[Den folgenden Text habe ich auf Anfrage der Arbeitsgemeinschaft Lebendige Gemeinde München e.V. geschrieben. Er ist in ihrem Informationsbrief 1/2011 erschienen.]
Dass „Multikulti tot“ sei, ist eine Erkenntnis, die uns aus dem Munde unserer Kanzlerin umso mehr überrascht hat, als die Regierung keineswegs daran denkt, die Politik der Massenmigration zu überdenken, deren Ergebnis, ob man es nun so nennt oder nicht, in absehbarer Zeit eine multikulturelle Gesellschaft sein wird – ein Begriff der ganz sinnlos wäre, wenn alle Kulturen gleich wären; der daher impliziert, dass es zwischen den Kulturen, die in Deutschland koexistieren sollen, benennbare Unterschiede gibt, und die Frage herausfordert, ob diese Kulturen überhaupt koexistieren können.
Da die meisten Probleme dort auftreten, wo die Einwanderer Muslime sind, stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von islamischer und abendländischer Kultur. Da dieses Problem scheinbar „nur“ religiöser Natur ist, hofft man, den Islam mit denselben Mitteln neutralisieren zu können, mit denen man schon den Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten entschärft hat – also durch seine Einbindung in eine säkulare, religiös neutrale Ordnung.
Dabei wird übersehen, dass diese säkulare Ordnung ihrerseits auf dem Boden einer ganz bestimmten, nämlich christlichen Kultur gewachsen ist, und dass sich dies nicht zufällig so verhält. Die Werte und Tugenden, die sie erst ermöglicht haben – Toleranz, Gleichwertigkeit aller Menschen, Loyalität gegenüber der politischen Ordnung, Gewaltverzicht – basieren auf dem christlichen Gottes- und Menschenbild, auch wenn sie nachträglich in einen nichtreligiösen Begründungszusammenhang eingebettet wurden. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie als gegeben und gültig akzeptiert werden, hat den Blick auf ihren religiösen Ursprung verschleiert, und nährt die Illusion, sie müssten allen Menschen, allen Kulturen und allen Religionen gleichermaßen selbstverständlich sein. Dass dies keineswegs der Fall ist und in welchem Maße die Werte des liberalen Westens eine Metamorphose der Werte des christlichen Abendlandes darstellen, lässt sich gerade anhand eines Vergleichs christlicher und islamischer Theologie aufzeigen:
Das christliche Menschenbild beruht bekanntlich auf den miteinander zusammenhängenden Gedanken der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, was unter anderem seine Autonomie bedeutet, und der Erbsünde, also der im Diesseits unaufhebbaren Verstrickung des Menschen in das Böse aufgrund seiner selbstverschuldeten Trennung von Gott. Dabei impliziert die Trennung von Gott, als dem Liebenden, die Trennung vom Nächsten als dem zu Liebenden. Sie führt zu Hass, Neid, Gewalt, Krieg usw. Die Erlösung ist im Diesseits nicht möglich; das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt und kann es nicht sein; es kann nicht in Gestalt einer weltlichen Ordnung errichtet werden.
Der Islam hingegen kennt den Gedanken der Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht. Der Mensch ist nach islamischer Auffassung von Natur aus „Muslim“ im Wortsinne, d.h. ein sich Allah Unterwerfender. Die adäquate Haltung des Muslims gegenüber Allah ist nicht die Liebe, sondern der Gehorsam, und auch Allah liebt den Menschen nicht schlechthin, sondern lediglich, soweit er sich ihm unterwirft, das heißt ein guter Muslim ist.
Dieser Gegensatz hat weitreichende Implikationen:
Wenn Gott die Liebe ist und den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann sind alle Menschen gleichwertig; fordert er dagegen den bloßen Gehorsam und ist der Mensch ein unterworfenes und sich unterwerfendes bloßes Geschöpf, dann bemisst sich der Wert eines Menschen nach seinem Gehorsam gegenüber Allah. Was insbesondere bedeutet, dass Nichtmuslime a priori minderwertige Menschen sind. Sie haben weder die gleichen Rechte wie Muslime und keinen Anspruch auf Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten, noch dürfen Muslime, gemäß dem unzweideutigen Gebot des Korans, Gemeinschaft mit ihnen pflegen. Gegenstand von Solidaritätsnormen ist stets die islamische Gemeinschaft, die Umma; Nationen sind es nur, soweit es muslimische Nationen sind, also Gemeinwesen, die von Muslimen politisch dominiert werden.
Wenn der Mensch von Natur aus unvollkommen und sündhaft ist, dann ist Demut die gebotene Haltung und das Verbot der Selbstgerechtigkeit („Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!“) die notwendige Konsequenz. Ist er aber im Prinzip so, wie Allah ihn gewollt hat, nämlich Muslim, dann ist die Sünde – nämlich kein (oder ein schlechter) Muslim zu sein, zwar möglich, aber vermeidbar, und ihre Vermeidung ist eine schiere Willensfrage: Wer die Gebote Allahs erfüllt, hat keinen Anlass zur Selbstkritik, und die Gemeinschaft derer, die sie erfüllt, also die islamische Umma, ist in den Worten des Korans „die beste Gemeinschaft, die je unter Menschen erstand“. Selbstkritik ist dann lediglich etwas für die „Ungläubigen“, und sie ist, wenn sie von ihnen geübt wird, ein Zeichen von Schwäche, ja ein Eingeständnis ihrer Verworfenheit. Dies muss man wissen, wenn man im „interreligiösen Dialog“ Selbstkritik übt und erwartet, die andere Seite werde diesem guten Beispiel folgen.
