TU ES PETRUS!

Warum Papst Benedikt XVI. im Recht ist, wenn er die öffentliche Empörung ignoriert und die Piusbrüder, einschließlich des Bischofs Williamson, in die katholische Kirche zurückholt.

Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI.

„Tu es Petrus
et super hanc petram
aedificabo ecclesiam meam“ (Mt 16, 18b-19)

Wenn es etwas gibt, das den Papst mit dem Fußball-Bundestrainer verbindet, so ist es die Vielzahl der heimlichen Kollegen, die so viel besser wissen, wer in die rechte Innenverteidigung respektive auf einen Bischofsstuhl gehört, und wer aus dem Kader fliegen beziehungsweise exkommuniziert werden sollte.

Die Aufgabe des Papstes ist dabei um einiges schwerer als die des Bundestrainers:

Nicht nur, weil die Schar der verhinderten Bundestrainer mit einigen Millionen doch überschaubar ist, die der verhinderten Päpste mit einigen Milliarden aber nicht. Sondern vor allem, weil die verhinderten Bundestrainer in der Mehrzahl wenigstens noch irgendeinen Bezug zum Fußball haben, und sei es den Bezug dessen, der im Unterhemd mit der Bierflasche in der Hand vor dem Fernseher sitzt und grölt: „Lauf schon, fauler Sack!“ Was ja oft genug eine treffende Analyse ist.

Diejenigen aber, die so genau wissen, was der Papst tun oder lassen sollte, würden sich in aller Regel den päpstlichen Segen nicht einmal am Fernseher spenden lassen, geschweige denn an einem katholischen Gottesdienst teilnehmen. Offensichtlich ist niemand besser qualifiziert, über die katholische Kirche zu schwadronieren, als Protestanten, Atheisten, Moslems, und Juden. Ganz zu schweigen von den Anhängern des Jesusmosesmohammedbuddhabaghwan-Synkretismus, der sich auch unter Protestanten, Atheisten und Juden, wahrscheinlich auch unter katholischen Laien, wachsenden Zulaufs erfreut – unter Moslems allerdings eher nicht.

Und so hält es auch niemand für erforderlich zu referieren, warum die Kirche es für notwendig hält, die Piusbrüder und Lefèbvre-Anhänger, die bekanntlich das Zweite Vatikanum ablehnen, wieder einzufangen. Womöglich bedeutet es, dass Benedikt die Ergebnisse des Konzils beerdigen will.

Na, und wenn?

Wie immer man zu den inhaltlichen Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils steht: Der Eindruck, den das Konzil langfristig hinterließ, war der, dass Glaubenswahrheiten Gegenstand mehr oder minder demokratischer Abstimmungsprozesse sein könnten. Ließe die Kirche diesen Eindruck unwidersprochen stehen, so würde sie ihre Existenzberechtigung verlieren.

Die Sorte Christentum, wo theologische Standpunkte politisch ausgehandelt werden, die gibt es bereits: Sie heißt Protestantismus und besteht zur Zeit aus circa dreißigtausend Denominationen. Bei dem Tempo, mit dem die Sektiererei dort voranschreitet, hat Benedikt XVI. gute Chancen, die Gründung der einhunderttausendsten evangelischen Kirche noch selbst zu erleben und ihrem Gründer eine handsignierte Jubiläumsbibel zu überreichen.

Allerdings sorgt bereits die schiere Existenz der katholischen Kirche als der Kirche dafür, dass auch weiterhin die Protestanten darauf angewiesen sind, von der katholischen Kirche wenigstens als christlich, wenn auch nicht als Kirche anerkannt zu werden, umgekehrt aber nicht. Die katholische Kirche hat zwar nicht das Monopol zu definieren, was christlich, wohl aber, was nicht christlich ist. Ihre Existenz stellt sicher, dass nicht jede Schnapsidee synkretistischer Weltumarmer unter den evangelischen Theologen die Chance bekommt, offizielle Theologie zu werden.

Woher aber nimmt die Kirche diese scheinbar magische Fähigkeit, ihre Autorität sogar ihren protestantischen Gegnern aufzuzwingen? Eben aus ihrem Selbstverständnis, Glaubenswahrheiten als Wahrheiten zu behandeln, über die sich nicht abstimmen lässt. Mit diesem Verständnis, Kirche nicht vom – subjektiven und veränderlichen – Glauben her zu denken, sondern von einer überzeitlichen, ewigen Wahrheit her, steht und fällt die Kirche.

Es wäre für das Christentum insgesamt, einschließlich des Protestantismus, eine Katastrophe, wenn die römische Kirche sich ein protestantisches Selbstverständnis zulegte. Ein langes Leben hätte es dann nicht mehr, weil mit dem Katholizismus in seiner hergebrachten Form jenes Gegengewicht wegfiele, das bisher verhindert hat, dass die Christenheit zu einem konturlosen Brei zerfließt, in dem das „Anything goes“ gilt.

Das Konzil hat dieses katholische Selbstverständnis aber nach zwei Seiten hin in Frage gestellt:

Der liberalen Öffentlichkeit wurde suggeriert, die Kirche sei ab jetzt eine Organisation, die sich der Welt in dem Sinne öffne, dass von nun an ihre Botschaft manipuliert werden dürfe, und zwar nach außertheologischen Kriterien: vom Feelgood-Faktor für die Gläubigen über die „Toleranz“ im Sinne einer Akzeptanz der Legitimität von allem und jedem, bis hin zur Ökumene, zum jüdisch-christlichen Dialog und zum „Dialog mit dem Islam“. Es ist eine Sache, dergleichen zu befürworten, und eine völlig andere, die theologische Integrität des Katholizismus hinter all dem unter „Ferner liefen“ einzuordnen.

Genau dies, nämlich das Recht, der Kirche eine Agenda aufzuzwingen, fordern die politisch-medialen Meinungseliten mit wachsender Selbstverständlichkeit für sich ein, und wahrscheinlich sind sie ganz aufrichtig verblüfft darüber, dass die Kirche sich nicht darauf einlässt – sofern sie es nicht als Bestätigung ihrer Vorurteile auffassen.

Mit ihrer Masche, päpstliche Entscheidungen zu skandalisieren, und sich auf ihren Begründungszusammenhang nicht einmal so weit einzulassen, dass sie ihn kompetent kritisieren könnten, entlarven sich die Träger der veröffentlichten Meinung wieder einmal als die Ideologieproduzenten, die sie sind. (Und es macht – um auch dies zu erwähnen – die Dinge nicht besser, wenn der eine oder andere verblendete Kardinal meint, genau dieser veröffentlichten Meinung hinterherlaufen und ins selbe Horn stoßen zu müssen.)

Wie ich schon im Zusammenhang mit der Sprache des Kindergartens ausgeführt habe, ist – wenn nicht die Absicht, so doch in jedem Fall – das Ergebnis, dass dem Medienkonsumenten die entscheidenden Fragen vorenthalten werden. So wie der Gazakrieg auf eine Art behandelt wurde, als würden dort uneinsichtige Kinder miteinander raufen, so wird im Zusammenhang mit der Re-Integration der Piusbruderschaft der Papst – nicht weniger als einer der brillantesten Köpfe des Abendlandes – als starrsinniger alter Knacker abgestempelt, der mit den Piusbrüdern bloß seinesgleichen in der Kirche haben wolle.

Ich habe oben gesagt, das Konzil habe nach zwei Seiten hin falsche Signale gesandt: einmal zur liberalen Öffentlichkeit, zum anderen zu den konservativen Katholiken, die, und zwar völlig zu Recht, der Auffassung sind, eine katholische Kirche, die sich nicht als Hüterin des ewig Wahren verstehe, sei keine Kirche im katholischen Sinne mehr. Die Lefèbvre-Anhänger waren die gefährlichste Häresie, mit der es die Kirche in jüngerer Zeit zu tun bekommen hat. Wenn die atheistischen oder agnostischen Redakteure von Hamburger Wochenzeitungen glauben, die Kirche habe sich mit dem Konzil verpflichtet, dem Zeitgeist zu huldigen, dann kann die Kirche das ignorieren.

Eine Opposition von rechts dagegen, die plausibel machen könnte, dass die Kirche dies tatsächlich tue und damit ihren Auftrag verrate, und die damit den Wahrheitsanspruch der Kirche im Kern anfechten kann, ist eine tödliche Bedrohung. Nicht für die Kirche als Organisation (einen Verein mit einer Milliarde Mitgliedern kriegt man nicht so schnell kaputt), wohl aber für die Strahlkraft und Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft.

Deswegen – und nicht wegen irgendwelcher reaktionären Anwandlungen der Kurie! – musste man die Piusbrüder wieder einfangen!

(Natürlich gehören in diesen Zusammenhang auch solche Maßnahmen wie die Aufwertung der lateinischen Messe, das in neuer Form wieder eingeführte Gebet für die Bekehrung der Juden und die schroffe Ansage, die protestantischen Kirchen seien „keine Kirchen im eigentlichen Sinne des Wortes“: Das ist nicht Arroganz, das ist die ehrliche Feststellung, dass man zwei grundsätzlich einander entgegengesetzte Begriffe von „Kirche“ nicht mit ein und demselben Wort belegen darf.)

Unserer ideologisch konditionierten Öffentlichkeit kommt es natürlich nicht in den Sinn, dass die theologische Integrität des Christentums wichtiger sein könnte als die Ausgrenzung dieses oder jenes Holocaustleugners.

Ebenso, wie es ihr auch nicht in den Sinn kommt, dass Ausgrenzung, Ächtung, Exkommunikation von Antisemiten kein Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus sind. Eine Gesellschaft, in deren religiösem wie politischem Selbstverständnis der Antisemitismus seit Jahrhunderten eingebrannt ist (Ich verweise auf meine Artikel „Noch ein paar Gedanken zu: Christentum, ‚Islamophobie‘, Antisemitismus“ und „Deutsche und Nazis“), die möchte sich das natürlich gerne ersparen, sich mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen. Gottlob gibt es die Williamsons und Hohmanns, von denen man sich in einer Art von kollektivem Exorzismus distanzieren kann. Was ist leichter, als sich der eigenen moralischen Vortrefflichkeit dadurch zu versichern, dass man den Antisemitismus in der Gestalt irgendwelcher Holocaustleugner dingfest macht und ihn dadurch entsorgt, dass man diese ausgrenzt? Bis zum nächsten Skandal.

Einer der alten Kirchenväter schrieb: „Christus hat sich die Wahrheit genannt, nicht die Gewohnheit!“. Man möchte paraphrasieren: Er hat sich die Wahrheit genannt, nicht die Political Correctness!

Antisemitismus und totalitäre Ideologie

Ich glaube, man macht sich zu wenig bewusst, dass Toleranz eine höchst unwahrscheinliche zivilisatorische Errungenschaft ist. Sie setzt schließlich nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit voraus, sich vorzustellen, dass der Andersdenkende oder Andersgläubige im Recht sein könnte. Eine solche Reflexionsleistung ist dem Menschen so wenig angeboren wie die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben, und sie gehört auch nicht zu der Sorte Kulturleistungen, die man von einem gewissen Entwicklungsniveau an als selbstverständlich unterstellen kann.

Es ist bemerkenswert und bezeichnend, dass die drei totalitären Strömungen unserer Zeit, nämlich der Linksextremismus, der Neonazismus und der politische Islam bei allen sonstigen Unterschieden dasselbe Feindbild „Jude“ pflegen, und wenn auch die Neonazis es rassistisch, die Islamisten religiös und die Linken politisch (Israel) begründen, so handelt es sich dabei erkennbar bloß um unterschiedliche ideologische Rationalisierungen ein und desselben elementaren Hasses.

Ich behaupte, dass dieser Hass genau der Errungenschaft gilt, die den Kern unserer westlichen Zivilisation ausmacht: der Toleranz; der Fähigkeit zur Selbstkritik; der Bereitschaft, sich selbst mit den Augen des Anderen zu sehen. Und diese Errungenschaft wird von ihren Feinden völlig zu Recht als die große zentrale Leistung des Judentums angesehen.

Wenn es nämlich ein Thema gibt, das wie ein roter Faden das gesamte Alte Testament durchzieht, dann ist es die Selbstkritik, ja Selbstanklage des Volkes Israel, den moralischen Ansprüchen Gottes nicht gerecht geworden zu sein. Der stets scheiternde und stets zu erneuernde Versuch, sich selbst mit den Augen Gottes zu sehen und Seinen Maßstäben gerecht zu werden ist elementarer Bestandteil jüdischer Ethik. Es ist dieselbe Ethik, die, vermittelt durch das Christentum, zur Grundlage der westlichen Gesellschaften wurde. Wenn wir Toleranz heute als eine Tugend ansehen, so ist diese Ethik der Grund dafür.

Wenn wir zudem in westlichen Gesellschaften das menschliche Leben als etwas Heiliges ansehen, als etwas, das unter keinen Umständen zum bloßen Mittel für etwas angeblich Höheres herabgewürdigt werden darf, so drückt sich darin die fortdauernde Wirkung des Verbots des Menschenopfers aus, und auch dieses Verbot ist eine genuin jüdische Errungenschaft, die vom Christentum übernommen wurde.

Für totalitäre Bewegungen ist beides – die Toleranz und die Heiligkeit des Lebens – ein rotes Tuch. Totalitäre Ideologie beruht ja gerade darauf, sich selbst absolut zu setzen und der angeblich so erhabenen „Sache“ notfalls auch Millionen von Menschen zu opfern. Totalitäre Ideologien sind heidnische Kulte, die man als solche gerade daran erkennt, dass sie das Menschenopfer zum Ideal erheben, und die deswegen im Judentum instinktiv ihren Feind sehen. Der Hass, der den Juden gilt, und der Hass, der der freiheitlichen, individualistischen Gesellschaft des Westens gilt, ist ein und dasselbe.

Nun wird mancher, vor allem wenn er sonst diesen Blog nicht liest, fragen, was denn der Islam in diesem Zusammenhang zu suchen hat. Hat denn nicht der Islam in derselben Weise wie das Christentum die Grundwerte der jüdischen Ethik in sich aufgenommen? Und muss man nicht deswegen ganz scharf trennen zwischen der ehrwürdigen Weltreligion „Islam“ und ihrem totalitären Zerrbild „Islamismus“?

Die Antwort lautet:

Nein.

Der Islam hat vieles aus dem Judentum übernommen – um das böse Wort „abgekupfert“ zu vermeiden. Das Ethos der Selbstkritik aber und das Ethos der Heiligkeit des Lebens – das hat der Prophet Mohammed nicht nur nicht übernommen: Er hat es vielmehr explizit abgelehnt und den Juden einen Strick daraus gedreht, dass sie dieses Ethos überhaupt haben. Der Koran wertet die alttestamentlichen Selbstanklagen des jüdischen Volkes nämlich als Beweise für dessen Minderwertigkeit und hebt ausdrücklich und im Kontrast dazu hervor, die Muslime seien „die beste Gemeinschaft, die je für Menschen erstand“. Dass Juden das Leben heiligen – und auch am Leben hängen – wird im Koran explizit als Beweis gewertet, dass sie ob ihrer moralischen Verdorbenheit das Strafgericht Allahs zu fürchten hätten. Und dass der Kampf und das Töten und das Sterben für Allah – mit einem Wort: das Menschenopfer – die höchsten Ziele eines erfüllten muslimischen Lebens sind: Das wird dutzendfach wiederholt, und dies nicht nur im Koran selbst, sondern auch in der Prophetenüberlieferung. [Wer es genauer wissen möchte, dem empfehle ich die Themenanalyse über den medinensischen Koran, Kap. III.2 von „Das Dschihadsystem“. M., 20.01.2011]

Wir brauchen uns also nicht zu wundern, wenn Neonazis, Moslems und Linke gleichermaßen dem Antisemitismus frönen und dabei bemerkenswert wenig Berührungsängste einander gegenüber zeigen – so wenig, wie wir uns über den Hitler-Stalin-Pakt wundern müssen. Die Ideologie der totalitären Menschenverachtung ist ihnen gemeinsam; höchstens die Akzente werden unterschiedlich gesetzt.

Ähnlich argumentieren Hans-Peter Raddatz und Gunnar Heinsohn.

Nicht gerade elegant geschrieben und daher schwer verdaulich, dennoch lesenswert:

Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus. Buchcover
Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus.


Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden


Leider nur noch antiquarisch zu bekommen, wenn überhaupt:

Gunnar Heinsohn: Warum Auschwitz? Hitlers Plan und die Ratlosigkeit der Nachwelt.

Bibel in gerechter Sprache

Die Festplatte aufzuräumen ist so ähnlich wie den Speicher zu entrümpeln: Man entdeckt hundert Dinge, die einem entfallen waren, und gerät auf eine Art Zeitreise zurück ins eigene Leben.

Ich bin also beim Entrümpeln meiner Festplatte auf einen Text gestoßen, den ich vor zwei Jahren, also in meiner Vor-Blog-Ära, geschrieben habe. Ob er wirklich noch aktuell ist, weiß ich nicht, aber zum Löschen ist er allemal zu schade.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann hatte damals in „chrismon“ die „Bibel in gerechter Sprache“ angepriesen. „Chrismon“ ist gleichsam das Hausblättchen des liberalen Protestantismus in Deutschland, das ich bis dahin gelesen hatte und seitdem nicht mehr. Die Herausgeber dieser „Bibel in gerechter Sprache“ hatten nämlich das Kunststück fertiggebracht, den Christen und den Auklärer in mir gleichzeitig bis zur Weißglut zu provozieren.

Was lange gärt, wird endlich Wut: Der Ärger über die politische Linke hatte sich bei mir über Jahre angestaut, und 2006 war ich höchstens noch ein Gewohnheitslinker, wenn überhaupt einer. Wenn ich aber rückblickend darüber nachdenke, welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen und mich dazu brachte, mit der ganzen linken Mischpoke endgültig nichts mehr zu tun haben zu wollen, dann war es diese Gutmenschenbibel, weil die mir den ganzen totalitären Irrsinn linker (und eben nicht erst spezifisch kommunistischer) Ideologie in hochkonzentrierter Form vor Augen führte.

Jedenfalls schrieb ich damals zwei Briefe: einen an die Bischöfin, einen zweiten an die „chrismon“-Redaktion mit der Bitte, den ersten zu veröffentlichen. Diese Briefe habe ich jetzt auf meiner Festplatte wiedergefunden:

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem Bischöfin Käßmann in der vorletzten Ausgabe von „chrismon“ ein Loblied auf die sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ gesungen hatte, ging ich selbstverständlich davon aus, dass nunmehr diejenigen Theologen und Philologen reagieren und replizieren würden, die eine etwas weniger legeres Verhältnis zum biblischen Text, dafür aber ein wesentlich kritischeres Verhältnis zu den Anmaßungen der Political Correctness haben als die Bischöfin und mit ihr die Verfasser der vorliegenden neuen Bibelversion. Mit Ausnahme eines sehr kurzen und auch nur halb kritischen Leserbriefes hat „chrismon“ nichts dergleichen veröffentlicht. Das erstaunt mich.

Müsste ich annehmen, dass es solche kritischen Stellungnahmen nicht gegeben hat, so würde ich mich fragen, ob denn der deutsche Protestantismus, der einmal mit dem Anspruch angetreten ist, seine Theologie sola scriptura zu begründen, schon so weit von seinen ursprünglichen Anliegen entfernt ist, dass er die Bibel gewissermaßen als quantité négligeable auffasst, auf deren authentische Übersetzung es nicht ankommt, und deren absichtliche Fälschung weder einen Skandal noch auch nur einen Anlass zur Kritik darstellt.

Tatsächlich fördert bereits ein Blick ins Internet ermutigenderweise zutage, dass die Empörung quer durch die Christenheit unseres Landes geht: Sie wird artikuliert von Theologen und Laien, von Protestanten und Katholiken, von Liberalen und Fundamentalisten, von Gebildeten und Ungebildeten. Und wenn Bischöfin Wartenberg-Potte, eine der Fördererinnen des Projekts, sagt: „Über viele Kritiken brauchen wir nicht zu schmollen. Viel Feind, viel Ehr.“, so drückt dies eben nicht nur die bornierte Arroganz der Sektiererin aus, die die Vielzahl der Kritiker geradezu als Beweis für de Richtigkeit der eigenen Position ansieht, sondern bezeugt aus unverdächtigem Mund die Breite und Tiefe der Opposition gegen dieses Projekt. Deswegen kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass in Ihrer Redaktion keine kritischen Stellungnahmen zum Artikel von Frau Käßmann eingegangen sein sollen.

Nun möchte ich Ihnen nicht geradezu unterstellen, Sie wollten die Kritik totschweigen.

– Ich weiß nicht mehr genau, ob ich in diesem Punkt höflich oder naiv war –

Möglicherweise unterschätzen Sie aber die theologische und kirchenpolitische Brisanz des Themas, die ich in meiner unten folgenden Antwort auf Frau Käßmann dargelegt habe, und die, zusammengefasst, darin besteht, dass in der neuen Bibelversion eine theologische Position vertreten wird, die auf die Selbstabschaffung des Christentums hinausläuft. Ich bitte Sie, diese Antwort zu veröffentlichen, ungeachtet der Tatsache, dass ich Politikwissenschaftler und als solcher fachfremd bin. Da Thema ist zu wichtig und brennt zu vielen Menschen unter den Nägeln, als dass „chrismon“ einfach stillschweigend daran vorbeigehen sollte.

Sollten Sie sich zu einer Veröffentlichung nicht entschließen können, bitte ich Sie mir dies per e-Mail mitzuteilen; ich würde den Artikel dann anderweitig publizieren.

