Wer im Glashaus sitzt…

„Köln/Leipzig (RP). Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine hat indirekt Arbeiter dazu aufgefordert, ihren Zorn an Managern auszulassen. ‚Wenn die französischen Arbeiter sauer sind, dann sperren sie Manager mal ein. Ich würde mir das hier auch mal wünschen, damit die mal merken, dass da Zorn ist'“.

Natürlich gibt es verantwortungslose, treulose, pflichtvergessene, selbstsüchtige und arrogante Führungskräfte, die sich den Zorn der Arbeiter zugezogen haben, auch in Deutschland zuhauf. Allen voran Politiker, die die Stimmen von Arbeitern einsammeln, um dann fluchtartig vor der Macht davonzulaufen. (Man will ja nicht in Verdacht geraten, über „Sekundärtugenden“ zu verfügen.)

Dass aber ausgerechnet Lafontaine solche Leute eingesperrt sehen möchte, deutet darauf hin, dass er nicht nur ein narzisstischer Profilneurotiker ist, sondern auch ein Masochist.

Zum Fall Wolfgang Clement

Warum eigentlich genießt Wolfgang Clement in seinem Streit mit der SPD so viel höhere Sympathien als seine Partei?

Jedenfalls nicht deshalb, weil er im Recht wäre. Es versteht sich doch von selbst, dass keine Partei, auch sonst keine Vereinigung, in ihren Reihen Mitglieder dulden muss, die sie schädigen. Wolfgang Clement hat in der heißen Phase des hessischen Wahlkampfes von der Wahl seiner eigenen Partei abgeraten. Wenn das keine Schädigung ist, was denn dann? 

Jeder Andere, vor allem jeder weniger Prominente, wäre bei gleicher Sachlage ohne weiteres aus der SPD, wie auch aus jeder anderen Partei ausgeschlossen worden. Wenn ein in Ehren ergrauter Politiker wie Clement nicht begreift, dass er mit seiner Rüge noch gut bedient war, dann bleibt mir nur die Frage, ob dieser Mangel an politischem Verstand womöglich eine Alterserscheinung ist.

Wohl gibt es ein Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit. Das impliziert aber kein Jedermann zustehendes Recht, Mitglied jeder beliebigen Vereinigung zu werden oder zu bleiben. (Anderenfalls müsste man auch einem wie mir das Recht zugestehen, Mitglied eines Moscheevereins zu werden, und den Moscheeverein verdonnern, mich zu dulden. Im Kreise aller billig und gerecht Denkenden besteht wohl Konsens, dass hier die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten wären.)

Es gibt auch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, auf das gerade Clement sich gerne beruft. Es kann es ja auch ohne weiteres; nur kann er nicht unbedingt zugleich Mitglied der SPD sein. Ich bin auch ganz sicher, dass auch Wolfgang Clement ein weitaus weniger extensives, um nicht zu sagen exzessives Verständnis von Meinungsfreiheit bekundet hätte, wenn zum Beispiel Üppsi es gewagt hätte, ihm einen Landtagswahlkampf zu versauen.

Und trotzdem sympathisieren alle mit Clement – auch ich. Warum?

Weil das Zerwürfnis zwischen Clement und der SPD symptomatisch für deren rabiaten Linksschwenk ist und Clement seine Partei zur Kenntlichkeit entstellt hat:

Entstellt, weil der entstandene Eindruck falsch ist, er sei wegen „Rechtsabweichung“ gerügt worden; es ging nicht um Abweichung, sondern um Parteischädigung.

Zur Kenntlichkeit, weil die Behandlung Clements ein wenngleich ungeeigneter Beweis für eine vollkommen zutreffende These ist. Nämlich, dass in der SPD ein quasi stalinistischer Konformitätsdruck zugunsten linker Positionen herrscht. Der Stil der Juso-Intriganten der siebziger und achtziger Jahre, die unter „Politik“ den trickreich geführten innerparteilichen Flügelkampf verstanden, ist zum Leitbild der ganzen Partei geworden. Dass Politik dem Land dienen sollte … Land??? Was für ein Land?

