nicht gegen totalitäre Bewegungen, auch nicht gegen Terroristen,

…und dass insbesondere Israel nicht das Recht hat zu existieren. Preisfrage: Ist das Antisemitimus?

Ich würde sagen: Nein.

Natürlich ist Antisemitismus in westlichen Gesellschaften weit verbreitet, und es wäre ganz merkwürdig, wenn er im Zusammenhang mit Israelfeindlichkeit nicht zum Vorschein käme – denken wir nur an die unsägliche Bettina Marx und ihre „reichen Juden“ -, aber die skizzierte Ideologie funktioniert auch ganz und gar ohne Antisemitismus.

Wer den Staat – den Ordnungsstaat, den Rechtsstaat, den Nationalstaat – schlechthin ablehnt, wäre ganz inkonsequent, wenn er gerade für Israel eine Ausnahme machte. Wer Recht, Gesetz und Ordnung schlechthin für antiemanzipatorisch hält, muss kein Antisemit sein, um auch das israelische Recht zu verachten. Wer alle westlichen Völker einschließlich des eigenen hasst, hasst auch das jüdische.

Eine solche Ideologie ist nicht antisemitisch, sondern antizivilisatorisch! Es ist genau diejenige Ideologie der Entstrukturierung, der Auflösung und des Chaos, die den destruktiven Kern linker Ideologie darstellt. (Dass diese anarchistische Ideologie regelmäßig nicht in der herrschaftsfreien, klassenlosen oder sonstwie beglückten Gesellschaft mündet, sondern im Totalitarismus, liegt in der Natur der Sache und bedarf keiner Erläuterung.)

Der Nahostkonflikt ist der Lackmustest, der diesen Sachverhalt sichtbar macht.

Pizza für den Sieg!

Als ich vor ein paar Wochen den Artikel „Strategien des Gegendjihad“ schrieb, hatte ich eines der wichtigsten Elemente einer solchen Strategie glatt zu erwähnen vergessen, nämlich die Unterstützung Israels als desjenigen Staates der westlichen Welt, der am stärksten unter Druck steht, und der zugleich erfreulicherweise derjenige ist, der am wenigsten Bereitschaft zeigt, diesem Druck nachzugeben.

Wie aber unterstützt man einen Staat, der sich im allgemeinen ganz gut selber zu helfen weiß? Verbale Solidarität ist ja schön und gut, aber gibt es nicht irgendetwas Handfesteres? Lila gibt in ihrem Blog die Antwort, und diese Antwort leuchtet mir unmittelbar ein, erstens, weil ich selber ziemlich verfressen bin, zweitens, weil Liebe immer durch den Magen geht.

Ich erinnere mich deutlich an meine Bundeswehrzeit und daran, dass die Verpflegung zu meinem tiefen Verdruss nach Qualität und Quantität zu wünschen übrig ließ. Mit welchen Speisen die israelische Armee verköstigt wird, entzieht sich meiner Kenntnis; aber wenn an dem Spruch „Je besser die Armee, desto schlechter das Essen“ auch nur ein Quentchen Wahrheit ist, dann muss es ein unaussprechlicher Fraß sein.

Wie dem auch sei, liebe Leser: Springt in Eure Spendierhosen und schickt den Soldaten der IDF Liebesgrüße in Gestalt von Pizza und Cola! Kriegsentscheidend wird es nicht sein, aber dass es die Moral der Truppe hebt, davon bin ich überzeugt!

Wie man das macht – es ist wirklich ganz einfach -, steht auf der Homepage von PizzaIDF.org.

Tom Segev: Die ersten Israelis

(Kurzrezension)

Ich denke mir etwas dabei, wenn ich meinen Buchempfehlungen meist Links zu Presserezensionen beifüge. In der Regel taugen die ja etwas. Dass ein Buch, das nur einen Totalverriss verdient, in der Presse fast durchweg positiv rezensiert wird, ist eine krasse Ausnahme. Und es spricht Bände, dass solche Ausnahmen vor allem bei den Büchern nicht irgendwelcher Autoren gemacht werden, sondern bei denen israelischer Autoren, die einen besonders unfairen Blick auf das eigene Land werfen.

Der israelische Historiker Tom Segev hat jüngst in einem denkwürdigen Essay für den „Spiegel“ geschrieben:

„Viele Israelis sind höchst dankbar für auswärtige Stimmen, die zum Beispiel die systematischen Verletzungen der grundlegendsten Menschenrechte in den Palästinensergebieten verurteilen. Sie wissen, dass keine Gesellschaft derartige Erscheinungen allein mit eigener Kraft aus der Welt schaffen kann. Stets braucht es auch Druck von außen. Sie sehen in solcher Kritik Schützenhilfe für ihre Bemühungen, in Israel eine gerechtere – viele sagen, eine „zionistischere“ – Gesellschaft aufzubauen. Sie kommen gar nicht auf die Idee zu behaupten, Kritik an der Unterdrückung der Palästinenser sei Ausdruck einer antiisraelischen oder antizionistischen oder gar notwendigerweise antisemitischen Einstellung.“

Abgesehen davon, dass es hanebüchener Stuss ist zu behaupten „keine Gesellschaft“ könne Menschenrechtsverletzungen „mit eigener Kraft aus der Welt schaffen“, sondern „stets“ brauche es „Druck von außen“; und abgesehen davon, dass die Ursachen für diese Menschenrechtsverletzungen von den Palästinensern selbst gezündet worden sind, zeugt es von einem haarsträubenden Demokratieverständnis, wenn der, der seine Landsleute nicht mit Argumenten überzeugen kann, dieses Defizit durch „Druck von außen“ kompensieren möchte – was ja nichts anderes bedeuten kann als die Aufforderung an die Länder des Westens, die israelische Regierung zu existenzgefährdenden Risiken zu nötigen. Zu Risiken, die diese Länder selbst in vergleichbarer Lage keineswegs eingehen würden. Auch wenn es nicht justiziabel sein mag: Im moralischen Sinne des Wortes ist für ein solches Verhalten der Ausdruck „Landesverrat“ durchaus angemessen.

Segevs Ruf als „neuer Historiker“, der die Gründungsmythen seines Landes „kritisch“ hinterfragt, gründet sich nicht nur, aber auch nicht zuletzt, auf das hier besprochene Werk, das bereits 1986 erschien, nunmehr aber erstmals in deutscher Sprache erhältlich ist.

Das Thema des Buches sind die Anfangsjahre des Staates Israel. Segev gliedert den Stoff anhand von vier Problemfeldern, die damals eine Rolle spielten. Es handelt sich um die politischen Konflikte

 

  • zwischen Juden und Arabern

  • zwischen Veteranen und Neuankömmlingen

  • zwischen Orthodoxen und Säkularen

  • zwischen Vision und Realität.

