„Systemfrage. Vom Scheitern der Republik und dem Tag danach“

Ende November erscheint bei Antaios mein neues Buch „Systemfrage“.

Manfred Kleine-Hartlage: Vom Scheitern der Republik und dem Tag danach. Verlag Antaios.
Broschur, 240 Seiten
18,00 € *

Die Erkenntnis ist unabweisbar,

  • dass unser Land wie die meisten westlichen Länder von einem Kartell beherrscht wird, dessen Repräsentanten teils aus Verblendung, teils aus Inkomptenz und teils aus bösem Willen systematische Probleme produzieren;
  • dass sie für diese Probleme nicht einmal im Nachhinein Lösungen, sondern bloß Sündenböcke suchen und  ihre Kritiker verteufeln statt den kritisierten Missständen zu Leibe zu rücken;
  • und dass ein Staat, der mit solchen Methoden regiert wird, am Ende an genau den Missständen scheitern wird, die zu kritisieren (oder auch nur zur Kenntnis zu nehmen) er verboten hat.

Warum die BRD in diesen Zustand geraten ist, in dem sie mit dem Staat des Grundgesetzes nur noch Ähnlichkeit eines Zombies mit dem ursprünglich lebenden Menschen hat, und auf welche denkbaren Entwicklungen sich insbesondere die politische Rechte einzustellen hat, ist Thema des Buches.

Hier ein kleiner Auszug:

Die Fragen, von deren Beantwortung … das Wohl und Wehe des Staates und des Volkes abhängt, lauten:

Ist die Dysfunktionalität des Systems BRD in der mehrfachen Hinsicht, ihre eigenen Verfassungsgrundlagen, ihre ordnungsstaatlichen Fähigkeiten, ihre wirtschaftliche und kulturelle Basis zu untergraben, bloß eine vorübergehende Schwäche?

Können wir also sagen, das System sei gut, nur die Politiker und politiknahen Funktionseliten seien schlecht und müßten ersetzt werden, um einen Kurswechsel zu ermöglichen, für den die verfassungsmäßige Rechtsordnung gottlob die nötigen Instrumente zur Verfügung stelle? (Dies war lange Zeit die unausgesprochene, weil selbstverständliche Grundlage rechter Politik und Strategie – und zwar ungeachtet aller theoretischen Demokratiekritik.) Oder müssen wir im Gegenteil feststellen, die Politiker und deren Inkompetenz seien selbst ein Produkt des Systems und seiner Mechanismen, und diese Mechanismen hätten sich teufelskreisartig und daher irreversibel selbst zerstört?

Müssen wir also konstatieren, jeder Korrekturversuch mit systemeigenen Mitteln führe in eine Sackgasse, also entweder zur Marginalisierung oder zur Kooptierung und Korrumpierung einer Opposition, die dies versucht? Führt die Fortsetzung des bisherigen Kurses der politischen Klasse damit zum Untergang der freiheitlich-demokratischen Ordnung, zum Bürgerkrieg, zur Errichtung eines totalitären Regimes neuen Typs durch das Establishment, am Ende zum Ruin des ganzen Landes?

Für die Lage, in der sich Deutschland heute befindet, gibt es höchstens vage historische Parallelen und überhaupt keine Patentrezepte. Sich an die vermeintlich ewigen Wahrheiten von gestern zu klammern, kann ebenso ins Verderben führen wie scheinradikales Revoluzzertum ohne Rücksicht auf politische Realitäten.

Systemversagen

Vielleicht ist der Satz „Früher war alles besser“ im Allgemeinen wirklich eine nostalgische Selbsttäuschung. Manches aber war eben wirklich besser. Zum Beispiel die Art, wie wir regiert wurden.

Man erinnere sich an die konsequente Politik Adenauers und Erhards, das Krisenmanagement Helmut Schmidts, die beherzte Tatkraft Helmut Kohls bei der Wiedervereinigung: Was für ein Abgrund klafft zwischen diesen Männern und ihren heutigen Nachfolgern! Noch in ihren Fehlern, und davon gab es einige, zeigten sie um Größenordnungen mehr Format als die heutigen Amtsinhaber.

Dies gilt keineswegs erst seit Corona: Bereits (unter anderem) die Finanzkrise, die Eurokrise und die Flüchtlingskrise haben die völlige Unfähigkeit dieser politischen Klasse, einen Staat zu führen, grell beleuchtet. Corona setzt lediglich das Tüpfelchen aufs i: Es ist die Satire, die sich niemand zu schreiben getraut hätte, bevor sie Realität wurde.

