Deutsch für MSM-Journalisten: Mehr Stielgefühl, bitte!

Deutsch für MSM-Journalisten: Mehr Stielgefühl, bitte!

Wenn man schon meint, Anglizismen verwenden zu müssen, dann sollte man sie wenigstens richtig aussprechen, zumindest, wenn man am Mikrophon eines Radio- oder Fernsehsenders sitzt:

Ich würde es ziemlich anzüglich finden, wenn man mir ein „feines Stielgefühl“ nachsagen würde.

Ein Werbespot mag jeder Beschreibung spotten, trotzdem ist er kein „Werbespott“.

Ich glaube auch nicht, dass es Politiker gibt, die ihre Wahlchancen ernsthaft dem Sachverstand eines „Spinndoktors“ anvertrauen würden.

Und wenn Deutschland den Superstar sucht, dann ist bestimmt nicht er gemeint:

Star

© Sascha Kunka / PIXELIO‘

Aus dem Wörterbuch des Gutmenschen: „Internationale Gemeinschaft“

Angesichts des sich erhöhenden Drucks auf Israel muss man kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass dem Ausdruck „Internationale Gemeinschaft“ eine neue Hochkonjunktur bevorsteht. Grund genug, noch einmal daran zu erinnern, dass dieser Terminus in sich eine Lüge darstellt:

Es handelt sich nämlich um eine sinnentstellende Scheinübersetzung von “international community“, was soviel bedeutet wie “Gesamtheit” (der Staaten), (internationale) “Allgemeinheit”.

Das deutsche Wort “Gemeinschaft” bezeichnet aber eine Gruppe, deren Mitglieder einander zu einem hohen Maß an Solidarität verpflichtet sind: vom Rechtsbegriff der “Versichertengemeinschaft” über “verschworene Gemeinschaft”, “Gemeinschaft der Gläubigen” bis hin zur “Volksgemeinschaft”.

Besonders akzentuiert wird der Begriff in der deutschen Geistesgeschichte durch die Gegenüberstellung von “Gemeinschaft” und “Gesellschaft”, wobei der Begriff der “Gemeinschaft” einen romantischen Beiklang hat: Der “Gemeinschaft” zu dienen gilt traditionell als erhabener und edler als bloß in der “Gesellschaft” seine schnöden Interessen zu verfolgen.

Eine “Internationale Gemeinschaft” in diesem Sinne existiert nicht, „Staatengesellschaft“ wäre viel treffender. Der Ausdruck „Internationale Gemeinschaft“

passt hervorragend zu einer deutschen Außenpolitik, die sich grundsätzlich hinter dieser “Gemeinschaft” versteckt,

enthält ein unausgesprochenes “Pfui” gegenüber allen Staaten, die das nicht tun,

ist für demagogische Zwecke wie geschaffen,

und wird genau deshalb von der deutschen Journaille in jedem zweiten Satz über den Nahostkonflikt verwendet.

„Weltnetz“

Habe ich schon erwähnt, dass ich kein Freund von Anglizismen bin?

Dabei bin ich keineswegs dogmatisch. Ein Wort wie „Job“ (im Sinne von „Arbeitsplatz“ und nur in diesem Sinne) ist nicht nur kürzer als „Arbeitsplatz“, es klingt vor allem nicht so schwerblütig protestantisch nach dem Platz-an-den-der-Herr-uns-gestellt-hat-und-an-dem-wir-uns-zu-bewähren-haben-ein-Leben-lang. Damit trifft es die Realität der modernen Arbeitswelt mit häufigem Jobwechsel wahrscheinlich besser als „Arbeitsplatz“.

Manchmal ist der englische Ausdruck also vorzuziehen. Nur muss er dann auch wirklich der bessere (kürzere, treffendere, plastischere) sein. „Er hat einen guten Job gemacht“ – brrr!!! – ist jedenfalls kein gleichwertiger, schon gar kein überlegener Ersatz für: „Er hat gute Arbeit geleistet.“

Das Wort „Internet“ ist mir schon lange ein Dorn im Auge:

Erstens denke ich als Deutscher bei „Internet“ immer an „Intershop“, „Interhotel“ und „Interflug“, zweitens heißt „inter“ nichts weiter als „zwischen“, und was soll man sich denn unter einem „Zwischennetz“ vorstellen? Drittens spart „net“ gegenüber „Netz“ keine Silbe.

Die rechtsextreme Szene benutzt bekanntlich schon lange das Wort „Weltnetz“, und ich muss zugeben, dass dieser Ausdruck, selbst wenn er aus dieser dubiosen Quelle stammt, in jeder Hinsicht prägnanter ist als „Internet“. Es ist eine Silbe kürzer, er ist deutsch und er ist plastisch: Man sieht ihn geradezu vor Augen, den Erdball, netzumspannt. „Weltnetz“ ist einfach besser!

Bekanntlich gelten, einer kuriosen neudeutschen Sitte zufolge, politisch anstößige  Gedanken, Argumente und eben Wörter in dem Moment als entnazifiziert und moralisch unbedenklich, wo sie von jüdischen Intellektuellen benutzt werden. Und so warte ich nun schon seit Jahren sehnsüchtig wie vergeblich darauf, dass die Herren Giordano, Broder oder Wolffssohn der rechten Szene das „Weltnetz“ entreißen.

Da sie dies aber bisher nicht getan haben – meine Güte, die Jungs können schließlich nicht an alles denken! -,  habe ich mich entschlossen, selber zur Tat zu schreiten und ab jetzt vom „Weltnetz“ zu sprechen (sofern ich nicht einfach „Netz“ sage), auch auf die Gefahr hin, dass mein Blog auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften landet.

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Wolf Schneider: Speak German! Warum Deutsch manchmal besser ist.

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Schulljung…

… ist nicht etwa der niederrheinische Dialektausdruck für „Schuljunge“, sondern diejenige Form des Wortes „Entschuldigung“, die von jugendlichen Rabauken gewählt wird, wenn sie mangels Verstandes eigentlich gar nicht einsehen, wofür sie sich entschuldigen sollen, und es deshalb als Zumutung empfinden, wenn man sie dazu auffordert.

In seriöseren Kreisen sagt man natürlich nicht „Schulljung“, sondern greift zu Floskeln wie:

„Ich bedaure zutiefst, dass Gefühle – insbesondere jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger – verletzt wurden“, sagte der Duisburger Polizeipräsident Rolf Cebin am Dienstag. Das Entfernen der Fahnen aus einem Duisburger Wohnhaus sei „aus heutiger Sicht die falsche Entscheidung gewesen“. Die Situation sei „sehr aufgeheizt“ gewesen und die Beamten hätten „Schaden von den Beteiligten“ nehmen wollen. Der Polizeipräsident betonte: „Nach allem, was ich heute weiß, hätte ich die Situation anders gelöst, um eine Eskalation zu vermeiden. Die öffentliche Empörung verstehe ich.“

Dieses Zitat aus „Focus online“ – leider habe ich nirgendwo den zusammenhängenden Originalwortlaut finden können – verdient eine ausführliche Würdigung.

„Ich bedaure…“ ist etwas völlig anderes als „Ich bitte um Verzeihung“. „Bedauern“ kann ich auch, dass in China ein Sack Reis umgefallen ist; ein Schuldeingeständnis ist das nicht und eine Bitte um Entschuldigung auch nicht. Weswegen wir die überall verbreitete Schlagzeile „Duisburger Polizeipräsident bittet um Entschuldigung“ getrost als Zeitungsente abtun können.