     

Hierbei geht es ihm darum, deutlich zu machen, dass zwischen dem, was man den Gründungsmythos Israels nennen könnte, und der historischen Wirklichkeit eine Kluft bestehe. Insbesondere hebt er hervor, dass viele Araber tatsächlich vertrieben worden seien, wie von ihnen selbst behauptet; dass sich die Israelis am Eigentum der geflohenen Araber bereichert hätten; dass die kulturelle Kluft zwischen askenasischen (europäischen) und sephardischen (orientalischen) Juden so tief gewesen sei, dass die gegenseitigen Vorurteile an Rassismus grenzten; dass viele Einwanderer lange in Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen mussten; dass es eine nationale Identität der Israelis nicht von Anfang an gegeben habe, und dass sie, soweit es sie gab, vielfach mit der jüdischen in Konflikt lag; dass in den ersten Jahren die israelische Wirtschaft eine Kriegs- und Planwirtschaft war, die von einer kafkaesken Bürokratie dirigiert wurde. Außerdem schildert Segev ausführlich das Ringen um den religiösen bzw. säkularen Charakter des entstehenden Staates.

Nun ist nichts leichter – oder sollte für den Historiker nichts leichter sein -, als Geschichtsmythen zu demontieren. Solche Mythen können in einem geschichtswissenschaftlichen Sinne nicht „wahr“ sein, weil sie eine politische, keine wissenschaftliche Funktion erfüllen. Die Frage ist, was der Historiker dem jeweiligen Mythos entgegensetzt.

Israel ist ein demokratischer Nationalstaat mit starken Minderheiten. Es konnte nicht ausbleiben, dass die inneren Widersprüche des Konzepts „demokratischer Nationalstaat“ sich gerade in der Gründungsphase dieses Staates schmerzhaft bemerkbar machen würden:

Es gibt letztlich keine Demokratie ohne Nation; und zwar deshalb nicht, weil die Akzeptanz demokratischer Entscheidungen durch die im Einzelfall unterlegene Minderheit davon abhängt, dass diese Minderheit sich als Teil des Ganzen fühlt. Ethnische und nationale, d.h. auf Dauer gestellte und obendrein politisierte Minderheiten sind für jede Demokratie eine – unter Umständen existenzielle – Belastung.

Zugleich gibt es keine Demokratie ohne Liberalität, sprich ohne individuelle Grundrechte, ohne Gleichheit vor dem Gesetz und ohne eine Rechtsstaatlichkeit, die den Einzelnen als Bürger ohne Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeit behandelt.

Demokratie erfordert also die Existenz eines Kollektivs (der Nation) und zugleich dessen Ignorierung. Diesen Widerspruch muss jeder demokratische Staat aushalten, der mit ethnischen Minderheiten zu tun hat, und es gibt keine Möglichkeit, ihn nach der einen oder anderen Seite aufzulösen. Dementsprechend konnte der Anspruch Israels, ein jüdischer Staat zu sein, in dem aber vollständige Gleichberechtigung herrschen würde, nie mehr sein als eben dies: ein Anspruch.

(Es war und ist aber auch nicht weniger als ein Anspruch, und zwar einer, der sehr wohl praktische und für die israelischen Araber positiv fühlbare Konsequenzen hat).

Tom Segev hätte diesen – oder auch irgendeinen anderen – analytischen Bezugsrahmen entwickeln können, um die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit zu erklären. Das hat er aber nicht getan. Stattdessen nervt er den Leser mit Details, die er unaufhörlich auf ihn einplätschern lässt, ohne dass ein roter Faden erkennbar würde, und verzichtet im Wesentlichen auf die theoretische Einordnung. Nicht einmal das Spiel „Was-wäre-gewesen-wenn“, mit dem Historiker sonst gerne Problemlagen verdeutlichen, gönnt er dem Leser. Er versucht gar nicht erst, den Handlungsspielraum der politisch Verantwortlichen analytisch auszuloten. Stattdessen stellt er dort, wo er überhaupt problematisiert, mit einer für einen Historiker erstaunlichen Naivität Anspruch und Wirklichkeit einander gegenüber und belässt es bei einer analytisch substanzlosen moralischen Anklage:

Wenn er zum Beispiel referiert, dass israelische Politiker überlegten, bevorzugt junge, qualifizierte und nicht zuletzt kampffähige (statt alter und kranker) Einwanderer ins Land zu holen, und dies zu einem Zeitpunkt, wo der Staat von Einwanderern geradezu überrannt wurde und nicht wusste, wo und wie er sie unterbringen sollte, dann kommentiert Segev naserümpfend, dies sei eher eine israelische als eine jüdische und nicht einmal eine zionistische Sichtweise (S.183).

Segevs eigene Sichtweise ist die dabei die des kleinen Max, der soeben festgestellt hat, dass der Weihnachtsmann nicht existiert, sich aber noch nicht zu der Erkenntnis durchgerungen hat, dass der Weihnachtsmann gar nicht existieren kann; sondern der seine Nichtexistenz damit erklärt, er müsse wohl ermordet worden sein. Und sich auf die Suche nach dem Mörder macht.

Bleibt nur die Frage, wieso ein derart schlechtes Buch zwanzig Jahre nach seinem ursprünglichen Erscheinen auf den deutschen Markt geworfen werden und Lesern präsentiert werden muss, die mehrheitlich wahrhaft mehr als genug Vorurteile gegen Israel hegen.

Die Obama-Lotterie

Ich lege mich fest: Der vierundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird Barack Hussein Obama heißen. Obama hat drei Schwächen, auf die die Republikaner sich einschießen werden: Seine Unerfahrenheit, sein Gutmenschentum und seine Hautfarbe.

Letztere ist zwar nicht an sich eine Schwäche – wenn die Republikaner Colin Powell oder Condoleezza Rice nominiert hätten, hätten wohl nur eingefleischte Rassisten ein Problem damit gehabt -, sie wird aber zur Schwäche durch seine Herkunft aus einem politischen Milieu, in dem Rassismus gegen Weiße und Hass gegen das eigene Land zum guten Ton gehören. Die Predigten seines väterlichen Freundes Jeremiah Wright sprachen Bände, zumal Obama solchen Reden Jahre um Jahre zugehört haben muss, ohne zu protestieren oder sich abzuwenden. Allein Wrights letzter Auftritt in Washington hätte Obama das Genick brechen müssen. Hat er aber nicht. Ähnlich wie Ronald Reagan scheint Obama teflonbeschichtet zu sein – alles gleitet an ihm ab.

Das Gutmenschentum – also die Neigung zu Dialog, Diplomatie, Multilateralismus: Kann so jemand ein Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte sein? Ich fürchte, nach acht Jahren Bush lässt sich aus solchen Überlegungen kein Wahlkampfknüller mehr gewinnen.

Seine Unerfahrenheit: Die hat schon Hillary Clinton auszuschlachten versucht („Nachts um drei im Weißen Haus klingelt das Telefon. Irgendwo auf der Welt braut sich eine bedrohliche Krise zusammen. Wer, meinen Sie, sollte jetzt im Weißen Haus den Hörer abnehmen?“), mit einem gewissen Erfolg, der aber nicht durchschlagend war.

