Deutschlands „Isolation“

Als wäre eine Sprachregelung ausgegeben worden, beklagen nunmehr die meisten politischen Kommentatoren die „Isolation“, in die Deutschland sich begeben habe, weil es gegenüber Frankreich, Großbritannien und den USA im Fall Libyen nicht genügend „Bündnistreue“ bewiesen habe.

Halten wir zunächst fest, dass es keinerlei „Bündnis“ gibt, aufgrund dessen Deutschland verpflichtet gewesen wäre, sich an einem Angriff auf Libyen zu beteiligen. Die NATO, das muss man heutzutage leider betonen ist, ein Verteidigungsbündnis, und keiner der Verbündeten ist angegriffen worden.

Es stimmt zwar, dass die NATO zunehmend für Einsätze eingespannt wird, die mit Selbstverteidigung auch im weitesten Sinne nichts zu tun haben, aber dies bedeutet, dass sie vertragswidrig missbraucht wird, und nicht etwa, dass eine neue Rechtslage eingetreten wäre. Wenn einzelne Bündnispartner entscheiden, irgendwo auf der Welt offensiv zu werden, verpflichtet dies Deutschland zu überhaupt nichts. Das Gerede von der „Bündnistreue“ ist also bewusste Augenwischerei.

Was der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor einigen Tagen beschlossen hat, als er die Angriffe auf Libyen absegnete, war ein weiterer Schritt zur Schaffung eines in der UN-Charta nicht vorgesehenen und von ihr nicht gedeckten Gewohnheitsrechts zur Beseitigung missliebiger Regime.

Dabei ist selbstverständlich nicht jedes diktatorische Regime in diesem Sinne missliebig; die Diktaturen von Bahrain oder Saudi-Arabien sind es zum Beispiel nicht.

Gaddafi, mit dem man jahrzehntelang gute Geschäfte gemacht hat, und dessen jetziger Hauptfeind Sarkozy nicht zuletzt durch libysche Wahlkampfspenden ins Amt gekommen ist, ist Frankreich und Großbritannien vor allem deshalb ein Dorn im Auge, weil die Fortexistenz seines Regimes der „Mittelmeerunion“, also dem Projekt Eurabia, im Weg steht, dem sich durch die Revolutionen in Ägypten und Tunesien plötzlich so unerwartete Perspektiven öffnen. Was die beiden westlichen Gernegroßmächte – unter wohlwollender Schirmherrschaft der USA – anstreben, läuft ja auf die Verschmelzung Europas mit Nordafrika und dem Nahen Osten hinaus, und dies nicht trotz, sondern wegen der damit zwangsläufig verbundenen Masseneinwanderung. Die EU-Pläne, eben diese Masseneinwanderung in bisher ungekanntem Ausmaß zu fördern, liegen bekanntlich bereits auf dem Tisch, und nichts kommt ihnen mehr zupass als das Argument, man müsse „die jungen Demokratien unterstützen“ und „den Menschen eine Perspektive geben“, und schließlich gelte es, die Ströme von Flüchtlingen (die vor der „Freiheit“ offenbar in größeren Zahlen fliehen als jemals vor der Unterdrückung) zu kanalisieren.

Dies ist der Hintergrund, ohne den die Intervention der Westmächte ganz unverständlich wäre. Dass Deutschland sich gegenüber einer solchen Politik „isoliert“, also sie wenigstens nicht mitmacht, wenn es sie schon nicht verhindert, ist fürwahr nichts, was irgendjemandem schlaflose Nächte bereiten sollte, übrigens auch nicht im Hinblick auf den angestrebten ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat.

