Albrecht Müller: „Meinungsmache.“ (Rezension)


Wenn die deutsche Politik jemals eine Wahlkampfparole hervorgebracht hat, die den Adressaten zum Mitdenken aufrief, dann war das der 72er SPD-Slogan „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen“. Eine ziemlich faire Parole, weil sie den Leser nicht manipuliert: Er wird zum Nachdenken animiert, und das heißt: Er kann sie auch ablehnen.

Dem linken Sozialdemokraten Albrecht Müller, der als Schöpfer dieses Slogans gilt, wird man also zumindest bescheinigen müssen, dass er die Intelligenz seiner Mitmenschen respektiert. Solcher Respekt gerät bei den meinungsbildenden Eliten bekanntlich immer stärker außer Kurs, und Müller hat ein ganzes Buch genau den Methoden gewidmet, mit denen sie dafür sorgen, dass der vielzitierte Mainstream in eine ganz bestimmte Richtung fließt.

[Diese Rezension wurde schon 2010 auf diesem Blog veröffentlicht, aber alles, was ich damals geschrieben habe, wurde seitdem von der Realität sogar übertroffen, und auch Müllers Buch ist aktueller denn je. Die damaligen Kommentare habe ich stehengelassen, ohne aber den Kommentarstrang nochmals zu öffnen. M. K.-H.]

(Albrecht Müller: 
Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen)

Dabei macht er Erfahrungen, die einem Konservativen merkwürdig vertraut vorkommen, und so mancher Kommentator dieses Blogs wird mit einer Mischung aus Mitgefühl und Schadenfreude Passagen wie diese hier lesen:

Wenn ich … beschreibe, dass die Leistungsfähigkeit des bisherigen Rentensystems systematisch, bewusst und geplant der Erosion preisgegeben worden ist, um [sic!] an diesem Zerstörungswerk zu verdienen, dann kommt der Angriff mit der Behauptung: ‚Sie sind ein Verschwörungstheoretiker!’“(S.133)

Leider analysiert er nicht die Wirkungsweise gerade des Vorwurfs der „Verschwörungstheorie“; also erlaube ich mir hier einen Exkurs: Wie manchem Leser erinnerlich ist, bin ich höchst kritisch gegenüber Verschwörungstheorien und habe im Einzelfall ausführlich begründet, was ich unter einer Verschwörungstheorie verstehe und warum ich sie für problematisch halte. Wer so argumentiert, erlegt sich selbst die Beweislast auf.

Es greift aber immer mehr um sich, Verschwörungstheorien zu tabuisieren, ohne zu begründen, warum. Auf diesem Wege wird die Ablehnung von Verschwörungstheorien zum bloßen sozialen Vorurteil und das Wort „Verschwörungstheorie“ zum Etikett, das man nahezu beliebigen Meinungen aufpappen kann, die dadurch aus dem seriösen Diskurs ausgegrenzt werden – ähnlich, wie es mit dem Wort „rechtsextrem“ schon geschehen ist. Das Ergebnis ist eine Beweislastumkehr: Wer beweisen will, dass er kein „Verschwörungstheoretiker“ respektive nicht „rechtsextrem“ ist, kann dies nur dadurch tun, dass er sich von allen Meinungen, Personen und Organisationen distanziert, denen das entsprechende Schandmal aufgebrannt wurde. Da die Diffamierung aber nahezu beliebig vorgenommen werden kann, führt diese (wie jede andere) Art von Appeasement keineswegs dazu, die Diffamierer zufriedenzustellen; vielmehr wird die Grenze des gesellschaftlich Tolerablen mit jedem Zugeständnis enger gezogen: Musste man vor dreißig Jahren noch Hakenkreuzfahnen schwenken, um als rechtsextrem eingestuft zu werden, so reicht heute schon der Gebrauch des Wortes „Neger“.

Müller, wie gesagt, interessiert sich dafür weniger. Linke Sozialisten sind zwar aus der Sicht der meinungsbildenden Eliten ebenso Außenseiter wie rechte Konservative, aber sie werden nicht so sehr moralisch diffamiert, eher schon laufen sie Gefahr, als rückständige Sozialromantiker lächerlich gemacht zu werden, die die Zeichen der Zeit – und speziell der Globalisierung – nicht erkannt haben.

Umso bemerkenswerter die Parallelen, die zwischen beiden Arten politischen Denkens bestehen. Vielleicht fallen diese Parallelen einem wie mir besonders ins Auge, der lange Jahre politisch dort stand, wo auch Müller steht, und heute dort ist, wo der rechte Flügel der CDU wäre, wenn es einen solchen noch gäbe. Ich glaube aber, dass die Gemeinsamkeiten von Sozialisten und Konservativen nicht nur meiner speziellen Optik geschuldet, sondern objektiv vorhanden sind:

Einer wie Müller, der den handlungsfähigen Staat, ein breites und tiefes Angebot öffentlicher Dienstleistungen, aktive keynesianische Konjunkturpolitik und eine dichtgeknüpftes soziales Netz will, fasst Gesellschaft offenkundig nicht als eine bloße Masse von Einzelperonen auf, sondern als Solidargemeinschaft. Das ist das Gegenteil von dem, was der neoliberalen Doktrin entspricht, ähnelt aber offenkundig dem klassischen konservativen Programm der Bewahrung von Volk und Familie, das heißt von – Solidaritätsstrukturen!