Schwächen also hat er, aber sie scheinen seine Stärken nicht aufzuwiegen: Obama ist ein phantastischer Redner, einer, dem durchaus so etwas wie eine Gettysburg address zuzutrauen ist; er hat das Charisma eines Messias; und seine Botschaften – change! Yes, we can! – sind so uramerikanisch, dass sie auf eine Nation wie die amerikanische mit ihrer unerschöpflichen Bereitschaft, Neues zu wagen und sich selbst neu zu erfinden, einfach unwiderstehlich wirken müssen. McCain sieht dagegen buchstäblich alt aus.

Der vierundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten wird also Barack Obama heißen. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Zunächst wird dem Antiamerikanismus eine Weile das Maul gestopft werden: Ein Amerika, das von einem Schwarzen regiert wird, genießt allein deshalb schon den Schutz der Political Correctness, wenigstens eine Zeitlang. Und wahrscheinlich haben auch die Kommentatoren Recht, die glauben, dass Amerika unter den Bewohnern der Dritten Welt ebenso an Sympathien gewinnen wird wie in Europa. In der Dritten Welt, weil der US-Präsident dann aussieht „wie wir“ und vielleicht weniger „imperialistisch“ sein könnte. In Europa, weil man dort genau das erwähnte Gutmenschentum schätzt.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder enttäuscht er diese Erwartungen, dann wird die Sympathie schnell dahin sein. Oder er erfüllt sie. Dann wäre das die schlechte Nachricht.

Den meisten Europäern ist nicht bewusst, dass sie sich ihren eigenen Pazifismus nur deshalb leisten können, weil Amerika eben nicht pazifistisch ist. Obama will mit Allen reden: mit dem Iran, mit Syrien, wahrscheinlich auch mit der Hamas und der Hisbollah. Ist er sich wirklich bewusst, dass diese Leute Feinde seines Landes sind? Ist er sich darüber im Klaren, dass Israel die Zwölf auf deren Zielscheibe ist? Dass es die exponierte weiche Kinnspitze des Westens ist, ungefähr das, was im Kalten Krieg West-Berlin war? Weiß er, dass der, der eine Politik des „Wandels durch Annäherung“ versucht – etwa gegenüber dem Iran -, an einem Abgrund namens „Appeasement“ balanciert, und dass es großer Staatskunst bedarf, da nicht abzustürzen? Und verfügt er über diese Staatskunst – Stichwort „Unerfahrenheit“? Eine Annäherung an den Iran liegt im Bereich des Möglichen, aber nicht in dem des Erfreulichen. (Siehe auch meinen Artikel „Wie vertrauenswürdig ist Amerika?“)

Barack Obama ist bisher nicht mehr als eine Projektionsfläche. Wir wissen nicht, was er tun wird, wir wissen nur, was er symbolisiert: Antirassismus, Multilateralismus, Multikulturalismus, multireligiösen Hintergrund. Ich gebe zu, dass mir nicht wirklich wohl bei dem Gedanken ist, dass der mächtigste Mann der Welt ausgerechnet Hussein heißt und in seiner Kindheit in Indonesien eine islamische Schule besucht hat. In der islamischen Welt wird ihm das Sympathien einbringen – wahrscheinlich wird in Kürze irgendwo eine Fatwa auftauchen, die ihn zum Muslim erklärt, wie Goethe und Wilhelm II. -; hoffen wir, dass er nichts tut, sich diese Sympathien zu verdienen.

Antirassismus ist auch so ein Punkt, bei dem ich nachdenklich werde: Der „Kampf gegen den Rassismus“ wird mittlerweile zur Parole, unter der in Wirklichkeit ein Kampf gegen die westliche Demokratie geführt wird. (Und wieder verweise ich auf einen meiner Artikel: „Ist das schon rassistisch?“). Was, wenn nicht mehr die Ohnmacht der UNO, sondern die Macht der USA hinter Kampagnen steht, mit denen europäische Staaten eingeschüchtert werden sollen?

Obama ist ein ungewöhnlich sympathischer Politiker, und er ist Idealist. Ein Mann, der das gute Amerika verkörpert. Wie Woodrow Wilson. Wie Jimmy Carter. Es könnte sein, dass ein weniger sympathischer US-Präsident besser für die Welt wäre.

Natürlich kann es sein, dass ich Gespenster sehe. Vielleicht hält Obama wirklich die Balance zwischen Idealismus und Realismus. Vielleicht schwächt er wirklich die antiwestliche Feindschaft weltweit, und damit auch die Feinde des Westens. Vielleicht verändert er wirklich die Welt zum Guten.

Ich meine das gar nicht so hypothetisch, wie es vielleicht klingt. Er ist ein Politiker von außergewöhnlichem Format. Er hat die Chance, der beste Präsident zu werden, den die USA jemals hatten.

Oder der schlechteste.

Die besondere Verantwortung

Angela Merkel stattet Israel einen großen Staatsbesuch mit sieben Ministern ab, inclusive einer Rede vor der Knesset und einer gemeinsamen deutsch-israelischen Kabinettssitzung. In Zukunft sollen regelmäßige Regierungskonsultationen stattfinden. Die Beziehungen zu Israel bekommen damit aus der Sicht Berlins den gleichen Rang wie die zu anderen strategisch wichtigen Partnern, etwa zu Frankreich.

Der Deutschlandfunk lässt indessen keine Gelegenheit vorübergehen, uns darauf hinzuweisen, dass diese undankbaren Saujuden das überhaupt nicht zu schätzen wissen.

So wird es natürlich nicht formuliert. Aber so muss es wohl gemeint sein, wenn der Reporter Sebastian Engelbrecht sich als Einstieg lang und breit darüber auslässt, dass sein israelischer Kollege Probleme damit hat, auf israelischem Boden das Deutschlandlied zu hören (als ob das politisch von Bedeutung wäre), und wenn die Moderatorin der „Informationen vor Mitternacht“ pikiert – und wiederum als Aufhänger – vermerkt, dass die israelische Öffentlichkeit sich wohl nicht sehr für den Besuch interessiere.

Wahrscheinlich würden mir solche Spitzen gar nicht weiter auffallen, würden sie nicht in einem Programmumfeld zum Besten gegeben, in dem noch das Attentat auf die Religionsschule in Jerusalem als Anlass zu kaum noch getarnten antisemitischen Gehässigkeiten herhalten muss; wo nach dem Motto, die Juden seien ja selbst schuld, tränendrüsendrückend der Attentäter bemitleidet wird, der „in seinem kurzen Leben“ (Bettina Marx) – über das man zu diesem Zeitpunkt so wenig wusste, dass noch nicht einmal klar war, zu welcher Terrorbande er eigentlich gehörte – so viel Unrecht habe erdulden müssen, unter anderem von „reichen Juden“ (dies.), weil für die in Ostjerusalem eine „Luxussiedlung“ gebaut werde. Die reichen Juden – wieso kommt mir das nur so bekannt vor?

Primär geht es mir allerdings nicht um diesen gebührenfinanzierten Antisemitismus – ich musste das nur einmal loswerden -, sondern um die deutsche Israelpolitik. Ich finde es ausgesprochen begrüßenswert, dass die deutsche Regierung die Beziehungen zu Israel so eng und konstruktiv wie möglich gestalten will. Ich zweifle auch nicht daran, dass es Angela Merkel persönlich sehr ernst damit ist.

