Querfront – einige Anmerkungen

 

Mein neues Buch „Querfront! Die letzte Chance der deutschen Demokratie“ https://www.compact-shop.de/shop/buec… hat im Netz nicht nur positive Kommentare hervorgerufen. Insbesondere wurde gefragt, wie denn ein Zusammengehen der rechten Opposition mit „den“ Linken funktionieren solle. So reden vor allem die, die das Buch nicht gelesen haben, denn von einer Zusammenarbeit mit „den“ Linken ist dort nirgendwo die Rede, immer nur von Gemeinsamkeiten mit der oppositionellen (!) Linken (vulgo: Wagenknecht-Linke, samt intellektuellem Milieu, also Nachdenkseiten, Reiner Mausfeld, Bernd Stegemann etc.), die sich genau wie wir gegen die totalitären Machtanmaßungen des Establishments wendet.

Die Frage, ob wenigstens mit dieser oppositionellen Linken eine Zusammenarbeit möglich ist, ist allerdings nur von dieser Linken selbst zu beantworten. Wir Rechten können nicht mehr tun, als ihr gute Argumente anzubieten.

In meinem Video mache ich aber darauf aufmerksam, welche theoretischen und vor allem praktischen Implikationen und Konsequenzen es hat, wenn die Antwort „Nein“ lautet.

Bei Nacht und Nebel: Die Verschärfung von § 130 StGB (Volksverhetzung)

Heute widme ich mich der erneuten Verschärfung des § 130 StGB (Volksverhetzung), der nach etlichen Ausweitungen in der neuesten Fassung die 500-Worte-Marke geknackt hat. Ich stelle die aktuelle Verschärfung in den historischen Kontext (und lese zu diesem Zweck aus meinem Buch „Die Sprache der BRD“ vor). Wir sehen, wie der 130 immer mehr zum Oppositionstotschlag-Gummiparagraphen ausgebaut wurde und im Zusammenhang mit anderen Knebelgesetzen den politischen Pluralismus aushöhlt. Einen kleinen Lichtblick habe ich am Ende trotzdem …

Der Deutsche Buchpreis 2022 …

… geht an einen Roman, dessen Autor uns bei Wikipedia als „nichtbinäre schweizerische Person“ vorgestellt wird, sein Geburtsjahr mit „2666“ angibt und sich bei der Preisverleihung öffentlich die Haare abschneidet, um gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran zu protestieren.

(Ach, möchte man sagen, es gibt wieder Frauen? Dann sollte man vielleicht aufhören, J.K. Rowling dafür zu verteufeln, dass sie sich weigert, von „menstruierenden Menschen“ zu sprechen.)

NTV jubelt:

Der Deutsche Buchpreis möchte die Aufmerksamkeit „auf die Vielschichtigkeit der deutschsprachigen Literatur lenken“, sagte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bei der Preisverleihung: „eine Einladung, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu erweitern. Bestenfalls holen wir uns damit gegenseitig aus unseren Filterblasen heraus …“

Nein, das ist keine Satire: Die merken wirklich nicht, dass ein solcher Roman und ein solcher Autor unfreiwillige Karikaturen just der Filterblase sind, in der der ganze Medienbetrieb schwebt.

Bei so viel ideologischer Eintracht des Autors, des Verlages, der Preisjury und der Medien käme der Roman sicherlich auch ganz ohne Text aus. Aber – Überraschung: Er hat sogar einen! Der Verlag Dumont schreibt:

»Die Erzählfigur in ›Blutbuch‹ identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. Aufgewachsen in einem schäbigen Schweizer Vorort, lebt sie mittlerweile in Zürich, ist den engen Strukturen der Herkunft entkommen …«

Den Rest können wir uns dann wohl denken.

Ich werde mich selbstverständlich hüten, Bücher zu rezensieren, die ich nicht gelesen habe. Aber bei derart penetrantem „Virtue Signalling“ aller Beteiligten drängt sich der Verdacht auf, dass hier nicht die literarische Qualität des Werks, sondern seine Tendenz ausgezeichnet wird, und dass der schrille Habitus des Autors (pardon: der nichtmenstruierenden Schreibenden) über Mängel an anderer Stelle hinweghelfen soll.

Und die Frauen im Iran? Die werden bestimmt entzückt sein, wenn das iranische Staatsfernsehen die Bilder der Preisverleihung zeigt – und zwar in Dauerschleife –, verbunden einer ausführlichen Würdigung von Autor und Werk und der Frage:

„Dahin hat der Westen es gebracht. Wollt ihr so etwas auch bei uns?“

Gespräch mit Charles Fleischhauer über die tödliche Torheit der deutschen Politik

In meinem Gespräch  mit Charles geht  es  um mein neues Buch und dessen Themen: den Ukrainekrieg und darum, was er uns über die Lage der Nation und den Zustand ihrer (oder „ihrer“, denn ein besitzanzeigendes Fürwort  muss in diesem Zusammenhang in relativierenden Anführungszeichen stehen) politischen Institutionen.

Nicht, dass ich mich loben will, aber liest man die Kommentare bei Youtube, so haben wir den Zuschauern wohl eine Reihe von Aha-Effekten verschafft. Also unbedingt anschauen!

Zur Zerstörung der Nordstream-Pipelines und dem Medien-Narrativ

Die deutschen Agitpropmedien führen einen Eiertanz auf, den man komisch finden könnte, wenn der Anlass nicht so ernst wäre. Wie schafft man es, ein Interesse Russlands an der Zerstörung der eigenen Pipelines zu konstruieren?

Für diejenigen, denen man es eigens sagen muss: Wenn Russland „Gas als Waffe“ einsetzen wollte, dann wäre die Sabotage der Pipelines das Dümmste, was Putin zu diesem Zweck hätte einfallen können, denn diese Pipelines kann man nicht mal eben reparieren, und bei längerem Zuwarten überhaupt nicht mehr, weil sie jetzt mit Salzwasser gefüllt sind und korrodieren. Selbst wenn Putin es vorgehabt hätte: Er kann die vermeintliche Gaswaffe nicht einsetzen, weil er uns selbst bei äußerstem Wohlverhalten Europas kein Gas mehr liefern könnte.

Dies ficht unsere Desinformationsmedien selbstredend ebensowenig an wie die Tatsache,

  • dass Präsident Biden öffentlich angekündigt hat, die Inbetriebnahme der Pipelines auch gegen den Widerstand der beteiligten Regierungen zu verhindern,
  • es angesichts der starken US-Präsenz in der Ostsee kaum möglich gewesen wäre, einen solchen Anschlag praktisch unter den Augen der NATO mit ihren hochmodernen Aufklärungsmitteln zu verüben (Der Text der im Titelbild verlinkten Zeitungsmeldung findet sich hier übrigens auch online)
  • und ein Interesse an der Sabotage praktisch jeder hat, der die Inbetriebnahme der Pipelines verhindern will, also praktisch der gesamte westliche Machtkomplex einschließlich seiner Propagandamedien.

Nein, es muss Russland gewesen sein!

Ausführlich, konkret und kompetent nimmt Thomas Röper das Narrativ auseinander. Ich empfehle nachdrücklich, den gesamten Artikel zu lesen. Hier klicken.

 

Albrecht Müller: „Meinungsmache.“ (Rezension)


Wenn die deutsche Politik jemals eine Wahlkampfparole hervorgebracht hat, die den Adressaten zum Mitdenken aufrief, dann war das der 72er SPD-Slogan „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen“. Eine ziemlich faire Parole, weil sie den Leser nicht manipuliert: Er wird zum Nachdenken animiert, und das heißt: Er kann sie auch ablehnen.

Dem linken Sozialdemokraten Albrecht Müller, der als Schöpfer dieses Slogans gilt, wird man also zumindest bescheinigen müssen, dass er die Intelligenz seiner Mitmenschen respektiert. Solcher Respekt gerät bei den meinungsbildenden Eliten bekanntlich immer stärker außer Kurs, und Müller hat ein ganzes Buch genau den Methoden gewidmet, mit denen sie dafür sorgen, dass der vielzitierte Mainstream in eine ganz bestimmte Richtung fließt.

[Diese Rezension wurde schon 2010 auf diesem Blog veröffentlicht, aber alles, was ich damals geschrieben habe, wurde seitdem von der Realität sogar übertroffen, und auch Müllers Buch ist aktueller denn je. Die damaligen Kommentare habe ich stehengelassen, ohne aber den Kommentarstrang nochmals zu öffnen. M. K.-H.]

(Albrecht Müller: 
Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen)

Dabei macht er Erfahrungen, die einem Konservativen merkwürdig vertraut vorkommen, und so mancher Kommentator dieses Blogs wird mit einer Mischung aus Mitgefühl und Schadenfreude Passagen wie diese hier lesen:

Wenn ich … beschreibe, dass die Leistungsfähigkeit des bisherigen Rentensystems systematisch, bewusst und geplant der Erosion preisgegeben worden ist, um [sic!] an diesem Zerstörungswerk zu verdienen, dann kommt der Angriff mit der Behauptung: ‚Sie sind ein Verschwörungstheoretiker!’“(S.133)

Leider analysiert er nicht die Wirkungsweise gerade des Vorwurfs der „Verschwörungstheorie“; also erlaube ich mir hier einen Exkurs: Wie manchem Leser erinnerlich ist, bin ich höchst kritisch gegenüber Verschwörungstheorien und habe im Einzelfall ausführlich begründet, was ich unter einer Verschwörungstheorie verstehe und warum ich sie für problematisch halte. Wer so argumentiert, erlegt sich selbst die Beweislast auf.

