Prostituierte Politik

Wenn man Lieschen Müller Glauben schenken darf, dann findet Politik ungefähr so statt: Man gründet eine Partei, wirft sich mitsamt der Partei einer oder mehreren Lobbys an den Hals, die die Spendenmillionen rüberwachsen lassen. Im Gegenzug spendiert die Partei ihren Gönnern Milliarden aus der Staatskasse. Das Nachsehen hat der Steuerzahler. Oder umgekehrt: Wer Milliarden einsacken will, kaufe sich für ein paar Millionen eine kleine Partei.

Es gibt so Tage (und der heutige gehört dazu), da frage ich mich, wozu ich eigentlich jahrelang Politische Wissenschaft studiert habe. Offenbar nur, um festzustellen, dass Lieschen Müller ganz einfach Recht hat, und dass jeder Versuch, die deutsche Politik nicht als ein System der organisierten Korruption zu beschreiben, nur Denjenigen der Lächerlichkeit preisgibt, der ihn unternimmt.

Ich hatte mich ja schon gewundert, warum der knappe Spielraum für Steuererleichterungen ausgerechnet dazu benutzt wird, Hotelübernachtungen billiger zu machen. Wirtschaftspolitisch hatte das überhaupt keinen Sinn, nicht einmal einen, den man vielleicht irgendwie an den Haaren hätte herbeizerren können.

Der Spiegel, der bei dieser Gelegenheit gezeigt hat, dass er wenigstens ab und zu zu etwas nütze ist, hat jetzt aufgedeckt, warum gerade die Hotelbranche politisch bedient werden musste.

Zum brechreizerregenden Ruch des Landesverrats, der diese Regierung von Anbeginn begleitet hat, kommt jetzt also noch der unabweisbare Verdacht der Käuflichkeit. Diese Regierung erregt nicht einmal die Gegnerschaft, die bei politischen Meinungsverschiedenheiten normal ist. Sie erregt nur Ekel.

SPD: Der Kampf gegen die Realität

Mancher wird es nicht für möglich halten, aber ich war von 1981 bis 1996 Mitglied der SPD, und jetzt bei der Berichterstattung vom Dresdener Parteitag habe ich eine Reihe von Déjà-vus erlitten. Meine Güte, was bin ich froh, dass ich da nicht mehr drin bin! Und zwar ganz unabhängig von politischen Inhalten: Allein die weltfremde Politikauffassung meiner Genossen hat mich damals schon an den Rand des Wahnsinns und schließlich zum Austritt getrieben.

Heute könnte es mir egal sein, was aus der SPD wird, aber sozusagen aus alter Gewohnheit zerbreche ich mir noch einmal ihren Kopf. Ich kann das getrost tun, weil ich ja aus Erfahrung weiß, dass meine Ratschläge dort ignoriert werden.

SPD-interner Diskussionsstand scheint zu sein, dass sie die Wahl wegen der Agenda 2010 und der Rente mit 67 verloren habe. Das ist keine Analyse, das ist das Wunschdenken von Leuten, die Schröder nicht leiden können („Schröder-SPD“ ist dort heute eine Chiffre für eine ganz finstere Vergangenheit, fast schon wie „Hitler-Deutschland“) und ihren eigenen Schmerz über dessen pragmatische Auffassung von Politik in den Wähler hineinprojizieren.

Was der SPD bei den Wahlen das Genick gebrochen hat, war aber nicht die Politik Schröders – wenn das so gewesen wäre, warum hat Schröder selber denn 2005 so viel besser abgeschnitten als Steinmeier 2009? -, sondern dass sie ihre (im Großen und Ganzen) richtige und erfolgreiche Agenda-Politik im nachhinein als Sündenfall dargestellt hat. Anderthalb Millionen Arbeitslose von der Straße bringen und sich hinterher dafür entschuldigen – das bringt nur die SPD fertig! Wer soll eine solche Partei denn wählen?

Der Normalbürger, der keine ausgeprägte ideologische Fixierung, dafür aber gesunden Menschenverstand hat, und der realistischerweise davon ausgeht, dass eine Partei vor allem anderen erst einmal regieren können muss – dieser Normalbürger, der die vielzitierte „Mitte“ darstellt, in der „Wahlen gewonnen werden“, wird sich nicht einer Partei anvertrauen, der dieser einfache Sachverhalt offenkundig unbekannt ist. Die „Mitte“ ist weniger ein politisch-ideologischer Standort als eine bestimmte Auffassung von Politik. Die Mitte kann man für eine linke oder auch eine rechte Politik gewinnen – man muss aber deutlich machen, dass es sich um eine realistische und praktikable Politik handelt.

Ich will nicht ausschließen, dass auch eine linke Politik realistisch und praktikabel sein kann – ich habe aber weder in den fünfzehn Jahren meiner Mitgliedschaft noch in den dreizehn Jahren seither erlebt, dass man sich in der SPD darum bemüht hätte, ein solches Konzept zu entwickeln – bei dem notwendig auch die eine oder andere heilige Kuh des Sozialismus hätte geschlachtet werden müssen. Geschlachtet wurde höchstens der, der solches vorschlug, und Programmarbeit war und ist bei den Sozialdemokraten eine Art „Wünsch dir was“, mit dem man, wenn man es dann in die Regierung geschafft hat, an den fiskalischen und ökonomischen Realitäten zerschellt.

Über die Rente mit 67 zum Beispiel haben bestimmt viele Wähler gemeckert; das heißt aber nicht, dass sie automatisch den wählen, der ihnen dabei nach dem Munde redet: Es ist doch klar, dass ein umlagefinanziertes Rentensystem unter Druck geraten muss, wenn es immer mehr Alte, also Leistungsempfänger, und immer weniger Junge gibt, die die Leistung erbringen. Wer das System erhalten und nicht durch ein ganz anderes ersetzen will (das dann wieder seine eigenen Probleme aufwürfe), hat drei Möglichkeiten: Entweder Beiträge rauf, oder Renten runter, oder eben das Rentenalter rauf. Wer letzteres nicht will, muss sagen, welche der beiden Alternativen er bevorzugt, und wer das nicht kann, kann nicht regieren. So einfach ist das.

