von Raymond Ibrahim,
übersetzt von Manfred
[Anmerkung: Schon in meinen Korananalysen habe ich darauf hingewiesen, wie irreführend es ist, aus den oberflächlichen Ähnlichkeiten zwischen dem Islam einerseits, Christentum und Judentum andererseits, auf eine Kongruenz der theologischen Grundaussagen zu schließen, und habe diese These an verschiedenen Beispielen erläutert, z.B. an der islamischen Verehrung Jesu und Moses oder der islamischen Materialismuskritik. Raymond Ibrahim nun greift den Begriff „Charity“ auf und erläutert, was dieser Begriff im Kontext der islamischen Religion bedeutet, nämlich etwa völlig anders als im Christentum, und sogar das Gegenteil davon.
– Das Wort „charity“ bezeichnet im Englischen bekanntlich sowohl die Tugend der Barmherzigkeit als auch die daraus resultierende materielle Wohltätigkeit. Da beide Bedeutungen im vorliegenden Text gemeint sind, habe ich „charity“, gleichsam als Kompromiss, mit „Mildtätigkeit“ übersetzt; die beiden anderen Bedeutungen sollten aber immer mitgedacht werden.]
Originaltitel: When Will Westerners Stop Westernizing Islamic Concepts?, veröffentlicht in: Middle East Forum, 25. August 2009
Vor kurzem schrieb Cathy Lynn Grossman von „USA Today“ einen Artikel über die muslimische Zakat, in dem ich als „Islamkritiker“ erwähnt wurde. Sie ließ danach einen zweiten Artikel folgen unter dem Titel „Kritische Fragen zu Ziel und Zweck islamischer Mildtätigkeit“, wo sie meine Ansichten zur Zakat untersuchen wollte.
So sehr ich Frau Grossmans Initiative begrüße, so interessant finde ich speziell die Tatsache, dass ihre Antwort ein Beispiel für genau die Probleme ist, die ich in meinem Artikel „Die dunkle Seite der Zakat: Islamische Mildtätigkeit im Kontext“ herausgearbeitet hatte, den Frau Grossman unter die Lupe nimmt.
Ich hatte geschrieben: „Von den Lehren für unsere Schulkinder bis hin zu den Reden unserer Präsidenten, werden Vorstellungen, die spezifisch und ausschließlich islamisch sind, ‚verwestlicht‘ … Dieses Phänomen hat zu epistemischen (und daher endemischen) Irrtümern geführt und die Amerikaner von einem objektiven Verständnis einiger der konfliktträchtigeren der islamischen Doktrinen abgeschnitten.“
Es liegt daher eine gewisse Ironie darin, dass Frau Grossmans ganzer Artikel Zeugnis von ebendiesem Phänomen ablegt. Zunächst: Obwohl ich darauf hingewiesen hatte, dass es Muslimen tatsächlich verboten ist, die Zakat einem Nichtmuslim zu widmen, beschreibt ihr erster Satz die Zakat geradezu halsstarrig als „Gebot, mildtätig zu sein“. Selbstverständlich ist eine „Mildtätigkeit“ die entlang Religionsgrenzen diskriminiert, in keiner Weise als „mildtätig“ zu werten; das Wort „mildtätig“ ist in einem westlichen Kontext stets mit universeller Wohltätigkeit konnotiert.
Frau Grossman hat auch beschlossen, dass die klassische Formulierung fi sabil Allah, wortwörtlich: „auf dem Weg Allahs“ in Bezug auf Muslime alle praktizierenden Muslime vom Seminarstudenten über den Imam bis zum Missionar umfasst. Ich hatte es aber umgekehrt als „eine gerade Pipeline zu gewalttätigen Dschihadisten“ beschrieben.
Na gut! Unglücklicherweise zählt aber weder ihre noch meine Meinung besonders viel, wenn es um die Bedeutung islamischer Terminologie geht; wie die autoritativen islamischen Rechtsschulen (vor allem die vier madhhib) fi sabil Allah interpretieren, das zählt! Und für die führenden islamischen Juristen ist fi sabil Allah gleichbedeutend mit dem Konzept des gewaltsamen Dschihad.
Der juristische Standardtext „’Umdat as-Salik“ zum Beispiel (arabisch-englische Ausgabe) übersetzt fi sabil Allah mit „those fighting for Allah“. Und dann einfach: „see jihad“.
