Ich muss mich schon sehr wundern, wenn Dutzende von konservativen Bloggerkollegen aus der bloßen Tatsache, dass die Brennstäbe in Fukushima nicht durchgeschmolzen sind, folgern zu müssen glauben, damit sei Kernenergie unproblematisch. (Und ich bin sicher, dass sie das ganz anders sehen würden, wenn sie in Fukushima wohnten.) Als ob die Situation im Griff gewesen wäre; als ob die Verstrahlung der Umgebung eine Petitesse wäre; als ob die Ereignisse in Japan nicht die prinzipielle Unsicherheit von Risikoabschätzungen dokumentiert hätten; als ob das generelle Sicherheitsproblem gelöst wäre.
Bei uns gibt es keine Erdbeben? Doch, die gibt es. Sie sind nur seltener als in Japan.
Bei uns gibt es keine Tsunamis? Richtig. Aber Terroranschläge, die gibt es wohl. Sicher setzen die Dschihadisten momentan nicht auf Terror, weil sie ihn nicht nötig haben; Deutschland schafft sich schließlich ganz von alleine ab. An dem Tag, wo sich das ändert, erhöht sich auch die Terrorgefahr.
(Und man komme mir nicht mit dem Argument, wir bräuchten die Kernenergie zur Abwendung der angeblichen Erderwärmung.)
Ganz nebenbei erwähnt, ist das Entsorgungsproblem nach wie vor ungelöst, und dies ein halbes Jahrhundert, nachdem die ersten Kernkraftwerke in Betrieb gegangen sind. Wenn außerdem nur die Hälfte von dem stimmt, was wir in letzter Zeit über die politischen motivierten Manipulationen bei der Einschätzung von Endlagerstätten gehört haben, dann ist die deutsche Politik die letzte Adresse, bei der ich dieses Thema aufgehoben sehen möchte. Welche Interessen auch immer in der Atompolitik der siebziger und achtziger Jahre maßgeblich waren: die der Bevölkerung rangierten wohl unter Ferner liefen.
Es ist Augenwischerei sich einzureden, die Stimmung sei nur deshalb atomkritisch, weil die deutsche Journaille das Unglück in Japan zur Stimmungsmache ausnutze. Sie ist kritisch, weil es Gründe gibt, diese Technologie abzulehnen. Sie ist kritisch, weil zwar die Meinungsumfragen seit Jahren ungefähr ein Verhältnis von 50-50 zwischen Befürwortern und Gegnern der Atomkraft dokumentieren, aber die Befürworter höchstens lauwarm dafür sind, während die Gegner glühend dagegen sind.
Niemand kann eine Wahl dadurch gewinnen, dass er für die Kernenergie ist, und das war auch schon vor Fukushima so; es war sogar vor Tschernobyl so. Wohl aber kann man eine Wahl dadurch verlieren, dass man sich für eine Technologie verkämpft, zu der allzuwenige Menschen Vertrauen haben. Wie wir jetzt in Sachsen-Anhalt gesehen haben, kommen die Grünen in einer Situation wie der jetzigen sogar dann in die Parlamente, wenn ihre Kandidaten ungefähr so wählerwirksam sind wie Besenstiele.
Mir kann niemand erzählen, die Zukunft unseres Landes hänge von der Art und Weise ab, wie wir Wasser zum Kochen bringen. Sie hängt von ganz anderen Themen ab; von Themen, die durch eine Atomdebatte nur an den Rand gedrängt werden können, von welcher Debatte obendrein die Linken profitieren. Es war eine Riesendummheit, das mit dem rotgrünen Atomkonsens längst beerdigte Thema „Kernenergie“ mutwillig zu exhumieren, und von dieser Dummheit profitieren jetzt ausgerechnet die Grünen.
Für Kernenergie zu sein, nur weil die Linken dagegen sind, ist nicht nur der Sache nach töricht; es ist auch politisch-strategisch eine erstrangige Eselei.