Es greift aber immer mehr um sich, Verschwörungstheorien zu tabuisieren, ohne zu begründen, warum. Auf diesem Wege wird die Ablehnung von Verschwörungstheorien zum bloßen sozialen Vorurteil und das Wort „Verschwörungstheorie“ zum Etikett, das man nahezu beliebigen Meinungen aufpappen kann, die dadurch aus dem seriösen Diskurs ausgegrenzt werden – ähnlich, wie es mit dem Wort „rechtsextrem“ schon geschehen ist. Das Ergebnis ist eine Beweislastumkehr: Wer beweisen will, dass er kein „Verschwörungstheoretiker“ respektive nicht „rechtsextrem“ ist, kann dies nur dadurch tun, dass er sich von allen Meinungen, Personen und Organisationen distanziert, denen das entsprechende Schandmal aufgebrannt wurde. Da die Diffamierung aber nahezu beliebig vorgenommen werden kann, führt diese (wie jede andere) Art von Appeasement keineswegs dazu, die Diffamierer zufriedenzustellen; vielmehr wird die Grenze des gesellschaftlich Tolerablen mit jedem Zugeständnis enger gezogen: Musste man vor dreißig Jahren noch Hakenkreuzfahnen schwenken, um als rechtsextrem eingestuft zu werden, so reicht heute schon der Gebrauch des Wortes „Neger“.

Müller, wie gesagt, interessiert sich dafür weniger. Linke Sozialisten sind zwar aus der Sicht der meinungsbildenden Eliten ebenso Außenseiter wie rechte Konservative, aber sie werden nicht so sehr moralisch diffamiert, eher schon laufen sie Gefahr, als rückständige Sozialromantiker lächerlich gemacht zu werden, die die Zeichen der Zeit – und speziell der Globalisierung – nicht erkannt haben.

Umso bemerkenswerter die Parallelen, die zwischen beiden Arten politischen Denkens bestehen. Vielleicht fallen diese Parallelen einem wie mir besonders ins Auge, der lange Jahre politisch dort stand, wo auch Müller steht, und heute dort ist, wo der rechte Flügel der CDU wäre, wenn es einen solchen noch gäbe. Ich glaube aber, dass die Gemeinsamkeiten von Sozialisten und Konservativen nicht nur meiner speziellen Optik geschuldet, sondern objektiv vorhanden sind:

Einer wie Müller, der den handlungsfähigen Staat, ein breites und tiefes Angebot öffentlicher Dienstleistungen, aktive keynesianische Konjunkturpolitik und eine dichtgeknüpftes soziales Netz will, fasst Gesellschaft offenkundig nicht als eine bloße Masse von Einzelperonen auf, sondern als Solidargemeinschaft. Das ist das Gegenteil von dem, was der neoliberalen Doktrin entspricht, ähnelt aber offenkundig dem klassischen konservativen Programm der Bewahrung von Volk und Familie, das heißt von – Solidaritätsstrukturen!

Diese Programme sind selbstverständlich nicht gleich, aber sie sind miteinander vereinbar, zum Teil sogar voneinander abhängig: Ist Sozialismus schon rein technisch schwer vorstellbar ohne Bezugnahme auf einen Staat, so ist er – als Solidargemeinschaft – erst recht ideell unvorstellbar ohne die Bereitschaft zur wechselseitigen Solidarität im gesellschaftlichen Maßstab. Solche Bereitschaft fällt aber nicht vom Himmel, und sie wird auch nicht vom Sozialstaat erzeugt; vielmehr findet er sie vor! Die Bereitschaft zur materiellen Solidarität setzt die Vorstellung von einem „Wir“ voraus. Zu deutsch: ein Volk.

Freilich wollen die Linken das nicht wahrhaben, weil es sie in ideologische Peinlichkeiten stürzt: Zu den Implikationen dieses Sachverhalts gehört ja unter anderem, dass Sozialismus stets etwas sein muss, das man mit einigem Recht auch „National-Sozialismus“ nennen könnte. Eine Solidargemeinschaft kommt, allein schon um die Gegenseitigkeit zu gewährleisten, ohne die es sinnlos wäre, von „Solidarität“ zu sprechen, gar nicht darum herum zu definieren, wer dazugehört und wer nicht. Aller internationalistischen Rhetorik zum Trotz würde ein Sozialismus, der alle Menschen weltweit beglücken wollte, schnell aufhören zu existieren. Sozialismus wird immer, wie Stalin das nannte, „Sozialismus in einem Lande“ sein.

Aus der Abneigung gegen solche Gedankengänge resultieren bei Sozialisten, auch bei so klugen Köpfen wie Albrecht Müller, ganz bestimmte blinde Flecken: Der Sozialstaat ist zwar in der Tat systematisch von den siebziger Jahren an ideologisch delegitimiert worden, wie er behauptet – wir kommen gleich dazu -, aber zumindest einer der wichtigsten Gründe für seinen Legitimitätsverlust hat nichts mit Ideologie, PR oder Propaganda zu tun, sondern schlicht mit der Masseneinwanderung von Menschen, bei denen von vornherein feststand, dass sie den Sozialstaat in erheblichem Maße in Anspruch nehmen würden, und zwar ohne Gegenleistung – auch ohne diejenigen Gegenleistungen an Loyalität gegenüber dem Gemeinwesen, zu denen auch ein materiell armer Mensch fähig ist. Ein solcher Sozialstaat hat mit Solidarität nichts zu tun, und niemand muss sich wundern, dass die, die ein solches System mit ihrer Arbeit finanzieren sollen, sich davon abwenden.

Ein ganz ähnlicher blinder Fleck zeigt sich beim Thema „Demographie“: Müller behauptet, Deutschlands demographische Krise (mit der der langsame Abschied vom Umlageverfahren in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet wird), werde weit übertrieben, da unser Land nach bisherigen Prognosen auch 2050 noch 75 Milionen Einwohner haben werde. Dass dieser Wert nur durch massive Einwanderung erreicht werden kann, und dass die Masse der Einwanderer nach allen bisherigen Erfahrungen gering qualifiziert und wenig integrationsbereit sein wird, ja dass sogar zu bezweifeln ist, ob Deutschland überhaupt noch regierbar sein wird, wenn sein Staatsvolk – zumindest bei den wirtschaftlich aktiven Bürgern – eine Minderheit im eigenen Land ist: Das sind Themen, die bei Müller nicht zur Sprache kommen. Er verschweigt sie nicht etwa, er hat sie einfach nicht auf dem Radarschirm.

Nun aber genug von den blinden Flecken, ich schreibe diese Rezension ja nicht zum Zwecke kleinlicher Beckmesserei!

Gemeinsam ist Sozialisten und Konservativen die Erfahrung, dass sie selbst ihre Positionen ausführlich begründen müssen, um sich verständlich zu machen, während etablierte „Wahrheiten“ zu Begriffen geronnen sind, die man schon deshalb Schlagworte nennen darf, weil sie nicht dazu da sind, Gegner argumentativ zu widerlegen, sondern ihren Widerspruch niederzuknüppeln. Ein Sozialist, der darauf hinweist, dass neoliberale Zauberworte wie „Flexibilität“ oder „Wettbewerb“ durchaus nicht immer für etwas Positives stehen müssen, bekommt ähnliche Probleme, sich verständlich zu machen wie ein Konservativer, der darauf besteht, dass Feindschaft gegen das eigene Volk hundertmal schlimmer ist als „Fremdenfeindlichkeit“. Eine Ideologie, die sich auf Schlagworte beschränken kann, ist offenkundig gesellschaftlich dominant.

Erleichtert wird diese Dominanz dadurch, dass sowohl Sozialisten als auch Konservative dazu tendieren, je verschiedene Teile dieses neoliberalen Paradigmas für richtig zu halten: die Linken also die Tendenz zu Entgrenzung und Internationalisierung – obwohl das, wie gezeigt, für Traditionssozialisten an sich inkonsequent ist -, die Rechten die Abneigung gegen das, was sie für linken Sozialklimbim halten.

Letzteres ist fast noch erstaunlicher als die linke Inkonsequenz: Es war ein Konservativer – Bismarck -, der den Grundstein für den deutschen Sozialstaat gelegt hat, und wenn Deutschland auch in den vergangenen hundert Jahren praktisch jede Regierungsform erlebt hat, die überhaupt zur Auswahl stand: Alle Regime haben den Sozialstaat unterstützt und, soweit möglich, ausgebaut. Und auch heute noch gibt es eine deutliche Mehrheit für die Idee, dass eine moderne Gesellschaft sich auch durch materielle Solidarität auszeichnen sollte.

(Wie lange es diese Mehrheit unter dem Druck der Masseneinwanderung noch gibt, steht freilich auf einem anderen Blatt: Dass diese Einwanderung die Idee des Sozialstaats schlechthin in Frage stellt, dürfte aus der Sicht der neoloiberalen Eliten nicht der geringste ihrer Vorzüge sein.)

Wir können daraus schließen, dass die Idee sozialer Solidarität zur Selbstbeschreibung des deutschen Volkes, sprich: zu seiner nationalen Identität gehört. Selbstredend müssen auch Konservative nicht vor Allem und Jedem auf die Knie fallen, was zu dieser Identität gehört, aber die Selbstverständlichkeit, mit der die sozialstaatsfeindliche neoliberale Wirtschaftsideologie von vielen Konservativen akzeptiert wird, erstaunt schon deshalb, weil sie damit ja zugleich die ihr zugrundeliegende Meta-Ideologie schlucken, wonach es überhaupt so etwas wie ein universell anwendbares Wirtschafts-(und Politik- und Gesellschafts-)modell geben könne oder gar müsse. Konservatismus, wenn er mehr sein soll als bloß geistige Bequemlichkeit, müsste aber gerade diese Prämisse des Globalismus prinzipiell anfechten und auf dem Eigenwert und der Eigenlogik unterschiedlicher gewachsener Kulturen beharren. Tut er es nicht, hat er bereits die Waffen gestreckt.

