Stefan Scheil: „Revisionismus und Demokratie“

Rezension
Der Historiker Stefan Scheil gilt unter seinen Kollegen als „Revisionist“, und dass diese Bezeichnung für einen Wissenschaftler keine Beleidigung, sondern ein Ehrentitel ist, darauf habe ich an anderer Stelle schon hingewiesen. Scheil zieht seit langem gegen eine etablierte Lehrmeinung zu Felde, die man in jeder Hinsicht die „herrschende“ nennen muss, nämlich eine Geschichtsschreibung, wonach das Deutsche Reich beide Weltkriege verschuldet habe, während die Westmächte (und zum Teil auch Russland bzw. die Sowjetunion) sich bloß gegen ihnen aufgezwungene Kriege verteidigt hätten. Jede andere, jede revisionistische Auffassung sieht sich schnell rechtsextremer Neigungen verdächtigt.

In dem vorliegenden nur 76 Seiten starken Essayband „Revisionismus und Demokratie“ erläutert er den geschichtspolitischen Hintergrund derartiger wenig wissenschaftlich anmutender Zuschreibungen:

Er zeigt auf, dass das etablierte Geschichtsbild auf einer deterministischen und teleologischen Geschichtsauffassung beruht, wonach die Geschichte mit der weltweiten Verbreitung des westlichen Gesellschaftssystems ein Ziel und eine Richtung kenne, und er weist zutreffend darauf hin, dass ein solches Verständnis von Geschichte bereits in sich eine Tendenz zu einer Ideologie totalitärer Herrschaft trägt. Warum sollte eine Regierung sich den Wünschen eines Volkes beugen, das offenkundig „rückständig“, da den Zielen des historischen Prozesses nicht aufgeschlossen ist?

Erst vor dem Hintergrund dieser Ideologie wird verständlich, warum in analoger Weise Konflikte zwischen westlichen und nichtwestlichen Staaten (zu denen auch das Deutsche Reich gehörte) von der etablierten Geschichtsschreibung nicht anders denn als dem Westen aufgezwungen interpretiert werden können: Dass die Gegner des Westens im Unrecht sind, braucht sich notfalls nicht aus den historischen Quellen zu ergeben, weil es in den ideologischen Prämissen bereits enthalten ist. Erst die „große Erzählung“ von der weltweiten Entfaltung der menschheitsbeglückenden westlichen Zivilisation stempelt die Gegner dieses Prozesses zu Verbrechern. Wenn sie zufällig tatsächlich Verbrecher waren – um so besser, aber für die Kohärenz des etablierten Geschichtsbildes ist es nicht erforderlich.

Dass die Eliten des besiegten Deutschland mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung nach 1945 dieses Geschichtsbild übernahmen, das das eigene Land zum Schurkenstaat stempelte (und dies nicht erst ab 1933, sondern ab spätestens 1871), ja, dass sie es im eigenen Land propagierten, war, soviel steht bei Scheil zumindest zwischen den Zeilen, der Preis dafür, dass sie zum Club der globalen Eliten gehören durften. Darüberhinaus aber zeigt Scheil, wie die ständigen Reuebekenntnisse die Bundesrepublik in die Lage versetzen, als Schulmeister der nicht ganz so selbstkritischen übrigen westlichen Welt aufzutreten. Gleichsam als Musterschüler des westlichen Selbsthasses und der globalistischen Ideologie wird die Bundesrepublik dabei auf eine perverse Weise wieder tonangebend. Mit den Interessen des deutschen Volkes hat dies selbstverständlich nichts zu tun, mit der historischen Wahrheit erst recht nicht, aber den Interessen dieser Eliten kommt dieses Geschichtsbild sehr wohl zupass, und entsprechend aggressiv wird es verteidigt.

Scheil hat eine geraffte und pointierte Analyse deutscher und westlicher Geschichtspolitik vorgelegt, und ihr unter dem Titel „Von Überfällen und Präventivkriegen“ einen zweiten Text hinzugefügt, der ebenfalls Lust auf mehr macht: Darin weist er die gegen ihn gerichteten Verdächtigungen des Rechtsextremismus zurück, die im Zusammenhang mit seiner Analyse der Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Krieges von 1941 erhoben wurden. Er zeigt nicht nur erneut auf, wie sehr die politische Verdächtigung inzwischen das wissenschaftliche Argument als Mittel der Auseinandersetzung verdrängt hat, sondern benennt auch einige Fakten, die Neugier wecken, ob die Präventivkriegsthese womöglich doch auf stärkeren Füßen steht, als man für gewöhnlich glaubt. Darin steckt sicherlich auch Eigenwerbung des Autors. Die aber sei ihm gegönnt.

