(Rezension)
Dies vorweg: Diese Rezension (die im Grunde auch aus einem einzigen Wort bestehen könnte: Lesen!) erspart nicht die Lektüre von Flaigs Buch „
Weltgeschichte der Sklaverei„; es ist eines, das man gelesen haben muss. Dafür, dass es eine Weltgeschichte ist, ist es mit 219 Seiten von angenehmer Knappheit und Prägnanz – eines jener Bücher, in denen kein Wort zu viel steht, weil ihre Verfasser das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und ein schier uferloses Thema straff zu gliedern wissen.
Ich kann und will hier nur einige Aspekte herausgreifen, die mir selber wichtig sind:
Flaig macht, nachdem er die Begriffe geklärt hat (er spricht von klassischer Sklaverei im Unterschied zu Leibeigenschaft und anderen milderen Formen der Unfreiheit), auf zweierlei aufmerksam:
Erstens, dass die Sklaverei im allgemeinen zu sehr als Produktionsweise und als gesellschaftliche Institution betrachtet wird, das heißt unter statischen Gesichtspunkten, während der Prozess der Versklavung normalerweise auch beim historisch gebildeten Zeitgenossen nicht im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Dabei sind es nicht zuletzt die Umstände der Versklavung, die der Sklaverei ihr Gepräge geben: Die Betroffenen werden in der Regel plötzlich und gewaltsam entmenscht: Sie verlieren ihre persönliche Autonomie, ihre Freiheit, ihre Würde, ihr soziales Netz, ihre Heimat und ihre Verwandtschaft. Sie werden sozial atomisiert und damit nicht nur rechtlich, sondern soweit möglich auch faktisch zu bloßen Objekten fremder Verfügung degradiert. Da die Sklaverei als Institution solche Versklavungsprozesse hervorbringt und verstetigt, gehören diese Prozesse zwangsläufig zum sklavistischen Gesamtsystem.
Zweitens, und aus demselben Grund, erzeugt dieses System getrennte geographische Zonen. Das sklavenverbrauchende Zentrum schafft sich eine Peripherie von „Lieferzonen“. Da die Stabilität imperialer Zentren von Zivilisationen mit der gewaltsamen Versklavung von Menschen im Inneren prinzipiell unvereinbar ist, werden die damit verbundene Gewalt und Anarchie exportiert, und zwar in dem Maße, wie das System auf die anhaltende Zufuhr von Sklaven angewiesen ist.
Dieses Maß freilich schwankte. Es kann zum Beispiel keine Rede davon sein, dass etwa das Römische Reich zu seiner Selbsterhaltung eine Politik von Versklavungskriegen verfolgt hätte. Es gab Kriege, und die dabei gemachten Gefangenen wurden, antiken Bräuchen gemäß, versklavt. Das aber war lediglich ein Nebenprodukt, und gegen Ende der römischen Epoche wurde die Sklaverei nach und nach zurückgedrängt; nicht zuletzt übrigens unter dem Einfluss des Christentums, innerhalb dessen es von Anfang an eine starke antisklavistische Tendenz gab. Diese war zwar lange Zeit in der Minderheit, aber sie verschwand niemals (konnte unter den theologischen Prämissen des Christentums auch nicht verschwinden) und sorgte dafür, dass Sklaverei selbst in denjenigen christianisierten Ländern, wo sie praktiziert wurde, nie den Ruch des Unmoralischen und Vewerflichen verlor.