Es ist noch nicht einmal Opportunismus oder taktisches Kalkül, dass die SPD sich programmatisch der Linkspartei annähert, sondern das beiden Parteien gemeinsame Politikverständnis, wonach es vor allem darum gehe, „eine bessere Welt“ zu schaffen, statt einfach vernünftig zu regieren. Es ist diese quasi religiöse Politikauffassung, die dazu führt, dass die SPD sich in der wirklichen Welt nicht zurechtfindet und sich in Flausen und Illusionen flüchtet.

Wäre sie sich über die Funktionsweise eines demokratischen Systems und ihre eigene Rolle in diesem System im Klaren, würde sie ganz bewusst mit den Grünen und den Linken ein Spiel mit verteilten Rollen spielen, bei dem sie selbst die Rolle des rationalen Managers der Nation übernähme; für die Verschlimmbesserung der Welt wären die Koalitionspartner zuständig, die auf diese Weise das linke Wählerpotenzial ausschöpfen würden, während die SPD sich um die Mitte kümmern würde – das Modell Schröder. Aber der ist heute für seine Genossen der Gottseibeiuns.

Die SPD ist nach dem Dresdener Parteitag dort, wo sie 1983 war, und man muss kein Prophet sein um vorherzusehen, dass die Phase ihres infantilen Kampfes gegen die Wirklichkeit genauso lange dauern wird wie damals. Sollte wieder ein pragmatischer Machertyp mit Ausstrahlung in die politische Mitte auftauchen, wird sie ihn bekämpfen, wie sie Schröder bekämpft hat, und ihn erst ans Steuer lassen, wenn der Oppositions-Leidensdruck unerträglich geworden ist – nur um dann wieder unter der Macht zu leiden, wie sie unter Schmidt und Schröder gelitten hat.

Wenn sie denn überhaupt noch einmal den Kanzler stellt. Meine persönliche Vermutung ist, dass die Zeit für eine Partei vom Zuschnitt der SPD abgelaufen ist. Wer ewig gegen die Realität kämpft, verliert irgendwann.

Das Ergebnis der Bundestagswahl

Früher war alles besser: Es gab mehr Jobs und weniger Graffiti, die Tomaten kamen noch nicht aus Holland und hatten richtig erotische Geschmacksnoten, das Fernsehen bemühte sich, Seriosität wenigstens glaubwürdig vorzutäuschen. Und die Bundestagswahlen, die waren noch richtig spannend.

Dabei rede ich noch nicht einmal von solchen Wahlkrimis wie 1969 oder 2002, als es richtig knapp wurde. Ich meine ganz einfach, dass man bis vor einigen Jahren das zutreffende Gefühl hatte, vom Ausgang der Wahl hinge die zumindest nähere Zukunft des Landes ab; im Jahre 2009 ein bizarrer Gedanke. Auf die entscheidende Frage, nämlich die, ob die abendländische Zivilisation in fünfzig Jahren noch existieren wird – nebst allem, was damit verbunden ist, zum Beispiel Demokratie, Redefreiheit, Gleichberechtigung der Frau, gewaltfreie Alltagskultur, Herrschaft des Gesetzes und vieles mehr -, geben alle im Bundestag vertretenen Parteien dieselbe, nämlich keine, Antwort.

Sie müssten sich sonst mit den katastrophalen Folgen von Entwicklungen auseinandersetzen, die sie selbst in Gang gesetzt haben und fanatisch propagieren – und wer tut das schon gerne, noch dazu als Politiker, und öffentlich, und vor der Wahl?

Dass die ehemalige KBW-Aktivistin Ulla Schmidt und die Schlampenschützerin und Deutschlandhasserin Brigitte Zypries ihre Ämter verlieren werden, dürfte noch das erfreulichste Ergebnis dieser Wahl sein. Die Genugtuung darüber relativiert sich aber, wenn man daran denkt, dass Zensursula und Mullah ben Schäuble uns erhalten bleiben, und sie zerfließt zu nichts bei dem Gedanken, dass die Wahl uns voraussichtlich eine Regierungspartei bescheren wird, deren bisher tiefster Denker ausgerechnet „Flach“ hieß, deren Programm sich seit Jahrzehnten nicht geändert hat, und die uns demgemäß mit ihrem Vorsitzenden um einen Außenminister bereichern wird, der in fünfundzwanzig Jahren keinerlei Anzeichen von Persönlichkeitsreifung hat erkennen lassen.

Allenfalls, wenn ernsthaft eine rot-rot-grüne Koalition drohen würde, könnte und müsste man die Wahl spannend finden. Dass dies – glücklicherweise – nicht der Fall ist, verdanken wir weniger Frank-Walter Steinmeiers persönlichem Hang zur Langeweile als der Tatsache, dass die Generalprobe in Hessen ein solches Desaster war, dass niemand in der SPD es jetzt schon wird wiederholen wollen.

Eine linke Mehrheit, knapp wie sie nach Lage der Dinge sein müsste, würde jedem SPD-Abweichler einen Dolch in die Hand drücken, und Mordwerkzeuge dieser Art werden bei der SPD bekanntlich (Hessen, Schleswig-Holstein) nicht offen getragen, sondern im Gewande geführt. Diejenigen, die es trotzdem wagen würden, Wowereit zum Beispiel oder Nahles, laufen sich für 2013 warm und profitieren davon, dass Steinmeier der geborene Übergangskandidat ist:

Bestenfalls (aus SPD-Sicht) wird er weiterhin als Vizekanzler eine achtbare Figur abgeben, aber selbst dann ist er ein Kandidat, den man leicht zur Seite wird schieben können, weil er 2013 nicht nur in acht Jahren Großer Koalition verbraucht sein wird, sondern auch von Anfang an ohne Hausmacht in der Partei dastand.