Die folgende Anekdote zur Zakat aus der islamischen Geschichte ist noch erhellender: Nach Mohammeds Tod 632 weigerten sich einige arabische Stämme, die sich gleichwohl als Muslime ansahen, die Zakat zu zahlen, von der ein großer Teil für fortgesetzte militärische Operationen ausgegeben wurde. Abu Bakr, der erste „rechtgeleitete“ Kalif, antwortete darauf mit den Riddah-(Apostaten-)Kriegen, die Zehntausende von Arabern das Leben kosteten. In diesem Zusammenhang erscheinen weder der Gebrauch der Zakat noch Abu Bakrs mörderische Antwort besonders „miltätig“. (Hat man schon einmal gehört, dass Menschen getötet werden, weil sie nicht „mildtätig“ genug waren?)
Im Ergebnis verbietet einerseits die Scharia (der Kanon islamischen Rechts) den Muslimen unzweideutig, Nichtmuslimen Zakat (finanzielle Unterstützung) zu spenden, befürwortet aber andererseits, sie denen zu geben, die wir „Dschihadisten“ nennen. Dies ist eine einfache Tatsache, wieder und wieder bekräftigt – nicht etwa meine Meinung und auch nichts, das „interpretationsoffen“ wäre.
Frau Grossmans abschließende Fragen sind wiederum bezeichnend für die weitverbreitete Neigung, muslimische Konzepte gemäß westlicher Begriffe umzuformen. Sie fragt den Leser: „Glauben Sie, dass die Gläubigen diejenigen unterstützen, die in einem religiösen Sinne „dem Weg Allahs“ folgen, so wie auch Christen Missionare unterstützen, die für Christus werben? Oder lesen Sie es als Code für ruchlose Zwecke?“
Abgesehen davon, dass es – leider, und nochmal – ganz und gar irrelevant ist, was irgendeiner von uns „glaubt“, demonstriert diese Frage die allzuweit verbreitete Unfähigkeit, die eigenen, kulturell verinnerlichten Vorstellungen von Gut und Böse zu transzendieren, statt ihnen universelle Herkunft zuzuschreiben. Denn so wie Frau Grossmans westliche Gefühlswelt ihr sagt, dass Zakat, die damit zu tun hat, dass man Geld gibt, immer „mildtätig“ sein muss, so sagt sie ihr auch, dass die Finanzierung von – dschihadistischer oder sonstiger – Gewalt stets „ruchlos“ sein muss.
Sie mag jedoch überrascht sein, dass Männer wie Osama bin Laden ihren Dschihad – ja, mit allen Toten und aller Zerstörung, die er mit sich bringt – als Akt der Nächstenliebe ansieht, als hässliches Mittel zu einem wohltätigen Zweck (s. Koran 2:216), nämlich der Etablierung des islamischen rechts rund um den Erdball (was im übrigen eine weitere muslimische Pflicht ist). Einer der renommiertesten muslimischen Kleriker und Idol heutiger Dschihadisten, Ibn Taimiyya hat den Dschihad in aller Ausführlichkeit als den höchsten Ausdruck von „Liebe“ beschrieben. Und es dürfte in jedem Fall eine sichere Wette sein, dass die meisten Muslime eher dazu neigen werden, seinen Ansichten, d.h. Fatwas zu folgen, und gerade nicht Frau Grossmans gelegentlichen Gedanken zu dem Thema.
Was lernen wir daraus? Dass wohlmeinende Amerikaner gut daran täten, uralte muslimische Doktrinen – von Dschihad bis Zakat – nicht mehr nach Maßgabe ihrer eigenen westlichen Begrifflichkeit zu interpretieren. Stattdessen sollten sie sich auf die herrschende islamische Mainstream-Lehre verlassen, wie sie von den autoritativen Rechtsschulen gelehrt wird. Genau dies tun nämlich Moslems.
P.S.: Ich schickte vieles hiervon an Frau Grossman, und sie antwortete in einem weiteren Artikel, dessen Kernaussage lautet, nur weil eine Religion etwas lehre, würden ihre Anhänger das ja noch nicht beherzigen. Sie schreibt:
So klar die jüdischen Speisegesetze sind, so wenig Juden leben koscher. So klar evangelikale Prediger vieler Denominationen, lehren dass Christus entscheidend für die Errettung ist, sagen doch viele, dass alle guten Menschen in den Himmel kommen, unabhängig von ihrem Glauben oder dessen Abwesenheit
Also gut, differenzieren wir zwischen den Lehren der verschiedenen Religionen (die oft objektiv und klar definierbar sind) und der tatsächlichen Praxis derer, die ihnen anzuhängen behaupten. Frau Grossman unausgesprochene Annahme scheint daher zu sein: Selbst wenn das islamische Recht den Dschihad und seine Finanzierung gebietet, ignorieren die meisten Muslime dies.
Unglücklicherweise wäre dies, selbst wenn es wahr wäre, ein schwacher Trost: Es bedurfte einer kleinen Gruppe von nur 19 Muslimen, die schrecklichen Taten des 11. September zu begehen.