Gutmenschen unter sich: Käßmann und Wulff auf dem evangelischen Kirchentag

Wenn der Bundesmilchbubi

und Tante Käß

gemeinsam auf einem evangelischen Kirchentag auftreten, dann klingt das so:

Wulff sagt

… über die Folgen seiner inzwischen fast legendären Rede zum 3. Oktober 2010 [„Der Islam gehört zu Deutschland“] (…) 4400 Briefe habe er erhalten … , „200 freundliche, der Rest war sorgenvoll, ängstlich und kritisch“. Aber der Bundespräsident rückt nicht von seiner Position ab

95 Prozent sagen Nein, ohne dass dies auf den Bundespräsidenten den geringsten Eindruck macht, im Gegenteil:

Er habe damals ganz bewusst ein Zeichen gesetzt, um den islamischen Zuwanderern zu zeigen, dass sie gewollt und akzeptiert sind und dass man ihre Erfolgsgeschichten wahrnimmt.

Er weiß – aus 4200 Briefen – ganz genau, dass dies eine Lüge ist, sofern mit „man“ das deutsche Volk gemeint ist.

Nun, das ist eine Frage der Perspektive. Es wäre wahrscheinlich falsch, Wulff Arroganz zu unterstellen, wenn er die die Meinung einer überwältigenden Mehrheit ignoriert. Vermutlich entspricht es einfach seinem harmoniebedürftigen Naturell, den Konsens mit denen zu suchen, mit denen er täglich zu tun hat, und dazu gehören Normalbürger (im entlarvenden Politikersprech „die Menschen draußen“ – Preisfrage: wer ist drinnen?) nun einmal eher nicht.

Für einen solchen Mann gehört kein Mut dazu, Millionen seiner Landsleute täglich unter freundlichem Lächeln ins Gesicht zu spucken. Die Doktrinen zu hinterfragen, die die Grundlage der Politik der UNO, der EU, der deutschen Parteienwirtschaft, der „Kirchen“, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände der linksgedrehten „Wissenschaften“, einiger hundert wohldotierter Stiftungen, kurz der Eliten darstellen – ja, das wäre mutig. Aber Wulff hat es nicht ins Schloss Bellevue geschafft, weil er mutig wäre. Er verdankt seinen Aufstieg seinem Konformismus, und dieses Erfolgsrezept behält er bei, koste es das Volk, dessen Nutzen zu mehren er versprochen hat, was es wolle.

Nichts Anderes gilt für Margot Käßmann, nur dass deren Thesen noch ein wenig aufreizender sind, weil sie im Licht eines imaginären Heiligenscheins verkündet werden:

Sie [Käßmann] trifft offenbar den Nerv vor allem vieler weiblicher Besucher, wenn sie eine Lanze bricht für Träumer …

Man möchte gerne wissen, wie viele dieser ergriffenen Damen den Mut oder die Dummheit hatten, einen Träumer zum Vater ihrer Kinder zu machen (so sie überhaupt welche haben).

… und Visionäre und sich erbost darüber zeigt, das Gutmenschen und Weltverbesserer fast schon ein Schimpfwort sei.

Tja, woran das wohl liegen könnte? Ich für meinen Teil habe nichts gegen Visionäre, solange ihre Visionen sich darauf beziehen, wie sie ihr eigenes Leben gestalten. Von dieser Art Visionäre ist hier aber offenbar nicht die Rede, sondern von solchen, die Visionen für ganze Völker entwickeln. Für Völker, die vernünftigerweise überwiegend nicht aus Visionären bestehen, sondern mit Helmut Schmidt der Meinung sind: Wer Visonen hat, soll zum Arzt gehen!

Sobald der Visionär dies merkt, wird er zum Weltverbesserer. Und da mit der „Welt“, die zu „verbessern“ sei, die soziale Welt gemeint ist, wollen solche Leute nicht irgendetwas, sondern die Menschen „verbessern“, d.h. umerziehen. Sie können nicht ertragen, dass ihre Mitmenschen sind, wie sie sind. Sie können nicht akzeptieren, dass ihre persönlichen „Visionen“ Anderen als Alpträume erscheinen. Dass diese Anderen – also die überwältigende Mehrheit – womöglich Recht haben könnten mit ihrer Vermutung, dass Visionen grundsätzlich unbewohnbare Luftschlösser sind: Das darf nicht sein, also kann es nicht sein. Lieber erklärt man zwei Drittel, nämlich alle, die den „visionären“ Erziehungsmaßnahmen trotzen, zu Faschisten. Dass jeder Versuch, solche „Visionen“ zu verwirklichen, bisher bestenfalls im Bankrott und schlimmstenfalls im Massenmord geendet hat, ist für einen gestandenen Visionär kein Grund es nicht noch zum tausenddritten Mal zu versuchen. Die Mitmenschen haben gefälligst als Versuchskaninchen herzuhalten, gestern für den wissenschaftlichen Sozialismus, heute für den wissenschaftlichen Globalismus, und wenn auch der das Leben einiger Millionen menschlicher Versuchskaninchen gekostet haben wird, so wird dies zweifellos kein Grund sein, die Welt nicht noch zum tausendvierten Mal zu „verbessern“.

Und die Gutmenschen? Gutmenschen sind Leute, die solchen „Träumern“, „Visionären“ und „Weltverbesserern“ vielleicht nicht die eigenen Kinder, wohl aber das ganze Gemeinwesen anvertrauen. Gutmenschen sind Leute, die es für ein moralisches Verdienst halten, grundsätzlich nur die Interessen von Minderheiten zu vertreten, von Feministinnen, Migranten, Moslems, Schwarzen, Schwulen und Lesben, und für unmoralisch, dass Männer und nichtfeministische Frauen, Deutsche, Christen, Weiße und Heterosexuelle überhaupt existieren. Wenn sie aber schon existieren, so die Gutmenschen, dann sollen sie wenigstens ihren Mund halten, in Sack und Asche gehen, und sich ihrer „Intoleranz“ schämen (d.h. sich schämen, dass sie überhaupt Interessen zu haben und gar zu artikulieren wagen). Gutmenschen sind Leute, die ihresgleichen hassen, weil sie sich selbst hassen und es daher nötig haben, sich selbst zu beweisen, dass sie doch „gut“ sind. Gutmenschen sind Leute, die nicht ruhen werden, bis die Welt so weit „verbessert“ ist, dass sich in ihr nur noch Verrückte, Perverse, Verbrecher und Schmarotzer wohlfühlen. Gutmenschen sind Leute, die die eigenen Kirchen ruinieren, auf die eigene Kultur spucken und das eigene Volk über die Klinge springen lassen, damit es ihrem Seelchen gut geht.

Und Gutmenschen sind vor allem Leute, die es fertigbringen, sich trotzdem noch darüber zu wundern, dass das Wort „Gutmensch“ ein Schimpfwort ist.

[Quelle der Zitate: Frankfurter Rundschau, zitiert nach Fakten-Fiktionen, wo ich auf den Vorgang gestoßen bin.]

Naive Aktivisten

„Wie Margot Käßmann deutlich machte, gilt Naivität in dieser Szene nicht als etwas negatives, sondern wird als Beleg des eigenen Glaubens an eine bessere Welt eher noch kultiviert. Je realitätsferner die eigenen Äußerungen oder das eigene Engagement sind, desto größer die Anerkennung unter anderen Aktivisten.“

Weblog Sicherheitspolitik.

Alles, nur das nicht!

Der Rücktritt von Horst Köhler ist erst wenige Stunden alt – da beginnt bereits die Diskussion über mögliche Nachfolger. Die SPD hat die frühere EKD-Vorsitzende Margot Käßmann als mögliche Nachfolgerin im Amt des Bundespräsidenten genannt.

(Quelle: Nachfolge-Debatte: SPD bringt Käßmann ins Spiel – SPIEGEL ONLINE)

Liebe Tante SPD. Du hast in Deinem allzu langen Leben schon viele blöde Ideen gehabt, aber jetzt wirst Du kauzig-senil.