Dann – aber eben erst dann, nicht etwa schon heute – schlägt die Stunde der harten Linken, und meine Vermutung lautet, dass Nahles diejenige sein wird, die sich dann durchsetzt, weil sie, die den Idealtypus der strippenziehenden Juso-Intrigantin verkörpert, ihre Bataillone zweifellos schon jetzt in Stellung bringt.

Warum bin ich aber so sicher, dass die Wahl eine schwarz-gelbe Mehrheit bringt? Nun, da sind zum einen die Umfragen, schön übersichtlich aufbereitet auf der verlinkten Seite wahlrecht.de (übrigens eine vorzügliche Informationsquelle, was Wahlrechtsysteme und ihre Feinheiten und politischen Implikationen angeht), aus denen hervorgeht, dass nicht nur die verschiedenen Institute praktisch dieselben Vorhersagen machen, sondern auch, dass diese Umfragen wochenlang konstant bleiben.

Solche Umfragen können zwar falsch sein, aber, sofern die Geschichte der letzten Jahre irgendetwas aussagt, immer nur auf eine bestimmte Art und Weise.

Es ist ja richtig, dass 2002 und 2006 ein schwarz-gelber Wahlsieg allgemein erwartet wurde, der dann nicht stattfand. Hätte sich die Journaille, die das erwartete, aber stärker mit den vorhergehenden Wahlen beschäftigt, so hätte sie festgestellt, dass ein halbes Jahr vor einer Bundestagswahl sehr häufig die Opposition in Führung liegt, die am Wahltag selbst trotzdem untergeht. Der Grund ist ganz einfach der, dass die Wähler zwischen den Wahlen gerne die Regierung kritisieren und bei Landtags- und Europawahlen die Opposition favorisieren. Unmittelbar vor der Wahl aber, und noch in der Wahlkabine, wenn es um die Frage geht „Will ich wirklich die Pferde wechseln?“, lautet die Antwort oft genug „Nein“. Und so kommt es, dass zwar Regierungsparteien die Chance haben, in letzter Minute die Umfragen zu drehen (Schröder hat das zweimal vorgemacht), Oppositionsparteien aber nicht; weswegen eine Oppositionspartei, die sechs Wochen vor der Wahl nicht haushoch die Umfragen anführt, keine Chance hat.

Dabei macht es keinen Unterschied, dass die SPD am Kabinettstisch sitzt, also selbst Regierungspartei ist. Psychologisch entscheidend ist die Frage „Will ich einen Wechsel?“. Ein Kanzler Steinmeier wäre ein Wechsel; wenn Merkel an der Macht bleibt, egal mit welchem Koalitionspartner, ist es eben keiner. Eher wird die Unsicherheit, ob die SPD nicht vielleicht doch mit den Linken paktiert, also der Üppsi-Faktor, sie Stimmen kosten, die sie an sich durchaus hätte haben können.

Verrat mit Ansage

Für CDU und CSU sind der EU-Beitritt der Türkei und die Islamisierung Deutschlands beschlossene Sache.

In meinem Artikel „Demographischer Djihad und der Selbstmord des deutschen Volkes“ habe ich dargelegt, dass der Anteil der Muslime an der Bevölkerung Deutschlands in den kommenden Jahren dramatisch zunehmen wird, und dass sie nach menschlichem Ermessen irgendwann in der zweiten Jahrhunderthälfte die Mehrheit stellen werden, sofern sich weder an der Geburtenrate der Einheimischen noch am Fortgang der Zuwanderung etwas ändert.

Grund genug, sich nach politischen Kräften umzusehen, die die demographische Islamisierung Deutschlands abwenden wollen. Man wird hier keiner Partei allzuviel Kompetenz zubilligen können, aber ein K.O.-Kriterium gibt es:

Wer den EU-Beitritt der Türkei befürwortet, hat es auf die Islamisierung Deutschlands und auf unser Ende als Nation abgesehen!

Dass wir über Linkspartei, SPD, erst recht die Grünen nicht zu diskutieren brauchen, versteht sich von selbst. Auch die FDP dürfen wir abschreiben: Deren Vorsitzender, der nach der Bundestagswahl gerne Deutschlands neuer Außenminister wäre, hat uns schon wissen lassen, dass er den EU-Beitritt der Türkei nicht zu blockieren gedenkt: Wenn er von einer „ergebnisoffenen“ Prüfung spricht, heißt das: Wenn die Türkei die Beitrittskriterien erfüllt, werden die Schleusen geöffnet. Ob sie sie erfüllt, liegt letztlich bei ihr. Das ist nichts, worauf man von Berlin aus Einfluss nehmen könnte.  Bemerkenswert allerdings, dass ein Duzfreund der Kanzlerin so redet. Es könnte die übliche Profilsucht der FDP sein – oder ein Versuchsballon.

Die Frage lautet: Wo stehen CDU und CSU?

Die Unionsparteien haben bisher stets betont, dass sie für eine „privilegierte Partnerschaft“ seien, also gegen einen Beitritt, und sie können ja auch kein Interesse an einem wachsenden türkischen Bevölkerungsanteil haben:

Bisher kamen die Stimmen muslimischer Migranten vor allem den linken Parteien, speziell den Sozialdemokraten zugute, und es besteht Anlass zu der Vermutung, dass die weitere Einwanderung wie auch Einbürgerung von Muslimen vor allem deshalb gerade von diesen Parteien gefördert wird, weil das Anwachsen einer überproportional von Sozialleistungen abhängigen Unterschicht gerade diejenigen Parteien begünstigen muss, die den Ausbau des Sozialstaats propagieren.