Die entscheidende Frage ist nun: Wie kommt die neoliberale Ideologie eigentlich in die Köpfe? Um dies zu erläutern, untersucht Albrecht Müller die taktischen Mittel der Meinungsmache, dann die strategischen Zusammenhänge, in denen sie eingesetzt werden, und benennt dabei auch einige wichtige Akteure. Die taktischen Mittel, mit denen Ideologie gestreut wird, sind:

Wiederholung: „Wenn alle maßgeblichen Personen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien erzählen, die Globalisierung sei ein völlig neues Phänomen …, was soll die Mehrheit der Bevölkerung dann glauben?“ (S.127) Wenn dies nicht bloß einmal geschieht, sondern über Jahre hinweg fortgesetzt wird, dann gehört das, was da verkündet wird, unweigerlich irgendwann zu den Hintergrundannahmen des gesellschaftlichen Diskurses.

Dieselbe Botschaft aus unterschiedlichen Ecken verkünden: „Wenn der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn und der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bahn
Werner Müller, der zuvor unter Gerhard Schröder Bundeswirtschaftsminister war …, wenn diese beiden das Gleiche sagen wie Norbert Hansen, der … Vorsitzende der größten Eisenbahnergewerkschaft …, dann muss der Börsengang ja gut sein für die Bahn.“ (S.129) Und, möchte man von einem rechten Standpunkt hinzufügen, wenn die CDU sich für Masseneinwanderung stark macht und uns, wie die Grünen, etwas von der damit verbundenen „Bereicherung“ vorschwärmt; wenn obendrein Heerscharen von Wissenschaftlern die vermeintlichen Vorzüge der „Diversität“ anpreisen, dann können nur ungewöhnlich selbstbewusste Menschen sich vorstellen, dass die Alle Unrecht haben sollen.

Vokabeln verwenden, die Urteile und Wertungen beinhalten: „Flexibilität“ klingt doch immer gut, nicht wahr, erst recht „Toleranz“? Müller selbst führt das Wort „Reform“ als Beispiel für einen positiv besetzten Begriff an, der dann umgedeutet wird (in „Reformen“ zugunsten der Oberschicht). (Dass die Umdeutung zentraler politischer Begriffe auch zu den bevorzugten Strategien der EU zu Gesellschaftstransformation gehört, dazu empfehle ich nochmals den Aufsatz von Christian Zeitz)

Einen gruppenspezifischen Jargon sprechen: Ein solcher reduziert ganze Ideologien auf Schlagworte, die für jeweils bestimmte Gruppen gelten und diese Gruppen definieren. Wer ihn nicht spricht – und damit anzeigt, dass er die gruppenspezifische Ideologie nicht teilt – ist draußen. In Kreisen, in denen von „den Märkten“ die Rede ist, sollte man sich Ausdrücke wie „Solidarität“ oder „Gerechtigkeit“ ebenso verkneifen wie „Vaterland“ oder „Abendland“.

Affirmativ auftreten: Menschen neigen dazu, zu glauben, was ihnen erzählt wird. Eine Richtigkeitskontrolle findet höchstens intuitiv statt: Steht der Sprecher hinter dem, was er sagt? Wenn er das vortäuschen kann, glaubt man ihm. Müller zitiert den damaligen Finanzminister Steinbrück: „Schließlich steht außer Zweifel, dass wir einen starken und wettbewerbsfähigen Finanzplatz Deutschland brauchen.“ (S.130) Wer wird sich da schon die Blöße geben, der Hinterwäldler zu sein, der bezweifelt, was doch „außer Zweifel steht“?

Immer im Angriff bleiben: Der Kritiker kann gar nicht Recht haben, und vor allem darf er es nicht. Er kann dumm (links) oder bösartig (rechts) sein; tertium non datur. Ein Rezept, das schon die Nazis praktiziert haben, ebenso wie das folgende:

Keine Diskussionen zulassen: TINA (There is no alternative) bedeutet, die eigentliche Ideologie wird aus jeder Diskussion herausgehalten; so sind die Schlussfolgerungen aus ihr dann tatsächlich ohne Alternative.

Pars pro toto: Einen gesellschaftlichen Missstand dadurch verschwinden lassen (oder dadurch herbeireden), dass man Einzelfälle willkürlich verallgemeinert.

Übertreibung: Wird gerne zur Diffamierung Andersdenkender eingesetzt.

Botschaft B senden, um A zu transportieren: Die explizite Aussage enthält eine Implikation, die als solche unausgesprochen bleibt, aber gerade dadurch umso unauffälliger, d.h. ohne den Filter der kritischen Nachprüfung in die Köpfe gelangt. „Wir verstehen nicht, warum die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister die Banken flehentlich darum bitten, doch endlich unsere 480 Rettungs-Milliarden zu nehmen. Diese Botschaft B wird verständlich, wenn wir die Botschaft A bedenken: Die Banken erweisen uns einen Gefallen, sie erlauben uns gnädig, ihnen unser Geld zu geben, statt ihnen den Staatsanwalt ins Haus zu schicken, was angesichts des millionenfachen Betrugs gerechtfertigt wäre.“ (S.140)

Konflikt: Der inszenierte Konflikt beschäftigt das Publikum so sehr, dass seine Protagonisten die Agenda bestimmen. Müller führt den „Konflikt“ zwischen Schröder und Lafontaine im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 an, der entscheidend zum Wahlsieg der SPD beigetragen hat. Auf einer höheren Ebene war die gesamte Zeit des Kalten Krieges so sehr von dem Gegensatz von Liberalismus und Sozialismus, zweier linker Ideologien, beherrscht, dass der Konservatismus aus dem Weltbild des Normalbürgers hinausdefiniert wurde (übrigens so sehr, dass auch Albrecht Müller mit einer gewissen nervtötenden Penetranz „rechtskonservativ“ sagt, wenn er „extrem neoliberal“ meint – das tut dann schon richtig weh.)

Verschweigen: Welcher Ideologie die veröffentlichte Meinung folgt, lässt sich daran ablesen, mit welchen Themen sie sich nicht beschäftigt und welche Wahrheiten sie nicht ausspricht. Beispiele erübrigen sich – es gibt sie, vom linken wie vom rechten Standpunkt, zuhauf.

Seit den siebziger Jahren wird massive Propaganda zugunsten der Privatisierung bisher öffentlich erbrachter Dienstleistungen gemacht, werden öffentliche Dienstleistungssysteme bewusst kaputtgespart, um ihre dann notwendig geringere Leistung einem angeblichen „Sozialismus“ in die Schuhe zu schieben, so lange, bis sie tatsächlich privatisiert werden (oder, wo das nicht ohne weiteres möglich ist, wie bei den Universitäten, sie strukturell Privatunternehmen weitgehend angelichen werden). Müller weist, m.E. zu Recht, darauf hin, dass die damit erzielten Verbesserungen bestenfalls zweifelhaft waren, die Schäden aber genau dort eingetreten sind, wo sie zu erwarten waren: bei der Verlässlichkeit, der Nachhaltigkeit, der Langfristperspektive und der Zugangsgleichheit. Das fängt bei Kommunikationsdienstleistungen an, setzt sich fort im Bildungsbereich und im Verkehrswesen und hört bei den Medien noch lange nicht auf. Ich werde diesen Aspekt hier nicht vertiefen (und verweise auf das Buch), weil es mir hier ja nicht darum geht, wo die Neoliberalen Recht oder Unrecht haben, sondern wie sie ihre Ideologie unter die Leute bringen.

In diesem Zusammenhang spielt zum Beispiel die Kommerzialisierung der Medien eine Rolle: zum einen durch die Einführung des kommerziellen Fernsehens in den achtziger Jahren, zum anderen dadurch, dass auch die gedruckten Medien mehr und mehr dem Diktat des Shareholder Value unterworfen werden.

Letzteres – dass also kapitalistische Unternehmen naturgemäß auf Deubel komm raus maximalen Gewinn erwirtschaften müssten – wird zwar vielfach für selbstverständlich gehalten, liegt aber durchaus nicht in der Natur der Sache. In der Natur der Sache liegt lediglich, dass solche Unternehmen um jeden Preis die Pleite vermeiden müssen. Wer freilich Gewinnmaximierung anstrebt, wird im Medienbereich dasselbe tun wie in anderen Branchen, nämlich Stellen streichen und auslagern, Löhne und Honorare drücken, zusätzliche Einnahmequellen erschließen. Für die Redakteure, die unter solchem Druck produzieren müssen, ist es ein zweifelhafter Glücksfall, dass es zu jedem Thema vier oder fünf sogenannte oder auch Experten gibt, auf die man arbeitssparend zurückgreifen kann, und die, weil sie normalerweise alle dieselbe Meinung vertreten, keine irritierenden Dissonanzen aufkommen lassen, stattdessen suggerieren, es könne ohnehin bloß eine vernünftigerweise vertretbare Meinung geben, nämlich ihre eigene.

Und dabei ist das noch eine relativ saubere Form von Journalismus, verglichen mit dem Einsatz von Fertigprodukten aus PR-Abteilungen. Publizistische Unabhängigkeit, auch früher schon wegen der Abhängigkeit von Werbekunden ein heikles Thema, wird in dem Maße zur Fiktion, wie man sich von kapitalstarken PR-Anbietern kaufen lässt: Sich die Spalten und Sendeplätze füllen zu lassen und dafür noch Geld zu kassieren – das ist journalistisch das Allerletzte, aber kommerziell der Königsweg.

