Warum die Zivilisation zusammenbricht

Von Daniel Greenfield, Erstveröffentlichung unter dem Titel „What is Behind the Collapse of Civilization?“ in Canada Free Press, 11. Februar 2010

Übersetzung von Manfred

Sozialismus, Dhimmitude, niedrige Geburtenraten, Zerbrechen der Familie, Niedergang des Westens, Aufstieg des Nannystaates, Untergang der menschlichen Freiheit

Was wäre, wenn die Sympathie für Terroristen, die Drift in Richtung Sozialismus, die fallenden Geburtenraten und der kulturelle Bankrott in zivilisierten Ländern, der wirtschaftliche Verfall und der Niedergang der Familie alle eine gemeinsame Ursache hätten? Was wäre, wenn diese gemeinsame Ursache hinter der Vielzahl der Arten und Weisen stünde, in denen wir die Zivilisation um uns herum zusammenbrechen sehen? Dieser Ursache nachzugehen wird eine kurze Reise erfordern, allerdings nicht in das Reich der Geopolitik oder Weltwirtschaft, sondern in den menschlichen Geist.

Man sagt, das Kind reife zum Manne. Was aber wird aus dem Mann, wenn das Kind niemals groß wird? Mit dieser leidigen Frage ist die Zivilisation, wie wir sie kennen, konfrontiert. Diese Frage wird sie beantworten müssen, wenn sie überleben will.

Der Weg vom Kind zum Manne führt über drei Etappen: Überhöhung, Rebellion, Integration. Das Kind stellt die Eltern auf einen Sockel. Dann als Heranwachsender beginnt es gezwungenermaßen in die Erwachsenenerolle zu wechseln und reagiert darauf mit Rebellion. Die Integration findet statt, wenn es die Erwachsenenrolle annimmt.

Allgemein gesprochen findet dieser Zyklus individuell in jeder Familie statt, aber er findet auch auf der Ebene einer Generation statt, da die Rebellion einer Generation zu ihrer Integration in den größeren Zyklus einer Nation, einer Gruppe und ihrer Geschichte führt.
Und so wie die Rebellion des Heranwachsenden ihm hilft, seine Talente zu entdecken und zu seiner Integration führt, hilft die Rebellion einer Generation ihr bei der Definition ihrer Fähigkeit, sich in ihr Land einzufügen und zu seinem Gedeihen beizutragen. Wird dieser Zyklus aber im Rebellionsstadium abgebrochen, so führt dies zur Verewigung der Adoleszenz oder zu einem Fall von arretierter Entwicklung, wobei eine andauernde Rebellion sich aus dem Zwang speist, die Welt auf eine kindische Art und Weise wahrzunehmen, um die Konstanten der Kindheit aufrechtzuerhalten.

Willkommen in der Welt von heute! Aber nicht erst heute. Wir leben in einer Ersten Welt, die sich im Zustand arretierter Entwicklung befindet. Wir sind umgeben von einer Kultur, die das Produkt arretierter Entwicklung ist. Wir sind umgeben von einer Politik arretierter Entwicklung. Zeitungen lesen, den Fernseher einschalten und – Gesellschaft für Gesellschaft – auf das Niveau der Debatten blicken heißt: die Auswirkungen von Generationen zu besichtigen, die sich im Zustand verewigter Adoleszenz befinden und Kinder hervorbringen, die in eine Gesellschaft geboren werden, in der dies der Normalzustand ist.
Während es immer noch viele Erwachsene gibt, konzentrieren sich gerade Politik und Kultur um Leute, die in der Rebellionsfalle hängengeblieben sind, und ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung in jedem Land der Ersten Welt trägt ihre Weltsicht weiter.

Nehmen wir das Rebellionsstadium genauer unter die Lupe. Dies ist von vitaler Bedeutung, weil wir darin leben.

Das Rebellionsstadium ist die Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Es ist die Reaktion des Kindes darauf, dass es gezwungenermaßen entdeckt, wie die Welt der Erwachsenen wirklich aussieht, und dass es beginnt, die Pflichten eines Erwachsenen zu übernehmen. (Die Midlife-Crisis hat gewisse Ähnlichkeit damit.) Kennzeichnend für das Rebellionsstadium ist der Versuch, der Erwachsenenwelt aggressiv eine kindische Weltsicht aufzuzwingen, um die Prämissen der Kindheit auch dann noch aufrechtzuerhalten, wenn man kein Kind mehr ist.

In dieser Phase nimmt man häufig idealistische Politikentwürfe an, die kaum realistische Pläne enthalten, dafür aber idealistische Globallösungen betonen. (Man sieht die Probleme der Welt, wie auch ein Kind sie sehen würde.) In der Rebellionsphase verwirft man häufig hergebrachte erwachsene Autorität und Regeln zugunsten alternativer Systeme, die entweder anarchisch oder gutgemeint totalitär sind. (Indem es die hergebrachte Autorität ablehnt, verwirft das Kind auch die Möglichkeit, eine Erwachsenenrolle anzunehmen, und sucht stattdessen nach maximaler Freiheit von Verantwortung entweder durch völligen Mangel an Regeln, oder durch völligen Mangel an Regeln unter dem Schutz der Sicherheit des Mammistaates.)

