Tanzt Du noch einmal mit mir?

Mein aktueller Lieblingshit stammt von einer Band namens “Broilers”, heißt “Tanzt du noch einmal mit mir” und versteht sich als Beitrag zum Krampf gegen Rechts:

Ich war mir so sicher und mein Freund, Du warst es auch, dass der Geist von damals nie wiederkehrt. Wir lagen falsch, mein Freund, wir waren zu dumm.

Ein faules Volk wie dieses hat sich noch nie gewehrt.

Das hättet ihr wohl gerne?

Die aggressive Dummheit der Volksbeschimpfung spiegelt eine Frustration und beginnende Panik bei den etwas sensibleren Linken, für die es vordergründig keinen Grund zu geben scheint.

Tanzt du noch einmal mit mir? Sei einfach nur da. Tanzt du noch einmal mit mir? Wenn nicht jetzt, wann dann? Tanzt Du noch einmal mit mir? Sei einfach nur hier, Tanzt Du noch einmal mit mir? Bevor das alles explodiert.

Wieder die Panik.

Die Gesichter wechseln und die Farben wechseln auch.

Sie scheinen mitbekommen zu haben, dass Rechte anders aussehen, als Linke sich das vorstellen. Von denen, die heute rechts sind, waren Viele vor fünf oder zehn Jahren noch links oder liberal, zum Teil waschechte Gutmenschen. Und sie haben heute noch den Habitus des linken oder liberalen Milieus, aus dem sie stammen: Eine x-beliebige Gruppe von, sagen wir, Islamkritikern, unterscheidet sich auf den ersten Blick in nichts von einer Gruppe linker Aktivisten, schon gar nicht durch Springerstiefel oder dergleichen. Höchstens dadurch, dass statt der taz die Junge Freiheit auf dem Kneipentisch liegt, und es gibt etliche, die auch heute noch als Sozialarbeiter, Lehrer, Universitätsdozenten etc. in typischen linksorientierten Strukturen tätig sind, sich dort freilich hüten, sich der Inquisition zu erkennen zu geben.

An dem Tag, wo ihr McCarthyismus in sich zusammenbricht, werden die Linken staunen, wer jetzt schon alles zu uns gehört.

Gezielte Worte zu stimmungsvoller Zeit.

Die linke Lebenslüge. Auch wenn es noch so sehr auf der Hand liegt, werden sie nicht zugeben, dass es nicht “gezielte Worte”, sondern die – nicht zuletzt von ihnen selbst geschaffenen – Realitäten sind, die Menschen in Scharen nach rechts treiben.

Der Mob, er läuft nicht, der Mob, er rennt …

… hören wir in einem Lied, das als Beitrag zum “Kampf gegen Rechts” d.h. zur größten politischen Mobbingkampagne seit Gründung der BRD konzipiert ist. Aber richtig, es ist eine stille Massenbewegung, und wer sich einmal in Bewegung gesetzt hat, bewegt sich immer schneller. Meinetwegen rennt er auch.

Den Nerv getroffen …

So ist es.

… und das Schwein in dir befreit.

Volksbeschimpfung, siehe oben. Das Bemerkenswerte ist das Eingeständnis, dass hier etwas befreit wird. In der Tat: Das Erlebnis, das man als Linker hat, wenn man die ersten Schritte nach rechts geht, gleicht dem Erlebnis, das Necla Kelek hatte, als sie das erstemal in eine Bratwurst aus Schweinefleisch biss: Wider Erwarten tat sich nicht die Erde auf, sie zu verschlingen, und die Wurst schmeckte gut: “Ich hatte gesündigt und fühlte mich gut dabei.”

Die Erkenntnisblockaden, an denen ich jahrzehntelang gescheitert war, purzeln zu sehen wie die Dominosteine, nur weil ich endlich die ersten linken Aprioris beiseite geschoben hatte, war eine Art geistiger Orgasmus. Man fühlt sich nicht nur gut dabei, man kann gar nicht genug davon bekommen. Man beginnt endlich, frei zu atmen. In “Kognitive Dissonanz und Political Correctness” habe ich beschrieben, was da befreit wird: Es ist mitnichten “das Schwein”, es ist das eigene bevormundete, geknebelte, gegängelte, erstickte Ich.