„… dass Gefühle … verletzt wurden„: Das ist genau die Art von Kindergartensprech, die ich erst vor einigen Tagen ausgiebig kritisiert habe. Ich habe großen Respekt vor dem Beruf des Erziehers, und selbstverständlich verstehe ich, dass man Kindern, namentlich solchen im Vorschulalter, beibringen muss, dass nicht alles ausgesprochen werden sollte, was die Gefühle des Gegenübers verletzen könnte. Als Erwachsener sollte man aber gelernt haben, dass die Verletzung von Gefühlen sich schon im privaten Bereich schwer und im öffentlichen Raum überhaupt nicht vermeiden lässt. Die Verletzung von Gefühlen ist das Letzte, wofür die deutsche Polizei sich zu entschuldigen hätte.

Was der Duisburger Polizeipräsident offensichtlich nicht begreift, ist, dass seine Beamten nicht irgendwelche Gefühle, sondern Recht und Verfassung verletzt haben, dass sie sich zu Komplizen von Kriminellen, Terroristen und Verfassungsfeinden gemacht haben, dass sie aktiv geholfen haben, einen rechtsfreien Raum zu schaffen!

Aber freilich: Was ist in der Bundesrepublik Disneyland schon die Suspendierung der Verfassung, verglichen mit der Verletzung von Gefühlen?!

„… insbesondere jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger …“ – bilde ich mir das ein, oder sind jüdische Bürger (im Unterschied zu Mitbürgern) in diesem Weltbild tatsächlich nicht vorgesehen? Wie dem auch sei: Für Herrn Cebin muss man wohl Jude sein, um Israel zu unterstützen – was im Umkehrschluss heißt, dass ihm andere Gründe dafür nicht einfallen. Und in den Genuss einer Entschuldigung – oder vielmehr Schein-Entschuldigung – des Polizeipräsidenten kommen auch die nicht etwa deshalb, weil die Polizei ihr Fehlverhalten einsähe, sondern weil die Political Correctness es erfordert, gegenüber „jüdischen Mitbürgern“ so etwas wie eine Entschuldigung wenigstens vorzutäuschen (und ihnen im stillen Kämmerlein einen Vorwurf daraus zu machen). 

„… aus heutiger Sicht die falsche Entscheidung…“ Was ist denn der Unterschied zwischen der „heutigen“ und der damaligen Sicht? Der Unterschied ist, dass die Öffentlichkeit sich empört.  „Aus heutiger Sicht“ bedeutet also: „Ich entschuldige mich zwar so lala, aber nur unter dem Druck der öffentlichen Meinung.“ Oder auch : „Schulljung“. 

 „… hätte ich die Situation anders gelöst …“ Ganz nebenbei wird den kleinen Schupos vor Ort, die letztlich nur das umsetzen, was Politik und Polizeiführung, also Leute wie Cebin, ihnen vormachen, der Schwarze Peter zugeschoben: Er, der Polizeipräsident, hätte die Situation natürlich gaaanz anders gelöst.

„…um eine Eskalation zu vermeiden…“ Wieder fühlt man sich an das Babyblabla erinnert, dass aus dem Fernseher tropft, sobald vom Gazastreifen die Rede ist. So, wie es auch dort nicht um die Zerschlagung einer Terrororganisation geht, sondern um ein „Ende der Gewalt“ (Ich verweise nochmals auf meinen Artikel „Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens“), so geht es auch im Inland nicht darum, Recht und Ordnung zu schützen und damit die Freiheit jedes Bürgers zu verteidigen, sondern „eine Eskalation zu vermeiden“.

Nach dem Motto: „Wer freiwillig die Beine breit macht, wird nicht vergewaltigt“!

„Die öffentliche Empörung verstehe ich.“ Natürlich versteht er in Wirklichkeit gar nichts, aber selbst wenn er die Empörung verstünde, dies die Botschaft, teilte er sie nicht.

Ich sage es noch einmal, weil man es nicht oft genug sagen kann:

Ein Staat, der nicht in der Lage ist, das von ihm selbst gesetzte Recht durchzusetzen, der seinen Bürgern keine Sicherheitsgarantie gibt, sie vielmehr der Willkür privater Gewalttäter ausliefert, ist nicht nur kein Rechtsstaat, sondern überhaupt kein Staat.

Wir wussten schon lange, dass es Menschen gibt, die die Staatsauflösung zu Ideologie erhoben haben. Wenn der Staat selbst aber eine solche Ideologie vertritt und dabei Grundbegriffe der Rechtsstaatlichkeit („Verhältnismäßigkeit“) in ihr Gegenteil verkehrt, und wenn diese Ideologie, wie wir gesehen haben, mit den höchsten Polizeirängen schon den Kern des Staatsapparates verseucht hat, dann reicht die Krise des demokratischen Gemeinwesens weitaus tiefer, als ich mir selbst in meinen Alpträumen hätte vorstellen können. Das bedeutet dann nämlich, dass selbst ein sofortiges Umsteuern der Politik hin zu den Prinzipien der wehrhaften Demokratie möglicherweise vom Polizeiapparat sabotiert würde.

Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens

Unter Sportreportern ist es guter Brauch, dass der, der eine Phrase absondert – etwa: „Das Eins-zu-Null hat dem Spiel gutgetan“ – fünf Euro ins Phrasenschwein werfen muss. Behaupten sie jedenfalls. (Es gab sogar einmal unter dem Titel „So werde ich Heribert Faßbender“ eine regelrechte Phrasensammlung.) Ich weiß nicht, ob besagtes Schwein wirklich existiert, aber es sollte existieren – fünf Euro sind jedenfalls eine gerechte Strafe für „So kann’s gehen im Fußball“.

Gerecht wäre natürlich auch, wenn die politischen Journalisten gleichermaßen zur Kasse gebeten würden, zum Beispiel für Sätze wie:

„Ein Ende der Gewalt im Gazastreifen ist nicht in Sicht.“

Wenn für Phrasen dieser Art keine fünf Euro abgedrückt werden müssen, dann dürfte das vor allem daran liegen, dass sie gerade wegen ihrer Banalität geballte Ideologie transportieren.

Was so beiläufig daherkommt, dass man es kaum noch hört, enthält in jedem Falle die Botschaft: „Ich bin eine Selbstverständlichkeit.“ Und worin besteht die?

Von Journalisten erwartet man, dass sie das treffende Wort finden. Für das Geschehen im Gazastreifen also das Wort „Krieg“, nicht das unspezifische „Gewalt“, das auch für eine Ohrfeige oder ein Wirtshausprügelei stehen kann. Den meisten Europäern ist aber noch erinnerlich, dass Krieg irgendetwas mit Politik zu tun hat, und dass meistens zwei Parteien gegeneinander kämpfen. Das Wort „Krieg“ würde also sofort fünf Fragen provozieren:

Wer kämpft

gegen wen

aus welchem Grund

mit welchem Ziel

und mit welchem (vorläufigen) Ergebnis?

Also fünf politische Fragen, die man auch politisch beantworten müsste.

