Käßmann mischt wieder mit

So ganz war sie ja leider nie von der Bildfläche verschwunden, auch nicht nach ihrer verhängnisvollen Sauftour vom vergangenen Jahr: die ehemalige Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann. Nun aber gibt sie wieder richtig Gas und fährt nach Wildbad Kreuth, um den Abgeordneten CSU auf ihrem Weg weg vom Christentum ein gutes Gewissen zu verschaffen.

Zugleich treibt sie den Niedergang der deutschen Wissenschaft voran und bekleidet für ein Jahr die „Max-Imdahl-Gastprofessur“ an der Uni Bochum:

Die Max-Imdahl-Gastprofessur bietet Persönlichkeiten, die sich um die Einheit von Wissen und Gesellschaft verdient gemacht haben, einen besonderen akademischen Wirkungsraum: Im Sinne des Namensgebers sollen sie sich nicht von Fachgrenzen einschränken lassen…

– in der Tat: Es gibt wohl kein Thema, zu dem M.K. noch nicht ihren Senf gegeben hätte, und sogar auf ihrem eigenen Gebiet, der Theologie, hat sie sich nicht von 2000 Jahren christlicher Theologie irgendwelche „Grenzen“ setzen lassen; dass die Pille ein „Geschenk Gottes“ sei, hat sie jedenfalls nicht aus der Bibel –

… sondern sich mit verschiedensten Themen befasst haben, …

– ob das gründlich und systematisch erfolgte, oder ob man aus dem Bauch heraus vom Standpunkt einer infantilen Gesinnungsethik apodiktische Werturteile im Stil pubertierender Jugendlicher abgibt, spielt in der heutigen „Wissenschaft“ ja längst keine Rolle mehr –

… unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen verbinden …

– ich muss eine ganz falsche Vorstellung davon haben, was man unter „Wissenschaft“ versteht –

… und auf aktuelle, die Gesellschaft bewegende Fragestellungen beziehen.

Und welche „aktuelle, die Gesellschaft bewegende Fragestellung“ wird sich Margotchen vorknöpfen?

„Multikulturelle Gesellschaft – Wurzeln, Abwehr und Visionen“

O Gott!

Die infantile Gesellschaft

Mein Brotberuf ist der des Versicherungsmaklers, und was ich dabei verdiene, ist die Sorte Brot, die man im Schweiße seines Angesichts isst. Nicht, dass es keinen Spaß machen würde. Im Grunde trinkt man mit netten Leuten Kaffee und verdient Geld damit. Aber das Produkt, dass ich verkaufe, kann man weder sehen noch anfassen; es ist ein bedingter Rechtsanspruch, also etwas denkbar Abstraktes. Ein Vernunftprodukt, das nur vernünftige Menschen kaufen; und darin liegt das Problem.

Wenn es zum Beispiel um das Thema „Altersversorgung“ geht – die Zahlen liegen auf dem Tisch, der Kunde wird im Alter arm sein, wenn er nichts unternimmt -, dann regredieren scheinbar gestandene Menschen vor meinen Augen zu Kindsköpfen: „So alt werde ich nicht.“ – „So alt will ich gar nicht werden.“ – „Ich habe doch mein eigenes Haus.“ (wahrscheinlich ein essbares Hexenhäuschen aus Lebkuchen, die obendrein nachwachsen) – „Das ist doch noch so lange hin.“ (sagt eine Vierzigjährige) – „Ich zahle schon so viel in die Gesetzliche, da sehe ich nicht ein, dass…“ – „Ich zahle doch nicht noch extra, nur weil die Politiker…“

Schon mancher Kunde hat mich vor die Tür gesetzt, weil ich ihm mit dem mir eigenen diplomatischen Takt sagte, seine Argumentation sei nicht die eines Erwachsenen.

Und man denke nicht, dass nur Angehörige der berühmten „bildungsfernen Schichten“ so argumentieren. Vor ein paar Jahren arbeitete ich für eine Unternehmensberatung und musste mir von in Ehren ergrauten mittelständischen Unternehmern anhören, dass sie trotz der katastrophalen Lage ihrer Firma nichts ändern wollten; schließlich könne man ja unter dieser Regierung nicht erfolgreich sein. Aus diesem Job bin ich bald geflüchtet.

Es war Ruth, die mich auf die Idee gebracht hat, dass die Mentalität solcher Kunden Ausdruck einer umfassenden Infantilisierung europäischer Gesellschaften sein könnte (Kompetent kann ich mich natürlich nur über Deutschland äußern.), die nicht nur für geschäftliche Frustrationen verantwortlich ist, sondern auch für höchst sonderbare Umfrageergebnisse, die ihrerseits einer nicht minder wunderlichen Politik Vorschub leisten.

So unterstützen 86 % (!) der Wahlbürger, also hochgerechnet über 50 Millionen Deutsche, den Vorschlag von Kurt Beck, das Arbeitslosengeld I für Ältere länger auszuzahlen. Diese 50 Millionen möchten also nicht, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, und damit die Lohnnebenkosten, gesenkt wird, damit mehr Arbeitsplätze entstehen; sondern sie möchten die Arbeitslosen besser alimentieren. Genau so steht nämlich die Alternative.

Eine Mehrheit (ich weiß momentan nicht genau, wieviel Prozent) ist gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters; heißt in der Konsequenz, sie sind entweder für höhere Beiträge (und damit mehr Arbeitslosigkeit, s.o.), oder für niedrigere Renten. Genau so steht nämlich die Alternative.

Eine Mehrheit ist gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Sie ist also für die Rückkehr der Taliban. Das ist die Alternative.