Diese Programme sind selbstverständlich nicht gleich, aber sie sind miteinander vereinbar, zum Teil sogar voneinander abhängig: Ist Sozialismus schon rein technisch schwer vorstellbar ohne Bezugnahme auf einen Staat, so ist er – als Solidargemeinschaft – erst recht ideell unvorstellbar ohne die Bereitschaft zur wechselseitigen Solidarität im gesellschaftlichen Maßstab. Solche Bereitschaft fällt aber nicht vom Himmel, und sie wird auch nicht vom Sozialstaat erzeugt; vielmehr findet er sie vor! Die Bereitschaft zur materiellen Solidarität setzt die Vorstellung von einem „Wir“ voraus. Zu deutsch: ein Volk.

Freilich wollen die Linken das nicht wahrhaben, weil es sie in ideologische Peinlichkeiten stürzt: Zu den Implikationen dieses Sachverhalts gehört ja unter anderem, dass Sozialismus stets etwas sein muss, das man mit einigem Recht auch „National-Sozialismus“ nennen könnte. Eine Solidargemeinschaft kommt, allein schon um die Gegenseitigkeit zu gewährleisten, ohne die es sinnlos wäre, von „Solidarität“ zu sprechen, gar nicht darum herum zu definieren, wer dazugehört und wer nicht. Aller internationalistischen Rhetorik zum Trotz würde ein Sozialismus, der alle Menschen weltweit beglücken wollte, schnell aufhören zu existieren. Sozialismus wird immer, wie Stalin das nannte, „Sozialismus in einem Lande“ sein.

Aus der Abneigung gegen solche Gedankengänge resultieren bei Sozialisten, auch bei so klugen Köpfen wie Albrecht Müller, ganz bestimmte blinde Flecken: Der Sozialstaat ist zwar in der Tat systematisch von den siebziger Jahren an ideologisch delegitimiert worden, wie er behauptet – wir kommen gleich dazu -, aber zumindest einer der wichtigsten Gründe für seinen Legitimitätsverlust hat nichts mit Ideologie, PR oder Propaganda zu tun, sondern schlicht mit der Masseneinwanderung von Menschen, bei denen von vornherein feststand, dass sie den Sozialstaat in erheblichem Maße in Anspruch nehmen würden, und zwar ohne Gegenleistung – auch ohne diejenigen Gegenleistungen an Loyalität gegenüber dem Gemeinwesen, zu denen auch ein materiell armer Mensch fähig ist. Ein solcher Sozialstaat hat mit Solidarität nichts zu tun, und niemand muss sich wundern, dass die, die ein solches System mit ihrer Arbeit finanzieren sollen, sich davon abwenden.

Ein ganz ähnlicher blinder Fleck zeigt sich beim Thema „Demographie“: Müller behauptet, Deutschlands demographische Krise (mit der der langsame Abschied vom Umlageverfahren in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet wird), werde weit übertrieben, da unser Land nach bisherigen Prognosen auch 2050 noch 75 Milionen Einwohner haben werde. Dass dieser Wert nur durch massive Einwanderung erreicht werden kann, und dass die Masse der Einwanderer nach allen bisherigen Erfahrungen gering qualifiziert und wenig integrationsbereit sein wird, ja dass sogar zu bezweifeln ist, ob Deutschland überhaupt noch regierbar sein wird, wenn sein Staatsvolk – zumindest bei den wirtschaftlich aktiven Bürgern – eine Minderheit im eigenen Land ist: Das sind Themen, die bei Müller nicht zur Sprache kommen. Er verschweigt sie nicht etwa, er hat sie einfach nicht auf dem Radarschirm.

Nun aber genug von den blinden Flecken, ich schreibe diese Rezension ja nicht zum Zwecke kleinlicher Beckmesserei!

Gemeinsam ist Sozialisten und Konservativen die Erfahrung, dass sie selbst ihre Positionen ausführlich begründen müssen, um sich verständlich zu machen, während etablierte „Wahrheiten“ zu Begriffen geronnen sind, die man schon deshalb Schlagworte nennen darf, weil sie nicht dazu da sind, Gegner argumentativ zu widerlegen, sondern ihren Widerspruch niederzuknüppeln. Ein Sozialist, der darauf hinweist, dass neoliberale Zauberworte wie „Flexibilität“ oder „Wettbewerb“ durchaus nicht immer für etwas Positives stehen müssen, bekommt ähnliche Probleme, sich verständlich zu machen wie ein Konservativer, der darauf besteht, dass Feindschaft gegen das eigene Volk hundertmal schlimmer ist als „Fremdenfeindlichkeit“. Eine Ideologie, die sich auf Schlagworte beschränken kann, ist offenkundig gesellschaftlich dominant.

Erleichtert wird diese Dominanz dadurch, dass sowohl Sozialisten als auch Konservative dazu tendieren, je verschiedene Teile dieses neoliberalen Paradigmas für richtig zu halten: die Linken also die Tendenz zu Entgrenzung und Internationalisierung – obwohl das, wie gezeigt, für Traditionssozialisten an sich inkonsequent ist -, die Rechten die Abneigung gegen das, was sie für linken Sozialklimbim halten.

Letzteres ist fast noch erstaunlicher als die linke Inkonsequenz: Es war ein Konservativer – Bismarck -, der den Grundstein für den deutschen Sozialstaat gelegt hat, und wenn Deutschland auch in den vergangenen hundert Jahren praktisch jede Regierungsform erlebt hat, die überhaupt zur Auswahl stand: Alle Regime haben den Sozialstaat unterstützt und, soweit möglich, ausgebaut. Und auch heute noch gibt es eine deutliche Mehrheit für die Idee, dass eine moderne Gesellschaft sich auch durch materielle Solidarität auszeichnen sollte.

(Wie lange es diese Mehrheit unter dem Druck der Masseneinwanderung noch gibt, steht freilich auf einem anderen Blatt: Dass diese Einwanderung die Idee des Sozialstaats schlechthin in Frage stellt, dürfte aus der Sicht der neoloiberalen Eliten nicht der geringste ihrer Vorzüge sein.)