[Anm. d. Übers.: Greenfield schreibt „Nanny State“, und selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass eine „Nanny“ keine Mammi ist. Ich halte aber wenig vom Import von Anglizismen; andererseits wäre eine Übersetzung mit „Kindermädchen-Staat“ ausgesprochen unelegant gewesen. Was aber mit dem „Nanny State“ gemeint ist, nämlich die Kombination von Bevormundung, Erziehung und umfassender Versorgung, das lässt sich auch ganz gut als „mütterlicher Staat“ verstehen, vgl. meinen Artikel „Mutter Staat“; die phonetische Ähnlichkeit gab für mich schließlich den Ausschlag, den Neologismus „Mammistaat“ einzuführen, in der Hoffnung, dass er sich durchsetzt.]

In der Rebellionsphase zählt als kultureller Wert nicht das tatsächlich Erreichte, sondern die Kreativität als solche. (Für ein Kind ist das Malen mit Fingerfarben wegen der Freude am Schöpferischen wichtig, nicht unbedingt wegen des objektiven Werts der Ergebnisse.) Film, Theater und Roman werden rein an ihrer Schockwirkung gemessen, was bedeutet, dass der Tabubruch die höchste Form von Drama oder Komödie wird.
(Das Kind hat eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und ist gefesselt von allem, was es erschreckt und dadurch seine Aufmerksamkeit gewinnt.)

In der Rebellionsphase gibt es kein großes Ideensystem, nur kontextabhängige Werte. Moralität ist relativ, weil objektive Regeln zu einengend sind, der Empathie zu entbehren scheinen und wenig Raum für den Ausdruck individueller Impulse lassen. (Für das Kind sind Regeln emotional, nicht rational. Kontextbezogen, nicht ewig.) Die Rebellionsphase gipfelt in der romantischen Verklärung der eigenen Gefühle von Verwirrung, Beengung und Ohnmacht. Diese Gefühle werden auf den gesellschaftlichen Außenseiter projiziert, dem man sich näher fühlt als den Mitgliedern der eigenen Gruppe, eben weil auch er ein Außenseiter ist. Der Außenseiter scheint eine Verbindung darzustellen zu einer Form von natürlicher körperlicher und geistiger Vitalität, die einem selbst durch „konformistische“ Erziehung versagt blieb. (Das Kind sehnt sich nach natürlicher Ordnung und natürlichen Impulsen zur Verteidigung gegen die künstlichen und abstrakten Regeln der Welt.)

Es ist leicht, all diese Elemente um uns herum zu erkennen: in unseren Institutionen, in unserer Kultur und unserer Politik. Wer die gleichsam schockgefrorene Weltsicht der Rebellionsphase am Werk sehen möchte, betrachte die kulturellen Stereotype in den Vereinigten Staaten im Hinblick auf den Gegensatz zwischen den fünfziger und den sechziger Jahren, reduziert auf einfachste Klischees: Beengter Arbeitsplatz gegen Freiluftkonzert; schuften für den Mann gegen „sich selbst verwirklichen“; glauben, was alle glauben gegen Leidenschaft für das Schicksal der Welt; Dreiteiler gegen Freigeist. Diese Stereotype beinhalten, ins Negative gewendet, einen einfachen Kontrast, nämlich den zwischen der Zivilisation und ihren Gegnern [its Discontented].

Genau wie der Heranwachsende dagegen aufbegehrt, Erwachsenenrollen anzunehmen, indem er versucht, zur Kindheit zurückzukehren, versuchen Generationen, die die Erwachsenenrollen einer Zivilisation ablehnen, stattdessen diese Zivilisation in ein jugendliches Stadium zurückzudrängen. Bezogen auf eine Zivilisation, ist „jugendlich“ aber bloß ein anderer Ausdruck für „primitiv“ oder „wild“.

Den Wilden und den Barbaren romantisch zu verklären – sei es dadurch, dass man sich Jackson Pollocks statt Rembrandts an die Wand hängt, oder dass man der jeweils angesagten Bande von Drittweltschurken applaudiert, die uns vernichten wollen, oder dass man Monogamie und Ehe ablehnt, oder dass man Technologiebeschränkungen zum Schutz der Umwelt befürwortet – all das stammt aus derselben Feindschaft von Zivilisationskindern gegen – die Zivilisation, aus der sie stammen.

Werfen wir einen Blick auf Hollywood! Früher produzierte es Zelluloid-Phantasien, in denen die Mächte der Ordnung die Verkörperungen des Primitivismus abschlachteten. Heute produziert es Zelluloid-Phantasien, in denen die Verkörperungen des Primitivismus die Mächte der Ordnung abschlachten. Während Kritiker ersteres als chauvinistisch abstempeln und letzteres als politisch korrekt, drückt doch beides künstlerisch den Gegensatz von Zivilisation und Primitivismus aus. Die Wende markiert den Aufstieg derer, deren Sympathien sich von ganzem Herzen gegen die Zivilisation richten, und die die Rückkehr zu einem einfacheren und primitiveren Leben emotional mehr anspricht als der Schutz der Zivilisation. Diese Filme stellen den Aufstand gegen die Zivilisation dar. Getragen wird der Aufstand von denen, die die Zivilisation für vergiftet und für eine Bedrohung ihrer „natürlichen Impulse“ halten – fordert sie doch von ihnen, sich nicht länger wie Kinder aufzuführen und stattdessen erwachsen zu werden.