Mit freundlichen Grüßen 

Selbstverständlich hat „chrismon“ sich gehütet, auch nur eine Zeile zu veröffentlichen. Insofern ist dieser Artikel die längst überfällige Einlösung eines Versprechens.

Der Brief an die Bischöfin lautete wie folgt:

Sehr geehrte Frau Käßmann,

die Verfasser der von Ihnen jüngst gelobten neuen Bibelversion erheben bekanntlich den Anspruch, eine Bibelübersetzung, und zwar „in gerechter Sprache“ vorgelegt zu haben. Nun ist Gerechtigkeit, worin immer sie auch konkret bestehen mag, zweifellos ein hohes Gut. Ist sie aber wichtiger als die Wahrheit, die historische wie die theologische? Darf man um der Gerechtigkeit willen auch lügen und fälschen – nach dem Motto, der Zweck heilige die Mittel? Darf eine Kirche, die sich christlich nennt, die Person Christi aus dem Zentrum ihres Glaubens verbannen? Darf eine protestantische Kirche ihre Gläubigen bevormunden? Nein?

Dies alles aber tun die Verfasser jener „Bibel in gerechter Sprache“, und Sie, Frau Käßmann, segnen mit der Autorität der Bischöfin ein – pardon – Machwerk ab, das weder protestantisch noch auch nur christlich ist, und das nicht einmal für sich in Anspruch nehmen kann, aufklärerisch zu sein.

Zentrale Anliegen der Reformation waren bekanntlich die alleinige Geltung der Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens, die Autonomie des Gläubigen gegenüber kirchlicher Autorität in Glaubens- und Gewissensfragen, und als Konsequenz aus beidem das Recht, aber auch die Pflicht des Christen, sich nach bestem Wissen und Gewissen mit der Bibel auseinanderzusetzen.

Dabei war für Luther der jeweilige Originaltext in hebräischer und griechischer Sprache autoritativ – welcher auch sonst? Idealiter hätte also jeder Gläubige Altphilologe sein müssen. Da dies utopisch war und ist, galt es realiter, jedem Volk die Bibel in seiner eigenen Sprache zu bringen – dabei aber so nahe wie möglich am ursprünglichen Sinn und Wortlaut des Originals zu bleiben. Die Forderung nach Authentizität der Übersetzung ergibt sich daher nicht aus fundamentalistischer Buchstabengläubigkeit, sie hat nichts mit dem Glauben an die Verbalinspiration der Schrift zu tun. Sondern sie folgt zwingend aus den Urpostulaten der Reformation: aus der Theologie sola scriptura und der Freiheit eines Christenmenschen!

Authentisch ist eine Übersetzung aber nicht dann, wenn sie den Intentionen und Interessen des Übersetzers, sondern wenn sie denen des Verfassers entspricht. Entspricht sie diesen nicht, so haben wir es bestenfalls mit einer schlechten Übersetzung, schlimmstenfalls mit einer Fälschung zu tun.

Dass eine Eins-zu-eins-Übersetzung aus der einen Sprache in die andere nicht möglich ist, jede Übersetzung daher auch Interpretation und das Prinzip der Authentizität notwendig Kompromissen unterworfen ist, ist eine Binsenwahrheit, eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber ein grundlegender Unterschied, ob man solche Kompromisse eingeht, weil sie in der Natur der Sache und der Sprache liegen und daher unvermeidbar sind, oder ob man den Aussagegehalt des Textes absichtlich verändert, weil einem die originäre Aussage nicht in den Kram passt! Wenn zum Beispiel der Evangelist Matthäus „Vater unser“ (bzw. „Unser Vater“, Mt.6,9) schreibt, die Übersetzung aber behauptet er habe „Vater und Mutter“ geschrieben, so ist dies, ob gerecht oder nicht, eine Lüge und eine Fälschung! Wird diese Fälschung dadurch gerechtfertigt, sie drücke aus, was „eigentlich“ gemeint sei, so verstehe ich nachträglich die Allergie meines alten Deutschlehrers gegen das Wort „eigentlich“ – eine Worthülse, in die jeder hineinstopft, was er will.

Tatsächlich drückt diese Fälschung bestenfalls das aus, was wir heute meinen. Selbstverständlich fasst heute niemand mehr die Gottesbezeichnung „Vater“ wortwörtlich auf, als sei Gott ein Mann. Für uns heute ist das Wort „Vater“ eine bloße Metapher für Gottes Fürsorge und Autorität.

Das ändert aber nichts daran, dass man sich in Gott biblischer Zeit durchaus als einen Mann vorstellte … . Dies, wie auch die Frauenfeindlichkeit des Paulus oder die apokalyptischen Passagen der Bibel (um nur einige Beispiele zu nennen) sind Dinge, mit denen man sich kritisch interpretierend auseinandersetzen muss, um das Bleibende und Ewige vom Zeitgebundenen zu trennen. Daran haben wir alle zu kauen. Als mündige Christen können wir aber auch daran kauen; wir sind, um im Bilde zu bleiben, nicht darauf angewiesen, dass man uns geistigen Babybrei vorsetzt, in dem alles Harte, Zähe und Schwerverdauliche vor- und fürsorglich bis zur Unkenntlichkeit püriert worden ist!

Ich, für meinen Teil, verbitte mir diese Art von Fürsorge: Es ist die Fürsorge des Zensors, der, natürlich nur „in bester Absicht“, die unmündigen Menschen vor jedem Text bewahren will, den sie „falsch“ – nämlich anders als der Zensor – verstehen könnten, wenn sie ihn autonom interpretierten. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, Frau Bischöfin, dass die Reformation von Anfang an ein Aufschrei und ein Aufstand des freien Christenmenschen gegen just diesen zensorischen und inquisitorischen Geist war?

Kaum weniger fragwürdig als diese Bevormundung der Gläubigen ist der Umgang mit der jüdisch-christlichen Geschichte. Und da dieser nicht nur mit einem unaufgeklärten, weil unhistorischen Religionsverständnis zu tun hat, sondern auch mit einem anti-aufklärerischen Sprachverständnis, sehe ich mich gezwungen, so lächerlich und peinlich das ist, einige linguistische Binsenwahrheiten ins Gedächtnis zu rufen:

Ein Begriff, der eine Personengruppe de-finiert, d.h. von anderen Personengruppen unterscheidet, und zwar nach anderen Kriterien als denen der Geschlechtszugehörigkeit, ist geschlechtsneutral. Wenn etwa von „Bürgern“ oder „Studenten“ die Rede ist, müssen diese ebensowenig zwangsläufig Männer sein, wie „Personen“ oder „Prozessparteien“ zwangsläufig Frauen sein müssen. Die eingebürgerte Redeweise von „Bürgerinnen und Bürgern“ oder „Studentinnen und Studenten“ ist schlechtes, weil tautologisch formuliertes Deutsch, beruht auf der Verwechslung des grammatischen Genus mit dem biologischen Sexus und entspringt einer vulgärfeministischen Marotte.

Gegen diese Verunstaltung der öffentlichen Sprache hat es zwar in den letzten dreißig Jahren nur wenig Widerstand gegeben, weil sie nur eine Form der Verunstaltung ist und bei weitem nicht die Schlimmste; wer wollte da den Don Quichotte machen? Dies bedeutet aber keineswegs, dass diese Sprachpanscherei korrekt wäre. Unerträglich und inakzeptabel wird sie aber spätestens dann, wenn sie aufhört, bloße Schlamperei zu sein, und stattdessen gezielt zum Instrument von Geschichts- und Bibelfälschung gemacht wird: Wenn die Bibel im Original von „Pharisäern“ oder „Richtern“ spricht, dann trifft sie über deren Geschlecht einfach keine Aussage. Die „Übersetzer“ freilich sind in dem ideologischen Vorurteil befangen, es könne keine geschlechtsneutralen Gruppenbezeichnungen geben und behaupten deshalb explizit, unter den Richtern und Pharisäern seien auch Frauen gewesen. Eine solche Behauptung ist nicht nur bereits deswegen eine absichtlich Fehlübersetzung, weil das Original das Geschlecht jener Personen eben nicht nennt; sie ist auch bar jeder historischen Plausibilität: Orthodoxe Juden lassen Frauen bis heute in religiösen Fragen nicht mitreden; die Vorstellung, sie hätten dies vor zwei- oder dreitausend Jahren getan, ist grotesk! Hier wird das Bild der israelitischen Gesellschaft der biblischen Zeit völlig unhistorisch nach dem aktuellen Maßstab heutiger Political Correctness zurechtgebogen.

Die Tatsache, dass die religiöse Entwicklung des Judentums ein jahrhundertelanger Prozess war, von dem die Bibel beredtes Zeugnis ablegt, und der sich unter den Bedingungen einer patriarchalischen Gesellschaft vollzog, wird – weil nicht sein kann, was nicht sein darf – kurzerhand ausgeblendet. Da zu diesem Zweck die Bibel gefälscht wird, fällt es schwer, sich nicht an George Orwells Beschreibung eines totalitären Systems („1984″) erinnert zu fühlen, das systematisch die früheren Ausgaben seiner eigenen Zeitungen umdichten lässt, um sie der jeweils aktuellen Parteilinie anzupassen. Dies ist nicht so polemisch, wie es sich für Sie vielleicht anhört, Frau Bischöfin: Die Nazis haben bekanntlich bereits versucht, das „jüdisch verseuchte“ Alte Testament abzuschaffen und einen „arischen Christus“ zu konstruieren. Wenn wir heute zulassen, dass der Text der Bibel unter politischen Gesichtspunkten manipuliert wird, seien diese Gründe auch noch so gut gemeint, dann begeben wir uns der Argumente, die wir morgen möglicherweise verzweifelt nötig haben werden: dann nämlich, wenn wieder ein totalitäres System versuchen sollte, sich die christlichen Kirchen gefügig zu machen!

In jedem Fall beruht die sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ auf einem unaufgeklärten Religionsverständnis: Unaufgeklärt deshalb, weil Religion, anders als das Vorgehen der Verfasser impliziert, nicht im luftleeren Raum reiner Theologie existiert, sondern sich in einem sozialen Kontext entwickelt. Die biblischen Zeugnisse sind daher stets mit Realgeschichte kontaminiert, und wir können das Christentum nicht verstehen und kritisch – auch selbstkritisch – reflektieren, wenn wir seine historische Genese ignorieren. Die neue Bibelversion jedoch wertet Gerechtigkeit (oder was sie dafür hält) höher als Wahrheit und Ideologie höher als Aufklärung. Dass dies einem emanzipatorischen Anliegen dienen soll, ist ein Widerspruch in sich.

Das Schlimmste kommt aber noch, und hier zitiere ich Sie wörtlich:

„Gerecht werden soll die neue Übersetzung auch dem jüdisch-christlichen Dialog (…) Wenn Jesus … in der Bergpredigt die Schrift auslegt, stellt er sich nicht in einen Widerspruch dazu [zur jüdischen Tradition, M.], wie es die Übersetzung ‚Ich aber sage euch’ (Mt 5,22) andeutet, sondern er interpretiert sie, wie andere Rabbinen, Schriftgelehrte seiner Zeit auch. Die Übersetzung ‚Ich lege das heute so aus’ weist darauf hin.“

Sehen wir einmal davon ab, dass diese Textfälschung schon deshalb nicht nötig gewesen wäre, weil Jesus selbst sagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt 5,17; zitiert selbstverständlich nach der Lutherbibel) Dies aber nur nebenbei.

Lassen wir es uns noch einmal auf der Zunge zergehen: Interpretiert sie … wie andere Schriftgelehrte auch … Ich lege das heute so aus! Jesus ist also einfach nur ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er interpretiert, wie andere auch. Er legt das heute so aus – und morgen anders? Er erhebt nicht den Anspruch auf überzeitliche Wahrheit (Dass dies genau so zu verstehen und nicht etwa eine Unterstellung ist, hat die „Übersetzerin“ des Matthäusevangeliums mit eigenen Worten bestätigt!), sondern stellt bloß theologische Hypothesen zur Diskussion!

Sagen Sie, Frau Bischöfin, ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da tun … ? Jesus ist für Sie also nicht der Sohn und die Inkarnation Gottes, sondern ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er ist auch nicht der Messias, nicht der Christus, sondern ein Schriftgelehrter wie andere auch. Er ist noch nicht einmal das, was Mohammed für den Islam ist, nämlich der höchste und letzte der Propheten – nur ein Schriftgelehrter wie andere auch. Und sein Wort ist Ihrer Ansicht nach nicht das Wort Gottes, sondern lediglich eine von vielen möglichen Interpretationen der Thora. Eine Interpretation, die nicht einmal für ihn selbst verbindlich ist! Sind Sie sich darüber im Klaren, dass jeder islamistische Fanatiker mit Fug und Recht von sich behaupten kann, er verehre Jesus – für ihn der größte Prophet außer Mohammed – mehr, als Sie es tun … ?

Ohne es auch nur mit einem Wort zu erwähnen, haben Sie fast zweitausend Jahre trinitarischer und christologischer Theologie kassiert (Diese Tradition beginnt ja nicht erst mit den Konzilien, auf denen sie dogmatisiert worden ist, sondern mit den Paulusbriefen, allerspätestens aber dem Johannesevangelium!). Mehr noch: Sie haben die Bedeutung der Person und Lehre Christi als den archimedischen Punkt christlichen Glaubens negiert. Sie erklären Christus zu einem x-beliebigen Prediger und stellen sein Wort, das Wort Gottes, auf eine Stufe mit dem „Wort zum Sonntag“. Was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als dass Sie das Christentum schlechthin zur Disposition stellen!

Sollte dies, nämlich die Selbstentkernung des Christentums, das Ergebnis des Versuchs sein, den jüdisch-christlichen Dialog mithilfe der neuen Bibel zu fördern, so muss ich Sie fragen, was Sie unter „Dialog“ verstehen. Wenn die Bedeutung Christi bis zur Irrelevanz relativiert wird, so entspricht dies in der Tat exakt der jüdischen Auffassung von Jesus. Was Sie, Frau Bischöfin, nicht zu verstehen scheinen, ist, dass diese jüdische Auffassung, die als solche – das heißt als jüdische – vollkommen legitim und sogar zwingend ist, von einer christlichen Kirche, die dies auch bleiben will, nicht übernommen werden kann! Dialog ist eine Sache, Selbstaufgabe eine vollkommen andere!

Verstehen Sie mich bitte richtig: Niemand kann und darf Sie persönlich zwingen, an die Trinität, die Menschwerdung Gottes oder die überzeitliche Geltung der Bergpredigt zu glauben, wenn Sie daran nun einmal nicht glauben können. Sie sind eine freie Bürgerin und als solche berechtigt zu glauben, woran Sie wollen, notfalls auch an den Großen Manitou. Sie missbrauchen aber Ihr Amt und dessen Autorität, wenn Sie eine theologische Position als christlich verkaufen, die selbst bei größtem Wohlwollen nicht mehr als christlich gelten kann! Ein entkerntes Christentum, wie Sie und Ihre dubiosen Exegeten es propagieren, würde in kürzester Zeit auf ein paar sinnentleerte Traditionen zusammenschnurren: auf Weihnachtsbäume, Ostereier – und eine verballhornte Bibel!

Atheisten mögen sich den Bauch halten vor Lachen über die Eilfertigkeit, mit der ehedem ewige Wahrheiten auf dem Altar der Political Correctness geopfert werden. Katholiken mögen mit Schadenfreude zur Kenntnis nehmen, wie weit der Protestantismus heruntergekommen ist: Da sieht man’s mal wieder, Extra ecclesiam nulla salus! Juden können sich freuen, dass die Christen endlich zugeben, dass Jesus nicht der Messias war, Muslime Genugtuung empfinden darüber, dass die im Koran vertretene Behauptung, Christen würden willkürlich ihre Bibel fälschen, endlich der Wahrheit entspricht, nachdem sie 1400 Jahre lang eine Verleumdung gewesen war!

– und natürlich tauchten damals prompt in den einschlägigen Blogs und Foren Moslems auf, die ja schon immer gewust hatten, dass Christen Schriftverfälscher seien, weswegen einzig der Islam … –

Inwiefern dergleichen aber für protestantische Christen akzeptabel sein soll, ist mir ein Rätsel.

Mit freundlichen Grüßen

Strategien des Gegendjihad

Manchmal könnte man glauben, dass niemand so sehr an die unwiderstehliche Macht des islamischen Djihad glaubt wie seine schärfsten Kritiker und Feinde. Man kann sicher nicht leugnen, dass der Islam seit den Tagen Mohammeds mit großem Erfolg nichtmuslimische Gesellschaften zerstört hat, und wir haben nicht die geringste Garantie, dass es unserer eigenen nicht genauso geht.

Trotzdem beruht der Erfolg des Islam auf identifizierbaren Faktoren, und entsprechend kann der Gegendjihad an diesen Faktoren ansetzen.

Zunächst sollte man sich von der gerade in Deutschland tradierten Fixierung auf den Staat lösen und sich nicht von der Vorstellung ins Bockshorn jagen lassen, solange die Politiker nichts unternähmen, sei jede Strategie zum Scheitern verurteilt. Der Staat ist ein wichtiger Akteur, aber nur einer von vielen. Die entscheidenden Kämpfe finden unterhalb und außerhalb des Staates statt, auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft. Zu einem gewissen Teil findet der Staat die Ergebnisse dieser Kämpfe nur vor und richtet sich danach.

Die zweite Prämisse, die man sich aus dem Kopf schlagen sollte, ist die, dass es die eine richtige Strategie, den einen Hebel, den einen Ansatzpunkt gebe, und dass alle, die nicht an einer strategischen Schlüsselstelle (in der Politik, den Medien, den Kirchen etc.) sitzen, deshalb zum Nichtstun verurteilt seien.

Um eine erfolgversprechende Gegendjihadstrategie zu erarbeiten, muss man sich als erstes vergegenwärtigen, wie der Djihad, wie Islamisierungsprozesse unter den heutigen Umständen funktionieren:

Was es im Islam bekanntlich nicht gibt, ist eine hierarchische Organisation, an deren Spitze Strategien ausgeheckt werden, die dann nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam an die Basis zur Umsetzung weitergereicht werden. Islamisierungsstrategien kommen ohne ein Superhirn aus, auch ohne eine Kurie.

Oh, es gibt auf der Gegenseite, zum Beipiel bei den Muslimbrüdern, höchst ausgeschlafene Strategen. Die brauchen aber nicht viel mehr zu tun als ein wenig zu koordinieren und zu organisieren. Ihre Strategien basieren darauf, dass eineinhalb Milliarden Muslime ein ganz bestimmtes Werte- und Normensystem, ganz bestimmte Denk- und Verhaltensmuster von Kindheit an verinnerlicht haben, und dies zum Teil nicht einmal als explizit religiöse Normen, sondern als kulturelle Selbstverständlichkeiten, die sich jahrhundertelang bewährt und unter anderem dazu geführt haben, dass die früheren Kerngebiete des Christentums in Nordafrika, Kleinasien und dem Nahen Osten heute fast durchgehend muslimisch sind. Die christlichen Enklaven, die es bis zum frühen zwanzigsten Jahrhundert noch gab, befinden sich heute im rapiden Niedergang, und es spricht wenig dafür, dass dieser sich noch aufhalten lässt.

Diese Verankerung des Djihad in den gesellschaftlichen Tiefenstrukturen ist zugleich eine Stärke wie eine Schwäche des Islam. Eine Stärke, weil sie die Koordination riesiger Massen von Menschen ohne zentrales Kommando ermöglicht, ja sogar ohne dass diese Menschen sich auch nur bewusst sein müssten, dass sie Djihad treiben. Eine Schwäche, weil dadurch die Lernfähigkeit des Systems „Islam“ drastisch beschränkt wird. Ungeachtet der oft bemerkenswerten taktischen Flexibilität einzelner Akteure ist die Mentalität der muslimischen Massen in der Regel alles andere als flexibel, ist die Anzahl der strategischen Grundmuster, über einen Zeitraum von nahezu anderthalb Jahrtausenden betrachtet, doch ziemlich begrenzt, ist der Djihad somit berechenbar. Entsprechend leicht sollte es sein, Gegenstrategien zu entwickeln.

Hier ist nicht der Platz, das Thema in seiner gesamten Komplexität zu beschreiben. Dazu bedürfte es eines Buches, und an einem solchen schreibe ich bekanntlich schon. Hier geht es lediglich darum, ein paar grundsätzliche Gedanken zusammenzustellen, aus denen Jeder sich wie aus einem Werkzeugkasten bedienen kann. (Die Gedanken, die ich in den Themenanalysen zum mekkanischen und medinensischen Koran und zum Interview von Amr Khaled entwickelt habe, setze ich dabei als bekannt voraus).

Der Djihad operiert traditionell auf drei miteinander in Wechselwirkung stehenden Ebenen:

  • Politik
  • Demographie
  • Alltagskultur

Islamische Eroberungen werden von Muslimen „Futuhat“ genannt. Das bedeutet so viel wie „Öffnungen“. (Verwandt ist damit übrigens das Wort „Fatih“ – Eroberer. Wer gerade nichts Besseres zu tun hat, kann vielleicht einmal recherchieren, wieviele „Fatih“-Moscheen es in Deutschland gibt.) Das ist nicht einfach ein Euphemismus (nach Art von „brüderliche Hilfe“ als Umschreibung für „Einmarsch“), sondern deutet an, dass die Erringung der politischen Herrschaft für Muslime nur der erste Schritt zur Islamisierung einer unterworfenen Gesellschaft ist, allerdings ein besonders wichtiger.