Wir können daraus schließen, dass die Idee sozialer Solidarität zur Selbstbeschreibung des deutschen Volkes, sprich: zu seiner nationalen Identität gehört. Selbstredend müssen auch Konservative nicht vor Allem und Jedem auf die Knie fallen, was zu dieser Identität gehört, aber die Selbstverständlichkeit, mit der die sozialstaatsfeindliche neoliberale Wirtschaftsideologie von vielen Konservativen akzeptiert wird, erstaunt schon deshalb, weil sie damit ja zugleich die ihr zugrundeliegende Meta-Ideologie schlucken, wonach es überhaupt so etwas wie ein universell anwendbares Wirtschafts-(und Politik- und Gesellschafts-)modell geben könne oder gar müsse. Konservatismus, wenn er mehr sein soll als bloß geistige Bequemlichkeit, müsste aber gerade diese Prämisse des Globalismus prinzipiell anfechten und auf dem Eigenwert und der Eigenlogik unterschiedlicher gewachsener Kulturen beharren. Tut er es nicht, hat er bereits die Waffen gestreckt.

Die entscheidende Frage ist nun: Wie kommt die neoliberale Ideologie eigentlich in die Köpfe? Um dies zu erläutern, untersucht Albrecht Müller die taktischen Mittel der Meinungsmache, dann die strategischen Zusammenhänge, in denen sie eingesetzt werden, und benennt dabei auch einige wichtige Akteure. Die taktischen Mittel, mit denen Ideologie gestreut wird, sind:

Wiederholung: „Wenn alle maßgeblichen Personen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien erzählen, die Globalisierung sei ein völlig neues Phänomen …, was soll die Mehrheit der Bevölkerung dann glauben?“ (S.127) Wenn dies nicht bloß einmal geschieht, sondern über Jahre hinweg fortgesetzt wird, dann gehört das, was da verkündet wird, unweigerlich irgendwann zu den Hintergrundannahmen des gesellschaftlichen Diskurses.

Dieselbe Botschaft aus unterschiedlichen Ecken verkünden: „Wenn der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn und der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bahn
Werner Müller, der zuvor unter Gerhard Schröder Bundeswirtschaftsminister war …, wenn diese beiden das Gleiche sagen wie Norbert Hansen, der … Vorsitzende der größten Eisenbahnergewerkschaft …, dann muss der Börsengang ja gut sein für die Bahn.“ (S.129) Und, möchte man von einem rechten Standpunkt hinzufügen, wenn die CDU sich für Masseneinwanderung stark macht und uns, wie die Grünen, etwas von der damit verbundenen „Bereicherung“ vorschwärmt; wenn obendrein Heerscharen von Wissenschaftlern die vermeintlichen Vorzüge der „Diversität“ anpreisen, dann können nur ungewöhnlich selbstbewusste Menschen sich vorstellen, dass die Alle Unrecht haben sollen.

Vokabeln verwenden, die Urteile und Wertungen beinhalten: „Flexibilität“ klingt doch immer gut, nicht wahr, erst recht „Toleranz“? Müller selbst führt das Wort „Reform“ als Beispiel für einen positiv besetzten Begriff an, der dann umgedeutet wird (in „Reformen“ zugunsten der Oberschicht). (Dass die Umdeutung zentraler politischer Begriffe auch zu den bevorzugten Strategien der EU zu Gesellschaftstransformation gehört, dazu empfehle ich nochmals den Aufsatz von Christian Zeitz)

Einen gruppenspezifischen Jargon sprechen: Ein solcher reduziert ganze Ideologien auf Schlagworte, die für jeweils bestimmte Gruppen gelten und diese Gruppen definieren. Wer ihn nicht spricht – und damit anzeigt, dass er die gruppenspezifische Ideologie nicht teilt – ist draußen. In Kreisen, in denen von „den Märkten“ die Rede ist, sollte man sich Ausdrücke wie „Solidarität“ oder „Gerechtigkeit“ ebenso verkneifen wie „Vaterland“ oder „Abendland“.

Affirmativ auftreten: Menschen neigen dazu, zu glauben, was ihnen erzählt wird. Eine Richtigkeitskontrolle findet höchstens intuitiv statt: Steht der Sprecher hinter dem, was er sagt? Wenn er das vortäuschen kann, glaubt man ihm. Müller zitiert den damaligen Finanzminister Steinbrück: „Schließlich steht außer Zweifel, dass wir einen starken und wettbewerbsfähigen Finanzplatz Deutschland brauchen.“ (S.130) Wer wird sich da schon die Blöße geben, der Hinterwäldler zu sein, der bezweifelt, was doch „außer Zweifel steht“?

Immer im Angriff bleiben: Der Kritiker kann gar nicht Recht haben, und vor allem darf er es nicht. Er kann dumm (links) oder bösartig (rechts) sein; tertium non datur. Ein Rezept, das schon die Nazis praktiziert haben, ebenso wie das folgende:

Keine Diskussionen zulassen: TINA (There is no alternative) bedeutet, die eigentliche Ideologie wird aus jeder Diskussion herausgehalten; so sind die Schlussfolgerungen aus ihr dann tatsächlich ohne Alternative.

Pars pro toto: Einen gesellschaftlichen Missstand dadurch verschwinden lassen (oder dadurch herbeireden), dass man Einzelfälle willkürlich verallgemeinert.

Übertreibung: Wird gerne zur Diffamierung Andersdenkender eingesetzt.