Umso bestürzender ist es, dass sich die Anzeichen verdichten, und zwar bis an die Schwelle zur Gewissheit, dass die Unionsparteien sehenden Auges eine Situation herbeiführen, in der ein Widerstand gegen den türkischen EU-Beitritt schon deshalb nicht möglich sein wird, weil die türkische Minderheit bis dahin stark genug sein wird, das Zünglein an der Waage zu bilden und in Deutschland als Königsmacher aufzutreten; und dass die Union den EU-Beitritt der Türkei und die zunehmende Islamisierung Deutschlands bereits nicht mehr als abzuwendendes Unheil, sondern als unabwendbares Faktum einkalkulieren.

Wenn die Bundeskanzlerin mehr Einbürgerungen fordert, wohl wissend, dass sie damit die Zahl potenzieller SPD-Wähler erhöht, dann hat sie eine Vorstellung, wie man diese Leute zu CDU-Wählern macht. Natürlich wird von interessierter Seite geflüstert, dass die Unionsparteien diese Wählergruppe nicht a priori abschreiben müssten. Da die islamische Religion konservativ-autoritäre Wertmuster begünstigt, verwundert es in der Tat nicht, dass etliche türkischstämmige Wähler, die hierzulande die Sozialdemokraten wählen, sich in der Türkei für die islamistische AKP entscheiden würden. Da wird wohl mancher politische Großstratege im Konrad-Adenauer-Haus sich ausrechnen, dass auch die CDU dort punkten könne. Angesichts der Sozialstruktur gerade der türkischen Einwanderer halte ich das zwar für eine Milchmädchenrechnung, aber die Milchmädchen sollen in der Politik ja überrepräsentiert sein.

Wenn die Union aber auf türkische Wähler spekuliert, dann ist eine gegen den türkischen Beitritt gerichtete Politik damit selbstredend unvereinbar. Im Gegenteil: Die Union muss es dann besonders darauf anlegen, sich ein islam- und speziell türkeifreundliches Image zu geben.

In diesem Licht müssen wir es wohl interpretieren, wenn der Bundesinnenminister sagt, der Islam sei „in Deutschland angekommen“; wenn der nordrhein-westfälische Integrationsminister beklagt, es würden zu wenige Türken eingebürgert; wenn der bayerische Landtagspräsident sagt, die CSU müsse sich auch für Muslime öffnen (sekundiert von einem Parteifreund, der ein Zahlenverhältnis von 50-50 zwischen Muslimen und Christen als beschlossene Sache behandelt); wenn der hessische Ministerpräsident dem türkischen Premierminister, also einem Islamisten und Djihadisten, den Avicenna-Preis für interkulturelle Verständigung überreicht; wenn der niedersächsische Landesvorsitzende der CDU sagt, man dürfe über türkische Migranten nicht in einer „abgrenzenden“ Sprache sprechen, da die Türken ein „stolzes und starkes Volk“ seien; eine Formulierung übrigens, die gerade in ihrer Widersprüchlichkeit verräterisch ist: Wenn man türkischstämmige Migranten nicht „ausgrenzen“ will, darf man sie nicht a priori der türkischen Nation zurechnen – sie sollen doch Deutsche werden. Oder etwa nicht?

Offenbar stellt sich die Union darauf ein, dass erstens die türkische Wählergruppe ständig anwächst, und dass sie zweitens genau dies auch bleibt: eine türkische Wählergruppe. Das Gerede von der „Integration“ wird damit Lügen gestraft – jedenfalls wenn man unter Integration mehr versteht als die Selbstverständlichkeit, dass auch Muslime das Verbot von Terrorismus akzeptieren.

Der Widerstand der Unionsparteien gegen die EU-Mitgliedschaft der Türkei, von dem bereits jetzt kaum noch die Rede sein kann, wird sich in buchstäblich Nichts auflösen, und zwar in dem Maße, wie die türkische Wählerschaft in Deutschland wächst.

Eines Tages, so lautet meine Prognose, wird eine CDU-geführte Bundesregierung dem EU-Beitritt der Türkei zustimmen und mit Unschuldsmiene darauf bestehen, sie habe nicht etwa ihre Wähler hinters Licht geführt, sondern einem Sachzwang folgen müssen.

Ich erspare es mir, die Argumente darzulegen, mit denen dieser „Sachzwang“ begründet werden wird. Es werden dieselben Argumente sein, gegen die die Union jahrelang gewettert hatte, als sie noch von Rot-Grün vorgetragen wurden.

Zum Fall Wolfgang Clement

Warum eigentlich genießt Wolfgang Clement in seinem Streit mit der SPD so viel höhere Sympathien als seine Partei?

Jedenfalls nicht deshalb, weil er im Recht wäre. Es versteht sich doch von selbst, dass keine Partei, auch sonst keine Vereinigung, in ihren Reihen Mitglieder dulden muss, die sie schädigen. Wolfgang Clement hat in der heißen Phase des hessischen Wahlkampfes von der Wahl seiner eigenen Partei abgeraten. Wenn das keine Schädigung ist, was denn dann? 

Jeder Andere, vor allem jeder weniger Prominente, wäre bei gleicher Sachlage ohne weiteres aus der SPD, wie auch aus jeder anderen Partei ausgeschlossen worden. Wenn ein in Ehren ergrauter Politiker wie Clement nicht begreift, dass er mit seiner Rüge noch gut bedient war, dann bleibt mir nur die Frage, ob dieser Mangel an politischem Verstand womöglich eine Alterserscheinung ist.

