Wissen die Fans in Südafrika mit ihrem unsäglichen monotonen Getröte eigentlich nicht, dass sie, wie alle Fußballfans, Teil des Spiels sind? Fans nehmen Einfluss, indem sie die Spieler durch Jubel und Gesänge einerseits, Pfiffe andererseits, belohnen bzw. bestrafen. Die Geräuschkulisse wirkt zwar unbewusst, aber mächtig auf das ein, was im Gehirn der Spieler vor sich geht.
Wenn die aber wissen, dass sie unabhängig von ihrer Leistung immer denselben Monoton zu hören bekommen, fehlt ihnen ein wichtiges Stimulans. Wenn sie sich außerdem nicht miteinander verständigen können, fehlt ihnen ein Teil der gegenseitigen Koordination, und wenn sie obendrein einem gleichbleibend ohrenbetäubenden Krach ausgesetzt sind, auch die Konzentration. Oder kann sich irgendjemand vorstellen, ein Gedicht zu schreiben, wenn neben ihm ein Presslufthammer dröhnt?
Ich bin deswegen ziemlich sicher, dass das unfassbar niedrige sportliche Niveau der gegenwärtigen WM auch damit zu tun hat, dass die Zuschauer das Spiel nicht unterstützen, sondern systematisch kaputttröten. Das Speil passt sich wie von selbst der Eintönigkeit der Geräuschkulisse an. Was dabei aber niedergehupt wird, ist just jenes Quentchen Genialität, das den Unterschied zwischen einer bloß guten Fußballmannschaft und einem Team der Weltspitze ausmacht. Da spielt dann eben Italien gegen Neuseeland 1 zu 1.
Nun gibt es afrikanische Intellektuelle, die auch dafür noch eine ideologische Begründung finden, und wenn diese Begründung auch aus dem Mund eines Bischofs geschliffener klingt, als sie im Kopf des einfachen südafrikanischen Zuschauers präsent sein mag, so glaube ich doch, dass darin etwas zum Ausdruck kommt, was auch die einfachen Leute mehr oder minder deutlich empfinden. Der Vorsitzende des Südafrikanischen Kirchenrates, Tinyiko Maluleke, hat uns in seinem Blog wissen lassen, dass man sich in Afrika sehr wohl bewusst ist, dass die Vuvuzela nicht nur entnervend, sondern auch gesundheitsschädlich ist:
Ah! Die Vuvuzela! (…) Während sie gegenüber dem prähistorischen Tierhorn keine große musikalische Verbesserung darstellt, liefert sie doch entschieden mehr Dezibel – genug Dezibel, um die Trommelfelle europäischer Männer, Frauen und Kinder platzen zu lassen. Wir wissen das, weil spezialisierte Forscher es uns gesagt haben.
Es geht nicht um irgendwelche Trommelfelle, sondern um die von Weißen, sagt dieser Mann Jesu Christi (der uns zu Beginn seines Blogeintrags darüber aufklärt, man könne nicht sicher sein, dass die Afrikaner die Bibel hätten oder brauchten, zumal man sich ihretwegen den Kolonialismus eingehandelt habe). Und im Gespräch mit der Ökumenischen Nachrichtenagentur International sagt er es noch deutlicher:
Im 19. Jahrhundert waren Missionare Seite an Seite mit den Kolonialisten und haben den Schwarzen die Bibel gegeben, während jene das Land genommen haben. Jetzt haben wir die Vuvuzela erschaffen, eines der garstigsten Instrumente: sehr laut, sehr nervend.
(Quelle: Junge Freiheit)
Die Vuvuzela ist ein Instrument der Rache.
Wieder zurück zu Malulekes Blogartikel:
Die Vuvuzela ist unsere jüngste kulturelle Waffe. Als Volk haben wir über die Jahrhunderte viel verloren … . Der Kolonialismus nahm uns unser Land und unsere Reichtümer. Er versetzte unserer Würde und Selbstachtung einen schweren Schlag. (…) Inmitten unseres dunklen, verhängnisvollen Schicksals kam dieses kleine Instrument – die Vuvuzela.