Es setzt das Tüpfelchen aufs i, dass diese Partei, die so weit wie möglich nach links will und sich dabei selbstredend von der Agenda-Politik verabschiedet hat, ausgerechnet Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten macht, den Architekten dieser Politik. Niemand wird sich einbilden, dass die Sozialdemokraten sich an Steinmeiers inhaltlichen Vorstellungen orientieren wollen. Nein, nein: Außen soll „Schröder“ (alias Steinmeier) draufstehen, innen soll Nahles drin sein.

Die Üppsi-Lüge in XXL-Version.

Nicht, dass die Sozialdemokraten sich an Machiavelli orientieren, werfe ich ihnen vor. Machiavellismus ist so alt wie die Politik, und wer erfolgreich sein will, kommt nicht an ihm vorbei. Er kann sogar einen Zug von Größe haben, wenn er im Dienste einer Sache steht, die ihr historisches Recht hat – man denke an Konrad Adenauer und die Wiederbewaffnung.

Die Sorte Machiavellismus aber, die für die heutige SPD typisch ist, diese Verbindung von Pöstchengier und doktrinärer Borniertheit, von demokratischen Phrasen und praktizierter Volksverachtung, dieses doppelbödige „Wir lügen niemals, aber wenn wir lügen, dürfen wir das auch“, und das alles verbunden mit dem Anspruch, das schlachthin Gute zu verkörpern – das ist einfach das Letzte.

Die Geschichte der Y…

… also jener Dame, die man nicht bei ihrem richtigen Namen nennen darf, weil das sonst fremdenfeindlich wäre (Ja, ich bin nachtragend!), diese Geschichte also ist nunmehr … äh … Geschichte.

Der Wähler verzeiht nämlich vieles, notfalls auch einen Wortbruch; schließlich weiß er in der Regel aus seinem eigenen Leben, dass man für makellose Moral bestenfalls einen feuchten Händedruck bekommt und oft nicht einmal den. Da sieht man Politikern schon Manches nach, insbesondere wenn sie am Ende als Sieger dastehen. Aber wortbrüchig und erfolglos – das geht gar nicht.

Daraus, dass Üppsi nicht zurückgetreten ist, können wir folgern, dass diese politische Elementarweisheit sich noch nicht bis zu ihr herumgesprochen hat. Üppsi Diditagains herausragender Charakterzug ist ihre Hartnäckigkeit, und so genügt es ihr nicht, ihre Partei für weitere vier Jahre in die Opposition zu manövrieren, nein, sie muss die Niederlage der armen irren SPD, die selbstmörderischerweise noch zu ihr hält, in eine säkulare Katastrophe verwandeln, indem sie persönlich als Spitzenkandidatin nach Waterloo reitet.

Von höherer Warte aus betrachtet ist das alles nicht wirklich ein Grund zur Freude: Wenn das Linksbündnis nämlich zustandegekommen wäre, wäre der bevorstehende Bundestagswahlkampf stark polarisiert gewesen, und niemand hätte mehr den staatstragenden Versprechungen von Frank-Walter Steinmeier getraut, auf keinen Fall mit der Linken…

Wenn aber die SPD versucht, die Mitte zu behaupten, bleibt den Unionsparteien nichts anderes übrig, als dasselbe zu versuchen. Für eine profiliert konservative Politik ist dann kein Platz mehr. (Siehe auch meinen Artikel: „Kurt Beck und die Schmuddelkinder“).

Was heute als „Mitte“ gilt und durch eine Neuauflage der Großen Koalition – denn darauf läuft es hinaus – fortgesetzt wird, ist das, was man in anderen Zusammenhängen „Political Correctness“ nennt, also eine Ideologie, Mentalität und Politik, die die nicht einmal schleichende Auflösung nationalstaatlich verfasster Demokratien zur Folge hat.