Die sich aber erübrigen, sobald nur von „Gewalt“ die Rede ist. „Gewalt“ ist das Sinnlose und obendrein Böse, und deswegen geht es bei ihr nur darum, ob irgendein „Ende in Sicht“ ist. Das ist die Ideologie „Krieg ist keine Lösung“, versteckt in einem einzigen Wort und mit diesem in die Köpfe der Hörer, Leser und Zuschauer geschmuggelt, die gar nicht erst die Chance bekommen (sollen), irgendetwas zu hinterfragen.

Denn natürlich ist es Unsinn zu behaupten, Krieg sei keine Lösung. Krieg setzt einen politischen Konflikt voraus. Gelingt es, diesen friedlich zu lösen: gut. Wenn nicht, ist der Krieg der deadlock breaking mechanism. Eine Partei zwingt der anderen eine Lösung auf, sobald sie deren Gewaltpotenzial zerschlagen hat. Das ist ein unerfreulicher Vorgang, aber zu einer Lösung führt er allemal. Diejenigen Fälle, in denen Krieg wirklich „keine Lösung“ war – man denke an den Dreißigjährigen Krieg – sind die, in denen es nicht zu einer militärischen Entscheidung kam.

Weil das so ist, lautet die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit einem Krieg nicht, ob ein „Ende in Sicht“ ist, sondern:

Wer gewinnt?

Für Drittstaaten kommt die Frage hinzu: Ergreife ich Partei und, wenn ja, für wen?

(Ich weiß, das sind alles Platitüden, und bis vor wenigen Jahren wusste das auch Jeder. Heute aber – heute leben wir einer Zeit, wo man beweisen muss, dass der Regen von oben nach unten fällt, nicht etwa umgekehrt.)

Heute kommen diese Drittstaaten gar nicht auf die Idee, so zu fragen. Stattdessen fordern sie – na was wohl? – ein „Ende der Gewalt“, und höchstrangige Delegationen reisen in die Region, um „zu vermitteln“ (wohlgemerkt: zwischen einem demokratischen Staat und einer faschistischen Terrororganisation; dass Beide somit gleichrangig seien, ist eine weitere ideologische Setzung, die man uns unterjubelt, ohne uns zu fragen).

Sarkozy und Assad - Staatsmänner unter sich, voll Sorge um den Weltfrieden

Erfreulicherweise – denn die Liquidierung der Hamas ist nun weiß Gott wünschenswert – haben diese Missionen keine Ergebnisse, sie dienen ja auch nur der gockelhaften Selbstinszenierung von Politikern, die möglicherweise selber glauben, dies sei Politik.

Erwachsene Menschen im Dienste des Mediensystems bringen es dann fertig, über die Scheinaktivitäten dieser – pardon! – aufgeblasenen Hampelmänner zu berichten, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen. Täten sie es, müssten sie ja zugeben, dass es Wichtigeres gibt als die Frage, ob „ein Ende der Gewalt in Sicht“ ist.

So aber entpolitisiert man den Zuschauer, macht man aus einer politischen eine moralische Frage, spült man jeden Gedanken mit Emotionen weg, suggeriert man eine pazifistische Ideologie, und spielt man sich als Volkspädagoge auf, dessen Publikum die Reife von Kindern im Vorschulalter hat: „Seid doch lieb zueinander! Krieg ist keine Lösung! Der Klügere gibt nach!“

Diese Art Journalismus zielt unzweideutig darauf ab, den Zuschauer in einen Zustand infantiler Urteils-Unfähigkeit zu versetzen, und niemand sollte sich über Moderatoren wundern, die wie umgeschulte Kindergartentanten nicht nur aussehen,

Hannelore Fischer, ARDSusanne Conrad, ZDF

sondern sich auch eines dazu passenden Tonfalls befleißigen. Das Deprimierende daran ist, dass dieses Konzept funktioniert: dass sich die Nation also tatsächlich aufs Töpfchen setzen lässt und sich mit dem Daumen im Mund Gute-Nacht-Geschichten anhört.

Würden wir uns in der Sportberichterstattung die journalistischen Standards bieten lassen, die man uns dort zumutet, wo es um unsere vitalen Interessen geht, so klänge das Ergebnis ungefähr so:

Ein Ende dieses brutalen Macho-Spiels, in dem so viel gefoult wird, ist nicht in Sicht. Die Anwohner leiden unter dem Lärm. Der Versuch des französischen Staatspräsidenten, das Spiel vorzeitig abzupfeifen, ist gescheitert. Unsere Quellen vor Ort verraten uns den Spielstand nicht.“

So etwas hat Heribert Faßbender nie getan.

Bibel in gerechter Sprache

Die Festplatte aufzuräumen ist so ähnlich wie den Speicher zu entrümpeln: Man entdeckt hundert Dinge, die einem entfallen waren, und gerät auf eine Art Zeitreise zurück ins eigene Leben.

Ich bin also beim Entrümpeln meiner Festplatte auf einen Text gestoßen, den ich vor zwei Jahren, also in meiner Vor-Blog-Ära, geschrieben habe. Ob er wirklich noch aktuell ist, weiß ich nicht, aber zum Löschen ist er allemal zu schade.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann hatte damals in „chrismon“ die „Bibel in gerechter Sprache“ angepriesen. „Chrismon“ ist gleichsam das Hausblättchen des liberalen Protestantismus in Deutschland, das ich bis dahin gelesen hatte und seitdem nicht mehr. Die Herausgeber dieser „Bibel in gerechter Sprache“ hatten nämlich das Kunststück fertiggebracht, den Christen und den Auklärer in mir gleichzeitig bis zur Weißglut zu provozieren.

Was lange gärt, wird endlich Wut: Der Ärger über die politische Linke hatte sich bei mir über Jahre angestaut, und 2006 war ich höchstens noch ein Gewohnheitslinker, wenn überhaupt einer. Wenn ich aber rückblickend darüber nachdenke, welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen und mich dazu brachte, mit der ganzen linken Mischpoke endgültig nichts mehr zu tun haben zu wollen, dann war es diese Gutmenschenbibel, weil die mir den ganzen totalitären Irrsinn linker (und eben nicht erst spezifisch kommunistischer) Ideologie in hochkonzentrierter Form vor Augen führte.

Jedenfalls schrieb ich damals zwei Briefe: einen an die Bischöfin, einen zweiten an die „chrismon“-Redaktion mit der Bitte, den ersten zu veröffentlichen. Diese Briefe habe ich jetzt auf meiner Festplatte wiedergefunden:

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem Bischöfin Käßmann in der vorletzten Ausgabe von „chrismon“ ein Loblied auf die sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ gesungen hatte, ging ich selbstverständlich davon aus, dass nunmehr diejenigen Theologen und Philologen reagieren und replizieren würden, die eine etwas weniger legeres Verhältnis zum biblischen Text, dafür aber ein wesentlich kritischeres Verhältnis zu den Anmaßungen der Political Correctness haben als die Bischöfin und mit ihr die Verfasser der vorliegenden neuen Bibelversion. Mit Ausnahme eines sehr kurzen und auch nur halb kritischen Leserbriefes hat „chrismon“ nichts dergleichen veröffentlicht. Das erstaunt mich.

Müsste ich annehmen, dass es solche kritischen Stellungnahmen nicht gegeben hat, so würde ich mich fragen, ob denn der deutsche Protestantismus, der einmal mit dem Anspruch angetreten ist, seine Theologie sola scriptura zu begründen, schon so weit von seinen ursprünglichen Anliegen entfernt ist, dass er die Bibel gewissermaßen als quantité négligeable auffasst, auf deren authentische Übersetzung es nicht ankommt, und deren absichtliche Fälschung weder einen Skandal noch auch nur einen Anlass zur Kritik darstellt.