Indem sie zugeben, dass hier etwas befreit wird, sagen die Musiker zugleich, dass sie selbst gefesselt und geknebelt sind. Die Linken, die den befreiten Andersdenkenden als Schwein beschimpfen, haben etwas von alten Jungfern, die ihre eigene Frigidität mit Moral verwechseln. Der Neid des Impotenten, getarnt als sittliche Entrüstung.

Ich packe meinen Koffer und ich nehme nichts mit.

Fluchtphantasien. Panik.

Ich halte Deine Hand unterm Ascheregen.

Die Vulkanmetapher ist treffend. Die Magmakammern sind zum Bersten voll.

Im dritten Jahrtausend gibt es zu viel alte Angst. Ich küsse Dich ein letztes Mal und lass´die Erde beben.
Tanz du noch einmal mit mir? Sei einfach nur da. Tanzt du noch einmal mit mir? Wenn nicht jetzt, wann dann? Tanzt Du noch einmal mit mir? Sei einfach nur hier, Tanzt Du noch einmal mit mir? Bevor die Scheiße explodiert

Während die Fassade noch steht, Parteien und Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Bundestag und Bundesrat zum Kampf gegen Rechts blasen und jeder Opportunist und Karrierist sein Scherflein dazu beiträgt (nicht ohne sich als Nonkonformist oder gar Widerstandskämpfer zu inszenieren), während die IM- und Blockwartstypen sich an Denunziationen noch überbieten und glauben, dies sei ein Aufstand (kicher!) der Anständigen (brüüüüllllll!), spüren die Künstler, als die sensibleren Naturen unter den Linken, wie am Grunde der Moldau die Steine wandern.

Die Musiker selbst kommentieren:

“Das spannende an einem Song wie ‘Tanzt du noch einmal mit mir?’ ist, dass man beim ersten Hören denkt, es sei eine Partynummer” so Sammy. “Wenn du dann aber auf den Text hörst merkst du, wie viel Wut in den Lyrics steckt …”

Das glaube ich euch aufs Wort. Und genau deshalb ist es eine Partynummer. Für uns.

 

Der Westen spielt Mikado

Unter diesem Titel antworte ich in der aktuellen Ausgabe der Jungen Freiheit (Forum, S.18) auf den Beitrag des Militärhistorikers Franz Uhle-Wettler, der vor einigen Wochen an gleicher Stelle gegen die liberale Islamkritik Stellung bezogen hat und dabei für meinen Geschmack allzu naiv den Denkfiguren von Islamapologeten gefolgt ist. Drei Kostproben:

Es ist verständlich und sogar ehrenwert, wenn Konservative den Islam gegen eine allzu platte liberale Islamkritik in Schutz nehmen, die den Muslimen vor allem ihre Abneigung gegen die Homoehe und andere zweifelhafte Errungenschaften der westlichen Moderne ankreidet. Die schrillen Töne der liberalen Islamkritik kommen nicht zuletzt daher, daß der Islam in sich eine praktizierte radikale Liberalismuskritik verkörpert, der der westliche Liberalismus schon deshalb wenig entgegenzusetzen hat, weil die Frage, ob Europa in fünfzig Jahren liberal oder islamisch sein wird, nicht im „Dialog“, sondern im Kreißsaal entschieden wird.

Wer aber Kritik am Islam mit einer Aufrechnung zu Lasten des Christentums beantwortet, tut nicht nur etwas Sinnloses, insofern das eine rein logisch nicht als Argument gegen das andere taugt; er wird nicht nur meist Äpfel mit Tomaten vergleichen und auch bei diesem Vergleich noch auf ein geschöntes Bild des Islam angewiesen sein. Nein, wer diese Gutmenschendenkfigur übernimmt, übernimmt implizit auch die dahinterstehende Weltauffassung, das heißt die blutleere, aseptische, ortlose Logik linker und liberaler Ideologie. Es gibt nämlich einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Christentum und dem Islam, den keine noch so bemühte Geschichtsklitterung aus der Welt schaffen kann: Das Christentum ist unsere Religion, der Islam ist es nicht!