Diese politische Klasse ist in infantiler Weise unfähig, Prioritäten zu setzen, Realitäten anders als durch die Brille lächerlicher ideologischer Vorannahmen wahrzunehmen und sich ihres eigenen Verstandes ohne Anleitung durch Organisationen wie die WHO zu bedienen, die ihrerseits verlängerte Arme lichtscheuer Interessengruppen sind.

Nicht einmal ihre falschen Strategien können die Machthaber noch umsetzen, ohne an ihrer eigenen technischen Inkompetenz zu scheitern: Das Impfdebakel etwa oder das wirre Entscheidungsbingo bei den Lockdown-Maßnahmen können in dieser Form nur Politikern unterlaufen, die buchstäblich überhaupt nichts können. Wären Deutschlands Klempner so inkompetent wie seine Politiker, wir alle wären schon vor Jahren in unseren eigenen Häusern ertrunken.

Sogar das – einst selbstverständliche – bißchen Anstand, von Ämtern zurückzutreten, mit denen man offensichtlich überfordert ist, ist heutigen Politikern fremd. Wozu auch, möchte man sagen, sie wissen ja, daß sie gegebenenfalls von ebensolchen Nullen ersetzt werden, wie sie selbst sind.

Das Einzige, was diese Leute noch aus eigener Kraft zuwege bringen, ist die Umgehung der Verfassung, die Bekämpfung des eigenen Volkes und die Unterdrückung speziell derjenigen Gruppen, die den Interessen dieses Volkes Priorität einräumen, weil eine Politik, die etwas anderes tut, den ihr anvertrauten Staat nur ins Verderben führen kann.

Gewiß liegt es in der Natur der Sache, daß es nicht nur gute, sondern auch schlechte Regierungen gibt, daß etwa Blender an die Macht kommen oder Machthaber sich im Amt verbrauchen. Nun, dann müssen sie eben ersetzt werden, und ein demokratisches System ist unter anderem genau dazu da, in solchen Fällen einen Machtwechsel zu ermöglichen. So lautet die Theorie.

In der Praxis freilich haben wir es nicht mit dem Versagen einer einzigen, sondern praktisch aller westlichen Regierungen, und nicht nur der Regierungen, sondern auch ihrer jeweiligen offiziellen parlamentarischen Gegenspieler zu tun. Es handelt sich nicht um punktuelles, sondern um flächendeckendes Versagen.

Alle Gegengewichte, die dem System theoretisch zur Selbstkorrektur zur Verfügung stehen – parlamentarische Opposition, freie Medien, unabhängige Justiz und Wissenschaft – sind durch kollusive Verstrickung mit den Machthabern zu Teilen eines pathologisch lern- und korrekturunfähigen Machtkomplexes geworden.

Wir alle (oder fast alle), die wir als gute und loyale Bürger der Bundesrepublik großgeworden sind, haben uns lange an die Hoffnung geklammert, das System sei eigentlich gut, nur die Politiker seien schlecht und müßten durch bessere ersetzt werden. Nun aber müssen wir feststellen, daß nicht nur in den etablierten Parteien der Typ des geschäftigen, formatlosen Nichtskönners dominiert, sondern daß gerade dieser Typ sich auch in oppositionellen Parteien breitmacht, aus denen eine alternative Elite sich rekrutieren müßte. Wie soll man sich unter solchen Umständen dem Verdacht verschließen, daß dieses System dem umgekehrten König-Midas-Fluch unterliegt? Daß nämlich alles, was mit ihm in Berührung kommt, zu Dreck wird?

Vergleichen wir die Gegenwart mit der Vergangenheit: Adenauer wurde im Kaiserreich sozialisiert, Erhard und Brandt in der Weimarer Republik, Schmidt und Strauß im Dritten Reich, Kohl in den frühen Aufbaujahren. Keiner von ihnen, mit Abstrichen bei Kohl, war ein Produkt des Systems Bundesrepublik. Die heutigen Politiker sind es fast alle. Es ist bezeichnend für die erbärmliche Schwäche dieser Klasse, daß sogar das DDR-Produkt Angela Merkel, als Regierungschefin ein Totalausfall, als Machtpolitikerin noch stark genug ist, sich an ihrer Spitze zu behaupten.

Fähige politische Entscheidungsträger heranzuziehen und unfähige auszurangieren, gehört zu den Leistungen, die jedes politische System zwingend, nämlich bei Strafe des Untergangs, erbringen muß.

Ein System, das an dieser Aufgabe scheitert, ist ein gescheitertes System.

 

[Diese Kolumne erschien erstmals im Nachrichtenmagazin „Zuerst!“, 5/2012.]