Und das betrifft nicht nur private Medien: Im „redaktionellen“ Teil der GEZ-Sender spottet das Maß an Werbung, die man längst nicht mehr „Schleichwerbung“ nennen kann, inzwischen jeder Beschreibung! Dass die Orientierung am kommerziellen Erfolg das Ergebnis einer ideologischen Gehirnwäsche ist, die mit ökonomischen Notwendigkeiten nichts zu tun hat, liegt gerade bei diesen Sendern auf der Hand.

Ganz ähnlich sieht es bei den Universitäten aus. Dort hat die Gehirnwäsche schon so weit gefruchtet, dass kaum noch einem aufzufallen scheint, dass der vielgepriesene „Wettbewerb der Universitäten um Drittmittel“ (der Wirtschaft und des Staates) auf nichts anderes hinausläuft als darauf, die wissenschaftliche Unabhängigkeit an den Meistbietenden zu verhökern. Im naturwissenschaftlich-technischen Bereich lässt sich vielleicht noch darüber diskutieren, ob die dadurch möglicherweise erzielbare Orientierung an der praktischen Anwendung auch ihr Gutes hat. Bei den Geistes- und Sozialwissenschaften bedeutet es die Verwandlung von Universitäten in Ideologiefabriken. Wenn zudem noch der Turbo-Master gefordert wird (von Studenten, die bereits das Turbo-Abitur hinter sich haben), dann ist das erwartbare Ergebnis, dass die Bereitschaft und Fähigkeit zu ideologiekritischem Denken (von welchem politischen Ausgangspunkt auch immer) nicht mehr entwickelt wird. Und sie sollen ja auch gar nicht entwickelt werden. (Und nochmal: Neoliberale und linksliberale Ideologien ergänzen einander, sie widersprechen einander nicht! Allenfalls setzen sie unterschiedliche Akzente. Weswegen der Einwand, die Unis seien doch in der Hand der Linken, am springenden Punkt vorbeigeht.)

Kommerzialisierung wirkt also in diesen Bereichen selbstverstärkend: Kommerzialisierte, gewinnmaximierte Medien und Universitäten bringen wie von selbst genau die Ideologie hervor, die ihre eigenen Binnenstrukturen legitimiert; zugleich verlieren sie in dem Maße an Autonomie, wie die Orientierung an nichtwissenschaftlichen bzw. nichtpublizistischen Kriterien zunimmt. Das soziologische Standardmodell einer funktional differenzierten und sich immer weiter differenzierenden Gesellschaft stößt bei der Beschreibung eines solchen Sachverhalts nicht nur an Grenzen: Es führt sogar in die Irre, weil es einen Prozess der systematischen Ent-differenzierung verschleiert, bei dem verschiedene Teilsysteme den Maßgaben derselben leitenden Ideologie unterworfen werden.

Wie aber konnte die neoliberale Ideologie so dominant werden, und wer hat die Kampagnen angeschoben, die eine so nachhaltige ideologische Wirkung gezeitigt haben?

Leider bleibt Müller in seiner Darstellung ganz auf Deutschland fixiert, obwohl die Durchsetzung des neoliberalen Paradigmas ein Prozess war, den man seit den sechziger Jahren in der gesamten westlichen Welt beobachten konnte. Müller erwähnt zwar die „Chicago Boys“, also die Gruppe von Ökonomen um Milton Friedman, aber eine umfassende Darstellung strebt er nicht an.

Umso interessanter ist das, was er über die Rolle der Bertelsmann-Stiftung schreibt, die seit ihrer Gründung in den siebziger Jahren das neoliberale Paradigma verficht. Natürlich ist sie nicht der einzige Akteur auf diesem Gebiet: Wirtschaftsnahe Institute und Lobbyorganisationen mit vergleichbarer Agenda gibt es zuhauf, aber die Bertelsmann-Stiftung liefert – gerade für Politiker als Abnehmer – ganze Fertigpakete: nicht nur eine Ideologie, auch die dazu passenden wissenschaftlichen Studien; nicht nur Studien, sondern auch Handlungsempfehlungen; und zu den Empfehlungen gleich die Strategien zu ihrer Umsetzung; verbunden mit publizistischer Unterstützung für diejenigen Politiker, die sich an diese Empfehlungen des Hauses Bertelsmann halten, das zugleich Eigentümer eines der größten Medienkonzerne der Welt ist. Politiker, die sich darauf konzentrieren wollen, an der Macht zu bleiben, und die zu diesem Zwecke auch politische Inhalte benötigen – als notwendiges Übel sozusagen –, werden bei Bertelsmann zweifellos erstklassig bedient.

Der inzwischen verstorbene Bertelsmann-Gründer Reinhard Mohn hat hier eine Struktur geschaffen, die ganz auf die Verbreitung und gesellschaftliche Durchsetzung seiner Ideologie programmiert ist. Ich weiß nicht, und Müller schreibt nichts darüber, aber ich vermute, dass Springer, Murdoch und Berlusconi in ähnlicher Weise für ihr Nachleben vorgesorgt haben. In jedem Fall ist es auffällig, wie gering die Anzahl der Großakteure ist, die hier eine Rolle spielen.

Wenn man mit so viel Medienmacht erst einmal eine ganz bestimmte Sicht der Welt als dominant etabliert hat, kommt es wie von alleine zur Selbstgleichschaltung der nicht konzerngebundenen Medien und von Politikern, die eigentlich für die Unterstützung einer anderen, z.B. linken oder konservativen Agenda gewählt wurden. Wer möchte sich schon nachsagen lassen, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Wenn die Bejahung einer bestimmten Ideologie – sprich: die Bereitschaft und Fähigkeit, mit einer gewissen urbanen Lässigkeit alles abzulehnen, was der Normalbürger für selbstverständlich hält – über die Zugehörigkeit zur Elite entscheidet, dann werden anderslautende Prinzipien schnell zu etwas Lästigem, das man höchstens noch zur Täuschung der Wähler benötigt.

(Ob man wirklich dazugehört, steht freilich auf einem anderen Blatt. Gerhard Schröder jedenfalls erfuhr erst im Frühjahr 2005 durch den plötzlichen Schwenk jener Blätter, die ihn bis dahin unterstützt hatten, dass er bloß der nützliche Idiot gewesen war, der den Boden für eine neoliberale Reformpolitik hatte bereiten sollen. Nachdem das erledigt war, war er plötzlich jener Mohr, der seine Arbeit getan hatte. Der Mohr konnte gehen.)

Und man glaube nicht, das diese Form von Korruption durch Eitelkeit nur auf der Linken funktioniert. Der linke Politiker, der sich nicht dabei erwischen lassen möchte, von Klasseninteressen oder Solidarität zu sprechen, weil das rückständig wäre, findet seine rechten Gegenstücke in gewissen Leuten, die sich nicht dabei erwischen lassen möchten, noch an die Existenz von Völkern zu glauben, und die uns deshalb in der „Sezession“ oder der „Jungen Freiheit“ die neoliberale „Wahrheit“ unterzujubeln versuchen, dass Masseneinwanderung unvermeidlich sei.

Ich bin mit Müller selbstredend nicht in jedem Punkt einverstanden; mir scheint auch, dass er die Möglichkeiten eines spezifisch sozialistischen Politikansatzes deutlich überschätzt – aber wer weiß? Ich bin im Gegensatz zu ihm kein Makroökonom, und vielleicht bin ich selbst ein Opfer neoliberaler Meinungsmache? Ich finde jedenfalls, man sollte seine eigenen Meinungen von Zeit zu Zeit darauf abklopfen, ob sie auch wirklich die eigenen sind. Womöglich vertritt man sie nur, weil „Alle“ sie vertreten, insbesondere die „Eliten“, und die müssen es ja wissen, nicht wahr?

Müller empfiehlt, wie ich selbst auch, die Übermacht der Meinungsmacher durch Nutzung des Netzes zu konterkarieren, und unterhält zu diesem Zweck die NachDenkSeiten. Sein Buch ist ungeachtet einiger Schwächen gerade für Konservative lesenswert: weil man manche Sachverhalte klarer sieht, wenn sie einmal nicht anhand der eigenen Lieblingsthemen erläutert werden; und weil man gerade an der Auseinandersetzung mit sozialistischen Positionen merken kann, wie sehr man unter Umständen selber auf der Basis von neoliberalen Annahmen argumentiert, die man nicht wirklich kritisch überprüft hat.

 

 

 

 

Martin Sellner und Manfred Kleine-Hartlage im Gespräch über die Lage der Nation

Martin Sellner und ich sprechen über den aktuellen Stand des Ukrainekrieges, die möglichen weiteren innen- und außenpolitischen Entwicklungen und die strategischen Optionen der Opposition. Reinhören, es lohnt sich:

Pussy Riot und die deutsche Ochlokratie

Vor zehn Jahren, am 17. August 2012, wurden Mitglieder der Emanzen-Punkband Pussy Riot von einem Moskauer Gericht wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ erstinstanzlich zu zwei Jahren Haft verurteilt: Die Frauen waren im Februar 2012 in das zentrale Gotteshaus der Russisch-Orthodoxen Kirche, die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, eingedrungen, und hatten dort als Kunst getarnte Parolen skandiert, unter anderem „Scheiße, Scheiße, Gottesscheiße“ und „Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin“.

