Der Generalverdacht

Die „Integrationsbeauftragte“ Maria Böhmer hat zum wiederholten Male davor gewarnt, muslimische Einwanderer unter „Generalverdacht“ zu stellen.

Da bin ich ja froh, dass ich alle Aussicht habe, Gnade vor den Augen von Frau Böhmer zu finden. Ich jedenfalls nehme für mich in Anspruch, muslimische Immigranten niemals unter den Generalverdacht gestellt zu haben, sie seien schlechte Muslime:

Ich habe ihnen niemals pauschal unterstellt, das Wort Allahs zu vergessen, das Beispiel des Propheten zu missachten und die Pflicht zum Dschihad zu vernachlässigen. Ich habe ihnen niemals unterstellt, mit dem Koran so umzugehen wie „christliche“ Theologen mit der Bibel. Ich habe niemals das stereotype Klischee verbreitet, dass „alle Religionen dasselbe wollen“ und dass deshalb auch der Koran zu jener Sorte liberaler Platitüdensammlungen gehöre, zu der gewisse Leute die Bibel umgedeutet haben. Den kindischen und opportunistischen Umgang mit der religiösen Überlieferung, der im ehedem christlichen Europa heute en vogue ist, habe ich den Muslimen niemals vorgeworfen, schon gar nicht pauschal. Die wenigen Einzelfälle, in denen auch Muslime dem sie umgebenden Vulgärliberalismus anheimgefallen sind, dürfen auf keinen Fall zu einem Pauschalurteil über die muslimische Gemeinschaft insgesamt verallgemeinert werden.

Genau dies tut man aber, wenn man die tiefgreifenden kulturellen Gegensätze zu bloß folkloristischen Farbnuancen verniedlicht, die einer „Integration“ nicht im Wege stünden.

Maria Böhmer

Wer die Muslime unter den Generalverdacht stellt, jener infantilen gottlosen Dekadenz zu frönen, die sie optimalerweise mitbringen müssten, um in die Böhmerrepublik Disneyland intergrierbar zu sein, deren Ehrgeiz sich darin erschöpft „bunt“ und „fröhlich“ zu sein, der beleidigt sie und ihren Glauben mehr, als alle Islamkritiker der Republik zusammen es jemals könnten.

Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens

Unter Sportreportern ist es guter Brauch, dass der, der eine Phrase absondert – etwa: „Das Eins-zu-Null hat dem Spiel gutgetan“ – fünf Euro ins Phrasenschwein werfen muss. Behaupten sie jedenfalls. (Es gab sogar einmal unter dem Titel „So werde ich Heribert Faßbender“ eine regelrechte Phrasensammlung.) Ich weiß nicht, ob besagtes Schwein wirklich existiert, aber es sollte existieren – fünf Euro sind jedenfalls eine gerechte Strafe für „So kann’s gehen im Fußball“.

Gerecht wäre natürlich auch, wenn die politischen Journalisten gleichermaßen zur Kasse gebeten würden, zum Beispiel für Sätze wie:

„Ein Ende der Gewalt im Gazastreifen ist nicht in Sicht.“

Wenn für Phrasen dieser Art keine fünf Euro abgedrückt werden müssen, dann dürfte das vor allem daran liegen, dass sie gerade wegen ihrer Banalität geballte Ideologie transportieren.

Was so beiläufig daherkommt, dass man es kaum noch hört, enthält in jedem Falle die Botschaft: „Ich bin eine Selbstverständlichkeit.“ Und worin besteht die?

Von Journalisten erwartet man, dass sie das treffende Wort finden. Für das Geschehen im Gazastreifen also das Wort „Krieg“, nicht das unspezifische „Gewalt“, das auch für eine Ohrfeige oder ein Wirtshausprügelei stehen kann. Den meisten Europäern ist aber noch erinnerlich, dass Krieg irgendetwas mit Politik zu tun hat, und dass meistens zwei Parteien gegeneinander kämpfen. Das Wort „Krieg“ würde also sofort fünf Fragen provozieren:

Wer kämpft

gegen wen

aus welchem Grund

mit welchem Ziel

und mit welchem (vorläufigen) Ergebnis?

Also fünf politische Fragen, die man auch politisch beantworten müsste.

Die sich aber erübrigen, sobald nur von „Gewalt“ die Rede ist. „Gewalt“ ist das Sinnlose und obendrein Böse, und deswegen geht es bei ihr nur darum, ob irgendein „Ende in Sicht“ ist. Das ist die Ideologie „Krieg ist keine Lösung“, versteckt in einem einzigen Wort und mit diesem in die Köpfe der Hörer, Leser und Zuschauer geschmuggelt, die gar nicht erst die Chance bekommen (sollen), irgendetwas zu hinterfragen.