Das bringt uns zur Figur des Edlen Wilden. Den rebellischen Kindern der Zivilisation weist er den Weg zurück zu einem einfacheren und natürlicheren Lebensstil. Rechtfertigten frühere Generationen ihren Lebensstil damit, dass es darum gehe, „die Wilden zu zivilisieren“, so wollen ihre zornigen Kinder, die „Wilden“ sollten ihren Lebensstil durch die Aufforderung rechtfertigen, selbst wild zu sein. Selbstredend sind beide Ansätze rassistisch und ignorant, aber nur einer von beiden ist politisch korrekt.

Die Romantisierung des „Anderen“ als des „Edlen Wilden“ – der, dem Stereotyp zufolge, näher an der Natur ist, impulsiv, großzügig, vergnügungssüchtig, von angeborener Vitalität und Spiritualität – hat es emotional in der Pubertät verharrenden Westlern erlaubt, mannigfache Minderheiten zu „Avataren“ ihrer eigenen blockierten Entwicklung zu machen – und stets weiter Ausschau zu halten nach einem, der für sie als Huck Finns den Jim macht, für ein eigenes Abenteuer flussabwärts und in eine unaufhörliche Kindheit, fernab von den Anforderungen und Herausforderungen der Erwachsenen-Zivilisation. Er wird sie lehren, den „Wilden“ in sich selbst zu entdecken, indem er ihnen zeigt, wie man die Zivilisation hinter sich lässt und großzügiger, spiritueller und natürlicher wird.

So praktizieren sie einen Rassismus, der ebenso schädlich ist wie alles, wogegen sie zu Felde gezogen sind, aber es ist ein Rassismus, von dem sie nicht ablassen können, weil er zugleich der einzige Grund ist, warum sie überhaupt gegen Rassismus sind. Und er wird sie vernichten, weil ihre schlimmste Fehlkalkulation die war, als jüngstes Exemplar in ihre Reihe von „Edlen Wilden“ ausgerechnet die Muslime aufzunehmen. Das wachsende Ausmaß muslimischer Gewalt lässt sie nur sich noch fester an die neu gefundenen „Wilden“ klammern, die ihnen – so hoffen sie – zeigen werden, wie man mit dieser lästigen Zivilisation ein für allemal fertigwird. Was sie ja auch tun werden. Nur dass am Ende des Weges kein verlorener primitiver Garten Eden stehen wird, sondern Sklaverei, Unterdrückung und Tod.

Blicken wir nun auf die Geburtenraten. Die Geburtenraten sind in praktisch jedem zivilisierten Land drastisch eingebrochen; aber das ist nicht überraschend, weil Heranwachsende kein besonderes Interesse daran haben, Kinder zu haben. Allgemein halten die eher traditionellen Sektoren eines Landes die Geburtenrate hoch, und einströmende Immigranten. Inzwischen heiraten in den kulturellen Zentren die Paare später, bekommen ihre Kinder viel später und in geringerer Zahl, sofern sie sich damit überhaupt belasten.

Kinder zwingen ihre Eltern ja auch dazu, eine Erwachsenenrolle anzunehmen. Viele westliche Paare ziehen es vor, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Wie ein europäisches Ehepaar es in einem Artikel ausdrückte, standen sie vor der Wahl zwischen einem Auto und jährlichem Urlaub einerseits, und Kindern andererseits. So trafen sie ihre Wahl. Dasselbe taten viele Andere, ohne dass es Schlagzeilen gemacht hätte.

Arretierte Entwicklung bedeutet verzögerte Reife. Das Erziehungssystem hat sich aufgebläht, um dem gerecht zu werden, sodass jetzt größere Mengen von jungen Leuten ihre höhere Bildung erst mit Ende Zwanzig vollenden. Verringerte Sexualmoral bedeutet außerdem spätere oder gar keine Ehe. Eine „Ich-zuerst“-Kultur sichert darüberhinaus höhere Scheidungsraten. Das alles wirkt zusammen, die Geburtenraten niedrig zu halten. Der alles übertreffende Faktor ist aber die Flucht vor der Erwachsenenrolle durch Konzentration auf Selbstverwirklichung und Vergnügungssucht statt der Übernahme von Erwachsenenpflichten. Das bedeutet, dass eine Rebellionskultur zugleich eine Kultur niedriger Geburtenraten ist (ein ironischer Kontrast zu dem Edlen Wilden, dem sie nachzueifern versuchen).

Erwachsensein heißt das Selbst zu transzendieren. Im Gegensatz dazu tut verewigte Adoleszenz dies niemals. Politik, Kunst, Kultur, Institutionen und die ganze Welt sind nichts als Projektionen des Selbst. Politik reduziert sich auf die Unterstützung von Politikern, die deinen Ärger wiederspiegeln oder versprechen, sich um dich zu kümmern. Kunst reduziert sich auf Kreativität als Selbstzweck ohne wirklichen schöpferischen Erfolg. Institutionen machen entweder Regeln für alles und jeden oder arbeiten selbst regellos. Moralischer Relativismus oder anekdotische Beweisführung dominieren die öffentliche Rhetorik. Es gibt viel Reichtum, aber der ist so schnell verprasst wie gewonnen. Eine solche Kultur kann nicht sehr lange überleben, weil das, was sie aufbaut, unter ihrem Gewicht zusammenbricht.

Die Rebellion einer Generation spielt, wie die des Heranwachsenden, eine sehr wichtige Rolle für die Regeneration einer Kultur. Eine kurze Rebellionsphase nutzt die Perspektive eines Kindes, um die Kultur durchzurütteln und neue Ideen und Perspektiven einzubringen. Manche dieser neuen Ideen und Perspektiven werden dann in das existierende System integriert, um es zu bereichern und zu stärken. Dieser Zyklus kann eine Zivilisation auf neue Niveaus und zu neuen Höhen führen.