Botschaft B senden, um A zu transportieren: Die explizite Aussage enthält eine Implikation, die als solche unausgesprochen bleibt, aber gerade dadurch umso unauffälliger, d.h. ohne den Filter der kritischen Nachprüfung in die Köpfe gelangt. „Wir verstehen nicht, warum die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister die Banken flehentlich darum bitten, doch endlich unsere 480 Rettungs-Milliarden zu nehmen. Diese Botschaft B wird verständlich, wenn wir die Botschaft A bedenken: Die Banken erweisen uns einen Gefallen, sie erlauben uns gnädig, ihnen unser Geld zu geben, statt ihnen den Staatsanwalt ins Haus zu schicken, was angesichts des millionenfachen Betrugs gerechtfertigt wäre.“ (S.140)

Konflikt: Der inszenierte Konflikt beschäftigt das Publikum so sehr, dass seine Protagonisten die Agenda bestimmen. Müller führt den „Konflikt“ zwischen Schröder und Lafontaine im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 an, der entscheidend zum Wahlsieg der SPD beigetragen hat. Auf einer höheren Ebene war die gesamte Zeit des Kalten Krieges so sehr von dem Gegensatz von Liberalismus und Sozialismus, zweier linker Ideologien, beherrscht, dass der Konservatismus aus dem Weltbild des Normalbürgers hinausdefiniert wurde (übrigens so sehr, dass auch Albrecht Müller mit einer gewissen nervtötenden Penetranz „rechtskonservativ“ sagt, wenn er „extrem neoliberal“ meint – das tut dann schon richtig weh.)

Verschweigen: Welcher Ideologie die veröffentlichte Meinung folgt, lässt sich daran ablesen, mit welchen Themen sie sich nicht beschäftigt und welche Wahrheiten sie nicht ausspricht. Beispiele erübrigen sich – es gibt sie, vom linken wie vom rechten Standpunkt, zuhauf.

Seit den siebziger Jahren wird massive Propaganda zugunsten der Privatisierung bisher öffentlich erbrachter Dienstleistungen gemacht, werden öffentliche Dienstleistungssysteme bewusst kaputtgespart, um ihre dann notwendig geringere Leistung einem angeblichen „Sozialismus“ in die Schuhe zu schieben, so lange, bis sie tatsächlich privatisiert werden (oder, wo das nicht ohne weiteres möglich ist, wie bei den Universitäten, sie strukturell Privatunternehmen weitgehend angelichen werden). Müller weist, m.E. zu Recht, darauf hin, dass die damit erzielten Verbesserungen bestenfalls zweifelhaft waren, die Schäden aber genau dort eingetreten sind, wo sie zu erwarten waren: bei der Verlässlichkeit, der Nachhaltigkeit, der Langfristperspektive und der Zugangsgleichheit. Das fängt bei Kommunikationsdienstleistungen an, setzt sich fort im Bildungsbereich und im Verkehrswesen und hört bei den Medien noch lange nicht auf. Ich werde diesen Aspekt hier nicht vertiefen (und verweise auf das Buch), weil es mir hier ja nicht darum geht, wo die Neoliberalen Recht oder Unrecht haben, sondern wie sie ihre Ideologie unter die Leute bringen.

In diesem Zusammenhang spielt zum Beispiel die Kommerzialisierung der Medien eine Rolle: zum einen durch die Einführung des kommerziellen Fernsehens in den achtziger Jahren, zum anderen dadurch, dass auch die gedruckten Medien mehr und mehr dem Diktat des Shareholder Value unterworfen werden.

Letzteres – dass also kapitalistische Unternehmen naturgemäß auf Deubel komm raus maximalen Gewinn erwirtschaften müssten – wird zwar vielfach für selbstverständlich gehalten, liegt aber durchaus nicht in der Natur der Sache. In der Natur der Sache liegt lediglich, dass solche Unternehmen um jeden Preis die Pleite vermeiden müssen. Wer freilich Gewinnmaximierung anstrebt, wird im Medienbereich dasselbe tun wie in anderen Branchen, nämlich Stellen streichen und auslagern, Löhne und Honorare drücken, zusätzliche Einnahmequellen erschließen. Für die Redakteure, die unter solchem Druck produzieren müssen, ist es ein zweifelhafter Glücksfall, dass es zu jedem Thema vier oder fünf sogenannte oder auch Experten gibt, auf die man arbeitssparend zurückgreifen kann, und die, weil sie normalerweise alle dieselbe Meinung vertreten, keine irritierenden Dissonanzen aufkommen lassen, stattdessen suggerieren, es könne ohnehin bloß eine vernünftigerweise vertretbare Meinung geben, nämlich ihre eigene.

Und dabei ist das noch eine relativ saubere Form von Journalismus, verglichen mit dem Einsatz von Fertigprodukten aus PR-Abteilungen. Publizistische Unabhängigkeit, auch früher schon wegen der Abhängigkeit von Werbekunden ein heikles Thema, wird in dem Maße zur Fiktion, wie man sich von kapitalstarken PR-Anbietern kaufen lässt: Sich die Spalten und Sendeplätze füllen zu lassen und dafür noch Geld zu kassieren – das ist journalistisch das Allerletzte, aber kommerziell der Königsweg.

Und das betrifft nicht nur private Medien: Im „redaktionellen“ Teil der GEZ-Sender spottet das Maß an Werbung, die man längst nicht mehr „Schleichwerbung“ nennen kann, inzwischen jeder Beschreibung! Dass die Orientierung am kommerziellen Erfolg das Ergebnis einer ideologischen Gehirnwäsche ist, die mit ökonomischen Notwendigkeiten nichts zu tun hat, liegt gerade bei diesen Sendern auf der Hand.