Wohl gibt es ein Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit. Das impliziert aber kein Jedermann zustehendes Recht, Mitglied jeder beliebigen Vereinigung zu werden oder zu bleiben. (Anderenfalls müsste man auch einem wie mir das Recht zugestehen, Mitglied eines Moscheevereins zu werden, und den Moscheeverein verdonnern, mich zu dulden. Im Kreise aller billig und gerecht Denkenden besteht wohl Konsens, dass hier die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten wären.)

Es gibt auch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, auf das gerade Clement sich gerne beruft. Es kann es ja auch ohne weiteres; nur kann er nicht unbedingt zugleich Mitglied der SPD sein. Ich bin auch ganz sicher, dass auch Wolfgang Clement ein weitaus weniger extensives, um nicht zu sagen exzessives Verständnis von Meinungsfreiheit bekundet hätte, wenn zum Beispiel Üppsi es gewagt hätte, ihm einen Landtagswahlkampf zu versauen.

Und trotzdem sympathisieren alle mit Clement – auch ich. Warum?

Weil das Zerwürfnis zwischen Clement und der SPD symptomatisch für deren rabiaten Linksschwenk ist und Clement seine Partei zur Kenntlichkeit entstellt hat:

Entstellt, weil der entstandene Eindruck falsch ist, er sei wegen „Rechtsabweichung“ gerügt worden; es ging nicht um Abweichung, sondern um Parteischädigung.

Zur Kenntlichkeit, weil die Behandlung Clements ein wenngleich ungeeigneter Beweis für eine vollkommen zutreffende These ist. Nämlich, dass in der SPD ein quasi stalinistischer Konformitätsdruck zugunsten linker Positionen herrscht. Der Stil der Juso-Intriganten der siebziger und achtziger Jahre, die unter „Politik“ den trickreich geführten innerparteilichen Flügelkampf verstanden, ist zum Leitbild der ganzen Partei geworden. Dass Politik dem Land dienen sollte … Land??? Was für ein Land?

Es setzt das Tüpfelchen aufs i, dass diese Partei, die so weit wie möglich nach links will und sich dabei selbstredend von der Agenda-Politik verabschiedet hat, ausgerechnet Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten macht, den Architekten dieser Politik. Niemand wird sich einbilden, dass die Sozialdemokraten sich an Steinmeiers inhaltlichen Vorstellungen orientieren wollen. Nein, nein: Außen soll „Schröder“ (alias Steinmeier) draufstehen, innen soll Nahles drin sein.

Die Üppsi-Lüge in XXL-Version.

Nicht, dass die Sozialdemokraten sich an Machiavelli orientieren, werfe ich ihnen vor. Machiavellismus ist so alt wie die Politik, und wer erfolgreich sein will, kommt nicht an ihm vorbei. Er kann sogar einen Zug von Größe haben, wenn er im Dienste einer Sache steht, die ihr historisches Recht hat – man denke an Konrad Adenauer und die Wiederbewaffnung.

Die Sorte Machiavellismus aber, die für die heutige SPD typisch ist, diese Verbindung von Pöstchengier und doktrinärer Borniertheit, von demokratischen Phrasen und praktizierter Volksverachtung, dieses doppelbödige „Wir lügen niemals, aber wenn wir lügen, dürfen wir das auch“, und das alles verbunden mit dem Anspruch, das schlachthin Gute zu verkörpern – das ist einfach das Letzte.

Die Geschichte der Y…

… also jener Dame, die man nicht bei ihrem richtigen Namen nennen darf, weil das sonst fremdenfeindlich wäre (Ja, ich bin nachtragend!), diese Geschichte also ist nunmehr … äh … Geschichte.

Der Wähler verzeiht nämlich vieles, notfalls auch einen Wortbruch; schließlich weiß er in der Regel aus seinem eigenen Leben, dass man für makellose Moral bestenfalls einen feuchten Händedruck bekommt und oft nicht einmal den. Da sieht man Politikern schon Manches nach, insbesondere wenn sie am Ende als Sieger dastehen. Aber wortbrüchig und erfolglos – das geht gar nicht.

Daraus, dass Üppsi nicht zurückgetreten ist, können wir folgern, dass diese politische Elementarweisheit sich noch nicht bis zu ihr herumgesprochen hat. Üppsi Diditagains herausragender Charakterzug ist ihre Hartnäckigkeit, und so genügt es ihr nicht, ihre Partei für weitere vier Jahre in die Opposition zu manövrieren, nein, sie muss die Niederlage der armen irren SPD, die selbstmörderischerweise noch zu ihr hält, in eine säkulare Katastrophe verwandeln, indem sie persönlich als Spitzenkandidatin nach Waterloo reitet.

Von höherer Warte aus betrachtet ist das alles nicht wirklich ein Grund zur Freude: Wenn das Linksbündnis nämlich zustandegekommen wäre, wäre der bevorstehende Bundestagswahlkampf stark polarisiert gewesen, und niemand hätte mehr den staatstragenden Versprechungen von Frank-Walter Steinmeier getraut, auf keinen Fall mit der Linken…

Wenn aber die SPD versucht, die Mitte zu behaupten, bleibt den Unionsparteien nichts anderes übrig, als dasselbe zu versuchen. Für eine profiliert konservative Politik ist dann kein Platz mehr. (Siehe auch meinen Artikel: „Kurt Beck und die Schmuddelkinder“).

Was heute als „Mitte“ gilt und durch eine Neuauflage der Großen Koalition – denn darauf läuft es hinaus – fortgesetzt wird, ist das, was man in anderen Zusammenhängen „Political Correctness“ nennt, also eine Ideologie, Mentalität und Politik, die die nicht einmal schleichende Auflösung nationalstaatlich verfasster Demokratien zur Folge hat.