Als Konservativer mag man am Islam schätzen, was man will – eines darf man nicht verkennen: Die Gesellschaft, deren Stabilität vom Islam gefördert wird, ist allein die islamische, und sie stabilisiert sich nicht zuletzt durch den Export von Instabilität in die nichtislamische Umgebung. Die Kehrseite des ausgeprägten Gruppenstolzes von Muslimen ist die Verachtung der Anderen und das angemaßte Recht, von ihnen – also von uns! – Unterwerfung zu fordern. Das Gemeinwohl ist das Wohl der muslimischen Gemeinschaft, nicht unseres, und die vom Islam geförderte Solidarität schließt Nichtmuslime nicht nur aus, sondern richtet sich gegen sie.

Auch sonst ist die aktuelle Ausgabe der Jungen Freiheit (hier geht’s zum Inhaltsverzeichnis) wieder einmal höchst lesenswert. Klare Kaufempfehlung! (Und für die, die keinen wohlsortierten Kiosk in Reichweite oder Angst vor den IMs der Stasifa haben: Es geht auch online.)

Zur Dialektik des Liberalismus

In einigen meiner letzten Artikel („Die Liquidierung der Zivilisation“, „Armin Mohler: Gegen die Liberalen“, „Bei Nacht und Nebel“) habe ich die These vertreten, dass die Krise unserer Zivilisation unter anderem Ergebnis der Eigenlogik liberaler Ideologie ist. Für diese These habe ich in den dazugehörigen Kommentarsträngen heftige Gegenrede von Le Penseur geerntet. Le Penseur führte neben vielen anderen Argumenten an, die Politik einer sich liberal nenndenden Justizministerin, die soeben bei Nacht und Nebel das Meinungsstrafrecht verschärft, könne so wenig als Argument gegen den Liberalismus herhalten wie die Politik von Angela Merkel als Argument gegen das Christentum.

Heute komme ich endlich dazu, ausführlich zu antworten. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der folgenden Überlegungen stelle ich meine Replik nicht als Kommentar, sondern als Beitrag ein:

Vielleicht sollt ich einmal noch deutlicher machen, worum es mir bei meiner Liberalismuskritik geht:

Ausgangspunkt ist für mich die Frage, wie es kommt, dass für unsere Gesellschaft die Frage nach ihrer eigenen Erhaltung und ihrer eigenen Zukunft bedeutungslos ist; warum sie systematisch ihre eigenen Grundlagen zerstört; warum nicht der sich rechtfertigen muss, der an der Zerstörung der Zivilisation arbeitet, sondern der, der sie erhalten will.

Eine Teilantwort lautet, dass die Frage, was die Gesellschaft zusammenhält, das Erstaunen darüber, dass sie zusammenhält, die typische Ausgangsfrage konservativen Denkens ist. Das heißt ja nicht, dass man gegen die Freiheit ist, sondern dass man sich bewusst ist, dass Freiheit nur auf der Basis einer sie ermöglichenden Ordnung möglich ist – und damit ist keineswegs nur die Rechtsordnung gemeint. Das Recht kann nur regeln, was einer nicht tun darf. Es kann (und darf) der Gesellschaft nicht die Normen und Werte vorschreiben, die durch Sozialisation verinnerlicht – oder eben nicht verinnerlicht – werden.

Patriotismus – um dieses Beispiel zu verwenden – kann man niemandem vorschreiben, und ein Volk kann auch mit ein paar ganz unpatriotischen Einzelnen gut leben. Es kann aber nicht überleben, wenn niemand mehr Patriot ist, wenn also niemand mehr sich fragt, was er für sein Land tun kann.

Diese Frage nach den strukturellen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen von Zivilisation (und damit nach den notwendigen Voraussetzungen von Freiheit) an den Anfang zu stellen, ist der Ausgangspunkt konservativen Denkens, und genau dadurch unterscheidet es sich von den liberalen und linken Ansätzen, die – explizit oder unausgesprochen – Rechte, Freiheiten und die Emanzipation von vorgefundenen Bindungen an den Anfang stellen und bestenfalls – wenn überhaupt – in einem zweiten Schritt fragen, wieviel Strukturzerstörung man sich praktisch leisten kann, ohne dass der Laden auseinanderfliegt.