Tatsächlich fördert bereits ein Blick ins Internet ermutigenderweise zutage, dass die Empörung quer durch die Christenheit unseres Landes geht: Sie wird artikuliert von Theologen und Laien, von Protestanten und Katholiken, von Liberalen und Fundamentalisten, von Gebildeten und Ungebildeten. Und wenn Bischöfin Wartenberg-Potte, eine der Fördererinnen des Projekts, sagt: „Über viele Kritiken brauchen wir nicht zu schmollen. Viel Feind, viel Ehr.“, so drückt dies eben nicht nur die bornierte Arroganz der Sektiererin aus, die die Vielzahl der Kritiker geradezu als Beweis für de Richtigkeit der eigenen Position ansieht, sondern bezeugt aus unverdächtigem Mund die Breite und Tiefe der Opposition gegen dieses Projekt. Deswegen kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass in Ihrer Redaktion keine kritischen Stellungnahmen zum Artikel von Frau Käßmann eingegangen sein sollen.

Nun möchte ich Ihnen nicht geradezu unterstellen, Sie wollten die Kritik totschweigen.

– Ich weiß nicht mehr genau, ob ich in diesem Punkt höflich oder naiv war –

Möglicherweise unterschätzen Sie aber die theologische und kirchenpolitische Brisanz des Themas, die ich in meiner unten folgenden Antwort auf Frau Käßmann dargelegt habe, und die, zusammengefasst, darin besteht, dass in der neuen Bibelversion eine theologische Position vertreten wird, die auf die Selbstabschaffung des Christentums hinausläuft. Ich bitte Sie, diese Antwort zu veröffentlichen, ungeachtet der Tatsache, dass ich Politikwissenschaftler und als solcher fachfremd bin. Da Thema ist zu wichtig und brennt zu vielen Menschen unter den Nägeln, als dass „chrismon“ einfach stillschweigend daran vorbeigehen sollte.

Sollten Sie sich zu einer Veröffentlichung nicht entschließen können, bitte ich Sie mir dies per e-Mail mitzuteilen; ich würde den Artikel dann anderweitig publizieren.

Mit freundlichen Grüßen 

Selbstverständlich hat „chrismon“ sich gehütet, auch nur eine Zeile zu veröffentlichen. Insofern ist dieser Artikel die längst überfällige Einlösung eines Versprechens.

Der Brief an die Bischöfin lautete wie folgt:

Sehr geehrte Frau Käßmann,

die Verfasser der von Ihnen jüngst gelobten neuen Bibelversion erheben bekanntlich den Anspruch, eine Bibelübersetzung, und zwar „in gerechter Sprache“ vorgelegt zu haben. Nun ist Gerechtigkeit, worin immer sie auch konkret bestehen mag, zweifellos ein hohes Gut. Ist sie aber wichtiger als die Wahrheit, die historische wie die theologische? Darf man um der Gerechtigkeit willen auch lügen und fälschen – nach dem Motto, der Zweck heilige die Mittel? Darf eine Kirche, die sich christlich nennt, die Person Christi aus dem Zentrum ihres Glaubens verbannen? Darf eine protestantische Kirche ihre Gläubigen bevormunden? Nein?

Dies alles aber tun die Verfasser jener „Bibel in gerechter Sprache“, und Sie, Frau Käßmann, segnen mit der Autorität der Bischöfin ein – pardon – Machwerk ab, das weder protestantisch noch auch nur christlich ist, und das nicht einmal für sich in Anspruch nehmen kann, aufklärerisch zu sein.

Zentrale Anliegen der Reformation waren bekanntlich die alleinige Geltung der Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens, die Autonomie des Gläubigen gegenüber kirchlicher Autorität in Glaubens- und Gewissensfragen, und als Konsequenz aus beidem das Recht, aber auch die Pflicht des Christen, sich nach bestem Wissen und Gewissen mit der Bibel auseinanderzusetzen.

Dabei war für Luther der jeweilige Originaltext in hebräischer und griechischer Sprache autoritativ – welcher auch sonst? Idealiter hätte also jeder Gläubige Altphilologe sein müssen. Da dies utopisch war und ist, galt es realiter, jedem Volk die Bibel in seiner eigenen Sprache zu bringen – dabei aber so nahe wie möglich am ursprünglichen Sinn und Wortlaut des Originals zu bleiben. Die Forderung nach Authentizität der Übersetzung ergibt sich daher nicht aus fundamentalistischer Buchstabengläubigkeit, sie hat nichts mit dem Glauben an die Verbalinspiration der Schrift zu tun. Sondern sie folgt zwingend aus den Urpostulaten der Reformation: aus der Theologie sola scriptura und der Freiheit eines Christenmenschen!

Authentisch ist eine Übersetzung aber nicht dann, wenn sie den Intentionen und Interessen des Übersetzers, sondern wenn sie denen des Verfassers entspricht. Entspricht sie diesen nicht, so haben wir es bestenfalls mit einer schlechten Übersetzung, schlimmstenfalls mit einer Fälschung zu tun.

Dass eine Eins-zu-eins-Übersetzung aus der einen Sprache in die andere nicht möglich ist, jede Übersetzung daher auch Interpretation und das Prinzip der Authentizität notwendig Kompromissen unterworfen ist, ist eine Binsenwahrheit, eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber ein grundlegender Unterschied, ob man solche Kompromisse eingeht, weil sie in der Natur der Sache und der Sprache liegen und daher unvermeidbar sind, oder ob man den Aussagegehalt des Textes absichtlich verändert, weil einem die originäre Aussage nicht in den Kram passt! Wenn zum Beispiel der Evangelist Matthäus „Vater unser“ (bzw. „Unser Vater“, Mt.6,9) schreibt, die Übersetzung aber behauptet er habe „Vater und Mutter“ geschrieben, so ist dies, ob gerecht oder nicht, eine Lüge und eine Fälschung! Wird diese Fälschung dadurch gerechtfertigt, sie drücke aus, was „eigentlich“ gemeint sei, so verstehe ich nachträglich die Allergie meines alten Deutschlehrers gegen das Wort „eigentlich“ – eine Worthülse, in die jeder hineinstopft, was er will.

Tatsächlich drückt diese Fälschung bestenfalls das aus, was wir heute meinen. Selbstverständlich fasst heute niemand mehr die Gottesbezeichnung „Vater“ wortwörtlich auf, als sei Gott ein Mann. Für uns heute ist das Wort „Vater“ eine bloße Metapher für Gottes Fürsorge und Autorität.

Das ändert aber nichts daran, dass man sich in Gott biblischer Zeit durchaus als einen Mann vorstellte … . Dies, wie auch die Frauenfeindlichkeit des Paulus oder die apokalyptischen Passagen der Bibel (um nur einige Beispiele zu nennen) sind Dinge, mit denen man sich kritisch interpretierend auseinandersetzen muss, um das Bleibende und Ewige vom Zeitgebundenen zu trennen. Daran haben wir alle zu kauen. Als mündige Christen können wir aber auch daran kauen; wir sind, um im Bilde zu bleiben, nicht darauf angewiesen, dass man uns geistigen Babybrei vorsetzt, in dem alles Harte, Zähe und Schwerverdauliche vor- und fürsorglich bis zur Unkenntlichkeit püriert worden ist!