Wenn man vor Allah durch Werke des Gehorsams gerechtfertigt, also schlechthin gut ist, dann ist es unproblematisch, bis ins kleinste Detail vorzuschreiben, was Allah fordert. Es ist dann auch unproblematisch, das „Reich Allahs“ (um diese christliche Formulierung zweckzuentfremden) auf Erden im Diesseits zu errichten; es ist sogar geboten. Die jenseitige Dimension der Existenz ist im Christentum als qualitativ gewandeltes Dasein in Gott gedacht; der Islam denkt das Paradies als eine verbesserte Version des Diesseits. Betont das Christentum die Liebe, also eine innere Haltung, als Grundlage einer Öffnung für Gott, wobei dem Menschen immer nur eine unvollkommene Annäherung an das Gute möglich ist und es so etwas wie per se gute Werke strenggenommen nicht gibt, so betont der Islam die Werkgerechtigkeit. Von den daraus resultierenden Forderungen sind alle Lebensbereiche durchdrungen, auch das Recht und die Politik. Und da es Allah ist, der diese Forderungen stellt, können sie auch nicht geändert werden – ein gewählter Gesetzgeber hat hier wenig zu bestellen. Nach christlicher Auffassung dagegen können Recht und Politik bestenfalls, wenn überhaupt, stückweise Annäherungen an das Gute und Gerechte sein; sie bedürfen der ständigen Überprüfung und Verbesserung. Sie sind das Feld menschlichen Wirkens, unvollkommen zwar und stets gefährdet, aber gerade dieser notwendigen Unvollkommenheit wegen notwendig gestaltbar.
Aus der Liebe Gottes und dem ihr entsprechenden Gebot der Nächstenliebe folgt für den Christen die von Christus deutlich ausgesprochene Ächtung der Gewalt. Die für das Christentum charakteristische Loyalität gegenüber der Obrigkeit ergibt sich aus seiner innerlichen und jenseitigen Orientierung. Die weltliche Ordnung kann bestenfalls einen Schutzraum bieten, innerhalb dessen der Mensch versuchen kann, sich dem Guten anzunähern; das Gewaltmonopol des Staates ist die Kehrseite des christlichen Gewaltverbotes. Dem Islam ist diese Perspektive fremd, weil er keine grundsätzliche Ächtung der Gewalt kennt:
Der Islam ächtet nicht die Gewalt, er regelt sie: Gewalt als solche ist nach islamischer Vorstellung moralisch neutral; sie kann im Einzelfall vom islamischen Recht, d.h. von Allah verboten sein und ist dann, aber eben nur dann, selbstredend auch böse. Sie kann aber ebenso erlaubt sein: Erlaubt ist sie insbesondere dann, wenn sie von Vätern gegen Kinder, Männern gegen Frauen, guten Muslimen gegen Apostaten und Muslimen gegen Nichtmuslime ausgeübt wird – natürlich nur unter jeweils spezifischen Voraussetzungen, dann aber ohne weiteres und ohne dass es sündhaft wäre. Sie ist, kurz gesagt, nicht verwerflich, sofern sie der Konsolidierung der islamischen Gemeinschaft oder der Ausbreitung des Islam dient. Unter diesen Umständen ist es wenig überraschend, dass empirisch erwiesen werden konnte, dass unter muslimischen Jugendlichen ein positiver Zusammenhang zwischen Religiosität und Neigung zur Gewalttätigkeit besteht – während der Zusammenhang bei Angehörigen aller anderen Religionsgemeinschaften gegenläufig ist.
Wer sich dies alles vor Augen hält – die Gehorsamsforderung Allahs, die hierarchische Gliederung der Menschheit in hochwertige muslimische und minderwertige nichtmuslimische Menschen, die daraus resultierende Asymmetrie von Rechten und Pflichten, das Solidaritätsmonopol des islamischen Umma und die militante Abgrenzung gegen „Ungläubige“, die religiös sanktionierte Selbstgerechtigkeit, die allumfassende Verbindlichkeit islamischer Normen, die Sakralisierung auch von Politik und Recht – und das alles verankert in der tiefsten sittlichen Grundlage der Gesellschaft, im religiösen Gottes- und Menschenbild, wer also sich dies alles vor Augen hält, der vermag zu ermessen, dass das Problem der „Integration“ von Muslimen in die europäischen Völker weitaus ernsthafteren Hindernissen begegnet, als diejenigen annehmen, denen es genügt, wenn Muslime sich von „Extremisten“ distanzieren oder das Grundgesetz anerkennen. Voraussetzung für eine Lösung, falls es denn eine gibt, ist, dass zumindest das Problem aufrichtig benannt wird.
[Zum Selbstverständnis der Lebendigen Gemeinde München e.V.:
„Wofür wir arbeiten:
Die „Lebendige Gemeinde“ wendet sich an evangelische Christen, die sich nach wie vor an das biblische Zeugnis im reformatorischen Verständnis gebunden wissen. Sie versucht, die Meinungsbildung zu fördern, den Mut zur Verantwortung zu stärken und der Resignation entgegen zu wirken. Die „Lebendige Gemeinde München“ will dazu beitragen, dass Jesus Christus die alleinige Mitte der Kirche bleibt.
Sie tritt ein
- für eine Rückbesinnung auf die biblische Heilsbotschaft von Kreuz und Auferstehung
Sie wehrt daher
- der Reduzierung und Umdeutung der biblischen Botschaft
- einem uferlosen Pluralismus im kirchlichen Bereich
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Kontakt: Lebendige Gemeinde München e.V.,Pfarrer Dieter Kuller, Grünwalder Str. 103 c, 81547 München, Tel. 089 / 59 10 29]