Anders als der mittelalterliche ist der heutige Islam zur militärischen Eroberung westlicher Länder nicht mehr imstande; er ist daher darauf verwiesen, die strukturellen Schwächen demokratischer Systeme für sich auszubeuten. Eine dieser Schwächen ist die Anfälligkeit für organisierte Unterwanderung. Gut organisierte, strategisch operierende Minderheiten, die einer nicht organisierten Mehrheit gegenüberstehen, haben gute Aussichten, sich strategische Schlüsselpositionen zu erarbeiten. (Unter Politikwissenschaftlern ist es schon lange ein Gemeinplatz, dass Interessen in der Regel umso schwerer durchsetzbar sind, je weiter sie verbreitet, und umso leichter, je besser sie organisiert sind.) Die Djihadstrategen brauchen lediglich ihre Machtbasis zu pflegen, also zu verhindern, dass die islamische Umma in westlichen Ländern zerbröselt und sich integriert.

Die Kunst des modernen Djihad besteht mithin darin, zwischen der muslimischen Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft eine Spannung aufrechtzuerhalten, die stark genug ist, die muslimische asabiyya – arab.: den Gruppengeist, das Zusammengehörigkeitsgefühl – zu stabilisieren, aber nicht so stark, die „Asabiyya“ der Mehrheitsgesellschaft gegen den Islam zu mobilisieren, jedenfalls nicht, solange der Islam in der schwächeren Position ist. Zugleich müssen die Djihadisten ihre Glaubensbrüder dazu bringen, sich der politischen Bürgerrechte zu bemächtigen, das heißt die Staatsbürgerschaft der von ihnen bewohnten Länder anzunehmen, also scheinbar zu „integrieren“ ohne sich subjektiv, also innerlich diesen Nationen anzuschließen. (Da ein solcher Massenbetrug schwer zu organisieren ist, liegt hier eine Schwäche des Djihad.)

Da aber auch eine strategisch günstig plazierte Minderheit in einer Demokratie eine gewisse Masse auf die Waage bringen muss, geht es darum, die Anzahl der Muslime relativ zu der der „Ungläubigen“ zu erhöhen. Auch dies war schon immer so, und ich habe bereits in meiner Analyse des medinensischen Korans darauf hingewiesen, dass sowohl die Heiratsgebote als auch das Apostasieverbot dazu dienen, das stetige Wachstum der Umma auf Kosten nichtmuslimischer Gemeinwesen zu gewährleisten. Demographische Kriegführung, und zwar mit allen Mitteln, gehört seit den Tagen des Propheten zu den hervorstechenden Merkmalen islamischer Politik.

(Emmanuel Todd hat jüngst in seinem Buch „Die unaufhaltsame Revolution“ den Nachweis zu führen versucht, dass dem heute nicht mehr so sei, weil die Geburtenraten auch in der islamischen Welt zurückgingen. Ich hoffe, dass ich demnächst dazu komme, dieses Buch zu rezensieren, nur so viel vorab: Aus Todds eigenen Zahlen, und er hat eine eindrucksvolle Fülle von Statistiken vorgelegt,  geht hervor, dass in denjenigen Ländern, in denen sowohl muslimische als auch nichtmuslimische Bevölkerungsgruppen leben, die muslimische Geburtenrate ausnahmslos(!!!) höher liegt als die der Nichtmuslime. Erwähnt oder gar problematisiert hat er diesen Sachverhalt natürlich nicht.)

Unter den heutigen Bedingungen ist selbstredend die Massenmigration eines der wirksamsten Mittel, die demographischen Kräfteverhältnisse zu verschieben.

Ist ein Land erst einmal für den Islam „geöffnet“, so gehört zu den klassischen, zum Teil bereits im Koran verankerten, in jedem Falle aber bereits in frühislamischer Zeit angewandten Mitteln der Islamisierung die sogenannte „Dhimma“ – ein „Schutzvertrag“ nicht unähnlich denen, die die Mafia mit den von ihr „beschützten“ Pizzeriabetreibern abzuschließen pflegt. (Mag es auch ein Zufall sein, so ist es in jedem Fall ein höchst beredter Zufall, dass die klassische Mafia aus Gebieten stammt, sie jahrhundertelang unter islamischer Herrschaft standen.) Die unterworfenen Christen und Juden mussten sich ihr Recht auf Leben, Nichtversklavung und Ausübung ihrer Religion mit riesigen Summen erkaufen, vor allem aber dadurch, dass sie mit den Muslimen einen Vertrag schlossen, dessen Spielregeln auf die Islamisierung der „geöffneten“ Gesellschaften hinausliefen.

Analysiert man den Inhalt solcher Verträge unter diesem Gesichtspunkt, so lassen sich vier typische strategische Ansatzpunkte für Islamisierungsstrategien identifizieren:

Erstens: Diskriminierung und Demütigung der „Ungläubigen“. Dazu gehören alle Regelungen, die demonstrieren sollten, dass die „Ungläubigen“ Menschen minderen Rechts und minderen Werts waren. Sie waren verpflichtet, sich den Muslimen gegenüber stets ehrerbietig und unterwürfig zu verhalten, mussten ihnen auf der Straße Platz machen, hatten sich beleidigen und bei der Entrichtung der nur ihnen auferlegten Kopfsteuer vom muslimischen Steuereintreiber schlagen zu lassen. Und so weiter. Der Katalog ist ziemlich lang.

Zweitens: Permanente strukturell verankerte Gewaltandrohung. Dhimmis durften keine Waffen besitzen, sich gegen körperliche Angriffe von Muslimen nicht verteidigen, und konnten sich nicht einmal vor Gericht Recht verschaffen, weil ihre Aussage gegen Muslime nicht galt. Sie waren also der Drohung mit Gewaltanwendung wehrlos ausgesetzt. Natürlich war die willkürliche Tötung, Verletzung oder Beraubung von Christen und Juden nach dem islamischen Recht verboten, aber dieses Verbot stand in der Regel auf höchst geduldigem Papier: Wo kein Kläger, da kein Richter; wo die Macht des Herrschers nicht hinreicht, da gilt kein Gesetz; und wo dieses Gesetz gilt, gilt noch lange kein Recht.

Drittens: Beherrschung des öffentlichen Raumes. Kirchen und Synagogen durften nicht aus- und schon gar nicht neu gebaut, religiöse Symbole von Christen und Juden nicht öffentlich präsentiert werden. Prozessionen waren verboten, Glockenläuten natürlich auch. Demgegenüber wurden große und repräsentative Moscheen gebaut, und zwar nicht nur als Bethäuser. Moscheen waren von Anfang an der Ort, an dem Muslime unter sich waren. Sie waren Treffpunkt, soziale Begegnungsstätte und Kommandozentrale in einem. Sie waren – mit einem Wort – Dreh- und Angelpunkte der Islamisierung. Es ging bei alldem darum, zu verhindern, dass die Muslime, die ja eine Minderheit waren, in der Mehrheitsbevölkerung aufgingen. Vor allem aber ging es darum, mit der Gewalt der Architektur zu demonstrieren, dass das jeweilige Gemeinwesen, ungeachtet der geringen Anzahl an Muslimen, ein islamisches war!

Viertens: Verbot jeglicher Kritik am Islam. Bereits der Koran behandelt Kritik am Islam als feindlichen Angriff und todeswürdiges Verbrechen, während der Prophet andererseits keinerlei Bedenken hatte, andere Religionen und deren Anhänger nach Herzenslust zu verleumden und zu verunglimpfen. Demgemäß verboten die „Schutzverträge“ den „Ungläubigen“ ausnahmslos jede Kritik am Islam, jegliches Werben für die eigene Religion und jeden Versuch, Muslime zu bekehren.

Wenn man sich all dies vor Augen hält und dabei bedenkt, dass solche Regeln rund 1400 Jahre lang das Verhältnis von Muslimen zu Nichtmuslimen prägten, dann muss man ernsthaft fragen, wie einfältig jemand sein muss, der Friedfertigkeit, Humanität und Toleranz von Menschen erwartet, die fünfzig Generationen lang dazu erzogen wurden, in Andersgläubigen … ja, Untermenschen zu sehen. Der Versuch, solche Dispositionen innerhalb von einer oder zwei Generationen zu beseitigen, wäre selbst dann zum Scheitern verurteilt, wenn er ernsthaft unternommen würde. Gerade davon kann aber überhaupt nicht die Rede sein. Die Selbstabschottung der muslimischen Parallelgesellschaften dient und führt vielmehr dazu, jeglicher Aufweichung der überkommenen Mentalität einen Riegel vorzuschieben.

Es ist keineswegs ein Zufall, sondern zeigt die tiefgreifende Kontinuität muslimischer Weltauffassung und Mentalität an, wenn Konflikte zwischen Muslimen und den Mehrheitsgesellschaften westlicher Länder sich an genau denjenigen vier Themen entzünden, die wir soeben als die zentralen Djihad-Themen identifiziert haben: demonstrative Dominanz, permanente latente oder offene Gewaltandrohung, Beherrschung des öffentlichen Raumes, Unterbindung von Kritik am Islam.

Fasst man dies zusammen, so lautet der Leitgedanke des Djihad, einen Zustand herbeizuführen, in dem die Gesellschaft aus tretenden Muslimen und getretenen „Ungläubigen“ besteht und damit für Letztere ein unwiderstehlicher Anreiz geschaffen ist, sich durch Übertritt zum Islam den Herrenmenschen-Status zu sichern. (Wenn Muslime „Respekt“ einfordern, meinen sie in diesem Zusammenhang die Anerkennung ihres vermeintlichen Rechts, Andersgläubige zu verachten und entsprechend zu behandeln.)

Einen solchen Zustand kann man natürlich nicht herbeiführen, wenn man sich am geltenden positiven Recht orientiert. Wenn sich aber der Staat – und damit das Recht – aus seinen Kernfunktionen zurückzieht (nämlich der Unterbindung privater Gewaltanwendung und der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung), dann spielt er direkt dem Djihad in die Hände. Wo der Staat die Beachtung seines Regelwerks nicht durchsetzt, etabliert sich nicht etwa die Regellosigkeit, sondern die Regeln Dessen, der am lautesten und am glaubwürdigsten mit Gewalt droht; im Zweifel wird dies der Islam sein.

Konsequenz: Es wird darauf ankommen, der permanenten Regelverletzung im öffentlichen Raum – dem Schlagen, Pissen, Kotzen, Grölen, Saufen, Beleidigen, Graffitisprühen, Scheibeneinwerfen – einen Riegel vorzuschieben, und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob diese Regelverletzung im Einzelfall von Muslimen oder von Nichtmuslimen ausgeht: Die öffentliche Anarchie als solche öffnet dem Djihad Tür und Tor, auch dann, wenn sie von Deutschen ausgeht.

Das Mindeste, was Jeder tun kann, ist, ein Handy dabeizuhaben, um in solchen Fällen die Polizei zu rufen. Effektiver wird es häufig sein, selbst einzugreifen. Wer dies tut (und ich finde, Jeder sollte das tun), sollte bewaffnet sein. Im Rahmen der Gesetze, versteht sich; allein schon, um nicht vor Gewaltdrohungen zurückweichen zu müssen.

(Nochmal: Dieser Beitrag bietet nur einen Werkzeugkasten, noch dazu einen unvollständigen, von Vorschlägen; nicht Jeder muss alles machen.)

Der zweite zentrale Ansatzpunkt im Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum ist die Verhinderung von Moscheebauten, nebenbei gesagt ein hervorragender Anlass, die Öffentlichkeit über den Islam aufzuklären. Ich halte es für richtig, die Pro-Parteien, die sich gerade auf dieses Thema eingeschossen haben (und zwar durchaus mit Erfolg), bei solchen Aktionen zu unterstützen, auch wenn man selber kein Nationalkonservativer ist. (Überhaupt kann man die Arbeit von islamkritischen Organisationen unterstützen, zum Beispiel durch Spenden. Dazu gehören nicht nur Parteien, sondern etwa auch MEMRI, PI oder CSI.)

Ich habe oben gesagt, dass Regellosigkeit eine Einladung an den Djihad darstellt, islamische Normen zu etablieren. Diese Feststellung bezieht sich nicht nur auf den physischen öffentlichen Raum, sondern auch auf den moralischen. Das „Anything goes“, das für liberale, akademisch gebildete, wohlhabende Großstadtbewohner befreiend ist, ist für viele andere Menschen eine Überforderung. Der Islam profitiert nicht zuletzt davon, dass er ein rigides Regelwerk propagiert, während die christlichen Kirchen, insbesondere die evangelische, dazu neigen, von jeder Forderung an ihre Gläubigen Abstand zu nehmen.

Wer selber Liberaler ist, wird natürlich nicht seinen Lebensstil umstellen, nur um dem Islam zu schaden. Er sollte trotzdem dazu beitragen, ein konservatives Christentum zu stärken, und sei es nur dadurch, dass er bei Gemeindewahlen von seinem Stimmrecht Gebrauch macht. Sofern er Protestant ist.

Wir wissen, was im islamischen Kontext unter „Respekt“ zu verstehen ist und wie er mit dem islamischen Anspruch auf Dominanz und Immunität zusammenhängt. Wer dem nachgibt, trägt zur Islamisierung bei. Es ist entscheidend, dem Islam jeglichen Respekt zu verweigern, und zwar ebenso demonstrativ, wie er ihn einfordert! Da ist alles erlaubt: Kritisieren, beschimpfen, verhöhnen, lächerlich machen…

Das alles sind Dinge, die jeder Einzelne tun kann, und ich überlasse es der Phantasie meiner Leser, die Liste zu verlängern und zu konkretisieren. Der klassische Einwand, und zugleich das Grundproblem jeglichen kollektiven Handelns lautet aber:

„Was bringt es, wenn ICH das alles tue, sonst aber niemand oder nur Wenige? Und was bringt es der Gesellschaft, sich zu wehren, wenn der Staat ihr mit einer angeblichen ‚Integrations‘-Politik in den Rücken fällt?“

Wir haben es hier mit sich selbst bestätigenden Erwartungen zu tun. Jeder erwartet, dass keiner etwas tut, also tut wirklich keiner etwas. Jeder erwartet, dass der Staat das Falsche tut, daher tut er es tatsächlich (Wer es genauer wissen will, wie solche sich selbt erfüllenden Prophezeiungen funktionieren, dem empfehle ich den Klassiker von Elisabeth Noelle-Neumann: Die Schweigespirale). Der Grund für diese Erwartungen ist die Existenz einer Ideologie namens Political Correcness. Wenn ich bis jetzt die Mikro-Ebene politischen Handelns beleuchtet habe, so geht es im Folgenden um die Makro-Ebene: Wie kann man die politischen Bedingungen für den Gegendjihad verbessern?

Jede Gegendjihadstrategie, davon wird man realistischerweise ausgehen müssen, stößt auf den Widerstand der Eliten und deren Ideologie der Political Correctness. Wenn es darum geht, diesen Widerstand zu brechen (oder auch aufzuweichen, auszumanövrieren etc, in jedem Fall aber unschädlich zu machen) müssen wir uns zunächst fragen, wie er eigentlich konkret organisiert ist:

Es gibt drei gesellschaftliche Teilsysteme mit den dazugehörenden Institutionen und Eliten, die in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle spielen:

  • Politik
  • Wissenschaft, speziell die Geistes- und Sozialwissenschaften
  • Medien

(Kunst, Religion und Bildungswesen sind natürlich auch wichtig, ich lasse sie aber jetzt weg, damit dieser Artikel nicht völlig ausufert)

In allen drei Bereichen herrscht das Prinzip der Elitenrekrutierung durch Kooptation, zu deutsch: Wer aufsteigt, bestimmen die, die schon oben sind. In Medien und Wissenschaft ist das offensichtlich, es gilt aber auch für die Politik: Natürlich gibt es Wahlen, aber es sind die politischen Oligarchien, also die Eliten, die darüber bestimmen, wer überhaupt gewählt werden kann.

In diesem Sachverhalt liegt der Schlüssel zu der Frage, wie PC funktioniert:

Zur Elite zugelassen wird nur, wer ihre informelle Ideologie der PC teilt. „Informell“ heißt: Sie ist nirgendwo fixiert, sondern von den Eliten als kulturelle Selbstverständlichkeit verinnerlicht. Dass es sie gibt, und dass sie als wirksamer Filter fungiert, der die Zulassung bzw. Nichtzulassung zur Elite regelt, erkennt man einerseits an der ideologischen Gleichförmigkeit, die den Äußerungen dieser Eliten zugrundeliegt, zum anderen aber auch, und vor allem, an den seltenen Fällen, in denen ein bereits zugelassenes Mitglied der Elite wieder aus ihr verbannt wird (Eva Herman, Martin Hohmann, Ernst Nolte) oder nur durch schleunige 180-Grad-Drehung diesem Schicksal entgehen kann (Günther Oettinger).

Da diese PC eben von den Eliten verinnerlicht ist, gilt sie als der Inbegriff des Seriösen, Intelligenten und Moralischen. Ihr Kern ist die linke Ideologie, wonach die vertikale Differenzierung der Gesellschaft ein verurteilenswerter Missstand sei, dem es abzuhelfen gelte, und zwar – wenn schon nicht durch Sozialismus, so doch – durch systematische Förderung der Interessen der vermeintlich „Benachteiligten“ und „Unterprivilegierten“, und zwar auf Kosten der angeblich Privilegierten: also von Frauen gegen Männer, von Ausländern gegen Inländer, von Homo- gegen Heterosexuelle, von Sozialhilfeempfängern gegen Steuerzahler, von Entwicklungsländern gegen Industrieländer, von Palästinensern gegen Israelis, generell von Minderheiten gegen Mehrheiten usf., wobei diese Interessen nicht etwa offen als solche benannt und verfochten werden – was ja legitim wäre, wenn es nicht unter dem Deckmantel wissenschaftlicher und journalistischer Objektivität geschähe.

Vielmehr wird gerade in diesen beiden Bereichen der beanspruchten Objektivität eine ihrem Wesen nach moralische Wertung vorgeschaltet – selbstverständlich ohne dass das zugegeben würde. Ich zitiere mich selbst:

„Die gesellschaftliche Funktion sowohl der Medien als auch der Wissenschaft besteht … darin, die Flut der anfallenden Informationen zu filtern und zu verarbeiten, und zwar nach jeweils systemeigenen Kriterien.

Dabei sortiert die Wissenschaft nach dem Kriterium “wahr/unwahr” (wobei die Unterscheidung nach wissenschaftsspezifischen Regeln erfolgt), die Medien nach dem des öffentlichen Interesses: Was Keinen interessiert, wird nicht gesendet.

Normalerweise.

Die Kriterien aber, nach denen die etablierten Meinungseliten den Zugang gewähren bzw. verweigern, zeichnen sich gerade durch ihre Systemwidrigkeit aus: Es geht nämlich gar nicht darum, ob eine Meinung wahr oder unwahr bzw. von öffentlichem Interesse ist oder nicht.
Es handelt sich vielmehr um politische oder auch moralische, in jedem Fall aber systemfremde Kriterien, deren Anwendung zwangsläufig dazu führt, dass die Medien [und die Wissenschaft, K.] ihre gesellschaftliche Funktion, nämlich die der Selbstverständigung der Gesellschaft, nur noch eingeschränkt erfüllen.

Wir haben es hier, um es deutlich zu sagen, mit mutwilliger, politisch motivierter Sabotage eines zentralen gesellschaftlichen Funktionsbereiches zu tun“

Und genau darin, d.h. in dem Widerspruch zwischen den Normen, auf die sie sich berufen, und den Normen, die sie tatsächlich beachten, liegt eine von zwei Achillesfersen der Eliten beider Funktionssysteme.

In einer modernen Gesellschaft sind wir ja alle auf Expertensysteme angewiesen: Wer ein Flugzeug besteigt, verlässt sich darauf, dass viele tausend Menschen, die er gar nicht kennt, ihre Arbeit korrekt erledigt haben: Ingenieure, Mechaniker, Mitarbeiter der Flugsicherung, Piloten usw. Er verlässt sich darauf, weil er weiß, dass es tausenderlei Kontrollen gibt, die sicherstellen, dass das Flugzeug im Normalfall nicht abstürzt.

Analog verlassen sich die Menschen auf die Medien bzw. die Wissenschaft nur deshalb und nur so lange, wie sie glauben, dass dort im Großen und Ganzen alles mit rechten Dingen zugeht, d.h. die Systeme nach einem Modus arbeiten, der auf die Verbreitung von Wahrheiten bzw. die Eliminierung von Unwahrheiten ausgerichtet ist. Wenn sie aufhören, das zu glauben, droht beiden Systemen und ihren Eliten die De-Legitimierung.

Die zweite Achillesferse ist, dass diese Elitenherrschaft, wie jede Herrschaft, eine von Wenigen über Viele ist – PC basiert auf der systematischen Missachtung der Interessen der Mehrheit – und nur so lange funktioniert, wie es ihr gelingt, die Informationsströme zu zentralisieren, d.h. eine horizontale Vernetzung der Vielen zu unterbinden.

An diesem Punkt kommt die von Fjordman angesprochene Blogosphäre ins Spiel, die nichts anderes als diese horizontale Vernetzung ist. Wenn man sieht, mit welcher Wut sowohl Journalisten als auch Wissenschaftler auf die Blogosphäre einprügeln, dann lässt sich daraus nur ein Schluss ziehen: Die wissen ganz genau, dass die Blogosphäre ihr gesellschaftliches Deutungsmonopol untergräbt.