Ob eine solche Politik von SPD- oder CDU-Politikern, sprich mit etwas mehr oder etwas weniger beigemischtem Sozialismus verantwortet wird, ist ungefähr so interessant wie eine Debatte über den Kurs eines Schiffes mit durchlöchertem Rumpf. Es wäre nur fair, wenn man uns Wählern wenigstens die Chance ließe, die Löcher zu stopfen.

Meine Schadenfreude über Üppsis Bauchlandung lasse ich mir davon allerdings nicht vermiesen.

„Demokratischer Sozialismus“

In der Diskussion über „Kurt Beck und die Schmuddelkinder“ habe ich gegenüber Emett Grogan die Auffassung vertreten, die Linkspartei sei keinen Deut schlimmer als die SPD selbst, weil ihre Ideologie auch von bedeutenden Teilen der SPD vertreten werde.

Als wollte sie meine Einschätzung illustrieren, hat die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel (zweifellos die zarteste Versuchung, seit es den Sozialismus gibt)

Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel fordert utopischen Sozialismus

dem „Tagesspiegel“ ein denkwürdiges Interview gegeben, das ich hier nur auszugsweise wiedergebe, das aber in Gänze zu lesen ich empfehle:

„Frau Drohsel, seit über 140 Jahren träumt die SPD vom „demokratischen Sozialismus“. Glauben Sie, dass dieser Idealzustand noch zu Ihren Lebzeiten eintritt?

Ob ich ihn wirklich erleben werde, ist nicht die Frage. Für uns Jusos und für die SPD hat der demokratische Sozialismus eine elementare Bedeutung. Er ist das, wofür wir kämpfen. Er ist unsere Vision.

Wodurch würde sich eine Gesellschaft des „demokratischen Sozialismus“ von der heutigen unterscheiden?

Dem SPD-Grundsatzprogramm zufolge leben die Menschen im demokratischen Sozialismus in Freiheit, Gleichheit und Solidarität zusammen.

Und weiter? Für uns Jusos ist im demokratischen Sozialismus das kapitalistische System nicht mehr das vorherrschende.

Die Marktwirtschaft in ihrer jetzigen Form würde abgeschafft?

Grundsätzlich würde das natürlich schon bedeuten, dass man das Marktprinzip als gesellschaftsstrukturierendes Element aufhebt.

Und dann?

Es wäre dann so, dass auch die Wirtschaft nach demokratischen Prinzipien geführt würde, also aufgrund von Mehrheitsentscheidungen. Das heißt ja nicht, dass es keine Konkurrenz um die besten Ideen geben kann.

Sie meinen das ganz ernst, oder?

Natürlich. Wir brauchen eine andere Ordnung. Und ich glaube, dass Gesellschaft anders organisiert werden kann. Dieses System ist von Menschen gemacht und kann auch von Menschen wieder geändert werden. Es ist nicht zwangsläufig so, dass man im Kapitalismus lebt. Dieser Kapitalismus produziert massive Ungerechtigkeit, er schafft Armut und Verelendung in Deutschland und weltweit. Deshalb brauchen wir eine Alternative.

Von der Sie aber nicht so genau sagen können, wie sie aussieht und welchen Preis die Menschen dafür zahlen müssten.

Das Schöne am demokratischen Sozialismus ist doch, dass er kein fester Zustand ist, den irgendeine Organisation definiert, sondern ein Prozess, an dem alle beteiligt sind, eine Vision, für die man kämpfen kann.“

Wir brauchen also eine Alternative zum Kapitalismus, nämlich den Sozialismus, und den haben wir uns als eine Art Wirtschaftsdemokratie vorzustellen.

Ich bekenne freimütig, dass es Zeiten gegeben hat, wo ich auch solches Zeug dahergeredet habe. Aber da war ich siebzehn! Nicht siebenundzwanzig! (Und ich war auch nicht Vorsitzender einer Organisation mit mehreren zehntausend Mitgliedern.) Vielleicht ist es mehr als nur eine Äußerlichkeit, dass Franziska Drohsel mindestens zehn Jahre jünger aussieht, als sie ist.

Mit siebenundzwanzig verstand ich mich zwar auch noch als links, hatte mich aber längst von allen utopischen Sozialismusentwürfen verabschiedet. Ich kam nämlich nicht umhin, aus dem Zusammenbruch des realen Sozialismus die theoretische Konsequenz zu ziehen, dass es so etwas wie einen demokratischen Sozialismus nicht geben kann. Dass eine demokratische Gesellschaft von sich aus nicht den Sozialismus einführt, sollte als empirisch erwiesen gelten. Eine sozialistische Gesellschaft aber, die sich demokratisiert, das wissen wir seit 1989, hört in dem Moment, wo sie das tut, auf, sozialistisch zu sein. Und das kann auch nicht anders sein, weil eine demokratisch verfasste Gesellschaft niemals auf die Schnapsidee verfallen kann, sich einem System zu unterwerfen , in dem man zehn Jahre auf seinen Trabi warten muss. (Dass ich nicht schon vor 1989 auf diesen Gedanken gekommen bin, ist mir hochgradig peinlich, aber ich will meinen Lesern gegenüber ja ehrlich sein.)

Sozialismus, verstanden als „Wirtschaftsdemokratie“, heißt ja nicht etwa „Konsumentendemokratie“ – eine solche gibt es bereits, wenn auch mit nach Kaufkraft gestaffeltem Wahlrecht; man nennt so etwas auch „Marktwirtschaft“. Sondern sie bedeutet, dass man die Gebote von Effizienz und Rentabilität durch die einer wie auch immer gearteten „Demokratie“ der Produzenten ersetzt. Selbst wenn diese „Demokratie“ nicht zur Diktatur einer Planbehörde entarten würde – was sie zwangsläufig müsste, um überhaupt irgendwie zu funktionieren -, wären wir spätestens dann an dem Punkt, wo wir die Trabi-Warteliste einführen müssten.

