Nun darf Bodo Ramelow, Vorsitzender der Fraktion der Linkspartei im thüringischen Landtag, also doch vom Verfassungsschutz „beobachtet“ werden. Ein merkwürdiges Verfahren: Unter „Beobachtung“ versteht man nicht etwa ein Ausspionieren, sondern die Sammlung allgemein zugänglicher Informationen und ihre Bündelung zu Dossiers. Fast möchte man sich beglückwünschen, dass unser Land einen Inlandsgeheimdienst unterhält, der in solchen Fällen nicht mehr ist als ein Zeitungsausschnittdienst.
Dass die Sache in Wirklichkeit weitaus weniger harmlos ist, zeigen allein die erbitterten Prozesse (Ramelows Klage wurde jetzt in dritter Instanz abgewiesen), die um die „Beobachtung“ bzw. die Erwähnung von Parteien und Politikern im VS-Bericht geführt werden. Josef Schüßlburner hat es in einem brillanten Aufsatz in „eigentümlich frei“ so beschrieben:
Als eigentlicher Ersatz (Surrogat) des Parteiverbots ist vor allem die staatliche Propagandatätigkeit getreten, die als „Verfassungsschutzbericht“ bekannt ist und die etwa seit den 1970er Jahren von den zuständigen Polizeiministern auf Grundlage öffentlich gemachter geheimdienstlicher Erkenntnisse herausgegeben werden. (…) Als … Ende der 1960er Jahre unter Verstoß gegen das KPD-Verbot des BVerfG die verbotene KPD als DKP wieder zugelassen wurde (man musste insbesondere den Staatsanwälten Weisungen geben, nicht wegen Fortführung einer verbotenen Partei Strafverfahren einzuleiten), hat man sich doch nicht getraut, dieser (Wieder-)Gründung den vollen Legalitätsstatus zuzugestehen, sondern erfand das Verbotssurrogat des Verfassungsschutzberichts. Damit konnte „man“ (CDU und FDP) gegenüber der etablierten sozialistischen Seite (SPD und 68er Linke) auch rechtfertigen, weshalb man vom dem schon 1968 geforderten NPD-Verbot Abstand nahm, würde doch der VS-Bericht, der staatlich die Meinungen von DKP und NPD bekämpft und die Grundlage für Disziplinarmaßnahmen von Mitgliedern dieser Parteien im öffentlichen Dienst darstellen sollte, einen effektiven Verbotsersatz schaffen und dabei gleichzeitig die wahlrechtliche Sperrklausel von 5 % für die faktisch verbotenen bzw. dem Verbotssurrogat unterworfenen Parteien ins Unüberwindliche potenzieren: Diese Parteien sollten nicht hinreichend genügende Mitglieder mit Reputation gewinnen, die sie den Wählern als Kandidaten präsentieren könnten. Das BVerfG hat dem dadurch errichteten Schutz der etablierten Parteien vor Konkurrenz durch neue Parteien beigepflichtet, indem es in der Beeinträchtigung letztlich des freien Wahlrechts (Reduzierung des Auswahlcharakters von Parlamentswahlen) durch amtliche Verfassungsschutzberichte nach seinem bis dato maßgeblichen Beschluss (BVerfGE 40, 287) nur eine „faktische“, verfassungsrechtlich nicht relevante Wirkung des VS-Berichts erkennen wollte. Rechtliche Wirkung wurde diesen Berichten zwar abgesprochen, womit aber das BVerfG bewusst verkennen wollte, dass diese Berichte schon längst als vorweggenommenes „Sachverständigengutachten“ verwendet wurden, um zahlreiche Diskriminierungsmaßnahmen insbesondere im öffentlichen Dienst zu rechtfertigen, die letztlich auf Meinungsdiskriminierung, ja Meinungsunterdrückung hinausliefen.
Mit anderen Worten: Durch den Verfassungsschutz kommt die Regierung um ein Verbotsverfahren herum, in welchem sie harte Beweise auf den Tisch des BVerGs legen müsste. Der Verfassungsschutzbericht (und bereits das Bekanntwerden des „Beobachtens“) wirkt effektiv als „Verbot light“, mit dem die Regierung nach Gusto missliebige Meinungen bekämpft und aus dem „demokratischen Spektrum“ in die Schmuddelecke verbannt.
Dass es in diesem Fall einen Linken trifft, sollte niemanden freuen: Der Begriff des „Extremismus“, auf den die Tätigkeit des Verfassungsschutzes abhebt, bedeutet nämlich auf Deutsch, dass nach Gesäßgeographie entschieden wird, was als legitime Meinungsäußerung gelten darf und was nicht. Der Mainstream – und das heißt: die Politik des etablierten oligarchischen Parteienkartells – kann per definitionem niemals „extremistisch“ sein, und wäre sie noch so freiheitsfeindlich, demokratiezersetzend und rechtsstaatswidrig, wie sie in der Tat ist.
„Extremist“ ist, wer sich dem ideologischen Konsens des Kartells nicht beugt. So kann man zuverlässig vorhersagen, wann die Beobachtung enden wird: nämlich dann, wenn die Linke „regierungsfähig“ ist. Diese „Regierungsfähigkeit“ wird aber nicht an der Existenz der Kommunistischen Plattform gemessen werden, sondern einzig und allein daran, dass die Linken ihre EU- und NATO-kritische Haltung aufgeben. Das ist die Eintrittskarte fürs Kartell.