Ganz ähnlich sieht es bei den Universitäten aus. Dort hat die Gehirnwäsche schon so weit gefruchtet, dass kaum noch einem aufzufallen scheint, dass der vielgepriesene „Wettbewerb der Universitäten um Drittmittel“ (der Wirtschaft und des Staates) auf nichts anderes hinausläuft als darauf, die wissenschaftliche Unabhängigkeit an den Meistbietenden zu verhökern. Im naturwissenschaftlich-technischen Bereich lässt sich vielleicht noch darüber diskutieren, ob die dadurch möglicherweise erzielbare Orientierung an der praktischen Anwendung auch ihr Gutes hat. Bei den Geistes- und Sozialwissenschaften bedeutet es die Verwandlung von Universitäten in Ideologiefabriken. Wenn zudem noch der Turbo-Master gefordert wird (von Studenten, die bereits das Turbo-Abitur hinter sich haben), dann ist das erwartbare Ergebnis, dass die Bereitschaft und Fähigkeit zu ideologiekritischem Denken (von welchem politischen Ausgangspunkt auch immer) nicht mehr entwickelt wird. Und sie sollen ja auch gar nicht entwickelt werden. (Und nochmal: Neoliberale und linksliberale Ideologien ergänzen einander, sie widersprechen einander nicht! Allenfalls setzen sie unterschiedliche Akzente. Weswegen der Einwand, die Unis seien doch in der Hand der Linken, am springenden Punkt vorbeigeht.)

Kommerzialisierung wirkt also in diesen Bereichen selbstverstärkend: Kommerzialisierte, gewinnmaximierte Medien und Universitäten bringen wie von selbst genau die Ideologie hervor, die ihre eigenen Binnenstrukturen legitimiert; zugleich verlieren sie in dem Maße an Autonomie, wie die Orientierung an nichtwissenschaftlichen bzw. nichtpublizistischen Kriterien zunimmt. Das soziologische Standardmodell einer funktional differenzierten und sich immer weiter differenzierenden Gesellschaft stößt bei der Beschreibung eines solchen Sachverhalts nicht nur an Grenzen: Es führt sogar in die Irre, weil es einen Prozess der systematischen Ent-differenzierung verschleiert, bei dem verschiedene Teilsysteme den Maßgaben derselben leitenden Ideologie unterworfen werden.

Wie aber konnte die neoliberale Ideologie so dominant werden, und wer hat die Kampagnen angeschoben, die eine so nachhaltige ideologische Wirkung gezeitigt haben?

Leider bleibt Müller in seiner Darstellung ganz auf Deutschland fixiert, obwohl die Durchsetzung des neoliberalen Paradigmas ein Prozess war, den man seit den sechziger Jahren in der gesamten westlichen Welt beobachten konnte. Müller erwähnt zwar die „Chicago Boys“, also die Gruppe von Ökonomen um Milton Friedman, aber eine umfassende Darstellung strebt er nicht an.

Umso interessanter ist das, was er über die Rolle der Bertelsmann-Stiftung schreibt, die seit ihrer Gründung in den siebziger Jahren das neoliberale Paradigma verficht. Natürlich ist sie nicht der einzige Akteur auf diesem Gebiet: Wirtschaftsnahe Institute und Lobbyorganisationen mit vergleichbarer Agenda gibt es zuhauf, aber die Bertelsmann-Stiftung liefert – gerade für Politiker als Abnehmer – ganze Fertigpakete: nicht nur eine Ideologie, auch die dazu passenden wissenschaftlichen Studien; nicht nur Studien, sondern auch Handlungsempfehlungen; und zu den Empfehlungen gleich die Strategien zu ihrer Umsetzung; verbunden mit publizistischer Unterstützung für diejenigen Politiker, die sich an diese Empfehlungen des Hauses Bertelsmann halten, das zugleich Eigentümer eines der größten Medienkonzerne der Welt ist. Politiker, die sich darauf konzentrieren wollen, an der Macht zu bleiben, und die zu diesem Zwecke auch politische Inhalte benötigen – als notwendiges Übel sozusagen –, werden bei Bertelsmann zweifellos erstklassig bedient.

Der inzwischen verstorbene Bertelsmann-Gründer Reinhard Mohn hat hier eine Struktur geschaffen, die ganz auf die Verbreitung und gesellschaftliche Durchsetzung seiner Ideologie programmiert ist. Ich weiß nicht, und Müller schreibt nichts darüber, aber ich vermute, dass Springer, Murdoch und Berlusconi in ähnlicher Weise für ihr Nachleben vorgesorgt haben. In jedem Fall ist es auffällig, wie gering die Anzahl der Großakteure ist, die hier eine Rolle spielen.

Wenn man mit so viel Medienmacht erst einmal eine ganz bestimmte Sicht der Welt als dominant etabliert hat, kommt es wie von alleine zur Selbstgleichschaltung der nicht konzerngebundenen Medien und von Politikern, die eigentlich für die Unterstützung einer anderen, z.B. linken oder konservativen Agenda gewählt wurden. Wer möchte sich schon nachsagen lassen, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Wenn die Bejahung einer bestimmten Ideologie – sprich: die Bereitschaft und Fähigkeit, mit einer gewissen urbanen Lässigkeit alles abzulehnen, was der Normalbürger für selbstverständlich hält – über die Zugehörigkeit zur Elite entscheidet, dann werden anderslautende Prinzipien schnell zu etwas Lästigem, das man höchstens noch zur Täuschung der Wähler benötigt.

(Ob man wirklich dazugehört, steht freilich auf einem anderen Blatt. Gerhard Schröder jedenfalls erfuhr erst im Frühjahr 2005 durch den plötzlichen Schwenk jener Blätter, die ihn bis dahin unterstützt hatten, dass er bloß der nützliche Idiot gewesen war, der den Boden für eine neoliberale Reformpolitik hatte bereiten sollen. Nachdem das erledigt war, war er plötzlich jener Mohr, der seine Arbeit getan hatte. Der Mohr konnte gehen.)