Strategien des Gegendjihad sollten also solche der De-Legitimierung der Eliten sein und auf der systematischen und bewussten Nutzung der Chancen basieren, die das Internet bereitstellt.  Auf diesem Wege wird man die PC zwar nicht aus den Köpfen der Eliten zwingen. Man kann sie aber in die Defensive drängen und nötigen, sich zumindest an die von ihnen selbst definierten wissenschaftlichen bzw. journalistischen Standards zu halten, und bereits das wäre ein bedeutender Fortschritt.

Das Wachstum der Blogosphäre – soviel glaube ich prognostizieren zu können – wird mit Differenzierung, Spezialisierung und Professionalisierung einhergehen, nicht anders als beim Buchdruck oder beim Fernsehen. Ich halte es für durchaus möglich und sogar für wahrscheinlich, dass sich dort Gegeneliten herausbilden werden, die die bisherigen Eliten nicht nur in die Defensive drängen, sondern langfristig in der Meinungsführerschaft ablösen werden. Es gibt also durchaus objektive Tendenzen, die man nutzen und bewusst vorantreiben und lenken kann, statt passiv die Ergebnisse abzuwarten – im Sinne der Marxschen Idee, die Verhältnisse dadurch zum Tanzen zu bringen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorspielt.

Ich habe mich jetzt sehr stark auf Medien und Wissenschaft konzentriert und dabei die Politik erst einmal hintangestellt. Das hatte einen theoretischen und einen praktischen Grund.

Der theoretische lautet, dass ich nicht an die „Macht“ der Politik glaube. Ich glaube nicht, dass es auf die guten oder bösen Absichten von Politikern wirklich ankommt. Ich gehe von der simplen Annahme aus, dass Politiker vor allem an der Macht bleiben wollen (wie immer es um diese „Macht“ tatsächlich bestellt sein mag), und dass sie deswegen den Weg des geringsten Widerstandes gehen werden. (Als beispielsweise die Politiker anfingen, statt „Liebe Mitbürger“ „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“ zu sagen, war das nicht ihre eigene Idee, sondern eine Reaktion auf die vulgärfeministische Propaganda, dass es frauenfeindlich sei, nicht stets und ausdrücklich die Frauen mitzuerwähnen.)

Welcher Weg nun der des geringsten Widerstandes ist, hängt von den Rahmenbedingungen ab. Wenn man die verändert, verändert man auch die Politik. Die PC von Politikern wird wesentlich dadurch beeinflusst, dass die Eliten anderer Bereiche, eben speziell von Wissenschaft und Medien, definieren, was man sagen und tun kann, ohne sein Amt zu verlieren. Deswegen habe ich diese beiden Bereiche als die zentralen Angriffspunkte an die Spitze gesetzt.

Der praktische lautet, dass die Politik etwas anders funktioniert als die Wissenschaft oder die Medien und deshalb auch auf andere Weise in die Mangel genommen werden muss. Bei der Politik besteht wenigstens prinzipiell die Möglichkeit, auf ihren Rekrutierungsmodus Einfluss zu nehmen:

Zum einen durch Gründung bzw. Wahl einer rechtskonservativen Partei mit Schwerpunkt Islamkritik. Das, was es bis jetzt an solchen Parteien gibt („Pax Europa“, „Pro Deutschland“), sieht nicht so ermutigend aus, dass man darauf seine Hoffnungen setzen sollte. In jedem Fall besteht hier aber Diskussions- und vor allem Handlungsbedarf. Ich bin überzeugt davon, dass eine solche Partei unter vernünftiger Führung zumindest die Chance hätte, ins Parlament zu kommen (ob an die Regierung, ist eine andere Frage). In Österreich oder Dänemark ist das schon der Fall, und ich sehe keinen Grund, warum es in Deutschland nicht möglich sein sollte. Der Erfolg der Linkspartei hat gezeigt, dass es durchaus möglich ist, als Flügelpartei das gesamte politische Kräfteparallelogramm zu verschieben.

Zum anderen geht es nicht nur darum, diese oder jene Partei ins Parlament zu bringen, sondern den gesamten Modus zu verändern, nach dem Politik überhaupt funktioniert. Es geht um die Demokratisierung von Politik.

Auch hier wird man die Bataillone zunächst im Internet sammeln müssen. Wichtig ist dabei, die Debatte sowohl der Qualität wie der Breite nach auf ein Niveau zu bringen, das von der Politik nicht mehr ignoriert werden kann. Momentan wird „Demokratisierung“ vor allem unter dem Gesichtspunkt diskutiert, dass die Einführung von Volksabstimmungen wünschenswert wäre. Was sie ja in der Tat ist.

Nur sind Volksabstimmungen dort, wo sie existieren, in der Regel nicht mehr als Notbremsen, die das Volk von Zeit zu Zeit ziehen kann, wenn die Politik seine Wünsche allzu breitärschig ignoriert. Sie ändern nichts daran, dass die Initiative in praktisch allen wichtigen Bereichen bei den politischen Eliten verbleibt, und sie ändern nichts an der Neigung von Politikern, sich der Verantwortung für die von ihnen selbst gewollte Politik dadurch zu entziehen, dass sie sie in Gestalt internationaler Verträge als Sachzwang etablieren, für den irgendwie niemand verantwortlich zu sein scheint.

Eine Debatte, die sich auf Volksabstimmungen fokussiert, würde der Politik einen Knochen in die Hand geben, den sie bei Bedarf dem Volk hinwerfen kann, um sich weitere zwanzig Jahre Ruhe vor weiterer Demokratisierung zu erkaufen. Es geht also darum, dass Thema „Demokratisierung“so zu lancieren, dass auch Aspekte wie die Auswahl der Kandidaten (etwa nach dem Muster der amerikanischen Vorwahlen) und die prinzipielle Demokratiefeindlichkeit bestimmter internationaler Strukturen (EU, WTO, IWF etc.) thematisiert werden.

Wie gesagt: All das sind nur Bausteine von Strategien, und zwar Bausteine, die flexibel miteinander kombiniert werden können, aus denen sich Jeder bedienen kann, und die niemanden unter das Joch irgendeiner „Linie“ zwingen. Gerade deshalb glaube ich, dass gerade Überlegungen dieser Art geeignet sind, sehr verschiedene Richtungen des Gegendjihad unter einen Hut zu bringen.

Du sollst Christentum und Judentum hassen

von Fjordman

(Original vom 23. Oktober 2006: Thou Shalt Hate Christianity and Judaism; Übersetzung von Eisvogel) 

Als nicht-religiöser Mensch, der aber dennoch den Einfluss jüdisch-christlichen Denkens auf die westliche Kultur anerkennt und respektiert, habe ich schon oft vor naivem christlichem Mitgefühl im Zusammenhang mit moslemischer Einwanderung gewarnt. Ebenso habe ich vor der beunruhigenden Tendenz allzu vieler christlicher Vereinigungen gewarnt, sich mit Moslems “für religiöse Werte” und gegen Israel zu verbünden. Aber offen gestanden findet man die nützlichsten Verbündeten, die Moslems im Westen haben, in der breiten Masse der Nicht-Religiösen.

Einige Verantwortliche und Fernsehstars der British Broadcasting Corporation haben zugegeben, was Kritiker bereits wussten: Die BBC wird von linksgerichteten Liberalen dominiert, die antiamerikanisch eingestellt und gegenüber dem Christentum voreingenommen sind, aber Sensibilität für die Gefühle von Moslems zeigen. Der frühere BBC-Redakteur Jeff Randall sagte, er habe sich an sehr hoher Stelle über die pro-multikulturelle Einstellung der BBC beklagt und darauf die Antwort erhalten: “Die BBC ist nicht neutral in Sachen Multikulturalismus: sie glaubt daran und wirbt dafür.”

Das anti-christliche Element scheint ein Merkmal zu sein, das alle Multikulturalisten in westlichen Ländern gemeinsam haben. Thomas Hylland Eriksen ist Professor für Soziale Anthropologie an der Universität Oslo. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben und veröffentlicht regelmäßg Essays in Zeitungen. Er hat auch den Vorsitz über ein großes Projekt inne, das sich mit der Erforschung der multikulturellen Gesellschaft in Norwegen befasst.

Hylland Eriksen hat den Tod der Nationen proklamiert, als ob es ihm Vergnügen bereiten würde, und hat festgestellt, dass die Nidaros Kathedrale (Nidarosdomen), die bedeutendste Kirche des Landes, nicht mehr als Nationalsymbol unserer multikulturellen Gesellschaft dienen sollte. Herr Eriksen ist kürzlich mit zwei Brüdern namens Anfindsen zusammengestoßen, die die zweisprache Website HonestThinking.org betreiben.

(Hier geht es weiter…)

Geschützt: Der mekkanische Koran: Eine Themenanalyse

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Christlicher Fundamentalismus

Die Weihnachts- und Neujahrspause ist vorüber, sogar der Schreibtisch ist wieder geordnet, das Arbeitsjahr hat begonnen. Zeit, mich wieder meinem Blog zu widmen. Ach ja: Frohes Neues Jahr allerseits!

Wieder ist es einer meiner Kommentatoren, diesmal Flash, der mich zu einigen grundsätzlichen Überlegungen herausfordert, und zwar durch seine Kommentare zu meinen Beiträgen über die christlichen Wurzeln der Demokratie und über den Untergang des Römischen Reiches.

Flash ist ein fundamentalistischer Christ, und, soweit ich das beurteilen kann, einer der sympathischen, in jedem Fall aber der geistreichen Sorte. Er vertritt eine Reihe von Thesen, die ich unmöglich unkommentiert stehen lassen kann; da aber die Replik jeden Kommentarstrang sprengen würde, mache ich gleich einen Beitrag daraus.

Es gibt einfach keine Höherentwicklung von Lebensstandard und Zivilisation ohne damit einhergehende Degenerationserscheinungen, die am Ende zu heftigen Umwälzungen führen. Wir erleben m.E. zur Zeit wieder genau das: ein Anschwellen des Wohlstandes mit einhergehendem Verlust von ethischen Prinzipien.

(…)

Ein kulturell-religiöses Vakuum, das der Islam mit wachsendem Erfolg ausfüllt, wo er mit Verve hineindrängt. Es wäre schön, wenn es wenigstens christlichen Fundamentalismus gäbe, der diesem Prozeß Widerstand entgegensetzen würde – den gibt es aber nicht. Mir wäre es echt lieber, wenn im Biologieunterricht die Schöpfungsgeschichte behandelt würde und dafür der Islam chancenlos ist…“

Und an anderer Stelle:

Hier liegt eine der Ursachen für den Niedergang des Christentums in Europa: Selbstdemontage der jahrhundertelang unveränderten Schriftgrundlage durch bibelkritische Theologie.

Insofern ist das eine extrem fundamentalistische Position, die aber nicht “schädlich” oder aggresiv ist, aus dem einfachen Grund, weil eben das zugrundeliegende schriftliche Fundament nicht schädlich und aggressiv ist! Das sollte jeder Fundamentalismus-Kritiker dreimal lesen und auch begreifen. Biblischer Fundamentalismus ist ja eben gerade *pazifistisch, *geschlechterneutral, *gewaltablehnend, *legalistisch, *wissenschaftsfreundlich, *tolerant, *demokratieermöglichend, *bildungs- und leistungsfördernd etc. pp.“

Einige Zeilen zuvor:

Es wäre sicherlich lohnend, einmal von dir erklärt zu bekommen, worin das Schädliche und sogar Denkfeindliche der Schöpfungsgeschichte für die moderne Gesellschaft besteht, lieber Manfred. Das dürfte ein lohnendes, weil brandaktuelles Thema sein.“

Das ist es in der Tat, und ich bin der Meinung, dass eine Gesellschaft, die die biblische Schöpfungsgeschichte als gleichrangige und gleichartige Alternative zur Evolutionstheorie behandelt, über kurz oder lang aufhören wird, eine demokratische Gesellschaft zu sein.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich liebe das Buch Genesis. Nur betrachte ich es nicht als naturwissenschaftliches Werk, sondern als Allegorie, die das Verhältnis Gottes zur Welt und zum Menschen in literarischer Verfremdung und Verdichtung beschreibt. Die Wahrheit, die in ihr liegt, hat mit empirischer Wirklichkeit nichts zu tun. Es handelt sich um eine Glaubenswahrheit.

Solche Glaubenswahrheiten, genauer: religiöse Aussagen, unterscheiden sich fundamental von empirischen Aussagen, d.h. solchen über die äußere Wirklichkeit. Letztere können unter Berufung auf Tatsachen in Verbindung mit der formalen Logik angefochten oder bestätigt werden – das Prinzip wissenschaftlicher und überhaupt rationaler Argumentation. Entscheidend ist, dass über die Wahrheit oder Unwahrheit solcher Aussagen nach objektiven, sprich von der Willkür des Einzelnen unabhängigen Kriterien entschieden werden kann.

Es gibt allerdings Dimensionen der menschlichen Existenz – Seele, Ewigkeit, Schöpfung -, über die sich nichts aussagen lässt, was mit empirischen Argumenten gestützt werden könnte, zu denen man sich aber ungeachtet dessen verhalten muss, und denen man sich daher gar nicht anders als durch den Glauben nähern kann – worin auch immer dieser Glaube besteht: Die Grundaussage des Atheismus, Gott existiere nicht, ist ihrem Wesen nach nicht weniger religiös als die, er sei der Schöpfer des Himmels und der Erde. Beweisen oder widerlegen lässt sich weder das eine noch das andere.

Wahrheiten dieser Art haben notwendig einen anarchistischen Zug: Sie sind nicht von objektiven Gegebenheiten abhängig, und für jeden Gläubigen gilt: Was Wahrheit ist, bestimme ich!

Daran ändert sich auch prinzipiell nichts, wenn dieser Glaube von Anderen, und wären es Millionen, geteilt wird. Was sich aber dadurch ändert, ist, dass der Glaube in Gestalt der Religion sozial institutionalisiert wird, und dass das Recht, „Wahrheit“ zu dekretieren, auf ein soziales System übergeht. Dagegen ist so lange nichts einzuwenden, wie das System bereit ist, die sprichwörtliche Kirche im Dorf zu lassen, seinen Wahrheitsanspruch also auf den Bereich zu beschränken, wo Wahrheiten naturgemäß Glaubenswahrheiten sein müssen.

Welche Folgen es aber haben muss, wenn empirische Aussagen auf diesem Wege getroffen, also par ordre du Mufti dekretiert werden, und eben nicht im Wege tatsachenbezogenen rationalen Argumentierens, und welche Implikationen es hat, wenn die Gesellschaft das akzeptiert, wird klar, wenn man nach der Bedeutung des rationalen Diskursmodus für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft fragt. Das, was ich den „rationalen Diskursmodus“ nenne, ist ein einfaches System von Spielregeln, mit deren Hilfe Konsens darüber erreicht wird, ob ein System von Aussagen wahr sein kann:

1. Es muss mit bekannten Tatsachen übereinstimmen.

2. Es muss in sich logisch sein.

3. Es muss prinzipiell durch Tatsachen widerlegbar sein.

Man kommt auf diesem Wege nicht etwa zu der Wahrheit schlechthin; mit den bekannten Fakten können durchaus mehrere konkurrierende Aussagesysteme kompatibel sein, die jeweils in sich schlüssig und prinzipiell falsifizierbar sind. Es kann auch sein, dass kein einziges der „auf dem Markt“ befindlichen Aussagesysteme wahr ist (weil noch keiner auf die Wahrheit gekommen ist). Und es ist theoretisch sogar möglich, dass prinzipiell nichtfalsifizierbare Aussagen, die man auf rein spekulativem Wege gewonnen hat (Etwa: Der liebe Gott hat einen langen weißen Bart), trotzdem wahr sind. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber möglich ist es. In einem solchen Fall könnten sie, ungeachtet ihrer inhaltlichen Richtigkeit, wegen ihres Verstoßes gegen Kriterium 3 niemals als potenzielle Wahrheiten sozial anerkannt werden.

Wozu also taugt der rationale Diskursmodus, wenn nicht dazu, zu garantiert wahren Aussagen zu gelangen? Gewiss zur Eliminierung von garantierten Irrtümern – aber dazu würden schon die Kriterien 1 und 2 genügen. Wozu also Kriterium 3? Und zwar nicht im wissenschaftlichen, sondern im allgemeingesellschaftlichen, speziall politischen Kontext, d.h. dort, wo es darum geht, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen, die die Freiheit des Einzelnen beschränken? Es dient dazu, zu verhindern, dass solche Entscheidungen auf der Basis von Wahrheitsansprüchen getroffen werden, die einer Überprüfung nicht zugänglich sind, sondern von partikularen Gruppen aus eigener Machtvollkommenheit erhoben werden!

Aussagesysteme, die dem Kriterium 3 nicht entsprechen, sind ihrer Struktur nach, d.h. unabhängig von ihrem Inhalt, Glaubenssysteme; ihre Nichtüberprüfbarkeit ist gleichbedeutend mit Nichtkritisierbarkeit, mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit, und ist damit die ideologische Grundlage totalitärer Herrschaft.

Beispiele gefällig?

Der Islamismus beruht auf der Annahme, der Koran sei unmittelbar Gottes Wort; weswegen es geboten sei, jeglichen Widerstand gegen seine sozialen und politischen Forderungen mit Gewalt zu brechen.

Der Marxismus beruht auf der Annahme, das Proletariat habe die historische Mission, den Kommunismus zu errichten, und habe deshalb alle anderen Klassen zu vernichten.

Der Nationalsozialismus beruht auf einer antisemitischen Verschwörungstheorie. (Eine Verschwörungstheorie ist niemals falsifizierbar, weil sie alle ihr widersprechenden Tatsachen als Blendwerk eben der behaupteten Verschwörung abtut, also zirkulär argumentiert.)

(Und wenn man die Political Correctness als totalitäre Ideologie bezeichnet, so liegt dies im Kern daran, dass sie Tatsachenbehauptungen nicht nach dem Kriterium von „wahr“ und „unwahr“, sondern nach dem von „gut“ und „böse“ beurteilt, sich also der tatsachengestützten Kritik durch apriorische willkürliche Setzung entzieht.)

Solche Ideologien kann man nicht dadurch bekämpfen, dass man sie mit ihnen widersprechenden Tatsachen konfrontiert; gegen Tatsachen haben sie sich ja gerade immunisiert. Ich kann die Nichtexistenz der  Verschwörung der Weisen von Zion genausowenig beweisen wie die Nichtinspiration des Korans durch Gott oder die Unrichtigkeit marxistischer Axiome.

Was ich aber beweisen kann, ist die Selbstimmunisierung solcher Ideologien gegen Tatsachen durch systematisch herbeigeführte prinzipielle Nichtfalsifizierbarkeit, also durch Verletzung der Regeln des rationalen Diskurses. Diese an sich schärfste Waffe antitotalitärer Ideologiekritik muss stumpf werden, wenn diese Regeln nicht mehr als allgemein geläufig vorausgesetzt werden können. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sie jedermann explizit bekannt sind: Die Regeln der Grammatik sind es ja auch nicht, trotzdem wenden wir sie richtig an. Diese Fähigkeit ist die Voraussetzung dafür, Glaubenssysteme als solche zu erkennen und von rational begründeten empirischen Aussagesystemen zu unterscheiden. Sie ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, totalitäre von nichttotalitären Ideologien zu unterscheiden, und eine Gesellschaft, die diese Fähigkeit verliert, hat beste Aussichten, irgendeinem Totalitarismus zum Opfer zu fallen.

Womit die Frage beantwortet sein dürfte, warum ich überhaupt nichts davon hielte, wenn der demokratische Staat selbst, noch dazu in seinen Bildungseinrichtungen (!) sich über diesen Unterschied hinwegsetzte und ihn verwischte, indem er den „Kreationismus“ in seine Lehrpläne aufnähme.

Zwei Punkte muss ich allerdings klarstellen:

Erstens: Ich habe nur von empirischen, nicht aber von normativen Aussagen gesagt, dass sie nicht religiös begründet sein dürfen; für moralische Wertentscheidungen gilt dies selbstverständlich nicht; die können als höchst individuelle Entscheidungen sehr wohl religiös begründet sein – wahrscheinlich müssen sie es sogar. Wertvorstellungen, die z.B. direkt aus der Bibel abgeleitet sind, können zwar im Einzelfall mit demokratischen Normen unvereinbar sein (Wer etwa die Todesstrafe für Homosexualität fordert, kollidiert natürlich mit dem Grundgesetz.), aber eben nur aufgrund ihres konkreten Inhalts, nicht etwa schon deshalb, weil sie religiös begründet sind.

Zweitens: Wenn ich sage, dass jede totalitäre Ideologie notwendig ein Glaubenssystem ist, so lässt das bereits aus Gründen der Formallogik nicht den Umkehrschluss zu, jedes Glaubenssystem sei totalitär.

Flash (s.o.) argumentiert so: Da sich aus der Bibel keine politischen Herrschaftsansprüche ableiten ließen, vielmehr Friedfertigkeit, Humanität und Toleranz gepredigt würden, sei gegen ein fundamentalistisches Bibelverständnis nichts einzuwenden, im Gegenteil. Motto: Das schlechthin Gute kann man gar nicht fundamentalistisch genug vertreten!