Denn natürlich ist es Unsinn zu behaupten, Krieg sei keine Lösung. Krieg setzt einen politischen Konflikt voraus. Gelingt es, diesen friedlich zu lösen: gut. Wenn nicht, ist der Krieg der deadlock breaking mechanism. Eine Partei zwingt der anderen eine Lösung auf, sobald sie deren Gewaltpotenzial zerschlagen hat. Das ist ein unerfreulicher Vorgang, aber zu einer Lösung führt er allemal. Diejenigen Fälle, in denen Krieg wirklich „keine Lösung“ war – man denke an den Dreißigjährigen Krieg – sind die, in denen es nicht zu einer militärischen Entscheidung kam.

Weil das so ist, lautet die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit einem Krieg nicht, ob ein „Ende in Sicht“ ist, sondern:

Wer gewinnt?

Für Drittstaaten kommt die Frage hinzu: Ergreife ich Partei und, wenn ja, für wen?

(Ich weiß, das sind alles Platitüden, und bis vor wenigen Jahren wusste das auch Jeder. Heute aber – heute leben wir einer Zeit, wo man beweisen muss, dass der Regen von oben nach unten fällt, nicht etwa umgekehrt.)

Heute kommen diese Drittstaaten gar nicht auf die Idee, so zu fragen. Stattdessen fordern sie – na was wohl? – ein „Ende der Gewalt“, und höchstrangige Delegationen reisen in die Region, um „zu vermitteln“ (wohlgemerkt: zwischen einem demokratischen Staat und einer faschistischen Terrororganisation; dass Beide somit gleichrangig seien, ist eine weitere ideologische Setzung, die man uns unterjubelt, ohne uns zu fragen).

Sarkozy und Assad - Staatsmänner unter sich, voll Sorge um den Weltfrieden

Erfreulicherweise – denn die Liquidierung der Hamas ist nun weiß Gott wünschenswert – haben diese Missionen keine Ergebnisse, sie dienen ja auch nur der gockelhaften Selbstinszenierung von Politikern, die möglicherweise selber glauben, dies sei Politik.

Erwachsene Menschen im Dienste des Mediensystems bringen es dann fertig, über die Scheinaktivitäten dieser – pardon! – aufgeblasenen Hampelmänner zu berichten, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen. Täten sie es, müssten sie ja zugeben, dass es Wichtigeres gibt als die Frage, ob „ein Ende der Gewalt in Sicht“ ist.

So aber entpolitisiert man den Zuschauer, macht man aus einer politischen eine moralische Frage, spült man jeden Gedanken mit Emotionen weg, suggeriert man eine pazifistische Ideologie, und spielt man sich als Volkspädagoge auf, dessen Publikum die Reife von Kindern im Vorschulalter hat: „Seid doch lieb zueinander! Krieg ist keine Lösung! Der Klügere gibt nach!“

Diese Art Journalismus zielt unzweideutig darauf ab, den Zuschauer in einen Zustand infantiler Urteils-Unfähigkeit zu versetzen, und niemand sollte sich über Moderatoren wundern, die wie umgeschulte Kindergartentanten nicht nur aussehen,

Hannelore Fischer, ARDSusanne Conrad, ZDF

sondern sich auch eines dazu passenden Tonfalls befleißigen. Das Deprimierende daran ist, dass dieses Konzept funktioniert: dass sich die Nation also tatsächlich aufs Töpfchen setzen lässt und sich mit dem Daumen im Mund Gute-Nacht-Geschichten anhört.

Würden wir uns in der Sportberichterstattung die journalistischen Standards bieten lassen, die man uns dort zumutet, wo es um unsere vitalen Interessen geht, so klänge das Ergebnis ungefähr so:

Ein Ende dieses brutalen Macho-Spiels, in dem so viel gefoult wird, ist nicht in Sicht. Die Anwohner leiden unter dem Lärm. Der Versuch des französischen Staatspräsidenten, das Spiel vorzeitig abzupfeifen, ist gescheitert. Unsere Quellen vor Ort verraten uns den Spielstand nicht.“

So etwas hat Heribert Faßbender nie getan.