Dass Deutschland durch die Nichtbeteiligung an der Libyen-Intervention die Chancen auf diesen Sitz verspielt habe, ist nicht nur Unfug (diese Chancen hat es nie gegeben für einen Staat, der nach wie vor unter die Feindstaatenklausel fällt), sondern wäre auch dann kein Argument, wenn es stimmen würde. Was hieße das denn (wenn es stimmen würde), dass der Preis für einen solchen Sitz die Beteiligung an westlichen Angriffskriegen wäre? Das hieße, dass dieser Sitz von Deutschlands Beteiligung an einer Politik abhinge, die Andere auch ohne deutsche Zustimmung ohnehin schon betreiben. Ich glaube nicht, dass man für diese Art „Großmacht“-Stellung (kicher!) die gesunden Knochen eines vorpommerschen Piloten riskieren sollte. Oder, um es mit Wilhelm I. zu sagen: Was soll mir der Charaktermajor?

11 Gedanken zu „Deutschlands „Isolation““

  1. Die heutigen Deutschen sind nicht einmal mehr zur Selbstverteidigung fähig.
    Bei diesem (seit dem Nürnberger Tribunal strafwürdigen)x-ten Angriffskrieg jetzt gegen Libyen zeigte sich recht schön, wie schnell sich alt-bewährte Allianzen der Herzlichkeit wieder zusammenfinden.

    http://www.youtube.com/watch?v=1vA4T1wfJLE

  2. „…Dass Deutschland durch die Nichtbeteiligung an der Libyen-Intervention die Chancen auf diesen Sitz verspielt habe, ist nicht nur Unfug (diese Chancen hat es nie gegeben für einen Staat, der nach wie vor unter die Feindstaatenklausel fällt)…“

    Diese hat es auch ohne die oben erwähnte Feindstaatenklausel nie gegeben. Jeder weitere permanente Sitz verwässert die Macht, der jetztigen Sitzinhaber.Sie werden sich nur dann darauf einlassen, wenn es ihnen einen zusätzlichen deutlichen Nutzen bringt.
    Was kann denn das vergreisende und auf dem absteigenden Ast befindliche Deutschland noch bringen, was sie eh nicht schon haben.

  3. Sehr geehrter Manfred,
    in allem, was Sie dort kommentiert haben, kann ich Ihnen nur zustimmen. Was hier abläuft ist ein Überfall auf einen Staat, mit dem Ziel, sich in dessen innere Angelegenheiten unter einem, für mich fadenscheinigen Vorwand, einzumischen.
    Der Herr Gaddafi ist sicherlich ein unguter Diktator, doch mit ihm konnte Europa trotz seiner Skurrilitäten leben.
    Sollte man nicht erst einen Konfliktherd aus der Welt schaffen, bevor man, unter welchem Vorwand auch immer, erneut zundelt.
    Es ist nicht klar, was der eigentliche tiefere Grund ist. Sie meinen, dass man Europa migrantisch „fluten“ möchte. Könnte es sein , dass Herr Sarkozy sich einen Mitwisser vom Hals schaffen möchte und England Rache für Lockerby nehmen? Das würde die Mitwirkung dieser beiden Staaten teilweise erklären können. Nur schwer lässt sich das Eingreifen der USA deuten. Nun wird die NATO bemüht. Das ist ein eigenartiges (Alibi-)Schauspiel, bei dem man besser außen vor bleibt.
    Und die angesprochenen Flüchtlingsströme sind in meinen Augen nichts anderes als Verstärkung für die fünfte Kolonne.
    Was die UNO und den Weltsicherheitsrat betrifft, habe ich keine andere Meinung, als von dem ehemaligen Völkerbund, der mit den Versailler Verträgen und seiner Eierei um 1933 das Dritte Reich installiert hatte. Wenn wirklich zutrifft, was Sie vermuten, dann ist das besorgniserregend. Es würden uns nicht iranische Raketen hinter dem Mittelmeer bedrohen, sondern die UNO plus der zugehörigen Klientel. Da nehme ich selbst Deutschland nicht aus. Was würde passieren, wenn die europäischen Zuwanderer plötzlich eine „demokratische Revolution“ beginnen und sich die europäischen Staaten dieser Bewegung, die mit Sicherheit in Gewalt ausarten würde, wie es z.Zt. bereits im kleinen Maßstab geschieht, widersetzten ?
    Dann würde es uns genau so ergehen, wie den Libyern.
    Irgend eine zusammengewürfelte UNO-NATO-Truppe – ich könnte fast schon sagen, welche,- würde die „Revolutionäre“ tatkräftig unterstützen.
    Und was die „Isolation“ betrifft, ist meine Meinung, dass man eigentlich nur von Isolation sprechen kann, wenn ein gleichberechtigter Souverän von einer Gemeinschaft souveräner Staaten gemieden wird. Deutschland bleibt der Dschimmi der Siegermächte solange, bis ein regulärer Friedensvertrag es zu einem souveränen Staat macht.
    Da ist es schon eine bemerkenswerte Leistung, sich aus einer Kriegsspielerei dieser Mächte herauszuhalten. Das ist schon fast souverän!