Die Vuvuzela ist der zwölfte Spieler genannt worden (…) Sicher, sie klingt für Außenstehende unerträglich. Aber genau darum geht es ja!
Das Spiel soll nicht unterstützt, sondern zerstört werden – zumindest, soweit es das Spiel „außenstehender“, nichtafrikanischer Mannschaften ist.
Mit ihr fordern wir gehört, gesehen und gefühlt zu werden. Das Röhren der Vuvuzela ist der verzweifelte Schrei eines Kontinents, der lange unsichtbar und unhörbar war. Der Klang der Vuvuzela ist der Schrei eines Volkes, das danach lechzt, gehört und gesehen zu werden. Er ist ein Appell, anders gesehen und anders gehört zu werden – nämlich in positivem Licht gesehen und gehört zu werden.
Man terrorisiert seine Gäste und versaut die WM – um „in positivem Licht“ gesehen zu werden. Falls dies wirklich die Absicht gewesen sein sollte, dürfte sie misslungen sein. Aber das ist offenkundig nicht entscheidend:
Dies ist das Wichtigste für einen Kontinent und ein Volk, das wieder und wieder ungesehen und ungehört war, und über das niemand gesprochen hat [have been mis-seen, mis-heard and mis-spoken]
Entscheidend ist, und wird deshalb auch ein halbes Dutzend mal hintereinander gesagt, wahrgenommen zu werden, egal ob positiv oder nicht. Dabei wäre es gar nicht so schwer gewesen, sich „in positivem Licht“ darzustellen: Man hätte nur ein guter Gastgeber sein müssen. Ein Publikum wie das deutsche 2006, dass sich für den Fußball der Spitzenmannschaften begeistert, zugleich aber Mannschaften aus kleinen Drittweltländern unterstützt, die ohne großen eigenen Fananhang auskommen müssen („Steht auf, wenn ihr für Ghana seid!“), wird ganz von alleine „in positivem Licht“ wahrgenommen. Der Slogan „Die Welt zu Gast bei Freunden“ war hochgradig kitschverdächtig, aber in den vier Wochen damals war er ziemlich nahe an der Wahrheit.
Nur darf man, wenn man dies will, nicht die Idee im Hinterkopf haben, sich an der Welt, aus der die Gäste kommen, für das eigene Elend rächen zu müssen.
Was Maluleke hier zum Ausdruck bringt, ist das Ressentiment des Zukurzgekommenen, der zum Besseren, Reicheren, Klügeren nicht aufschließen, sondern ihn zu sich herunterziehen will; der nicht dazulernen will, sondern einen Sündenbock sucht; der nicht fragt „Was kann ich der Welt geben, um besser angesehen zu sein?“, sondern „Was schuldet mir die Welt an Respekt?“; der sich deshalb auch an der Meisterschaft Anderer nicht berauschen und inspirieren kann, sondern sie als beleidigende Bloßstellung des eigenen Unvermögens betrachtet. Damit ihm dies nicht widerfährt, hat er die Vuvuzela empfunden.
Selbstverständlich gibt es diese Art Resentiment nicht nur unter Afrikanern: Wir kennen sie auch in Gestalt des Sozialhilfeempfängers, der empört ist, wenn der Staat ihm keinen Urlaub in Gran Canaria finanziert; in Gestalt des Jungversagers, der alle fleißigen Menschen für Spießer hält; der neurotischen Kampf-Emanze, für die glücklich verheiratete Frauen Sklavinnen des Patriarchats sind; des Schulverweigerers, der den Lehrer ersticht, wenn er schlechte Noten bekommt; des „Regietheater“-Regisseurs, der Goethe „dekonstruiert“; und nicht zuletzt all der kleinen unkreativen, konformistischen Inquisitoren- und Zensorengeister, die jeden halbwegs originellen Gedanken als xeno-, islamo-, homo- oder sonstwie -phob verbellen.
Der Unterschied ist, dass solches Ressentiment in Afrika kulturprägend ist, in Europa aber noch nicht. Noch. Denn die politischen Agenten der genannten Jammergestalten sind auf dem Weg zur Afrikanisierung Europas in jeder Hinsicht weit vorangekommen.