Nur kann Israel sich von den persönlichen Gefühlen der Bundeskanzlerin wenig kaufen – auf die Taten kommt es an, und zwar vor allem auf solche Taten, die die Feinde Israels betreffen, und die darauf abzielen, die von ihnen ausgehende Bedrohung zu verringern.

Es ist nicht konsequent, zutreffend das iranische Atomprogramm mit der Aufrüstung Hitlers zu vergleichen und vor einer Appeasementpolitik im Stil der dreißiger Jahre zu warnen, sich dann aber nicht etwa der Boykottpolitik der Amerikaner anzuschließen, sondern sich hinter dem Weltsicherheitsrat zu verstecken, in dem Russland und China zuverlässig alle wirkungsvollen Sanktionen gegen den Iran verhindern – genau im Stil der dreißiger Jahre, als England und Frankreich durchgreifende Sanktionen des Völkerbundes gegen Mussolinis Abessinienkrieg trickreich abzuwenden wussten.

Natürlich würde eine solche Politik Deutschland Geld kosten: ungefähr zwei Promille (nicht Prozent!) des deutschen Bruttosozialprodukts; der Export nach dem Iran verhält sich nämlich zu Deutschlands Sozialprodukt wie ein Zwanzig-Cent-Stück zu einem Hundert-Euro-Schein. Den Iran aber würde der Fortfall der deutschen Lieferungen, vor allem von strategisch bedeutsamen Industrieausrüstungen, vor erhebliche Probleme stellen. Ist es unter solchen Umständen ungerecht zu sagen, dass die Sprüche von der „besonderen Verantwortung Deutschlands für Israel“ keine 20 Cent wert sind?

Die Israelfreundlichkeit der deutschen Politik reicht genau so weit, wie man sie politisch korrekt mit dem Hinweis auf die Shoah und auf die zitierte „besondere Verantwortung“ legitimieren kann. Jenseits davon begäbe man sich in das Sperrfeuer einer öffentlichen Meinung, die von den Medien – und der Deutschlandfunk ist keineswegs das schlimmste Beispiel – systematisch pro-palästinensisch indoktriniert wird.

Natürlich kann es nicht Aufgabe gewählter Politiker sein, Medienschelte zu betreiben; zu schnell wittert die Öffentlichkeit einen Eingriff in die Pressefreiheit, und die Medien selbst sind gegenüber der Kritik von Politikern mindestens so hartleibig wie die Europäische Zentralbank. Solange aber unsere Politiker, und sei es durch Schweigen, den Eindruck erwecken, diese Kritik zu teilen, darf man sich nicht wundern, dass der genasführte Bürger ernsthaft glaubt, Israel sei eine Gefahr für den Weltfrieden, und dass die politisch korrekten geschichtsbewussten Phrasen bei ihm so ankommen, als würde Deutschland Israel nur aus schlechtem Gewissen unterstützen, nicht aber weil Israel eine befreundete Demokratie und obendrein im Recht ist.

Was spräche denn dagegen, sich als offizielle deutsche Position den völkerrechtlich unangreifbaren Standpunkt zu Eigen zu machen, dass Israel etwa bei seinen Militäraktionen im Gazastreifen von seinem Selbstverteidigungsrecht gemäß der UN-Charta Gebrauch macht? Dass es bedauerlich, aber nicht rechtswidrig ist, wenn dabei Zivilisten ums Leben kommen? Dass die Verantwortung dafür bei jenen irregulären Kombattanten (sprich Terroristen) liegt, die aus der Zivilbevölkerung heraus Kampfhandlungen vornehmen? Und dass eine kriegführende Macht nicht an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gebunden ist?

Ich glaube auch, dass es hilfreich wäre, wenn den Palstinensern klargemacht würde, dass sie keinerlei Unterstützung aus europäischen Steuergeldern mehr zu erwarten haben, wenn sie nicht ihre Terrorgruppen zerschlagen. Selbst wenn wir es nicht schaffen würden, diese Haltung – „Stoppt den Terror oder fresst Gras!“ – bei der EU durchzusetzen, würde allein die Tatsache, dass ein wichtiges westliches Land sich genau dafür einsetzt, den Effekt haben, dass die israelische Politik, den Gazastreifen tatsächlich nicht zu blockieren, überhaupt wahrgenommen und dann so human aussehen würde, wie sie tatsächlich ist.

Es könnte auch gewiss nicht schaden, auf eine Ausweitung der Unifil-Mission im Libanon zu drängen, mit der die Waffenlieferungen an die Hisbollah auf dem Landwege unterbunden würden. (Unsere Marine kreuzt vor der libanesischen Küste; das heißt, sie stellt sich bis an die Zähne bewaffnet vor ein fest verrammeltes Fenster, während die Tür – eben der Landweg von Syrien her – sperrangelweit offensteht.) Da die UNO dann aber deutsche Infanteristen anfordern würde, wird das niemals geschehen. Soviel zur b.V.D.f.I.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Iran“

Wie vertrauenswürdig ist Amerika?

Ruth hat wieder einen hochinteressanten Artikel ausgegraben: Das Middle East Media Research Institute (MEMRI) berichtet darin über das Zerbröckeln der saudisch geführten antiiranischen arabisch-sunnitischen Front, über dessen wahrscheinliche Ursache und das arabische Medienecho. Die MEMRI-Autoren lenken die Aufmerksamkeit auf die Teilnahme Ahmadinedjads an der Sitzung des Golfkooperationsrates Anfang Dezember – ein Ereignis, das in der europäischen Presse nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die es möglicherweise verdient.

Sie vermuten, dass die Golfstaaten eine grundsätzliche Annäherung an den Iran in die Wege leiten, und zwar als vorweggenommene Reaktion auf einen möglicherweise bevorstehenden proiranischen Kurswechsel der USA. Ein solcher wird in der Region offenbar für wahrscheinlich gehalten, nachdem die USA den NIE-Bericht über die angebliche Einstellung des iranischen Atomwaffenprogramms veröffentlicht und damit den internationalen Druck auf Teheran erheblich reduziert haben.

Die Regierungen der Golfstaaten, besser informiert als ich, ziehen also aus dem Erscheinen des NIE-Berichts Schlussfolgerungen, die sich weitgehend mit den Befürchtungen decken, die ich vor einigen Wochen hier veröffentlicht habe.

So gern ich Recht habe – und ich bin ziemlich eitel -, in diesem Fall wäre ich lieber widerlegt worden.

Viele können sich das kaum vorstellen, dass die Erzfeinde USA und Iran zueinander finden könnten, und in der personellen Konstellation Bush-Ahmadinedjad kann ein solches Bündnis in der Tat kaum zustandekommen. Aber die Amtszeit beider Präsidenten endet 2009. Wir wissen nicht, wie ein eventueller demokratischer US-Präsident die Dinge sehen wird und wir wissen nicht, ob Ahmadinedjad wiedergewählt bzw. wie sein Nachfolger denken wird.

Sieht man aber von Personen ab und blickt nur auf die Interessen und das mutmaßliche Kalkül von Strategen beider Seiten, erscheint eine solche Rochade beunruhigend realistisch.