Die infantile Gesellschaft

Mein Brotberuf ist der des Versicherungsmaklers, und was ich dabei verdiene, ist die Sorte Brot, die man im Schweiße seines Angesichts isst. Nicht, dass es keinen Spaß machen würde. Im Grunde trinkt man mit netten Leuten Kaffee und verdient Geld damit. Aber das Produkt, dass ich verkaufe, kann man weder sehen noch anfassen; es ist ein bedingter Rechtsanspruch, also etwas denkbar Abstraktes. Ein Vernunftprodukt, das nur vernünftige Menschen kaufen; und darin liegt das Problem.

Wenn es zum Beispiel um das Thema „Altersversorgung“ geht – die Zahlen liegen auf dem Tisch, der Kunde wird im Alter arm sein, wenn er nichts unternimmt -, dann regredieren scheinbar gestandene Menschen vor meinen Augen zu Kindsköpfen: „So alt werde ich nicht.“ – „So alt will ich gar nicht werden.“ – „Ich habe doch mein eigenes Haus.“ (wahrscheinlich ein essbares Hexenhäuschen aus Lebkuchen, die obendrein nachwachsen) – „Das ist doch noch so lange hin.“ (sagt eine Vierzigjährige) – „Ich zahle schon so viel in die Gesetzliche, da sehe ich nicht ein, dass…“ – „Ich zahle doch nicht noch extra, nur weil die Politiker…“

Schon mancher Kunde hat mich vor die Tür gesetzt, weil ich ihm mit dem mir eigenen diplomatischen Takt sagte, seine Argumentation sei nicht die eines Erwachsenen.

Und man denke nicht, dass nur Angehörige der berühmten „bildungsfernen Schichten“ so argumentieren. Vor ein paar Jahren arbeitete ich für eine Unternehmensberatung und musste mir von in Ehren ergrauten mittelständischen Unternehmern anhören, dass sie trotz der katastrophalen Lage ihrer Firma nichts ändern wollten; schließlich könne man ja unter dieser Regierung nicht erfolgreich sein. Aus diesem Job bin ich bald geflüchtet.

Es war Ruth, die mich auf die Idee gebracht hat, dass die Mentalität solcher Kunden Ausdruck einer umfassenden Infantilisierung europäischer Gesellschaften sein könnte (Kompetent kann ich mich natürlich nur über Deutschland äußern.), die nicht nur für geschäftliche Frustrationen verantwortlich ist, sondern auch für höchst sonderbare Umfrageergebnisse, die ihrerseits einer nicht minder wunderlichen Politik Vorschub leisten.

So unterstützen 86 % (!) der Wahlbürger, also hochgerechnet über 50 Millionen Deutsche, den Vorschlag von Kurt Beck, das Arbeitslosengeld I für Ältere länger auszuzahlen. Diese 50 Millionen möchten also nicht, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, und damit die Lohnnebenkosten, gesenkt wird, damit mehr Arbeitsplätze entstehen; sondern sie möchten die Arbeitslosen besser alimentieren. Genau so steht nämlich die Alternative.

Eine Mehrheit (ich weiß momentan nicht genau, wieviel Prozent) ist gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters; heißt in der Konsequenz, sie sind entweder für höhere Beiträge (und damit mehr Arbeitslosigkeit, s.o.), oder für niedrigere Renten. Genau so steht nämlich die Alternative.

Eine Mehrheit ist gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Sie ist also für die Rückkehr der Taliban. Das ist die Alternative.

Mit anderen Worten: Eine Mehrheit der Deutschen hält Politik für eine Art Speisekarte, aus der man sich das Wohlschmeckende heraussuchen kann. Wer A sagt, das ist die Grundannahme, muss noch lange nicht B sagen. Muss ich  beweisen, dass das kindisch ist?

So, wie der Gedanke sich verflüchtigt hat, dass primär jeder Mensch selbst für sein eigenes Auskommen zu sorgen hat (Ein-Euro-Jobs! Wie kann man die armen Menschen dazu zwingen, für einen Euro pro Stunde zu arbeiten?! Dass sie in Wirklichkeit für ihren notwendigen Lebensunterhalt plus den einen Euro arbeiten, hat sich nicht herumgesprochen.), so fremd ist den meisten der Gedanke, dass jedes Land für seine eigene Sicherheit verantwortlich ist. Warum selber etwas tun, wenn man doch die Amerikaner hat? Die sind offenbar durch göttlichen Ratschluss dazu verpflichtet, die Verantwortung für unser aller Sicherheit zu übernehmen, gegebenenfalls auch den Kopf hinzuhalten. Und sich, wenn sie dies tun, unser Genöle anzuhören. Die Haltung eines ziemlich schlecht erzogenen Kindes gegenüber ziemlich nachsichtigen Eltern.