Ich, für meinen Teil, verbitte mir diese Art von Fürsorge: Es ist die Fürsorge des Zensors, der, natürlich nur „in bester Absicht“, die unmündigen Menschen vor jedem Text bewahren will, den sie „falsch“ – nämlich anders als der Zensor – verstehen könnten, wenn sie ihn autonom interpretierten. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, Frau Bischöfin, dass die Reformation von Anfang an ein Aufschrei und ein Aufstand des freien Christenmenschen gegen just diesen zensorischen und inquisitorischen Geist war?

Kaum weniger fragwürdig als diese Bevormundung der Gläubigen ist der Umgang mit der jüdisch-christlichen Geschichte. Und da dieser nicht nur mit einem unaufgeklärten, weil unhistorischen Religionsverständnis zu tun hat, sondern auch mit einem anti-aufklärerischen Sprachverständnis, sehe ich mich gezwungen, so lächerlich und peinlich das ist, einige linguistische Binsenwahrheiten ins Gedächtnis zu rufen:

Ein Begriff, der eine Personengruppe de-finiert, d.h. von anderen Personengruppen unterscheidet, und zwar nach anderen Kriterien als denen der Geschlechtszugehörigkeit, ist geschlechtsneutral. Wenn etwa von „Bürgern“ oder „Studenten“ die Rede ist, müssen diese ebensowenig zwangsläufig Männer sein, wie „Personen“ oder „Prozessparteien“ zwangsläufig Frauen sein müssen. Die eingebürgerte Redeweise von „Bürgerinnen und Bürgern“ oder „Studentinnen und Studenten“ ist schlechtes, weil tautologisch formuliertes Deutsch, beruht auf der Verwechslung des grammatischen Genus mit dem biologischen Sexus und entspringt einer vulgärfeministischen Marotte.

Gegen diese Verunstaltung der öffentlichen Sprache hat es zwar in den letzten dreißig Jahren nur wenig Widerstand gegeben, weil sie nur eine Form der Verunstaltung ist und bei weitem nicht die Schlimmste; wer wollte da den Don Quichotte machen? Dies bedeutet aber keineswegs, dass diese Sprachpanscherei korrekt wäre. Unerträglich und inakzeptabel wird sie aber spätestens dann, wenn sie aufhört, bloße Schlamperei zu sein, und stattdessen gezielt zum Instrument von Geschichts- und Bibelfälschung gemacht wird: Wenn die Bibel im Original von „Pharisäern“ oder „Richtern“ spricht, dann trifft sie über deren Geschlecht einfach keine Aussage. Die „Übersetzer“ freilich sind in dem ideologischen Vorurteil befangen, es könne keine geschlechtsneutralen Gruppenbezeichnungen geben und behaupten deshalb explizit, unter den Richtern und Pharisäern seien auch Frauen gewesen. Eine solche Behauptung ist nicht nur bereits deswegen eine absichtlich Fehlübersetzung, weil das Original das Geschlecht jener Personen eben nicht nennt; sie ist auch bar jeder historischen Plausibilität: Orthodoxe Juden lassen Frauen bis heute in religiösen Fragen nicht mitreden; die Vorstellung, sie hätten dies vor zwei- oder dreitausend Jahren getan, ist grotesk! Hier wird das Bild der israelitischen Gesellschaft der biblischen Zeit völlig unhistorisch nach dem aktuellen Maßstab heutiger Political Correctness zurechtgebogen.

Die Tatsache, dass die religiöse Entwicklung des Judentums ein jahrhundertelanger Prozess war, von dem die Bibel beredtes Zeugnis ablegt, und der sich unter den Bedingungen einer patriarchalischen Gesellschaft vollzog, wird – weil nicht sein kann, was nicht sein darf – kurzerhand ausgeblendet. Da zu diesem Zweck die Bibel gefälscht wird, fällt es schwer, sich nicht an George Orwells Beschreibung eines totalitären Systems („1984″) erinnert zu fühlen, das systematisch die früheren Ausgaben seiner eigenen Zeitungen umdichten lässt, um sie der jeweils aktuellen Parteilinie anzupassen. Dies ist nicht so polemisch, wie es sich für Sie vielleicht anhört, Frau Bischöfin: Die Nazis haben bekanntlich bereits versucht, das „jüdisch verseuchte“ Alte Testament abzuschaffen und einen „arischen Christus“ zu konstruieren. Wenn wir heute zulassen, dass der Text der Bibel unter politischen Gesichtspunkten manipuliert wird, seien diese Gründe auch noch so gut gemeint, dann begeben wir uns der Argumente, die wir morgen möglicherweise verzweifelt nötig haben werden: dann nämlich, wenn wieder ein totalitäres System versuchen sollte, sich die christlichen Kirchen gefügig zu machen!

In jedem Fall beruht die sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ auf einem unaufgeklärten Religionsverständnis: Unaufgeklärt deshalb, weil Religion, anders als das Vorgehen der Verfasser impliziert, nicht im luftleeren Raum reiner Theologie existiert, sondern sich in einem sozialen Kontext entwickelt. Die biblischen Zeugnisse sind daher stets mit Realgeschichte kontaminiert, und wir können das Christentum nicht verstehen und kritisch – auch selbstkritisch – reflektieren, wenn wir seine historische Genese ignorieren. Die neue Bibelversion jedoch wertet Gerechtigkeit (oder was sie dafür hält) höher als Wahrheit und Ideologie höher als Aufklärung. Dass dies einem emanzipatorischen Anliegen dienen soll, ist ein Widerspruch in sich.

Das Schlimmste kommt aber noch, und hier zitiere ich Sie wörtlich:

„Gerecht werden soll die neue Übersetzung auch dem jüdisch-christlichen Dialog (…) Wenn Jesus … in der Bergpredigt die Schrift auslegt, stellt er sich nicht in einen Widerspruch dazu [zur jüdischen Tradition, M.], wie es die Übersetzung ‚Ich aber sage euch’ (Mt 5,22) andeutet, sondern er interpretiert sie, wie andere Rabbinen, Schriftgelehrte seiner Zeit auch. Die Übersetzung ‚Ich lege das heute so aus’ weist darauf hin.“

Sehen wir einmal davon ab, dass diese Textfälschung schon deshalb nicht nötig gewesen wäre, weil Jesus selbst sagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt 5,17; zitiert selbstverständlich nach der Lutherbibel) Dies aber nur nebenbei.

Lassen wir es uns noch einmal auf der Zunge zergehen: Interpretiert sie … wie andere Schriftgelehrte auch … Ich lege das heute so aus! Jesus ist also einfach nur ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er interpretiert, wie andere auch. Er legt das heute so aus – und morgen anders? Er erhebt nicht den Anspruch auf überzeitliche Wahrheit (Dass dies genau so zu verstehen und nicht etwa eine Unterstellung ist, hat die „Übersetzerin“ des Matthäusevangeliums mit eigenen Worten bestätigt!), sondern stellt bloß theologische Hypothesen zur Diskussion!

Sagen Sie, Frau Bischöfin, ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da tun … ? Jesus ist für Sie also nicht der Sohn und die Inkarnation Gottes, sondern ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er ist auch nicht der Messias, nicht der Christus, sondern ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er ist noch nicht einmal das, was Mohammed für den Islam ist, nämlich der höchste und letzte der Propheten – nur ein Schriftgelehrter wie andere auch. Und sein Wort ist Ihrer Ansicht nach nicht das Wort Gottes, sondern lediglich eine von vielen möglichen Interpretationen der Thora. Eine Interpretation, die nicht einmal für ihn selbst verbindlich ist! Sind Sie sich darüber im Klaren, dass jeder islamistische Fanatiker mit Fug und Recht von sich behaupten kann, er verehre Jesus – für ihn der größte Prophet außer Mohammed – mehr, als Sie es tun … ?