Entgegen einem weitverbreiteten Klischee war das größe sklavistische System der Weltgeschichte nicht das römische und auch nicht die (nord- und süd-) amerikanische Plantagenwirtschaft, sondern der Islam. Allein 17 Millionen Afrikaner wurden, zuverlässigen Berechnungen zufolge, von Muslimen versklavt. Die Zahl der versklavten Europäer, die zu den ersten Opfern des Versklavungsdjihad wurden, lässt sich ebensowenig beziffern wie die der versklavten Inder, aber die folgenden Zeilen mögen einen Eindruck geben:
Als die Muslime Spanien von 711 bis 720 unterwarfen, versklavten sie 150.000 Menschen. Ihre Dauerangriffe auf das hoffnungslos unterlegene katholische Europa und auf das byzantinische Gebiet unterwarfen oder entvölkerten die Inseln des Mittelmeeres zwischen 649 (Zypern) und 827 (Sizilien); 840 errichteten sie das süditalienische emirat Bari, 889 das südfranzösische Emirat, 933 eroberten sie Genua, 940 sperrten sie kurzfristig die westlichen Alpenpässe. Die wiederholten Angriffe auf Konstantinopel wurden 717 endgültig abgeschlagen, aber Anatolien und Armenien wurden noch 200 Jahre lang fast jährlich verheert. Aus dem 712 eroberten indischen Sind verschleppten die Sieger 60.000 Versklavte. Die zweite Expansionswelle traf Nordafrika und besonders Indien; dort setzten sich im 11. Jahrhundert afghanische Reiterheere fest, deren Dauerangriffe Hunderttausende von Indern in die Sklaverei brachten; sie wurden deportiert über ein Gebirge, das bis heute den Namen „Hindu-Tod“ (Hindukusch) trägt … . 1192 eroberten afghanisch-türkische Muslime Nordindien dauerhaft. Das Sultanat Delhi unterhielt bis Mitte des 14.Jh. 120.000 bis 180.000 Militärsklaven; die meisten davon waren versklavte Ostafrikaner, die der arabische Sklavenhandel über den indischen Ozean verschleppte. Die Sultane führten jährlich Djihads in Mittelindien, um große Mengen von Sklaven zu erbeuten und unterwarfen bis 1340 praktisch den gesamten Subkontinent.
Eine bleibende Eigenart der islamischen … Sklaverei war die doppelte Weise, sich Sklaven zu beschaffen. Zum einen war ein riesiger Militärapparat damit beschäftigt, ständig Kriege zu führen: „Der Islam verfolgte während des Mittelalters seine Politik periodischer Kriege, und sicherte sich so einen fast ununterbrochenen Zustrom an … Sklaven“. Man hinterließ dort, wo die islamischen Heere auf starken Widerstand stießen, ausgedehnte verwüstete und menschenleere Areale, die anschließend in Besitz genommen und oft neu besiedelt wurden. So führte der Wesir des vorletzten Kalifen von Córdoba, Al-Mansur, am Ende des 10. Jhs. In 27 Jahren 25 Invasionen in die christlichen Gebiete Spaniens, zerstörend, massakrierend, versklavend und verwüstend. Eine Politik, die den antiken Staaten völlig fremd war. Zum anderen verfügte die islamische Herrenschicht in den reichen eroberten Provinzen des römischen Reiches und in Persien über gewaltige Reichtümer, welche es erlaubten, an den Grenzgebieten ständig große Sklavenmassen zu kaufen. Diese Importe übertrafen jene des römischen Reiches bei weitem, was bedeutet, dass die islamische Kultur als sklavenimportierende ‚Metropole‘ in der Peripherie die Versklavungsprozesse so anheizte, wie es bis dahin in der Weltgeschichte noch nie geschehen war. Die Sogwirkung dieser Importe reichte in Europa bis zu den Wikingern und zu den Ungarn, in Russland bis zur mittleren Wolga und tief nach Kasachstan bis über Turkmenistan hinaus. Die Transportrouten führten alle letztlich in das Land des Islam. (S.84 f.)
Bis zur Niederwerfung der Ungarn und der Ansiedlung der Wikinger in Nordfrankreich im 10. Jahrhundert war fraglich, ob Europa womöglich dauerhaft zur Sklavenlieferzone werden würde, wie Afrika es tatsächlich wurde.
Dort bildeten sich am Südrand des islamischen Machtbereiches Staaten, meist von islamischen Eliten regiert, die praktisch ausschließlich von der Menschenjagd lebten, und zwar bis ins 19. Jahrhundert hinein. Diese Lieferzone dehnte sich im Laufe der Jahrhunderte immer weiter nach Süden aus. Politik und Ökonomie in diesem Raum drehten sich praktisch ausschließlich um die Bereitstellung von Sklaven für den islamischen Markt, und zwar lange bevor die Europäer Amerika entdeckten und dort Plantagen aufbauten, für die sie Sklaven aus Afrika importierten. Die Versklavung Afrikas, seine Verwandlung in ein Menschenjagdgebiet, war das Werk des Islam.