Diese Theologin,

  • die nicht einmal von Theologie Ahnung hat,
  • die am liebsten über Dinge redet, von denen sie noch weniger versteht als von Theologie,
  • die sich für keine noch so billige Effekthascherei auf Kosten des Christentums zu schade ist,
  • die sich in einer katholischen Kirche („Die Pille ist ein Geschenk Gottes“) ungefähr so danebenbenimmt wie Heinrich Lübke in Afrika („Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Neger!“),
  • deren Qualifikation für des Amt des Präsidenten sich darin erschöpft, sich dann in Ruhe besaufen zu können, weil sie ja einen Chauffeur hat,

die könnte als Präsidentin höchstens beweisen, dass dieser Staat der Kindergarten ist, der er tatsächlich ist. Allein um dies zu verschleiern, sollten Du und Deine Mit-Parteien auf die altbewährte Methode zurückgreifen, eine ausrangierte Knallcharge aus den eigenen Reihen als Sesselwärmer ins Schloss Bellevue zu delegieren. Mit der vielbeschworenen „Würde des Amtes“ wäre es dann zwar auch nicht weit her, aber es würde wenigstens nicht zur Lachnummer herabgewürdigt.

Käßmann zum Letzten – vorläufig!

Ich glaube nicht, dass Rika speziell mich meinte, als sie anlässlich der Käßmann-Affäre über Zeitgenossen schrieb, die „kübelweise Spott und Häme über die Bischöfin ausschütten und alle Register ziehen von frauenfeindlich über kirchenkritisch bis links-atheistisch“, sich in „Wasser-Wein-Predigten“ ergehen, von „Vorbildfunktion“ „schwafeln“, anlässlich ihrer Scheidung wenig „Mitgefühl und Sympathien“ zeigten, stattdessen „schon damals ihren Rücktritt vom Bischofsamt“ forderten, offenbar wenig von „ praktizierter Vergebung durch die Brüder und Schwestern untereinander“ halten und deshalb „die Steine schon aufgehoben hatten“.

Ich glaube aber, dass viele Käßmann-Fans (und von denen gibt es auch unter Konservativen erstaunlich viele, ich kenne außer Rika noch ein paar) in ihrer ehrenwerten Sympathie für die Person der Bischöfin verkennen, wie sehr eine solche Frau als Repräsentantin des deutschen Protestantismus dem Christentum insgesamt schaden musste – zumindest nach Meinung ihrer Kritiker, also von Leuten wie mir; dass man also weder frauenfeindlich noch moralisch selbstgerecht sein muss, um ihren Rücktritt mit einer gewissen Erleichterung aufzunehmen. (In meiner Eigenschaft als Blogger sehe ich ihn freilich auch mit einem weinenden Auge; jetzt wird es doch nichts mit meinem Watchblog Käßmann 😉 , und auch nichts mit der pichelnden Bischöfin als running gag.).

An sich ist eine angeschickerte Bischöfin ja keine unsympathische Gestalt; wenn hinter der Rolle, die öffentliche Würdenträger zu spielen haben, ab und zu der Mensch hervorkommt, dann wirkt das wie ein gewisses Augenzwinkern, das eine abstrakte Institution menschlich macht. Eine Rolle – das sind die Erwartungen, die man an einen Amtsträger eben deshalb richten muss, weil er Amtsträger ist. Nicht dass bei Frau Käßmann der Mensch hinter der Rolle sichtbar wurde, war das Problem, sondern, dass sie vor lauter Menschsein (als wenn irgendjemand bezweifelt hätte, dass sie das ist) ihrer Rolle nicht gerecht wurde, also die an sie notwendig zu richtenden Erwartungen nicht erfüllte, und zwar schon lange vor ihrer Promilletour.

Ich will nicht abstreiten, dass ich ein wenig voreingenommen bin, weil Frau Käßmann gerade mir zuerst durch ihre Parteinahme für die „Bibel in gerechter Sprache“ aufgefallen ist. Für mich war dieses Machwerk – das nicht mehr und nicht weniger bedeutete als die Bibel nach Maßgabe linker Ideologie zu fälschen – der letzte Anstoß, endgültig mit allem zu brechen, was links ist. Auch wenn sie nicht zu den Initiatorinnen gehörte, kann ich ihr bis heute nicht verzeihen, dass sie diesen linkstotalitären Eingriff in die Autonomie der Religion propagiert hat.

Nun war dies, nämlich die Unterwerfung des Christentums unter die Maßgaben einer politischen Ideologie, eben kein Irrtum und kein Versehen, sondern ihr Programm: Ich kann mich nicht erinnern, von ihr jemals einen bedeutenden theologischen Gedanken gehört zu haben; politische Stellungnahmen aber, und die durchaus von der Kanzel, gab es praktisch täglich.

Selbstverständlich respektiere ich, wenn jemand darin vor allem „kraftvolles Eintreten für die Schwachen der Gesellschaft“ sieht (obwohl man kein Westerwelle sein muss, um zu fragen, ob die sogenannten Starken, die oft bis an den Rand der körperlichen Erschöpfung gefordert werden, eigentlich kein Mitgefühl verdient haben?); dass man ihr das „Aufgreifen schwieriger und oftmals kontrovers diskutierter Themen, … ihre Eindeutigkeit, mit der sie Stellung nimmt und … ihre Bodenhaftung und ihre Menschlichkeit“ (Rika) zugutehält.

Ich weise nur auf die Konsequenzen hin, die die systematische Vermischung von Religion und Politik nach sich ziehen muss:

Sicherheits-, wirtschafts- oder sozialpolitische Fragen ohne eigene Kompetenz unter Berufung auf moralische Kategorien entscheiden zu wollen, leistet nicht nur der ohnehin um sich greifenden Infantilisierung des öffentlichen Diskurses weiter Vorschub, sondern bestärkt auch noch speziell die Verfechter linker Ideologien, die ohnehin nicht an mangelnder Selbstgerechtigkeit leiden, in ihrer pharisäerhaften Intoleranz gegenüber Andersdenkenden: Warum sollte der, der Gott (oder, wenn er an den nicht glaubt, zumindest „die Moral“) auf seiner Seite hat, noch diskutieren?

Es wird aber nicht nur demokratisch legitimierte, sachgerechte Politik durch ein quasi-theokratisches Politikverständnis verdorben, sondern auch die Religion durch ein politisch-ideologisches Religionsverständnis: Wenn eine Institution, die ein Reich „nicht von dieser Welt“ wenn schon nicht verkörpern, so doch zumindest repräsentieren soll, in ihren Stellungnahmen von kaum etwas anderem als von just „dieser Welt“ spricht, dann entsteht unweigerlich der Eindruck, sie sei bloß durch ihre weltlich-politischen Stellungnahmen legitimiert, und der von ihr favorisierte Weg zum Heil sei statt mit größerer Askese mit höheren Sozialleistungen gepflastert.
Natürlich ist es bequem, den Menschen nichts mehr von Gott und seinen Zumutungen zu erzählen, zumal wenn die Adressaten sowieso nicht verstehen, wovon die Rede ist, weil unsere Gesellschaft zu Gott keinen Bezug mehr hat. Da erzählt man ihnen lieber das, was sie ohnehin schon glauben (und wozu sie keinen Gott benötigen), gibt ihnen das Gefühl, ihre vulgären politischen Ansichten hätten irgendetwas mit Moral zu tun, und wird dafür mit einem Star-Image (und mit Kirchensteuereinnahmen) belohnt. Beliebt ist Frau – pardon: „Mensch Käßmann“ (Spiegel), weil der Mainstream sich in ihr wiederfindet.

(Und was ihr „kraftvolles Eintreten für die Schwachen“ angeht, überhaupt den Mut, sich durch das Eintreten für Außenseiter die Finger schmutzig zumachen, sich die Frage einzuhandeln „Warum esset und trinket ihr mit den Zöllnern und Sündern?“ (Lk 5,30), so hätte sie Gelegenheit gehabt, diese Eigenschaften auf genau jener Synode zu demonstrieren, auf der sie selbst zur EKD-Ratsvorsitzenden gewählt worden ist, und auf der der Ausschluss von sogenannten oder auch Rechtsextremisten aus der Kirche vorbereitet wurde. Mit ihrem Plazet.)

Es ist dieser Hintergrund der von ihr geförderten politischen Banalisierung des Glaubens, und nicht das Pharisäertum ihrer Kritiker, der ihre Scheidung zu einem solchen Skandal machte. Gewiss kann jede jede Ehe scheitern, und wenn auch nach christlichem Verständnis die Ehe unauflöslich ist, so bin ich doch froh, in einem Staat zu leben, der gescheiterte Ehen nicht zusammenzwingt.