Ganz allgemein gesprochen, bedeutete eine Allianz der stärksten Macht in der Region – der USA – mit der zweitstärksten – dem Iran – (Israel und die Türkei bleiben hier außer Betracht) einen deutlichen Machtzuwachs für jede der beiden, zumindest kurzfristig.

Die USA waren ja schon einmal mit dem Iran verbündet, während des Schah-Regimes bis 1979. Seit der islamischen Revolution ist die Geschichte der US-Diplomatie in der Region eine Geschichte des Versuchs, den Iran als Alliierten gleichwertig zu ersetzen:

In den achtziger Jahren diente Saddams Irak als Quasi-Verbündeter. Nachdem der sich als noch gefährlicher entpuppt hatte als der Iran selbst, baute man die Golfstaaten, speziell Saudi-Arabien, mit Waffen, Geld und Know-How zur Festung gegen den Irak aus. Spätestens 2001 mussten die Amerikaner feststellen, dass die Saudis den Extremismus geradezu züchteten und dass dieses Land jederzeit den Islamisten in die Hände fallen konnte. Also wandte man sich wieder dem Irak zu, diesmal per „regime change“ – mit dem Ergebnis, dass man dort nicht einmal einen stabilen Staat errichten, geschweige denn einen starken Verbündeten gewinnen kann.

An Irans Ostgrenze sehen die Ergebnisse der amerikanischen Politik nicht viel eindrucksvoller aus: Wohl gewann man Pakistan als Verbündeten; der ist aber so instabil, dass die Islamisten heute womöglich nur noch ein Attentat von der Atombombe entfernt sind; und in Afghanistan unterstützte Washington die Mudjaheddin, dann die Taliban, und bekam als Quittung den 11.September.

Muss man sich da wundern, wenn amerikanische Strategen es leid sind, nach Ersatzpersern zu suchen, und daher nach Wegen fragen, das Original, also den Iran selbst, wieder ins Bett zu bekommen? Wundern müsste einen, wenn sie es nicht wenigstens in Erwägung zögen.

Für die USA liegen die – zumindest kurzfristigen – Vorteile auf der Hand:

Erstens wäre es bedeutend leichter, den Irak zu stabilisieren und sich halbwegs mit Anstand von dort zurückzuziehen.

Zweitens hätte man einen Alliierten, der sich vor einem (sunnitisch!-)islamistischen, dazu atomar bewaffneten Pakistan selbst bedroht fühlen müsste, zugleich aber in der Lage wäre, die dann unvermeidliche Kriegführung zu Lande selbst zu übernehmen. (Bereits Bushs Atomdeal mit Indien deutet darauf hin, dass man Pakistan mittelfristig nicht als Allierten, sondern als Feind einplant.) Die USA selbst sind dazu nur noch beschränkt in der Lage; es wäre für sie vorteilhaft, auf die Methode des Stellvertreterkrieges zurückzugreifen – dafür aber bedarf es eines Stellvertreters.

Drittens stünde einer der größten Erdölproduzenten der Welt auf seiten Amerikas.

Viertens würde selbst ein Umsturz im Iran, der ja nur ein demokratischer sein könnte, nicht wie 1979 dazu führen, dass der Alliierte sich in einen Feind verwandelt. Anders als bei allen anderen islamischen „Verbündeten“ Amerikas.

Woraus sich bereits der erste Grund ergibt, warum der Iran an einer solchen Konstellation interessiert sein könnte: Er ist das einzige islamische Land, dessen Regierung durch eine proamerikanische Politik an Popularität eher gewinnen als verlieren würde – gerade in oppositionellen Kreisen.

Zweitens könnte das Regime damit rechnen, dass die demokratische Opposition keine Unterstützung aus den USA mehr bekäme.

Drittens wäre die amerikanische Interventionsdrohung vom Tisch.

Viertens bekäme der Iran wieder uneingeschränkten Zugang zum Weltmarkt, den er dringend braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren und in Schwung zu bringen und seinen zum Teil hochqualifizierten, aber arbeitslosen und entsprechend unzufriedenen jungen Leuten eine Perspektive zu geben.

Fünftens wäre der Iran als Juniorpartner Amerikas die unangefochtene Führungsmacht der Region. Nicht nur würde er den schiitisch geführten Irak dominieren; auch den arabischen Golfstaaten, dazu Syrien und Jordanien bliebe ohne amerikanische Rückendeckung kaum etwas anderes übrig, als sich verstärkt an der iranischen Politik zu orientieren. (Paradoxerweise würde sich ihre Abhängigkeit von Amerika – und damit dessen Macht – gleichzeitig noch vergößern, weil die USA dann die einzige Macht wären, die verhindern könnte, dass die iranische Hegemonie sich zu einem regelrechten Imperium auswachsen würde, für das die arabischen Staaten östlich des Suezkanals bloß noch Quasi-Kolonien wären. Die Amerikaner könnten durchaus versucht sein, dasselbe Spiel wie in Europa zu spielen, dessen Staaten zwar nicht nur, aber auch nicht zuletzt deshalb von Amerika abhängig sind, weil dessen Präsenz die sicherste Garantie gegen ein womöglich wiederauflebendes deutsches Hegemoniestreben ist; dass die USA zugleich mit Deutschland verbündet sind, steht dem nicht entgegen, im Gegenteil!)

Sechstens müsste Amerika die Atomrüstung des Iran zumindest stillschweigend dulden, zumal wenn sie (siehe Indien!) halbwegs plausibel als Defensivmaßnahme gegen Pakistan verkauft werden kann.

Einer solchen immer noch hypothetischen US-Politik würde natürlich eine Reihe von Milchmädchenrechnungen zugrundeliegen. Was aber nur heißt, dass sie scheitern würde, nicht, dass sie nicht versucht werden kann: Die Fähigkeit Amerikas, Geister zu rufen, die es dann nicht mehr loswird, ist legendär; im Übrigen tummeln sich nirgendwo so viele Milchmädchen wie in der Politik:

Mit einem zur Großmacht aufgebauten Iran bekäme die islamische Welt, was sie bisher nicht hat: eine Führungsmacht als strategisches Zentrum. Es würde sich rächen, dass die Vereinigten Staaten dazu neigen, den westlich-islamischen Gegensatz als solchen zu unterschätzen und bloß „Extremisten“ und „Terroristen“ für Feinde zu halten, während der Islam selbst doch eine Religion des Friedens sei. Und wer da glauben sollte, der sunnitisch-schiitische Gegensatz allein würde die Araber davon abhalten, die Führung Irans zu akzeptieren, müsste sich wohl alsbald belehren lassen, dass die Schiitenfeindlichkeit der Sunniten bei entsprechender Konstellation politisch kaum bedeutender ist als der Antiamerikanismus der Europäer.

Angenommen, die arabischen Staaten Vorderasiens plus Afghanistan und Pakistan gerieten in Abhängigkeit vom Iran, dann hätte der nicht nur einen Großteil der Welt-Ölreserven unter Kontrolle, sondern auch rund 350 Millionen Menschen, über die Hälfte von ihnen jünger als 25 Jahre. Was macht man mit so viel Jugend, die man im Wirtschaftsleben unmöglich unterbringen kann? Man schickt sie in den Kampf – was denn sonst? (Mehr über diese Zusammenhänge in meinem nächsten Beitrag, wo ich mich mit Gunnar Heinsohns „Söhne und Weltmacht“ auseinandersetzen werde).

