Die Rolle der Gewalt im Nahen Osten

von Daniel Pipes
aus de.danielpipes.org

(http://de.danielpipes.org/7972/nahen-osten-starkes-pferd)

Die Welt Debatte
17. Februar 2010

Englischer Originaltext: In Mideast, Bet on a Strong Horse
Übersetzung: H. Eiteneier

Die Gewalt und Grausamkeit von Arabern lässt Westler oft stutzen.

Nicht nur die Führer der Hisbollah erklären: „Wir lieben den Tod.“ Das tut auch zum Beispiel ein 24-jähriger Mann, der letzten Monat schrie: „Wir lieben den Tod mehr als ihr das Leben!“ – und sein Auto in die Bronx-Whitestone-Brücke in New York City fuhr. Als zwei Eltern in St. Louis ihre Teenager-Tochter mit dreizehn Stichen mit einem Schlachtermesser ehrenmordeten, rief der palästinensische Vater: „Stirb! Stirb schnell! Stirb schnell! … Still, Kleines! Stirb, meine Tochter, stirb!“ – und die örtliche arabische Gemeinde unterstützte sie gegen die Mordanklage. Ein Prinz aus Abu Dhabi folterte vor kurzem einen Getreidehändler, dem er Betrug vorwarf; und obwohl ein Videos der Gräueltat international im Fernsehen erschien, wurde der Prinz frei gesprochen, während man die verurteilte, die ihn anklagten.

Auf größerem Maßstab findet man seit dem 9/11 15.000 Terroranschläge. Regierungen aus allen arabischsprachigen Ländern verlassen sich mehr auf Brutalität denn auf Rechtsstaatlichkeit. Der Drang Israel zu eliminieren bleibt selbst dann bestehen, wenn neue Aufstände um sich greifen; der jüngste ist im Jemen aufgeflammt.

Es gibt mehrere exzellente Versuche, die Symptomatik der arabischen Politik zu erklären; zu meinen persönlichen Lieblingen gehören die Studien von David Pryce-Jones und Philip Salzman. Diesen können wir The Strong Horse: Power, Politics, and the Clash of Arab Civilizations hinzufügen, eine unterhaltsame, doch auch tief gehende und wichtige Analyse von Lee Smith, dem Nahost-Korrespondenten des Weekly Standard.

Als Beweistext führt Smith Osama bin Ladens Kommentar aus dem Jahr 2001 an: „Wenn die Leute ein starkes Pferd und ein schwaches Pferd sehen, dann werden sei naturgemäß das starke Pferd mögen.“ Was Smith das Prinzip des starken Pferdes nennt, beinhaltet zwei banale Elemente: Ergreife die Macht und dann behalte sie. Dieses Prinzip herrscht vor, weil das arabische öffentliche Leben „keinen Mechanismus des friedlichen Übergangs von Herrschaft oder Teilung der Macht hat und daher politischen Konflikt als Kampf zwischen starken Pferden bis zum Tod betrachtet“. Gewalt, stellt Smith fest, spielt „in Politik, Gesellschaft und Kultur des arabischsprachigen Nahen Ostens eine zentrale Rolle“. Dazu gehört auch, auf einer subtileren Ebene, ein argwöhnisches Auge auf das kommende starke Pferd zu haben, sich nicht zu deutlich auf eine Seite zu schlagen und sich ständig abzusichern.

Smith argumentiert, das Prinzip des starken Pferdes – nicht westlicher Imperialismus oder Zionismus – habe „den fundamentalen Charakter des arabischsprachigen Nahen Ostens bestimmt“. Die islamische Religion selbst passt zum einen in das alte Muster der Durchsetzungsfähigkeit des starken Pferdes, zum andern verkündet sie es auch. Mohammed, der islamische Prophet, war sowohl ein Machthaber als auch eine religiöse Gestalt. Sunnitische Muslime haben über Jahrhunderte „mit Gewalt, Unterdrückung und Zwang“ geherrscht. Ibn Khalduns berühmte Theorie der Geschichte kommt einem Kreislauf der Gewalt gleich, in dem starke Pferde schwache Pferde ersetzen. Die Erniedrigung der Dhimmis erinnert Nichtmuslime täglich daran, wer das Sagen hat.

Der führende libansische Politiker Walid Jumblatt empfiehlt den Amerikanern Autobomben in Damaskus.