Und dies, das füge ich jetzt hinzu, ist nicht etwa ein historischer Zufall, sondern das folgerichtige Ergebnis islamischer Theologie und islamischen Rechts. Nach islamischem Recht begeht jeder Mensch, der kein Muslim ist, eben dadurch, dass er das nicht ist, ein Verbrechen gegen Gott, und ist deswegen natürliches Eigentum der islamischen Umma. Der Djihad zur Versklavung Andersgläubiger war seit den Tagen des Propheten ein gottgefälliges Werk, zumal die Sklaven ein Potenzial von Konvertiten darstellten:
Abgesehen davon, dass bereits die drohende Versklavung für „Ungläubige“ an der Peripherie des islamischen Systems Grund genug sein konnte, sich schleunigst zu bekehren (Muslime durften nämlich nicht versklavt werden), verstand es sich sozusagen von selbst, dass ein Sklave nur dann Aussicht auf Freilassung hatte, wenn er zum Islam konvertierte – als notwendige, nicht etwa hinreichende Voraussetzung. Die vorangegangene Entmenschung des Sklaven hatte dieselbe Wirkung wie die Gehirnwäsche in irgendeinem kommunistischen Umerziehungslager: Mensch, das lernte der Sklave, konnte man nur als Muslim sein, und da er aus seiner heimatlichen Umgebung herausgerissen war, konnten die Skrupel auch gar nicht erst aufkommen, die bei formell nicht versklavten Dhimmi-Christen und -Juden daraus resultierten, dass sie mit der Konversion ihre Glaubensgemeinschaft bzw. Ethnie verrieten. Einen solchen konvertierten Sklaven freizulassen galt für Muslime als durchaus verdienstvoll – es gab ja genug Nachschub. Das islamische Recht etablierte ein Sklavensystem, das Menschen aufsaugte, zerbrach, umformte und als Muslime wieder ausspuckte.
Flaig weist zu Recht darauf hin, dass es unter diesen Umständen einen islamischen Abolitionismus nicht geben konnte, und auch heute noch ist Sklaverei nach einhelliger Auffassung islamischer Rechtsgelehrter nicht verboten, sondern lediglich praktisch nicht anwendbar. Und selbst diese Auffassung ist noch optimistisch. Tatsächlich wird Sklaverei in islamischen Ländern wie etwa dem Sudan (und anderen) praktiziert.
Die Abschaffung der Sklaverei ist historisch eine Errungenschaft des Westens, und zwar eine nie dagewesene Errungenschaft, die es ohne den christlich-jüdischen Gedanken der Gottesebenbildlichkeit des Menschen (und seiner säkularen Zwillingsidee der Gleichheit an Rechten und an Würde) niemals gegeben hätte. Sie ist das historisch unwahrscheinliche Produkt einer Zivilisation, der es gelungen ist, die innergesellschaftliche Gewalt auf ein Minimum zu reduzieren. Sie ist das das Produkt einer Ordnung, die Freiheit ermöglicht, und sie steht und fällt mit dieser Ordnung. Rechtsfreie Räume sind die, in denen die Sklaverei auch heute noch und wieder blüht.
Wer sich weigert, die eigene Geschichte aufzuarbeiten, ist gezwungen, sie zu wiederholen. Nicht zufällig droht gerade in Afrika die Sklaverei in Reinform mit ihrer Wiederkehr: Die heutigen Warlords mit ihren Kindersoldaten setzen genau dort an, wo die … des 19. Jhs. … aufhörten, als der britische und französische Kolonialismus ihnen das Handwerk legte. Jene afrikanischen Intellektuellen, welche sich heute als Nachfahren von Opfern stilisieren, lehnen allzumeist die Menschenrechte rundheraus ab. (…) An der Sklaverei entscheidet sich das Schicksal der Menschenrechte. Es gilt als schick, diese als westliche Erfindung abzutun und ihren Anspruch auf universale Geltung zu verhöhnen. Schon einmal geschah dies, im 20. Jh.; und es geschah nicht ungestraft. Denn nur wenn die Menschenrechte und ihr Artikel 4 universal gelten – für alle Kulturen ohne Ausnahme -, nur dann ist Sklaverei ein Verbrechen. Und nur wenn die Sklaverei ein Verbrechen ist, lassen sich die vielen alten und neuen Formen der Unfreiheit bekämpfen, welche in der globalisierten Welt sich endemisch verbreiten. Nur wenn sie ebenso bezwungen werden, wie es mit der Sklaverei gelang, wird die globalisierte Menschheit ihr politisches zusammenleben auf die Freiheit gründen können. Andernfalls war der größte Sieg in der Geschichte der Menschheit eine verebbende Welle, und unsere westliche Kultur bleibt eine Zeitinsel inmitten eines endlosen Ozeans von Unfreiheit. (S.216 f.)