Wirklich erschütternd ist die Ignoranz, mit der die Linke so tut, als befänden wir uns immer noch im Jahre 1975; als hätte es also den Sozialismus und seinen Zusammenbruch nie gegeben, und als könnte eine Juso-Vorsitzende im Jahre 2008 immer noch mit derselben Naivität zu Werke gehen wie ein Schüler-Revoluzzer der siebziger oder achtziger Jahre. Noch erschütternder ist, dass Drohsel nicht etwa vom allgemeinen Hohngelächter aus der Politik gespült, sondern ernstgenommen wird. Und da sie demokratisch gewählt ist, müssen wir annehmen, dass sie die Mehrheitsmeinung der Jungsozialisten, also der übernächsten Führungsriege der SPD wiedergibt.

Ich werde meine Zeit nicht darauf verschwenden, noch einmal einen Sozialismus zu zerpflücken, der historisch so widerlegt ist wie er es theoretisch immer war. Ich möchte nur auf die Denkweise aufmerksam machen, die hinter solchen Vortellungen steht:

Diesem Denken liegt keine auch nur halbwegs plausible Gesellschaftsanalyse zugrunde, auch keine kritische und erst recht keine marxistische. Hier werden einfach verschwommene Gerechtigkeitsideale in Utopien übersetzt, die Wirklichkeit an diesen Utopien gemessen, und wenn die Wirklichkeit mit ihnen nicht übereinstimmt: Umso schlimmer für die Wirklichkeit. Wir haben es mit einer holzschnittartigen, rigiden und apodiktischen Denkweise zu tun, die man normalerweise nur bei pubertierenden Jugendlichen antrifft. Zugleich mit einer für Teenager verzeihlichen asozialen Verantwortungslosigkeit, mit der man den Rest der Menschheit als eine Population von Versuchskaninchen auffasst, an denen man die eigenen Ideen testet.

Und nicht vergessen: Das sind keine autonomen Kreuzberger Kneipenbesatzungen, die nachts um drei die Weltrevolution planen. Das sind Leute, die in absehbarer Zeit unser Land regieren wollen.

Kurt Beck und die Schmuddelkinder

Scheinbar war es eine Überraschung, dass ausgerechnet Kurt Beck vor ein paar Tagen durchblicken ließ, die hessische SPD-Vorsitzende Y werde sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Ausgerechnet Beck, dem schon die Grünen zu weit links waren, um in Rheinland-Pfalz mit ihnen zu koalieren! Dieses Urgestein der konservativen SPD vergisst alle heiligen Eide, man werde niemals mit den Linken zusammengehen, und kündigt an, den Schmuddelkinderstatus der Linkspartei aufzuheben.

Die Empörung des politischen Gegners, aber auch der neutralen Kommentatoren ließ nicht auf sich warten: Wahlbetrug! Wortbruch! Ja, das ist es. Und zugleich ist es die einzig richtige Entscheidung.

Damit man mich richtig versteht: Ich bin gegen alle linken Parteien, auch gegen die SPD. Von deren Vorsitzenden kann ich aber nicht fairerweise erwarten, dass er meinen Standpunkt teilt.

Rein sachlich drängt sich eine Zusammenarbeit der beiden sozialistischen Parteien geradezu auf: Die SPD hat mit den Linken größere programmatische Schnittmengen als sie mit den Grünen jemals hatte, zumal die Linken bei der SPD abschreiben und die SPD sich ihnen beim letzten Parteitag deutlich angenähert hatte. Zudem besteht die Linkspartei im Westen überwiegend nicht aus linksradikalen Sektierern, sondern aus Gewerkschaftern und Ex-Sozialdemokraten – das ist Fleisch vom Fleische der SPD.

Und machtpolitisch hat Beck nicht die kleinste praktikable Alternative: Die Linke hat sich etabliert, daran wird sich nichts mehr ändern, und deswegen wird es für Rot-Grün nur noch in Ausnahmefällen reichen. Die Sozialdemokraten können also entweder mit den Linken zusammenarbeiten, oder ihre einzige Regierungsperspektive ist die Große Koalition, und das heißt: der Selbstverschleiß und der Verlust von noch mehr Wählern an die Linkspartei.

Vor einer solchen Situation stand die SPD schon einmal, als in den achtziger Jahren die Grünen aufkamen. Auch da wurden regelmäßig heilige Eide geschworen, niemals mit denen…

Und regelmäßig wurden sie gebrochen: In den achtziger Jahren in Hessen(!), 1989 in Berlin, 1995 in Nordrhein-Westfalen. Auch zugunsten der Linkspartei bzw. PDS ist die SPD schon einmal umgefallen: 1994 in Sachsen-Anhalt. In solchen Dingen ist die SPD also die Umfallerpartei par excellence. Es mag sein, dass es in Hessen Menschen gegeben hat, die die SPD wegen ihres Versprechens gewählt haben, nicht mit den Linken zusammenzugehen, und die wirklich geglaubt haben, diesmal würde die SPD aber nicht umfallen – pardon, aber solche Einfaltspinsel gehören betrogen!

Die SPD hat keine Wahl. Und der kaltschnäuzige Macchiavellismus, mit dem Beck aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen zieht, sichert ihm meinen Respekt. Mehr noch: Er macht sich damit um die Republik verdient.

Was wäre denn, wenn die SPD sich dauerhaft in der Großen Koalition einrichten würde? Wenn die Erfahrungen der letzten beiden Jahre irgendetwas beweisen, dann doch dies: dass in einer Großen Koalition beide Partner an Profil und Mobilisierungsfähigkeit verlieren, dass beide sich auf die politische Mitte konzentrieren und in ihr präsent sein müssen; dass die CDU nicht rechts sein kann, wenn die SPD nicht links ist. Und dass dem Wähler dauerhaft die reale Chance verwehrt wird, die gerade amtierende Regierung abzulösen.