Tja, wenn es denn so einfach wäre. In mindestens zwei Punkten führt ein wörtliches Schriftverständnis bzw. der Glaube an die Verbalinspiration der Bibel und der Verzicht auf die historisch-kritische Lesart zu äußerst problematischen Konsequenzen:

Da ist zum einen die antijüdische Tendenz des Neuen Testaments. Historisch erklärbar ist sie aus der Notwendigkeit der Profilierung des frühen Christentums und seiner Abgrenzung gegen die jüdische Mutterreligion. Fasse ich die Bibel aber einfach ohne Einschränkung als Gottes Wort auf, so habe ich es mit einer angeblich göttlichen Legitimation des Antisemitismus zu tun. Der Satz „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ ist dann kaum anders zu verstehen denn als Aufruf zum Pogrom  – und genau so wurde er ja auch oft genug verstanden.

Zum anderen enthält das Neue Testament nicht nur die Bergpredigt, sondern auch die Johannesapokalypse (das neutestamentliche Gegenstück zum Buch Daniel), die Vision des Endkampfs zwischen Gut und Böse, nach der das Reich Gottes durch Vernichtung des Bösen, das bis dahin die Welt beherrscht, errichtet wird. Nicht zufällig konnte gerade dieser Text nur gegen härteste innerkirchliche Opposition durchgesetzt werden, wurde er von der Ostkirche jahrhundertelang abgelehnt, und meinte noch Martin Luther, er hätte niemals kanonisiert werden dürfen. Dieses von Anfang an weitverbreitete Unbehagen hat seinen Grund darin, dass die Apokalypse direkt an dunkle Zerstörungs- und Vernichtungstriebe appelliert, das fünfte Gebot zur Disposition stellt und dazu einlädt, Feinde nicht zu lieben, sondern mit dem „Antichristen“ zu identifizieren.

Kein Zufall ist auch, dass gerade totalitäre Ideologien eine apokalyptische Struktur aufweisen: Die Welt wird vom Bösen (den Juden/dem Kapitalismus/den Ungläubigen) beherrscht, dessen Vernichtung, gern auch im Wege des Massenmords, zur Herrschaft des Guten (der Arier/des Kommunismus/des Islam) führt. Ich will damit nicht behaupten, dass das Christentum für den Totalitarismus verantwortlich sei, wohl aber, dass in vielen Menschen eine psychische Disposition schlummert, ihr Leiden und ihre Verzweiflung an der Welt auf einen Feind zu projizieren, dessen Vernichtung die Erlösung herbeiführen soll – und da der Feind weltbeherrschend gedacht wird, vernichtet man diese Welt, das eigentliche Objekt der Furcht und des Hasses, möglichst gleich mit.

Dieser Zusammenhang zwischen Apokalyptik und Totalitarismus ist der Grund dafür, warum ich stets sehr hellhörig werde, wenn ich auf Verschwörungstheorien nach Art der Eurabia-These stoße (die ja nicht weniger behauptet als die Herrschaft des Bösen, also des Islam und der ihm angeblich konspirativ in die Hände arbeitenden europäischen Eliten), und warum ich diese Theorien mit allen Mitteln rationalen Argumentierens bekämpfe – freilich ohne nennenswerten Erfolg: Es handelt sich um ein Glaubenssystem, und wer ihm anhängt, ist, so fürchte ich, nicht nur für die Demokratie verloren, sondern für die säkulare Vernunft überhaupt.

Wenn ich nun sehe, dass sich gerade in fundamentalistischen (evangelikalen, pfingstlerischen, freikirchlichen) Kreisen die johanneische Tradition, und hier wiederum ganz besonders die Apokalypse, größter Beliebtheit erfreut, dann kann ich kaum anders, als dem christlichen Fundamentalismus mit tiefstem Misstrauen gegenüberzustehen, und dies ganz unabhängig davon, dass manche seiner Vertreter mir menschlich sympathisch sind.

Mit alldem ist allerdings nicht die Frage vom Tisch, ob eine glaubenslose Gesellschaft auf die Dauer überlebensfähig ist, und wenn Flash behauptet, dass mit der Höherentwicklung einer Gesellschaft zwangsläufig Degenerationserscheinungen verbunden seien – er verweist unter anderem auf den Zerfall der Familie -, die letztlich zum Niedergang führen müssten, dann hat er starke Argumente auf seiner Seite. Ziemlich starke sogar.

Höherentwicklung, das sagt die historische Erfahrung wie die soziologische Überlegung, geht einher mit Aufklärung und Rationalität – was für mich Grund genug ist, für Aufklärung und Rationalität einzutreten. Sie bedeuten freilich zugleich, dass Alles, auch ethische Normen, unter Begründungszwang gerät, weil sie dem primären Fundament der Ethik, der Religion, seine unhinterfragte Selbstverständlichkeit und soziale Verbindlichkeit nehmen, und Religion zu einer Frage der mehr oder minder willkürlichen individuellen Entscheidung machen – ich selbst habe ja oben gezeigt, dass jede andere Auffassung von Religion mit den Grundlagen einer offenen Gesellschaft unvereinbar ist.

Gesellschaft funktioniert, wenn die Goldene Regel beachtet wird: „Wie Ihr wollt, dass die Leute Euch tun sollen, also tut ihnen auch.“(Lk 6,31). Eine rationale Reformulierung dieser Forderung hat Kant mit seinem kategorischen Imperativ geliefert. Dass diese Regel gelten und wenigstens im Großen und Ganzen befolgt werden muss, weil die Gesellschaft sonst nicht existieren kann, lässt sich rational begründen – nicht aber, dass der Einzelne sie befolgen soll. Der kategorische Imperativ impliziert, dass man unter Umständen erhebliche individuelle Opfer in Kauf nehmen soll, um einen winzigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten; diese Opfer reichen von der Steuerehrlichkeit bis zum Heldentod fürs Vaterland. Aus der Sicht des Einzelnen ein schlechtes Geschäft: Rationaler ist es für ihn, das von Anderen getragene Gemeinwohl in Anspruch zu nehmen, selbst aber nichts dazu beizutragen. Die Mentalität des Schwarzfahrers.

Zur Aufrechterhaltung allgemeiner sozialer Tugenden wie der Ehrlichkeit, denen man mit relativ geringem persönlichen Aufwand folgen kann, mag der menschliche Hang zum Konformismus noch hinreichen – Nutzenkalkül hin oder her -, zumindest solange der Ehrliche den Eindruck hat, nicht der Dumme zu sein.

Sobald aber dieses Minimum an geforderter sozialer Solidarität überschritten wird, sobald wirkliche Opfer zur Debatte stehen, schrumpft die Bereitschaft dazu dramatisch. Wo Solidarität selbst in der kleinsten denkbaren Gemeinschaft von Menschen, der Ehe, nicht mehr als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden kann und kaum noch ein Problem nichtig genug ist, um nicht einen Scheidungsgrund abzugeben, braucht man nach der Bereitschaft nicht mehr zu fragen, für eine Großgemeinschaft, etwa das eigene Land und dessen Freiheit – oder gar für den „Westen“ – das eigene Leben zu riskieren.

In stabilen Zeiten von Frieden und Prosperität, gleichsam im Normalbetrieb, fällt diese Schwäche kaum auf. Solange von den Bürgern bloß passive Loyalität gefordert wird, ist diese Loyalität in liberalen Demokratien vermutlich größer als anderswo. Wie aber sieht es im Fall einer existenziellen Bedrohung aus, wenn der Staat mit seinen administrativen und militärischen Bordmitteln nicht mehr auskommt und nicht nur den Geldbeutel seiner Bürger strapazieren, sondern sogar deren Leben einsetzen muss, um sich zu verteidigen? Anders gefragt: Wie konfliktfähig sind offene Gesellschaften?

Man sollte meinen, dass diejenige politische Ordnung, die ihren Bürgern das höchste Maß an Freiheit, Sicherheit und Wohlstand beschert, die liberale Demokratie also, auch das größte Maß an Unterstützungs- und Opferbereitschaft zu mobilisieren imstande ist. So ist es aber nicht.

Wenn man beispielsweise die Verlustlisten des Zweiten Weltkriegs anschaut, so fällt auf, dass die totalitären Staaten Deutschland, Sowjetunion und Japan an die zwanzig Millionen eigene Soldaten geopfert haben, die Westmächte dagegen „nur“ einige hunderttausend. Natürlich hängt das auch mit dem Kriegsverlauf zusammen – Frankreich brach früh zusammen, und bis die Westmächte in Europa wieder eingreifen konnten, hatten die Russen die Hauptarbeit bereits erledigt und zogen weiterhin das Gros der deutschen Truppen auf sich. Und selbstverständlich bin ich nicht so zynisch, die Verlustraten einer Armee als Maß ausschließlich für die Opferbereitschaft eines Volkes anzusehen; nicht selten sind sie eher ein Maß für die Brutalität und Inkompetenz ihrer Führer – eigene Soldaten draufgehen zu lassen ist in jedem Fall weder eine politische noch eine militärische Tugend.

Aber selbst wenn man diese Relativierungen berücksichtigt, bleibt der Unterschied doch frappierend, und man sollte nicht nur bedenken, dass am Beginn des Krieges die Frage stand, ob es sich wirklich lohne, für Danzig zu sterben, sondern auch, dass die Verlustquoten, die der Westen in Kauf nahm, im Zweiten Weltkrieg bereits geringer waren als im Ersten, und seitdem kontinuierlich fallen: In Vietnam warfen die USA nach 50.000 Toten das Handtuch, heute im Irak genügen schon 3.000 eigene (amerikanische) Gefallene, um den Krieg zu delegitimieren. Oder nehmen wir Deutschland: Dasselbe Volk, das sich von Hitler noch eine Verlustquote von 25 Prozent bieten ließ, ohne wirklich zu murren, stellt heute bei einer Quote noch unter der Promille(!)-Grenze bereits den Sinn von Militäreinsätzen überhaupt in Frage.

Warum und wie schaffen es totalitäre Systeme, Millionen von Menschen zum Selbstopfer zu bewegen? Durch Terror? Sicher, auch durch Terror. Überschätzen sollte man diesen Faktor aber nicht. In der Praxis des Dritten Reiches zum Beispiel spielte der Terror zwar eine bedeutende Rolle, soweit er sich gegen das Ausland oder gegen vorab ausgegrenzte Minderheiten, speziell Juden, richtete; aber er hatte den Zweck, diese Menschen zu ermorden, nicht ihr Wohlverhalten zu erzwingen. Gegen die eigenen „Volksgenossen“ war das Dritte Reich nicht wesentlich gewalttätiger als irgendeine Militärdiktatur, vermochte aber ein Maß an Begeisterung und Opferbereitschaft zu wecken, von dem etwa ein Pinochet kaum hätte träumen können.

Nein, die Sträke der totalitären Regime lag darin, dass sie in der Lage waren, den Menschen einen das eigene Leben transzendierenden Sinn zu vermitteln – wer am Bau eines „Tausendjährigen Reiches“ oder des welterlösenden Kommunismus mitzubauen glaubt, wird sich der Teilhabe an der Ewigkeit ziemlich nahe fühlen. Ihre Ideologien waren säkulare Religionen, deren gemeinschaftsstiftende und motivierende Kraft den klassischen Religionen mindestens gleichkam. Man versteht das damalige Deutschland, Russland und Japan am besten, wenn man sie als apokalyptische Massensekten auffasst, die eine ungeheure Dynamik und Leistungsfähigkeit zu entfesseln fähig waren.

Was also vom erkenntnistheoretischen oder liberalen politischen Standpunkt eine Kritik an totalitären Ideologien ist – nämlich dass sie Glaubenssysteme sind – und eine Kritik an Glaubenssystemen – nämlich dass sie eine totalitäre Schlagseite haben – ist kein zwingendes Argument gegen die Überlebensfähigkeit der von ihnen geprägten Gesellschaften, schon gar nicht, soweit ihr Überleben von ihrer Konfliktfähigkeit abhängt.

Ich bin nicht überzeugt davon, dass diese Schwäche westlicher Gesellschaften am Ende tödlich sein muss – zu deutlich und gewichtig sind die sie kompensierenden Stärken. Aber eine Schwäche ist es allemal, und insofern geht der Punkt an Flash.

Dessen Argument zielt allerdings tiefer als auf die bloße Konfliktfähigkeit westlicher Gesellschaften. Er behauptet, dass eine säkulare, aufgeklärte, rationale und liberale Gesellschaft auch ganz unabhängig von äußeren Konflikten auf die Dauer nicht existenzfähig sei, weil das von ihr erzeugte Vakuum an Spiritualität und Moral das grundlegende religiöse Bedürfnis der Menschen nach einem transzendenten Sinn vernachlässige, und dass dieses Bedürfnis sich über kurz oder lang Bahn brechen müsse, sodass wir auf die Dauer nur die Wahl zwischen einer Islamisierung und einer Re-Christianisierung hätten. Einem islamischen Fundamentalismus aber sei ein christlicher allemal vorzuziehen.

Dass eine säkulare Gesellschaft auf die Dauer dem Ansturm der Religiosität erliegen müsse, ist eine These, die ich stark anzweifle:

Es ist schon richtig, dass es diese religiösen Bedürfnisse gibt, und dass ein säkularer Rationalismus sie nicht befriedigen kann. Noch in der moralisierenden Ideologie der Political Correctness – deren Verfechter man ja nicht umsonst als „Gutmenschen“ veralbert – drückt sich ein Bedürfnis nach „Heiligkeit“ aus, das bei einem soliden Fundamentalismus zweifellos besser aufgehoben wäre als bei einer linken Ideologie. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, wohin es führt, wenn man religiöse Kategorien – wie verkappt oder pervertiert auch immer – in die Politik einführt.

Ich kann aber überhaupt nicht erkennen, dass eine Rückbesinnung auf den christlichen Glauben – die ich für wünschenswert halte – zwangsläufig dazu führen müsste, dass man in Fundamentalistenmanier mit der Bibel in der Hand in Politik und Wissenschaft herumfuhrwerkt und die Grundlagen der säkularen Demokratie und der rationalen Wissenschaft angreift. Wozu sollte man das tun? Um die Islamisierung zu stoppen? Die beruht nicht darauf, dass der Islam irgendwelche vom Christentum vernachlässigten spirituellen Bedürfnisse erfüllen würde; das tut vielleicht der Buddhismus. Im Hinblich auf Humanität, Spiritualität, erlösende Kraft und theologische Tiefe, d.h. als Religion, ist der Islam selbst einem verwässerten Christentum oder Judentum so hoffnungslos unterlegen, dass er sich ihnen gegenüber nie anders als mit Gewalt durchsetzen konnte und kann. So gefährlich der Islam als politische Ideologie ist, so armselig ist er als Religion.

Das Christentum spielt eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Islamisierung, aber nur, wenn es seine Stärken ausspielt – seine religiöse Tiefe und Kraft -, nicht, wenn es fundamentalistisch versucht, die Bibel zur Basis politischer Programme und wissenschaftlicher Thesen zu machen.

Keine Regel freilich ohne Ausnahme: Wo es darum geht, den Islam frontal anzugreifen, also Muslime zu missionieren, oder, in der Sprache der entsprechenden Kreise: ins 10/40-Fenster einzudringen, können Christen, die sich das vornehmen, gar nicht fundamentalistisch genug sein. Mit ihrem wörtlichen Bibelverständnis, ihrer konservativen Sozial- und Sexualmoral, überhaupt ihrer starken Betonung sozialer Normen und nicht zuletzt ihrem – Pardon! – Fanatismus dürften gerade evangelikale Fundamentalisten unter allen christlichen Glaubensrichtungen am besten für die Mission aufgestellt sein, weil ihre Auffassung von Religion der von Muslimen am nächsten kommt. So gesehen, wäre es doch ein Fortschritt, wenn im Biologieunterricht die biblische Schöpfungsgeschichte behandelt würde.

In Saudi-Arabien.

So viel zum Thema „Islamophobie“:

Salzburger Nachrichten, 5. Dezember 2007:

Der „Rat der Religionsgelehrten“ der Kairoer Al-Azhar-Universität, einer der wichtigsten Bildungsinstitutionen der islamischen Gesellschaft, hat jenen Moslems, die als Wirtschaftsflüchtlinge bei der illegalen Einreise nach Europa ums Leben kommen, den Status von „Märtyrern“ für die Ausbreitung des islamischen Weltreichs verliehen. Da dieses Gremium eine kollegiale Lehrautorität für alle Moslems ist, wiegt diese Lehrmeinung schwer als grundsätzliche und über Ägypten hinaus verbindliche Anerkennung der Unterwanderung des „christlichen Abendlandes“ durch Moslem-Immigranten zum Zweck der Islamisierung Europas. …“

[Zum Rest dieses Artikels der „Salzburger Nachrichten“]

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Warum das Christentum zur Demokratie passt, der Islam aber nicht. Teil II: Islam

Im ersten Teil habe ich die These entwickelt, dass der Liberalismus als Voraussetzung der Demokratie und überhaupt der Moderne nur von einer christlich geprägten Zivilisation hervorgebracht werden konnte, weil der Widerspruch zwischen der Religion und ihren eigenen Glaubensgrundlagen so nur im Christentum existiert. Das bedeutet aber nicht, dass er als politische Philosophie nicht exportierbar wäre. Historisch-empirisch basiert der Liberalismus zwar auf dem Christentum, theoretisch aber nicht; er lässt sich auch von ganz irreligiösen Ausgangspunkten her rational erschließen.

Indien zum Beispiel ist nicht christlich, sondern hinduistisch geprägt; ungeachtet dessen ist es seit seiner Unabhängigkeit die größte Demokratie der Welt. Offensichtlich ist die Demokratie mit einer auf dem Hinduismus basierenden Kultur vereinbar. Warum das so ist? Nun, ich bin kein Fachmann für Hinduismus, und wer mehr als ich von Indologie versteht, möge mich korrigieren, aber es scheint mir plausibel, dass der Pluralismus nicht nur der Götterwelt, sondern auch der Theologie des Hinduismus, die keine ausgearbeitete allgemeinverbindliche „Lehre“ kennt, günstige Voraussetzungen sind.

Nichtchristliche Kulturen können also durchaus mit demokratischen Werten kompatibel sein, sie müssen es aber nicht, und es scheint mir mehr als nur ein beredtes Detail zu sein, dass der hinduistische Teil des ehemaligen Britisch-Indien eine stabile Demokratie hervorgebracht hat, der islamische – Pakistan – aber nicht.

Ich vertrete die These, dass der Islam in genau denjenigen Punkten, die für das Verhältnis zur Demokratie entscheidend sind, nicht einfach eine andere Religion ist als das Christentum, sondern dessen Gegenteil:

Muslime führen die innere Widerspruchsfreiheit ihrer Religion gerne als Beleg für ihre „Wahrheit“ an. Scheinbar ein starkes Argument – solange man sich nicht vergegenwärtigt, dass man es auch zugunsten des Stalinismus ins Feld führen könnte. Gedankensysteme, die auf fiktiven, zumindest aber nicht überprüfbaren Ausgangspunkten beruhen (in diesem Fall auf der Idee, Gott selbst sei der Autor des Koran), haben eine starke Tendenz, sich zu Wahnsystemen zu entwickeln, die in sich dann in der Tat so stimmig sind, wie es auch das Weltbild eines Paranoikers ist.

Die innere Schlüssigkeit der islamischen Lehre beruht darauf, dass ihr der für das Christentum charakteristische Widerspruch von Glaube und Religion fremd ist. Der Islam ist von vornherein konsequent und kompromisslos als Religion, das heißt als soziales System, konzipiert:

Die koranische Ethik ist eine Handlungsethik. Eine Tat gilt als gut, wenn sie mit dem Koran in seiner allgemein akzeptierten Auslegung übereinstimmt. Sonst ist sie schlecht. Die fünf Säulen des Islam: Glaubensbekenntnis, Gebet, Wallfahrt, Fasten und Armensteuer betreffen Tathandlungen. Auf die innere Haltung, deren Betonung für das Christentum so kennzeichnend ist, kommt es dabei letztlich nicht an. Hingabe („Islam“) an den Willen Allahs wird als innere Haltung zwar vorausgesetzt, aber gemessen wird sie an der Tat.

Damit ist keine Abwertung dieser Ethik verbunden: Nicht nur, weil eine Handlungsethik allemal besser ist als gar keine – sie hat auch ein deutlich höheres Maß an Verbindlichkeit. Ein Muslim könnte zutreffend darauf verweisen, dass die christliche Maxime: „Liebe – und tu, was Du willst“ das Sozialverhalten des Einzelnen letztlich in dessen Ermessen (man könnte auch sagen: seine Willkür) stellt, dass eine soziale Kontrolle jedenfalls fehlt, und dass das Christentum gerade deswegen gezwungen war, eine soziale Kontrollinstanz – die Kirche – gleichsam durch die Hintertür wieder einzuführen. Wir Muslime, könnte er zu Recht sagen, sparen uns diese Umwege und Paradoxien.

Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen, und es gibt auch viele Christen, denen meine Interpretation der christlichen Ethik allzu individualistisch und liberal (um nicht zu sagen: windig) vorkommen dürfte, und die ebenfalls die handlungsethischen Momente der christlichen Lehre betonen; bezeichnenderweise umso stärker, je näher sie dem fundamentalistischen Lager ihrer jeweiligen Konfession stehen.

Das Problem besteht auch nicht in der Handlungsethik als solcher: Was sollte schon verkehrt daran sein, Gutes zu tun, egal aus welchen Motiven? Nicht darin liegt das Problem, sondern darin, dass im Islam die Maßstäbe für gutes und schlechtes, erlaubtes und unerlaubtes Handeln gleich mitgeliefert werden, und zwar nicht etwa in Form allgemeiner Richtlinien (wie etwa den zehn Geboten), sondern höchst konkret und detailliert. Koran und Hadith, in Verbindung mit einer fast 1400jährigen Auslegungstradition regeln das Sozialverhalten in allen Lebensbereichen, einschließlich der Politik, und dies faktisch unabänderlich.