Es geht nicht darum zu behaupten, linke oder liberale Ansätze seien a priori „falsch“ – denn keine Ideologie ist von vornherein so blöde, dass sie nicht irgendetwas Richtiges benennen könnte. Wie ich an anderer Stelle schon sagte: Jede Ideologie ist eine Brille, durch die man manches scharf fokussiert sieht, anderes überhaupt nicht.

Es geht darum, dass konservative Ansätze im oben skizzierten Sinne praktisch aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt sind, und dass deswegen das nötige Korrektiv fehlt, das lange Zeit verhindert hat, dass die gemeinsamen Grundannahmen linker und liberaler Ideologie zu Selbstverständlichkeiten werden konnten, die praktisch nicht mehr hinterfragt werden. Es ist diese Selbstverständlichkeit, die das Denken der Gesellschaft blockiert und sie in das Schema unangemessener Begriffe zur Beschreibung ihrer Wirklichkeit zwingt.

Liberale Ansätze werden praktisch nur noch vom marxistischen, marxistische Ansätze nur noch vom liberalen Standpunkt kritisiert. Was nicht kritisiert wird, obwohl es unsere Kultur zerstört, ist die kulturelle Selbstverständlichkeit, dass die Wirklichkeit auf der Basis normativer Gedankensysteme, letztlich vom Standpunkt der Utopie her, zu kritisieren und entsprechend solchen Systemen zu verändern sei.

Sie missverstehen meine Kritik, wenn Sie darauf abheben, dass unsere Gesellschaft doch gar nicht in einem strengen Sinne liberal sei, wenn man nur an die vielen Staatseingriffe, Sozialstaatlichkeit etc. denke, wie Sie das an anderer Stelle ausgeführt haben. Ich verweise nochmals auf meinen Artikel zur Liquidierung der Zivilisation: Nicht der Liberalismus allein ist die Grundlage der gesellschaftlich vorherrschenden Ideologie, sondern Marxismus und Liberalismus zusammen, mitsamt dem De-facto-Monopol der ihnen beiden zugrundeliegenden Metaideologie.

Dass den Liberalen die Welt zu marxistisch ist, ist daher kein Argument gegen meine These. Umgekehrt gilt nämlich, dass sie den Marxisten zu liberal ist (in ihrer Terminologie: zu neoliberal). Sozialismus und Liberalismus sind durchaus zwei unterschiedliche Utopien, das ja. Aber sie bilden die beiden Pole einer Skala des gesellschaftlich Akzeptablen, und sie definieren dadurch diese Skala. Chance auf Gehör hat nur, wer sich auf dieser Skala positioniert, nicht wer außerhalb von ihr steht. Die ganze Verleumdung von Konservativen als „rechtsradikal“, „fundamentalistisch“, „reaktionär“ usw. usw. würde niemandem einleuchten, wenn nicht die gesamte Begrifflichkeit, in der der öffentliche Diskurs strattfindet, durch Ideologien definiert würde, die auf emanzipatorischen bzw. utopistischen Grundannahmen basieren.

Und nun sagen Sie, lieber Le Penseur, Ihr Liberalismus sei aber der, der zwischen 1759 und 1968 als solcher gegolten habe. Das freut mich. Er spricht für Sie. Es interessiert mich bloß nicht. Ideologien sind nichts Statisches, sondern werden – entschuldigen Sie bitte mein Soziologenlatein – gesellschaftlich fortlaufend reproduziert und dabei verändert, und diese Veränderung folgt einer inneren Logik. Sie haben Frau L.-S. vorgeworfen, sie sei ja gar keine echte Liberale. Nun, diese Dame hat in den neunziger Jahren ihren Ministersessel zur Verfügung gestellt, weil sie den Großen Lauschangriff nicht mittragen wollte, also in Verfolgung eines geradezu klassisch liberalen Anliegens. Finden Sie es nicht etwas arrogant, ihr den Liberalismus abzusprechen? Wenn sie heute das Gesinnungsstrafrecht verschärft, so reagiert sie auf das Problem ethnischer Spannungen, ohne es freilich so zu nennen. Solche Spannungen können aus ihrer Sicht nur auf „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ beruhen. Würde sie zugeben, dass sie das unvermeidliche Ergebnis einer Politik sind, die verschiedene Völker durcheinander rührt, dann müsste sie zwei liberale Grunddogmen in Frage stellen oder doch wenigstens relativieren:

Erstens müsste sie anerkennen, dass die Verfolgung individueller Freiheitsrechte (das Tragen von Kopftüchern, die Orientierung an einem islamischen Wertesystem etc.), selbst wenn sie völlig legal sind, zu gesellschaftlichen Problemen führen können, die sich nicht „von selbst“ durch individuelle Handlungen über Marktmechanismen oder zivile Aushandlungsprozesse restabilisieren und reharmonisieren.