7 Gedanken zu „Stefan Scheil: „Revisionismus und Demokratie““

  1. Ein Historiker muß immer auch ein Revisionist sein. Er hat Vergangenes ausschließlich so zu beurteilen und zu berichten, wie es in den zugänglichen Akten und Fakten nachzuvollziehen ist. Daher gebietet die spätere Öffnung z.B. von Archiven die Überprüfung der bis dato gewonnenen Erkenntnisse. Wenn sich ein Historiker dieser Aufgabe – weil unbequem, oder opportune Erklärungsversuche umstoßend – entzieht, wandelt er sich blitzartig vom Historiker zum Ideologen. Und das hat mit Wissenschaft (auch im Wortsinn) nichts mehr zu tun. Die Kunst für andere Historiker besteht darin, den eigenen Quellenfundus, vulgo Bibliothek, von sowas sauberzuhalten. Nicht gerade leicht.

  2. globalistischen Ideologie

    Zum Verständnis, bezeichnest du damit ein Phänomen, das man auch ebenso ‚International Sozialismus‘ nennen könnte?

  3. Ich meine damit eine Ideologie der Zerstörung traditioneller solidaritätsstiftender Strukturen (Familie, Völker, Religionen). Ich meine die Abschaffung internationaler Politik zugunsten einer „Weltinnenpolitik“; die Abschaffung traditioneller Religionen zugunsten eines „Weltethos“; die Abschaffung der Familie im klassischen Sinne zugunsten von bloß temporären Bindungen, die in jedem Fall der „selbstverwirklichung“ dienen sollen. Das alles hat mehr mit Neoliberalismus zu tun als mit Sozialismus; mit letzterem höchstens insofern, als man die marxistisch inspirierte Herrschaftskritik problemlos vor den Karren des (neo-)liberalen Globalismus spannen kann. Das Verhältnis zwischen beiden Idoelogien habe ich in diesem Blog ungefähr einhundertfünfzehnmal erläutert, zuletzt in „Der neue Adel“:

    Auf der Basis bloß eines platten neoliberalen Ökonomismus ist dergleichen nicht möglich: Zu weit verbreitet und zu tief verankert ist die sozialistische Kritik daran. Da trifft es sich, dass die marxistische Linke als Trägerin dieser Kritik mit dem Ende des auf dem Marxismus beruhenden sozialistischen Gesellschaftsmodells seit 1990 politisch bankrott ist und keine Alternative zum Kapitalismus mehr aufzuzeígen vermag. Das zerstörerische Potenzial des Marxismus ist aber nach wie vor vorhanden und wie geschaffen dafür, die Strukturen zu beseitigen, die der ungehemmten Entfaltung des Globalismus noch im Wege stehen. Der herrschaftskritische und egalitaristische Elan des Marxismus braucht lediglich von der Kapitalismuskritik ab- und auf Religions-, Nationalismus- und Traditionalismuskritik hingelenkt werden: Es entsteht eine Ideologie, die die bloße Wahrnehmung von Unterschieden, etwa zwischen Völkern, Religionen, Kulturen und Geschlechtern, erst recht aber ihre Affirmation als „rassistisch“, „ethnozentrisch“, „xenophob“, „sexistisch“, oder schlicht als „menschenfeindlich“ brandmarkt und damit die Auflösung überkommener Strukturen – Völkern, Familien, Religionen – vorantreibt. Sogar ein bisschen „Sozialismus“ dürfen die Linken noch spielen, weil der Sozialstaat als Immigrationsmagnet wirkt und damit die Existenz der Völker, also der potenziell mächtigsten Gegenspieler des Globalismus, untergräbt.

    Wer darin einen Widerspruch zu den Idealen des Neoliberalismus sieht, verkennt, dass diese Art von Liberalismus kein zu befolgendes ordnungspolitsches Prinzip, sondern eine zu verwirklichende Utopie darstellt: Den Sozialstaat kann man unter solchen Vorgaben schon eine Weile in Kauf nehmen; es genügt, dass er eines Tages aufgrund seiner chronischen und stets zunehmenden Überforderung zusammenbrechen wird. Bis dahin wird er aber seinen Dienst getan haben, politische Solidargemeinschaften in bloße Massen von Einzelnen verwandelt zu haben. In der Zwischenzeit bindet seine Existenz die einheimische Unter- und untere Mittelschicht an die Linksparteien und hält sie davon ab, sich gegen die systematische Überfremdung und Zerstörung der eigenen Lebenswelt zur Wehr zu setzen. Indem sie an den Sozialstaat gefesselt werden, werden sie (und noch dazu umso mehr, je mehr sich ihre Lebensverhältnisse verschlechtern), an eine Struktur gefesselt, die die weitere Verschlechterung der Lebensverhältnisse bis zum Zusammenbruch garantiert.

  4. Heute gab es auf Spiegel Online auch wieder einen Artikel, der sich mit den Folgen der beiden Kriege beschäftigt. Um genau zu sein mit Ostpreußen und seinem Status nach 1990.

    Ob es nach der Wende wirklich ein ernstgemeintes Verhandlungsangebot aus Moskau gab? Angesichts der strategischen Lage bin ich skeptisch, aber in der Phase des Umbruchs war auf einmal vieles möglich und die Sowjetunion hat auch viele andere Gebiete in die Unabhängigkeit entlassen, selbst wenn russische Staatsbürger dort gelebt haben.