Ohne es auch nur mit einem Wort zu erwähnen, haben Sie fast zweitausend Jahre trinitarischer und christologischer Theologie kassiert (Diese Tradition beginnt ja nicht erst mit den Konzilien, auf denen sie dogmatisiert worden ist, sondern mit den Paulusbriefen, allerspätestens aber dem Johannesevangelium!). Mehr noch: Sie haben die Bedeutung der Person und Lehre Christi als den archimedischen Punkt christlichen Glaubens negiert. Sie erklären Christus zu einem x-beliebigen Prediger und stellen sein Wort, das Wort Gottes, auf eine Stufe mit dem „Wort zum Sonntag“. Was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als dass Sie das Christentum schlechthin zur Disposition stellen!

Sollte dies, nämlich die Selbstentkernung des Christentums, das Ergebnis des Versuchs sein, den jüdisch-christlichen Dialog mithilfe der neuen Bibel zu fördern, so muss ich Sie fragen, was Sie unter „Dialog“ verstehen. Wenn die Bedeutung Christi bis zur Irrelevanz relativiert wird, so entspricht dies in der Tat exakt der jüdischen Auffassung von Jesus. Was Sie, Frau Bischöfin, nicht zu verstehen scheinen, ist, dass diese jüdische Auffassung, die als solche – das heißt als jüdische – vollkommen legitim und sogar zwingend ist, von einer christlichen Kirche, die dies auch bleiben will, nicht übernommen werden kann! Dialog ist eine Sache, Selbstaufgabe eine vollkommen andere!

Verstehen Sie mich bitte richtig: Niemand kann und darf Sie persönlich zwingen, an die Trinität, die Menschwerdung Gottes oder die überzeitliche Geltung der Bergpredigt zu glauben, wenn Sie daran nun einmal nicht glauben können. Sie sind eine freie Bürgerin und als solche berechtigt zu glauben, woran Sie wollen, notfalls auch an den Großen Manitou. Sie missbrauchen aber Ihr Amt und dessen Autorität, wenn Sie eine theologische Position als christlich verkaufen, die selbst bei größtem Wohlwollen nicht mehr als christlich gelten kann! Ein entkerntes Christentum, wie Sie und Ihre dubiosen Exegeten es propagieren, würde in kürzester Zeit auf ein paar sinnentleerte Traditionen zusammenschnurren: auf Weihnachtsbäume, Ostereier – und eine verballhornte Bibel!

Atheisten mögen sich den Bauch halten vor Lachen über die Eilfertigkeit, mit der ehedem ewige Wahrheiten auf dem Altar der Political Correctness geopfert werden. Katholiken mögen mit Schadenfreude zur Kenntnis nehmen, wie weit der Protestantismus heruntergekommen ist: Da sieht man’s mal wieder, Extra ecclesiam nulla salus! Juden können sich freuen, dass die Christen endlich zugeben, dass Jesus nicht der Messias war, Muslime Genugtuung empfinden darüber, dass die im Koran vertretene Behauptung, Christen würden willkürlich ihre Bibel fälschen, endlich der Wahrheit entspricht, nachdem sie 1400 Jahre lang eine Verleumdung gewesen war!

– und natürlich tauchten damals prompt in den einschlägigen Blogs und Foren Moslems auf, die ja schon immer gewust hatten, dass Christen Schriftverfälscher seien, weswegen einzig der Islam … –

Inwiefern dergleichen aber für protestantische Christen akzeptabel sein soll, ist mir ein Rätsel.

Mit freundlichen Grüßen

Das Wort des Jahres

Nachdem ich den „Krippengipfel“ als „Unwort des Jahres“ vorgeschlagen habe, nun mein Vorschlag für das „Wort des Jahres“:

BUNDESTROJANER

Die Verknüpfung von „Bundes-„, gleichsam dem sprachlichen Inbegriff der Amtlichkeit, mit „-trojaner“, dem Inbegriff der Hinterlist, ist genau die treffende Umschreibung für das, was das Innenministerium vorhat: Die Polizei soll in Zukunft fingierte Behörden-E-Post mit angehängtem Trojaner versenden, um die Zielrechner auszuspähen.

In welchem Land glaubt Schäuble eigentlich zu leben? Im Kongo?

Versteht mich richtig: Ich bin sehr dafür, zur Bekämpfung des Terrorismus der Polizei alle rechtsstaatlich vertretbaren Kompetenzen zu geben. Aber bestimmte Dinge gibt es, die können sonstwo gemacht werden, aber nicht in Deutschland. Jedenfalls nicht, ohne dass die Welt einstürzt. Und über die man deshalb auch nicht diskutiert, schon gar nicht als Konservativer. (Was für eine Art Konservatismus ist das eigentlich, die Schäuble da vertritt?).

Deutsche Behörden fälschen keine amtlichen Dokumente. Punkt.

Babylon II – Semantische Lügen

„Nationalsozialistische Gewaltherrschaft“: Stammt aus dem kanonischen Vokabular der deutschen Gedenkkultur, wird aber auch von Journalisten immer gerne genommen. Eine semantische Lüge ist es nicht deshalb, weil es die Nazis als gewalttätig beschreibt; natürlich haben die Nazis Gewalt in einem bis dahin in Europa unvorstellbaren Ausmaß angewendet. Die Lüge aber besteht darin, dass der Begriff der „Gewaltherrschaft“ suggeriert, ihre Herrschaft habe im Wesentlichen auf Gewaltanwendung beruht; so kann man sich daran vorbeimogeln, dass Hitler durch Wahlen an die Macht gekommen ist und Neuwahlen, wenn er sie denn zugelassen hätte, noch bis ins Jahr 1945 hinein spielend gewonnen hätte. Die Rede von der „nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ ist die Ausrede einer Gesellschaft, die bis heute nicht wahrhaben will, dass sie selbst den Nationalsozialismus hervorgebracht und Hitler vorbehaltlos unterstützt hat.