Zweitens müsste sie anerkennen, dass die individuelle Nutzenmaximierung, die auf dem geduldigen Papier der ökonomischen Fachbücher stets zur optimalen Allokation von Ressourcen führt (zum Beispiel durch freie Arbeitsmigration), in der sozialen Wirklichkeit zu ganz und gar suboptimalen Ergebnissen führen kann. Die Crux liegt darin, dass die Modelle der Ökonomen immer nur ceteris paribus, also unter sonst gleichbleibenden Umständen funktionieren, dass ihre Übertragung auf die Wirklichkeit aber gerade diese Umstände verändert (wenn zum Beispiel aufgrund der Migration die Kriminalität steigt).

Das Problem von Frau LS ist also, dass sie es mit Problemen zu tun hat, die sie in der Sprache ihrer eigenen Ideologie kaum benennen und analysieren, geschweige denn lösen kann. Um der Konsistenz ihrer Ideologie willen muss sie zu einer inadäquaten Problembeschreibung greifen und ethnische Spannungen auf „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ zurückführen, was in der Konsequenz darauf hinausläuft, den „Rassisten und Fremdenfeinden“ mit staatlicher Gewalt das Maul zu stopfen. So schlägt Liberalismus in Totalitarismus um – das ist die Dialektik des Liberalismus.

Halt, werden Sie jetzt sagen, Frau LS muss doch merken, dass mit diesem „Liberalismus“ etwas defekt ist, dass er sich auf diesem Wege selbst ad absurdum führt, und wenn sie eine richtige Liberale ist, so werden Sie sagen, dann wird sie doch lieber ihren gesunden Menschenverstand einschalten, statt aus bloßer Prinzipienreiterei ihren Liberalismus so weit auf die Spitze zu treiben, dass er seine eigenen Voraussetzungen untergräbt. Schließlich, so werden Sie zu Recht sagen, kann man jegliche Ideologie dadurch ad absurdum führen, dass man sie auf die Spitze treibt. Wohl wahr.

Das ist nun der Punkt, an dem es so wichtig ist, eine Ideologie nicht als theoretisches Ideensystem zu interpretieren, das als solches statisch wäre, sondern als ein in einer sozialen Bewegung objektiviertes Ideensystem.

Nehmen wir also an, Frau LS würde einem ebenso aufgeklärten und in der Wirklichkeit geerdeten Liberalismus anhängen wie Sie selbst.
Sie würde also ihren Parteifreunden mitteilen müssen: Liebe Parteifreunde, so sehr ich für ein Maximum an individueller Freiheit bin, hier müssen wir eine Ausnahmen von der Regel machen (Buuh!); es kann keine freie Arbeitsmigration geben (Buuuuuuh!); und eventuell werden wir unser ganzes Ideensystem korrigieren müssen (Buuuuuuuuuuuuuuuuu!).

Da wird die Dame schlechte Karten haben. Wer einer Ideologiegemeinschaft angehört, also zum Beispiel einer Partei, in der bestimmte Prämissen zum identitätsstiftenden Konsens gehören, wird es schwer haben, eine Position durchzusetzen, wonach die Konsequenzen aus diesen Prämissen ausnahmsweise einmal nicht gezogen werden sollen. (Ich weiß, wovon ich rede: Ich habe Anfang der achtziger Jahre ein paarmal versucht, orthodox-marxistischen Jusos die Idee nahezubringen, dass die Sowjetunion womöglich nicht nur eine Friendensmacht sei. :D)

Ihr Liberalismus, Le Penseur, von dem Sie zu Recht sagen, dass er dem Liberalismus der Vor-68er-Epoche entspricht, ist gerade deshalb nicht der Liberalismus, weil wir das Jahr 2010 schreiben und der Liberalismus sich mittlerweile mit den von ihm selbt mitverschuldeten Problemen herumschlagen muss. Er steht jetzt als politische Bewegung vor der Wahl, seinen freiheitlichen Ansatz dadurch zu retten, dass er ihn in ein konservatives Paradigma einpasst (also von der Frage nach den Existenzbedingungen von Gesellschaft ausgeht) oder seinen dialektischen Umschlag in totalitäre Ideologie in Kauf zu nehmen. Es gibt kein Drittes.

