Der Dolchstoß

Noch ist nicht ganz klar, was sich in der vergangenen Nacht in der afghanischen Provinz Kundus zugetragen hat, aber grob sieht das Bild wie folgt aus:

Zwei Tanklastzüge, beladen mit Treibstoff für die Bundeswehr, wurden von Taliban gekapert. Die Taliban ermordeten die Fahrer und versuchten, mit den Lastzügen zu entkommen. Bei dem Versuch, den Fluss Kundus zu überqueren, blieben sie stecken. Die Bundeswehr forderte zur Bekämpfung der Taliban Luftunterstützung an, und die Lastzüge wurden aus der Luft vernichtet. Durch die Explosionen starben fünfzig, nach anderen Angaben neunzig Personen, die meisten davon anscheinend Taliban. Augenzeugen sprechen davon, dass einige der Toten Zivilisten gewesen seien, die versucht hätten, Treibstoff für sich selbst abzuzweigen.

Halten wir zunächst fest, dass die Bundeswehr in Afghanistan ist, um das Land zu befrieden; dass dies die Bekämpfung der Taliban voraussetzt; und dass „Bekämpfen“ nichts anderes heißt als „Töten“. Was denn sonst?

Halten wir des weiteren fest, dass Zivilisten, die sich in die Nähe von – noch dazu irregulären – Kombattanten begeben, damit ein lebensgefährliches Risiko eingehen (und in einem Land wie Afghanistan weiß das auch jeder) und für die daraus resultierenden Folgen selbst verantwortlich sind.

Ich kann den örtlichen Kommandeur nur beglückwünschen zu dem Erfolg, fünfzig Taliban auf einen Schlag außer Gefecht gesetzt zu haben! Es wäre verantwortungsloser Wahnsinn gewesen, auf diesen Schlag zu verzichten, nur um irgendwelche Spritdiebe zu schonen, die sich schließlich auf eigene Faust in Gefahr begeben haben.

(Es handelt sich hier nicht um eine der vielen Hochzeitsgesellschaften, die angeblich von der amerikanischen Luftwaffe bombardiert wurden, weil von ihnen aus Freudenschüsse abgegeben wurden. A propos: Die einschlägigen Berichte des Musters „Air Force bombardiert Hochzeitsgesellschaft“ halte ich zu neunzig Prozent für typisch muselmanische Ammenmärchen.)

Wenn die NATO schon nicht bereit ist, ob dieses Erfolgs die Korken knallen zu lassen, so müsste sie ihn wenigstens nicht in einen Misserfolg verwandeln. Genau das tut sie aber, wenn sie jetzt mit viel Brimborium eine Untersuchung anberaumt, weil sie doch befohlen habe, Zivilisten zu schonen.

Wer solches tut, sendet dem Feind das Signal, dass es sich für ihn lohnt, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, unterstützt seine Propaganda durch eine ganz und gar unangemessene Zerknirschtheit und verunsichert die eigenen Soldaten. Was lehrt man die denn, wenn man ihnen aus lauter Angst vor dem landesverräterisch kriminellen „Soldaten-sind-Mörder“-Geschmeiß Untersuchungskommissionen auf den Hals hetzt?

Man lehrt sie, dass der engagierte, der tapfere, der siegeswillige Soldat nicht nur ein Trottel ist, der für einen Arschtritt sein Leben riskiert, sondern obendrein ein halber Krimineller.

Der Preis der Inkonsequenz

Nun gibt es im Gazakrieg also eine Waffenruhe, eine Feuerpause, einen einseitigen Waffenstillstand, oder wie auch immer man das nennen will, was Israel heute nacht begonnen hat. Ich weiß nicht genau, welche Überlegungen für diese Entscheidung ausschlaggebend waren, aber ich vermute, dass die Rücksicht auf die Gefühle des eigenen Volkes eine maßgebliche Rolle gespielt haben, und dass der Anblick leidender Zivilisten für dieses Volk schwer erträglich ist.

Das passt sehr gut zur Grundtendenz der israelischen Politik: sich zwar zu verteidigen, und das auch mit Härte, aber dort, wo es möglich ist, auch dem Feind mit Menschlichkeit zu begegnen. Ihm zwar mit Menschlichkeit zu begegnen, aber sich deswegen nicht von ihm massakrieren zu lassen.

Es ist dies dieselbe Politik, die wir nun schon seit Jahren speziell gegenüber dem Gazastreifen beobachten können, der ja nie so „blockiert“ war, wie die Propaganda angeblich unabhängiger Medien uns vorgaukeln wollte. Sanktionen ja, aber nie so hart, dass es der anderen Seite ans Leben ginge.

Nachdem der Krieg für Israel über alles Erwarten gut gelaufen ist, die eigenen Verluste niedrig, die Kollateralschäden begrenzt, vor allem aber die Hamas schwer getroffen, wäre es konsequent gewesen, die Offensive fortzusetzen, bis die Hamas endgültig am Boden liegt. Dies nicht zu tun ist inkonsequent.

Damit wir uns richtig verstehen: Mir ist diese Art von Inkonsequenz sympathisch. Nur kommt Inkonsequenz beim westlichen Gutmenschenpublikum als Heuchelei an, bei der Hamas als Schwäche. Im Grunde wird den Islamisten mitgeteilt, dass sie eine Lebensversicherung haben, solange sie ihre Politik fortsetzen, die Zivilbevölkerung als Geisel zu nehmen. Dann nämlich wird Israel von seiner überwältigenden militärischen Stärke aus Mitleid keinen Gebrauch machen. Eine solche Politik entmutigt den Feind nicht nur nicht. Sie belohnt ihn geradezu und setzt einen Anreiz fortzufahren.

(Und was das erwähnte Gutmenschenpublikum angeht, das der Meinung ist, Israel sei verpflichtet, die Lebensgrundlagen seiner Todfeinde zu garantieren, so bestärkt man dieses Publikum noch in seinem Irrglauben, wenn man Rücksichten nimmt, zu denen man nicht verpflichtet ist.)

Vielleicht wird Israel tatsächlich bei der Hamas denselben Erfolg erzielen wie zuvor bei der Hisbollah, nämlich dass sie für eine gewisse Zeit von Angriffen abgeschreckt wird. Der Preis dafür ist aber, dass die Hamas darüber entscheidet, wann diese Zeit abläuft.