Zwei Jahre nach dem Gazakrieg…

… veröffentlicht Jeremy Sharon im Australian eine knappe Skizze der Lage, wie sie sich aus der Sicht Israels und seiner Bürger darstellt. Übersetzung von Ruth:

Vor zwei Jahren erreichte der Nahe Osten wieder einmal den Siedepunkt, als Israel eine Militaeraktion im Gazastreifen begann.

Diese Aktion markierte das Ende von Israels Geduld, nachdem der Staat ueber 6000 Raketen- und Moerserangriffe auf seine Gemeinden und Staedte hingenommen hatte, seit er sich im August 2005 aus dem Gazastreifen zurueckgezogen hatte.

Noch wichtiger ist, dass der kurze, aber heftige Konflikt in den letzten Tagen des Jahres 2008 fuer viele Israelis den Moment bedeutet, in dem sie ihren Glauben an die Formel „Land fuer Frieden“ verloren. Fuer sie hat die Aufgabe von Land nicht zum Frieden gefuehrt, sondern einfach zu noch mehr Krieg.

Waehrend die internationale Gemeinschaft den todgeweihten Friedensprozess wiederbeleben moechte, indem sie vor allem auf Israel Druck ausuebt, ist es wichtig, dass dieses Gefuehl beruecksichtigt wird. Eine vor kurzem erhobene Umfrage des Instituts fuer Nationale Sicherheitsstudien in Israel zeigt: Vor dem einseitigen Rueckzug Israels aus dem Gazastreifen unterstuetzten 60% der israelischen Bevoelkerung die Errichtung eines palaestinensischen Staates. Dieses Jahr waren es knapp 50%. Der Grund fuer diesen steilen Abfall ist nicht schwer herauszufinden.

In den drei Jahren nach Israels Aufgabe des Gazastreifens, hat die Hamas den Gazastreifen aufgeruestet, Gilad Shalit gekidnapt, die der Fatah und PA Praesident Mahmud Abbas loyalen Kraefte vertrieben und mehr als 6000 Raketen und Moerser auf Israels Gemeinden und Staedte abgefeuert.

Wenn man daran denkt, in welcher Weise Hisbollah das Machtvakuum nach Israels Rueckzug aus dem Suedlibanon im Jahr 2000 ausgefuellt hat, dann wird das Abwaegen fuer die Israelis klar. Zwei Rueckzuege in fuenf Jahren haben ihre Sicherheit deutlich und in nicht umkehrbarer Weise beeintraechtigt. Ein weiterer Rueckzug, diesmal aus dem Westjordanland, koennte selbstmoerderisch sein.

Der Ausgang der israelischen Wahlen vor einem Jahr speigelt dieses Ueberlegungen wider. Die Regierung der Tauben unter Ehud Olmert und Tzippi Livni wurde abgewaehlt und an ihre Stelle trat die abgebruehtere Koalition von heute.

Diese Haltung ist auch hinter der gegewaertigen Verhandlungsposition der vom Likud gefuehrten Regierung zu erkennen. Die Israelis bestehen darauf, dass israelische Truppen sowohl an der West- wie an der Ostgrenze eines kuenftigen Staates Palaestina stationiert werden. Fuer Israels langfristige Sicherheit haelt man das fuer unerlaesslich, und ist eine der unangreifbaren Lektionen, die aus Abzug aus dem Gazastreifen und dem Militaerkonflikt mit dem Gazastreifen 2008 gelernt wurden. Die andere Lehre, die Israel aus der Aktion „Gegossenes Blei“ zog, ist, dass das Land sich in keiner Weise darauf verlassen kann, dass die internationale Gemeinschaft sein Recht auf Selbstverteidigung anerkennt. Nachdem allein im Jahr 2008 ueber 3000 Raketen und Moerser auf Israel niedergingen, meinte die israelische Regierung, es sei ihr gutes Recht, die unertraegliche Situation, worin vor Beginn von „Gegossenes Blei“ hunderttausende israelischer Buerger leben mussten, zu einem Ende zu bringen.

