Kloakenschreiber

Ich gehe nicht wirklich davon aus, dass unter meinen Lesern noch einer ist, der sich unter „Massenmedien“ etwas anderes vorstellt als gigantische Desinformationsapparate. Für den Fall aber, dass sich vielleicht doch noch irgendjemand hierher verirrt, der sich für „informiert“ hält, weil er diese Medien nutzt, erlaube ich mir einige Anmerkungen zur aktuellen Schmuddelkampagne gegen die katholische Kirche:

Man hätte schon stutzig werden sollen, als es mit der Berichterstattung zu den Fällen von Kindesmissbrauch am Berliner Canisius-Kolleg losging. Es handelte sich um Vorfälle aus den achtziger Jahren, bei denen man sich demgemäß fragen musste, wie und warum sie es im Jahr 2010 in die Medien schaffen konnten. Etwa ihrer Aktualität wegen?

Seitdem vergeht praktisch kein Tag ohne neue einschlägige Schlagzeilen. Der Eindruck, der offenkundig erweckt werden soll, lautet, dass katholische Priester Leute seien, die sich ständig an kleinen Jungs vergreifen. Nehmen wir einen Bericht von n24:

Prügel „noch und noch“

Erschütternde Details im Missbrauchsskandal

Die katholische Kirche steht wegen zahlreicher Missbrauchsfälle im Visier der Öffentlichkeit. Dabei sickern immer neue, entsetzliche Details ans Licht.

Damit wird der Leser auf ganz bestimmte Lesart eingestimmt: Er soll glauben, es gebe – erstens – aktuelle Fälle von – zweitens – sexuellen Übergriffen (das Wort „Missbrauch“ wird mit Kinderschänderei assoziiert; die „Prügel“, von denen die Rede ist, werden deutlich kleiner gedruckt, nach dem Motto: „Die gab’s auch noch“), und die Kirche versuche dies – drittens – zu vertuschen („sickern ans Licht“).

Solche Einleitungen setzen einen Kontext und suggerieren ein bestimmtes Vorverständnis. So setzt man dem Medienkonsumenten eine ganz bestimmte Brille auf die Nase und kann sich darauf verlassen, dass neunzig Prozent aller Leser, nämlich die, die immer noch Vertrauen zu den Medien haben, die nun folgenden Informationen genau entlang dieser Vorgabe interpretieren werden.

Der Schreiber kann es sich jetzt sogar leisten, gegenläufige Fakten zu nennen: Der Leser wird es nicht merken! Er wird jeden Widerspruch zwischen dem vorgegebenen Tenor und den anschließend referierten Fakten zugunsten der Vorgabe auflösen. Sogar Informationen, die die vorgegebene Interpretation eindeutig widerlegen, werden so aufgefasst, als hätten sie sie bestätigt.

Dass so etwas funktioniert, ist bereits 1938 von Orson Welles spektakulär bewiesen worden, als er mit seinem Hörspiel „Krieg der Welten“ eine Massenpanik unter Radiohörern auslöste, die glaubten, die Außerirdischen griffen an: Der Clou ist, dass während des Hörspiels sehr wohl mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass es sich lediglich um Fiktion handelte! Die Hörer merkten es nicht, weil die vorgegebene Story vom „Angriff der Außerirdischen“ jede widersprechende Information verdrängte!

In diesem Sachverhalt liegt auch der Grund für das regelmäßig wiederkehrende Phänomen, dass Zeitungsartikel, in denen über friedliche Demonstrationen von Rechtsextremisten und deren gewalttätige Störung durch Linksautonome die Rede ist, unter Überschriften und Einleitungen veröffentlicht werden, die das Klischee von der „rechten Gewalt“ transportieren. Der Leser, der einen ganzen Artikel über linken Vandalismus gelesen hat, wird am Ende, allein aufgrund der Überschrift, überzeugt sein, es sei von gewalttätigen Neonazis die Rede gewesen – dies jedenfalls wird hängenbleiben.

Um bei dem Bericht von n24 zu bleiben: Auf die Einleitung folgen vier (ziemlich allgemein gehaltene)  Absätze, die die Vorgabe scheinbar bestätigen (wobei nichts „gesickert“ ist: Was an Fakten drinsteht, hat die Kirche selbst auf den Tisch gelegt.). Erst dann wird es konkret. Und ziemlich dünn:

Kloster Ettal zum Beispiel:

Im aktuellen Fall geht es um einen suspendierten Ettaler Pater, der Fotos von halbnackten Klosterschülern auf Homosexuellen-Seiten im Internet veröffentlicht haben soll. Der Pater habe die Fotos der Jungen mit freiem Oberkörper bei Bergwanderungen gemacht.

„Erschütternde Details“ fürwahr! Fotos von Jungs mit freiem Oberkörper(!) fallen jetzt wohl auch schon unter „Kinderpornographie“.

Alle anderen Vorwürfe beziehen sich offenbar auf verbotene Körperstrafen (und nicht auf sexuellen Missbrauch). Schlimm genug, aber es handelt sich um

Vorgänge in vergangenen Jahrzehnten

also gerade nicht, wie suggeriert, um aktuelle Fälle, weswegen sie auch

verjährt

sind.

Noch dreister wird es bei der Berichterstattung über die Übergriffe bei den Regensburger Domspatzen. Es geht um Fälle aus den fünfziger und sechziger Jahren! Und auch hier weit überwiegend um Körperstrafen, die damals zwar schon verboten, aber bei altmodischen Paukern durchaus noch üblich waren, übrigens nicht nur im kirchlichen Bereich. Die gesellschaftliche Ächtung pädagogisch motivierter Gewalt steckte damals noch in den Anfängen.

Wenn offenkundig sämtliche linken und „liberalen“ Journalisten der Republik wochenlang im Umkreis der Kirche jedes Steinchen umdrehen und so gut wie keine aktuellen Fälle von Kindesmissbrauch oder -misshandlung finden; wenn sie deswegen auf Vorfälle zurückgreifen, die zwanzig bis sechzig Jahre zurückliegen, dies aber in einem Tenor, als seien sie aktuell: Was schließen wir daraus?

Wir schließen daraus erstens, dass in den Einrichtungen der katholische Kirche im Großen und Ganzen genau die anständigen Menschen arbeiten, die wir legitimerweise dort vermuten durften; und zweitens, dass in den Redaktionen unseres Landes genau das verlogene und verkommene Pack von Kloakenschreibern sein Unwesen treibt, das wir dort vermutet haben.