Für eine Kirche aber, zu deren moralischen Grundlagen eben die Unauflöslichkeit der Ehe zählt, muss die Scheidung einer Bischöfin ein Problem sein. Wenn man schon – und dies nach hoffentlich reiflicher Überlegung – nicht zurücktritt, so wäre das Mindeste zu Erwartende ein Signal des Verständnisses an die konservativen Protestanten gewesen, die gegen eine geschiedene Bischöfin Bedenken haben. Käßmanns Reaktion auf die Scheidung war aber eine ganz andere, nämlich – sich zur Ratsvositzenden wählen zu lassen! Was immer sie verbal zugestanden haben mag – durch ihr Handeln hat sie mitgeteilt: „Ich scheiß auf eure Bedenken!“

Was ihr so viele Kritiker eingebracht hat, war die Entkernung des Glaubens. Ihre Scheidung, und dass sie sie behandelt hat, als wäre die Scheidung einer Bischöfin nicht anders zu bewerten als die Scheidung von irgendwem, setzte nur die Tüpfelchen auf das Igitt.

Allerdings kann ich ihre Fans beruhigen: Da sie genau das getan hat, was ein Politiker in vergleichbarer Lage auch täte, können sie hoffen, dass sie, wie besagter Politiker, bloß eine Schamfrist einhält, um zuerst auf ihren Bischofssessel und dann auf den des Vorsitzenden zurückzukehren – man wird ihr Beides schon warmhalten.

Hoffen wir nur, dass sie bis dahin aus ihren Erfahrungen mehr gelernt haben wird als nur die Platitüde „Du sollst nicht besoffen autofahren“.

Der neueste Käß

Man könnte auf den Gedanken kommen, einen Watchblog Käßmann aufzumachen, so hartnäckig produziert sich diese Frau mit öffentlichen geistigen Tiefflügen; geradezu, als wollte sie beweisen, dass es in dieser Republik schlechterdings unmöglich ist, sich zu blamieren, weil keine Stellungnahme so hirnlos sein kann, dass es dem korrupten Mediengesindel auffiele.

Seit sie Vorsitzende des Rates der EKD ist, wacht sie jedenfalls allmorgendlich mit dem Vorsatz auf, öffentlich irgendetwas zu sagen, womit sie den Beifall gottloser halbgebildeter linker Schreiberlinge einheimsen kann. Und was läge da näher, als auf den Papst loszugehen? Manchmal freilich, und ohne dass sie selbst oder ihre journalistische Fangemeinde es mitbekommen, gerät ihr die Kritik zum Lob; etwa wenn sie vor handverlesenem kommunistischem Publikum verkündet, in puncto Ökumene erwarte sie nichts von Papst Benedikt XVI. .

Da hat sie ausnahmsweise Recht! Gott sei Dank! Amen!

Käßmann ist zeitgeistverseucht

„Frau Margot Käßmann, zweitmächtigste Frau Deutschlands, wird von allen Medien geliebt und promoted. Sie gibt genau das von sich, was dem Zeitgeist entspricht – und gleichzeitig dem Geist der Bibel, dem Geist Gottes völlig widerspricht. Anbiederung an den Zeitgeist, Einmischung in alle möglichen politischen Fragen, von Afghanistan bis „Kampf gegen Rechts“ – es könnte eine Lachnummer sein, wenn es nicht so traurig wäre.“

Flash

Den Islam mit Synkretismus entschärfen?

Vor einigen Wochen habe ich über die segensreichen Wirkungen von Islamunterricht berichtet, der von Milli Görüs angeboten wird. Milli Görüs (IGMG) ist eine konservative islamische Gruppierung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird – welcher Sachverhalt den Innenminister von vornherein hätte hindern müssen (aber nicht gehindert hat!), sie zur Islamkonferenz einzuladen, erst recht hätte man diesem Verein auf keinen Fall erlauben dürfen, Islamunterricht zu erteilen.

Man sollte aber nicht den Fehler machen, nach bekanntem Muster „zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden“, sprich: die bösen Fundamentalisten vom angeblich so guten Islam zu trennen. Milli Görüs tut hier nichts, was sich in irgendeinem sinnvollen Zusammenhang als „Missbrauch des Islam“ brandmarken ließe. Die Einstellungen, die sie den Schülern vermittelt (Rassismus gegen Deutsche, striktes Beharren auf Geschlechtertrennung, strikte Beachtung des Kopftuchszwangs, Antisemitismus), und dies in dem beängstigenden Tempo von nur wenigen Wochen, sind genau die, die der Koran fordert, und zwar in seinem Tenor, nicht etwa in einem entlegenen Nebensatz.

Muss denn Islamunterricht immer so aussehen? Das folgende Beispiel stimmt leider nur auf den ersten Blick hoffnungsfroh: Der Spiegel berichtet über die Glückauf-Hauptschule in Dinslaken-Lohberg und die dort unterrichtende junge syrischstämmige Islamlehrerin Lamya Kaddor:

Für viele muslimische Eltern in Lohberg war die neue Religionslehrerin zuerst ein Schock: eine Frau, jung, kein Kopftuch, nicht türkischstämmig. Trotzdem wurde kein einziges Kind vom Unterricht abgemeldet, und Lamya Kaddor ahnt, warum: „Hier ist Religion oft das einzig Positive für die eigene Identität.“

Deswegen besuchen fast alle Schüler die Koranschule. Dort wird das bloße Intonieren arabischer Laute gelehrt, manchmal unter Androhung der Prügelstrafe. Kaddor vergleicht das mit der lateinischen Liturgie: „Die hat auch jahrhundertelang keiner verstanden.“ Der Islamunterricht ergänzt nun die Koranschule. Mustafa erklärt es so: „In der Moschee lernen wir Koran lesen, alles andere lernen wir bei ihr.“

Die erste Lektion: Frauen steht Autorität zu; unwahrscheinlich, dass sich diese Lehrerin von ihrem Mann unterdrücken ließe. Aber vor allem lernen die Kinder, Fragen zu stellen – in den meisten Koranschulen undenkbar: „Ist Nagellack im Koran verboten?“ – „Muss ich ein Kopftuch tragen, wenn mein Mann das will?“ – „Stimmt es, dass Ungläubige in die Hölle kommen?“ – „Was sagt der Koran über Ehre?“
Dann versucht Kaddor klarzumachen, dass es wichtig ist, etwas über die Zeit zu wissen, in der die Heilige Schrift entstand. Und dass man als moderner Muslim manches darin anders verstehen kann, zum Beispiel den Vers über die Ungläubigen: „Tötet sie, wo immer ihr sie findet.“ Damit, so erklärt Kaddor, meinte Allah zu Mohammeds Zeit die Bewohner eines bestimmten feindlichen Dorfs. Es war keine Kampfansage an alle Nichtmuslime, wie Hassprediger glauben machen wollen.

Manchmal gelangt aber auch Kaddor an ihre Grenzen: Als sie mit ihren Schülern über den Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh sprach, der einen in den Augen vieler Muslime gotteslästerlichen Film gedreht hatte, fanden es einige ganz in Ordnung, dass man „das Schwein abgestochen“ habe. Und neulich hat ein Junge gefragt, ob nicht im Koran stehe, dass jeder Muslim die Pflicht habe, Juden zu töten. „Gut, dass du fragst“, hat Kaddor geantwortet, „aber glaubst du, Allah hat nichts Besseres zu tun, als die Menschen gegeneinander zu hetzen?““

Nun, wie ich in der Korananalyse gezeigt habe, hat Allah tatsächlich nichts Besseres zu tun. So sympathisch Kaddors Ansatz anmutet:

Seine Schwäche erkennt man spätestens in dem Moment, wo man das von ihr mitverfasste Einführungsbuch „Der Koran für Kinder und Erwachsene“ in die Hand nimmt, einen Eiapopeia-Koran, aus dem alles eliminiert ist, was weichere Gemüter erschrecken könnte, sprich: alles, was wesentlich ist. Das Wort „Djihad“ zum Beispiel kommt kein einziges Mal vor.

Einem Dreizehnjährigen kann man dergleichen vielleicht andrehen. Was aber, wenn dieser Dreizehnjährige siebzehn oder achtzehn geworden ist und dem richtigen Imam in die Hände fällt? Der muss noch nicht einmal besonders gebildet sein. Er muss nur den wirklichen Koran auf den Tisch legen und sagen:

Das ist ja alles schön und gut, was deine Islamkunde-Lehrerin dir erzählt hat, aber lass uns doch einmal gemeinsam lesen, was wirklich im Koran steht. Beschäftigen wir uns mit dem Hadith. Lesen wir die klassische Prophetenbiographie von Ibn Ishaq. Du willst den Koran also historisch interpretieren? Du meinst, die Aufforderung zum Kampf habe nur damals gegolten und heute nicht mehr? Na, dann lass uns bei Al-Bukhari nachlesen. Hier stehts: Der Djihad ist die oberste Pflicht des Muslims. Punkt. Für historische Relativierungen ist im Islam kein Platz. Überlass diesen Unfug den Christen, die so lange Bibelkritik übten, bis sie aufhörten, an Gott zu glauben!