Wird dieser Zyklus aber abgebrochen, dann endet die Rebellionsphase niemals. Stattdessen stagniert sie. Neue Ideen werden alt, weil es nichts gibt, das sie ersetzen könnte, weil diese Ideen niemals in irgendetwas integriert worden sind, das größer wäre als sie selbst. Stattdessen rebelliert die nächste Generation, die gegen nichts mehr rebellieren kann außer gegen die Rebellion selber, dadurch, dass sie neue Extreme findet, zu denen sie strebt. Politik wird immer zersetzender, auch wenn sie immer inhaltsleerer wird. Hochkultur verflüchtigt sich zum Zeitgeist. Die niedere Kultur appelliert einfach schamlos an Schock und Spektakel.

Der Jugendkult dominiert die Kultur, wodurch „Carpe Diem“ zum einzigen moralischen Gesetz wird, da Jeder im täglichen Gewusel seinen selbstsüchtigen Bedürfnissen folgt, um den Fortgang der Zeit zu leugnen. Die Religion bricht zusammen, abgesehen von Kulten und Mysterienreligionen, die geheime Wege zur Unsterblichkeit versprechen. Die Geburtenrate bricht ein, und das Familienleben, Zentrum jeder Zivilisation, bricht ebenfalls zusammen. Die Industrie siecht dahin und wird durch persönliche Dienstleistungen ersetzt. Die Drecksarbeit will keiner machen, und in jedem Fall reißen die fallenden Geburtenraten Lücken an der Basis der Gesellschaft auf, sodass Migration eine neue Unterklasse hereinbringt, die eine gelangweilte Oberschicht als exotisch und aufregend ansieht. Die Anbetung des Edlen Wilden endet mit der Vernichtung der Zivilisation.
Wir sind diesen Weg schon früher gegangen, und er führt immer an denselben Punkt: Wenn eine Zivilisation es nicht schafft, den Zyklus fortzusetzen, und sich ins Erwachsensein zu integrieren, bedeutet das, wenn man es nicht verhindert, ihre Zerstörung. So wie ein Mensch, der darauf besteht, ein Kind zu bleiben, nicht selbständig überleben kann, so wird auch eine Zivilisation, die vor sich selbst davonläuft, in den Flammen untergehen, die sie selbst entfacht hat.

Die Rebellionsphase geht in die adulte Phase durch Integration über. Mit dieser Integration bestimmt und akzeptiert der Heranwachsende die Erwachsenenrolle und die Pflichten, die damit einhergehen. Durch Integration sieht der Lernende sich selbst als Lehrer, der Sohn als Vater, die Tochter als Mutter, der Arbeiter als Manager – und eine Generation geht den nächsten Schritt in der Geschichte ihres Volkes. Die Kreativität und die neuen Ideen, die sie mitbringt, werden auf konstruktive Weise integriert und formen das nächste Kapitel in der großen Erzählung ihrer Zivilisation.

Erwachsene Rollenmodelle sind naturgemäß der Schlüssel zu dieser Integration. Der Niedergang der Familie, im öffentlichen wie im privaten Leben, macht Integration viel schwieriger; speziell wenn eine Kultur darauf besteht, erwachsene Rollenmodelle abzuwerten und stattdessen negative Modelle anzubieten. Die Mythen und Erzählungen einer Kultur leiten den Heranwachsenden auf dem Weg ins Erwachsenendasein. Dasselbe gilt für die Pflichten, die er zu erfüllen hat. Wenn sich die Erzählungen einer Kultur an der Rebellionsphase orientieren und die Pflicht beinhalten, an an nicht endenden Erziehungsprogrammen teilzunehmen, dann macht auch dies den Übergang zur Erwachsenenrolle viel schwieriger. Wenn man das Ganze nun mit einem Mammistaat unterlegt, der bereits per se ein Symptom für eine Rebellionskultur ist, die versucht, Ersatzeltern zu schaffen, die auf einen aufpassen – dann wird es noch schwerer für die nächste Generation, erwachsen zu werden.

Erwachsensein bedeutet, die aufsässige Kreativität der Rebellionsphase in die konstruktive Kreativität des Erwachsenenalters zu überführen. Aufsässige Kreativität ist eine, die in Zurückweisung jeder Art von Einschränkung existiert. War aufsässige Kreativität einst ein Zeichen jugendlicher Rebellion, so ist sie heute in der Ersten Welt allgegenwärtig.
Im Gegensatz dazu ist es schwer geworden, konstruktive Kreativität zu entdecken, also eine, die der Welt etwas gibt und darauf abzielt, ein Endprodukt hervorzubringen, womit Menschen etwas anfangen können, statt einfach nur den eigenen Widerstand gegen Regeln kundzutun. Im Ergebnis leidet Amerika an einem Niedergang der angewandten [non-theoretical] Wissenschaften wie auch seiner Kultur. Und wir sind belastet mit Politikern, die höchst kreativ alle möglichen Arten großer Ideen formulieren, aber nicht konstruktiv im Sinne der Fähigkeit, sie zu durchdringen und zu Ende zu denken .

Sozialismus. Dhimmitude. Niedrige Geburtenraten. Zerbrechen der Familie. Niedergang des Westens. Aufstieg des Mammistaates. Untergang der menschlichen Freiheit. Die Bewunderung von Jedem, der bereit ist, der Zivilisation den Garaus zu machen – alles hat einen gemeinsamen Nenner: diesen.

