Das Menschenopfer. Zum Fall Radko Mladic

Bekanntlich gibt es in unserem Land zwar eine veröffentlichte Meinung, aber keine veröffentlichten Meinungen, da die Journaille jede Frage von einiger politischer Bedeutung grundsätzlich im Chor beantwortet. Und so muss es uns auch nicht wundern, dass die Festnahme des serbischen Generals Radko Mladic und vor allem seine voraussichtlich bevorstehende Auslieferung an das Haager „Kriegsverbrechertribunal“ (Fällt eigentlich niemandem auf, wie merkwürdig es ist, dass eine Rechtsprechungsinstanz sich ausgerechnet „Tribunal“ und nicht „Gerichtshof“ – „Court“ nennt?) unter dem einhelligen beifälligen Gebell der schreibenden Meute stattfindet. Der Tenor der Berichterstattung entspricht dem beim Prozess gegen Radovan Karadzic, und auch jetzt wieder ziehen die Medien alle Register. Die „Berichterstattung“ von stern.de („Festnahme von Ratko Mladic: General, Kriegsverbrecher, Massenmörder“) ist in ihrer reißerischen Demagogie keineswegs die Ausnahme.

Ebensowenig muss es uns wundern, dass in einer solchen Medienlandschaft niemand zu bemerken oder bemerken zu wollen scheint, dass der Umgang mit Mladic rechtsstaatlichen Prinzipien hohnspricht.

Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder die serbische Regierung und die von ihr kontrollierten Strafverfolgungsbehörden sind überzeugt, dass Mladic strafwürdige Verbrechen begangen hat: Dann müssen sie selbst ihn vor ein – serbisches – Gericht stellen. Oder sie sind davon nicht überzeugt, dann dürfen sie ihn nicht ausliefern. Wer einen Mann, den er selbst nicht aburteilen zu können glaubt, an ein fremdes Tribunal ausliefert, dokumentiert dadurch, dass er gegen die eigene Rechtsüberzeugung handelt, dass er also etwas tut, was er selbst für Unrecht halten muss, und dass er bereit ist, rechtsstaatliche Grundsätze über Bord zu werfen, um sein Land in die EU zu bringen. Daran, dass die EU dergleichen fordert, kann man ablesen, wie es um ihr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit bestellt ist, und welchen Werten die angebliche „Wertegemeinschaft“ anhängt (und vor allem: nicht anhängt). Durch ihr Verhalten dokumentieren Serbien, dass es kein Rechtsstaat ist, und die EU, dass ein Beitrittskandidat auch keiner zu sein braucht, solange er sich den Diktaten aus Brüssel beugt. (Und die politische Klasse, die nun in ganz Europa die Überstellung Mladics nach Den Haag in orwellschem Neusprech als Sieg ausgerechnet der „Gerechtigkeit“ und des „Rechtsstaats“ preist, zeigt, wie ideal sie mit ihrer Mentalität zu dem von ihr selbst geschaffenen perversen Monstrum namens EU passt.)

Die serbische Regierung opfert Mladic mitsamt der Rechtsstaatlichkeit auf dem Altar einer höheren Macht, ganz in dem Sinne, wie archaische Kultpriester die Götter mit Menschenopfern versöhnlich stimmten.

Zum Prozess gegen Radovan Karadzic

„Karadzic geriert sich als Opfer und Friedensengel“ (Welt online)

„Radovan Karadzic: Der Massenmörder von Bosnien bereut nichts“ (bild.de)

Nachdem wir in den neunziger Jahren die Selbstgleichschaltung der deutschen Medien erleben mussten, von denen keines einen Zweifel daran gelassen hat, dass die Serben an allem Unglück auf dem Balkan schuld sind (allein ein Peter Handke durfte mit seinen „andersgelben Nudelnestern“ den serbophilen Pausenclown machen), brauchen wir uns nicht zu wundern, dass damit auch der Tenor der Berichterstattung über den Karadzic-Prozess gesetzt ist.

Während aber etwa der „Focus“ sich um kritische Distanz wenigstens bemüht, hat der Springer-Konzern offenbar eine Meute von besonders hasserfüllten Propagandaschreibern – pardon: ich meinte natürlich: vom besonders engagierten Journalisten – auf den Fall angesetzt. Nun ja – er hat ja auch einen Ruf zu verlieren.

Wer schon auf die Unschuldsvermutung  pfeift, dem ist naturgemäß auch sonst jedes Mittel recht, den Leser zu verhetzen. Welt online:

Munira hofft noch immer, 15 Jahre nach Srebrenica, die Knochen ihres Sohnes zu finden. Er war damals 18. „Karadzic bleibt ein Lügner“, sagt sie. „Und er ist stolz darauf. Er hat mich heute genauso gedemütigt wie vor 15 Jahren.“

Was hat sie denn erwartet? Dass er auf die Knie fällt?

Ich wünschte, die Leser würden sich endlich diese Form von Journalismus verbitten, die die Gefühle der Opfer zum Maßstab für die Gerechtigkeit eines Prozesses macht (vgl. auch meinen Artikel über den Scheungraber-Prozess). Opfer zu sein ist Schicksal, nicht Verdienst. Es macht aus niemandem einen besseren Menschen, schon gar nicht einen weiseren oder gerechteren, dessen Meinung deshalb gesteigerten Informationswert hätte.

Dass der ehemalige Führer der bosnischen Serben irgendwann doch noch die Wahrheit über seine mutmaßlichen Verbrechen sagen werde, glaubt die 62-Jährige nicht mehr.

Was für eine Frechheit von Karadzic, dass er sich verteidigt, statt sich diskussionslos für den Rest seines Lebens einlochen zu lassen!

Wer so schreibt, informiert seine Leser nicht, sondern stachelt ihre Gefühle auf: Die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens wird dann geradezu zum Argument gegen seine Legitimität. Diese Gleichsetzung von Rachedurst mit Gerechtigkeit ist ein Atavismus; sie zu propagieren ein Verbrechen.