So ungefähr könnte der Imam sprechen. Und das Schlimme wäre: Er hätte Recht.

Was Kaddor hier versucht, ist die Umdeutung des Korans, das Hineinlesen von etwas, das nicht drinsteht, gegen das Zeugnis des Korans selbst, gegen das des Propheten, nicht zuletzt gegen das von eintausendvierhundert Jahren islamischer Geschichte. Dieses Vorgehen ist eklektische Rosinenpickerei, nicht aber ein historisch-kritisches Aufarbeiten der islamischen Lehre. Von einem solchen könnte man sprechen, wenn die völlig klare, unzweideutige und schlüssige Botschaft des Islam nicht nur unter der Perspektive des Glaubens betrachtet würde, sondern eine zweite Perspektive hinzuträte, die die Glaubensperspektive ergänzt, ohne sie zu ersetzen – vergleichbar vielleicht dem Vorgehen eines Christen, der sich mit der antisemitischen Tendenz des Neuen Testaments selbstkritisch auseinandersetzt, aber nicht, indem er das Neue Testament für unverbindlich erklärt, sondern indem er sich bewusst macht, wie sein eigener Blick auf das Judentum durch die notwendig antijüdische Optik des NT verzerrt wird.

Freilich macht bereits diese Analogie deutlich, wie unendlich schwer es sein wird, ein solches, wenn man so will, stereoskopes Glaubensverständnis in den Islam einzuführen.

Es klappt ja nicht einmal im Christentum, und dies, obwohl die antijüdische Tendenz dort für die theologische Stringenz nicht erforderlich ist, obwohl das Christentum eine Ethik der Inklusion, der Selbstkritik und der Toleranz vertritt, und obwohl Paradoxie und dialektischer Widerspruch zum christlichen Denken gehören.

Alles Dinge, die man vom Islam nicht behaupten kann. Trotzdem führen sie die meisten Christen nicht zu einem tieferen und empathischeren Verständnis des Judentums. Einzelpersonen können sich eine solche Perspektive aneignen, aber die Christen werden wahrscheinlich bis ans Ende aller Tage nicht aufhören, im Judentum einen toten Buchstabenglauben zu sehen – ob sie es nun zugeben oder politisch korrekt verschweigen.

Philosemitismus, den es unter Christen durchaus gibt, drückt sich unter solchen Umständen nicht in dem Versuch aus, Glaube und kritische Vernunft gleichermaßen zu ihrem Recht kommen zu lassen, also das NT gelten zu lassen und sich gleichzeitig Rechenschaft über seinen historischen Hintergrund und entsprechend seine problematischen Seiten abzulegen. Sondern darin, den eigenen Glauben dort zu ändern, wo er irgendwie anstößig sein könnte.

So kommt es dann, dass eine evangelische Bischöfin, die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann, in Verteidigung einer Textfälschung (der sogenannten „Bibel in gerechter Sprache“) und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den jüdisch-christlichen Dialog behauptet, Jesus – der Titel „Christus“ (Messias) fehlt bereits – habe die Thora interpretiert „wie andere Schriftgelehrte auch“. Was nicht mehr und nicht weniger bedeutet als die Abschaffung der Lehre von der Gottessohnschaft Christi. Und damit des Christentums.

Der Versuch, theologische Aussagesysteme auf der Basis politischer Forderungen zu „aktualisieren“, kann wahrscheinlich auch zu nichts anderem führen als zu einer solch banalisierten und infantilen Theologie, die sich auf ein „Seid nett zueinander!“ beschränkt und wegen ihrer Plattheit für kaum einen mehr wird sein können als ein dekoratives Accessoire des eigenen Lebens – ungefähr so bedeutsam wie der Blumenstrauß auf dem Tisch. Und kaum dauerhafter.

Man wird Lamya Kaddors Kinderkoran als das islamische Äquivalent zur „Bibel in gerechter Sprache“ ansehen dürfen, also als den Versuch, Spannungen zu Andersgläubigen dadurch abzubauen, dass man die theologische Integrität des eigenen Glaubens opfert. Wenn man bedenkt, dass im Falle des Islams zu dieser Integrität die Vorstellung gehört, Nichtmuslime seien Menschen minderer Würde und minderen Rechts, die man im Zuge des Djihad auch töten dürfe, dann neigt man unwillkürlich dazu, wenigstens den Versuch einer Aufweichung zu begrüßen.

Freilich darf man den logischen Fluchtpunkt einer solchen Religionskonvergenz nicht außer Acht lassen: Theologen, deren Positionen sich in der Weise aufeinander zubewegen wie die von Frau Käßmann und Frau Kaddor, weil sie vom selben weltlich politischen Kalkül ausgehen, messen der religiösen Wahrheit offenkundig keine Bedeutung bei. Wer so denkt, für den ist Gott ein lästiger Störenfried, den es buchstäblich unschädlich zu machen gilt. Die Reduzierung der je eigenen Theologie auf ein global anschlussfähiges Minimum, auf ein „Weltethos“, das einer Gottheit oder überhaupt eines übernatürlichen Bezuges nicht mehr bedarf, ist der vorletzte Schritt vor der Abschaffung von Religion überhaupt. Der Synkretismus (=Religionsvermischung) ist ein atheistisches Projekt.

Ob man ein solches Projekt für etwas Gutes hält, ist zweifellos eine Frage des religiösen bzw. weltanschaulichen Standortes. Militante Atheisten mögen es bejubeln, sie – und all die Deisten, Agnostiker, Freimaurer und liberalen Theologen, die ihre Meinung teilen – übersehen aber einige Punkte:

In meinem Artikel “Tote Hosen“ war ich unter anderem der Frage nachgegangen, wie es kommt, dass Menschen sich ethisch verhalten, obwohl dies normalerweise ein schlechtes Geschäft für sie als Einzelne ist. Ich war zu dem vorläufigen Ergebnis gelangt, dass die wahrnehmbare Existenz stabiler Solidargemeinschaften genügt, deren Mitglieder zu ihrerseits solidarischem Verhalten zu veranlassen, was wiederum das Vertrauen aller anderen in die Existenz der Solidargemeinschaft stärkt, weswegen sie sich solidarisch verhalten, was wiederum… und so weiter. Es handelt sich um so etwas wie einen positiven Teufelskreis, ein ständig rotierendes Rad.

Bedenkt man aber nun, dass es trotzdem für jeden Einzelnen rationaler ist, sich unsolidarisch zu verhalten, so muss man erwarten, dass Einzelne dies auch immer wieder tun – wie es ja auch tatsächlich der Fall ist – und dadurch das Vertrauen aller Anderen erschüttern. Um es als physikalische Metapher zu formulieren: Das rotierende Rad verliert ständig an kinetischer Energie, es bedarf einer zusätzlich antreibenden Kraft. Diese Kraft ist die verinnerlichte Ethik, deren Ursprung in der Religion liegt. Es ist nicht erforderlich, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft die religiösen Prämissen teilen, auf denen die jeweils gesellschaftlich akzeptierte Ethik basiert. Erforderlich ist, dass die Maßstäbe für gutes und böses Verhalten im System der kulturellen Selbstverständlichkeiten verankert sind und bleiben. Dass sie also nicht verdrängt werden von einer spezifischen und im Prinzip unwiderlegbaren Form rationaler Überlegung, die jeden Einzelnen veranlassen wird, die Ethik über Bord zu werfen, sobald es ihm vorteilhafter erscheint.

Die Auflösung menschlicher Gesellschaft als eines zivilisierten Gemeinwesens beruht nicht weniger als ihre Aufrechterhaltung auf sich selbst verstärkenden Prozessen. Ethisches Verhalten aus bloßer Gewohnheit und ohne Bezug zum Glauben – das mag als gesellschaftlich vorherrschende Disposition eine oder zwei Generationen gutgehen. Es geht, genauer gesagt, so lange gut, wie das Vertrauen in das regelkonforme Verhalten Anderer nicht ernsthaft erschüttert wird. Wird es aber erschüttert, dann gibt es nach Abschaffung Gottes keinen Grund mehr, das Gute deshalb zu tun, weil es das Gute ist. Es gibt keinen Grund, es überhaupt noch zu tun. Eine gottlose Gesellschaft ist eine, die den Eindruck von Zivilisiertheit nur so lange vermittelt, wie ihre Solidaritätsstrukturen nicht ernsthaft auf die Probe gestellt werden. Dass eine solche Gesellschaft eine ernsthafte Krise überstehen würde, muss als unwahrscheinlich gelten.

