Noch vor zwanzig Jahren wäre es undenkbar gewesen, einen Mann zum Bundespräsidenten zu machen, der gerade seine Ehefrau gegen eine Jüngere ausgetauscht hat. Nicht weil eine Scheidung schon per se ein Makel sein muss, sondern weil sie einer sein kann. Was bei einem Ministerpräsidenten noch als akzeptabel durchgehen kann, ist es noch lange nicht bei einem Amt, dessen Autorität davon lebt, dass es an der persönlichen Integrität seines Inhabers nicht den Hauch eines Zweifels gibt. Ein Präsident muss bereits den bösen Anschein meiden. Es heißt nicht, ungebührliche Urteile über das Privatleben anderer Leute zu fällen, wenn man denjenigen, der im Privatleben so handelt wie Wulff, im Verdacht hat, er halte alles, was legal – also nicht ausdrücklich verboten – ist, deshalb schon für anständig.
Gerade deser Verdacht hat sich aber spektakulär erhärtet: Wulff hat zwar nichts getan, was direkt illegal wäre, zumindest nichts, was ein ausgeschlafener Anwalt nicht trickreich als legal verkaufen könnte:
Es ist nicht verboten, dienstlich erworbene Bonusmeilen für einen privaten Urlaub zu verwenden; es ist nicht verboten, mit Milliardären befreundet zu sein, die zugleich ausgeprägte wirtschaftliche Interessen an politischen Entscheidungen haben; es ist nicht verboten, seinen Urlaub auf den Anwesen solcher Milliardäre (jedes Jahr bei einem anderen) zu verbringen; es ist nicht verboten, sich von deren Ehefrauen Geld zu leihen und nicht danach zu fragen, ob es nicht vielleicht doch vom Ehemann stammt; es ist nicht verboten, einen zinsgünstigen Kredit bei einer Bank aufzunehmen, mit der das von einem selbst regierte Bundesland geschäftliche Beziehungen pflegt. Des weiteren ist es durchaus zulässig, der Presse über die Umstände solcher Kredite nur so viel zu erzählen, wie man ohnehin nicht abstreiten kann. Und wenn man den Verfassern missliebiger Zeitungsartikel mit rechtlichen Konsequenzen droht, dann ist auch dies per se noch keine strafbare Nötigung, und zwar auch dann nicht, wenn solche Drohungen in einer Sprache formuliert werden, die alles andere als präsidial ist. Erlaubt ist das alles; es ist aber eben auch zutiefst anrüchig.
Sein Gesamtverhalten weist Wulff als einen Mann aus, dem der moralische Kompass fehlt. Das muss uns nicht wundern; ein moralischer Kompass könnte, ja müsste beim heutigen Zustand der BRD in Richtungen zeigen, die wenig karrierefördernd wären. Ein Karrierepolitiker, dessen Lebensinhalt seit seiner Schulzeit der Kampf um politische Machtpositionen ist, kann sich so etwas nicht leisten, schon gar nicht, wenn er in diesem Kampf von internationalen Netzwerken gefördert wird, für die die Zerstörung traditioneller Werte und Bindungen Programm und Utopie ist.
Hier zeigen sich auch frappierende Parallelen zwischen Wulff und Guttenberg, auch dieser ein Ziehkind transatlantischer Nachwuchsförderung mit erwiesener Blindheit für den Unterschied zwischen anständig und unanständig. Und noch etwas springt in beiden Fällen ins Auge: Wenn man von einem Karrierepolitiker schon keinen Sinn für Anstand mehr erwartet, so doch zumindest eine gewisse Professionalität in der Technik des Machterhalts; daran aber fehlt es beiden. Sowohl Wulff als auch Guttenberg haben bei ihrem Krisenmanagement ein so staunenerregendes Maß an taktischer Inkompetenz offenbart, dass man sich fragen muss, ob beide Männer ihre Positionen überhaupt hätten erringen können, wenn Andere ihnen nicht den Weg geebnet hätten. Es scheint, dass die handverlesenen deutschen Statthalter der globalen Eliten noch einmal eine Negativauswahl aus einem ohnehin schon trostlosen Personalpool darstellen:
Sorgen bereits die internen Rekrutierungsmechanismen deutscher Parteien dafür, dass charakterschwache, opportunistische und hochgradig korrumpierbare Persönlichkeiten gefördert werden, so selektieren die Netzwerke offenbar noch einmal diejenigen, die nicht nur charakterschwach und korrumpierbar, sondern charakterlos und korrupt sind.
Das ruhmlose Ende zweier hochgejubelter Retortenstars ist ein Menetekel nicht nur für Angela Merkel, die Beide – offenkundigen Unzulänglichkeiten zum Trotz – auf ihre Posten gehievt hat, sondern auch für eine politische Klasse, deren verachtenswerteste Eigenschaften gerade von diesen Männern exemplarisch verkörpert werden.