Und man glaube nicht, das diese Form von Korruption durch Eitelkeit nur auf der Linken funktioniert. Der linke Politiker, der sich nicht dabei erwischen lassen möchte, von Klasseninteressen oder Solidarität zu sprechen, weil das rückständig wäre, findet seine rechten Gegenstücke in gewissen Leuten, die sich nicht dabei erwischen lassen möchten, noch an die Existenz von Völkern zu glauben, und die uns deshalb in der „Sezession“ oder der „Jungen Freiheit“ die neoliberale „Wahrheit“ unterzujubeln versuchen, dass Masseneinwanderung unvermeidlich sei.

Ich bin mit Müller selbstredend nicht in jedem Punkt einverstanden; mir scheint auch, dass er die Möglichkeiten eines spezifisch sozialistischen Politikansatzes deutlich überschätzt – aber wer weiß? Ich bin im Gegensatz zu ihm kein Makroökonom, und vielleicht bin ich selbst ein Opfer neoliberaler Meinungsmache? Ich finde jedenfalls, man sollte seine eigenen Meinungen von Zeit zu Zeit darauf abklopfen, ob sie auch wirklich die eigenen sind. Womöglich vertritt man sie nur, weil „Alle“ sie vertreten, insbesondere die „Eliten“, und die müssen es ja wissen, nicht wahr?

Müller empfiehlt, wie ich selbst auch, die Übermacht der Meinungsmacher durch Nutzung des Netzes zu konterkarieren, und unterhält zu diesem Zweck die NachDenkSeiten. Sein Buch ist ungeachtet einiger Schwächen gerade für Konservative lesenswert: weil man manche Sachverhalte klarer sieht, wenn sie einmal nicht anhand der eigenen Lieblingsthemen erläutert werden; und weil man gerade an der Auseinandersetzung mit sozialistischen Positionen merken kann, wie sehr man unter Umständen selber auf der Basis von neoliberalen Annahmen argumentiert, die man nicht wirklich kritisch überprüft hat.

 

 

 

 

12 Gedanken zu „Albrecht Müller: „Meinungsmache.“ (Rezension)“

  1. wow …

    1.
    Ein wunderbarer Artikel Manfred, vor allem die Aufzählung der ‚Taktischen Mittel der Meinungsmacher‘ – man sollte das kompilieren und im Web weiterverbreiten.
     
    Interessant ist doch diese Verwirrung der Fronten, die wir hier erleben. Ich komme immer wieder auf den Fall Eva Herman zurück, denn hier zeigt sich das ganz deutlich, auch für Jedermann: diese alten Gegensätze Links/Rechts gelten doch schon lange nicht mehr. Im Fall Herman war es die Springerpresse (das alte Feindbild aller Linken), die die Kampagne gefahren hat – in der BILD für die Prolls und in der WELT fürs Bürgertum. Die linken Medien mussten sich gar nicht mehr anstrengen und einfach nur noch abschreiben.
     
    Das ist auch der Grund, warum ich neulich hier den Kommentar von Max Goldt gepostet habe. Der Satiriker ist ja eher nicht als ‚rechts‘ verschrien, kommt ja von der TITANIC. Aber er schreibt schon immer ziemlich politisch unkorrekt.
     
    Unglaublich witzig war es bei seiner Lesung in Düsseldorf 2008 im explizit linken Kulturzentrum ZAKK (ich war natürlich da!): dort trug er genau diesen youtube-Kommentar vor, ich glaube sogar, daß das bei youtube ein direkter Mitschnitt dieser Lesung ist. Das Publikum setzte sich übrigens aus genau den linken Bildungsbürgern zusammen, die so gerne für die ganze Misere verantwortlich gemacht werden – sie haben alle schallend und sehr befreit gelacht!
     
    Wenn man ganz optimistisch eingestellt ist, dann könnte man fast noch an einen wirklichen Aufstand der Anständigen glauben – einen Aufstand aller halbwegs selbstdenkenden Menschen, egal ob aus der Linken oder Rechten.
     
    Max Goldt ist so ein Phänomen, das bei mir doch noch etwas Hoffnung aufkommen läßt.
     
     
    2.
    Was den zweiten Teil Deines Artikels angeht, bin ich etwas skeptischer. Wir sollten davon ausgehen, daß es gerade in der veröffentlichten Meinung in Deutschland überhaupt keinen wirklichen Markt gibt. Alles wird verzerrt durch die GEZ-Gebühren und den ideologischen Einfluss der Political Correctness. Wir sehen doch an den online Leserumfragen, daß die Mehrheit der Leser nicht mit der veröffentlichten Meinung übereinstimmt. Die Mehrheit der Leser bestimmt doch gar nicht den Meinungsmarkt, so gesehen wäre hier doch eher mehr Markt gefordert!
     
    Kurz gesagt, dieser Begriff ‚Neoliberalismus‘ ist meiner Ansicht nach auch nur eine Begriffsverwirrung – wenn mich jemand fragen würde, was Neoliberalismus ist, könnte ich gar nicht darauf antworten.
    Der wirkliche Marktwirtschaftler ist auch immer ein kleiner Anarchist, der Monopole umstürzen will, das verbindet ihn mit den Linken!

  2. Wir haben durchaus einen Markt; wie wenig der bewirkt, kannst Du an den (kommerziellen) gedruckten Medien erkennen, die systematisch gegen ihre Leser anschreiben: erstklassiges Marktversagen! Dasselbe gilt für die kommerziellen elektronischen Medien, die sich entweder auf Unterhaltung konzentrieren oder auf seichte Informationshäppchen.