Aber die Flutwelle von Verurteilungen, Anklagen, diplmatischen Attacken und Empoerung in den Medien, die Israel ueberspuelte, weil es die Unverschaemtheit besass, die eigenen Buerger zu verteidigen, war selbst fuer Israel noch nie dagewesen. Diese Kampagne gipfelte im Goldstonebericht, der, wenn er umgesetzt wuerde, die israelische Armee grundsaetzlich an der Verteidigung israelischer Buerger hinderte, falls der Angriff von zivilen Stellungen aus erfolgen sollte, wie es vor der Militaeraktion „Gegossenes Blei“ der Fall war.

Vor diesem Hintergrund sind Israels Befuerchtungen hinsichtlich eines Rueckzugs aus dem Westjordanland einleuchtend. Fuer Israelis ist klar: Sollten die staedtischen Gebiete der Westbank fuer Raketenabschussrampen genutzt werden, wie es im Gazastreifen passiert ist, dann wuerde die internationale Gemeinschaft Israel das Recht auf Selbstverteidigung absprechen. Die israelische Oeffentlichkeit neigt daher eher dazu, auf das Risiko in ihren Haeusern in Tel Aviv bombardiert zu werden, zu verzichten, trotz der internationalen Missbilligung, die eine solche Wahl begleitet.

In der Folge von „Gegossenem Blei“ hat Israel nicht nur die internationale Verurteilung erlitten, sondern auch eine Reihe gebrochener Versprechen. Fuehrende Politiker wie der franzoesische Praesident Nicolas Sarkozy und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprachen von der Notwendigkeit dafuer zu sorgen, dass Hamas keine Waffen in den Gazastreifen schmuggelt. Aber diese und andere internationale Fuehrer haben die umfassende Wiederaufruestung der Hamas nicht verhindert, und heute verfuegt diese vom Iran gesteuerte Guerillaarmee ueber modernere Waffen und Raketen als vor „Gegossenem Blei“.

Die Schlussfolgerung, die Israel aus dieser schockierenden Nachlaessigkeit zieht, liegt auf der Hand: Es kann sich auf niemanden verlassen, um seine Buerger zu verteidigen und fuer sein Recht auf Selbstverteidigung einzutreten. Mit diesen angesammelten Gefuehle muessen sich diejenigen auseinandersetzen, die einen palaestinensischen Staat einrichten wollen. Von Israel kann nicht erwartet werden, seine Sicherheit externen Kraeften anzuvertrauen.

Wenn der Friedensprozess irgendwohin fuehren soll, dann muessen die Erfahrungen Israels in den letzten beiden Jahren von der internationalen Gemeinschaft ins Boot geholt warden. Wenn sie einfach ignoriert werden, dann werden die Israelis sich niemals sicher genug fuehlen, um sich aus der Westbank zurueckzuziehen und ein Klima des Vertrauens kann nicht aufgebaut werden.

Unter diesen Umstaenden wird der Konflikt im Nahen Osten weiter schwelen, und die Aussichten auf Frieden sind aeusserst duerftig.

Aus dem Wörterbuch des Gutmenschen: „Internationale Gemeinschaft“

Angesichts des sich erhöhenden Drucks auf Israel muss man kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass dem Ausdruck „Internationale Gemeinschaft“ eine neue Hochkonjunktur bevorsteht. Grund genug, noch einmal daran zu erinnern, dass dieser Terminus in sich eine Lüge darstellt:

Es handelt sich nämlich um eine sinnentstellende Scheinübersetzung von “international community“, was soviel bedeutet wie “Gesamtheit” (der Staaten), (internationale) “Allgemeinheit”.

Das deutsche Wort “Gemeinschaft” bezeichnet aber eine Gruppe, deren Mitglieder einander zu einem hohen Maß an Solidarität verpflichtet sind: vom Rechtsbegriff der “Versichertengemeinschaft” über “verschworene Gemeinschaft”, “Gemeinschaft der Gläubigen” bis hin zur “Volksgemeinschaft”.