Das politisch-mediale deutsche Establishment, das damals schon bei jeder Gelegenheit gegen Russland hetzte, schäumte vor Wut über das Urteil. Ich kommentierte damals:

 

Alle deutschen Politiker und Medienschaffenden sind sich einig: Das Urteil gegen die Punkband „Pussy Riot“ sei „rechtsstaatswidrig“, „politisch motiviert“ und „Justizwillkür“, die „die Menschenrechte missachte“; Russland habe damit gezeigt, dass es weder ein Rechtsstaat noch eine Demokratie sei. Irgendwelchen Widerspruch gegen diese Diagnose kann man im Mainstream mit der Lupe suchen.

Medienkampagnen sind in Deutschland an der Tagesordnung, und oft genug haben sie eine erkennbare politische Funktion, wie etwa die Hetzkampagne gegen das syrische Regime, die offenkundig der propagandistischen Kriegsvorbereitung dient, oder die Kampagne „gegen Rechts“, die sich an den angeblichen NSU-Morden entzündet hat, und bei der all den „investigativen“ Journalisten nicht auffällt oder auffallen darf, dass die Nazimörderstory, die die Sicherheitsbehörden uns in diesem Zusammenhang auftischen, durch kaum einen greifbaren Beweis untermauert ist, dafür aber von Ungereimtheiten nur so strotzt.

Die Kampagne für „Pussy Riot“ ist dadurch bemerkenswert, dass ein unmittelbar politisches Motiv nicht erkennbar ist, und dass ein Journalist, der die Musikerinnen kritisieren oder Verständnis für das Urteil äußern würde, dadurch nicht die Grenzen der Political Correctness überschreiten oder seine Karriere riskieren würde. Die Selbstgleichschaltung der Medien im Falle „Pussy Riot“ geschieht offenbar aus Überzeugung und wirft gerade dadurch ein Licht auf die Art der Überzeugungen in den Köpfen jener Menschen, die den politisch-medialen Komplex bilden. Es handelt sich um einen jener Vorgänge, die blitzartig beleuchten, von welcher Art Menschen wir regiert und (des-)informiert werden, und man ist stets aufs Neue verblüfft, dass diesen Menschen offenbar nicht klar ist, was sie mit ihren Stellungnahmen über sich selbst aussagen.

Es ist ja nicht etwa so, dass die in den Medien ausschließlich verbreitete Meinung über die Vorgänge in Russland sich quasi von selbst verstünde, im Gegenteil: Es ist sogar ungewöhnlich schwierig, sie mit Argumenten zu stützen, und es bedarf daher eines ungewöhnlichen Maßes an Voreingenommenheit, ja Verbohrtheit, sie überhaupt vorzutragen. Gewiss gibt es in allen Lebensbereichen Menschen mit fragwürdigen Geistes- und Charaktergaben, wie eben zum Beispiel Voreingenommenheit und Verbohrtheit, und es gibt keinen Grund, warum es sie gerade in Politik und Medien nicht geben sollte. Dass sie aber alle dieselbe Art von Verbohrtheit an den Tag legen: Das ist das Aufschlussreiche!

Rechtsstaatwidrig? Die jungen Frauen haben gegen das russische Strafrecht verstoßen und wussten das. Zum Rechtsstaatsprinzip gehört, dass jede bekanntgewordene Straftat auch verfolgt werden muss. Sie im Einzelfall aus politischen oder sonstigen rechtsfremden Gründen nicht zu verfolgen: Das wäre rechtsstaatswidrig!

Unverhältnismäßig? Das Delikt, um das es geht, kann mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet werden; da kann man eine zweijährige Haftstrafe schlecht „unverhältnismäßig“ nennen.

Willkürlich? Was als „verhältnismäßig“ zu gelten hat und was nicht, ist auch eine Frage der jeweiligen Rechtskultur. Wäre die russische Justiz sonst für ihre Milde bekannt und hätte nur in diesem einen Fall eine Freiheitsstrafe verhängt, so könnte man vielleicht von politisch motivierter Willkür sprechen. Da die russische Justiz aber generell härtere Urteile verhängt als zum Beispiel die deutsche, kann von willkürlicher Härte kaum die Rede sein; eher schon muss man dem Gericht eine für russische Verhältnisse ungewöhnliche Milde bescheinigen. Der deutsche Staat dagegen hat sich eine nichtchristliche Staatsreligion zugelegt und setzt sie mit einer Härte und Willkür durch, die der irgendeines autoritären Regimes mindestens gleichkommt:

Ein Staat wie die BRD, der brutalste Schläger mit kleinen Bewährungsstrafen davonkommen lässt, dafür aber bloße Meinungsdelikte, etwa die Holocaustleugnung, also den bloßen Dissens mit der etablierten Geschichtsauffassung, mit mehrjährigen Gefängnisstrafen ahndet – ein solcher Staat muss sich aus solchen Gründen durchaus den Vorwurf gefallen lassen, aus politischen Motiven zu unverhältnismäßiger willkürlicher Härte zu greifen – der russische aber zumindest nicht wegen Pussy Riot.

Ja, darf es denn solche Rechtsnormen überhaupt geben? Muss es nicht erlaubt sein, jederzeit und überall Jedem, auch dem, der es nicht hören will, die eigene politische Meinung oder religiöse Doktrin ins Gesicht zu schreien?

Durchaus nicht. Es muss allenfalls im öffentlichen Raum erlaubt sein, etwa auf der Straße, im Internet oder im Parlament – und selbst dort unterliegt es vernünftigerweise Einschränkungen, nicht nur in Russland. Eine Kirche ist aber kein öffentlicher Raum in dem Sinne, das sie zu jedem Unfug benutzt werden dürfte, und die Menschen, die dort hingehen, tun es, um Gott nahe zu sein, nicht aber, um mit dem ordinären Gepöbel schriller Gören konfrontiert zu werden, die ihre Gruppe ausgerechnet „Votzenrandale“ nennen.

Dieselben deutschen Journalisten, die nun glauben, es gehöre zu den Menschenrechten, in einer Kathedrale „Scheiße Scheiße Gottesscheiße“ skandieren zu dürfen, konnten sich nur zähneknirschend zu dem Eingeständnis durchringen, dass es wohl – leider, leider – nicht verboten werden könne, auf der Straße Mohammedkarikaturen hochzuhalten, und würden lauthals nach dem Kadi rufen, wenn es Islamkritikern einfiele, dasselbe in einer Moschee zu tun. Und wenn etwa Mitglieder einer rechtsextremen Rockgruppe es wagen würden, in eine Synagoge einzudringen und dort antijüdische Parolen zu rufen, dann würde die Journaille eher über die Einführung der Todesstrafe als über die „Verhältnismäßigkeit“ einer Freiheitsstrafe diskutieren.

„Pussy Riot“ konnten nur dadurch zu Heldinnen der politisch-medialen Klasse werden, dass sie in einem christlichen Gotteshaus randalierten, dass sie das Christentum durch den Schmutz zogen, und dass die Betroffenen Christen also Angehörige der Mehrheitsreligion und Russen, also Angehörige des Mehrheitsvolkes waren.

[Eines Mehrheitsvolkes zudem,  möchte man 2022 im Rückblick hinzufügen, das sich der Verschwulung seines Landes widersetzt und es wagt, nicht den ideologischen Schrullen windschnittiger deutscher Queer-Ideologen, Regenbogenträger und Niederknier zu folgen. Welche Blasphemie von den Russen, nach wie vor das Kreuz anzubeten und nicht das Gendersternchen!]

Was die Votzenrandaliererinnen mit deutschen Meinungsmachern verbindet, ist der Hass auf Christen und das Christentum, der Hass auf das eigene Volk, die eigene Herkunft, die eigene Geschichte.

Identität und geschichtliche Verwurzelung des russischen Volkes werden ja durch nichts so sehr verkörpert wie durch die orthodoxe Kirche. Der Hass, der ihr und dem eigenen Volk gilt, ist der Hass des sich selbst absolut setzenden, des entwurzelten rücksichtlosen Ego auf jede Form von historischer wie sozialer Bindung und Einbindung.

Es ist der Hass von Menschen, die kein Gestern, kein Morgen und kein Wir kennen, auf die Institution, deren schiere Existenz sie daran erinnert, dass sie seelische Krüppel sind. Es ist der Hass von Menschen, die sich nur frei fühlen, wenn sie das, was ihnen unbegreiflich und unerreichbar ist, in jenen Schmutz ziehen dürfen, in dem sie selbst sich suhlen, weil sie ein Teil davon sind. Es ist der Hass des Hässlichen auf das Schöne, des Niedrigen auf das Erhabene, des Nichtigen auf das Ewige. Es ist der Hass des Asozialen auf den Anstand.

Gerade in der zur Schau getragenen Asozialität der jungen Frauen erkennt die westliche Meinungs-„Elite“ sich wieder, deren Mitglieder ihre eigene Unreife und missglückte Sozialisation notdürftig unter Nadelstreifen verstecken. Die Votzenrandale ist genau das, was sie selbst gerne praktizieren würden und auch tatsächlich praktizieren, nur dass sie es nötig haben, ihre ordinäre Destruktivität als „Liberalität“ zu bemänteln, während sie daran arbeiten, die Kloake in ihren Köpfen zuerst als Ideologie durchzusetzen und dann als Zustand der Gesellschaft zu verallgemeinern. Pussy Riot und die deutsche Medien-Ochlokratie sind Brüder und Schwestern im Geiste des Abschaums.

 

 

[Leicht überarbeitete Fassung meines Artikels „Pussy Riot und die deutsche Ochlokratie“ vom 19. August 2012.]