Orientiert sich die SPD dagegen auf ein Linksbündnis, dann lösen sich die verkrampften Blockaden, die gegenwärtig die Regierungsbildung in Hessen erschweren (und die deutschlandweit zum Dauerzustand würden, wenn die Linken weiterhin als Schmuddelkinder ausgegrenzt würden), und der Wähler bekommt wieder die Wahl zwischen Links und Rechts.

Bleibt nur ein Problem: Das Aufkommen der Linkspartei hat die politische Linke nicht etwa geschwächt, sondern gestärkt. Zum einen erreicht diese Partei Wähler, die sonst wahrscheinlich zuhause geblieben wären oder irgendwelche Protest-Splitterparteien gewählt hätten, zum anderen werden durch sie spezifisch linke Positionen in einer Klarheit und Prägnanz öffentlich artikuliert, die die SPD selbst sich gar nicht leisten könnte, von der sie aber profitiert, weil die öffentliche Meinung auch in der Mitte dadurch beeinflusst wird.

Statt sich darüber aufzuregen, täte die konservative Rechte gut daran, sich zu fragen, ob man von Lafontaines Erfolgsrezept nicht etwas lernen kann. Auf der politischen Rechten, etwa im christlich-konservativen oder nationalkonservativen Spektrum gibt es viele Wähler, die sich von der CDU so wenig vertreten fühlen wie linke Sozialdemokraten von der SPD, und mit Roland Koch haben sie eine ihrer letzten Identifikationsfiguren verloren. Wenn das bürgerliche Lager mit dem linken wieder gleichziehen und nebenbei verhindern will, dass rechte Protestwähler sich bei der NPD sammeln, dann sollte es das rechtskonservative Spektrum mit einer eigenen Partei bedienen. Entweder durch bundesweite Ausdehnung der CSU, oder, wenn die sich das nicht traut, durch Gründung einer neuen Partei. Die Preisfrage lautet: Wer macht den rechten Lafontaine?

Zwischendurch ein wenig Innenpolitik…

Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit hat eine linke Partei bewiesen, dass sie nicht regierungsfähig ist, solange nicht ein strenger Zuchtmeister (Wehner, Schmidt, Schröder, Fischer) sie täglich prügelt. Vor ein paar Wochen haben sich die Grünen entschlossen, ins politische Laufställchen zurückzukehren, jetzt tut es auch die SPD.

Es gehört zu den Gemeinsamkeiten linker Parteien in Deutschland, dass ihrer jeweiligen Basis im Zweifel das eigene seelische Wohlbefinden wichtiger ist als die Zukunft unseres Landes. Dass es ihnen nicht darauf ankommt, vernünftig zu regieren, sondern darauf, sich als gute Menschen zu fühlen. Verantwortungslos. Kindisch.

Für die Linke/PDS mag das unproblematisch sein; von ihr erwartet schließlich niemand etwas anderes, als dass sie die rote Fahne hochhält und die Segnungen des Sozialismus preist. Bei den Grünen ist es schon schwieriger: Eine Partei, die sieben Jahre lang alles in allem vernünftig regiert hat, wird von ihren Wählern daran gemessen. Die Generation, die sich fast zwanzig Jahre lang mit Eselsgeduld den grünen Kindergarten bieten ließ, ist älter und anspruchsvoller geworden. Ob die sich eine Politik gefallen lässt, die auf die Zielgruppe der 2- bis 16jährigen zielt? Für die SPD, auch wenn sie es nicht wahrhaben will, ist diese Haltung einfach unmöglich. Sie ist das Flaggschiff der deutschen Linken, sie muss regierungsfähig sein. Tatsächlich regiert sie ja auch. Hat aber keine Bedenken, mit Müntefering und Tiefensee gleich zwei ihrer wichtigsten Minister wie Idioten aussehen zu lassen; die Herren Steinbrück und -meier sind diesem Schicksal nur dadurch entgangen, dass sie rechtzeitig den Mund gehalten haben. Dadurch sind sie jetzt stellvertretende Vorsitzende einer Partei, die das Gegenteil von dem will, was sie wollen.

Kurt Beck ist allzu schlau gewesen. Sein Kalkül lautet: Ich laufe der Partei hinterher, dann sehe ich aus wie einer, der sie führt. Ich laufe den Meinungsumfragen hinterher, dann habe ich das Volk auf meiner Seite. Und wenn ich das Volk auf meiner Seite habe, dann werde ich Kanzler. So stellt man sich in der großen weiten Pfalz die große Politik vor.

In seiner Bauernschläue hat Beck nur eines übersehen: Zwischen Bundestagswahlen sind die Wähler immer gegen die Politik der Bundesregierung und sind der Opposition zugetan. Man vergleiche die Meinungsumfragen der letzten vierzig Jahre jeweils sechs Monate vor einer beliebigen Bundestagswahl mit dem tatsächlichen Wahlergebnis. In der Umfrage sieht die Opposition stets wie der sichere Sieger aus. Am Wahlabend triumphiert die Regierungspartei. Die Deutschen stänkern gerne gegen die Regierung, aber wenn es zum Schwur – d.h. zur Wahl – kommt, fragen sie nicht mehr: Was missfällt mir an der Regierung? Sie fragen: Sieht der Oppositionskandidat wie ein Kanzler aus? Packt er das? Lautet die Antwort „Nein“, dann wird er auch nicht gewählt. Und sie lautet meistens „Nein“.

Beck versucht, Umfragekönig zu werden, indem er sich, obschon Vorsitzender einer Regierungspartei, wie ein Oppositionsführer benimmt. Das wird ihm bei der Bundestagswahl das Genick brechen. Und das verdient er auch.