Ob es politisch klug ist, dass ich gerade den Liberalismus aufs Korn nehme, steht auf einem anderen Blatt. Es spricht politisch zweifellos einiges dafür, gestützt auf den altliberalen Liberalismusbegriff den real existierenden Liberalismus zu attackieren. Nur geht es mir um Erkenntnis der Ursachen der Krise unserer Zivilisation, und vom Standpunkt dieses Erkenntnisinteresses wären taktische Rücksichtnahmen hochgradig störend.

Kommentar: Nicht mal ein Feigenblatt

Kommentar von Heike Göbel in faz.net zur Griechenlandkrise:

„Der versprochene Beitrag der Banken zur Hilfe für Griechenland beleidigt den ökonomischen Sachverstand der Bürger. Wie wäre es zur Abwechslung mit Ehrlichkeit? Wen wollen Union und FDP mit der fortgesetzten Behauptung überzeugen, zur staatlichen Hilfe für Griechenland gebe es keine Alternative?“

weiterlesen: Kommentar zur Schuldenkrise: Nicht mal ein Feigenblatt – Griechenland – Wirtschaft – FAZ.NET.

Kuriosum am Rande

Kuriosum am Rande

„Beamte des aserbaidschanischen Ministeriums für Nationale Sicherheit, einer Behörde sowohl mit geheimdienstlichem als auch polizeilichen Aufgaben, haben nach verschiedenen Medienberichten die Identität von Bürgern ermittelt, die beim Eurovision Song Contest 2009 in Moskau für den Beitrag Armeniens gestimmt haben. Mindestens ein Betroffener wurde verhört und aufgefordert, sein Handeln schriftlich zu begründen.“

Sonst hat man in Aserbaidschan wohl keine Probleme?

Für alle, die sich wundern, …

.. dass ich so plötzlich verstummt bin:
Ich bin gerade dabei, etappenweise einen langen, langen Beitrag zu schreiben, und habe mittendrin Probleme mit der Tücke der Technik bekommen; mein Blog funktioniert plötzlich nicht mehr so, wie er soll, und ich versuche über das WordPress-Forum und den Support, es wieder in den Griff zu bekommen.
Der Beitrag wird wohl erst Mitte der kommenden Woche erscheinen können. Inschallah 🙂 !Einstweilen kann ich ja schon ein bisschen Vorab-Reklame machen: Es geht um eine ausführliche ideologiekritische Analyse von Hans-Peter Raddatz‘ Buch: „Von Gott zu Allah? Christentum und Islam in der liberalen Fortschrittsgesellschaft“. Der Autor vergleicht darin die historische Entwicklung von Religion und Kultur des Islam einerseits, des Westens andererseits, und fragt danach, was bei dem Aufeinandertreffen beider Kulturen wohl herauskommen wird.
Das Buch hat ihm prompt einen Mordaufruf von islamischer Seite eingetragen. Was den Autor ja schon einmal sympathisch macht. Leider hat er sich nicht darauf beschränkt, seine – m.E. zutreffende – kritische Einschätzung des Islam zu entwickeln, sondern hat bei seiner Analyse der westlichen Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger als einen Großangriff auf die Grundlagen der offenen, demokratischen Gesellschaft formuliert, und zwar vom Standpunkt des christlichen Fundamentalismus. Da Raddatz zwar viele Kritiker hat, von denen aber kein einziger (jedenfalls keiner, der mir bekannt wäre) diesen Aspekt unter die Lupe genommen hat; da er andererseits viele Fans hat (von denen viele anscheinend gar nicht merken, was für eine Art von Ideologie ihnen da untergejubelt wird), halte ich es der Mühe für wert, sein Gedankensystem Schräubchen für Schräubchen zu demontieren, um die Struktur des paranoiden, rechtstotalitären Wahnsystems offenzulegen, auf dem seine Argumentation aufbaut. Bis nächste Woche also!