Ob eine solche Politik von SPD- oder CDU-Politikern, sprich mit etwas mehr oder etwas weniger beigemischtem Sozialismus verantwortet wird, ist ungefähr so interessant wie eine Debatte über den Kurs eines Schiffes mit durchlöchertem Rumpf. Es wäre nur fair, wenn man uns Wählern wenigstens die Chance ließe, die Löcher zu stopfen.

Meine Schadenfreude über Üppsis Bauchlandung lasse ich mir davon allerdings nicht vermiesen.

Kurt Beck und die Schmuddelkinder

Scheinbar war es eine Überraschung, dass ausgerechnet Kurt Beck vor ein paar Tagen durchblicken ließ, die hessische SPD-Vorsitzende Y werde sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Ausgerechnet Beck, dem schon die Grünen zu weit links waren, um in Rheinland-Pfalz mit ihnen zu koalieren! Dieses Urgestein der konservativen SPD vergisst alle heiligen Eide, man werde niemals mit den Linken zusammengehen, und kündigt an, den Schmuddelkinderstatus der Linkspartei aufzuheben.

Die Empörung des politischen Gegners, aber auch der neutralen Kommentatoren ließ nicht auf sich warten: Wahlbetrug! Wortbruch! Ja, das ist es. Und zugleich ist es die einzig richtige Entscheidung.

Damit man mich richtig versteht: Ich bin gegen alle linken Parteien, auch gegen die SPD. Von deren Vorsitzenden kann ich aber nicht fairerweise erwarten, dass er meinen Standpunkt teilt.

Rein sachlich drängt sich eine Zusammenarbeit der beiden sozialistischen Parteien geradezu auf: Die SPD hat mit den Linken größere programmatische Schnittmengen als sie mit den Grünen jemals hatte, zumal die Linken bei der SPD abschreiben und die SPD sich ihnen beim letzten Parteitag deutlich angenähert hatte. Zudem besteht die Linkspartei im Westen überwiegend nicht aus linksradikalen Sektierern, sondern aus Gewerkschaftern und Ex-Sozialdemokraten – das ist Fleisch vom Fleische der SPD.

Und machtpolitisch hat Beck nicht die kleinste praktikable Alternative: Die Linke hat sich etabliert, daran wird sich nichts mehr ändern, und deswegen wird es für Rot-Grün nur noch in Ausnahmefällen reichen. Die Sozialdemokraten können also entweder mit den Linken zusammenarbeiten, oder ihre einzige Regierungsperspektive ist die Große Koalition, und das heißt: der Selbstverschleiß und der Verlust von noch mehr Wählern an die Linkspartei.

Vor einer solchen Situation stand die SPD schon einmal, als in den achtziger Jahren die Grünen aufkamen. Auch da wurden regelmäßig heilige Eide geschworen, niemals mit denen…

Und regelmäßig wurden sie gebrochen: In den achtziger Jahren in Hessen(!), 1989 in Berlin, 1995 in Nordrhein-Westfalen. Auch zugunsten der Linkspartei bzw. PDS ist die SPD schon einmal umgefallen: 1994 in Sachsen-Anhalt. In solchen Dingen ist die SPD also die Umfallerpartei par excellence. Es mag sein, dass es in Hessen Menschen gegeben hat, die die SPD wegen ihres Versprechens gewählt haben, nicht mit den Linken zusammenzugehen, und die wirklich geglaubt haben, diesmal würde die SPD aber nicht umfallen – pardon, aber solche Einfaltspinsel gehören betrogen!

Die SPD hat keine Wahl. Und der kaltschnäuzige Macchiavellismus, mit dem Beck aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen zieht, sichert ihm meinen Respekt. Mehr noch: Er macht sich damit um die Republik verdient.