Falls amerikanische Strategen also wirklich glauben sollten (und allen Indizien zum Trotz möchte ich doch immer noch annehmen, dass das nicht der Fall ist!), man könne den Iran auf die Dauer als Juniorpartner einspannen, werden sie eher früher als später ein böses Erwachen erleben. Das erste Opfer einer amerikanisch-iranischen Allianz wäre Israel. Das zweite der Westen insgesamt.

Viel Lärm um nichts?

So, nun haben wir es also quasi amtlich von den amerikanischen Geheimdiensten, denselben, die noch 2005 sicher waren, der Iran arbeite an Atomwaffen: Heute sind sie ebenso sicher, dass er das nicht tut – und zwar schon seit 2003.

Ich glaube nicht, dass es unfair ist, die Entwarnungen von Geheimdiensten anzuzweifeln, die heute dies behaupten und morgen das Gegenteil. Die den 11. September nicht vorhergesehen, geschweige denn verhindert haben. Die 1979 von der iranischen Revolution überrascht wurden. Ganz abgesehen von all den Böcken, die sie im Laufe ihrer Geschichte sonst noch geschossen haben.

Als einfacher Bürger steht man ja oft genug vor der Frage, was man glauben soll und was nicht, zumal dann, wenn es um Geheimdienstberichte geht, in deren Natur es liegt, dass sie nicht überprüfbar sind – aber nicht nur dann. Auch sonst werden zu viele Fehlinformationen gestreut, deren Herkunft zweifelhaft ist, und die man pragmatisch akzeptieren muss, wenn man nicht sein Leben mit der Nachprüfung von Details verbringen will.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man ziemlich weit kommt, wenn man nicht die einzelne Information inhaltlich überprüft (was oft genug unmöglich ist), sondern danach fragt, ob sie zusammen mit den bereits bekannten Tatsachen ein stimmiges, widerspruchsfreies Gesamtbild ergeben. Die Frage lautet: Passt das? 

Damit bekommt man zwar keine harten Beweise für oder gegen eine These (aber die bekommt man sowieso nicht), doch immerhin kann man auf diesem Wege ihre Plausibilität einschätzen und so das Irrtumsrisiko verringern.

Bekannt und vom Iran nicht etwa bestritten, sondern zur Schau gestellt ist zum Beispiel, dass er ein ehrgeiziges Programm zur Entwicklung von Raketen mit mehreren tausend Kilometern Reichweite verfolgt. Von Trägerwaffen also, deren einzig sinnvolle Nutzlast Atomsprengköpfe sind. Warum tut er das, wenn er doch keine Sprengköpfe bauen will?

Das Atomwaffenprogramm soll 2003 eingestellt worden sein. Zweitausenddrei!!! Zu genau dem Zeitpunkt also, wo die Regierung Bush den Beweis antrat, dass selbst die Nichtexistenz von Massenvernichtungswaffen (und die Kooperation mit UNO-Inspekteuren) ein Land nicht vor der Invasion bewahrt, wenn es zur „Achse des Bösen“ gehört – während ein noch so kleines Atomwaffenarsenal (Nordkorea) zur Abschreckung ausreicht.

Begründet wird dies damit, dass der Iran eben doch für internationalen Druck empfänglich sei und sich Sorgen um sein Ansehen im Ausland mache. Der Iran??? Bei seiner regelmäßig praktizierten Politik, westliche Ausländer als Staatsgeiseln zu nehmen, scheint die Sorge um das internationale Ansehen nicht so schmerzhaft gebrannt zu haben. Vor allem aber: Ein solches Nachgeben wäre doch nur dann sinnvoll gewesen, wenn die Welt davon erfahren hätte. Stattdessen taten die Perser alles, um die Welt in dem Glauben zu lassen, sie arbeiteten tatsächlich an Atomwaffen. Wozu sonst das Versteckspiel mit der IAEA? Wenn die Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste richtig wäre, müsste man dem Iran unterstellen, einerseits auf die effektivste Abschreckungswaffe zu verzichten, andererseits durch Geheimhaltung dieses Verzichts eine Invasion provozieren zu wollen. Die Strategie eines Selbstmörders.

Und warum betreibt der Iran seit dem Amtsantritt Ahmadinedjads eine Politik der psychologischen Kriegsvorbereitung durch brutale Hetze gegen Israel, verbunden mit der Propaganda, die Wiederkehr des Verborgenen Imam (die schiitische Variante der Apokalypse) stehe unmittelbar bevor? Warum, wenn der Krieg doch angeblich gar nicht stattfinden kann?

Vielleicht blufft der Iran, um den Preis in die Höhe zu treiben, den der Westen für einen Verzicht auf die Urananreicherung zu zahlen hätte? Das wäre eine gerissene Strategie – die der Iran aber offensichtlich nicht verfolgt! Bisher haben ihn die Europäer mit Engelszungen und großzügigen Angeboten nicht dazu verleiten können, seinerseits einen Preis zu nennen – es blieb beim catonischen Beharren auf der Anreicherung. Warum? (Ich begreife schon, dass es für Entwicklungländer eine Frage des Stolzes ist, technologische Kompetenz zu demonstrieren, hier also durch die Anreicherung. Aber dafür braucht man keine 3000 Zentrifugen!) Zumal der Iran doch damit rechnen musste, dass der Bluff, wenn er denn einer ist, als solcher auffliegt. Der Druck auf Teheran mag durch die „Enthüllungen“ der amerikanischen Dienste jetzt abnehmen, der Preis, den er verlangen kann, aber auch.

Die Dienste berufen sich unter anderem auf abgehörte Telefonate iranischer Offiziere; einer von ihnen habe sich über die Einstellung des Atomwaffenprogramms geärgert. Sollen wir wirklich glauben, dass iranische Militärs so naiv sind, solche Dinge am Telefon zu verhandeln? In Europa weiß jedes Kind, dass die NSA praktisch jedes Telefonat auf diesem Planeten abhören kann. Sollte das in der iranischen Armee unbekannt sein? (Wenn es aber nicht unbekannt ist – könnte es nicht sein, dass solche Telefonate genau zu Zweck geführt werden, den Amerikanern Fehlinformationen zuzuspielen?)

Das Ganze fügt sich zu keinem Bild. Das passt nicht. Das stinkt.

Völlig undurchsichtig ist auch, was in Washington gespielt wird. Sind die Dienste wirklich ihrem Präsidenten in den Rücken gefallen, um nicht wieder als Sündenbock für einen verfehlten Krieg herhalten zu müssen? Sind sie ihm überhaupt in den Rücken gefallen? Bush wusste seit mindestens drei Monaten von diesem Bericht; es hat ihn nicht gehindert, vom möglicherweise bevorstehenden Dritten Weltkrieg zu sprechen. Warum hat er nicht wenigstens seine Sprache gemäßigt? Könnte es sein, dass Bush schon längst vorhat, seine Iranpolitik zu ändern, dies aber nicht zugeben will, deshalb öffentlich den strammen Max gibt, der scheinbar nur unter dem Druck von öffentlich gemachten Geheimdienstberichten seine Politik ändert? Schärfere Sanktionen gegen den Iran kann man sich jetzt jedenfalls aus dem Kopf schlagen – Israel aber ist in diesen dubiosen Annapolis-Prozess verstrickt worden.