Bücherbann in Großbritannien

Wie Tichys Einblick schreibt, haben zehn britische Universitäten, damit begonnen, Ihre Bibliotheken von Büchern zu säubern, die „verstörend“ wirken könnten:

Zu den zehn Universitäten gehören auch drei der „Russell-Group“, die 60 Prozent aller Promotionen im Königreich vergibt und führend im Bereich der Exzellenz-Universitäten ist. Ein Buch kann auf die schwarze Liste geraten, wenn es die Themen Sklaverei oder Selbstmord darstellt. Aber auch vor Sex bewahren die Professoren ihre Studenten – gründlicher als die Sittenwächter der 50er Jahre.

Die Universitäten entfernen die Bücher von den Leselisten oder versehen sie mit „Triggerwarnungen“.

Es passt ins Bild, dass die meisten Universität versuchten, die Berichterstattung nach Kräften zu behindern. Die Zensur soll stattfinden, aber merken soll es keiner, damit man die wenigen, die es doch bemerken, als „Verschwörungstheoretiker“ lächerllich machen kann.

In meinem Buch „Systemfrage“ schrieb ich zu diesem Thema:

Zensur als Norm

Systemfrage. Vom Scheitern der Republik und dem Tag danach. Verlag Antaios.
Broschur, 240 Seiten
18,00 € *

Es trifft zu, daß das Grundgesetz bereits in seiner ursprünglichen Version und korrekten Auslegung von einem gewissen Mißtrauen gegenüber der politischen Urteilsfähigkeit des Volkes geprägt ist – nach den Erfahrungen der vorangegangenen dreißig Jahre hatte man dazu sicherlich auch Gründe. Dieses Mißtrauen schlug sich nieder in der Ausgestaltung der Demokratie als strikt repräsentativer Demokratie unter weitgehendem Verzicht auf plebiszitäre Elemente. Auch der Aspekt der „wehrhaften Demokratie“ mit all seinen bedenklichen Seiten gehört in diesen Kontext.

Was aber nicht dazu gehört, ist die paternalistische Bevormundung jedes einzelnen Bürgers, ist die Ausdehnung der Prinzipien des Jugendschutzes auf den Umgang mit Erwachsenen. In einer demokratischen politischen Kultur muß der Staat hohe Hürden überwinden, wenn er publizistische Angebote unterbinden, sprich Zensur üben will, weil eine Bürgerschaft, die ihre Rechte zu wahren entschlossen ist, darauf achtet, daß er nicht unter diesen Hürden hindurchschlüpft. In einer solchen Kultur käme es auch niemandem in den Sinn, privaten Akteuren eine Zensorenrolle zuzuschreiben oder dies zu dulden.

In der politischen Kultur der BRD aber ist die Frage, was der Staat (ausnahmsweise) zu verbieten verpflichtet ist, von der entgegengesetzten Frage verdrängt worden, was der Bürger überhaupt veröffentlichen darf. Weit über den politisch-ideologischen Bereich hinaus hat sich eine Mentalität breitgemacht, wonach nicht die Zensur, sondern die Freiheit unter Rechtfertigungszwang steht. In einer solchen Kultur sind auch und gerade Künstler und Intellektuelle bereit, Zensur nicht nur zu dulden, sondern auch gutzuheißen und sogar von sich und anderen Selbstzensur zu fordern.

Wie tief dieser Ungeist schon verbreitet ist, kann man am Umsichgreifen sogenannter „Triggerwarnungen“ in belletristischen Texten ablesen, zum Beispiel: „Dieses Buch kann auf Menschen verstörend wirken, die in ihrem Leben Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen machen mußten.“ Es klingt ein bisschen wie die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln („Rauchen gefährdet ihre Gesundheit!“), nur daß diesmal keine staatliche Instanz dazu aufgefordert hat, sondern die Autoren von sich aus vor ihren eigenen Büchern warnen. Solche Autoren trauen dem Leser offenbar nicht einmal das bisschen Mündigkeit zu, nach traumatischen Gewalterfahrungen nicht ausgerechnet zu einem Horrorthriller zu greifen!

Das Problem dabei ist, daß hier das Prinzip eingeübt wird, die Freiheit der Kunst unter den Vorbehalt zu stellen, daß niemandem wehgetan werden darf. Nach diesem Maßstab hätte praktisch kein auch nur halbwegs bedeutendes Werk der Literaturgeschichte ohne Triggerwarnung erscheinen können. Was bedeutet es, wenn dies erst einmal auf breiter Front praktiziert wird?

Erstens: Literatur und Kunst werden auf die Dauer vorrangig unter dem Aspekt ihrer möglichen verstörenden Wirkung betrachtet und letztere von vornherein negativ bewertet. Es wirkt wie ein großes Warnetikett „Lesen gefährdet ihre seelische Gesundheit!“. Nun wohnt aber jeder Kunst, die mehr als seichte Unterhaltung und oberflächliche Affirmation bieten will, ein gewisses „verstörendes“ Potential inne, das macht geradezu ihr Wesen aus. Den Leser davor zu warnen, heißt ihn zu verleiten, der Auseinandersetzung gerade mit unbequemer Kunst und der damit verbundenen Chance auf persönliche Reifung aus dem Weg zu gehen. Im obigen Beispiel etwa wäre allein das Wort „Diskriminierung“ wegen seiner mutmaßlichen ideologischen Schlagseite für mich ein Grund, das Buch nicht zu lesen, mir damit aber auch die darin möglicherweise enthaltenen literarischen Qualitäten und neuen Gesichtspunkte entgehen zu lassen, und die meisten Leser dürften solche oder andere Vorurteile hegen. Am Ende liest jeder nur noch, was ihn nicht aus seiner Komfortzone zwingt.

Zweitens: Irgendwann wird diese Art von Selbstzensur, wenn sie nur häufig und allgemein genug praktiziert wird, auch allgemein erwartet werden, und folglich wird sich das vermeintliche moralische Gebot in ein gesetzliches verwandeln. Wer nicht bereit ist, vor seinen eigenen Büchern zu warnen, oder es dabei an Pedanterie fehlen läßt, wird sie wieder einstampfen müssen oder gar nicht erst drucken lassen können.

Drittens: Um solchen Konsequenzen zu entgehen, werden Autoren und Verlage zur Selbstzensur greifen und alles vermeiden, was irgendwie „verstörend“ sein könnte, oder von vornherein „Triggerwarnungen“ als komplette Inhaltsangaben anlegen, nach deren Lektüre man sich die des jeweiligen Buches eigentlich sparen kann.

Zuerst will man also dem Leser die Freiheit der Wahl geben, am Ende hat man die des Autors geopfert. Zuerst will man nur ein bisschen Rücksicht nehmen: und zwar auf die verschwindend kleine Minderheit von Lesern, die wegen einer bloßen literarischen Darstellung eine Re-Traumatisierung zu erleiden drohen; am Ende steht für alle Leser eine bedeutungslose Literatur.

Entsprechendes gilt für das sogenannte „Sensitivity Reading“, und wer die Sprache der BRD und ihren speziellen Umgang mit Anglizismen kennt, wird jetzt zu Recht stutzen:

Wie beim „Gender Mainstreaming“, also der Geschlechtergleichmacherei, und beim „Diversity Management“, also beim Durchwursteln durch selbsterzeugte multikulturell bedingte Probleme hört sich „Sensitivity Reading“ irgendwie besser an als das, was gemeint ist: nämlich Texte so lange durchzukämmen, bis alles aus ihnen entfernt ist, was die angeblichen oder auch Empfindlichkeiten von Berufsbetroffenen tangieren und sie zu einem Kesseltreiben (neudeutsch: Shitstorm) gegen Autor und Verlag veranlassen könnte.

Mancher wird jetzt fragen, ob dieses Thema denn so wichtig sei, daß es so ausführlich behandelt werden müsse. Ja, es ist in der Tat so wichtig:

Zum einen sind Künstler und Intellektuelle, einschließlich Literaten, Multiplikatoren, deren Mentalität die der Gesellschaft wesentlich mitprägt. Es sollte daher niemanden kaltlassen, wenn eine Autorin, explizit angesprochen auf drohende Zensurgefahren, antwortet „Ich bin sehr für eine verpflichtende Triggerwarnung. Gute Idee!“ – und damit möglicherweise eine Mehrheit ihres Berufsstandes repräsentiert. Muß ich ausführlich begründen, daß und warum eine Gesellschaft, die solche Künstler und Literaten hat, auf die Dauer keine freie Gesellschaft bleiben kann?

Zum anderen ist die Bevormundung des Lesers – selbstredend nur zu dessen eigenem Besten – Teil eines Trends, der das Prinzip der Selbstverantwortung durch das Prinzip des gegenseitigen Betüddelns ersetzt; durch eine „Solidarität“, die gegen die Freiheit ausgespielt wird und ihr am Ende des Garaus machen wird.