  4. Das Öl ist für mich keine plausible Erklärung. Libyen hat es verkauft, und war auch bereit es weiterhin zu tun. Es dürfte auch eines der wenigen OPEC-Ländern gewesen sein, wo europäische Erölfirmen mitgemischt haben (Total und Eni).

    Ich habe keine rationale Erklärung für die Intervention in Libyen durch Frankreich und speziell Grossbritanien. Was glaubt man damit erreichen zu können?

  5. Ich stimme auch zu, mit einer Ausnahme.

    Manfred beginnt mit „Als wäre eine Sprachregelung rausgegeben worden…“

    Wieso hier den Konjunktiv benutzen? Wer es vorher noch nicht geschnallt hatte, sah doch durch die Japan- Berichterstattung, wie gleichgeschaltet unsere MSM tatsächlich sind. Sicher kriegen die Sprachregelungen. Egal, ob man El Kaida dann Al Kaida und schließlich Al Quaida nennen muss oder alle plötzlich von „Aufständischen“ reden (etc., es gibt hunderte Beispiele). Wie soll eine solche Einheitssprache (vielleicht sollte ich „Neusprech“ sagen?!) denn dezentral zustande kommen? Das müsste man mir erklären.

  6. Auf
    http://rassegnastampa.mef.gov.it/mefnazionale/View.aspx?ID=2011032518240344-1
    propagiert ein Meinungsmacher des Corriere della Sera eine “europäische Strategie” zur Lösung der Probleme Nordafrikas durch “Steuerung der Einwanderung”, d.h. proaktive Verteilung des von der nordafrikanischen Wirtschaft nicht verwendbaren Präkariats auf alle EU-Staaten.
    Das ist genau die “Strategie” von Ŝtefan Füle, und man kann erwarten, dass noch mehr “Strategen” die aus unserer Feigheit vor der Invasion der Schwachen geborene Not als “Strategie” umzumünzen versuchen werden.
    Ob bisher eine solche “Strategie” wirklich schon ernsthaft von einflussreichen Globalisten verfolgt worden ist, ist dabei eine fast zweitrangige Frage.
    Die Mittelmeerunion und Barcelona-Erklärung waren ja 10 Jahre lang praktisch tote Projekte, und auch sie bestehen vielleicht aus nicht viel mehr als der Kanalisierung und Übertünchung von Opportunismen aller Art.

  7. Wieso hier den Konjunktiv benutzen?

    Weil der Indikativ indizieren würde, dass ich einen Beweis hätte.

  8. Ich bin so weit, dass ich einen Beweis dafür einfordern würde, dass es keine Sprachregelung gibt. Aber ich weiß, was Du meinst.

  9. Dass Brasilien, Indien und die Türkei ebenfalls die Position von China und Russland teilen, wird wohlweislich verschwiegen, obwohl es wegen der Bekanntheit des BRIC-Blocks den Leser interessieren müsste.

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