    Den Begriff „Neoliberalismus“ habe ich verwendet, weil er politisch bereits eingeführt ist: Er bezeichnet, wenn ich ihn verwende, eine Weltsicht, in der Menschen ausschließlich als Individuen vorkommen (die Gesellschaft als solche also gar nicht in den Blick kommt), und die zur Eliminierung derjenigen sozialen Beziehungen tendiert, die nicht über den Markt vermittelt sind. Hätte ich den Begriff zu erfinden gehabt, hieße er wahrscheinlich eher „Hyperliberalismus“ oder so ähnlich.

  3. Komisch; irgendwie hatte ich mir eingebildet, dieser Artikel würde mehr Empörung, oder auch Zustimmung, in jedem Fall aber mehr Resonanz auslösen.

  4. Diskursherrschaft funktioniert wohl immer ähnlich. Ich glaube aber nicht, dass linke Sozialdemokraten vergleichbar marginalisiert sind wie Konservative. Zum Beispiel wurden die Hartz-Reformen ja immer mit der Argumentation verkauft „so viel Markt wie nötig, aber so viel Sozialstaat wie möglich“,das spricht gegen eine neoliberale Lufthoheit über den Stammtischen und Redaktionsstuben.
    Überhaupt haben wir ja ein interessantes Zusammenspiel von Neoliberalismus und Sozialismus. Einerseits reguliert der Staat auch noch privateste Angelegenheiten (kontrolliert zB sog. Bedarfsgemeinschaften, ob sie wirklich zusammen wohnen, indem Kleiderschränke durchstöbert werden) und die Sozialausgaben sind in den letzten Jahrzehnten immer weiter gestiegen. Andererseits ist es wohl tatsächlich so, dass wir zb im Bankensektor relativ unregulierten Kapitalismus haben. Vielleicht ist dieser Gegensatz den Managern auch ganz recht so, weil so Einschnitte bei den Beschäftigten für sie weniger Probleme machen. Daran anknüpfend bin ich mir nicht sicher, wie ich den Sozialstaat bewerten soll. Man kann ihn als Folge von Bindungen sehen, die Nation also als Solidargemeinschaft. Andererseits hat er auch viel zur Auflösung von Bindungen beigetragen, vor allem weil Menschen in Krisensituationen oft nicht mehr auf die Familie bauen, sondern auf den Wohlfahrtsstaat. Dadurch werden sie von der bürgerlichen Moral abgekoppelt usw.
    Es ist schwer zu sagen, wann die SPD sozusagen auf die schiefe Bahn geraten ist. Wenn eine Entwicklung von einem Extrem zum anderen über sehr lange Zeit geht und ein vernünftiger Zustand irgendwann zwischendurch einmal bestand, dann fragt sich, ob man schon die ersten Aktivisten für die heutigen Probleme verantwortlich machen sollte. Wahrscheinlich ist es so, dass zu allen Zeiten die schwachen und autoritätsfixierten Charaktere der Mehrheit folgen und deshalb im Umkehrschluss die ersten Sozialdemokraten mit den heutigen Konservativen mehr gemein haben als mit ihren heutigen Parteigenossen.

  5. Ich glaube, man kann den Sozialstaat nicht isoliert beurteilen; er ist nicht per se gut oder schlecht. Wenn seine Leistungen jedem zur Verfügung gestellt werden, der hereinschneit, dann wirkt er als Immigrationsmagnet – aber eben nur deshalb, weil niemand auf die naheliegende Idee kommt, einfach die Tür zuzusperren, wie das zu Zeiten, als es schon einen Sozialstaat, aber keine Immigration gab, ganz selbstverständlich war. Wir haben es hier mit einem Zusammenspiel von Linksliberalismus („Niemand darf diskriminiert werden“) und Neoliberalismus („Die freie Bewegung von Arbeitskräften darf nicht behindert werden“) zu tun. Die Sozialisten tragen dazu bei, indem sie nicht wahrhaben wollen, dass Solidarität auf die Dauer nur existieren kann, wo zwischen Zugehörigen und Nichtzugehörigen unterschieden wird.

    Im Übrigen stützt der Neoliberalismus den Sozialstaat wie Lenin die Sozialrevolutionäre, also „wie der Strick den Gehängten“. Der Sozialstaat hat noch die Funktion, Massenimmigration anzuziehen, und diese lästigen Völker zu zerstören. In dem Maße, wie dies geschieht, untergräbt er seine eigene Legitimität wie auch seine Finanzierbarkeit. Am Ende wird beides zerstört sein – die Völker Europas und ihre Sozialstaaten -, aber dafür herrscht dann endlich die reine Lehre.

  6. Auf die Formel: „erst Eigenverantwortung, dann Staatshilfe“ können wir uns sicher alle einigen.
    Aber ehrlich gesagt nehm ich mir auch das Recht raus, auf diesen Scheißstaat zu schimpfen, wenn ich schon nichts dagegen tun kann, daß meine Steuergelder überallhin rausgeschmissen werden.
    Ich bin mir schon bewußt, daß Pleitebanken mit Milliarden zu retten dabei wesentlich asozialer und moralisch verkommener ist, als das ein kleiner Arbeitsloser je sein könnte, dem HartzIV seine Heizkosten bezahlt. Nur, mich rettet kein Staat, wenn ich pleite gehen sollte und die Heizkosten zahl ich auch selbst.