Besonders akzentuiert wird der Begriff in der deutschen Geistesgeschichte durch die Gegenüberstellung von “Gemeinschaft” und “Gesellschaft”, wobei der Begriff der “Gemeinschaft” einen romantischen Beiklang hat: Der “Gemeinschaft” zu dienen gilt traditionell als erhabener und edler als bloß in der “Gesellschaft” seine schnöden Interessen zu verfolgen.

Eine “Internationale Gemeinschaft” in diesem Sinne existiert nicht, „Staatengesellschaft“ wäre viel treffender. Der Ausdruck „Internationale Gemeinschaft“

passt hervorragend zu einer deutschen Außenpolitik, die sich grundsätzlich hinter dieser “Gemeinschaft” versteckt,

enthält ein unausgesprochenes “Pfui” gegenüber allen Staaten, die das nicht tun,

ist für demagogische Zwecke wie geschaffen,

und wird genau deshalb von der deutschen Journaille in jedem zweiten Satz über den Nahostkonflikt verwendet.

Babylon II – Semantische Lügen

„Nationalsozialistische Gewaltherrschaft“: Stammt aus dem kanonischen Vokabular der deutschen Gedenkkultur, wird aber auch von Journalisten immer gerne genommen. Eine semantische Lüge ist es nicht deshalb, weil es die Nazis als gewalttätig beschreibt; natürlich haben die Nazis Gewalt in einem bis dahin in Europa unvorstellbaren Ausmaß angewendet. Die Lüge aber besteht darin, dass der Begriff der „Gewaltherrschaft“ suggeriert, ihre Herrschaft habe im Wesentlichen auf Gewaltanwendung beruht; so kann man sich daran vorbeimogeln, dass Hitler durch Wahlen an die Macht gekommen ist und Neuwahlen, wenn er sie denn zugelassen hätte, noch bis ins Jahr 1945 hinein spielend gewonnen hätte. Die Rede von der „nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ ist die Ausrede einer Gesellschaft, die bis heute nicht wahrhaben will, dass sie selbst den Nationalsozialismus hervorgebracht und Hitler vorbehaltlos unterstützt hat.

„Unrechtsstaat“ (Unrechtssystem, Unrechtsregime) DDR: Sagt nicht einfach aus, dass die DDR kein Rechtsstaat war – das war sie ja in der Tat nicht -, sondern, dass sie von vornherein auf Unrecht basiert und auf die Verwirklichung von Unrecht abgezielt habe. Nun wird das Begriffspaar Recht/Unrecht in zwei Kontexten verwendet: Einmal in einem positivistischen Sinne („Recht ist, was Gesetz ist“) im Hinblick auf die Frage der Legalität. In diesem Kontext von einem „Unrechtsstaat“ zu sprechen, ist blanker Unsinn. Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 war die Souveränität über Deutschland auf die Siegermächte übergegangen, und die übten sie in ihrer jeweiligen Besatzungszone aus. Die Gründung der DDR wie auch ihre innere Struktur als kommunistische Diktatur entsprach dem Willen der Besatzungsmacht und war damit legal. Von „Unrecht“ im Sinne von „Illegalität“ kann daher nur dort gesprochen werden, wo die DDR ihr eigenes Recht verletzte. Der zweite Bezugsrahmen im Gegensatz zur Legalität ist die politisch-moralische Frage nach der Legitimität. Die DDR war ein Staat, dessen bloße Existenz von seiner Bevölkerung abgelehnt wurde, erst recht seine diktatorische Ordnung; vom demokratischen Standpunkt der Volkssouveränität war er damit ein Unrechtsstaat. Schon wahr. Nur ist das Volk, von dessen Souveränität hier die Rede ist, das deutsche Volk. Zum Zeitpunkt der Gründung der DDR war es gerade vier Jahre her, dass das deutsche Volk von seiner Souveränität so verheerenden Gebrauch gemacht hatte, dass ganz Europa in Schutt und Asche lag. War es vor diesem Hintergrund wirklich „Unrecht“, Deutschland zu teilen? Außerhalb Deutschlands sah man das jedenfalls nicht so (sah es selbst 1989 nicht so), und mit dem Kalten Krieg wurde die Aufrechterhaltung dieser Teilung sogar die Voraussetzung für die Stabilität Europas. Und die Voraussetzung für die Teilung war der Fortbestand der Diktatur in der DDR. Kann man da wirklich ohne Einschränkung von einem „Unrecht“ sprechen, zumal wenn man berücksichtigt, dass Instabilität in Europa möglicherweise in einen Atomkrieg geführt hätte? Ja, das kann man, wenn man sich auf den Standpunkt stellt: „Demokratie – um jeden Preis“! Nur sollte man dann nicht beanspruchen, nüchtern und objektiv zu urteilen.