Die Befürworter der synkretistischen Religionskonvergenz berufen sich auf zwei Prämissen, die sie für selbstverständlich halten, die aber in Wahrheit hochgradig ideologisch aufgeladen sind:

Die eine lautet, alle Religionen wollten im Grunde dasselbe. Wenn damit nur gemeint wäre, dass alle Religionen versuchen, auf Grundfragen der menschlichen Existenz eine Antwort zu geben: D’accord. Wenn man aber diesen Satz, wie es meist geschieht, so gebraucht, als wären diese Antworten dieselben, so dürfte allein die Korananalyse [vgl. „Das Dschihadsystem“, Kap. III. M., 21.01.2011] gezeigt haben, dass diese Behauptung hanebüchener Unsinn ist, der aber gleichwohl schwerwiegende Konsequenzen hat.

Ist nämlich die ideologische Setzung erst einmal akzeptiert, dann sind alle Glaubensartikel, in denen Religionen einander widersprechen, aus der jeweiligen Religion zu eliminieren, weil eine Religion, die nicht dasselbe will wie andere Religionen, nach synkretistischem Dogma per definitionem keine Religion darstellt.

Die zweite ideologische Prämisse wird uns in letzter Zeit in kampagnenartiger Form nahegebracht – ich denke hierbei an Bestseller wie Richard Dawkins‘ „Der Gotteswahn“ oder die massive öffentliche Werbung für Atheismus. Sie besagt im Großen und Ganzen, dass Religionen prinzipiell intolerant und gewalttätig seien, und dass ihre Abschaffung zum Weltfrieden führen werde. Theoretisch passt diese zweite Prämisse natürlich nicht unter denselben Hut wie die erste (Wenn alle Religionen dasselbe wollen, woher sollte dann die Intoleranz kommen?), praktisch aber liefern sie einander ergänzende ideologische Rechtfertigungen für ein und dasselbe Projekt.

Dabei lässt sich gerade diese zweite Prämisse bereits unter Rückgriff auf elementare Geschichtskenntnisse widerlegen: Die totalitären Systeme des zwanzigsten Jahrhunderts – Kommunismus und Nationalsozialismus – haben mehr Menschen getötet als alle Religionen der Weltgeschichte zusammen. (Und dabei muss man Mao und Pol Pot noch nicht einmal mitrechnen.)

Diese totalitären Systeme aber tauchten genau in dem Moment auf, wo das Christentum durch die spektakulären Erfolge von Aufklärung und Wissenschaft in seiner gesellschaftlichen Verbindlichkeit und Deutungsmacht erstmals ernsthaft erschüttert war, und sie erhoben von Anfang an den Anspruch, das Christentum als ein das Leben des Einzelnen transzendierendes sinnstiftendes System, sprich: als Religion, abzulösen.

Der Versuch, Gott abzuschaffen, kann also gelingen, nicht aber der Versuch, die Frage abzuschaffen, auf die Gott die Antwort war, nämlich die Sinnfrage. Der Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts ist der denkbar stärkste empirische Beleg dafür, dass der Platz, den Gott verlässt, nach seinem Abgang nicht etwa leer bleibt, sondern sehr schnell wieder gefüllt wird, und sei es mit einem totalitären Wahnsystem.

Die empfindlichste Achillesferse des Atheismus ist die Tatsache, dass er als die linke Ideologie, die er ist, die Herrschaft Gottes ebenso abschaffen will wie jede andere Herrschaft; dass er nie begriffen hat, wie sehr Herrschaft – und ganz gewiss diese! – den Bedürfnissen der „Beherrschten“ entspringt; und dass er deshalb stets aufs Neue überrascht sein muss, wie schnell der Totalitarismus von gottverlassenen Gesellschaften Besitz ergreift.

Wenn man bedenkt, wie sehr offenbar gerade religionsfeindliche Ideologien dazu tendieren, selber zur Religion zu werden, dann scheint der Synkretismus ein erstklassiger Kandidat für einen künftigen Religionsersatz. Zumindest ein wesentliches Kriterium erfüllt er bereits, nämlich die Bezugnahme auf eine eigenständige Definition von Gut und Böse. „Böse“ ist demnach jede Religion, die ihre theologische Integrität behält und sich weigert, in einem „Weltethos“ aufzugehen. Betroffen von der rapide um sich greifenden Intoleranz gegenüber jeder einigermaßen ernstgenommenen Religion sind sogenannte christliche Fundamentalisten, einschließlich des Papstes. Betroffen ist aber auch der Staat Israel, weil und soweit er auf seiner jüdischen Identität beharrt.

Überhaupt haben die Juden wieder einmal beste Aussichten, in der sich abzeichnenden neuen Religion die Rolle des Teufels einzunehmen. Eine Religion wie die jüdische, deren Grundgedanke der Bund des Volkes mit Gott ist, und die eine Entgrenzung und Einschmelzung schon deshalb nicht praktizieren kann, weil diese auf einen Autogenozid hinausliefe, eine solche Religion muss für den Synkretismus ein ebenso existenzielles Ärgernis darstellen wie schon zuvor für das Christentum und den Islam. Die Juden werden also künftige Synkretistengurus in derselben Weise enttäuschen, wie sie schon den Propheten Mohammed und den Reformator Martin Luther enttäuscht haben. Da das Käßmann-Christentum (oder vielmehr Jesus-tum) bereits in Vorleistung gegangen ist und den Gottessohn-Status seines Stifters kassiert hat, wird man entsprechendes von den Juden erwarten – meine Güte, es kommt doch auf ein paar Worte nicht an, wo doch alle Religionen sowieso dasselbe wollen -, und da die nicht liefern werden, wird man sie als „Fundamentalisten“ verurteilen.

So bestürzend das alles klingen mag: Es wird nicht geschehen, jedenfalls nicht so, wie die Religionsverschmelzer sich das vorstellen. Die haben ihre Rechnung nämlich ohne Allah gemacht.

Tatsächlich ist der Kaddorsche Kinderislam ebenso eine Totgeburt wie der von Bassam Tibi für Erwachsene propagierte „Euro-Islam“, und Tibi hat auch nie ein theologisches Konzept für diesen „Euro-Islam“ vorgeschlagen.

(Tibi denkt als Sozialwissenschaftler und, wie ich vermute, als Atheist – und eben nicht als Theologe und Frommer. Dass er Atheist ist, schließe ich aus der Hartnäckigkeit, mit der er sich auf die „islamische Ethik“ statt auf Allah bezieht, wenn es um seinen eigenen Glauben geht. Abgesehen davon, dass diese Ethik, wenn sie wirkliche eine islamische sein soll, weder europäisch noch demokratisch sein könnte, ist „Ethik“ oft die letzte Zuflucht für Intellektuelle, die an Gott nicht mehr so recht glauben können, aber nicht ohne Religion leben wollen.)

Eine Totgeburt ist der Kinder- bzw. Euro-Islam deshalb, weil er die Entwertung des Korans, des Hadith, überhaupt der Prophetenüberlieferung und der islamischen Geschichte voraussetzt und außer ein paar Platitüden des Kalibers „Seid nett zueinander“ vom Islam nichts übrig lässt.

Das Christentum hat noch einige bedeutende Inhalte, die selbst in einem „Weltethos“ Platz fänden, etwa die Bergpredigt, überhaupt seine Tendenz zu Inklusion (damit aber auch zur Ent-grenzung), Selbstkritik und Toleranz (damit aber auch zur Infragestellung, letztlich Abschaffung der eigenen Glaubensgrundlagen). Es ist insofern kein Zufall, dass der Synkretismus eine in westlichen Gesellschaften von Christen ausgebrütete Idee ist. Von Christen, die gar nicht merken, wie wenig dieses „Weltethos“ der übrigen Welt zusagt. Der Synkretismus ist eine Art Christentum ohne Christus.

Während in dieser Weise im Synkretismus noch genügend Christentum verbliebe, dass dessen theologische Entkernung wenigstens nicht Jedem gleich auf den ersten Blick auffiele, ist der Islam bereits in seinem Originalzustand, wie ich in der Korananlyse gezeigt habe, von beklagenswerter theologischer Dürre. Subtrahiert man dann noch die strikte Unterscheidung von Gläubigen und Ungläubigen, speziell die sittliche Minderwertigkeit der letzteren, die ihnen zugedachte Strafe Allahs und den Djihad heraus, dann bleibt: Nichts. Man kann aber ein Nichts nicht zu einem Etwas erklären, ohne dass es jemandem auffiele.