Der führende libansische Politiker Walid Jumblatt empfiehlt den Amerikanern Autobomben in Damaskus.

Smiths Prisma bietet Einblicke in die Geschichte des modernen Nahen Ostens. Er zeigt den panarabischen Nationalismus als Bemühung, die Mini-Pferde der Nationalstaaten in ein einziges Superpferd umzuformen und den Islamismus als Bemühung die Muslime wieder mächtig zu machen. Israel dient als „stellvertretendes starkes Pferd“ sowohl für die Vereinigten Staaten als auch den saudisch-ägyptischen Block in deren Rivalität nach Art des Kalten Krieges mit dem Block des Iran. In einer Umwelt des starken Pferdes sind Milizen attraktiver als Wahlen. Ohne ein starkes Pferd kommen arabische Liberale kaum voran. Dass die Vereinigten Staaten der mächtigste nicht arabische und nicht muslimsche Staat sind, macht den Antiamerikanismus sowohl unvermeidlich als auch endemisch.

Das bringt uns zur Politik der nicht arabischen Akteure: Wenn sie sich nicht als schlagkräftig erweisen und wahres Durchhaltevermögen zeigen, betont Smith, verlieren sie. Nett zu sein – sagen wir, durch einseitige Abzüge aus dem Südlibanon und dem Gazastreifen – führt unvermeidlich zu Misserfolg. Die Administration George W. Bushs initiierte zu Recht ein Demokratisierungsprojekt, durch das große Hoffnungen geweckt wurden, verriet dann aber die arabischen Liberalen, indem er das nicht zu Ende führte. Im Irag ignorierte die Administration den Rat, einen demokratisch gesinnten starken Mann einzusetzen.

Weiter gefasst: Wenn die US-Regierung vor etwas zurückzuckt, haben andere (z.B. die iranische Führung) eine Gelegenheit, „der Region die eigene Ordnung aufzuzwingen“. Walid Jumblatt, ein führender Libanese, hat nicht ganz im Ernst angeregt, Washington solle „Autobomben nach Damaskus schicken“, um ihre Botschaft rüberzubringen und zu signalisieren, dass sie die Art und Weise arabischen Handelns begreift.

Smiths einfaches und beinahe universales Prinzip bietet ein Instrument zum Verständnis des Todeskultes der Araber, ihrer Ehrenmorde, ihrer Terroranschläge, ihres Despotismus, ihrer Kriegsführung und vielem mehr. Er gesteht ein, dass das Prinzip des starken Pferdes Westlern als unsäglich primitiv aufstößt, aber er besteht zurecht darauf, dass es die kalte Realität ist, die Außenseiter erkennen, berücksichtigen und auf die sie sich einstellen müssen.

Wie vertrauenswürdig ist Amerika?

Ruth hat wieder einen hochinteressanten Artikel ausgegraben: Das Middle East Media Research Institute (MEMRI) berichtet darin über das Zerbröckeln der saudisch geführten antiiranischen arabisch-sunnitischen Front, über dessen wahrscheinliche Ursache und das arabische Medienecho. Die MEMRI-Autoren lenken die Aufmerksamkeit auf die Teilnahme Ahmadinedjads an der Sitzung des Golfkooperationsrates Anfang Dezember – ein Ereignis, das in der europäischen Presse nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die es möglicherweise verdient.

Sie vermuten, dass die Golfstaaten eine grundsätzliche Annäherung an den Iran in die Wege leiten, und zwar als vorweggenommene Reaktion auf einen möglicherweise bevorstehenden proiranischen Kurswechsel der USA. Ein solcher wird in der Region offenbar für wahrscheinlich gehalten, nachdem die USA den NIE-Bericht über die angebliche Einstellung des iranischen Atomwaffenprogramms veröffentlicht und damit den internationalen Druck auf Teheran erheblich reduziert haben.

Die Regierungen der Golfstaaten, besser informiert als ich, ziehen also aus dem Erscheinen des NIE-Berichts Schlussfolgerungen, die sich weitgehend mit den Befürchtungen decken, die ich vor einigen Wochen hier veröffentlicht habe.

So gern ich Recht habe – und ich bin ziemlich eitel -, in diesem Fall wäre ich lieber widerlegt worden.