„Irakische Aufständische“: Wer gegen den irakischen Staat und die ihn kontrollierende Besatzungsmacht kämpft, ist im technischen Sinne ein „Aufständischer“. So weit, so gut. Der Ausdruck wird aber auch in Bezug auf Terroristen verwendet, die sich auf Marktplätzen in die Luft jagen. Gegen wen stehen denn die auf? Gegen Marktfrauen und Schuhputzer?

Rechts: Demagogischer Kampfbegriff der Linken, bei dem auf den Zusatz „-radikal“ oder „-extremistisch“ bewusst verzichtet wird, um den Unterschied zwischen Konservativen und Faschisten unter den Tisch fallen zu lassen. Dürfte dafür verantwortlich sein, dass sich nur noch 11 % der deutschen Bevölkerung als „rechts“ bezeichnen; das sind sogar weniger, als nach sozialwissenschaftlichen Analysen rechtsextrem eingestellt sind. Die Mehrheit ordnet sich der „Mitte“ zu, als wenn das irgendetwas aussagen würde. Dass es eine demokratische Rechte geben könnte, scheint niemandem mehr in den Sinn zu kommen. Wieder ein Begriff, der analytisch nicht mehr brauchbar ist, weil er zum politischen Kampfbegriff gemacht wurde. Siehe auch „What’s Left II“.

„Internationale Gemeinschaft“: Sinnentstellende Scheinübersetzung von „international community„, was soviel bedeutet wie „Gesamtheit“ (der Staaten), (internationale) „Allgemeinheit“. Das deutsche Wort „Gemeinschaft“ bezeichnet aber eine Gruppe, deren Mitglieder einander zu einem hohen Maß an Solidarität verpflichtet sind: vom Rechtsbegriff der „Versichertengemeinschaft“ über „verschworene Gemeinschaft“, „Gemeinschaft der Gläubigen“ bis hin zur „Volksgemeinschaft“. Besonders akzentuiert wird der Begriff in der deutschen Geistesgeschichte durch die Gegenüberstellung von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“, wobei der Begriff der „Gemeinschaft“ einen romantischen Beiklang hat: Der „Gemeinschaft“ zu dienen gilt traditionell als erhabener und edler als bloß in der „Gesellschaft“ seine schnöden Interessen zu verfolgen. Eine „Internationale Gemeinschaft“ in diesem Sinne existiert nicht, der Begriff ist durch und durch verlogen, passt aber natürlich hervorragend zu einer deutschen Außenpolitik, die sich grundsätzlich hinter dieser „Gemeinschaft“ versteckt, und enthält ein unausgesprochenes „Pfui“ gegenüber allen Staaten, die das nicht tun.

„Kriegsgefangenenlager“ Guantanamo: Guantanamo ist ein Gefangenenlager, aber seine Insassen, und daran entzündet sich die Kritik, sind gerade keine Kriegsgefangenen, jedenfalls nicht im rechtlichen Sinne. Rechtlich sind sie „feindliche Kämpfer“ – eine völlig willkürliche Konstruktion, die einzig und allein darauf abzielt, sie rechtlos zu stellen. Was die Verteidiger des amerikanischen Vorgehens aber nicht daran hindert, scheinheilig zu fragen, warum man denn – vor Ende der Kampfhandlungen – die Auflösung dieses „Kriegsgefangenenlagers“ fordere…

Mehr zum Thema Sprachkritik: Babylon I und Free Burma