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,695928,00.html
    „Wiedervereinigung – Moskau bot Verhandlungen über Ostpreußen an

    Brisantes Dokument zur Zeitgeschichte: Moskau brachte nach SPIEGEL-Informationen während der Verhandlungen zur deutschen Einheit Gespräche über den sowjetischen Teil Ostpreußens ins Spiel. Doch die deutsche Seite wehrte ab.“

    Ich finde die Kommentare im dazugehörigen Spiegel-Forum traurig. Die meisten reden mit ziemlicher Hähme über Ostpreußen (nach dem Motto: „sind eh alle schon tot“, „interessiert keinen“, „dafür zahlen wir doch nicht noch mehr Soli“). Daß es für viele Deutsche um die Heimat ging (und geht), scheint keinen zu interessieren. Da wird nur egoistisch aufs Geld geschaut und das alte Mantra gepredigt, nach dem wir Deutschen für Europa zu verzichten haben. Schließlich sind wir ja alle Europäer und keine Deutschen mehr.

  5. Ich zweifle nicht an der Echtheit des damaligen russischen Angebots den nordöstlichen Teil Ostpreußens an Deutschland zurückzugeben.

    Um sich dbzgl. ein Bild zu machen, sollte man zunächst einmal den polnischen und den russischen Teil Ostpreußens bereisen. Dabei wird man finden, daß während Polen keine Mühen gescheut hat, alte Kirchen und Rathäuser wiederaufzubauen, Industrie anzusiedeln und die masurische Seenplatte zum führenden Wochenendausflugsziel Polens zu machen, die Sowjetunion ihren Teil eher als Truppenübungsplatz gebraucht hat – jedenfalls sieht er so aus.

    Die Polen denken „Einmal unser, immer unser.“ und die Russen denken „Weit ab vom Schuß und läßt sich nicht verteidigen.“ und während der Geländegewinn für Polen ruhmreich ist, ist er für Russen beleidigend.

    In Deutschland wird das Thema immer unter der Prämisse gesehen, daß der dort jetzt ansässigen Bevölkerung durch eine erneute Umsiedlung Unrecht geschehe, nur wird dabei übersehen, daß Umsiedlungen im großen Stil nichts Ungewöhnliches zur Zeit der Sowjetunion (und auch schon vorher in Rußland) waren und von einem Heimatgefühl der Betroffenen kaum die Rede sein kann.

    Statt selbst in den baltischen Raum zurückzukehren, ziehen es die Deutschen vor, sich für die Völkerverständigung dort einzusetzen, wovon sie freilich wenig verstehen, denn Rußland hat keinen Bedarf an Kriechern und nutzt etwaige „Aufmüpfigkeit“ höchstens dankbar dafür, das Sommerloch zu füllen, was aber niemanden verschrecken sollte.

    Es ist schlimm, daß den Deutschen zunehmend das Verständnis dafür abgeht, was eine Leistung ist und, noch schlimmer, wozu sie benötigt wird.

    Was die revisionistische Methode angeht, sollte man sich darüber im Klaren sein, daß zeitnah selbstverständlich das meiste Wissen über einen geschichtlichen Vorgang existiert und daß Täuschung insbesondere auch auf Seiten der Nationalsozialisten zum politischen Handwerk gehörte. Sowohl Deutschland als auch die Sowjetunion betrieben eine massive, kriegsvorbereitende Rüstung, und beide konnten sich darauf hinausreden, es nur zu tun, weil sie es in ihrer geostrategischen Lage tun mußten. Aber spätestens seit dem Hitler-Stalin-Pakt war es offenbar, daß sie es nicht nur deswegen taten.

    Auf die gleiche Stufe möchte ich sie aber nicht stellen, Rußland hat sich bei all dem doch abwartender als Deutschland verhalten. Insbesondere war Deutschlands erfolgreicher Westfeldzug wohl mit entscheidend dafür, daß Stalin einen Krieg mit Deutschland näher ins Auge faßte, sowohl als Notwendigkeit als auch als Möglichkeit (letzteres soll heißen, daß es schwieriger gewesen wäre, gegen sämtliche westeuropäischen Armeen Krieg zu führen, aber jetzt war ja wenigstens Frankreich schon ausgeschaltet.)

  6. Marc:
    Dieser Artikel in SPON hat auch mich überrascht und mehr als erstaunt. Und genauso wie Du war ich entsetzt über den Großteil der Kommentare. Zuvorderst stand der wirtschaftliche Aspekt, alles andere scheint gleichgültig zu sein.
    Und was die damaligen Politiker angeht, deren Verhalten – damit meine ich die glatte Ablehnung jeglicher Verhandlungen – stellt m.E. Landesverrat dar.
    Zumindest hätte man ausloten müssen, wie ernst den Russen ihr Angebot war.

  7. Bezüglich der revisionistischen Thesen von Stefan Scheill ist das Gespräch von Hitler mit Mannerheim recht erhellend …

    [Bei den hier ursprünglich verlinkten Youtube-Videos bekommt man zur Antwort: „Dieses Video ist in Deinem Land nicht verfügbar“. Lässt tief blicken. M., 19.01.2011]

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