Viele können sich das kaum vorstellen, dass die Erzfeinde USA und Iran zueinander finden könnten, und in der personellen Konstellation Bush-Ahmadinedjad kann ein solches Bündnis in der Tat kaum zustandekommen. Aber die Amtszeit beider Präsidenten endet 2009. Wir wissen nicht, wie ein eventueller demokratischer US-Präsident die Dinge sehen wird und wir wissen nicht, ob Ahmadinedjad wiedergewählt bzw. wie sein Nachfolger denken wird.

Sieht man aber von Personen ab und blickt nur auf die Interessen und das mutmaßliche Kalkül von Strategen beider Seiten, erscheint eine solche Rochade beunruhigend realistisch.

Ganz allgemein gesprochen, bedeutete eine Allianz der stärksten Macht in der Region – der USA – mit der zweitstärksten – dem Iran – (Israel und die Türkei bleiben hier außer Betracht) einen deutlichen Machtzuwachs für jede der beiden, zumindest kurzfristig.

Die USA waren ja schon einmal mit dem Iran verbündet, während des Schah-Regimes bis 1979. Seit der islamischen Revolution ist die Geschichte der US-Diplomatie in der Region eine Geschichte des Versuchs, den Iran als Alliierten gleichwertig zu ersetzen:

In den achtziger Jahren diente Saddams Irak als Quasi-Verbündeter. Nachdem der sich als noch gefährlicher entpuppt hatte als der Iran selbst, baute man die Golfstaaten, speziell Saudi-Arabien, mit Waffen, Geld und Know-How zur Festung gegen den Irak aus. Spätestens 2001 mussten die Amerikaner feststellen, dass die Saudis den Extremismus geradezu züchteten und dass dieses Land jederzeit den Islamisten in die Hände fallen konnte. Also wandte man sich wieder dem Irak zu, diesmal per „regime change“ – mit dem Ergebnis, dass man dort nicht einmal einen stabilen Staat errichten, geschweige denn einen starken Verbündeten gewinnen kann.

An Irans Ostgrenze sehen die Ergebnisse der amerikanischen Politik nicht viel eindrucksvoller aus: Wohl gewann man Pakistan als Verbündeten; der ist aber so instabil, dass die Islamisten heute womöglich nur noch ein Attentat von der Atombombe entfernt sind; und in Afghanistan unterstützte Washington die Mudjaheddin, dann die Taliban, und bekam als Quittung den 11.September.

Muss man sich da wundern, wenn amerikanische Strategen es leid sind, nach Ersatzpersern zu suchen, und daher nach Wegen fragen, das Original, also den Iran selbst, wieder ins Bett zu bekommen? Wundern müsste einen, wenn sie es nicht wenigstens in Erwägung zögen.

Für die USA liegen die – zumindest kurzfristigen – Vorteile auf der Hand:

Erstens wäre es bedeutend leichter, den Irak zu stabilisieren und sich halbwegs mit Anstand von dort zurückzuziehen.

Zweitens hätte man einen Alliierten, der sich vor einem (sunnitisch!-)islamistischen, dazu atomar bewaffneten Pakistan selbst bedroht fühlen müsste, zugleich aber in der Lage wäre, die dann unvermeidliche Kriegführung zu Lande selbst zu übernehmen. (Bereits Bushs Atomdeal mit Indien deutet darauf hin, dass man Pakistan mittelfristig nicht als Allierten, sondern als Feind einplant.) Die USA selbst sind dazu nur noch beschränkt in der Lage; es wäre für sie vorteilhaft, auf die Methode des Stellvertreterkrieges zurückzugreifen – dafür aber bedarf es eines Stellvertreters.

Drittens stünde einer der größten Erdölproduzenten der Welt auf seiten Amerikas.

Viertens würde selbst ein Umsturz im Iran, der ja nur ein demokratischer sein könnte, nicht wie 1979 dazu führen, dass der Alliierte sich in einen Feind verwandelt. Anders als bei allen anderen islamischen „Verbündeten“ Amerikas.

Woraus sich bereits der erste Grund ergibt, warum der Iran an einer solchen Konstellation interessiert sein könnte: Er ist das einzige islamische Land, dessen Regierung durch eine proamerikanische Politik an Popularität eher gewinnen als verlieren würde – gerade in oppositionellen Kreisen.