 

(Bildquelle für Kopfbild: StockSnap auf Pixabay)

 

Der neue Boss: Putin leitet Öl und Gas um, Europa geht leer aus

[Diese Analyse von Mike Whitney erschien unter dem Originaltitel „Meet the New Boss; Putin Reroutes Critical Hydrocarbons Eastward Leaving Europe High-and-Dry“ am 16. Juni 2022 auf Global Research. Übersetzung durch „Korrektheiten“. Bildquelle für Beitragsbild: Philipp Wiatschka  / pixelio.de]


„Die Ablehnung russischer Energieressourcen bedeutet, dass Europa die Region mit den höchsten Energiekosten der Welt sein wird
. Dies wird die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie ernsthaft untergraben, die bereits jetzt den Wettbewerb mit Unternehmen in anderen Teilen der Welt verliert…. Unsere westlichen Kollegen scheinen die elementaren Gesetze der Ökonomie vergessen zu haben oder ziehen es vor, sie einfach zu ignorieren.“ Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation

Am Dienstag kündigte Russland an, die Erdgaslieferungen durch die Nord Stream-Pipeline nach Deutschland um 40 % zu reduzieren. Die Ankündigung von Gazprom-Sprechern sorgte für Erschütterungen auf dem europäischen Gasmarkt, wo die Preise schnell auf neue Höchststände stiegen. In Deutschland, wo sich die Preise in den letzten drei Monaten verdreifacht haben, wurde die Nachricht mit Entsetzen aufgenommen. Da die Inflation bereits einen 40-Jahres-Höchststand erreicht hat, wird diese jüngste Angebotsverringerung die deutsche Wirtschaft mit Sicherheit in eine Rezession oder Schlimmeres stürzen. Ganz Europa bekommt nun die Auswirkungen der fehlgeleiteten Sanktionen Washingtons gegen Russland zu spüren. Weitere Informationen finden Sie auf der Oil-Price-Website:

„Die russischen Gaslieferungen nach Europa … sind bereits zurückgegangen, nachdem die Ukraine im vergangenen Monat den Gasfluss von Russland nach Europa an … einem der beiden Transitpunkte gestoppt hat … Dadurch wurde die Versorgung für ein Drittel des Gases, das über die Ukraine nach Europa gelangt, unterbrochen.“ („Europe’s Gas Prices Surge 13% As Russia Reduces Nord Stream Flow, Oil Price)

Die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten haben mehr Sanktionen gegen Russland verhängt als gegen jedes andere Land in der Geschichte. Die Ankündigung vom Dienstag macht jedoch deutlich, wer tatsächlich unter den Sanktionen leidet und wer nicht.

Russland leidet nicht, im Gegenteil, Russland scheint nicht besonders beunruhigt zu sein. Es hat die Angriffe Washingtons so gelassen abgebürstet, wie man eine Fliege bei einem Familienpicknick wegfegen würde. Noch überraschender ist die Tatsache, dass die Sanktionen den Rubel gestärkt, die Einnahmen aus Rohstoffen erhöht, den russischen Handelsüberschuss auf ein Rekordniveau gebracht und seine Gewinne aus Gas und Öl in die Stratosphäre getrieben haben. Nach allen objektiven Maßstäben scheinen die Sanktionen Russland zu begünstigen, was natürlich das Gegenteil von dem ist, was erwartet wurde.

Washingtons Wirtschaftssanktionen gegen Russland: Erfolg oder Misserfolg?

  1. Die russische Währung (der Rubel) ist auf einen Fünfjahreshöchststand gestiegen.
  2. Russlands Rohstoffe bringen satte Gewinne ein
  3. Russlands Handelsbilanzüberschuss wird in diesem Jahr voraussichtlich einen Rekordwert erreichen
  4. Russlands Öl- und Gasumsätze haben stark zugenommen

Es gibt keine Beweise dafür, dass die Sanktionen Washingtons das Ziel erreicht haben, Russland zu „schwächen“ oder seine Wirtschaft zu schädigen. Es gibt jedoch zahlreiche Beweise dafür, dass die Sanktionen nach hinten losgegangen sind und ihren Befürwortern und deren Völkern einen hohen Tribut abverlangt haben. Und obwohl es schwierig ist, den tatsächlichen Schaden zu beziffern, haben wir versucht, bestimmte Kategorien zu ermitteln, in denen die Auswirkungen am dramatischsten waren. Die Sanktionen haben:

  1. einen starken Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise ausgelöst. (Steigende Inflation)
  2. erhebliche Störungen der globalen Lieferketten verursacht (Deglobalisierung)
  3. Nahrungsmittelknappheit verschärft und die Wahrscheinlichkeit einer Hungersnot erhöht
  4. eine starke Abkühlung der Weltwirtschaft verursacht

Bislang hat Russland diesen Angriffe geduldig und ohne Vergeltungsmaßnahmen standgehalten. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass die plötzliche Reduzierung der Gaslieferungen an das energieabhängige Deutschland um 40 % ein Signal sein soll. Man bedenke: Nord Stream 2 war ein großes, mehrjähriges Projekt im Wert von 10 Milliarden Dollar, zu dem sich Russland voll verpflichtet hatte, bis Deutschland Putin in letzter Minute den Boden unter den Füßen wegzog. Deutschland hat bewiesen, dass es – wenn es hart auf hart kommt – immer im Gleichschritt mit Washington marschieren wird, statt seine geschäftlichen Vereinbarungen zu erfüllen oder im Interesse seines eigenen Volkes zu handeln. Deutschland muss nun jedoch feststellen, dass es einen sehr hohen Preis zahlt, wenn es sich zum Handlanger Washingtons macht. Hier weitere Meldungen von Reuters:

„Gazprom teilte am Dienstag mit, dass es die Lieferungen über die Unterwasserpipeline Nord Stream 1 nach Deutschland in Höhe von 167 Millionen Kubikmetern pro Tag auf bis zu 100 Millionen Kubikmeter gedrosselt hat. Als Grund wurde die verspätete Rücksendung von Ausrüstungsgütern genannt, die zur Reparatur geschickt worden waren …“

Nach den russischen Sanktionen gegen EuRoPol Gaz, dem Eigentümer des polnischen Abschnitts, exportiert Gazprom kein Gas mehr über die Jamal-Europa-Pipeline durch Polen nach Westen. Die Ströme über Jamal-Europa fließen weiter östlich von Deutschland nach Polen.

„Aufgrund der verspäteten Rücksendung der Gaskompressoranlagen von der Reparatur durch Siemens … und technischer Störungen der Motoren können derzeit nur drei Gaskompressoranlagen in der Kompressionsstation Portovaya eingesetzt werden“, so Gazprom.

„Aufgrund der von Kanada verhängten Sanktionen ist es für Siemens Energy derzeit nicht möglich, die generalüberholten Gasturbinen an den Kunden zu liefern. Vor diesem Hintergrund haben wir die kanadische und die deutsche Regierung informiert und arbeiten an einer praktikablen Lösung“, so das Unternehmen. („Nord Stream gas capacity constrained as sanctions delay equipment, Reuters)

Natürlich werden die Medien einen Wartungsfehler als Entschuldigung anführen, aber wie glaubwürdig ist das? Wie oft wird die Versorgung mit einer lebenswichtigen Ressource aufgrund einer Kompressorstörung um fast die Hälfte reduziert?

Nicht oft. Russland sendet eine einfache, aber eindringliche Botschaft an Deutschland: „Wie man sich bettet, so liegt man.“ Die Reaktion Russlands ist völlig normal, nachdem man ihm „den Dolch in den Rücken gestoßen hat“.

Und Deutschlands Leidensweg fängt gerade erst an, weil es keine Möglichkeit hat, das Energiedefizit auszugleichen, mit dem es in naher Zukunft konfrontiert sein wird; ein Defizit, das zu Stromausfällen, einfrierenden Häusern und einer unerbittlichen Strangulierung der heimischen Industrie führen wird. Wie die deutsche Regierung feststellt, gibt es keinen brauchbaren Ersatz für russische Kohlenwasserstoffe, die weder leicht verfügbar sind noch in ihrer Qualität den besonderen Anforderungen Deutschlands entsprechen. Mit anderen Worten: Die USA haben Deutschland in dem Glauben gelassen, es könne einfach zu anderen Energieversorgern wechseln und alles sei in Butter. Das ist sicherlich nicht der Fall. So werden Deutschland und ganz Europa mehr für ihre Energie bezahlen als jede andere Region der Welt, was die Wettbewerbsfähigkeit der EU ernsthaft untergraben wird. Dies wiederum wird zu einem starken Rückgang des Lebensstandards und zu wachsenden sozialen Unruhen führen. Weitere Informationen finden Sie im Wall Street Journal:

Jahrzehntelang verließ sich die europäische Industrie auf Russland, wenn es darum ging, kostengünstiges Öl und Erdgas zu liefern, das die Fabriken des Kontinents am Laufen hielt.

Jetzt steigen die Energiekosten der europäischen Industrie infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine sprunghaft an, was die Wettbewerbsfähigkeit der Hersteller auf dem Weltmarkt beeinträchtigt. Die Fabriken suchen händeringend nach Alternativen zu russischer Energie, da die Gefahr besteht, dass Moskau den Gashahn abrupt zudreht und die Produktion zum Stillstand bringt.

Die europäischen Hersteller von Chemikalien, Düngemitteln, Stahl und anderen energieintensiven Gütern sind in den letzten acht Monaten unter Druck geraten, als die Spannungen mit Russland im Vorfeld der Invasion im Februar zunahmen. Einige Hersteller mussten angesichts der Konkurrenz durch Fabriken in den USA, im Nahen Osten und in anderen Regionen, in denen die Energiekosten wesentlich niedriger sind als in Europa, ihre Produktion einstellen. Die Erdgaspreise sind in Europa jetzt fast dreimal so hoch wie in den USA („Some European Factories, Long Dependent on Cheap Russian Energy, Are Shutting Down; Industrial energy costs are soaring in the wake of Russia’s war on Ukraine, hobbling European manufacturers’ ability to compete globally”, Wall Street Journal)

Das Wall Street Journal möchte Sie glauben machen, dass Russland für die Fehlentscheidungen Europas verantwortlich sei, aber das stimmt nicht. Putin hat die Preise nicht erhöht. Die Preise stiegen als Reaktion auf die gestiegene Nachfrage in der EU aufgrund der sanktionsbedingten Knappheit. Ist das Putins Schuld?