Dass ein demokratisch gewählter Gesetzgeber hier nicht viel zu bestellen hat, ergibt sich daraus nicht nur als theoretische Überlegung, sondern lässt sich auch empirisch belegen: Die iranische Staatsdoktrin beispielsweise geht davon aus, dass das Volk (bis zur Wiederkehr des Verborgenen Imam) im Prinzip durchaus das Recht auf Selbstregierung hat – freilich nur, soweit es dabei nicht gegen die Scharia verstößt; über deren Einhaltung wacht wiederum der schiitische Klerus. Wer die Machtverhältnisse im Iran kennt, weiß, dass unter dieser Einschränkung vom demokratischen Prinzip kaum etwas übriggeblieben ist. (Dies ist umso bemerkenswerter, als der schiitische Islam um einiges undogmatischer ist als der sunnitische: Während für die Sunna der einmal – und sei es vor tausend Jahren – gefundene Konsens der Rechtsgelehrten bis zum Jüngsten Gericht verbindlich ist, lässt die Schia Weiterentwicklungen zu, in der Theorie zumindest. In der Praxis ist durch Koran und Hadith ein so engmaschiges Netz an Vorgaben geknüpft worden, dass an so etwas wie eine Liberalisierung kaum zu denken ist.)

Damit unterscheidet sich die islamische Ethik von der christlichen nicht erst ihrem konkreten Inhalt, sondern bereits ihrem Prinzip nach, d.h. in den Grundannahmen darüber, was Ethik überhaupt ist. Dies ist entscheidend, und ich unterstreiche nochmals, dass solche Grundannahmen das gesamte Denken innerhalb einer Kultur vor-formen; dass solche ursprünglich theologischen Denkmuster sich in der vorherrschenden Mentalität und Weltauffassung einer Kultur niederschlagen; dass die Analyse dieser theologischen Denkmuster daher den Schlüssel zu deren Verständnis liefert; und dass Argumente des Kalibers „Die meisten Türken/Araber/Perser gehen doch sowieso nicht in die Moschee, was haben die mit dem Koran zu tun?“ daher völlig irrelevant sind.

Ich hatte in Teil I gezeigt, dass Christus seine Ethik bewusst in Form scheinbar unerfüllbarer Forderungen formulierte, die erst durch die Bezugnahme auf die Liebe als grundlegender Form des individuellen Weltbezuges ihren Sinn bekommen. Hier gelten keine konkreten Handlungsanweisungen; der Christ darf eine autonome Entscheidung treffen, er muss es sogar, und er muss sie vor Gott und seinem Gewissen verantworten.

Die islamische Ethik dagegen geht davon aus, dass es für den Einzelnen nichts zu entscheiden, sondern lediglich etwas zu erkennen gibt – den Willen Allahs nämlich. Die Form des Weltbezuges ist mithin nicht die Liebe, sondern der Gehorsam. (Um ein denkbares Missverständnis auszuschließen: Ich behaupte damit keineswegs den Unsinn, dass es für Muslime so etwas wie Nächstenliebe nicht gäbe, sondern lediglich, dass die islamische Ethik nicht darauf beruht.).

Eine freie Entscheidung bleibt dem Menschen freilich: die Entscheidung für oder gegen den Willen Gottes, also die zwischen Gut und Böse.

Dieser Gegensatz zwischen dem christlichen Prinzip der ethischen Autonomie und dem islamischen der ethischen Heteronomie (=Fremdbestimmung) führt zwischen beiden Kulturkreisen zu einem Gegensatz der politischen Grundwerte, der schroffer kaum sein könnte: Die individuelle Freiheit, auf die wir so stolz sind, ist aus islamischer Sicht kein positiver Wert; sie kann es nicht sein, weil man aus islamischer Sicht Freiheit lediglich als die Freiheit auffassen kann, sich gegen Allah zu entscheiden und Böses zu tun. Eine liberale, demokratische Ordnung, die solche Freiheit garantiert, ist aus dieser Perspektive nicht nur nicht erstrebens- oder erhaltenswert, sie ist moralisch minderwertig.

Es ist dies die logische Konsequenz aus dem Grundcharakter des Islam, wesentlich ein soziales System zu sein. Die Gesellschaft wird hier nicht vom Einzelnen her betrachtet, sondern umgekehrt der Einzelne von der Gesellschaft her, in deren – von Gott gegebenes – Regelwerk er sich einzufügen hat. Die Parallele zu modernen totalitären Denksystemen ist offenkundig. Rechte kann der Einzelne nur so weit geltend machen, wie er sich in diesen Rahmen einfügt (und dies gilt, da der Koran von Allah gegeben wurde, für alle Menschen, nicht etwa nur für Muslime). Er muss also entweder selbst Muslim sein und sich schariakonform verhalten – oder einen Dhimmi-Status haben, also als Christ oder Jude in einem normalerweise höchst diskriminierenden Vertragsverhältnis zur islamischen Umma stehen. Wer außerhalb der islamischen Regeln steht, ist rechtlos und hat keinen Anspruch auf Respekt, im Prinzip nicht einmal das Recht auf Leben. Dies beginnt bei unverschleierten Frauen, setzt sich fort bei unbotmäßigen Karikaturisten und geht bis hin zu Staaten, wenn sie, wie Israel, in der falschen Gegend liegen; die Gründung des Staates Israel war eine eigenmächtige Aufhebung des Dhimmi-Status seitens der Juden und ein Einbruch in das „Haus des Islam“ (s.u.), was nach islamischem Recht die Muslime nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, diese zu bekämpfen. Und wer da glauben sollte, die Rechtlosigkeit der „Ungläubigen“ sei auf Frauen, Karikaturisten und den Staat Israel beschränkt (und das womöglich nicht so schlimm findet…) ignoriert die kulturellen Grundlagen der islamischen Unduldsamkeit. Die ganze Denkweise „Frauen müssen ja auch nicht so aufreizend herumlaufen, Karikaturisten sollten auch Rücksicht auf religiöse Gefühle nehmen, die Israelis könnten sich ja auch ein wenig zurückhalten“, ignoriert, dass für die Gegenseite nicht der eventuelle Missbrauch von Rechten seitens der „Ungläubigen“ anstößig ist, sondern die Tatsache, dass sie überhaupt irgendwelche Rechte jenseits der Scharia beanspruchen.

(Es ist eine nicht totzukriegende Legende, dass der Islam zumindest gegenüber Juden und Christen „tolerant“ sei – oder zumindest im Mittelalter gewesen sei. Wer sich für dieses Thema interessiert, dem empfehle ich die Texte von Bat Ye’or und Egon Flaig.)

Wohlmeinende Westler, die mehr „Respekt für den Islam“ einfordern, verkennen, dass sie Respekt für eine Religion fordern, die auf der prinzipiellen Nichtrespektierung jeder anderen Religion beruht. Ein Muslim, der denselben Respekt für das Christentum oder gar die liberale westliche Zivilisation forderte, würde die universelle soziale Verbindlichkeit des Koran anzweifeln und damit im Grunde aufhören, Muslim zu sein.

Vor Gott gerechtfertigt, daran lässt der Koran keinen Zweifel, ist allein der Muslim; alle anderen sind zur Hölle verdammt. Diesen Heilsexklusivismus kennt zwar auch das Christentum („Extra ecclesiam nulla salus“), aber wir hatten bereits in Teil I gesehen, dass es sich dabei um die im engeren Sinne religiöse, also kirchliche Seite des Christentums handelt, die im Widerspruch zum Kern des christlichen Glaubens steht. Das christliche Korrektiv, eben jener Glaube, dass vor Gott potenziell jeder Mensch gerechtfertigt ist und dass niemand glauben darf, die Gnade Gottes für sich gepachtet zu haben (Man denke an die Negativfigur des Pharisäers!) – dieses Korrektiv existiert im Islam nicht. Auch hier kommt es also auf das objektive Kriterium der Zugehörigkeit zum sozialen System an, und der beste Jude oder Christ ist nach koranischer Auffassung in den Augen Gottes allemal weniger wert als der schlechteste Muslim.

Im Prinzip jedenfalls. Es sei hier nicht unterschlagen, dass es im Koran vereinzelt auch versöhnliche Verse gibt, in denen die Gottesfurcht besonders frommer Juden und Christen gewürdigt wird. Angesichts der unzweideutigen und vielfach wiederholten und variierten koranischen Grundaussage, dass alle „Ungläubigen“ von Gott verdammt und verurteilt seien, haben solche Verse jedoch bestenfalls den Charakter von Ausnahmeklauseln für Einzelpersonen. Und der Durchschnittswestler, der in der Regel ja nicht sonderlich fromm ist, fällt sowieso nicht darunter, Anhänger nichtmonotheistischer Religionen oder gar Atheisten erst recht nicht.

(Es gibt natürlich durchaus Muslime, die sich die liberale westliche Weltsicht und Religionsauffassung aneignen wollen, ohne mit ihrem Glauben in Konflikt zu geraten, und die sich einen toleranten Islam wünschen. Solchen Menschen öffnen die erwähnten Verse möglicherweise theologische Hintertürchen, durch die sie sich – freilich nur unter erheblichem exegetischem Voluntarismus – hindurchzwängen können. Der islamischen Kultur als Ganzer steht dieser Weg nicht offen – zu offensichtlich muss man den Text des Koran gegen den Strich bürsten, um ihm so etwas wie „Toleranz“ abzupressen.)

Damit trifft der Koran zugleich eine eminent politische Vorentscheidung: Die Unterscheidung, die so oft und so hartnäckig wiederholt und unterstrichen wird, dass man sie als eines der wesentlichen Leitmotive des Koran ansehen muss, ist die zwischen „Gläubigen“ und „Ungläubigen“, wobei die letzteren zu bekämpfen und – auch dies wird unzweideutig ausgesagt – zu unterwerfen sind. Hierin spiegelt sich die politische Situation zur Zeit des Propheten Mohammed wieder, als die islamische Umma eine Kampfgemeinschaft war, die ihre Feinde militärisch bekämpfte. Da sich diese Situation im Text des Koran niederschlug und dieser sich als das unmittelbare Wort Gottes mit Anspruch auf ewige Gültigkeit ausgibt, wurde der islamischen Religion und damit auch Kultur eine militant gegen Fremdgruppen gerichtete Mentalität eingepflanzt, in der der Djihad – und zwar im Sinne von „Heiliger Krieg“, nicht etwa von „Anstrengung auf dem Wege Gottes“ – als ewiges göttliches Gebot festgeschrieben ist, und die von einem radikalen, durch nichts relativierten Gruppenegoismus und -narzissmus geprägt ist: Der Feind der „besten Gemeinschaft, die es je gegeben hat“, ist von vornherein im Unrecht; legitime Interessen hat er nicht und kann er per definitionem nicht haben.

Verstärkt wurde dies noch dadurch, dass der muslimische Eroberungszug in den ersten beiden Jahrhunderten der islamischen Zeitrechnung schwungvoll weitergeführt wurde – in genau jener Zeit also, in der der Koran endgültig kanonisiert wurde und in der die Grundlagen des islamischen Rechts gelegt wurden (die, siehe oben, bis heute gelten). Wie der Koran die Menschheit in Gläubige und Ungläubige einteilt, so teilt das koranische Recht die Welt in das „Haus des Islam“ und das „Haus des Krieges“ ein. Die Selbstbeschreibung des Islam als einer „Religion des Friedens“ offenbart von diesem Punkt her ihre Doppelbödigkeit: Frieden ja – aber eben durch Unterwerfung des „Hauses des Krieges“, also der Länder der „Ungläubigen“. Wer sich bei dieser Art Friedfertigkeit an die der Kommunisten erinnert fühlt, die ständig vom Frieden redeten und damit die „Vernichtung des Imperialismus“ meinten, liegt durchaus richtig. Entscheidend war hierbei die politische Unterwerfung. Die religiöse Bekehrung würde dieser dann ganz von alleine folgen, so die völlig richtige Kalkulation, wenn man den „Dhimmis“ das Leben zur Hölle macht, ihnen aber gleichzeitig die Konversion zum Islam nahelegt, während man den eigenen Glaubensbrüdern den Übertritt unter Todesstrafe verbietet. Noch heute sind Muslime, die etwa zum Christentum übertreten, ihres Lebens nicht sicher, und zwar nicht nur in islamischen Ländern, sondern auch in Deutschland. In Berlin feiern Konvertiten ihre Gottesdienste heimlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sie wissen, warum.

Die Konsequenz einer solchen Rechtsauffassung für die Mentalität einer davon geprägten Kultur liegt auf der Hand: Recht ist, was der eigenen Gruppe nützt. Der Andersgläubige ist der Feind. Der Feind ist immer im Unrecht.

Und wieder gibt es kein Korrektiv, kein „Richtet nicht, auf das Ihr nicht gerichtet werdet“, nichts, was der jesuanischen Aufforderung entspräche, sich selbst mit den Augen des Anderen zu sehen, keine Warnung vor Selbstgerechtigkeit, jedenfalls nicht im Umgang mit „Ungläubigen“, stets nur, und hundertfach wiederholt, die Verdammung des Anderen, die Heiligung der Selbstgerechtigkeit, man könnte auch sagen: den Appell an den inneren Schweinehund.

Dass Völker, die von einer solchen Mentalität geprägt sind, wenig Neigung haben, sich einem Regelwerk zu unterwerfen, dass die friedliche Austragung von Konflikten sichern soll und daher von der prinzipiellen Gleichberechtigung aller Parteien ausgeht – im Inneren die Demokratie, nach außen das internationale Recht -, sollte niemanden erstaunen. Und erstaunen sollte es einen auch nicht, dass die einzige scheinbar halbwegs säkulare Demokratie der islamischen Welt, nämlich die Türkei, ihre „Säkularität“ selbst nach achtzig Jahren (!) nur dadurch sicherstellen kann, dass sie die Religionsfreiheit suspendiert: Der Islam wird am engstmöglichen staatlichen Gängelband geführt, andere Religionen de facto unterdrückt, und das Ganze funktioniert nur, weil das Militär die „säkulare Demokratie“ mit vorgehaltener Pistole und aufgepflanztem Bajonett bewacht.

(Und was das internationale Recht angeht: Ich höre sie schon protestieren, die liberalen Christen und die Linken, wie ich denn den islamischen Völkern ihre Verachtung für das internationale Recht vorwerfen könne, wo es doch die USA seien, die… – Nun ja, ich spreche hier von der Mentalität von Völkern, und da fällt mir eben auf, dass Millionen von Westlern, und gerade die erwähnten Christen und Linken, für die Rechte etwa Iraks und der Palästinenser auf die Straße gegangen sind – ob zu Recht, lasse ich dahingestellt -, aber kaum ein Muslim für das Existenzrecht Israels. Falls sich das einmal ändern sollte, werde ich meine Vorwürfe mit Bedauern zurücknehmen, aber nicht vorher.)

Schön, könnte man einwenden, aber kann es nicht sein, dass auch der Islam solche Positionen überdenken kann? Kann es nicht auch, wie von Bassam Tibi vorgeschlagen, einen Euro-Islam geben, der mit demokratischen Werten vereinbar ist? Ist es nicht arrogant, dem Islam von vornherein jede Anpassungsfähigkeit abzusprechen?

Nun, ich würde eher sagen, dass es arrogant ist, eine fremde Religion nicht von ihrem Selbstverständnis her zu verstehen, sondern ihren Anhängern von vornherein eine christliche Denkweise zu unterstellen. Ich möchte nicht ein- für allemal ausschließen, dass es für Muslime möglich sein könnte, vielleicht auf der Basis einer historisch-kritischen Koraninterpretation zu einem demokratiekompatiblen Islamverständnis zu gelangen, und ich wäre sehr glücklich, wenn man mir in der Praxis beweisen würde, dass meine Thesen falsch sind. Nur: Ich sehe das nicht.

Ich sehe nicht, wie man theologisch sauber aus den Grundlagen des Islam, dem Koran und dem Hadith, einen demokratischen Euro-Islam ableiten will. Für eine historisch-kritische Koraninterpretation sehe ich keinen Raum. Wer einwendet, es gebe doch auch eine kritische Bibelinterpretation, verkennt den spezifischen Charakter der islamischen Religion:

Jede der drei monotheistischen Religionen kennt genau ein Kriterium, das trennscharf und mit letzter Verbindlichkeit die Grenze bestimmt, jenseits derer eine theologische Position nicht mehr als jüdisch, christlich oder eben islamisch akzeptiert werden kann: Für Juden ist dies das Volk Israel als das Volk Gottes, für Christen Jesus Christus als der Sohn Gottes, für den Islam der Koran als das Wort Gottes. Natürlich sprechen auch Juden und Christen von ihrer jeweiligen Bibel als dem „Wort Gottes“; als Jude oder Christ kann man das auch ganz wortwörtlich verstehen, man muss es aber nicht! Schlimmstenfalls wechselt man die Gemeinde oder Konfession, aber man hört nicht auf, Jude/Christ zu sein, wenn man nicht an die Verbalinspiration der Bibel glaubt – weil eben Judentum und Christentum sich nach anderen Kriterien definieren.

Der Islam dagegen steht und fällt mit der absoluten Gültigkeit des Koran. Die zu bestreiten, ist nicht etwa eine alternative islamische Theologie – es ist schlicht und einfach „Kufr“ – Unglaube!

Für Muslime ist der Koran nicht das, was für uns Christen die Bibel ist; er ist das, was für uns Jesus Christus ist – der archimedische Fixpunkt! Der in einem christlichen Kontext entwickelte Begriff „Fundamentalismus“ – womit diejenigen christlichen Lehren gemeint sind, die von der Verbalinspiration und absoluten Wahrheit der Bibel ausgehen, im Unterschied und Gegensatz zur Position der Mehrheit, die dies ablehnt – ist in Bezug auf den Islam strenggenommen sinnlos und sogar irreführend, weil der Islam in sich fundamentalistisch im oben beschriebenen Sinne ist. Natürlich gibt es Muslime, die privat Allah einen guten Mann sein lassen, aber sie gründen keine Glaubensgemeinschaften und propagieren keine liberale Theologie. Eine solche gibt es im Christentum wie im Judentum. Im Islam gibt es sie nicht.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Die Bücher von Hans-Peter Raddatz, von Oriana Fallaci, von Udo Ulfkotte, von Henryk M. Broder

Warum das Christentum zur Demokratie passt, der Islam aber nicht. Teil I: Christentum

Wer öfter hier hereinschaut und mitbekommen hat, wie ich zum Beispiel den Antisemitismus als nahezu unvermeidlichen Bestandteil christlicher Kollektividentität gedeutet habe, könnte den Eindruck gewinnen, ich sei selber überhaupt kein Christ oder sei gar christentumsfeindlich.

Nichts liegt mir ferner.

Wenn ich mich mit problematischen Aspekten des Christentums auseinandersetze, dann tue ich dies im Sinne soziologischer Aufklärung, nicht zum Zwecke der Anklage oder Denunziation.

Ich halte überhaupt nichts von der modischen postmodernen Marotte, so zu tun, als seien alle Religionen gleich gut oder gleich schlecht (oder als sei das Christentum die schlimmste von allen). Gewiss ist der Glaube etwas Subjektives, und es gibt kein allgemeingültiges Kriterium, anhand dessen man die „Wahrheit“ des einen oder des anderen Glaubens überprüfen könnte.

Es gibt aber nicht nur den individuellen Glauben, es gibt auch die Religion als soziales System, und deren Wirkungen sind sehr wohl empirisch überprüfbar. Im Hinblick auf diese Wirkungen gibt es durchaus gute und schlechte Religionen.

Religionen prägen die von ihnen dominierten Gesellschaften viel tiefer, als politische Ideologien das je vermöchten, indem sie die Vor-Entscheidungen treffen und die Vor-Urteile darüber fällen, was in einer Gesellschaft als gut und böse, gerecht und ungerecht, legitim und illegitim, tolerabel und intolerabel zu gelten hat. Bevor das Denken überhaupt einsetzen kann, hat die Religion ihm schon die Richtung gewiesen, indem sie ihre Werturteile als kulturelle Selbstverständlichkeiten verbindlich gemacht hat. Als solche bleiben sie auch dann erhalten, wenn der Einfluss und die gesellschaftliche Bedeutung der Religion zurückgehen, und sie prägen das Denken auch solcher Angehörigen der jeweiligen Kultur, die der dominanten Religion nicht angehören.

Das klingt nach Binsenweisheit, und genau das ist es auch. Der durchschnittliche Westler wird all dem zustimmen und nur eine einzige Kultur davon ausnehmen – seine eigene. Für Viele klingt der Gedanke absurd, dass Säkularität, Toleranz, Rationalität, Liberalität, Menschenrechte, Demokratie, kurz: die Moderne, auf kulturellen Voraussetzungen aufbauen, die so nur das Christentum hervorbringen konnte, und die nicht ohne weiteres mit jeder beliebigen Religion kompatibel sind. Hat doch die katholische Kirche sich jahrhundertelang der Aufklärung, der Demokratie und überhaupt der Moderne mit aller Kraft entgegengestemmt: Von der Verbrennung Giordano Brunos über die Verurteilung Galileis, die Verdammung Darwins, den Antimodernisteneid zieht sich eine gerade Linie zur Unterstützung Francos und Mussolinis, und es bedurfte fast  der gesamten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, damit sich die Kirche mit der Moderne versöhnte, und auch dies nicht selten zähneknirschend.