Zweitens könnte das Regime damit rechnen, dass die demokratische Opposition keine Unterstützung aus den USA mehr bekäme.

Drittens wäre die amerikanische Interventionsdrohung vom Tisch.

Viertens bekäme der Iran wieder uneingeschränkten Zugang zum Weltmarkt, den er dringend braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren und in Schwung zu bringen und seinen zum Teil hochqualifizierten, aber arbeitslosen und entsprechend unzufriedenen jungen Leuten eine Perspektive zu geben.

Fünftens wäre der Iran als Juniorpartner Amerikas die unangefochtene Führungsmacht der Region. Nicht nur würde er den schiitisch geführten Irak dominieren; auch den arabischen Golfstaaten, dazu Syrien und Jordanien bliebe ohne amerikanische Rückendeckung kaum etwas anderes übrig, als sich verstärkt an der iranischen Politik zu orientieren. (Paradoxerweise würde sich ihre Abhängigkeit von Amerika – und damit dessen Macht – gleichzeitig noch vergößern, weil die USA dann die einzige Macht wären, die verhindern könnte, dass die iranische Hegemonie sich zu einem regelrechten Imperium auswachsen würde, für das die arabischen Staaten östlich des Suezkanals bloß noch Quasi-Kolonien wären. Die Amerikaner könnten durchaus versucht sein, dasselbe Spiel wie in Europa zu spielen, dessen Staaten zwar nicht nur, aber auch nicht zuletzt deshalb von Amerika abhängig sind, weil dessen Präsenz die sicherste Garantie gegen ein womöglich wiederauflebendes deutsches Hegemoniestreben ist; dass die USA zugleich mit Deutschland verbündet sind, steht dem nicht entgegen, im Gegenteil!)

Sechstens müsste Amerika die Atomrüstung des Iran zumindest stillschweigend dulden, zumal wenn sie (siehe Indien!) halbwegs plausibel als Defensivmaßnahme gegen Pakistan verkauft werden kann.

Einer solchen immer noch hypothetischen US-Politik würde natürlich eine Reihe von Milchmädchenrechnungen zugrundeliegen. Was aber nur heißt, dass sie scheitern würde, nicht, dass sie nicht versucht werden kann: Die Fähigkeit Amerikas, Geister zu rufen, die es dann nicht mehr loswird, ist legendär; im Übrigen tummeln sich nirgendwo so viele Milchmädchen wie in der Politik:

Mit einem zur Großmacht aufgebauten Iran bekäme die islamische Welt, was sie bisher nicht hat: eine Führungsmacht als strategisches Zentrum. Es würde sich rächen, dass die Vereinigten Staaten dazu neigen, den westlich-islamischen Gegensatz als solchen zu unterschätzen und bloß „Extremisten“ und „Terroristen“ für Feinde zu halten, während der Islam selbst doch eine Religion des Friedens sei. Und wer da glauben sollte, der sunnitisch-schiitische Gegensatz allein würde die Araber davon abhalten, die Führung Irans zu akzeptieren, müsste sich wohl alsbald belehren lassen, dass die Schiitenfeindlichkeit der Sunniten bei entsprechender Konstellation politisch kaum bedeutender ist als der Antiamerikanismus der Europäer.

Angenommen, die arabischen Staaten Vorderasiens plus Afghanistan und Pakistan gerieten in Abhängigkeit vom Iran, dann hätte der nicht nur einen Großteil der Welt-Ölreserven unter Kontrolle, sondern auch rund 350 Millionen Menschen, über die Hälfte von ihnen jünger als 25 Jahre. Was macht man mit so viel Jugend, die man im Wirtschaftsleben unmöglich unterbringen kann? Man schickt sie in den Kampf – was denn sonst? (Mehr über diese Zusammenhänge in meinem nächsten Beitrag, wo ich mich mit Gunnar Heinsohns „Söhne und Weltmacht“ auseinandersetzen werde).

Falls amerikanische Strategen also wirklich glauben sollten (und allen Indizien zum Trotz möchte ich doch immer noch annehmen, dass das nicht der Fall ist!), man könne den Iran auf die Dauer als Juniorpartner einspannen, werden sie eher früher als später ein böses Erwachen erleben. Das erste Opfer einer amerikanisch-iranischen Allianz wäre Israel. Das zweite der Westen insgesamt.