Spekulationen sind natürlich immer misslich – ich hasse es, spekulieren zu müssen! Aber die amerikanische Politik ist so undurchsichtig, inkonsequent und doppelbödig, dass sie einen zum Spekulieren zwingt. Irgendeiner in Washington spielt ein doppeltes Spiel – man weiß nur nicht, wer und warum. Vielleicht ist das alles ganz harmlos zu erklären, durch Schlamperei und Unprofessionalität zum Beispiel.

Vielleicht aber, vielleicht, geht es darum, einen Frontwechsel einzuleiten – der Iran hat schließlich Einiges zu bieten, von der Stabilität im Irak und Afghanistan bis zur sicheren und preisgünstigen Ölversorgung. Umgekehrt hat auch der Westen dem Iran Einiges zu bieten: Technologie, Integration in die Weltwirtschaft, Anerkennung einer regionalen Großmachtstellung. „Natürliche“ Verbündete eigentlich. Nur Einer stört.

Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber in meinem Kopf kreist die Broder-Frage:

Ab welchem Ölpreis steht das Existenzrecht Israels zur Disposition?

Christentum, „Islamophobie“, Antisemitismus

Am 28.April 2006 erschien auf der Internetseite des Zentralrats der Juden in Deutschland folgende Mitteilung:

„Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich für eine stärkere Zusammenarbeit von Juden und Muslimen bei der Bekämpfung von Extremismus ausgesprochen. Generalsekretär Stephan J. Kramer:  ‚Die Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie sind weitgehend die gleichen, deshalb soll das geplante Forschungszentrum die grundsätzlichen Mechanismen erforschen, um aus den Ergebnissen konkrete Handlungsschlüsse zu ziehen und Konzepte zu entwickeln,, wie wir diese vor Ort wirksam bekämpfen können.’“

Warum wird überhaupt noch ein Forschungszentrum gegründet, wenn die Ergebnisse dieser Forschung doch schon feststehen, nämlich dass es eine psychische Krankheit namens „Islamophobie“ gibt und dass „die Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie … weitgehend die gleichen sind“?

Nanu, frage ich mich als islamkritischer Deutscher. Sind neuerdings „Protokolle der Weisen von Mekka“ im Umlauf? Werden Muslime beschuldigt, Brunnen zu vergiften oder Christenkinder zu schlachten? Habe ich was verpasst? Was ist mit antisemitischen Muslimen? Zählt deren Antisemitismus nicht?

Ich weiß nicht, ob Hector Calvellis Behauptung stimmt, der Begriff „Islamophobie“ stamme aus der iranischen Propaganda. Wenn ich allerdings lese, dass der israelische Botschafter Shimon Stein am 23.Mai 2006 die Begrüßungsworte bei einer Podiumsdiskussion gesprochen hat, bei der es eben um das oben genannte Thema geht, dann kann ich mir die Frage nicht verkneifen, ob Israel keine anderen Probleme hat als die Sorge, dass seine Todfeinde diskriminiert werden könnten. Die militanten Unterstützer Israels in Deutschland jedenfalls dürften im Zweifel eher aus dem Lager derer kommen, die Kramer „islamophob“ nennt als aus dem der Islamophilen.

Soviel ist gewiss richtig, dass es bei uns auch Menschen gibt, die Alles und Jeden hassen, der in ihren Augen „undeutsch“ ist, also Juden und Muslime gleichermaßen (darüberhinaus aber auch Homosexuelle, Behinderte, Linke, Schwarze und Gelbe – warum der Zentralrat sich unter allen Gruppen, mit denen er sich sinnvollerweise solidarisieren könnte, ausgerechnet die Muslime herauspickt, ist mir ein Rätsel). Die Behauptung, es gebe eine Entsprechung zwischen Antisemitismus und „Islamophobie“, geht aber weit über die Binsenwahrheit hinaus, dass es in der deutschen Gesellschaft Rechtsextremisten gibt. Sie impliziert die Unterstellung, islamkritische oder -feindliche Einstellungen beruhten auf einem psychischen Defekt (Phobie!) großer Teile der Mehrheitsgesellschaft, der sich in einer dem Antisemitismus verwandten Ideologie niederschlage. Diese müsste – das wäre die politische Konsequenz – gesellschaftlich genauso geächtet werden wie jener.

Dass mich das alles ärgert, beweist natürlich noch nicht, dass es falsch ist. Überprüfen wir es also:

Wenn man nach Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamkritik sucht, so fällt zunächst auf, dass es gerade zu einigen der giftigsten antisemitischen Denkfiguren keine Parallelen im zeitgenössischen islamkritischen Diskurs gibt: Weder behauptet irgend jemand, die Muslime seien eine „Rasse“, die in einem biologisch begründeten (und daher nur durch Ausrottung aus der Welt zu schaffenden) Gegensatz zum Rest der Menschheit stünde, noch werden Muslime im Wege der Verschwörungstheorie zu den „wahren Herrschern“ der Welt stilisiert. (Selbst ein Mann wie der von mir darob heftig kritisierte Hans-Peter Raddatz verwendet zwar Verschwörungstheorien in islamkritischem Kontext, behauptet aber nicht etwa eine Verschwörung der Muslime, sondern eine solche westlich-liberaler Eliten, denen der Islam als bloßes Vehikel der Gesellschaftszersetzung diene.)

Die gegenwärtige Islamkritik führt negative Erscheinungen in der islamischen Kultur vor allem auf die Glaubensinhalte der Religion zurück. Sie verfährt also gerade nicht nach dem Motto des Antisemitismus: „Die Religion ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei.“ Vielmehr handelt es sich um Religionskritik. Wenn es also überhaupt irgendwo Denkfiguren gibt, die im antisemitischen wie im islamkritischen Diskurs auftauchen, dann müssten sie im Bereich des traditionell christlichen, theologisch begründeten Antijudaismus zu suchen sein.

Dabei konzentriert sich die Auseinandersetzung auf zwei zentrale Fragen:

Ist der Islam naturgemäß friedlich oder aufgrund seiner Glaubensinhalte notwendig unfriedlich?

Ist er mit der Demokratie vereinbar, oder ist er (sofern er sich nicht tiefgreifend verändert) eine theozentrische, antidemokratische, intolerante, frauenfeindliche und antisemitische Ideologie?