Was wäre denn, wenn die SPD sich dauerhaft in der Großen Koalition einrichten würde? Wenn die Erfahrungen der letzten beiden Jahre irgendetwas beweisen, dann doch dies: dass in einer Großen Koalition beide Partner an Profil und Mobilisierungsfähigkeit verlieren, dass beide sich auf die politische Mitte konzentrieren und in ihr präsent sein müssen; dass die CDU nicht rechts sein kann, wenn die SPD nicht links ist. Und dass dem Wähler dauerhaft die reale Chance verwehrt wird, die gerade amtierende Regierung abzulösen.

Orientiert sich die SPD dagegen auf ein Linksbündnis, dann lösen sich die verkrampften Blockaden, die gegenwärtig die Regierungsbildung in Hessen erschweren (und die deutschlandweit zum Dauerzustand würden, wenn die Linken weiterhin als Schmuddelkinder ausgegrenzt würden), und der Wähler bekommt wieder die Wahl zwischen Links und Rechts.

Bleibt nur ein Problem: Das Aufkommen der Linkspartei hat die politische Linke nicht etwa geschwächt, sondern gestärkt. Zum einen erreicht diese Partei Wähler, die sonst wahrscheinlich zuhause geblieben wären oder irgendwelche Protest-Splitterparteien gewählt hätten, zum anderen werden durch sie spezifisch linke Positionen in einer Klarheit und Prägnanz öffentlich artikuliert, die die SPD selbst sich gar nicht leisten könnte, von der sie aber profitiert, weil die öffentliche Meinung auch in der Mitte dadurch beeinflusst wird.

Statt sich darüber aufzuregen, täte die konservative Rechte gut daran, sich zu fragen, ob man von Lafontaines Erfolgsrezept nicht etwas lernen kann. Auf der politischen Rechten, etwa im christlich-konservativen oder nationalkonservativen Spektrum gibt es viele Wähler, die sich von der CDU so wenig vertreten fühlen wie linke Sozialdemokraten von der SPD, und mit Roland Koch haben sie eine ihrer letzten Identifikationsfiguren verloren. Wenn das bürgerliche Lager mit dem linken wieder gleichziehen und nebenbei verhindern will, dass rechte Protestwähler sich bei der NPD sammeln, dann sollte es das rechtskonservative Spektrum mit einer eigenen Partei bedienen. Entweder durch bundesweite Ausdehnung der CSU, oder, wenn die sich das nicht traut, durch Gründung einer neuen Partei. Die Preisfrage lautet: Wer macht den rechten Lafontaine?

Zwischendurch ein wenig Innenpolitik…

Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit hat eine linke Partei bewiesen, dass sie nicht regierungsfähig ist, solange nicht ein strenger Zuchtmeister (Wehner, Schmidt, Schröder, Fischer) sie täglich prügelt. Vor ein paar Wochen haben sich die Grünen entschlossen, ins politische Laufställchen zurückzukehren, jetzt tut es auch die SPD.

Es gehört zu den Gemeinsamkeiten linker Parteien in Deutschland, dass ihrer jeweiligen Basis im Zweifel das eigene seelische Wohlbefinden wichtiger ist als die Zukunft unseres Landes. Dass es ihnen nicht darauf ankommt, vernünftig zu regieren, sondern darauf, sich als gute Menschen zu fühlen. Verantwortungslos. Kindisch.

Für die Linke/PDS mag das unproblematisch sein; von ihr erwartet schließlich niemand etwas anderes, als dass sie die rote Fahne hochhält und die Segnungen des Sozialismus preist. Bei den Grünen ist es schon schwieriger: Eine Partei, die sieben Jahre lang alles in allem vernünftig regiert hat, wird von ihren Wählern daran gemessen. Die Generation, die sich fast zwanzig Jahre lang mit Eselsgeduld den grünen Kindergarten bieten ließ, ist älter und anspruchsvoller geworden. Ob die sich eine Politik gefallen lässt, die auf die Zielgruppe der 2- bis 16jährigen zielt? Für die SPD, auch wenn sie es nicht wahrhaben will, ist diese Haltung einfach unmöglich. Sie ist das Flaggschiff der deutschen Linken, sie muss regierungsfähig sein. Tatsächlich regiert sie ja auch. Hat aber keine Bedenken, mit Müntefering und Tiefensee gleich zwei ihrer wichtigsten Minister wie Idioten aussehen zu lassen; die Herren Steinbrück und -meier sind diesem Schicksal nur dadurch entgangen, dass sie rechtzeitig den Mund gehalten haben. Dadurch sind sie jetzt stellvertretende Vorsitzende einer Partei, die das Gegenteil von dem will, was sie wollen.