Mit anderen Worten: Eine Mehrheit der Deutschen hält Politik für eine Art Speisekarte, aus der man sich das Wohlschmeckende heraussuchen kann. Wer A sagt, das ist die Grundannahme, muss noch lange nicht B sagen. Muss ich  beweisen, dass das kindisch ist?

So, wie der Gedanke sich verflüchtigt hat, dass primär jeder Mensch selbst für sein eigenes Auskommen zu sorgen hat (Ein-Euro-Jobs! Wie kann man die armen Menschen dazu zwingen, für einen Euro pro Stunde zu arbeiten?! Dass sie in Wirklichkeit für ihren notwendigen Lebensunterhalt plus den einen Euro arbeiten, hat sich nicht herumgesprochen.), so fremd ist den meisten der Gedanke, dass jedes Land für seine eigene Sicherheit verantwortlich ist. Warum selber etwas tun, wenn man doch die Amerikaner hat? Die sind offenbar durch göttlichen Ratschluss dazu verpflichtet, die Verantwortung für unser aller Sicherheit zu übernehmen, gegebenenfalls auch den Kopf hinzuhalten. Und sich, wenn sie dies tun, unser Genöle anzuhören. Die Haltung eines ziemlich schlecht erzogenen Kindes gegenüber ziemlich nachsichtigen Eltern.

Die meisten Deutschen sind stolz darauf, wie moralisch ihr Land ist, wobei die Moral im Wesentlichen darin besteht, keine Gewalt anzuwenden. Man nennt das Pazifismus, und der hat angeblich seine Wurzeln in der christlichen Ethik. Hat er? Die christliche Ethik fordert dazu auf, nicht selbstgerecht zu sein. Sie fordert dazu auf, die Dinge mit den Augen des Anderen, notfalls auch des Feindes, zu betrachten. Oft stellt sich dann heraus, dass er nicht ganz Unrecht hat, und dass man mit ein bisschen Entgegenkommen die Feindschaft überwinden kann. Oft. Nicht immer.

Der Pazifismus aber geht davon aus, dass Entgegenkommen und Gewaltverzicht immer die gebotene Haltung ist. Eine solche Ethik ist schon deswegen nicht christlich, weil sie eine rigide Handlungsethik ist. Vor allem aber vermeiden solche Christen es gerade, die Dinge mit den Augen des Feindes zu sehen; man erspart sich damit die Erkenntnis, dass man selber aus dessen Sicht unter Umständen wie eine fette Beute aussieht. Kindisch ist daran die unreflektierte Verinnerlichung von Normen; kindisch ist die Nichtberücksichtigung der Folgen des eigenen Handelns; und kindisch ist schließlich die naive Ich-Bezogenheit, die den Anderen nicht als eigenständige Größe sieht, als jemanden, der seiner eigenen Logik folgt, sondern davon ausgeht, das eigene Verhalten müsse vom Anderen rückgespiegelt werden: Wenn ich Dir nichts tu, dann tust Du mir auch nichts, gell?

Wenn man den anderen nur durch die eigene narzisstische Brille sehen kann, bleibt als Alternative zur Feindschaft (die um jeden Preis vermieden werden muss) nicht etwa die Freundschaft, zu der auch Respekt und Distanz gehören, sondern die Verschmelzung, die Grenzauflösung, die Symbiose, bei der zwischen „Ich“ und „Du“ bzw. bei Gruppen „Wir“ und „Ihr“ nicht unterschieden werden darf.

Das kann als harmlose Marotte daherkommen, z.B. als die leicht peinliche Figur des christlichen Philosemiten, der sich als Jude gibt, ohne einer zu sein. Als protestantische Bischöfin, die es dem jüdisch-christlichen Dialog schuldig zu sein glaubt zu erklären, Jesus sei ein jüdischer Wanderprediger gewesen „wie andere auch“ – also nicht Sohn Gottes oder dergleichen. Das ist exakt die jüdische Auffassung von Jesus. Als solche, d.h. als jüdische, völlig in Ordnung; nur christlich ist sie eben nicht. Diese Unfähigkeit, Unterschiede zu akzeptieren (und damit, das vergisst der Gutmensch, auch die Integrität des Anderen zu wahren) ist ärgerlich, aber harmlos im Verhältnis zum Judentum. Dieselbe Haltung („Wir müssen den Islam wollen“) wird zur Katastrophe im Verhältnis zu einer militant missionarischen Religion wie dem Islam.

Die Nichtunterscheidung zwischen Wir und Ihr ist es auch, die speziell die Linke, aber auch sonst wesentliche Teile der deutschen Gesellschaft dazu verführt, Politik nicht vom Standpunkt der eigenen (deutschen, europäischen, westlichen) Interessen zu betrachten, sondern vom Standpunkt eines weltumarmenden Gerchtigkeitspathos, in der schon die Verfolgung völlig legitimer Eigeninteressen als anrüchig, rassistisch oder imperialistisch gilt. Die Unterscheidung von Freund und Feind auf der Basis dieser Interessen – die nicht die politische Leitunterscheidung ist, wie Carl Schmitt meinte, aber doch eine völlig legitime Unterscheidung -, ist unter solchen Umständen natürlich ausgeschlossen, und so kommt es, dass ein infantilisiertes Volk, oder zumindest Teile davon, für jeden noch so verbrecherischen antiwestlichen Fanatiker „Verständnis“ hat oder gar mit ihm sympathisiert.

Die Infantilisierung ist weit fortgeschritten. Warum das so ist? Tja. Da muss ich passen.

[Einer, der nicht passen will, ist Fjordman; daher mehr zum Thema hier:]