„Unrechtsstaat“ (Unrechtssystem, Unrechtsregime) DDR: Sagt nicht einfach aus, dass die DDR kein Rechtsstaat war – das war sie ja in der Tat nicht -, sondern, dass sie von vornherein auf Unrecht basiert und auf die Verwirklichung von Unrecht abgezielt habe. Nun wird das Begriffspaar Recht/Unrecht in zwei Kontexten verwendet: Einmal in einem positivistischen Sinne („Recht ist, was Gesetz ist“) im Hinblick auf die Frage der Legalität. In diesem Kontext von einem „Unrechtsstaat“ zu sprechen, ist blanker Unsinn. Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 war die Souveränität über Deutschland auf die Siegermächte übergegangen, und die übten sie in ihrer jeweiligen Besatzungszone aus. Die Gründung der DDR wie auch ihre innere Struktur als kommunistische Diktatur entsprach dem Willen der Besatzungsmacht und war damit legal. Von „Unrecht“ im Sinne von „Illegalität“ kann daher nur dort gesprochen werden, wo die DDR ihr eigenes Recht verletzte. Der zweite Bezugsrahmen im Gegensatz zur Legalität ist die politisch-moralische Frage nach der Legitimität. Die DDR war ein Staat, dessen bloße Existenz von seiner Bevölkerung abgelehnt wurde, erst recht seine diktatorische Ordnung; vom demokratischen Standpunkt der Volkssouveränität war er damit ein Unrechtsstaat. Schon wahr. Nur ist das Volk, von dessen Souveränität hier die Rede ist, das deutsche Volk. Zum Zeitpunkt der Gründung der DDR war es gerade vier Jahre her, dass das deutsche Volk von seiner Souveränität so verheerenden Gebrauch gemacht hatte, dass ganz Europa in Schutt und Asche lag. War es vor diesem Hintergrund wirklich „Unrecht“, Deutschland zu teilen? Außerhalb Deutschlands sah man das jedenfalls nicht so (sah es selbst 1989 nicht so), und mit dem Kalten Krieg wurde die Aufrechterhaltung dieser Teilung sogar die Voraussetzung für die Stabilität Europas. Und die Voraussetzung für die Teilung war der Fortbestand der Diktatur in der DDR. Kann man da wirklich ohne Einschränkung von einem „Unrecht“ sprechen, zumal wenn man berücksichtigt, dass Instabilität in Europa möglicherweise in einen Atomkrieg geführt hätte? Ja, das kann man, wenn man sich auf den Standpunkt stellt: „Demokratie – um jeden Preis“! Nur sollte man dann nicht beanspruchen, nüchtern und objektiv zu urteilen.

„Irakische Aufständische“: Wer gegen den irakischen Staat und die ihn kontrollierende Besatzungsmacht kämpft, ist im technischen Sinne ein „Aufständischer“. So weit, so gut. Der Ausdruck wird aber auch in Bezug auf Terroristen verwendet, die sich auf Marktplätzen in die Luft jagen. Gegen wen stehen denn die auf? Gegen Marktfrauen und Schuhputzer?

Rechts: Demagogischer Kampfbegriff der Linken, bei dem auf den Zusatz „-radikal“ oder „-extremistisch“ bewusst verzichtet wird, um den Unterschied zwischen Konservativen und Faschisten unter den Tisch fallen zu lassen. Dürfte dafür verantwortlich sein, dass sich nur noch 11 % der deutschen Bevölkerung als „rechts“ bezeichnen; das sind sogar weniger, als nach sozialwissenschaftlichen Analysen rechtsextrem eingestellt sind. Die Mehrheit ordnet sich der „Mitte“ zu, als wenn das irgendetwas aussagen würde. Dass es eine demokratische Rechte geben könnte, scheint niemandem mehr in den Sinn zu kommen. Wieder ein Begriff, der analytisch nicht mehr brauchbar ist, weil er zum politischen Kampfbegriff gemacht wurde. Siehe auch „What’s Left II“.

„Internationale Gemeinschaft“: Sinnentstellende Scheinübersetzung von „international community„, was soviel bedeutet wie „Gesamtheit“ (der Staaten), (internationale) „Allgemeinheit“. Das deutsche Wort „Gemeinschaft“ bezeichnet aber eine Gruppe, deren Mitglieder einander zu einem hohen Maß an Solidarität verpflichtet sind: vom Rechtsbegriff der „Versichertengemeinschaft“ über „verschworene Gemeinschaft“, „Gemeinschaft der Gläubigen“ bis hin zur „Volksgemeinschaft“. Besonders akzentuiert wird der Begriff in der deutschen Geistesgeschichte durch die Gegenüberstellung von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“, wobei der Begriff der „Gemeinschaft“ einen romantischen Beiklang hat: Der „Gemeinschaft“ zu dienen gilt traditionell als erhabener und edler als bloß in der „Gesellschaft“ seine schnöden Interessen zu verfolgen. Eine „Internationale Gemeinschaft“ in diesem Sinne existiert nicht, der Begriff ist durch und durch verlogen, passt aber natürlich hervorragend zu einer deutschen Außenpolitik, die sich grundsätzlich hinter dieser „Gemeinschaft“ versteckt, und enthält ein unausgesprochenes „Pfui“ gegenüber allen Staaten, die das nicht tun.

„Kriegsgefangenenlager“ Guantanamo: Guantanamo ist ein Gefangenenlager, aber seine Insassen, und daran entzündet sich die Kritik, sind gerade keine Kriegsgefangenen, jedenfalls nicht im rechtlichen Sinne. Rechtlich sind sie „feindliche Kämpfer“ – eine völlig willkürliche Konstruktion, die einzig und allein darauf abzielt, sie rechtlos zu stellen. Was die Verteidiger des amerikanischen Vorgehens aber nicht daran hindert, scheinheilig zu fragen, warum man denn – vor Ende der Kampfhandlungen – die Auflösung dieses „Kriegsgefangenenlagers“ fordere…

Mehr zum Thema Sprachkritik: Babylon I und Free Burma

Babylon I

Eines der meistgelesenen, zumindest aber meistgekauften Sachbücher der letzten Jahre trägt den Titel „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ und rechnet mit all dem falschen, schlechten, schiefen, sinnentleerten und sinnentstellenden Deutsch ab, das täglich aus den Medien quillt. Mittlerweile ist die dritte Folge erschienen, auch die in stattlicher Auflage. Offensichtlich bin ich also nicht der einzige Mensch, den dieses Deutsch stört. Nur bei seinen Urhebern, namentlich Journalisten, scheint die Kritik nicht angekommen zu sein. Vielleicht muss sie aber auch spurlos an ihnen vorübergehen; vielleicht können sie einfach nicht richtig Deutsch.

Ich bin berufsbedingt viel im Auto unterwegs und höre daher oft Radio. Wahrscheinlich fallen mir Fehlleistungen deshalb besonders auf: Im Radio lenkt mich die unmögliche Krawatte des Moderators nicht ab, und ich kann auch über Fehler nicht einfach hinweglesen. Die im Folgenden zitierten Beispiele stammen deshalb fast alle aus Sendungen von Info-Radio und solchen des Deutschlandfunks – also aus weiß Gott seriösen Medien, und aus Texten, die vorgelesen, also nicht aus dem Stegreif formuliert wurden.

Was geht zum Beispiel im Kopf eines Journalisten vor, der den folgenden Satz formuliert:

„Die Krankenschwestern prangerten die systematische Folter in dem libyschen Gefängnis an, um Geständnisse zu erpressen.“

Aha, die Krankenschwestern wollten Geständnisse erpressen. Wird es sich irgendwann – wieder – herumsprechen, dass Finalsätze, also Sätze, die mit „um (…) zu“ eingeleitet werden, nicht irgendjemandes Absichten wiedergeben, sondern die des Subjekts, hier also die der Krankenschwestern?

Das Subjekt eines passiv konstruierten Satzes bezeichnet nicht den, der etwas tut, sondern den, mit dem etwas getan wird. Klarer Fall? Von wegen:

„In China werden Dissidenten gerne einmal ins Gefängnis gesteckt.“

„… dass der tote US-Soldat triumphierend durch die Straßen von Mogadischu geschleift wurde.“

Na und, wird mancher sagen, da werden die Opfer zwar verhöhnt, aber was soll’s? Es ist doch klar, was gemeint ist. Gewiss, nur das die Sprache ihre eigenen Gesetze hat, und wenn die irgendwann keiner mehr kennt, weil keiner sie mehr beachtet, dann taugt die Sprache nur noch als Instrument der Demagogie. — Um Himmels willen, was habe ich getan??? Ich habe in elitärer Weise meine Leser überfordert: Ich habe den GENITIV verwendet!