Über die Jahrhunderte haben wir uns im Westen daran gewöhnt, die Kirche (und die katholische ist eben immer noch die Kirche, sehr zum Verdruss der Protestanten) als die große Gegenspielerin der Moderne, gerade in deren emanzipatorischem Aspekt, zu betrachten. In der Tat: Die Kirche als Institution hat den Zug nach Kräften aufzuhalten versucht. Aber die Botschaft, die sie verkündete, war die des Nazareners. Das hatte Folgen.

Ich rekonstruiere jetzt das, was man die „christliche Mentalität“ nennen könnte. Die Analyse geht von einer der Schlüsselstellen des Neuen Testaments aus, dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter:

25aUnd siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe? 26Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? 27Er antwortete und sprach: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst» (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18). 28Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; btu das, so wirst du leben.

29Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? 30Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen. 31Es traf sich aber, daß ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. 32Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. 33Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; 34und er ging zu ihm, goß Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. 35Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme. 36Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? 37Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!“ (Mk 10)

Die Pointe dieses Gleichnisses und seine Brisanz liegen darin, dass ausgerechnet ein Samariter zum Vorbild erhoben wird: Die Samariter waren keine Juden, wurden zumindest vom jüdischen Volk nicht als solche anerkannt – aus der Sicht Jesu und seiner Zuhörer waren sie die „Anderen“. Vor Gott gerechtfertigt also – dies ist die Konsequenz aus dem Gleichnis, die durch die Kontrastierung mit dem Priester und dem Leviten noch unterstrichen wird – ist man weder durch „Rechtgläubigkeit“ noch durch die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft (Volk, Kirche, Umma usw.), sondern einzig und allein durch die Liebe zu Gott und dem Nächsten. Dies war damals keineswegs so neu und revolutionär, wie Christen gerne glauben; tatsächlich bezieht sich Jesus ausdrücklich auf die Thora, und das Christentum blieb noch jahrzehntelang eine jüdische Sekte.

Neu und revolutionär ist die Radikalität, mit der Jesus den Gedanken ins Zentrum seiner Lehre stellt, dass es auf die Liebe und damit auf die Qualität des inneren, im Herzen empfundenen Gottes- und Weltbezugs ankommt, und dass diese die guten Taten gewissermaßen von selbst hervorbringt. Daher auch die Aufhebung der Speisegebote:

„Merkt ihr nicht, daß alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht unrein machen kann? 19Denn es geht nicht in sein Herz, sondern in den Bauch, und kommt heraus in die Grube. Damit erklärte er alle Speisen für rein. 20Und er sprach: Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein; 21denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen heraus böse Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, 22Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Mißgunst, Lästerung, Hochmut, Unvernunft. 23Alle diese bösen Dinge kommen von innen heraus und machen den Menschen unrein.“ (Mk 7)

Oder seine Lehre zur ehelichen Treue:

27Ihr habt gehört, daß gesagt ist (2. Mose 20,14): «Du sollst nicht ehebrechen.» 28Ich aber sage euch: aWer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ (Mt 5)

Er treibt seine Lehre sogar so weit auf die Spitze, dass er scheinbar ein geradezu widersinniges Verhalten fordert:

38Ihr habt gehört, daß gesagt ist (2. Mose 21,24): «Auge um Auge, Zahn um Zahn.» 39Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. a 40Und bwenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel. c 41Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. 42Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.“ (Mt 5)

Eine solche Ethik ist, auch wenn sie im Imperativ formuliert wird, keine, die bestimmte Tathandlungen oder -unterlassungen vorschreibt. Jesus sagt also nicht, was die Menschen tun sollen. Er sagt, wie sie sein müssten, um Gott nahe zu sein. (Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob Jesus das alles tatsächlich selbst so gepredigt oder von den Redakteuren der Evangelien zur Zeit der Trennung der Kirche von der Synagoge in den Mund gelegt bekommen hat. Ich selbst halte die Zitate für authentisch, zumindest dem Sinne nach; in jedem Falle aber – und nur darauf kommt es hier an – entsprach diese Lehre dem Selbstverständnis des Christentums.)

Hier wird nicht von der Gesellschaft her gedacht; es werden keine gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien entwickelt, die den Rahmen für das Verhalten des Einzelnen abgeben. Diese Ethik ist radikal unpolitisch, und zwar vom Grundansatz her, nicht erst aufgrund von Aussagen wie:

So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Mt 22, 21)

Es entsprach daher durchaus dem Sinn dieser Lehre, und stellt nicht etwa eine taktische Anpassung an die Machtverhältnisse im Römischen Reich dar, wenn der Apostel Paulus predigt:

1aJedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn bes ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet“ (Röm 13, 1)

Indem sie keine Handlungsregeln aufstellt, mutet diese Ethik dem Einzelnen autonome ethische Entscheidungen zu; es handelt sich um eine Ethik der Eigenverantwortung. Wie es einer der Kirchenväter formulierte: „Liebe – und tu, was Du willst.“

Wenn Toleranz die Vermutung ist, dass der Andersdenkende oder Andersgläubige im Recht sein könnte, kann man diese Haltung kaum prägnanter zum Ausdruck bringen als mit den Worten:

1Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. a 2Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und bmit welchem Maß ihr meßt, wird euch zugemessen werden. 3Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? 4Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen?, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. 5Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.“ (Mt 7)

Es wird eine undogmatische Haltung propagiert. Jesus selbst hat keine Dogmen formuliert und keine „heiligen Schriften“ hinterlassen, und sein Umgang mit der vorhandenen Heiligen Schrift war äußerst unorthodox: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist … Ich aber sage Euch…“. Das Neue Testament entstand erst Jahrzehnte nach der Kreuzigung, und seine Entstehung gehört bereits in den Kontext der Transformation des Christentums zum sozialen System. Auch dann aber war nicht der Text Zentrum und letzter Bezugspunkt des christlichen Glaubens, sondern die Person Christi (was der Grund dafür ist, dass man bibelkritisch sein kann, ohne unchristlich zu sein).

Und schließlich handelt es sich um eine inklusive Lehre: Wenn der Samariter vor Gott gerechtfertigt war, dann ist es prinzipiell jeder Mensch. Vor Gott sind alle gleich – er liebt alle Menschen, nicht etwa nur die Christen.

Wunderbar, nicht wahr? Wenn es einfach dabei geblieben wäre, dann – würde das Christentum schon lange nicht mehr existieren.

Es liegt auf der Hand, dass Religion auf Gemeinsamkeit, auf Austausch mit Gleichgesinnten, kurz: auf die Existenz einer Gemeinschaft angewiesen ist. Eine Gemeinschaft bedarf aber bestimmter Regeln, wer dazu gehören soll und wer nicht, welche Glaubensinhalte und heiligen Texte verbindlich sein sollen, wie Entscheidungen zustandekommen usw. Soziologisch formuliert ist sie ein soziales System, das darauf angewiesen ist, die System-Umwelt-Grenze zu definieren, das intern durch Mitgliedschaftsrollen strukturiert wird, und das sich im Zuge des eigenen Wachstums immer stärker differenzieren muss.

Damit aber gerät die entstehende Kirche unausweichlich in einen Widerspruch zu ihrer eigenen Botschaft: Idealiter müsste eine christliche Kirche die Gemeinschaft derer sein, die von Gottes- und Nächstenliebe im Sinne Jesu Christi beseelt sind. Nur: Wer will das überprüfen? Als soziales System kann die Kirche nur verarbeiten, was kommunizierbar ist; also das Bekenntnis zu den verbindlichen Glaubensartikeln, die Teilnahme an Ritualen, die Erfüllung von Geboten, den Gehorsam.

Die von Christus gepredigte Ethik der Liebe verwandelt sich in dem Moment, wo sie institutionalisiert wird, in ihr Gegenteil, nämlich eine Ethik der Tat. Die Liebe zu Gott verwandelt sich in dem Moment, wo sie von der Kirche als seinem irdischen Arm mit Anspruch auf Gehorsam und unter Sanktionsdrohung gefordert wird, in ihr Gegenteil, nämlich die Furcht vor Gott. Der Andersgläubige hört in dem Moment, wo er durch die schiere Existenz der christlichen Gemeinschaft aus dieser ausgeschlossen ist, auf, der potenzielle Samariter zu sein, der vor Gott gerechtfertigt ist, und wird zu einem Menschen, der vor Gott niemals gerechtfertigt sein kann, weil es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Und die Kirche selbst entwickelt als Institution Eigeninteressen, durch die sie aufhört, ein Instrument des Glaubens zu sein – stattdessen wird der Glaube zum Instrument dieser Interessen.

Wir haben es hier also mit einem elementaren Widerspruch zu tun: zwischen dem christlichen Glauben einerseits, der seiner Natur nach auf einer inneren, individuellen Beziehung zu Gott beruht, und der Religion andererseits, in der dieser Glaube in Gestalt eines sozialen Systems objektiviert wird.

(An diesem Sachverhalt würde sich auch dann nichts ändern, wenn die Religion – das soziale System – nicht die Form einer zentralisierten Kirche angenommen hätte, sondern dezentral organisiert wäre, wie z.B. der Islam; entscheidend ist, dass das soziale System seiner Natur nach zwischen Zugehörigen und Nichtzugehörigen unterscheiden und die – kontrollierbare – Glaubensausübung an die Stelle des nicht kontrollierbaren Glaubens setzen muss.)

Da die Kirche aber weiterhin die Botschaft Christi predigen musste und diese nicht schrankenlos nach ihren Machtinteressen manipulieren konnte, züchtete sie selbst – Sie konnte gar nicht anders! – die Opposition in Gestalt zunächst der Ketzerei, dann des Protestantismus. Der innere Widerspruch zwischen Glaube und Religion verwandelte sich damit in einen äußeren Gegensatz zwischen konkurrierenden Kirchen. In der Logik dieses Sachverhalts liegt es auch, dass der Protestantismus seinerseits denselben Widerspruch reproduzieren musste und – schon infolge seines institutionenkritischen Ansatzes – in eine immer größere Zahl immer kleinerer Glaubensgemeinschaften zerfiel. Bis heute ist es so, dass der Protestantismus den größeren Wert auf den Glauben, also auf das subjektive, individuelle Moment des Christentums legt, während der Katholizismus dessen soziales, objektives und damit institutionelles Moment in den Vordergrund rückt. Dabei halten beide Konfessionen einander im Zaum: Eine rein protestantische Christenheit würde schnell zu einem konturlosen Brei zerfließen, eine rein katholische dagegen – nun, das hatten wir schon einmal.

Dadurch verlor die Kirche ihre dominierende Stellung gegenüber dem Staat einerseits, den Gläubigen andererseits: Hatte der deutsche König Heinrich IV. noch nach Canossa pilgern müssen, um sich die überlebensnotwendige Gunst des Papstes zu sichern, so konnte ein anderer Heinrich, der Achte von England, es sich leisten, aus mehr privaten als religiösen Motiven seine eigene Kirche zu gründen. Die einfachen Gläubigen wiederum hatten, im Prinzip zumindest, die Option des Konfessionswechsels.

Diese Schwächung der Kirche als Institution führte selbstredend nicht dazu, dass das Christentum aufgehört hätte, die alleinige Quelle der ethischen und moralischen Orientierung abendländischer Gesellschaften zu sein – andere Quellen gab es ja nicht.

Vielmehr wurde der Widerspruch zwischen Glaube und Religion dadurch aufgehoben, dass das christliche Menschenbild und die damit verbundene Ethik der individuellen Autonomie, der gegenseitigen Toleranz und der Gleichheit aller Menschen vor Gott als Grundlage des Liberalismus säkularisiert wurde. Das Christentum als Religion, d.h. die Kirche, wurden partikular, während Menschenbild und Ethik verallgemeinert wurden.

(Also ein klassischer dialektischer Prozess: Die These, der christliche Glaube, bringt die Religion als seine eigene Antithese hervor, und der dadurch entstehende Widerspruch wird in einer Weise aufgehoben, in der beides sowohl negiert wird als auch erhalten bleibt. Doktor Karl Marx, dessen Genie ich ebenso verehre wie ich die geistige Impotenz seiner dogmatischen Epigonen verachte, hätte seine helle Freude daran gehabt.)

Damit ist erklärt, warum gerade das christliche Abendland, und nicht irgendeine andere Weltzivilisation, den Liberalismus, die Voraussetzung einer demokratischen Ordnung hervorgebracht hat. Nicht behauptet wird damit, dass jedes christlich geprägte Land den Weg zur liberalen Demokratie einschlagen müsse, und auch nicht, dass nichtchristliche Länder ihn  nicht finden könnten – Indien und Japan haben es ja auch geschafft. Aus Gründen, die ich im zweiten Teil dieses Aufsatzes darlegen werde, glaube ich aber, dass gerade islamisch geprägte Kulturen für demokratisches Gedankengut besonders unempfänglich sind.

Bis dann also!

Die infantile Gesellschaft

Mein Brotberuf ist der des Versicherungsmaklers, und was ich dabei verdiene, ist die Sorte Brot, die man im Schweiße seines Angesichts isst. Nicht, dass es keinen Spaß machen würde. Im Grunde trinkt man mit netten Leuten Kaffee und verdient Geld damit. Aber das Produkt, dass ich verkaufe, kann man weder sehen noch anfassen; es ist ein bedingter Rechtsanspruch, also etwas denkbar Abstraktes. Ein Vernunftprodukt, das nur vernünftige Menschen kaufen; und darin liegt das Problem.

Wenn es zum Beispiel um das Thema „Altersversorgung“ geht – die Zahlen liegen auf dem Tisch, der Kunde wird im Alter arm sein, wenn er nichts unternimmt -, dann regredieren scheinbar gestandene Menschen vor meinen Augen zu Kindsköpfen: „So alt werde ich nicht.“ – „So alt will ich gar nicht werden.“ – „Ich habe doch mein eigenes Haus.“ (wahrscheinlich ein essbares Hexenhäuschen aus Lebkuchen, die obendrein nachwachsen) – „Das ist doch noch so lange hin.“ (sagt eine Vierzigjährige) – „Ich zahle schon so viel in die Gesetzliche, da sehe ich nicht ein, dass…“ – „Ich zahle doch nicht noch extra, nur weil die Politiker…“

Schon mancher Kunde hat mich vor die Tür gesetzt, weil ich ihm mit dem mir eigenen diplomatischen Takt sagte, seine Argumentation sei nicht die eines Erwachsenen.

Und man denke nicht, dass nur Angehörige der berühmten „bildungsfernen Schichten“ so argumentieren. Vor ein paar Jahren arbeitete ich für eine Unternehmensberatung und musste mir von in Ehren ergrauten mittelständischen Unternehmern anhören, dass sie trotz der katastrophalen Lage ihrer Firma nichts ändern wollten; schließlich könne man ja unter dieser Regierung nicht erfolgreich sein. Aus diesem Job bin ich bald geflüchtet.

Es war Ruth, die mich auf die Idee gebracht hat, dass die Mentalität solcher Kunden Ausdruck einer umfassenden Infantilisierung europäischer Gesellschaften sein könnte (Kompetent kann ich mich natürlich nur über Deutschland äußern.), die nicht nur für geschäftliche Frustrationen verantwortlich ist, sondern auch für höchst sonderbare Umfrageergebnisse, die ihrerseits einer nicht minder wunderlichen Politik Vorschub leisten.

So unterstützen 86 % (!) der Wahlbürger, also hochgerechnet über 50 Millionen Deutsche, den Vorschlag von Kurt Beck, das Arbeitslosengeld I für Ältere länger auszuzahlen. Diese 50 Millionen möchten also nicht, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, und damit die Lohnnebenkosten, gesenkt wird, damit mehr Arbeitsplätze entstehen; sondern sie möchten die Arbeitslosen besser alimentieren. Genau so steht nämlich die Alternative.

Eine Mehrheit (ich weiß momentan nicht genau, wieviel Prozent) ist gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters; heißt in der Konsequenz, sie sind entweder für höhere Beiträge (und damit mehr Arbeitslosigkeit, s.o.), oder für niedrigere Renten. Genau so steht nämlich die Alternative.

Eine Mehrheit ist gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Sie ist also für die Rückkehr der Taliban. Das ist die Alternative.

Mit anderen Worten: Eine Mehrheit der Deutschen hält Politik für eine Art Speisekarte, aus der man sich das Wohlschmeckende heraussuchen kann. Wer A sagt, das ist die Grundannahme, muss noch lange nicht B sagen. Muss ich  beweisen, dass das kindisch ist?

So, wie der Gedanke sich verflüchtigt hat, dass primär jeder Mensch selbst für sein eigenes Auskommen zu sorgen hat (Ein-Euro-Jobs! Wie kann man die armen Menschen dazu zwingen, für einen Euro pro Stunde zu arbeiten?! Dass sie in Wirklichkeit für ihren notwendigen Lebensunterhalt plus den einen Euro arbeiten, hat sich nicht herumgesprochen.), so fremd ist den meisten der Gedanke, dass jedes Land für seine eigene Sicherheit verantwortlich ist. Warum selber etwas tun, wenn man doch die Amerikaner hat? Die sind offenbar durch göttlichen Ratschluss dazu verpflichtet, die Verantwortung für unser aller Sicherheit zu übernehmen, gegebenenfalls auch den Kopf hinzuhalten. Und sich, wenn sie dies tun, unser Genöle anzuhören. Die Haltung eines ziemlich schlecht erzogenen Kindes gegenüber ziemlich nachsichtigen Eltern.

Die meisten Deutschen sind stolz darauf, wie moralisch ihr Land ist, wobei die Moral im Wesentlichen darin besteht, keine Gewalt anzuwenden. Man nennt das Pazifismus, und der hat angeblich seine Wurzeln in der christlichen Ethik. Hat er? Die christliche Ethik fordert dazu auf, nicht selbstgerecht zu sein. Sie fordert dazu auf, die Dinge mit den Augen des Anderen, notfalls auch des Feindes, zu betrachten. Oft stellt sich dann heraus, dass er nicht ganz Unrecht hat, und dass man mit ein bisschen Entgegenkommen die Feindschaft überwinden kann. Oft. Nicht immer.

Der Pazifismus aber geht davon aus, dass Entgegenkommen und Gewaltverzicht immer die gebotene Haltung ist. Eine solche Ethik ist schon deswegen nicht christlich, weil sie eine rigide Handlungsethik ist. Vor allem aber vermeiden solche Christen es gerade, die Dinge mit den Augen des Feindes zu sehen; man erspart sich damit die Erkenntnis, dass man selber aus dessen Sicht unter Umständen wie eine fette Beute aussieht. Kindisch ist daran die unreflektierte Verinnerlichung von Normen; kindisch ist die Nichtberücksichtigung der Folgen des eigenen Handelns; und kindisch ist schließlich die naive Ich-Bezogenheit, die den Anderen nicht als eigenständige Größe sieht, als jemanden, der seiner eigenen Logik folgt, sondern davon ausgeht, das eigene Verhalten müsse vom Anderen rückgespiegelt werden: Wenn ich Dir nichts tu, dann tust Du mir auch nichts, gell?

Wenn man den anderen nur durch die eigene narzisstische Brille sehen kann, bleibt als Alternative zur Feindschaft (die um jeden Preis vermieden werden muss) nicht etwa die Freundschaft, zu der auch Respekt und Distanz gehören, sondern die Verschmelzung, die Grenzauflösung, die Symbiose, bei der zwischen „Ich“ und „Du“ bzw. bei Gruppen „Wir“ und „Ihr“ nicht unterschieden werden darf.

Das kann als harmlose Marotte daherkommen, z.B. als die leicht peinliche Figur des christlichen Philosemiten, der sich als Jude gibt, ohne einer zu sein. Als protestantische Bischöfin, die es dem jüdisch-christlichen Dialog schuldig zu sein glaubt zu erklären, Jesus sei ein jüdischer Wanderprediger gewesen „wie andere auch“ – also nicht Sohn Gottes oder dergleichen. Das ist exakt die jüdische Auffassung von Jesus. Als solche, d.h. als jüdische, völlig in Ordnung; nur christlich ist sie eben nicht. Diese Unfähigkeit, Unterschiede zu akzeptieren (und damit, das vergisst der Gutmensch, auch die Integrität des Anderen zu wahren) ist ärgerlich, aber harmlos im Verhältnis zum Judentum. Dieselbe Haltung („Wir müssen den Islam wollen“) wird zur Katastrophe im Verhältnis zu einer militant missionarischen Religion wie dem Islam.

Die Nichtunterscheidung zwischen Wir und Ihr ist es auch, die speziell die Linke, aber auch sonst wesentliche Teile der deutschen Gesellschaft dazu verführt, Politik nicht vom Standpunkt der eigenen (deutschen, europäischen, westlichen) Interessen zu betrachten, sondern vom Standpunkt eines weltumarmenden Gerchtigkeitspathos, in der schon die Verfolgung völlig legitimer Eigeninteressen als anrüchig, rassistisch oder imperialistisch gilt. Die Unterscheidung von Freund und Feind auf der Basis dieser Interessen – die nicht die politische Leitunterscheidung ist, wie Carl Schmitt meinte, aber doch eine völlig legitime Unterscheidung -, ist unter solchen Umständen natürlich ausgeschlossen, und so kommt es, dass ein infantilisiertes Volk, oder zumindest Teile davon, für jeden noch so verbrecherischen antiwestlichen Fanatiker „Verständnis“ hat oder gar mit ihm sympathisiert.

Die Infantilisierung ist weit fortgeschritten. Warum das so ist? Tja. Da muss ich passen.