Der Heranwachsende rebelliert gegen das Erwachsensein, indem er versucht, wie ein Kind zu leben, ohne Furcht vor Konsequenzen, mit Idealismus statt Ideen, mit Selbstverwirklichung statt Verantwortung. Eine Kultur, die gegen die Zivilisation rebelliert, versucht so zu funktionieren, wie sie es von den primitiven glaubt, also ein Kinderdasein zu führen. Die Ergebnisse sind um uns herum zu besichtigen.

Sie haben den Staat in eine Mammi verwandelt, die für sie sorgt. Sie haben Mörder für ihre Impulsivität bewundert. Sie haben Familie und Kinder als Hindernisse auf ihrem Weg beiseitegeräumt. Sie haben Industrie und Technik den Krieg erklärt, weil sie ihrer Anbetung des Primitiven entgegenstehen. Sie haben ihre Kultur auf diejenigen Dinge gebaut, die sie am meisten schockieren und ihre Politik auf das, was sie inspirierend finden. Sie haben der Zivilisation den Rücken gekehrt und versucht, den Erwachsenenpflichten zu entkommen, deren Erfüllung man von ihnen erwartet. Aber die Vergangenheit bietet kein Entkommen vor der Zukunft, und der Mensch kann nicht zurück in die Kindheit – er kann höchstens die verschrobene Parodie eines Kindes darbieten.

Die Rebellionsphase kann nicht unaufhörlich andauern. Sie ist schon vor langer Zeit öde geworden. Doch durch ihre Unfähigkeit vorwärtszuschreiten hat sie Generation für Generation in die Falle ihres abgebrochenen Zyklus gesperrt. Und der einzige Ausweg für die Erste Welt ist, kindisches Zeug beiseitezufegen und sich für das Erwachsenwerden zu entscheiden. Wenn wir dies im Angesicht des Dschihad nicht schaffen – dann schaffen wir es nie!


Nach dem 11. September gab es einen kurzen Moment, wo eine Kultur, die man gelehrt hatte, das Erwachsensein zu vergessen, auf einmal erfuhr, wie es ist, erwachsen zu sein. Manche kehrten um. Viele andere nicht. Jedes Jahr nähert sich das Messer ein wenig mehr unserer Kehle. Technik allein wird es nicht abhalten. Nur ein erwachsener Geist, erwachsene Entschlossenheit, erwachsener Wille, uns um jeden Preis zu verteidigen, wird es schaffen. Und wenn sie endlich die lang verworfene Erwachsenenrolle annehmen, werden die endlos pubertierenden Kulturen der Ersten Welt endlich erwachsen werden.

Gelesen: Bryan Ward-Perkins, Der Untergang des Römischen Reiches und das Ende der Zivilisation

…und was das mit uns zu tun hat

Jahrhundertelang haben im Westen nur Wenige bezweifelt, dass das Ende des (west-)römischen Reiches die größte Katastrophe war, die jemals das Abendland heimgesucht hat -und dies auch im Vergleich zu den Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts.

„In Europa gehen die Lichter aus“, sagte der britische Außenminister Sir Edward Grey bei Kriegsausbruch 1914, „und wir werden es nicht mehr erleben, dass sie angezündet werden“. Das stimmte für ihn und seine Generation, aber einige Jahrzehnte später – im Westen nach 1945, im Osten nach 1989 – war Europa so weit, die Lichter wieder anzuknipsen, und musste dafür tatsächlich nicht viel mehr tun, als einen Schalter umzulegen.

Der Untergang Roms dagegen bedeutete, dass es fast tausend Jahre dunkel blieb.

So zumindest lautet seit Renaissance und Aufklärung das vorherrschende Geschichtsbild gebildeter Europäer. Völlig unangefochten war es nie: Christliche, speziell katholische, Historiker hatten schon immer nach Kräften versucht, das „finstere Mittelalter“ zu rehabilitieren – war es doch zugleich die Zeit unangefochtener Herrschaft der Kirche gewesen. Deutschnationale Historiker wiederum schwelgten geradezu in der Kaiserherrlichkeit des Mittelalters, sahen in der Zerstörung der römischen Zivilisation ein Zeichen der Überlegenheit des Germanentums und verklärten als „germanische Lebenskraft“, was vordem zu Recht als Barbarei gegolten hatte.

Ob aus christlicher oder nationalistischer Sicht: Die Verachtung des spätkaiserlichen Rom und die Verklärung des Mittelalters war immer das Geschichtsbild der Reaktion und der Gegenaufklärung gewesen.

Ich selbst bin kein Geschichtswissenschaftler und deshalb über die Debatten unter Althistorikern nicht auf dem Laufenden; daher bin ich erst durch das Buch des Archäologen und Historikers Bryan Ward-Perkins darauf aufmerksam geworden, dass es in den letzten Jahrzehnten Mode geworden zu sein scheint, den Untergang der römischen Zivilisation zu einem freundlichen „Übergang“ zu stilisieren und das enorme Zivilisationsgefälle zwischen Antike und Mittelalter kleinzureden.