Es kann dann auch wenig überraschen, dass die sogenannte Ankaraer Schule von islamischen Reformtheologen, die sich ebenfalls die Entschärfung und Historiesierung des Islam vorgenommen hat, bei ihren Bemühungen auf genau diese Probleme stößt:

Eine sehr interessante Tagung, die deutlich machte, wie weit muslimische Professoren inzwischen mit der Korankritik gehen. Immer wieder fragten im Zuschauerraum reichlich vertretene junge Frauen mit Kopftüchern, was denn vom Glauben noch bliebe, wenn zum Beispiel bestritten würde, dass der Koran, so wie wir ihn heute haben, Buchstabe für Buchstabe Gottes Wort sei. (…)“ (Frankfurter Rundschau, 09.06.08)

Der Reporter der „Frankfurter Rundschau“, weiß Gott kein islamfeindliches Blatt, fährt fort:

Aber wen repräsentiert die Ankaraer Schule? Es handelt sich um eine Handvoll bis ein Dutzend Professoren, von denen viele inzwischen die Türkei verlassen haben und sich in den USA, in Europa Regierungen als Mittler zu den Muslimen ihrer Länder anbieten. Ihr Gewicht in der aktuellen innermuslimischen Debatte um den Islam ist nicht sonderlich groß. Es bedarf schon einer großen Phantasie sich vorzustellen, dass alle Sunniten, also nicht nur die Hanafiten der Türkei, sondern auch Malikiten, Hanbaliten, Schafiiten und die saudischen Wahhabiten in dem, was in Ankara gelehrt wird, den wahren Islam und nicht dessen Verrat erkennen werden. Warum sollen nun gar Schiiten, Aleviten den Professoren aus Ankara folgen?

Sie werden dem nicht folgen. Besagte Professoren und auch progressive Lehrerinnen wie Lamya Kaddor können noch von Glück reden, nicht zu Apostaten erklärt zu werden. Wenn man bedenkt, wie schnell zum Beispiel in Ägypten die Waffe des Takfir gezückt wird, dann ist es eine Überlegung wert, warum es hier nicht geschieht. Bleiben wir bei Frau Kaddor:

Ihre Umdeutung der Lehre bedeutet eben nicht, dass sie den Islam kritisch hinterfragen würde. Sie lässt wesentliche Teile weg und schafft es dadurch, einen demokratiekompatiblen Islam zu fingieren, aber indem sie diese Teile weglässt, erspart sie sich eine Erklärung, warum die Lehre heute eine andere sein soll als früher und kommt um die Klippe der Häresie herum.

Vor allem vermittelt sie dadurch ihren Schülern, dass der Islam pauschal etwas Gutes ist. Nun, das ist ja auch der Sinn von Religionsunterricht, bedeutet aber im Falle des Islam, dass die Koranschule oder der Imam immer noch die Gelegenheit haben werden, ihren Islam bei den Schülern an den Mann zu bringen, ohne mit kompetent begründeter Ablehnung rechnen zu müssen.

Und schließlich sind Islamkundelehrerinnen wie sie die krasse Ausnahme. Sie sind gerade gut genug, das demokratische Feigenblatt für den Islamunterricht an öffentlichen Schulen abzugeben, dessen Hauptanteil von den großen Islamverbänden bestritten wird.

Man kann an diesem Beispiel übrigens ablesen, auf welche Weise das Djihadsystem „Islam“ es schafft, selbst solche Muslime für sich einzuspannen, die persönlich die westliche Moderne bejahen und ihr Islamverständnis deren Postulaten anzupassen versuchen. Sie werden ganz schnell (und, wie ich unterstelle, gegen ihren Willen) zum Aushängeschild und menschlichen Antlitz einer totalitären Bewegung.

Die deutsche Öffentlichkeit sieht Frau Kaddor. Die meisten Schüler bekommen Milli Görüs.

Bibel in gerechter Sprache

Die Festplatte aufzuräumen ist so ähnlich wie den Speicher zu entrümpeln: Man entdeckt hundert Dinge, die einem entfallen waren, und gerät auf eine Art Zeitreise zurück ins eigene Leben.

Ich bin also beim Entrümpeln meiner Festplatte auf einen Text gestoßen, den ich vor zwei Jahren, also in meiner Vor-Blog-Ära, geschrieben habe. Ob er wirklich noch aktuell ist, weiß ich nicht, aber zum Löschen ist er allemal zu schade.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann hatte damals in „chrismon“ die „Bibel in gerechter Sprache“ angepriesen. „Chrismon“ ist gleichsam das Hausblättchen des liberalen Protestantismus in Deutschland, das ich bis dahin gelesen hatte und seitdem nicht mehr. Die Herausgeber dieser „Bibel in gerechter Sprache“ hatten nämlich das Kunststück fertiggebracht, den Christen und den Auklärer in mir gleichzeitig bis zur Weißglut zu provozieren.

Was lange gärt, wird endlich Wut: Der Ärger über die politische Linke hatte sich bei mir über Jahre angestaut, und 2006 war ich höchstens noch ein Gewohnheitslinker, wenn überhaupt einer. Wenn ich aber rückblickend darüber nachdenke, welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen und mich dazu brachte, mit der ganzen linken Mischpoke endgültig nichts mehr zu tun haben zu wollen, dann war es diese Gutmenschenbibel, weil die mir den ganzen totalitären Irrsinn linker (und eben nicht erst spezifisch kommunistischer) Ideologie in hochkonzentrierter Form vor Augen führte.

Jedenfalls schrieb ich damals zwei Briefe: einen an die Bischöfin, einen zweiten an die „chrismon“-Redaktion mit der Bitte, den ersten zu veröffentlichen. Diese Briefe habe ich jetzt auf meiner Festplatte wiedergefunden:

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem Bischöfin Käßmann in der vorletzten Ausgabe von „chrismon“ ein Loblied auf die sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ gesungen hatte, ging ich selbstverständlich davon aus, dass nunmehr diejenigen Theologen und Philologen reagieren und replizieren würden, die eine etwas weniger legeres Verhältnis zum biblischen Text, dafür aber ein wesentlich kritischeres Verhältnis zu den Anmaßungen der Political Correctness haben als die Bischöfin und mit ihr die Verfasser der vorliegenden neuen Bibelversion. Mit Ausnahme eines sehr kurzen und auch nur halb kritischen Leserbriefes hat „chrismon“ nichts dergleichen veröffentlicht. Das erstaunt mich.

Müsste ich annehmen, dass es solche kritischen Stellungnahmen nicht gegeben hat, so würde ich mich fragen, ob denn der deutsche Protestantismus, der einmal mit dem Anspruch angetreten ist, seine Theologie sola scriptura zu begründen, schon so weit von seinen ursprünglichen Anliegen entfernt ist, dass er die Bibel gewissermaßen als quantité négligeable auffasst, auf deren authentische Übersetzung es nicht ankommt, und deren absichtliche Fälschung weder einen Skandal noch auch nur einen Anlass zur Kritik darstellt.

Tatsächlich fördert bereits ein Blick ins Internet ermutigenderweise zutage, dass die Empörung quer durch die Christenheit unseres Landes geht: Sie wird artikuliert von Theologen und Laien, von Protestanten und Katholiken, von Liberalen und Fundamentalisten, von Gebildeten und Ungebildeten. Und wenn Bischöfin Wartenberg-Potte, eine der Fördererinnen des Projekts, sagt: „Über viele Kritiken brauchen wir nicht zu schmollen. Viel Feind, viel Ehr.“, so drückt dies eben nicht nur die bornierte Arroganz der Sektiererin aus, die die Vielzahl der Kritiker geradezu als Beweis für de Richtigkeit der eigenen Position ansieht, sondern bezeugt aus unverdächtigem Mund die Breite und Tiefe der Opposition gegen dieses Projekt. Deswegen kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass in Ihrer Redaktion keine kritischen Stellungnahmen zum Artikel von Frau Käßmann eingegangen sein sollen.

Nun möchte ich Ihnen nicht geradezu unterstellen, Sie wollten die Kritik totschweigen.