Kurt Beck ist allzu schlau gewesen. Sein Kalkül lautet: Ich laufe der Partei hinterher, dann sehe ich aus wie einer, der sie führt. Ich laufe den Meinungsumfragen hinterher, dann habe ich das Volk auf meiner Seite. Und wenn ich das Volk auf meiner Seite habe, dann werde ich Kanzler. So stellt man sich in der großen weiten Pfalz die große Politik vor.

In seiner Bauernschläue hat Beck nur eines übersehen: Zwischen Bundestagswahlen sind die Wähler immer gegen die Politik der Bundesregierung und sind der Opposition zugetan. Man vergleiche die Meinungsumfragen der letzten vierzig Jahre jeweils sechs Monate vor einer beliebigen Bundestagswahl mit dem tatsächlichen Wahlergebnis. In der Umfrage sieht die Opposition stets wie der sichere Sieger aus. Am Wahlabend triumphiert die Regierungspartei. Die Deutschen stänkern gerne gegen die Regierung, aber wenn es zum Schwur – d.h. zur Wahl – kommt, fragen sie nicht mehr: Was missfällt mir an der Regierung? Sie fragen: Sieht der Oppositionskandidat wie ein Kanzler aus? Packt er das? Lautet die Antwort „Nein“, dann wird er auch nicht gewählt. Und sie lautet meistens „Nein“.

Beck versucht, Umfragekönig zu werden, indem er sich, obschon Vorsitzender einer Regierungspartei, wie ein Oppositionsführer benimmt. Das wird ihm bei der Bundestagswahl das Genick brechen. Und das verdient er auch.

Grüne Prinzipientreue

Zu den Lieblingsvorwürfen politikverdrossener Bürger an die Adresse ihrer politischen Klasse gehört die Behauptung, die Parteien, speziell die Volksparteien, seien kaum noch voneinander zu unterscheiden, die CDU sei nicht mehr christlich-konservativ, sondern auf dem Weg zur „Sozialdemokratiserung“, während die SPD nicht mehr sozialistisch sei, sondern neoliberal, und überhaupt hätten sie alle ihre Prinzipien vergessen und verraten.

Ja, das ist so. Na und? Soll das etwa ein Vorwurf sein?

Wie würde denn eine „prinzipientreue“ Politik aussehen? Die CDU würde den Paragraphen 218 drakonisch verschärfen, die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen streichen und die Genforschung verbieten. Die SPD würde nicht mehr darüber nachdenken, wie man die (pfui!) kapitalistische Wirtschaft in Schwung bringt und Reichtum erwirtschaftet, sondern wie man die Armut gerecht verteilt, möglichst auf der Basis verstaatlichter Banken und Schlüsselindustrien.

Will das jemand? Also ich nicht.

Ja, ich übertreibe; natürlich könnte man Prinzipien auch gemäßigter verwirklichen. Die Frage ist aber doch: Warum sollten die Politiker überhaupt irgendwelchen „Prinzipien treu bleiben“? Wer ideologische Prinzipien hochhält, diese aber nur pragmatisch und maßvoll verwirklicht, muss doch den ganzen Tag in Sack und Asche gehen und sich vor dem Tribunal prinzipientreuer (man könnte auch sagen: bornierter) Ideologen dafür rechtfertigen, dass er den gesunden Menschenverstand benutzt statt sich an die Ewigen Wahrheiten zu halten. Siehe die Kriecherei der SPD gegenüber dem Sozialpopulismus der Linkspartei: Die SPD hat mit ihrer Agendapolitik großen Anteil daran, dass die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich zurückgehen, und für diese erfolgreiche Politik entschuldigt sie sich jetzt, weil sie nicht „sozialistisch“ genug war!