Nach diesem – von Ward-Perkins heftig kritisierten – Geschichtsbild waren die Germanen nicht etwa als brutale Eroberer und Plünderer ins Römische Reich eingefallen, sondern friedlich „eingewandert“ und hätten sich „integriert“. Die Verträge, mit denen die Römer die gewaltsame Landnahme bisweilen legalisierten (und die von den Germanen regelmäßig gebrochen wurden), seien nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel gewesen; und Rom habe sie auch keineswegs unter dem Druck militärischer Niederlagen geschlossen (um sich gegenüber den brandschatzenden Horden wenigstens Atempausen zu verschaffen), sondern im Zuge einer wohlüberlegten und vorausschauenden Integrationspolitik (die gleichsam nur versehentlich zum Ende des Reiches geführt habe). Der dramatische Verfall der Baukunst im frühen Mittelalter deute lediglich auf veränderten architektonischen Geschmack hin, das Ende der Geldwirtschaft sei bloß eine gewisse Umstrukturierung gewesen, das antike Geistesleben, Kunst und Philosophie, sei nur christianisiert worden usw.

Ward-Perkins überprüft diese Thesen, indem er eine Reihe von Indikatoren untersucht, die der historischen und archäologischen Forschung zugänglich sind: Von der Verbreitung des Schriftgebrauchs über die Nutzung hochwertiger Güter (insbesondere Keramik), die Größe und Qualität von Bauten, die Nutzung von Münzen bis hin zur Schulterhöhe von Rindern.

Er interpretiert seine Befunde durchaus zurückhaltend, gibt auch zu, wo die Daten eine alternative Interpretation zulassen. Überhaupt bestechen die Fairness der Darstellung ebenso wie ihre Anschaulichkeit und der leichtfüßige Stil – die klassischen Tugenden der angelsächsischen Geschichtsschreibung machen Ward-Perkins‘ Buch zu einer nicht nur informativen, sondern auch ausgesprochen angenehmen Lektüre.

Bei aller Abgewogenheit ist das Ergebnis doch eindeutig: Während des 5. und 6. Jahrhunderts verschwanden auf dem Gebiet des weströmischen Reiches alle Güter, deren Produktion von einem komplexen System gesellschaftlicher Arbeitsteilung abhängt – von hochwertigem Essgeschirr bis zur Philosophie, vom Ziegeldach bis zur Kanalisation, von der Kupfermünze bis zur öffentlichen Sicherheit. Die Wirtschaft zerfiel in kleinräumige Einheiten bis hin zur Subsistenz- und Tauschwirtschaft. Der Lebensstandard gerade armer Menschen fiel auf vorantikes Niveau.

Was da verschwand, war schlicht und einfach: die Zivilisation.

Den Prozess, der zu diesem Ergebnis führte, beschreibt Ward-Perkins als eine Abwärtsspirale nach Art eines Teufelskreises: Das Römische Reich besaß eine Berufsarmee, seine Sicherheit war mithin von Steuereinnahmen abhängig. Steuern konnten nur von Provinzen aufgebracht werden, die nicht verwüstet waren. Diese gegenseitige Abhängigkeit – der Sicherheit von den Einnahmen, der Einnahmen von der Sicherheit – war die Achillesferse des Reiches. Kleinere Einbrüche konnte das System verkraften, nicht aber die immer schnellere Abfolge germanischer Plünderungsfeldzüge, die ab 401 nacheinander mehrmals Italien (gipfelnd in der Plünderung Roms 410), Gallien, Britannien, Spanien und schließlich Afrika heimsuchten:

„Historiker debattieren darüber, wann genau die militärische Stärke der römischen Armee abnahm. Meiner Meinung nach wird das Chaos im ersten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts einen plötzlichen und dramatischen Abfall der Leistungsfähigkeit verursacht haben. Einige der verlorenen Gebiete erlangte man im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts zeitweise zurück; aber viele (ganz Britannien und ein großer Teil Galliens und Spaniens) wurden niemals mehr wiedergewonnen, und selbst zurückeroberte Provinzen brauchten viele Jahre, um steuerlich wieder vollständig zu gesunden – wie wir gesehen haben, musste die Steuererleichterung [von achtzig Prozent! d.Verf.], die den Provinzen Italiens 413 bewilligt worden war, 418 verlängert werden, obwohl Italien in den Jahren dazwischen von weiteren Angriffen verschont geblieben war. Darüber hinaus war die Erholung des Imperiums nur kurzlebig; im Jahr 429 wurde ihr durch die erfolgreiche Überfahrt der Vandalen nach Afrika und die Verwüstung der letzten verbliebenen sicheren Steuerbasis des Westreiches ein endgültiges Ende gesetzt. Bis 444, als Valentinian III. eine neue Umsatzsteuer einführte, hatte die Situation gewiss ein prekäres Stadium erreicht. In der Präambel zu diesem Gesetz erkannte der Kaiser die dringende Notwendigkeit an, die Stärke der Armee durch Extragelder zu erhöhen, beklagte aber die augenblickliche Lage, in der ‚weder für die neu rekrutierten Truppen noch für die alte Armee genug Mittel von den ausgelaugten Steuerzahlern erhoben werden können, um sie mit Nahrung und Kleidung zu versorgen.'“ (S.52f.)

Wenn der Befund, dass das Ende des Römischen Reiches den Zusammenbruch nicht nur einer Zivilisation, sondern – für Europa – der Zivilisation schlechthin bedeutete, wie kommt es dann, dass in den letzten Jahrzehnten ein Paradigma Raum gewinnen konnte, vielleicht sogar vorherrschend geworden ist, das etwas ganz Anderes nahelegt?