  7. Ich persönlich bin (mittlerweile) überzeugter Marktwirtschaftler, und habe eine erhebliche Abneigung gegen staatliche Eingriffe jeglicher Art außer zur Sicherung von Leben und Besitz. Die viel zitierten Neoliberalen und Pseudoprivatisierer haben sich dagegen sehr schön mit dem Staat eingerichtet. Sie haben mit freiem Marktzugang für alle Mitbewerber nichts am Hut. Sie wollen das staatliche durch ein privates Monopol ersetzen. Das bringt kein mehr an Freiheit.
    Leider zeigt Dein Artikel die unselige Nähe der Konservativen zum Sozialismus. Wobei ich übrigens Deinem Volksbegriff zustimme. Aber wieso sollte eigentlich Volks- und Staatsgrenze zusammenfallen? Wir Deutschen sind mit der Kleinstaaterei eigentlich ganz gut gefahren. Wenn wir uns jetzt die Sozialsysteme mal lokal und unterschiedlich vorstellen, sieht die Sache doch schon anders aus.
    Ein freies und kapitalistisches Rheinland zum Beispiel wäre doch was. Alaaf !
     
     
     

  8. „dann können nur ungewöhnlich selbstbewusste Menschen sich vorstellen, dass die Alle Unrecht haben sollen“

    Schauen Sie sich doch mal dieses, Ihr Zitat genauer an.

    Weist es nicht den Weg aus der Krise?

    Es war alles schon irgendwann, irgendwo noch viel schlimmer. So schlimm, daß sich die Leute nur noch in Gleichnissen verständigten.

    Also bzgl. der Finanzkrise etwa so etwas sagen würden wie:

    „Hast du von Bauer Heinz gehört? Der stellt seinen fünf Kälbern jetzt schon zehn Eimer in den Trog, aber die kriegen immer noch nicht alle was ab. Er hat irgendwo gelesen, daß es die zukünftige Milchleistung der stärkeren Kälber negativ beeinträchtigt, wenn er sie beim saufen dabei stört, die Eimer der schwächeren Kälber umzustoßen, und jetzt läuft ihm sein Milchbedarf aus dem Ruder.“

    Soweit ist hier zu Lande noch nicht. Verschleierung tut noch nicht Not, aber bewußte Vereinfachung ist dringend anzuraten.

    Spielen Sie das Spiel einfach nicht mit. Sagen Sie in öffentlichen Diskussionen, daß Sie etwas schwer von Begriff sind. Fragen Sie in Diskussionen des öfteren „Warten Sie, warten Sie. Wie war das jetzt nochmal? Sie sagten…“ und dann vereinfachen Sie die Argumente, übertragen Sie auf eine andere Ebene, alles unter dem Vorwand, daß Sie Mühe hätten, zu verstehen, wovon die Rede ist.

    Das ist doch gar nicht so schwer. Müßten nur ein paar Leute mit anfangen, und Schluß wär’s mit Schlagworten.

  9. Diesen Beitrag habe ich gesucht.
    Meine Zustimmung zu Ihrer Argumentation.
    Nebenbei bemerkt, selbstverständlich bekomt auch der pleitegegangene/insolvente Unternehmer Alg 2 (Hartz 4), wenn denn die Voraussetzungen gegeben sind. D.h. erst einmal muss das verwertbare Vermögen „verschnabuliert“ werden, das über den Freibetrag hinausgeht. Diese Freibeträge sind allerdings sehr gering, eine Erhöhung wurde angekündigt, aber noch nicht realisiert.
    Daneben gibt es das privilegierte Vermögen, welches extra geregelt wird.
    http://www.hartz-4-empfaenger.de/hartz-4-vermoegen

    Der von (neo)liberaler Seite her propagierte freie Markt birgt auch für Unternehmer erhebliche Risiken. Diese ergeben sich sowohl aus der Konkurrenz auf dem Markt, als auch durch besondere Vorkommnisse, wie z.B. einer Weltwirtschaftskrise (global) oder Staatskrisen (lokal) besonderer Art, wie Generalstreiks, Staatsbankrotts u.a.m.!
    Sind die Staaten/Nationen, in denen die Unternehmer leben, stabil und halten ein Sozialsystem vor, dann wird auch der insolvente Unternehmer aufgefangen, möglicherweise nicht auf dem materiellen Niveau, daß er gewohnt sein mag, aber zum Überleben reicht es.

  10. Anhand des folgenden Einzelschicksals kann sich der Interessierte einen ersten Einblick in die Problematik verschaffen:

    „Selbständig und Hartz-IV gleich Krimineller Betrug?
    von Alexander C.

    DER „TYPISCHE HARTZ-IV-EMPFÄNGER“
    Dies ist die Geschichte eines 46-jährigen, der an das geglaubt hat, was seine Eltern erzählten und mit aufgebaut haben: Die Demokratie in Deutschland. Bevor ich 2004 krank wurde, war ich über 20 Jahre erfolgreich selbständig bzw. freiberuflich tätig.

    Ich vertrat – wie zahlreiche andere Bundesbürger auch – die arrogante Auffassung, dass viele, die langzeitarbeitslos oder Sozialhilfeempfänger sind, es selber schuld seien bzw. auf Kosten des Staates leben – bis auf wenige Ausnahmen wie beispielsweise allein erziehende Mütter. Beispiele dafür finde ich auch heute noch in Leipzig.

    Ich war naiv und glaubte seinerzeit, mich würde es nie betreffen, weil ich intelligent, gebildet und erfolgreich sei. Selbst die Schufa stufte mich mit einem Bonitätsindex von fast 99% als finanziell sehr sicher ein. Ich war auch nicht übergewichtig, saß nicht den ganzen Tag Bier trinkend vor dem Fernseher – so wie man sich den klassischen Sozialhilfeempfänger in der Bevölkerung vorstellt. Ich war sehr aktiv, sieben Tage jede Woche. Und hatte keine Vorstellung, was es heißt, „bedürftig“ zu werden, wie die
    Behörden es nennen.
    …“
    Quelle (und vollständiger Beitrag):
    http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/0344e19ada0de4d03.php

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