Prof. Markus Kerber zur Eurokrise: „Ein Schwall von Inflation“

Der Deutschlandfunk hat gestern abend aus ein Interview mit Professor Markus Kerber von der TU Berlin ausgestrahlt, der dort über öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik forscht. Anlass war die Herabstufung der Bonität Frankreichs von AAA auf AA+ durch die Ratingagentur Standard & Poors. Es ging um die Auswirkungen auf den Euro. Kerber hat Klartext gesprochen. Er sagte unter anderem:

Insgesamt kann Deutschland in dieser Situation nur eines versuchen: aus dem Euro-Rettungsfonds, zumindest aus dem Euro-Rettungsfonds auszutreten, um sein Rating zu sichern und [sich] selbst zu retten. Anderenfalls wird man sehr deutlich in absehbarer Zeit die Schlussfolgerungen für Deutschlands haftungsauslösende Situation ziehen. Deutschland wird für Alle haften, für Alle haften müssen, und das führt notwendigerweise zu einer gravierenden Herabstufung. Der Rettungsfonds …

Frage: Das bedeutet, wenn ich Sie richtig verstehe, dass der Rettungsschirm damit Geschichte ist?

Das ist der Anfang vom Ende des Rettungsschirms. Der Rettungsschirm kann aufgrund der Haftung von Frankreich jedenfalls mittelfristig sich Geld nicht mehr zu den Konditionen verschaffen, die nötig sind, um die finanznotleidenden Länder ensprechend billig zu finanzieren.

Frage: Aber ist denn die Situation derart brisant, kann man davon ausgehen, dass die Zinsen jetzt dramatisch ansteigen in den Ländern, die herabgestuft worden sind?

Das hängt davon ab, ob in diesen Ländern nunmehr eine radikale Austeritätspolitik angesagt und durchgeführt wird. Bisher haben wir ja im Wesentlichen eine deklaratorische Politik. Aber selbst wenn sie angesagt würde, müsste sie ja noch umgesetzt werden. Wir sind im Strudel eines europaweiten Finanznotstandes, und diesem Strudel kann sich Deutschland nur entziehen, indem es kurzfristig aus dem Euro-Rettungsfonds austritt und deutlich macht, dass es für die völlig maroden Staaten nicht mehr bereit ist zu haften, und endlich das Tabu gebrochen wird, dass die Eurozone als solche überlebensfähig ist; Deutschland braucht heute mehr denn je einen Plan B, um zusammen mit den anderen Handelsüberschussländern wie den Niederlanden, Luxemburg, Finnland und Österreich ruckartig die Eurozone zu verlassen.

Frage: Aus Ihnen spricht deutlich der Euroskeptiker; wie wird denn die EZB, die Europäische Zentralbank …

… nicht der Euroskeptiker, sondern der Europa-Befürworter. Wer Europa heute, die europäische Integration undden europäischen Binnenmarkt nicht länger mit diesem religiös betriebenen Europrojekt belasten will, der zieht aus der Realität Schlüsse: die Schlüsse, die Politiker deshalb nicht bereit sind zu ziehen, weil sie für diese Politik und für diesen Zustand verantworlich sind.

Frage: Trotzdem, wie wird die EZB, die Europäische Zentralbank darauf reagieren? Haben Sie die Befürchtung, dass so etwas wie die Druckerpresse angeworfen werden wird?

Das ist bereits in Gang: Herr Draghi hat zwar gesagt, dass die Europäische Zentralbank durch Anleihenkäufe nicht Fiskalpolitik betreiben kann, aber sie hat in einer Art und Weise die Sicherheitsanforderungen für die Refinanzierung von Banken erleichtert, dass Banken im Euroraum mittlerweile jedwedes Papier – das ist etwas vereinfacht, aber in der Tendenz stimmt es – zur Refinanzierung einreichen können. Das Ergebnis: Von den 489 Milliarden Euro, die Banken abgerufen haben, haben allein italienische Banken 116 Milliarden abgerufen. Aber die Forderung nach dem Einsatz der EZB als fiskalische Feuerwehr wird noch lauter erklingen, und das bedeutet ökonomisch genau was sie eben gesagt haben, dass die Druckerpresse angeworfen wird; dann wird zeitversetzt ein Schwall von Inflation auf uns zukommen.

[Die Fragen stellte Oliver Ramme. Das Interview kann noch für einige Zeit unter folgender URL als Tonaufzeichnung abgerufen werden:

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2012/01/13/dlf_20120113_2315_1784255d.mp3]

Die Enteignungs-Union

Als hätten sie offiziell erklären und symbolisch unterstreichen wollen, dass die Europäische Währungsunion (EWU)eine Inflations- und Enteignungs-Union ist, haben sich die führenden Staaten der Eurozone, einschließlich Deutschlands, darauf verständigt, dass der künftige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgerechnet — ein Italiener sein wird, der italienische Zentralbankpräsident Mario Draghi. Klemens Kindermann weist im DLF darauf hin, dass diese Personalie keineswegs eine Ausnahme ist, sondern sich ins Gesamtbild fügt:

Irgendwann wird auffallen, dass in Europas Schlüsselpositionen fast nur noch schuldengeplagte Südländer das Sagen haben: an der Spitze der Brüsseler Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen etwa oder an der des einflussreichen Wirtschafts- und Finanzausschusses. Auch der Chef der Europäischen Bankenaufsicht ist – ein Italiener. Und in der EZB selbst? Gerade erst ist der neue EZB-Vizepräsident ernannt worden. Er kommt aus – Portugal. Wo aber spielt Deutschland noch eine Rolle, wenn es um harte Schnitte bei den Milliardenhilfen für Schuldensünder geht oder um die dringend benötigte Anhebung der Leitzinsen gegen die Inflation – gefürchtet von den Not-Ländern, die neue Kredite brauchen? Mit Ruhm hat sich Deutschland, genauer gesagt: die Bundesregierung, bei der Besetzung der EZB-Spitze nicht bekleckert. Die verpasste Chance – sie könnte sich noch rächen.

(Klemens Kindermann: Italien wird neuen Notenbankchef stellen)