Ward-Perkins führt mehrere Gründe an, die alle etwas mit den politisch-ideologischen Trends der Nachkriegszeit zu tun haben:

Erstens hat das Image der alten Germanen etwas mit der Einstellung zu Deutschland zu tun. Je weiter der Zweite Weltkrieg zurückliegt, desto beliebter wird Deutschland, und je beliebter Deutschland ist, desto besser sehen die Goten aus. Das ist zwar sachlich absurd, aber psychologisch irgendwie nachvollziehbar.

Zweitens benötigt das sich einende Europa so etwas wie einen historischen Mythos, und den liefert eher das nachrömische christliche Abendland (speziell das Frankenreich) als das Imperium Romanum, zu dem weite Teile des heutigen EU-Gebietes gar nicht gehörten, wohl aber Nordafrika und der Nahe Osten.

Drittens ist mit dem Niedergang des Marxismus auch das Interesse an Wirtschaftsgeschichte zurückgegangen, und überhaupt sind für eine „postmoderne“, „postmaterialistische“ Gesellschaft religions- und kulturgeschichtliche Fragen offenbar interessanter als die „harte“ Politik-, Wirtschafts- oder gar Militärgeschichte.

Viertens aber – und hier wird es brisant und hochaktuell – haben wir es hier mit den Auswirkungen einer kulturrelativistischen Political Correctness zu tun (Ward-Perkins selbst benutzt diesen Ausdruck allerdings nicht), die prinzipiell von der Gleichwertigkeit aller Kulturen ausgeht, das Wort „Zivilisation“ auf keinen Fall im wertenden Sinne verwenden will – also wenn überhaupt, dann nur im Plural und auf keinen Fall als Gegensatz zur Barbarei. Barbarei gibt es nicht, es gibt höchstens „andere Kulturen“. Und gar Imperien! Na, die sind doch von vornherein bäbäh.

„Ich denke auch, es liegt eine wirkliche Gefahr für die Gegenwart in einer Vorstellung der Vergangenheit, die sich explizit vornimmt, jede Krise und jeden Niedergang auszuradieren. Das Ende des römischen Westens erlebte Schrecken und Verwerfungen einer Art, von der ich ehrlich hoffe, sie nie durchleben zu müssen; und es zerstörte eine komplexe Zivilisation, wobei die Bewohner des Westens auf einen Lebensstandard, der typisch für prähistorische Zeit war, zurückgeworfen wurden. Die Römer waren vor dem Untergang genauso wie wir heute sicher, dass ihre Welt für immer im Wesentlichen unverändert bleiben würde. Sie lagen falsch. Wir wären gut beraten, nicht so selbstgefällig zu sein.“ (S.190)

Ward-Perkins beschließt sein Buch mit diesen vorsichtigen Andeutungen, ohne sie weiter auszuführen. Das ist sein gutes Recht, schließlich schreibt er als Historiker, nicht als politischer Essayist, erst recht nicht als Agitator.

Es ist ja auch so eine Sache mit den „Lehren aus der Geschichte“ – oft genug lernt man genau das Falsche (wie Ludwig XVI. von Frankreich zu seinem Leidwesen erfahren musste, der auf keinen Fall wie Karl I. von England auf dem Schafott enden wollte, und gerade deshalb eine wankelmütige Politik trieb, die ihn schließlich auf eben dieses Schafott brachte). Das heißt aber nicht, dass es überhaupt nichts aus der Geschichte zu lernen gäbe. Wenn ich auch keinem Historiker unterstelle, die Geschichte direkt fälschen zu wollen, so ist es doch verblüffend, wie passgenau das neue „postmoderne“ Paradigma eines sanften Übergangs von der Antike zum Mittelalter auf die Bedürfnisse einer ganz bestimmten politischen Agenda zugeschnitten zu sein scheint:

Was dem Reich in der letzten Phase seiner Existenz fehlte, war militärische Stärke. Das ist offensichtlich und wird von niemandem bestritten. Bestritten wird, dass es diese Stärke überhaupt benötigte. Die römisch-germanischen Ansiedlungsverträge, z.B. mit den Goten 382 und 419, seien kluges Konfliktmanagement gewesen und hätten militärische Gewalt überflüssig gemacht.

Was es tatsächlich mit diesen Verträgen auf sich hatte, habe ich oben schon beschrieben: Sie waren das Ergebnis militärischer Niederlagen, wurden von den Germanen zuerst mit Gewaltandrohung erzwungen und dann nach Belieben verletzt. Natürlich fehlte es schon damals nicht an Schönrednern, die das militärische Versagen der Kaiser zu humanitären Großtaten umlogen; wenn aber anderthalb Jahrtausende später Historiker derlei groteske Propaganda ernstnehmen, so ist die Vermutung naheliegend, dass hier die Auswirkungen eines ideologisch verinnerlichten Pazifismus zu besichtigen sind, der niemals und unter keinen Umständen konzedieren kann, dass militärische Stärke und die Bereitschaft, von ihr Gebrauch zu machen, jemals etwas Gutes sein könnten.

Wer so denkt, braucht auch keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass es problematisch sein könnte, wenn eine komplexe Gesellschaft so vollständig entmilitarisiert wird wie die römische – und unsere heutige. Das, was wir heute die „postheroische“ Mentalität nennen, existierte unter römischen Zivilisten auch damals schon. Zur Aufstellung größerer Truppenverbände fehlte den Römern nicht nur das Geld – es fehlten Soldaten! Wohl wollte der römische Bürger beschützt werden – aber selber in der Armee dienen? Um Gottes willen! An eine Wehrpflicht, wie sie bis zum Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts existiert hatte, war nicht zu denken, und so mussten die Kaiser teils auf ausländische (wiederum: Germanen!), teils auf minderwertige Truppen zurückgreifen, auf Sklaven zum Beispiel.

