Was der Fall Dejagah uns lehrt

Ein, sagen wir, Chinese wird in Amerika eingebürgert und nimmt seinen neuen Pass entgegen. Nach allem, was wir über US-Einwanderer wissen, fühlen sie sich vom ersten Moment an als Amerikaner, sind stolz darauf und empfinden sich als quasi nachträgliche Mitkämpfer von George Washington und Abraham Lincoln. Mit anderen Worten: Sie identifizieren sich mit ihrem Land und empfinden dessen Geschichte als ihre eigene.

Für einen frischgebackenen Deutschen ist diese Art Identifikation sicher nicht unproblematisch – so wenig wie für die gebürtigen Deutschen. Identifikation – das heißt für einen Deutschen ja nicht nur: Wir haben Goethe und Thomas Mann hervorgebracht, wir sind das Volk von Leibniz und Schopenhauer, wir haben das Wirtschaftswunder geschafft und sind dreimal Fußballweltmeister geworden. Es heißt eben leider auch: Wir haben sechs Millionen Juden gekillt.

Ich verstehe Jeden, der damit nichts zu tun haben möchte. Wenn sich aber jemand „Deutscher“ nennt und daraus Ansprüche ableitet, dann kann ich ihm nicht das Recht zugestehen, so zu tun, als ginge ihn die deutsche Geschichte nichts an. Auch nicht, wenn er aus Teheran stammt.

Der deutsche U-21-Fußballnationalspieler Ashkan Dejagah, der neben seinem deutschen auch einen iranischen Pass hat, hat es bekanntlich abgelehnt, zu einem Länderspiel in Tel Aviv anzutreten, und er hat durchblicken lassen, dass für diese Entscheidung politische Gründe maßgeblich waren.

Mir geht es nicht darum, diesen jungen Kerl an den Pranger zu stellen, mit geht es um das Exemplarische dieses Falls – es gibt viele Dejagahs, denen man einen deutschen Pass in die Tasche gesteckt hat, ohne zu fragen, ob sie das Selbstverständnis der Nation teilen oder auch nur begriffen haben, ob sie Deutschland wirklich als ihr Land empfinden, und ob sie bereit sind, für die Werte einzutreten, für die Deutschland steht.

Man hat ganz juristisch-technokratisch die Einbürgerung zu einem Anspruch jedes Menschen gemacht, der bestimmte objektive Voraussetzungen erfüllt, ja man wirbt sogar für die Einbürgerung. Müssen wir uns da wundern, dass viele der so Eingebürgerten sich auf den Standpunkt stellen, nicht sie schuldeten unserem Land und seinen Werten Loyalität, sondern wir, die Mehrheitsgesellschaft, schuldeten ihnen Toleranz, und sei es für ihren Antisemitismus und sonstige Fanatismen? Müssen wir uns wundern, dass die einen sich zu Terroristen ausbilden lassen und die anderen ihren privaten Judenboykott ausrufen? Dass ihre Loyalität nicht Deutschland gilt, sondern ihrem Heimatland, ihre Solidarität nicht der bedrängten israelischen Demokratie, sondern der iranischen Theokratie, und dass sie nichts dabei finden, noch einmal sechs Millionen Juden in Rauch aufgehen zu lassen?

 

 

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Iran“