Einem professionellen Journalisten (der sich selbst natürlich als „journalistischen Profi“ bezeichnen würde), wäre dergleichen niemals unterlaufen. Der hätte nicht von einem „Instrument der Demagogie“, sondern von einem „demagogischen Instrument“ gesprochen, denn merke: Wenn Du einen Genitiv ersetzen kannst, dann ersetze ihn: durch ein Adjektiv, durch ein zusammengesetztes Wort, am besten aber durch beides. Sprich niemals vom Programm der Großen Koalition, sprich vom „großkoalitionären Programm“! Und wenn Du schon dabei bist: Sprich von der „großkoalitionären Einigkeit“, wenn Du die Einigkeit in der Großen Koalition meinst. Und das Unbehagen der Bürger an der Großen Koalition, wie nennst Du das? Richtig: „Großkoalitionäres Unbehagen“!

Kurz und gut: Wenn Du zwei Dinge, egal wie, aufeinander beziehen willst, nimm ein Adjektiv, und Du brauchst Dir keine Gedanken mehr zu machen, was Du eigentlich aussagen willst. Eine Sorge weniger!

Na und, wird mancher wieder einwenden. Das klingt zwar hässlich, aber auch hier ist doch klar, was gemeint ist.

Ja? Es ist noch gar nicht so lange her, da nannte man Adjektive „Eigenschaftswörter“ – also Wörter, die nicht irgendeinen Bezug, sondern die Eigenschaften von Dingen ausdrücken sollten. Ich bin gar nicht der Purist, als der ich jetzt vielleicht erscheine – meinetwegen kann man hilfsweise ein Adjektiv verwenden, um einen Genitiv zu vermeiden oder ein bürokratisches „bezüglich“ zu vermeiden. Hilfsweise kann man das tun – wenn man denn weiß, was man tut.

Weiß es aber der Journalist, der von „Russlands demokratischen Defiziten“ sprciht? Donnerwetter, denkt der Hörer, so durch und durch demokratisch ist Russland, dass sogar seine Defizite noch demokratisch sind! – Nein, das denkt er natürlich nicht. Aber es hätte bestimmt nicht geschadet, wenn der Sprecher gesagt hätte, „dass Russland nicht so demokratisch ist, wie wir uns das im Westen wünschen“. Damit hätte er offengelegt, mit welcher Elle er Russland eigentlich misst – und er hätte es vermieden, in die Rolle des sauertöpfischen Buchhalters zu schlüpfen, der anderen ihre „Defizite“ vorrechnet.

Der gedankenlose Missbrauch von Adjektiven ist zuerst schlampig, dann hässlich und zum Schluss sinnentstellend: Wenn es in einer Buchbesprechung des DLF heißt, im Oktober 1914 habe das Osmanische Reich „den deutschen Feinden den Djihad erklärt“ – gemeint waren aber die Feinde Deutschlands, also das Gegenteil! -, dann wird’s babylonisch!

Und dann gibt es die schmierige Unsitte, sich beim Publikum mit einer Sprache anzubiedern, die umgangssprachlich leger sein soll, und die doch nur schlecht und falsch ist: Wenn der normale Berliner sagt „Ick hab mir mal’n Reichstach anjekiekt“, dann verwendet er das Wort „Reichstag“ völlig korrekt als Bezeichnung für ein Gebäude. Was aber ist gemeint, wenn es heißt „Außenminister Fischer kritisierte im Reichstag…“? Hat er dann eine Regierungserklärung vor dem Bundestag abgegeben oder einfach in dessen Caféteria vor sich hin gestänkert? Wenn von einer „Reichstagssitzung“ die Rede ist- Ja, auch das ist schon vorgekommen! – dann kann das nur heißen, es gebe eine Institution dieses Namens. Und da ist es nur konsequent zu sagen: „Im Jahr 2009 will die NPD in den Reichstag einziehen.“ Klar: Die NPD selber hätte es genau so formuliert. Und das ist das Ärgerliche: Am Anfang will man nur ein bisschen locker sein – am Ende bringt man rechtsradikale Ideologie unter die Leute!

Politisch weniger bedenklich, aber nicht weniger verwirrend ist die Marotte, Bundesinstitutionen als „Berliner“ Institutionen zu bezeichnen: „Berlin will die Bürger entlasten“, und wir können raten, ob wir uns bei Angela Merkel oder bei Klaus Wowereit zu bedanken haben. Mit dem „Berliner Parlament“ ist manchmal tatsächlich das Berliner Parlament, also das Abgeordnetenhaus gemeint, manchmal aber auch der Bundestag, und wieder können wir raten. Eine „Berliner Abgeordnete“ doziert über die Probleme von Weinbauern – und irgendwann kapieren wir, dass es sich um eine Bundestagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz handelt.

Dasselbe Wischiwaschi bei Amts- und Funktionsbezeichnungen. Offenbar ist es irgendwie uncool, Begriffe wie „Präsident“, „Ministerpräsident“, „Minister“, „Bürgermeister“, „Vorsitzender“, „Geschäftsführer“, „Mannschaftskapitän“ oder „Leiter“ zu verwenden – vom „Führer“ ganz zu schweigen. Es gibt nur noch Chefs: den Staatschef, den Stadtchef, den Bahnchef, den Landeschef, den Co-Chef, den Palästinenserchef, den Außenamtschef, den Mannschaftschef (nicht zu verwechseln mit dem Teamchef), den Gewerkschaftschef (Ob ein aufrechter Gewerkschafter wohl begeistert ist, wenn man ihn „Chef“ nennt?), den Kremlchef (Kremlchef!!! Man fragt sich, wann der Papst „Vatikanchef“ genannt wird!), den Südwestchef (Was ist schon ein baden-württembergischer Ministerpräsident, verglichen mit einem „Südwestchef“?) und die NRW-Chefin. Die NRW-Chefin? Wird Nordrhein-Westfalen jetzt von einer Frau regiert? Mitnichten; aber der Unterschied zwischen einem Ministerpräsidenten und einer Landesvorsitzenden ist mitsamt dem Duden, dem Grundgesetz und dem gesunden Menschenverstand im Redaktionspapierkorb gelandet.

Zum Schluss mein Vorschlag für den Titel „Unwort des Jahres“: Vor einigen Monaten trafen sich führende Politiker der großen Koalition … äh, pardon, ich meinte natürlich: fand ein großkoalitonäres Berliner Cheftreffen statt, bei dem es darum ging, wie man das Angebot an Kinderkrippenplätzen verbessern könne. Findige Journalisten tauften dieses Ereignis ohne eine Spur von Ironie:

KRIPPENGIPFEL

Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Zusammenkunft von zwei oder mehr Potentaten „Gipfel“ genannt wird. Woran denken wir dabei? An die Spitze des Olymp, majestätisch aus den Wolken ragend, wo der Rat der Götter über das Schicksal der Sterblichen befindet. Eine durchaus angemessene Metapher, wenn zum Beispiel von einem Nahost-Gipfel die Rede ist, bei dem es ja wirklich um Krieg und Frieden geht, um Leben und Tod. Aber ein

KRIPPENGIPFEL?

Das ist doch lächerlich!