Jahrhundertelang hatten die Legionen nur die Grenze zu schützen gehabt, und so lange hatte ihre qualitative Überlegenheit die geringe Mannschaftsstärke kompensiert. Tödlich wurde diese Schwäche erst, als es im späten 4. und im 5. Jahrhundert darum ging, die Fläche zu verteidigen und die staatliche Ordnung als solche aufrechtzuerhalten.

Der moderne Westen ist mit solchen Problemen nur – aber immerhin schon! – insofern konfrontiert, als sie es ihm erschweren, fremdes Territorium zu kontrollieren (Irak, Afghanistan). Die innere Sicherheit können wir noch getrost der Polizei überlassen. Sollte sich dies eines Tages ändern, könnte sich die postheroische Mentalität nicht nur, wie bisher schon, als problematisch, sondern als fatal entpuppen.

Überhaupt bestand das Problem der Römer nicht so sehr darin, dass die Barbaren ihnen die eine oder andere Provinz abgeknöpft hätten, um sie selbst zu beherrschen: Britannien etwa den Angelsachsen zu überlassen hätte schwerlich den Bestand des Reiches gefährdet. Das Problem war vielmehr, dass die Germanen innerhalb des Reiches eine Provinz nach der anderen verwüsteten. Die Germanen waren in erster Linie am Kampf an sich, in zweiter an Beute und erst dann an Herrschaft über ein abgrenzbares Territorium interessiert. Das Reich ähnelte daher in seiner Endphase eher einem heutigen „failed state“ vom Schlage Somalias als einer kriegführenden Macht. Wieder so eine Parallele, die dem postmodernen Gutmenschen übel aufstoßen muss.

Man ist im Westen – durchaus zu Recht – stolz darauf, dass die moderne Demokratie vielfältige Mechanismen entwickelt hat, gesellschaftliche Konflikte und Probleme friedlich und ohne direkte staatliche Gewaltanwendung zu lösen. Vergessen wird oft, dass diese Mechanismen nur deswegen und nur so lange funktionieren, wie der Staat notfalls Gewalt anwenden kann.

Auch dies gehört nämlich zu den Lehren aus der römischen Geschichte, die gewisse Menschen nicht zur Kenntnis nehmen möchten, weil sie jeglichem pazifistischen Illusionismus den Garaus machen würden: Die Ansiedlungsverträge mit den Germanen hätten als freundliches Entgegenkommen durchaus eine Befriedungswirkung haben können – wenn Rom in der Lage gewesen wäre, ihre Einhaltung zu erzwingen; so aber waren sie wertlos.

Nun ist die Auflösung der Staatsgewalt ein Prozess, der durchaus nicht nur Länder wie Somalia betrifft. Speziell die Großstädte – nicht nur der Dritten, sondern auch der Ersten Welt – weisen wachsende weiße Flecken auf, in denen die Staatsgewalt faktisch nicht mehr vertreten ist, und die in vielen Ländern bereits existierenden Reichen-Gettos, wo sich die Wohlhabenden gleichsam auf Inseln der Ordnung im Meer des Chaos verschanzen, haben eine frappierende Ähnlichkeit mit römischen Garnisonsstädten, die von ihren Besatzungen oft jahrelang gehalten wurden, während in dem sie umgebenden Land die Barbaren tobten. Man sollte sich also keineswegs darauf verlassen, dass solche Zustände „bei uns nicht möglich wären“.

Wenn die brutalen Raubzüge der Germanen als „Integration“ und „Immigration“ verniedlicht werden, so erkennt man schon an der Wortwahl, woher der Wind weht. Einer der entscheidenden Fehler der römischen Reichspolitik – der aus ebenso naheliegenden wie höchst aktuellen Gründen nicht als solcher benannt werden darf – war, dass man die Germanen überhaupt in großen Massen auf das eigene Territorium gelassen hat; kleine Gruppen hatte man schon früher aufgenommen und dezentral angesiedelt – was schnell dazu führte, dass sie sich an die vorherrschende „Romanitas“ anpassten und loyale Bürger wurden. Beim Gotenvertrag von 382 ging es aber darum, ein Großkollektiv aufzunehmen – mit eigenen politischen Führern und umfassender – sogar militärischer – Autonomie.

Eine Anpassung an die Romanitas fand unter diesen Umständen nicht statt und konnte auch nicht stattfinden. Vielmehr wurde die Mentalität des germanischen Kriegers konserviert, der Kriegführen und Beutemachen als eine Frage der „Ehre“ ansah und für die unheroische Lebensweise der Römer nur Verachtung übrig hatte. Konserviert wurde sie dadurch, dass es den Germanen erlaubt war, als kompakte Einheit, als Staat im Staate, als Gesellschaft in der Gesellschaft zu existieren. Es gab für sie keinen Grund, sich anzupassen. Im Gegenteil: Als „heroische“, an Begriffen der „Ehre“ orientierte Gesellschaft, in der Gewaltanwendung als Tugend, zumindest aber nicht als Makel galt, konnten sie mit der postheroischen römischen Gesellschaft machen, was sie wollten; und das wussten sie auch.

Kommt uns das irgendwie bekannt vor?

[Siehe zu diesem Thema auch das Interview des Deutschlandfunks mit dem Archäologen Michael Schmauder]