Nein. Entsprechendes gilt für die EU-Vertreter, die Putin „Erpressung“ vorwarfen, eine Behauptung, die jeder Grundlage entbehrte. Als diese Anschuldigung erhoben wurde, lag der Gaspreis in der EU bei einem Drittel des heutigen Preises. Funktioniert so Erpressung, indem man weniger als den Marktpreis verlangt?

Natürlich nicht! Das ist lächerlich. Europa bekam einen guten Preis für eine knappe Ressource, bis es beschloss, den schlechten Rat von Uncle Sam zu befolgen und es sich selbst zu ruinieren. Jetzt zahlt es die Zeche und kann sich nur selbst die Schuld geben.

Wussten Sie, dass die Staats- und Regierungschefs der EU bereits Pläne zur Rationierung von Energie in diesem Winter schmieden?

Das stimmt. Europa hat sich bereit erklärt, als Schoßhündchen der USA Washingtons ehrgeizige Globalstrategie getreu umzusetzen. Hier ist die Geschichte:

Europa könnte gezwungen sein, in diesem Winter mit der Rationierung von Energie zu beginnen, angefangen bei der industriellen Nutzung von Erdgas, insbesondere wenn der Winter kalt ist und Chinas Wirtschaft wieder anspringt“, sagte der Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, in einem Interview mit der Financial Times.

„Wenn wir einen strengen und langen Winter haben … Ich würde eine Rationierung von Erdgas in Europa nicht ausschließen, angefangen bei den großen Industrieanlagen“, sagte Birol der FT.

Die Welt stehe vor einer „viel größeren“ Energiekrise als in den 1970er Jahren, sagte Birol letzten Monat dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

„Damals ging es nur um Öl“, sagte Birol der Nachrichtenagentur. „Jetzt haben wir gleichzeitig eine Öl-, eine Gas- und eine Stromkrise“, sagte der Leiter der internationalen Agentur, die nach dem Schock des arabischen Ölembargos in den 1970er Jahren gegründet wurde.“ („IEA: Europe Could See Energy Rationing This Winter, Oil Price)

Ein Irrtum, nicht wahr? Wir haben keine „Öl-, Gas- und Stromkrise“. Was wir haben, ist eine politische Krise. All diese Engpässe lassen sich leicht auf die törichten Entscheidungen inkompetenter Politiker zurückführen, die auf Geheiß neokonservativer Fantasten handeln, die glauben, die Uhr in die Blütezeit der globalen Vormachtstellung Amerikas zurückdrehen zu können. Aber diese Zeiten sind vorbei, und jeder scheint zu wissen, dass sie vorbei sind, außer der isolierten Gruppe von verblendeten Fanatikern in den Washingtoner Think Tanks und ihrer politischen Ausgeburt im Weißen Haus.

Unterm Strich: Wir wären alle viel besser dran gewesen, wenn wir auf Kissinger gehört hätten, der seinen Kumpels auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) riet, den Krieg in der Ukraine schnell zu beenden, bevor Russland Änderungen vornehme, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Leider stieß Kissingers Appell auf taube Ohren, und Putin hat bereits begonnen, seine Energieströme nach Osten umzulenken. Sehen Sie sich diesen atemberaubenden Auszug aus einem Artikel auf oilprice.com an:

Dieser freie Energiehandel ist nun vorbei, nachdem … die westlichen Sanktionen folgten und Europa unwiderruflich beschloss, seine Abhängigkeit von russischer Energie um jeden Preis zu beenden …

Bis zum Ende dieses Jahres wird Europa voraussichtlich 90 % seiner gesamten Einfuhren von russischem Öl aus der Zeit vor dem Krieg unterbinden … Für dieses Öl, das nach Europa geht, wird Rohöl aus dem Nahen Osten nun längere Strecken bis zu den europäischen Häfen zurücklegen als die kürzeren Routen nach Indien und China …

Für Europa ist die Wahl der Ölversorgung nun eine politische Entscheidung, und es wird bereit sein, einen Aufpreis zu zahlen, um nicht-russisches Öl zu beziehen. Dies wird die Versorgungsmöglichkeiten einschränken und die hohen Ölpreise in den kommenden Monaten weiter stützen.

Fitch Ratings kommentierte das EU-Embargo gegen russische Erdölimporte auf dem Seeweg letzte Woche mit den Worten:

Was bedeutet das?

Das bedeutet, dass die Inflation weiter ansteigen wird, da die gewaltigen russischen Rohölvorräte nach Osten umgeleitet werden. Es bedeutet, dass Washington sein seit 30 Jahren vorrangiges „Lieblingsprojekt“, die Globalisierung, aufgegeben und die Welt in rivalisierende Blöcke aufgespalten hat. Es bedeutet, dass der Dollar, der Anleihemarkt, das westliche Finanzsystem und die so genannte „regelgestützte Ordnung“ – die alle untrennbar mit dem Wirtschaftswachstum verbunden sind, das fast ausschließlich von der Verfügbarkeit billiger Energie abhängt – unter dem Gewicht der politischen Entscheidungen, die den Nationen des Westens und ihren Menschen den sicheren Ruin gebracht haben, zu ächzen beginnen werden.

Wir werden einen hohen Preis für Washingtons selbstmörderisches Machtstreben zahlen.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf The Unz Review veröffentlicht.

Michael Whitney ist ein renommierter geopolitischer und sozialer Analytiker mit Sitz in Washington State. Er begann seine Karriere als unabhängiger Bürgerjournalist im Jahr 2002 mit einem Engagement für ehrlichen Journalismus, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden.

Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Centre for Research on Globalization (CRG).

 

BRD-Sprech: „Booster“

Zu den frappierenden Eigenschaften der uns regierenden Politikerkaste und ihrer Hofschreiber gehört bekanntlich die Unfähigkeit, aus dem Scheitern der eigenen Politik diejenigen Konsequenzen zu ziehen, die sich jedem normalen Menschen aufdrängen würden, der in seinem eigenen Leben vergleichbaren Schiffbruch erlitte.

Ein solcher normaler Mensch (also einer, der nicht in der Position ist, den Steuerzahler oder sonstwen für die Folgen der eigenen Fehler zur Kasse zu bitten), würde vermutlich anfangen, die Ursachen seines Scheiterns bei sich selbst zu suchen. (Zugegeben, nicht alle Menschen tun das, aber diejenigen, die es nicht tun, stehen irgendwann vor Gericht, auf der Straße oder vor den Scherben des eigenen Lebens.)

Weniger normale Menschen, also insbesondere Politiker, folgen einer bizarren Logik, die wir schon an verschiedenen Themen besichtigen konnten: Den Mängeln der Fehlkonstruktion „Euro“ versuchen sie etwa durch Gelddrucken beizukommen, die desaströsen Ergebnisse einer leistungsfeindlichen Bildungspolitik durch noch stärkere Aufweichung der Vorgaben zu korrigieren (oder wenigstens zu kaschieren). An den nicht minder katastrophalen Konsequenzen der Einwanderungspolitik wiederum sind deren Kritiker schuld, die man folglich durch noch mehr Einwanderung in die Minderheit drängen und im Übrigen mundtot machen muss – nur um sich nach jeder neuen Drehung an der Repressionsschraube zu wundern, dass die Anzahl und Erbitterung dieser der Kritiker nicht etwa geringer, sondern größer geworden ist. Was dann den nächsten Repressionsschub rechtfertigt.

Kurz gesagt: Unser Land wird von einem Kartell von Blinden regiert, die einander unbeirrbar in der Annahme bestärken, schon deshalb auf dem richtigen Wege zu sein, weil Zehntausende von Blinden sich unmöglich verirren könnten. Wenn man trotzdem nicht ans Ziel komme, so könne dies nur daran liegen, dass man auf diesem unzweifelhaft richtigen Wege noch nicht weit, nicht schnell und nicht konsequent genug vorangekommen sei. Deshalb brauche die fußkranke Karawane mehr Schub – neudeutsch würde man sagen: Sie braucht einen Booster.

Diejenigen unter uns, deren Gedächtnis vor die jeweils letzten drei Lauterbach-Auftritte zurückreicht, erinnern sich noch daran, dass es einst hieß, mit zwei Impfungen sei man gegen Corona – nun ja, vielleicht nicht so ganz, aber doch weitgehend und in jedem Falle irgendwie – immunisiert. Nachdem dies nicht der Fall war, gestand das Kartell sich nicht etwa ein, dass es sich geirrt hatte, sondern zog die Booster-Impfung als letzte (oder vielleicht doch vor-, dritt- oder viertletzte?) Impfung aus dem Hut.

„Booster“ – das klingt doch dynamisch und modern, nicht wahr? Der Booster katapultiert uns in eine lichte Zukunft – so wird es dem Publikum verkauft und ins Unterbewusstsein geträufelt: Der Booster bringt uns die Erlösung von Lockdown und Schulschließungen, von Masken und Abstandsregeln – damit wir nicht auf die Idee kommen, uns diese Erlösung selbst zu verschaffen.

Nüchtern betrachtet, ist der Booster aber etwas ganz anderes – und dies nicht nur, weil er schon gegen Omikron unwirksam ist, erst recht gegen alle noch kommenden Varianten. Er ist einfach improvisierte Flickschusterei – eine Notlösung, um das Scheitern der ursprünglich propagierten Doppelimpfung zu korrigieren und zu verschleiern.

Ja, er verleiht der Blindenkarawane neuen Schub. Leider in Richtung Abgrund.

[Dieser Artikel wurde erstmals in der Compact 2/2022 veröffentlicht.]