Dekadenz

„Der Dekadenzbegriff geht von einer ganzen Reihe an Grundannahmen aus, die aus Sicht des Historikers etwas fragwürdig sind. Früher war bekantlich nicht alles einmal besser, wie es die Dekadenztheorie nahelegt. Wenn sie aber etwas zutreffend bezeichnet, dann nicht nur eine Ära des leistungslosen Genusses, sondern vor allem eine Ära, in der alte Begriffe und Werte zwar noch gebraucht, aber nicht mehr geachtet werden.

Dazu gehören in der Bundesrepublik gegenwärtig solche Begriffe wie Parlamentarismus, die erkennbar entwertet sind, wenn der gewählte Bundestag praktisch ohne Debatte ein Gesetz wie den Lissabon-Vertrag durchwinkt, das seine eigenen Kompetenzen in verfassungswidriger Weise beschneidet. Dazu gehören Parteien wie die FDP, die lebhaft die Abschaffung eines Ministeriums fordert, um es bei erster Gelegenheit selbst zu übernehmen, Steuersenkungen ankündigt, von denen jeder weiß, das sie nicht bezahlt werden können, oder mit Gebrüll ein einfaches Steuersystem prophezeit, um dann bei der Mehrwertsteuer eine Unterscheidung zwischen Hauseseln und Wildeseln einzuführen.“

Stefan Scheil

Prostituierte Politik

Wenn man Lieschen Müller Glauben schenken darf, dann findet Politik ungefähr so statt: Man gründet eine Partei, wirft sich mitsamt der Partei einer oder mehreren Lobbys an den Hals, die die Spendenmillionen rüberwachsen lassen. Im Gegenzug spendiert die Partei ihren Gönnern Milliarden aus der Staatskasse. Das Nachsehen hat der Steuerzahler. Oder umgekehrt: Wer Milliarden einsacken will, kaufe sich für ein paar Millionen eine kleine Partei.

Es gibt so Tage (und der heutige gehört dazu), da frage ich mich, wozu ich eigentlich jahrelang Politische Wissenschaft studiert habe. Offenbar nur, um festzustellen, dass Lieschen Müller ganz einfach Recht hat, und dass jeder Versuch, die deutsche Politik nicht als ein System der organisierten Korruption zu beschreiben, nur Denjenigen der Lächerlichkeit preisgibt, der ihn unternimmt.

Ich hatte mich ja schon gewundert, warum der knappe Spielraum für Steuererleichterungen ausgerechnet dazu benutzt wird, Hotelübernachtungen billiger zu machen. Wirtschaftspolitisch hatte das überhaupt keinen Sinn, nicht einmal einen, den man vielleicht irgendwie an den Haaren hätte herbeizerren können.

Der Spiegel, der bei dieser Gelegenheit gezeigt hat, dass er wenigstens ab und zu zu etwas nütze ist, hat jetzt aufgedeckt, warum gerade die Hotelbranche politisch bedient werden musste.

Zum brechreizerregenden Ruch des Landesverrats, der diese Regierung von Anbeginn begleitet hat, kommt jetzt also noch der unabweisbare Verdacht der Käuflichkeit. Diese Regierung erregt nicht einmal die Gegnerschaft, die bei politischen Meinungsverschiedenheiten normal ist. Sie erregt nur Ekel.