„Verschwörungstheorie“, „Coronaleugner“: Michael Wendler und die Orgie der Unwörter

Wer hätte für möglich gehalten, dass der höchstens mäßig erfolgreiche Schlagersänger Michael Wendler einmal in diesem Blog Erwähnung finden würde?

(Für die, die ihn nicht kennen: Sie haben künstlerisch nicht allzu viel versäumt, Wendler erzielt einen erheblichen Teil seiner Einnahmen damit, durch Trashfernsehformate der RTL-Gruppe zu tingeln und im Übrigen sein Privatleben und das seiner 30 Jahre jüngeren Frischangetrauten für Tratschsendungen auszubreiten.)

Nachdem RTL über Jahre hinweg sein Möglichstes getan hat, besagten Herrn Wendler zu einer Art Clown der Nation aufzubauen, lässt es ihn nun fallen, denn Wendler hat etwas Unverzeihliches getan: Er hat sich zu einem politischen Thema geäußert und es dabei an Botmäßigkeit gegenüber den Regierenden fehlen lassen. Konkret sagte er seine Teilnahme an der Jury der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ mit der Begründung ab, er protestiere damit gegen die Corona-Politik der Bundesregierung, weil diese gegen das Grundgesetz verstoße. In diesem Zusammenhang benutzte er den Ausdruck „angebliche Corona-Pandemie“ und warf den Medien Mitverantwortung vor, da sie „gleichgeschaltet“ und „politisch gesteuert“ seien.

Die so angegriffenen Medien nun haben daraufhin eine offenkundige Kampagne losgetreten: Als sei Wendler der Bundespräsident und hätte in dieser Eigenschaft mindestens die Legalisierung von Kinderprostitution gefordert, füllt der „Wendler-Eklat“ seit Tagen die Bildschirme und Pressespalten, und bis ins Wortmaterial hinein bedienen sich alle desselben Vokabulars: Wendler sei ein „Coronaleugner“, der „Verschwörungstheorien“ verbreite. Selbstverständlich durften auch die Beiworte „wirr“ und „krude“ nicht fehlen, die in solchen Zusammenhängen mit größerer Sicherheit zu fallen pflegen als heutzutage das sprichwörtliche Amen in der Kirche.

Dieselben Medien also, die mit der glockenreinen Harmonie eines Kinderchors dasselbe singen, verwahren sich voller Entrüstung dagegen, „gleichgeschaltet“ zu sein.

Dieselben Medien, die Kritik an den Regierenden für ungehörig, ja geradezu blasphemisch erklären, und mit jedem Wort, das sie von sich geben, betonhart den Eindruck untermauern, politisch gesteuert zu sein – diese Medien also  erklären jeden zum Wirrkopf, der ihnen unterstellt, eben dies, nämlich politisch gesteuert zu sein.

Gerade das Wort „Verschwörungstheorie“ ist in diesem Zusammenhang besonders belustigend, denn von einer Verschwörung hat Wendler gar nicht gesprochen, auch nicht implizit. Es handelt sich also um ein völlig unangemessenes Wort, und man sollte meinen, dass Journalisten dies bemerken, zumal wenigstens ihr Deutsch im Allgemeinen besser ist als das von Herrn Wendler. Wir könnten uns nun fragen, wie es kommt, dass immerhin einige hundert Journalisten es fertigbringen, unabhängig voneinander dieselbe dumme, falsche und schiefe Etikettierung zu verwenden.

So wie wir uns auch fragen können, wie es kommt, dass (mindestens) einige hundert politische Entscheidungsträger dieselben katastrophalen Fehlentscheidungen treffen beziehungsweise gutheißen, und dies über Jahre hinweg: beim Euro, bei der Immigrationspolitik, der „Flüchtlings“-Krise, nun also bei Corona…

Nein, wir brauchen diesen Politikern nicht unbedingt eine Verschwörung zu unterstellen: Die meisten dürfte eine Mischung aus Karrieregeilheit, Rückgratlosigkeit, Dummheit, Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit ausreichend motivieren, eine Politik mitzutragen, die das ihnen anvertraute Land ins Verderben führt – und Entsprechendes dürfte für die ihnen sekundierende Journaille gelten.

Horst Seehofer hat übrigens einmal im Zusammenhang mit der Eurokrise in einem seltenen und desto dankenswerteren Anfall von Ehrlichkeit ein wichtige Einsicht auf den Punkt gebracht:

Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.

Unter Politikwissenschaftlern ist diese Erkenntnis übrigens ein Gemeinplatz. Hätte aber ein Anderer sie öffentlich formuliert und den Regierenden womöglich mit kritischem Tenor entgegengehalten, er wäre zweifellos als „Verschwörungstheoretiker“ abgemeiert worden.

Da Mitläufer etwas brauchen, bei dem sie mitlaufen können, muss es auch in der Politik beziehungsweise deren Dunstkreis durchaus ein paar Leute geben, die genau wissen, was sie tun – und die das politisch-mediale Fußvolk hinter sich herziehen: ein Fußvolk aus professionellen Gremiensitzern und Was-mit-Medien-Typen (gerne auch mit abgebrochenem Studium oder gefälschter Doktorarbeit), die die Verantwortung beziehungsweise Propaganda für etwas übernehmen, was sie nicht verstehen und auch gar nicht erst zu verstehen versuchen: Zu groß ist die Gefahr, zu Erkenntnissen zu gelangen, die mit dem von oben geforderten Glauben unvereinbar wären.

Ich verwende das Wort „Glauben“ im vollen religiösen Sinne des Wortes: Wo es nämlich einen „Leugner“, zum Beispiel also einen „Coronaleugner“ gibt, muss es eine ein für allemal feststehende, unhinterfragbar richtige Wahrheit geben, die man nicht einmal kritisieren, sondern nur „leugnen“ kann, sofern man sie (böswilligerweise, versteht sich) in Abrede stellen möchte. Der „Coronaleugner“ ist das jüngste Mitglied des rapide wachsenden Clubs der „Leugner“, der mit dem „Holocaustleugner“ ins Leben gerufen wurde, dem alsbald der „Klimaleugner“ zur Seite gestellt wurde.

Aus der Sicht des regierungsfrommen Spießbürgers versteht es sich sozusagen von selbst, dass die so Etikettierten nur Abgesandte des Bösen sein können, denen man keinerlei Toleranz schuldet, auch keine Fairness. Und daher werden wir auch im Zusammenhang mit Klima und Corona noch erleben, was im Zusammenhang mit der „Holocaustleugnung“ schon einmal durchexerziert wurde: dass dieser Staat sich mit zunehmender Hemmungslosigkeit das Recht nehmen wird, „Wahrheit“ durch politische Entscheidung von oben zu dekretieren. Wenn aber Sachverhalte der Kritik entrückt werden, dann usurpiert der Staat die Rolle eines Religionsstifters.

Was wir hier erleben, ist die Verwandlung eines liberalen Staates in eine Theokratie, einen bizarren Wiedergänger des Alten Rom: Erkannte man einen guten Bürger des römischen Imperiums daran, dass er bereit war, den Kaiser als Gott zu verehren, so wird die Loyalität eines Bürgers der BRD daran gemessen werden, ob er der Staatsgöttin Corona (und der zweifellos noch wachsenden Schar ihrer Kolleginnen) huldigt und opfert.

Und wer es nicht tut, wird den Löwen zum Fraß vorgeworfen.

 

 

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Die Sprache der BRD. 145 Unwörter und ihre politische Bedeutung. Überarbeitete Neuauflage 2018