Westliche Verteidiger des Islam verweisen gerne darauf, dass ja auch das Christentum sich in seiner Geschichte als antidemokratisch, intolerant und gewalttätig erwiesen habe, dass also der Islam nicht besser und nicht schlechter zur Demokratie passe als das Christentum. Ich selbst habe einmal (in einer Diskussion bei Lila, Kommentar Nr.38) wie folgt geantwortet:

„Ich halte die Gleichsetzung von Koran und Bibel (nach dem Motto: In der Bibel stehen ja auch schlimme Dinge) für falsch, weil sie am Kern der Sache vorbeigeht: Beide Bücher strukturieren das Weltbild der Anhänger der jeweiligen Religion, indem sie ihnen ganz bestimmte Denkmuster und Wertungen vorgeben, die dann als kulturelle Selbstverständlichkeiten verinnerlicht werden. Und diese Denkmuster und Wertungen unterscheiden sich fundamental.
(Beispiel: Jesus sagt: Wer eine Frau nur lüstern ansieht, hat im Herzen schon die Ehe mit ihr gebrochen. Der Koran sagt, Frauen sollten ihre Reize bedecken, damit Männer nicht zur Sünde verleitet werden. An diesem Gegensatz lässt sich nicht nur einiges über das Frauenbild beider Religionen lernen, sondern auch über das Verhältnis zum Prinzip der Selbstverantwortung.)

Wenn man sich nun fragt, wie diese Denkmuster aussehen, dann scheint es mir wenig hilfreich zu sein, einzelne Zitate, etwa “Es gibt keinen Zwang in der Religion”, aus dem Zusammenhang zu reißen, wie es häufig geschieht; man sollte den roten (oder vielmehr grünen) Faden suchen, also die Themen, auf die besonderes Gewicht gelegt wird, und die Perspektiven, aus denen sie behandelt werden. Und da fällt mir eben folgendes auf:

Erstens, dass der Gegensatz Gläubige-Ungläubige eine zentrale Rolle spielt. Religion wird also von vornherein nicht von der Gottesbeziehung des Einzelnen her verstanden, sondern als Gegensatz von ReligionEN aufgefasst; und über die “Ungläubigen” wird dabei gesagt, dass sie grundsätzlich lügen, in der Hölle schmoren werden und bekämpft werden müssen; daher soll sich der Gläubige auch keine Freunde unter ihnen suchen. (Dass sie im Konfliktfall von vornherein im Unrecht sind, versteht sich daher von selbst.)

Daraus ergibt sich zweitens, dass der Mensch als Individuum keine Rolle spielt; der bei Muslimen häufig anzutreffende Hang zum Denken in Kollektivbegriffen scheint hier seine religiöse Grundlage zu haben.

Drittens wird Ethik grundsätzlich mit TAThandlungen in Verbindung gebracht: Tu dies, lass jenes, dann hast Du Gott auf Deiner Seite. Das jüdische Gebot “Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst” ist im koranischen Kontext vollkommen sinnlos, weil es ja eben nicht darauf ankommt, ob Du Deinen Nächsten liebst, solange Du ihn gemäß dem koranischen Gebot behandelst. Und solange der Koran die Tötung des anderen erlaubt (etwa im Kampf gegen die “Ungläubigen”) oder zu erlauben scheint, gibt es kein ethisches Kriterium, die diese Handlung als böse ausweisen würde. Es gibt im Islam keine Ethik außerhalb des Korans. Und der Koran selbst stellt keine Kriterien bereit, sondern gibt Handlungsanweisungen.

Womit er viertens zugleich, allein durch die Vielzahl der Anweisungen, eine Gesellschaftsordnung festsetzt, innerhalb derer für Fortschritt und Wandel kaum noch Raum ist, was mit demokratischen Prinzipien kaum unter einen Hut zu bringen ist: Ob etwas gut oder schlecht ist, kann nicht Gegenstand demokratischer Entscheidungen sein, jedenfalls nicht, wenn sie dem Koran widersprechen.

Und fünftens gelten diese Anweisungen für alle Zeiten als Gottes eigenes Wort, ohne jede Relativierung. Ein Christ, der dies von der Bibel behauptet (solche Christen gibt es natürlich, und wir nennen sie ohne Weiteres “Fundamentalisten”), verstrickt sich in die Paradoxie, dass die Bibel selbst dem widerspricht (siehe z.B. den Beginn des Lukasevangeliums). Ein Muslim nicht. Der Islam ist ein geschlossens, in sich halbwegs widerspruchsfreies System, das zu hinterfragen eine Todsünde ist. Die Gedanke, dass Wahrheit relativ und eine Frage der Perspektive sein könnte, kann natürlich auch von einzelnen Muslimen gedacht werden. Er kann aber NIEMALS zur kulturellen Selbstverständlichkeit in der islamischen Welt werden.“

So. Und nun wollen wir einmal sehen, inwiefern wir hier Parallelen zu antijüdischen Argumentationsmustern finden:

Au weia, möchte man auf den ersten Blick sagen – da finden sich ja sogar eine ganze Reihe von Entsprechungen:

Ist nicht der Vorwurf, die koranische Lehre basiere auf der Entgegensetzung von Gläubigen und Ungläubigen, bei Abwertung der letzteren, eine genaue Entsprechung zu dem Vorwurf, die Juden betrachteten sich als „auserwähltes Volk“ allen anderen als überlegen?

Ist nicht der Vorwurf, eine Gesetzesreligion zu sein, bei der es bloß auf den äußeren Gehorsam ankomme, eines der zentralen Themen der christlichen antijüdischen Polemik?

Und lehnt schließlich nicht das Judentum, zumindest dessen orthodoxe Richtung, eine historisch-kritische Lesart der Thora ebenso ab wie der Islam eine solche des Koran?

Doch, doch, das ist so. Na und?

Nicht jedes auf die Theologie bezogene Argument, mit dem man auch die jüdische Religion kritisieren könnte, ist deswegen schon antisemitisch; der Antisemitismus beginnt dort, wo jüdische Glaubensinhalte zum Zwecke der Diffamierung absichtlich verzerrt werden. Wenn jemand zum Beispiel den Gedanken des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel zu einem Projekt jüdischer Weltherrschaft umlügt: Das ist Antisemitismus!

Da aber jüdische und islamische Theologie viele Gemeinsamkeiten aufweisen, liegt es in der Natur der Sache, dass manche theologischen Argumente gegen die eine Religion auch gegen die andere gewendet werden können. Der zentrale Vorwurf der Islamkritiker aber, ohne den alle anderen bedeutungslos wären, ist einer, der das Judentum nicht trifft und auch nie erhoben worden ist, jedenfalls nicht von einem christlichen Standpunkt. Er lautet, dass der Islam die Pflicht jedes Menschen proklamiert, Muslim zu sein, und die Pflicht jeder Gesellschaft, in der Muslime leben, sich den Geboten des Islam zu unterwerfen. Und damit auch das Recht der Muslime, diese Unterwerfung gewaltsam zu erzwingen. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Religion nicht nur in sich undemokratisch ist, sondern auch eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft darstellt.

Islamkritiker dürfen es sich daher getrost verbitten, einer „Phobie“, also einer Geisteskrankheit bezichtigt und mit Antisemiten in einen Topf geworfen zu werden. Die Gleichsetzung von Islamkritik mit Antisemitismus ist vielmehr Ausdruck von…

…tja, wie nennt man das? Ich schlage vor: Christianophobie.

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