Nein, ich will nicht, dass Politiker prinzipientreu sind. Ich will Politiker, die mir vernünftige Problemlösungen anbieten, über die ich mit dem Stimmzettel entscheiden kann. „Vernünftig“ heißt: Auf dem Boden der Wirklichkeit, nicht der Ideologie. Und ich will Politiker, die an ihren Sesseln kleben.

Wie bitte? Ist das nicht ganz furchtbar, wie diese machtgeilen Politiker an ihren Sesseln kleben? (Wieder so ein Lieblingsthema der Politikverdrossenheit). Nein, das ist gar nicht furchtbar, denn ein Politiker, der die Macht nicht liebt und nicht an seinem Sessel klebt, hat doch gar keinen Anreiz, eine Politik zu machen, die mich veranlassen könnte, ihn wiederzuwählen. Der Prototyp eines „prinzipientreuen“ Politikers, der „nicht an seinem Sessel klebt“, ist Oskar Lafontaine, der alle Ämter hinfeuerte, um seinen Prinzipien treu zu bleiben. Wollen wir so einen?

Wie eine prinzipientreue Politik aussieht, haben uns die Grünen auf ihrem jüngsten Parteitag eindrucksvoll vorgeführt, als sie den Pazifismus und die Basisdemokratie hochgehalten haben. Den Pazifismus, indem sie den Einsatz von Tornado-Aufklärern in Afghanistan abgelehnt haben, weil dadurch ja auch (pfui!) der Kampf der OEF-Truppen unterstützt werden könnte; die Basisdemokratie, indem sie diesen Beschluss der Bundestagsfraktion praktisch aufgezwungen haben.

„Basisdemokratie“ – eines dieser magischen linken Schlüsselwörter, die für alles Wahre, Schöne und Gute stehen. Gegen die „Basis“ zu sein, ist doch von vornherein indiskutabel. Oder?

Die Grünen sind mit dem Spitzenkandidaten Joschka Fischer und aufgrund des Verprechens gewählt worden, dessen Außenpolitik fortzuführen. Von zweieinhalb Millionen Menschen (auch von mir, aber das war wirklich das letzte Mal!). Und nun beschließen die Repräsentanten von rund fünfzigtausend Parteimitgliedern, den Repräsentanten von zweieinhalb Millionen Wählern ihr Abstimmungsverhalten vorzuschreiben. Das ist „Basisdemokratie“: Die Diktatur einer Minderheit von Aktivisten. Und vor wem macht die Spitze der Grünen Partei nun ihren Kotau? Vor dem Volk? Vor den Wählern? Nein, natürlich vor der „Basis“. Wegen der Prinzipien.

„Pazifismus“ – auch so ein schönes Prinzip, an dem man zeigen kann, wohin „Prinzipientreue“ führt: Man ist also dafür, den Afghanen beim Aufbau ihres Landes zu helfen, aber doch bitte nicht mit Gewalt gegen die armen Taliban! Lieber den brutalsten Steinzeit-Islam in Kauf nehmen als (pfui!) Gewalt anwenden! Man muss doch seinen „Prinzipien treu bleiben“!

Das ist Pazifismus: Eine Ideologie von netten Menschenfreunden, die dafür sorgt, dass das Recht des Stärkeren, des Brutaleren, des rücksichtslosesten Verbrechers sich durchsetzt. Sozialdarwinismus für Masochisten.

 [Zum Pazifismus der Grünen und ihrem Parteitag auch ein ausführlicher Beitrag von Clemens Wergin: http://flatworld.tagesspiegel.de/?p=441 ]

Und für die Freunde süffiger Polemik: http://www.vanityfair.de/blog/politik/3385.html