Die meisten Deutschen sind stolz darauf, wie moralisch ihr Land ist, wobei die Moral im Wesentlichen darin besteht, keine Gewalt anzuwenden. Man nennt das Pazifismus, und der hat angeblich seine Wurzeln in der christlichen Ethik. Hat er? Die christliche Ethik fordert dazu auf, nicht selbstgerecht zu sein. Sie fordert dazu auf, die Dinge mit den Augen des Anderen, notfalls auch des Feindes, zu betrachten. Oft stellt sich dann heraus, dass er nicht ganz Unrecht hat, und dass man mit ein bisschen Entgegenkommen die Feindschaft überwinden kann. Oft. Nicht immer.

Der Pazifismus aber geht davon aus, dass Entgegenkommen und Gewaltverzicht immer die gebotene Haltung ist. Eine solche Ethik ist schon deswegen nicht christlich, weil sie eine rigide Handlungsethik ist. Vor allem aber vermeiden solche Christen es gerade, die Dinge mit den Augen des Feindes zu sehen; man erspart sich damit die Erkenntnis, dass man selber aus dessen Sicht unter Umständen wie eine fette Beute aussieht. Kindisch ist daran die unreflektierte Verinnerlichung von Normen; kindisch ist die Nichtberücksichtigung der Folgen des eigenen Handelns; und kindisch ist schließlich die naive Ich-Bezogenheit, die den Anderen nicht als eigenständige Größe sieht, als jemanden, der seiner eigenen Logik folgt, sondern davon ausgeht, das eigene Verhalten müsse vom Anderen rückgespiegelt werden: Wenn ich Dir nichts tu, dann tust Du mir auch nichts, gell?

Wenn man den anderen nur durch die eigene narzisstische Brille sehen kann, bleibt als Alternative zur Feindschaft (die um jeden Preis vermieden werden muss) nicht etwa die Freundschaft, zu der auch Respekt und Distanz gehören, sondern die Verschmelzung, die Grenzauflösung, die Symbiose, bei der zwischen „Ich“ und „Du“ bzw. bei Gruppen „Wir“ und „Ihr“ nicht unterschieden werden darf.

Das kann als harmlose Marotte daherkommen, z.B. als die leicht peinliche Figur des christlichen Philosemiten, der sich als Jude gibt, ohne einer zu sein. Als protestantische Bischöfin, die es dem jüdisch-christlichen Dialog schuldig zu sein glaubt zu erklären, Jesus sei ein jüdischer Wanderprediger gewesen „wie andere auch“ – also nicht Sohn Gottes oder dergleichen. Das ist exakt die jüdische Auffassung von Jesus. Als solche, d.h. als jüdische, völlig in Ordnung; nur christlich ist sie eben nicht. Diese Unfähigkeit, Unterschiede zu akzeptieren (und damit, das vergisst der Gutmensch, auch die Integrität des Anderen zu wahren) ist ärgerlich, aber harmlos im Verhältnis zum Judentum. Dieselbe Haltung („Wir müssen den Islam wollen“) wird zur Katastrophe im Verhältnis zu einer militant missionarischen Religion wie dem Islam.

Die Nichtunterscheidung zwischen Wir und Ihr ist es auch, die speziell die Linke, aber auch sonst wesentliche Teile der deutschen Gesellschaft dazu verführt, Politik nicht vom Standpunkt der eigenen (deutschen, europäischen, westlichen) Interessen zu betrachten, sondern vom Standpunkt eines weltumarmenden Gerchtigkeitspathos, in der schon die Verfolgung völlig legitimer Eigeninteressen als anrüchig, rassistisch oder imperialistisch gilt. Die Unterscheidung von Freund und Feind auf der Basis dieser Interessen – die nicht die politische Leitunterscheidung ist, wie Carl Schmitt meinte, aber doch eine völlig legitime Unterscheidung -, ist unter solchen Umständen natürlich ausgeschlossen, und so kommt es, dass ein infantilisiertes Volk, oder zumindest Teile davon, für jeden noch so verbrecherischen antiwestlichen Fanatiker „Verständnis“ hat oder gar mit ihm sympathisiert.

Die Infantilisierung ist weit fortgeschritten. Warum das so ist? Tja. Da muss ich passen.

[Einer, der nicht passen will, ist Fjordman; daher mehr zum Thema hier:]