– Ich weiß nicht mehr genau, ob ich in diesem Punkt höflich oder naiv war –

Möglicherweise unterschätzen Sie aber die theologische und kirchenpolitische Brisanz des Themas, die ich in meiner unten folgenden Antwort auf Frau Käßmann dargelegt habe, und die, zusammengefasst, darin besteht, dass in der neuen Bibelversion eine theologische Position vertreten wird, die auf die Selbstabschaffung des Christentums hinausläuft. Ich bitte Sie, diese Antwort zu veröffentlichen, ungeachtet der Tatsache, dass ich Politikwissenschaftler und als solcher fachfremd bin. Da Thema ist zu wichtig und brennt zu vielen Menschen unter den Nägeln, als dass „chrismon“ einfach stillschweigend daran vorbeigehen sollte.

Sollten Sie sich zu einer Veröffentlichung nicht entschließen können, bitte ich Sie mir dies per e-Mail mitzuteilen; ich würde den Artikel dann anderweitig publizieren.

Mit freundlichen Grüßen 

Selbstverständlich hat „chrismon“ sich gehütet, auch nur eine Zeile zu veröffentlichen. Insofern ist dieser Artikel die längst überfällige Einlösung eines Versprechens.

Der Brief an die Bischöfin lautete wie folgt:

Sehr geehrte Frau Käßmann,

die Verfasser der von Ihnen jüngst gelobten neuen Bibelversion erheben bekanntlich den Anspruch, eine Bibelübersetzung, und zwar „in gerechter Sprache“ vorgelegt zu haben. Nun ist Gerechtigkeit, worin immer sie auch konkret bestehen mag, zweifellos ein hohes Gut. Ist sie aber wichtiger als die Wahrheit, die historische wie die theologische? Darf man um der Gerechtigkeit willen auch lügen und fälschen – nach dem Motto, der Zweck heilige die Mittel? Darf eine Kirche, die sich christlich nennt, die Person Christi aus dem Zentrum ihres Glaubens verbannen? Darf eine protestantische Kirche ihre Gläubigen bevormunden? Nein?

Dies alles aber tun die Verfasser jener „Bibel in gerechter Sprache“, und Sie, Frau Käßmann, segnen mit der Autorität der Bischöfin ein – pardon – Machwerk ab, das weder protestantisch noch auch nur christlich ist, und das nicht einmal für sich in Anspruch nehmen kann, aufklärerisch zu sein.

Zentrale Anliegen der Reformation waren bekanntlich die alleinige Geltung der Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens, die Autonomie des Gläubigen gegenüber kirchlicher Autorität in Glaubens- und Gewissensfragen, und als Konsequenz aus beidem das Recht, aber auch die Pflicht des Christen, sich nach bestem Wissen und Gewissen mit der Bibel auseinanderzusetzen.

Dabei war für Luther der jeweilige Originaltext in hebräischer und griechischer Sprache autoritativ – welcher auch sonst? Idealiter hätte also jeder Gläubige Altphilologe sein müssen. Da dies utopisch war und ist, galt es realiter, jedem Volk die Bibel in seiner eigenen Sprache zu bringen – dabei aber so nahe wie möglich am ursprünglichen Sinn und Wortlaut des Originals zu bleiben. Die Forderung nach Authentizität der Übersetzung ergibt sich daher nicht aus fundamentalistischer Buchstabengläubigkeit, sie hat nichts mit dem Glauben an die Verbalinspiration der Schrift zu tun. Sondern sie folgt zwingend aus den Urpostulaten der Reformation: aus der Theologie sola scriptura und der Freiheit eines Christenmenschen!

Authentisch ist eine Übersetzung aber nicht dann, wenn sie den Intentionen und Interessen des Übersetzers, sondern wenn sie denen des Verfassers entspricht. Entspricht sie diesen nicht, so haben wir es bestenfalls mit einer schlechten Übersetzung, schlimmstenfalls mit einer Fälschung zu tun.

Dass eine Eins-zu-eins-Übersetzung aus der einen Sprache in die andere nicht möglich ist, jede Übersetzung daher auch Interpretation und das Prinzip der Authentizität notwendig Kompromissen unterworfen ist, ist eine Binsenwahrheit, eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber ein grundlegender Unterschied, ob man solche Kompromisse eingeht, weil sie in der Natur der Sache und der Sprache liegen und daher unvermeidbar sind, oder ob man den Aussagegehalt des Textes absichtlich verändert, weil einem die originäre Aussage nicht in den Kram passt! Wenn zum Beispiel der Evangelist Matthäus „Vater unser“ (bzw. „Unser Vater“, Mt.6,9) schreibt, die Übersetzung aber behauptet er habe „Vater und Mutter“ geschrieben, so ist dies, ob gerecht oder nicht, eine Lüge und eine Fälschung! Wird diese Fälschung dadurch gerechtfertigt, sie drücke aus, was „eigentlich“ gemeint sei, so verstehe ich nachträglich die Allergie meines alten Deutschlehrers gegen das Wort „eigentlich“ – eine Worthülse, in die jeder hineinstopft, was er will.

Tatsächlich drückt diese Fälschung bestenfalls das aus, was wir heute meinen. Selbstverständlich fasst heute niemand mehr die Gottesbezeichnung „Vater“ wortwörtlich auf, als sei Gott ein Mann. Für uns heute ist das Wort „Vater“ eine bloße Metapher für Gottes Fürsorge und Autorität.

Das ändert aber nichts daran, dass man sich in Gott biblischer Zeit durchaus als einen Mann vorstellte … . Dies, wie auch die Frauenfeindlichkeit des Paulus oder die apokalyptischen Passagen der Bibel (um nur einige Beispiele zu nennen) sind Dinge, mit denen man sich kritisch interpretierend auseinandersetzen muss, um das Bleibende und Ewige vom Zeitgebundenen zu trennen. Daran haben wir alle zu kauen. Als mündige Christen können wir aber auch daran kauen; wir sind, um im Bilde zu bleiben, nicht darauf angewiesen, dass man uns geistigen Babybrei vorsetzt, in dem alles Harte, Zähe und Schwerverdauliche vor- und fürsorglich bis zur Unkenntlichkeit püriert worden ist!

Ich, für meinen Teil, verbitte mir diese Art von Fürsorge: Es ist die Fürsorge des Zensors, der, natürlich nur „in bester Absicht“, die unmündigen Menschen vor jedem Text bewahren will, den sie „falsch“ – nämlich anders als der Zensor – verstehen könnten, wenn sie ihn autonom interpretierten. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, Frau Bischöfin, dass die Reformation von Anfang an ein Aufschrei und ein Aufstand des freien Christenmenschen gegen just diesen zensorischen und inquisitorischen Geist war?

Kaum weniger fragwürdig als diese Bevormundung der Gläubigen ist der Umgang mit der jüdisch-christlichen Geschichte. Und da dieser nicht nur mit einem unaufgeklärten, weil unhistorischen Religionsverständnis zu tun hat, sondern auch mit einem anti-aufklärerischen Sprachverständnis, sehe ich mich gezwungen, so lächerlich und peinlich das ist, einige linguistische Binsenwahrheiten ins Gedächtnis zu rufen:

Ein Begriff, der eine Personengruppe de-finiert, d.h. von anderen Personengruppen unterscheidet, und zwar nach anderen Kriterien als denen der Geschlechtszugehörigkeit, ist geschlechtsneutral. Wenn etwa von „Bürgern“ oder „Studenten“ die Rede ist, müssen diese ebensowenig zwangsläufig Männer sein, wie „Personen“ oder „Prozessparteien“ zwangsläufig Frauen sein müssen. Die eingebürgerte Redeweise von „Bürgerinnen und Bürgern“ oder „Studentinnen und Studenten“ ist schlechtes, weil tautologisch formuliertes Deutsch, beruht auf der Verwechslung des grammatischen Genus mit dem biologischen Sexus und entspringt einer vulgärfeministischen Marotte.

Gegen diese Verunstaltung der öffentlichen Sprache hat es zwar in den letzten dreißig Jahren nur wenig Widerstand gegeben, weil sie nur eine Form der Verunstaltung ist und bei weitem nicht die Schlimmste; wer wollte da den Don Quichotte machen? Dies bedeutet aber keineswegs, dass diese Sprachpanscherei korrekt wäre. Unerträglich und inakzeptabel wird sie aber spätestens dann, wenn sie aufhört, bloße Schlamperei zu sein, und stattdessen gezielt zum Instrument von Geschichts- und Bibelfälschung gemacht wird: Wenn die Bibel im Original von „Pharisäern“ oder „Richtern“ spricht, dann trifft sie über deren Geschlecht einfach keine Aussage. Die „Übersetzer“ freilich sind in dem ideologischen Vorurteil befangen, es könne keine geschlechtsneutralen Gruppenbezeichnungen geben und behaupten deshalb explizit, unter den Richtern und Pharisäern seien auch Frauen gewesen. Eine solche Behauptung ist nicht nur bereits deswegen eine absichtlich Fehlübersetzung, weil das Original das Geschlecht jener Personen eben nicht nennt; sie ist auch bar jeder historischen Plausibilität: Orthodoxe Juden lassen Frauen bis heute in religiösen Fragen nicht mitreden; die Vorstellung, sie hätten dies vor zwei- oder dreitausend Jahren getan, ist grotesk! Hier wird das Bild der israelitischen Gesellschaft der biblischen Zeit völlig unhistorisch nach dem aktuellen Maßstab heutiger Political Correctness zurechtgebogen.