[Einer, der nicht passen will, ist Fjordman; daher mehr zum Thema hier:]

Noch ein paar Gedanken zu: Christentum, „Islamophobie“, Antisemitismus

Den Anstoß zu diesem Beitrag gab Ruth, die in ihrem Blog die Neigung mancher Juden kritisiert, den Antisemitismus durch Entgegenkommen gegenüber fremden Erwartungen beschwichtigen zu wollen:

„Juden/Israelis wurde und wird regelmaessig vorgeworfen, beschraenkte, juedische Sonderinteressen zu verfolgen. Eine Reaktion darauf war und ist, dass Juden/Israelis das Gegenteil unter Beweis stellen wollen, indem sie ostentativ die Interessen anderer vertreten und/oder juedische/israelische Interessen nicht vertreten.“

Sie führt als Beispiel das Verhalten von jüdischen Hollywood-Produzenten an, die vor dem Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg auf Anti-Nazi-Filme verzichteten, um sich nicht den Vorwurf zuzuziehen, jüdische Sonderinteressen zu verfolgen. Das Muster kommt immer wieder vor: Die schärfsten Israel-Kritiker sind nicht selten selbst Juden (Chomsky, Avnery).

In Anknüpfung an Ruths, wie ich finde, zutreffende Kritik, entwickele ich hier einige Gedanken zur Anatomie des Antisemitismus, aus denen nicht nur hervorgeht, warum eine Politik der Beschwichtigung gegenüber dem Antisemitismus zum Scheitern verurteilt ist, sondern auch, was das für die Haltung gegenüber dem Islam bedeutet:

Wenn ein europäischer oder amerikanischer Christ sagt, wir müssten Israel unterstützen um der Selbstbehauptung der Demokratie willen, oder wenn er aus demselben Grund vor siebzig Jahren sagte, „Wir müssen die Nazis bekämpfen“, dann wird ihm sein Publikum zustimmen oder auch nicht, aber niemand wird bezweifeln, dass es ihm tatsächlich um die Demokratie bzw. die Interessen des eigenen Landes geht.

Sagt aber ein Jude genau dasselbe, dann werden zwei von drei Christen unterstellen: „Der sagt das nur, weil er Jude ist und ihm deshalb die Interessen Israels (bzw. 1940 die der europäischen Juden) wichtiger sind als die des eigenen Landes, das er um jüdischer Partikularinteressen in einen Konflikt verwickeln will.“ Heute wagt natürlich niemand mehr, dergleichen öffentlich auszusprechen, aber denken tun viele es immer noch, und im kleinen Kreis sagen sie es auch.

Die Unterstellung, Juden seien im Zweifel illoyal dem eigenen Land gegenüber, ist nach sozialwissenschaftlichen Erhebungen von allen antisemitischen Klischees immer noch das am weitesten verbreitete. Und diese Unterstellung trifft ausschließlich Juden: Wenn ein deutscher oder französischer Muslim sich etwa für die Palästinenser einsetzt, wird man das vielleicht auch mit seinem religiösen Hintergrund in Verbindung bringen, daran aber kaum den Vorwurf der Illoyalität knüpfen. Es gibt auch nichts, was Juden tun könnten, um diesen Verdacht zu zerstreuen, einfach, weil er mit ihrem Verhalten überhaupt nichts zu tun hat:

Das Christentum entwickelte seine spezifische Identität in Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung vom Judentum – es definierte sich geradezu dadurch, dass es nicht jüdisch war, während es zugleich den Anspruch erhob, gleichsam das bessere Judentum zu sein. Dadurch wurde den Juden von Beginn der Christianisierung an der Status der „Sie-Gruppe“ (also der Gegengruppe zur „Wir-Gruppe“) zugeschrieben und durch den prägenden Einfluss des Christentums auf die von ihm durchdrungenen Gesellschaften in deren kulturelle DNA eingeschrieben: Dass die Juden die „Anderen“ sind, gehört daher zu den vorbewussten kulturellen Selbstverständlichkeiten in christlich geprägten Gesellschaften, die deshalb auch nicht auf die theologische Begründung angewiesen sind, auf der sie irgendwann einmal beruht hatten, sondern in jeden beliebigen ideologischen Kontext integrierbar sind – sei er rassistisch, nationalistisch, sozialistisch, antiimperialistisch, was auch immer. (Das Teuflische daran ist unter anderem, dass mit jedem neuen ideologischen Kontext auch neue antisemitische Klischees erzeugt werden, die mit dem Absterben der jeweiligen Ideologie nicht verschwinden, sondern als Denkfiguren und Deutungsmuster – also als Potenzial – erhalten bleiben und in ganz unerwarteten Zusammenhängen wieder auftauchen können; so etwa die Vorstellung vom Kindermörder (Herodes, Ritualmordlegenden) im „antizionistischen“ oder das Klischee vom „jüdischen Kapitalisten“ im islamistischen Zusammenhang).

Wenn man sich dies vor Augen hält, versteht man auch, warum es niemals einen „Antiislamismus“ oder eine „Islamophobie“ geben kann, die mit dem Antisemitismus vergleichbar wäre: Für das Selbstverständnis christlich geprägter Gesellschaften spielt das Judentum – aber eben nicht der Islam! – eine zentrale Rolle als negativer Bezugspunkt.

Es liegt eine gewisse tragikomische Ironie darin, dass christliche Westler, die sich verzeifelt bemühen, alles zu tun, um den Hass der Muslime auf den Westen zu besänftigen, demselben Trugschluss unterliegen, wie jene Juden, die den Antisemitismus auf ihre eigenen Eigenschaften und ihr eigenes Verhalten zurückführen (statt ihn als Eigenschaft der sie umgebenden Gesellschaft zu betrachten), und daher glauben, ihn durch Entgegenkommen, Selbstverleugnung, Selbsthass, Anbiederung oder Unterwerfung beschwichtigen zu können. Aus der Sicht des Islam nämlich erfüllen Christentum und Judentum gemeinsam die Funktion, die das Judentum für das Christentum hat – die Funktion der Kontrastfolie, vor deren Hintergrund das eigene Selbstverständnis definiert wird. Definiert sich das Christentum dadurch, dass es nicht jüdisch ist, so definiert sich der Islam dadurch, dass er nicht jüdisch und nicht christlich ist. Wobei noch verschärfend hinzukommt, dass es einem Muslim – anders als einem Christen – geradezu verboten ist, solche Zusammenhänge kritisch zu hinterfragen, weil dies einer Infragestellung des Koran gleichkäme.

Wenn es also im christlich-islamischen Verhältnis eine Parallele zum christlichen Antisemitismus gibt, so liegt sie nicht in einer christlich-westlichen „Islamophobie“, sondern im islamischen Christenhass. Wer dies nicht glauben will, dem rate ich, sich mit der Situation von Christen in islamischen Ländern zu befassen; die ist mindestens so prekär wie die von Juden im christlichen Mittelalter. Und außerdem rate ich ihm zu einem Leseexperiment: Lies den Koran, und ersetze das Wort „Ungläubige“ durch das Wort „Juden“ – Du wirst keinen Zweifel hegen, ein antisemitisches Pamphlet der besonders bösartigen Sorte vor Dir zu haben. Mit anderen Worten: Der heilige, unanfechtbare und unhinterfragbare Grundtext des Islam spricht über die „Ungläubigen“ genauso wie sonst nur die übelsten Antisemiten über die Juden!

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Die Bücher von Henryk M. Broder

Christentum, „Islamophobie“, Antisemitismus

Am 28.April 2006 erschien auf der Internetseite des Zentralrats der Juden in Deutschland folgende Mitteilung:

„Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich für eine stärkere Zusammenarbeit von Juden und Muslimen bei der Bekämpfung von Extremismus ausgesprochen. Generalsekretär Stephan J. Kramer:  ‚Die Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie sind weitgehend die gleichen, deshalb soll das geplante Forschungszentrum die grundsätzlichen Mechanismen erforschen, um aus den Ergebnissen konkrete Handlungsschlüsse zu ziehen und Konzepte zu entwickeln,, wie wir diese vor Ort wirksam bekämpfen können.’“

Warum wird überhaupt noch ein Forschungszentrum gegründet, wenn die Ergebnisse dieser Forschung doch schon feststehen, nämlich dass es eine psychische Krankheit namens „Islamophobie“ gibt und dass „die Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie … weitgehend die gleichen sind“?

Nanu, frage ich mich als islamkritischer Deutscher. Sind neuerdings „Protokolle der Weisen von Mekka“ im Umlauf? Werden Muslime beschuldigt, Brunnen zu vergiften oder Christenkinder zu schlachten? Habe ich was verpasst? Was ist mit antisemitischen Muslimen? Zählt deren Antisemitismus nicht?

Ich weiß nicht, ob Hector Calvellis Behauptung stimmt, der Begriff „Islamophobie“ stamme aus der iranischen Propaganda. Wenn ich allerdings lese, dass der israelische Botschafter Shimon Stein am 23.Mai 2006 die Begrüßungsworte bei einer Podiumsdiskussion gesprochen hat, bei der es eben um das oben genannte Thema geht, dann kann ich mir die Frage nicht verkneifen, ob Israel keine anderen Probleme hat als die Sorge, dass seine Todfeinde diskriminiert werden könnten. Die militanten Unterstützer Israels in Deutschland jedenfalls dürften im Zweifel eher aus dem Lager derer kommen, die Kramer „islamophob“ nennt als aus dem der Islamophilen.

Soviel ist gewiss richtig, dass es bei uns auch Menschen gibt, die Alles und Jeden hassen, der in ihren Augen „undeutsch“ ist, also Juden und Muslime gleichermaßen (darüberhinaus aber auch Homosexuelle, Behinderte, Linke, Schwarze und Gelbe – warum der Zentralrat sich unter allen Gruppen, mit denen er sich sinnvollerweise solidarisieren könnte, ausgerechnet die Muslime herauspickt, ist mir ein Rätsel). Die Behauptung, es gebe eine Entsprechung zwischen Antisemitismus und „Islamophobie“, geht aber weit über die Binsenwahrheit hinaus, dass es in der deutschen Gesellschaft Rechtsextremisten gibt. Sie impliziert die Unterstellung, islamkritische oder -feindliche Einstellungen beruhten auf einem psychischen Defekt (Phobie!) großer Teile der Mehrheitsgesellschaft, der sich in einer dem Antisemitismus verwandten Ideologie niederschlage. Diese müsste – das wäre die politische Konsequenz – gesellschaftlich genauso geächtet werden wie jener.

Dass mich das alles ärgert, beweist natürlich noch nicht, dass es falsch ist. Überprüfen wir es also:

Wenn man nach Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamkritik sucht, so fällt zunächst auf, dass es gerade zu einigen der giftigsten antisemitischen Denkfiguren keine Parallelen im zeitgenössischen islamkritischen Diskurs gibt: Weder behauptet irgend jemand, die Muslime seien eine „Rasse“, die in einem biologisch begründeten (und daher nur durch Ausrottung aus der Welt zu schaffenden) Gegensatz zum Rest der Menschheit stünde, noch werden Muslime im Wege der Verschwörungstheorie zu den „wahren Herrschern“ der Welt stilisiert. (Selbst ein Mann wie der von mir darob heftig kritisierte Hans-Peter Raddatz verwendet zwar Verschwörungstheorien in islamkritischem Kontext, behauptet aber nicht etwa eine Verschwörung der Muslime, sondern eine solche westlich-liberaler Eliten, denen der Islam als bloßes Vehikel der Gesellschaftszersetzung diene.)

Die gegenwärtige Islamkritik führt negative Erscheinungen in der islamischen Kultur vor allem auf die Glaubensinhalte der Religion zurück. Sie verfährt also gerade nicht nach dem Motto des Antisemitismus: „Die Religion ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei.“ Vielmehr handelt es sich um Religionskritik. Wenn es also überhaupt irgendwo Denkfiguren gibt, die im antisemitischen wie im islamkritischen Diskurs auftauchen, dann müssten sie im Bereich des traditionell christlichen, theologisch begründeten Antijudaismus zu suchen sein.

Dabei konzentriert sich die Auseinandersetzung auf zwei zentrale Fragen:

Ist der Islam naturgemäß friedlich oder aufgrund seiner Glaubensinhalte notwendig unfriedlich?

Ist er mit der Demokratie vereinbar, oder ist er (sofern er sich nicht tiefgreifend verändert) eine theozentrische, antidemokratische, intolerante, frauenfeindliche und antisemitische Ideologie?

Westliche Verteidiger des Islam verweisen gerne darauf, dass ja auch das Christentum sich in seiner Geschichte als antidemokratisch, intolerant und gewalttätig erwiesen habe, dass also der Islam nicht besser und nicht schlechter zur Demokratie passe als das Christentum. Ich selbst habe einmal (in einer Diskussion bei Lila, Kommentar Nr.38) wie folgt geantwortet:

„Ich halte die Gleichsetzung von Koran und Bibel (nach dem Motto: In der Bibel stehen ja auch schlimme Dinge) für falsch, weil sie am Kern der Sache vorbeigeht: Beide Bücher strukturieren das Weltbild der Anhänger der jeweiligen Religion, indem sie ihnen ganz bestimmte Denkmuster und Wertungen vorgeben, die dann als kulturelle Selbstverständlichkeiten verinnerlicht werden. Und diese Denkmuster und Wertungen unterscheiden sich fundamental.
(Beispiel: Jesus sagt: Wer eine Frau nur lüstern ansieht, hat im Herzen schon die Ehe mit ihr gebrochen. Der Koran sagt, Frauen sollten ihre Reize bedecken, damit Männer nicht zur Sünde verleitet werden. An diesem Gegensatz lässt sich nicht nur einiges über das Frauenbild beider Religionen lernen, sondern auch über das Verhältnis zum Prinzip der Selbstverantwortung.)

Wenn man sich nun fragt, wie diese Denkmuster aussehen, dann scheint es mir wenig hilfreich zu sein, einzelne Zitate, etwa “Es gibt keinen Zwang in der Religion”, aus dem Zusammenhang zu reißen, wie es häufig geschieht; man sollte den roten (oder vielmehr grünen) Faden suchen, also die Themen, auf die besonderes Gewicht gelegt wird, und die Perspektiven, aus denen sie behandelt werden. Und da fällt mir eben folgendes auf:

Erstens, dass der Gegensatz Gläubige-Ungläubige eine zentrale Rolle spielt. Religion wird also von vornherein nicht von der Gottesbeziehung des Einzelnen her verstanden, sondern als Gegensatz von ReligionEN aufgefasst; und über die “Ungläubigen” wird dabei gesagt, dass sie grundsätzlich lügen, in der Hölle schmoren werden und bekämpft werden müssen; daher soll sich der Gläubige auch keine Freunde unter ihnen suchen. (Dass sie im Konfliktfall von vornherein im Unrecht sind, versteht sich daher von selbst.)

Daraus ergibt sich zweitens, dass der Mensch als Individuum keine Rolle spielt; der bei Muslimen häufig anzutreffende Hang zum Denken in Kollektivbegriffen scheint hier seine religiöse Grundlage zu haben.

Drittens wird Ethik grundsätzlich mit TAThandlungen in Verbindung gebracht: Tu dies, lass jenes, dann hast Du Gott auf Deiner Seite. Das jüdische Gebot “Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst” ist im koranischen Kontext vollkommen sinnlos, weil es ja eben nicht darauf ankommt, ob Du Deinen Nächsten liebst, solange Du ihn gemäß dem koranischen Gebot behandelst. Und solange der Koran die Tötung des anderen erlaubt (etwa im Kampf gegen die “Ungläubigen”) oder zu erlauben scheint, gibt es kein ethisches Kriterium, die diese Handlung als böse ausweisen würde. Es gibt im Islam keine Ethik außerhalb des Korans. Und der Koran selbst stellt keine Kriterien bereit, sondern gibt Handlungsanweisungen.

Womit er viertens zugleich, allein durch die Vielzahl der Anweisungen, eine Gesellschaftsordnung festsetzt, innerhalb derer für Fortschritt und Wandel kaum noch Raum ist, was mit demokratischen Prinzipien kaum unter einen Hut zu bringen ist: Ob etwas gut oder schlecht ist, kann nicht Gegenstand demokratischer Entscheidungen sein, jedenfalls nicht, wenn sie dem Koran widersprechen.

Und fünftens gelten diese Anweisungen für alle Zeiten als Gottes eigenes Wort, ohne jede Relativierung. Ein Christ, der dies von der Bibel behauptet (solche Christen gibt es natürlich, und wir nennen sie ohne Weiteres “Fundamentalisten”), verstrickt sich in die Paradoxie, dass die Bibel selbst dem widerspricht (siehe z.B. den Beginn des Lukasevangeliums). Ein Muslim nicht. Der Islam ist ein geschlossens, in sich halbwegs widerspruchsfreies System, das zu hinterfragen eine Todsünde ist. Die Gedanke, dass Wahrheit relativ und eine Frage der Perspektive sein könnte, kann natürlich auch von einzelnen Muslimen gedacht werden. Er kann aber NIEMALS zur kulturellen Selbstverständlichkeit in der islamischen Welt werden.“

So. Und nun wollen wir einmal sehen, inwiefern wir hier Parallelen zu antijüdischen Argumentationsmustern finden:

Au weia, möchte man auf den ersten Blick sagen – da finden sich ja sogar eine ganze Reihe von Entsprechungen:

Ist nicht der Vorwurf, die koranische Lehre basiere auf der Entgegensetzung von Gläubigen und Ungläubigen, bei Abwertung der letzteren, eine genaue Entsprechung zu dem Vorwurf, die Juden betrachteten sich als „auserwähltes Volk“ allen anderen als überlegen?

Ist nicht der Vorwurf, eine Gesetzesreligion zu sein, bei der es bloß auf den äußeren Gehorsam ankomme, eines der zentralen Themen der christlichen antijüdischen Polemik?

Und lehnt schließlich nicht das Judentum, zumindest dessen orthodoxe Richtung, eine historisch-kritische Lesart der Thora ebenso ab wie der Islam eine solche des Koran?

Doch, doch, das ist so. Na und?

Nicht jedes auf die Theologie bezogene Argument, mit dem man auch die jüdische Religion kritisieren könnte, ist deswegen schon antisemitisch; der Antisemitismus beginnt dort, wo jüdische Glaubensinhalte zum Zwecke der Diffamierung absichtlich verzerrt werden. Wenn jemand zum Beispiel den Gedanken des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel zu einem Projekt jüdischer Weltherrschaft umlügt: Das ist Antisemitismus!

Da aber jüdische und islamische Theologie viele Gemeinsamkeiten aufweisen, liegt es in der Natur der Sache, dass manche theologischen Argumente gegen die eine Religion auch gegen die andere gewendet werden können. Der zentrale Vorwurf der Islamkritiker aber, ohne den alle anderen bedeutungslos wären, ist einer, der das Judentum nicht trifft und auch nie erhoben worden ist, jedenfalls nicht von einem christlichen Standpunkt. Er lautet, dass der Islam die Pflicht jedes Menschen proklamiert, Muslim zu sein, und die Pflicht jeder Gesellschaft, in der Muslime leben, sich den Geboten des Islam zu unterwerfen. Und damit auch das Recht der Muslime, diese Unterwerfung gewaltsam zu erzwingen. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Religion nicht nur in sich undemokratisch ist, sondern auch eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft darstellt.

Islamkritiker dürfen es sich daher getrost verbitten, einer „Phobie“, also einer Geisteskrankheit bezichtigt und mit Antisemiten in einen Topf geworfen zu werden. Die Gleichsetzung von Islamkritik mit Antisemitismus ist vielmehr Ausdruck von…

…tja, wie nennt man das? Ich schlage vor: Christianophobie.

Noch ein Beitrag zum Thema

 

 

Für alle, die sich wundern, …

.. dass ich so plötzlich verstummt bin:
Ich bin gerade dabei, etappenweise einen langen, langen Beitrag zu schreiben, und habe mittendrin Probleme mit der Tücke der Technik bekommen; mein Blog funktioniert plötzlich nicht mehr so, wie er soll, und ich versuche über das WordPress-Forum und den Support, es wieder in den Griff zu bekommen.
Der Beitrag wird wohl erst Mitte der kommenden Woche erscheinen können. Inschallah 🙂 !Einstweilen kann ich ja schon ein bisschen Vorab-Reklame machen: Es geht um eine ausführliche ideologiekritische Analyse von Hans-Peter Raddatz‘ Buch: „Von Gott zu Allah? Christentum und Islam in der liberalen Fortschrittsgesellschaft“. Der Autor vergleicht darin die historische Entwicklung von Religion und Kultur des Islam einerseits, des Westens andererseits, und fragt danach, was bei dem Aufeinandertreffen beider Kulturen wohl herauskommen wird.
Das Buch hat ihm prompt einen Mordaufruf von islamischer Seite eingetragen. Was den Autor ja schon einmal sympathisch macht. Leider hat er sich nicht darauf beschränkt, seine – m.E. zutreffende – kritische Einschätzung des Islam zu entwickeln, sondern hat bei seiner Analyse der westlichen Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger als einen Großangriff auf die Grundlagen der offenen, demokratischen Gesellschaft formuliert, und zwar vom Standpunkt des christlichen Fundamentalismus. Da Raddatz zwar viele Kritiker hat, von denen aber kein einziger (jedenfalls keiner, der mir bekannt wäre) diesen Aspekt unter die Lupe genommen hat; da er andererseits viele Fans hat (von denen viele anscheinend gar nicht merken, was für eine Art von Ideologie ihnen da untergejubelt wird), halte ich es der Mühe für wert, sein Gedankensystem Schräubchen für Schräubchen zu demontieren, um die Struktur des paranoiden, rechtstotalitären Wahnsystems offenzulegen, auf dem seine Argumentation aufbaut. Bis nächste Woche also!