Die Tatsache, dass die religiöse Entwicklung des Judentums ein jahrhundertelanger Prozess war, von dem die Bibel beredtes Zeugnis ablegt, und der sich unter den Bedingungen einer patriarchalischen Gesellschaft vollzog, wird – weil nicht sein kann, was nicht sein darf – kurzerhand ausgeblendet. Da zu diesem Zweck die Bibel gefälscht wird, fällt es schwer, sich nicht an George Orwells Beschreibung eines totalitären Systems („1984″) erinnert zu fühlen, das systematisch die früheren Ausgaben seiner eigenen Zeitungen umdichten lässt, um sie der jeweils aktuellen Parteilinie anzupassen. Dies ist nicht so polemisch, wie es sich für Sie vielleicht anhört, Frau Bischöfin: Die Nazis haben bekanntlich bereits versucht, das „jüdisch verseuchte“ Alte Testament abzuschaffen und einen „arischen Christus“ zu konstruieren. Wenn wir heute zulassen, dass der Text der Bibel unter politischen Gesichtspunkten manipuliert wird, seien diese Gründe auch noch so gut gemeint, dann begeben wir uns der Argumente, die wir morgen möglicherweise verzweifelt nötig haben werden: dann nämlich, wenn wieder ein totalitäres System versuchen sollte, sich die christlichen Kirchen gefügig zu machen!

In jedem Fall beruht die sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ auf einem unaufgeklärten Religionsverständnis: Unaufgeklärt deshalb, weil Religion, anders als das Vorgehen der Verfasser impliziert, nicht im luftleeren Raum reiner Theologie existiert, sondern sich in einem sozialen Kontext entwickelt. Die biblischen Zeugnisse sind daher stets mit Realgeschichte kontaminiert, und wir können das Christentum nicht verstehen und kritisch – auch selbstkritisch – reflektieren, wenn wir seine historische Genese ignorieren. Die neue Bibelversion jedoch wertet Gerechtigkeit (oder was sie dafür hält) höher als Wahrheit und Ideologie höher als Aufklärung. Dass dies einem emanzipatorischen Anliegen dienen soll, ist ein Widerspruch in sich.

Das Schlimmste kommt aber noch, und hier zitiere ich Sie wörtlich:

„Gerecht werden soll die neue Übersetzung auch dem jüdisch-christlichen Dialog (…) Wenn Jesus … in der Bergpredigt die Schrift auslegt, stellt er sich nicht in einen Widerspruch dazu [zur jüdischen Tradition, M.], wie es die Übersetzung ‚Ich aber sage euch’ (Mt 5,22) andeutet, sondern er interpretiert sie, wie andere Rabbinen, Schriftgelehrte seiner Zeit auch. Die Übersetzung ‚Ich lege das heute so aus’ weist darauf hin.“

Sehen wir einmal davon ab, dass diese Textfälschung schon deshalb nicht nötig gewesen wäre, weil Jesus selbst sagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt 5,17; zitiert selbstverständlich nach der Lutherbibel) Dies aber nur nebenbei.

Lassen wir es uns noch einmal auf der Zunge zergehen: Interpretiert sie … wie andere Schriftgelehrte auch … Ich lege das heute so aus! Jesus ist also einfach nur ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er interpretiert, wie andere auch. Er legt das heute so aus – und morgen anders? Er erhebt nicht den Anspruch auf überzeitliche Wahrheit (Dass dies genau so zu verstehen und nicht etwa eine Unterstellung ist, hat die „Übersetzerin“ des Matthäusevangeliums mit eigenen Worten bestätigt!), sondern stellt bloß theologische Hypothesen zur Diskussion!

Sagen Sie, Frau Bischöfin, ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da tun … ? Jesus ist für Sie also nicht der Sohn und die Inkarnation Gottes, sondern ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er ist auch nicht der Messias, nicht der Christus, sondern ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er ist noch nicht einmal das, was Mohammed für den Islam ist, nämlich der höchste und letzte der Propheten – nur ein Schriftgelehrter wie andere auch. Und sein Wort ist Ihrer Ansicht nach nicht das Wort Gottes, sondern lediglich eine von vielen möglichen Interpretationen der Thora. Eine Interpretation, die nicht einmal für ihn selbst verbindlich ist! Sind Sie sich darüber im Klaren, dass jeder islamistische Fanatiker mit Fug und Recht von sich behaupten kann, er verehre Jesus – für ihn der größte Prophet außer Mohammed – mehr, als Sie es tun … ?

Ohne es auch nur mit einem Wort zu erwähnen, haben Sie fast zweitausend Jahre trinitarischer und christologischer Theologie kassiert (Diese Tradition beginnt ja nicht erst mit den Konzilien, auf denen sie dogmatisiert worden ist, sondern mit den Paulusbriefen, allerspätestens aber dem Johannesevangelium!). Mehr noch: Sie haben die Bedeutung der Person und Lehre Christi als den archimedischen Punkt christlichen Glaubens negiert. Sie erklären Christus zu einem x-beliebigen Prediger und stellen sein Wort, das Wort Gottes, auf eine Stufe mit dem „Wort zum Sonntag“. Was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als dass Sie das Christentum schlechthin zur Disposition stellen!

Sollte dies, nämlich die Selbstentkernung des Christentums, das Ergebnis des Versuchs sein, den jüdisch-christlichen Dialog mithilfe der neuen Bibel zu fördern, so muss ich Sie fragen, was Sie unter „Dialog“ verstehen. Wenn die Bedeutung Christi bis zur Irrelevanz relativiert wird, so entspricht dies in der Tat exakt der jüdischen Auffassung von Jesus. Was Sie, Frau Bischöfin, nicht zu verstehen scheinen, ist, dass diese jüdische Auffassung, die als solche – das heißt als jüdische – vollkommen legitim und sogar zwingend ist, von einer christlichen Kirche, die dies auch bleiben will, nicht übernommen werden kann! Dialog ist eine Sache, Selbstaufgabe eine vollkommen andere!

Verstehen Sie mich bitte richtig: Niemand kann und darf Sie persönlich zwingen, an die Trinität, die Menschwerdung Gottes oder die überzeitliche Geltung der Bergpredigt zu glauben, wenn Sie daran nun einmal nicht glauben können. Sie sind eine freie Bürgerin und als solche berechtigt zu glauben, woran Sie wollen, notfalls auch an den Großen Manitou. Sie missbrauchen aber Ihr Amt und dessen Autorität, wenn Sie eine theologische Position als christlich verkaufen, die selbst bei größtem Wohlwollen nicht mehr als christlich gelten kann! Ein entkerntes Christentum, wie Sie und Ihre dubiosen Exegeten es propagieren, würde in kürzester Zeit auf ein paar sinnentleerte Traditionen zusammenschnurren: auf Weihnachtsbäume, Ostereier – und eine verballhornte Bibel!

Atheisten mögen sich den Bauch halten vor Lachen über die Eilfertigkeit, mit der ehedem ewige Wahrheiten auf dem Altar der Political Correctness geopfert werden. Katholiken mögen mit Schadenfreude zur Kenntnis nehmen, wie weit der Protestantismus heruntergekommen ist: Da sieht man’s mal wieder, Extra ecclesiam nulla salus! Juden können sich freuen, dass die Christen endlich zugeben, dass Jesus nicht der Messias war, Muslime Genugtuung empfinden darüber, dass die im Koran vertretene Behauptung, Christen würden willkürlich ihre Bibel fälschen, endlich der Wahrheit entspricht, nachdem sie 1400 Jahre lang eine Verleumdung gewesen war!

– und natürlich tauchten damals prompt in den einschlägigen Blogs und Foren Moslems auf, die ja schon immer gewust hatten, dass Christen Schriftverfälscher seien, weswegen einzig der Islam … –

Inwiefern dergleichen aber für protestantische Christen akzeptabel sein soll, ist mir ein Rätsel.

Mit freundlichen Grüßen